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Geschichte des Grafen Hugo von Craenhove

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Die Liebe muß bis ins Innerste des Herzens dessen sehen, den man liebt; denn Aleidis begriff mit einem Blicke, was der Jüngling fühle. Sie warf ihren Schleier auf die Schulter zurück, betrachtete Bernhard lang und liebevoll und statt ihn mit dem brüderlichen Namen Bernhard anzureden, sagte sie mit silberklarer Stimme:

»Burggraf von Reedale, schmerzt Dich der Anblick Deiner Schwester?«

Der Jüngling erhob das Haupt und dankte durch ein Lächeln für die tröstenden Worte; während er in Verzweiflung sein Auge auf ihr ruhen ließ, sprach sie mit noch freundlicherer Stimme:

»Bernhard, ich habe an Dich allein während der ganzen Trennung gedacht; und Du, hast Du Aleidis nicht vergessen?«

»Vergessen, o mein Gott!« rief er, »Dich vergessen, Aleidis? Sprich keine solchen Worte, während mein Herz bei dem Wiedersehen meiner Schwester und Freundin zerschmilzt?«

Und er ergriff ihre Hand, und netzte sie mit Thränen der Freude und Dankbarkeit.

Hand in Hand und zitternd vor Rührung nahten sich Hugo. Nun begann ein ergreifend Schauspiel der Geschwisterliebe, bis Aleidis endlich sich sprachlos neben Hugo gesetzt hatte, ihren Arm um seinen Hals geschlungen, und ihr blaues schönes Auge auf ihn gerichtet. Bernhard und Aleidis warfen sich Blicke der feurigsten Liebe zu. – Indeß hatte sich die Sonne am Horizonte hinabgesenkt, und es begann zu dunkeln. Da kam Abulfaragus aus der Ferne wieder zu ihnen.


Sobald Bernhard den alten Mann sah, flog er ihm entgegen und umarmte ihn heftig und rief:

»O habe Dank, habe Dank, edelmüthiger Abulfaragus! Du hast für mich gethan, was ein Vater für seinen Sohn thut. Da hast mir eine reine, liebevolle . . . Schwester bewahrt. Der Himmel verlängere Deine Tage und gebe Dir eine selige Sterbestunde . . . «

Lachend klopfte Abulfaragus auf Bernhards Schultern und antwortete mit heiterer Miene:

»Siehst Du, Junker, was Dir nun Freude macht, konnte früher das Unglück eines durchlauchtigen Hauses und Dein Schaden werden. Abulfaragus hat Dich nicht ohne Grund verfolgt und verbannt. Nun ist keine Gefahr mehr, mein überglücklicher Sohn; ich habe Dir nicht allein eine Schwester bewahrt . . . «

Und leise fügte er hinzu:

»Denn der Küster von Deurne hat den Befehl bekommen, die Kirche zur feierlichen Hochzeit schön zu verzieren. Kennst Du den Bräutigam?«

Mit diesen Worten ließ er den erstaunten Bernhard in Gedanken stehen, und ging zu Hugo; er gab ihm Auskunft über den Zustand seines Bruders und kündigte den Aufbruch an, sobald er sah, daß es dunkel genug war, um ihre Ankunft auf dem Schlosse zu verbergen. Während des kurzen Ganges sprach Niemand; alle in der Erwartung der Dinge, die da kommen sollten. Hugo bebte auf seinen ermatteten Füßen; sein Athem wurde kürzer, sein Herz pochte immer heftiger. – Er wollte vor seinem Bruder erscheinen, den er beinahe ermordet hatte.

Endlich schritten sie über die Brücke und kamen in das Schloß; hier konnte sich Hugo nicht mehr stehend erhalten, – er bat um Unterstützung. Bernhard bot ihm seine rechte Schulter, Aleidis die linke, und so nahten sie sich langsam der Thüre von Arnolds Zimmer. Kaum war sie geöffnet, als zwei Stimmen riefen:

»Arnold! Hugo!l Vergebung! Vergebung!«

Und die beiden Brüder flogen weinend einander in die Arme. Ein langer Kuß, einige unverständliche Worte, und dann – dann sanken die Leichname der beiden Brüder zu Boden.

Als sie sich so umschlossen hielten, glaubten die Umstehenden, das Uebermaß von Freude habe sie ohnmächtig gemacht. Abulfaragus aber schrie laut auf daß das ganze Schloß davon erdröhnte und warf sich auf die Leichen.

Dreizehn Jahre Leiden hatten ihr Leben nicht brechen können! – Ein einziger Augenblick der Freude hatte es gethan! – Sie waren todt . . . Und ihre Seelen hatten zusammen die Reise zu Gottes Richterstuhl angetreten.



Wenn Jemand zehn Jahre später in das einsame Schloß einen Blick warf, würde er nichts an den Gebäuden des Laternenhofes verändert gefunden haben. Doch hätte er Abends unter den schattenreichen Bäumen einer Festungsmauern lustwandeln können, so würde er ein kleines Gebüsch entdeckt haben, und in seiner Mitte einen Grabstein, mit der einfachen Überschrift:

D. O. M
Walter von Craenhove
und
seine Gemahlin
Maria
und ihre Kinder
Hugo und Arnold
Gott sei ihren Seelen gnädig

Vor diesem Grabstein hätte er fünf Personen erblickt: Einen Greis, der schon hundert Jahre alt zu sein schien; ein Mann mit blonden Haaren und blauen Augen; eine außerordentlich schöne Frau mit blonden Haaren und blauen Augen und zwei Kinder, ein Sohn und eine Tochter, beide mit Haar und Augen von derselben Farbe, wie ihr Vater Bernhard und ihre Mutter, Aleidis.

Geschichte des Abulfaragus

I

An einem Winterabend des Jahres 1374 waren die vornehmsten Bewohner des Laternenhofes in dem großen Saale des Schlosses.

Der achtzigjährige Abulfaragus saß in einen bequemen Lehnstuhl am Feuer, und blickte sprachlos in die tanzenden Flammen; neben ihm auf einem Bänkchen saß ein kleiner Junge von ungefähr fünf Jahren, der seinen Kopf auf die Kniee des alten Mannes gelegt, selig eingeschlafen war. Etwas entfernter an einem schweren eichenen Tische befand sich die schöne Aleidis von Craenhove mit einem Töchterchen auf dem Schooße, mit ihrem Gemahle, dem Burggrafen von Reedale sprechend.

Draußen mußte ein schrecklich Wetter sein, denn die Fensterscheiben klirrten entsetzlich in ihrem Blei, und der Wind schlug so heftig daran, daß die bange Aleidis mehr als einmal mit ängstlichem Blicke sich umwandte. Noch schrecklicher war das Wüthen des Sturmes in dem Kamine, das Zurückschlagen der Flammen von seinem gewaltigen Athem, sein ächzendes Pfeifen um die Thurmspitzen und das Kreischen der wirbelnden Wetterhähne.

Peinliche Phantasieen stiegen in den Herzen Bernhards und Abulfaragus auf; nicht weil sie etwas fürchteten oder zu fürchten hatten, sondern das Unwetter übte seinen natürlichen Einfluß auf sie aus. Aleidis hatte eine unerklärliche Angst ergriffen: die donnernde Stimme des Orkans und die klagenden Töne des Windes erschütterte ihr feinfühliges Wesen und machte sie auf ihrem Sessel beben.

Die Blässe ihres Gesichtes erschreckte ihren Gatten, der große Mühe hatte, durch freundliche Worte ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Er litt fühlbar bei der Angst seiner Aleidis und auch auf seinem Antlitz malte sich für einige Augenblicke die bange Sorge.

Plötzlich lief ein Lächeln um seinen Mund, als ob ein glücklicher Gedanke über ihn gekommen wäre, und sich an Abulfaragus wendend, sagte er:

»Abulfaragus, mein alter Freund, ist es recht, wenn ein Mensch sich Kummer macht, wenn er nicht unglücklich ist?«

»Nein, Meister,« antwortete der Greis ohne aufzusehen, »es gibt der Schmerzen schon zu viele im Menschenleben; aber der Mensch, so innig verwandt mit der Natur, wird leicht verdüstert, wenn der Himmel mit Sturmwolken umnebelt ist.«

Abulfaragus’ hohle Stimme erschreckte Bernhard sehr, und vertrieb ihm den Gedanken, der ihn hatte lächeln machen.

Er fragte:

»Sagt Dir diese Stunde etwas Betrübendes, Abulfaragus, daß Deine Worte den Ton des Schmerzes haben?«

Der Greis blickte Bernhard an und sprach in noch düstererem Tone:

»Das Unwetter, Meister, hat eine unbegreifliche Macht über den Geist des Menschen; es nöthigt uns, in unser Inneres zurückzukehren; es frischt die Erinnerung aus, entrollt die Bilder der fernsten Vergangenheit und zeigt dem Menschen, was das Schrecklichste in seinem Leben war. Deßhalb umnebelt es den Geist.«

»Wirklich,« rief Bernhard, »es ist so! Auch ich habe mich seit einer halben Stunde der schrecklichsten Augenblicke meines Lebens erinnert. – Geliebte Aleidis, wer könnte Dir sagen, was ich gelitten, als mich das Schicksal so plötzlich von Dir trennte! Das Unwetter ließ es mich so eben noch einmal fühlen.«

Sei es nun, daß die Edelfrau die Liebe, die aus den Worten ihres Gatten blickte, belohnen wollte, oder sei es, daß sie durch das Gespräch für das Wirthen des Sturmes taub geworden, – sie lächelte und drückte Bernhards Hand. Dieser fragte den Greis:

»Aber Du, Abulfaragus, den ein schwerer Schmerz niederzudrücken scheint, woran denkst Du?«

»Ich?s« seufzte der alte Mann, »ich denke an meinen Vater, meine Mutter und meine Schwester.«

»An Deinen Vater und Deine Mutter!« riefen Bernhard und Aleidis zugleich. »Du hast uns immer gesagt, Du habest sie nicht gekannt.«

»Ich hielt es nicht für rathsam, Dich zu betrüben durch die Erzählung ihres schrecklichen Unglücks und auch jetzt bitte ich Euch, mich nicht darum zu fragen; es würde Euch zu sehr schmerzen und angreifen.«

»Und wäre dem auch so,« antwortete Bernhard, »es wird uns diesen Abend einen ernsten Zeitvertreib gewähren. Wir werden Thränen vergießen über das Schicksal Deiner Aeltern; aber Thränen des Mitleids sind süß und erleichtern den Geist. Nicht wahr, Aleidis?«



»Gewiß, Abulfaragus,« sagte die Edelfrau, »Du hast ’ meine Neugierde rege gemacht und wie schrecklich auch Deine Erzählung sein mag, bitte ich doch darum. Ich wünsche zu wissen, was das Loos der Aeltern unsres Freundes war.«

»Ihr Loos, Edelfrau?« rief Abulfaragus mit bebender Stimme, »das Loos meines Vaters: Zerrissen von Wölfen! Ist das nicht schrecklich genug?«

»O Gott!« seufzte Aleidis, »welch’ schrecklich Geheimniß hast Du uns verschwiegen!«

 

»Nicht wahr,« erwiederte Abulfaragus, »solche Erinnerungen sind zu bitter, um mitgetheilt zu werden? Es ist besser, daß ich sie noch in meiner Brust verschlossen halte.«

»O nein,« fiel Aleidis ein, »erzähle uns Deine Geschichte. Du hast es uns schon so manchmal versprochen, und jetzt gerade haben wir einen langen Abend, um Dir zuzuhören.«

Bernhard bat gleichfalls, bis sich Abulfaragus entschloß, ihnen die Geschichte seines Lebens zu erzählen. Er begann also:

*                   *
*

Noch im Jahre 1308 wohnte zu Damaskus ein jüdischer Arzt, mit Namen Abel Farach, der von den Arabern allerlei Wissenschaft gelernt hatte, und um seiner außerordentlichen Kenntnisse willen in ganz Syrien allgemein bekannt und geachtet war. Man kam zu ihm aus Aleppo, Jerusalem und Bagdad; ja selbst die Einwohner von Skanderon und Bassora unternahmen gefährliche Reisen, um sich Rathes bei ihm zu erholen. Dieser Abel Farach war mein Vater.

Ich erinnere mich noch, daß wir ein prächtig Haus bewohnten, hinter welchem ein breiter Hof war, worin ich mit meiner guten Mutter, Abigaïl und meiner jüngern Schwester, Rebekka, täglich spielte. Wir hatten Sklaven und Diener in großer Anzahl und jedermann, er sei Jude, Christ oder Sarazene, ehrte uns.

Ungefähr um diese Zeit unternahmen die christlichen Edelleute, welche man Ritter von St. Johann zu Jerusalem nannte, Kreuzzüge gegen die Sarazenen, und kamen mit einer Flotte vor der Insel Rhodus, um sie den Mohamedanern zu entreißen. Ohne daß ich die Gründe davon weiß, verbreitete sich plötzlich das Gerücht unter den Sarazenen, die Christen und Juden stehen in geheimer Verbindung mit dem europäischen Lager, und seien bereit, ihnen durch Verrath die Städte von Syrien zu überliefern. Alle Bewohner von Jerusalem, die nicht an Mohammet glaubten, wurden ermordet; zu Aleppo strömte das Blut der Juden und Christen noch entsetzlicher und schon begann man in den Straßen von Damaskus einander aufzufordern, das Vorbild der andern Städte von Syrien nachzuahmen.

Am Abende dieses Tages saß ich mit meiner Mutter und Schwester aus dem platten Dache unseres Hauses; ich war ungefähr zehn und meine Schwester sieben Jahre alt. Deßhalb achteten wir noch nicht auf den Trübsinn meiner Mutter, dessen Ursache wir nicht begriffen. Wir athmeten spielend die Balsamdüfte, die uns der Wind aus der Wüste zuführte und zeigten einander die schönsten Sterne des Himmels; als wir plötzlich, unten an unserem Hause, im Hofe einen Mann sahen, der heimlich ein Pferd und einen Dromedar fortzog und diese Thiere zu verbergen suchte. Darauf wurde die Hausthüre unserer Wohnung, wie mit Gewalt geöffnet und wieder geschlossen. Ein kaum merkbarer Schrei entfloh der Brust unserer Mutter, und jetzt erst bemerkten wir, wie sehr sie zitterte.

Mit ängstlicher Eile nahm sie uns bei der Hand und brachte uns sprachlos in den unteren Saal, wo mein Vater eben eingetreten war. Sein Gesicht war bleich, und seine Augen starr. Ohne meiner Mutter Zeit zum Sprechen zu lassen, schloß er die Thüre vorsichtig zu und sagte dann mit leiser Stimme:

»Abigaïl, wenn wir hier bleiben bis zum Sonnenaufgang, werden die ersten Strahlen unsre Leichen bescheinen. Wir müssen in größter Eile fort: Togrul-Almahadi, hat mich versichert, daß die Niedermetzelung der Juden und Christen morgen beginnen wird und daß wir, als die Reichsten, zuerst unter dem Schwerte fallen werden. – Verlange keine weitere Erklärung von mir; nimm die Kleider einer Sklavin, ziehe sie an, damit man Dich für eine Türkin ansehe; verkleide die Kinder gleichfalls! Ich werde Gold und Perlen, was wir besitzen, zusammenpacken, ein Pferd und ein Dromedar stehen im Hofe bereit. Spute Dich und sage den Sclaven nichts davon, sie würden uns verrathen.«

Um Mitternacht zogen wir fort.

Unsere Mutter saß auf dem Dromedar und wir, jedes in einer Art von hölzernem Korbe, zu ihrer Seite; mein Vater, zu Pferde und wohl gewaffnet, ritt voraus, um uns den Weg zu zeigen. Die Angst unserer Aeltern mußte groß sein, denn nicht selten begegneten wir Banden von sarazenischen Kriegern; aber wir entkamen ihnen gewöhnlich, oder wußte mein Vater durch seine Worte allen Argwohn ihnen zu benehmen, und sie glauben zu machen, wir seien Sarazenen, die nach Aleppo reisten. Nachdem wir einige Tage und nur des Nachts, unsern Weg fortgesetzt hatten, kamen wir nach Skanderum und von da nach Simta, nicht ferne von Rhodus. Hier glückte es meinem Vater des Nachts insgeheim auf die christliche Flotte zu kommen; er bot seine Dienste an und gab so außerordentliche Beweise seiner ärztlichen Kunst daß die Ritter von St. Johann-zu-Jerusalem sein Anerbieten mit Freude annahmen. Die Nacht darauf kreuzte eine kleine Galeere unter der Seeküste; wir hatten in einem Boote eine halbe Stunde auf sie gewartet, erreichten sie in der Dunkelheit und gingen wohl behalten an Bord des größten Schiffes, wo uns eine bequeme Kajüte als Aufenthaltsort angewiesen wurde.




Die Belagerung von Rhodus dauerte länger als ein Jahr. Täglich fielen blutige Gefechte vor und eine große Anzahl Ritter wurden verwundet. Mein Vater rettete ihrer so viele von einem sicheren Tode, daß die Christen ihn mit Dankbarkeit begegneten, und ihn als ihren Wohlthäter betrachteten. Wir hatten ein ziemlich, angenehmes Leben, da unsre Galeere als Krankenhaus benutzt, nie ins Treffen kam und wir die See und ihre Unruhe sehr bald gewöhnt waren.

Auf der Flotte vor Rhodus befand sich ein brabantischer Ritter, der sehr wißbegierig war und mit meinem Vater ein engeres Freundschaftsband geschlossen hatte. Ihre gegenseitige Zuneigung wurde endlich so innig, daß sie einander beinahe nie verließen und oft ganze Nächte bei einander zubrachten, um die Sterne und ihren Lauf zu beobachten. Die Liebe des brabantischen Ritters ging auch aus uns über; mit mir und meiner Schwester Rebekka spielte er ganze Tage auf dem Schiffsverdecke, und machte sich zum Kinde, um uns die Tage auf dem Schiffe zu erheitern.

Meine Mutter liebte uns außerordentlich, auch fühlte sie für den christlichen Ritter eine große Dankbarkeit, da er sich so edelmüthig gegen arme jüdische Flüchtlinge erwies. Von frühster Jugend an hatte man uns die Christen als hassenswerthe und schreckliche Menschen geschildert, man hatte uns tausendmal gesagt, wie sie die Juden verfolgen und ihre ewigen Blutfeinde seien. Das Betragen des brabanter Ritters erregte unsre Dankbarkeit dermaßen, daß wir, wenn wir des Abends mit unserem Vater allein waren, von Niemand als unserem Wohlthäter sprachen; nach und nach begannen wir auch die Religion der Christen zu bewundern; wir sagten uns, welche Tapferkeit und welchen Edelmuth der Glaube an Christus allen diesen Rittern einflöße und wie erhaben die christliche Menschenliebe sei, da sie den brabanter Ritter antrieb, uns, die wir überall verstoßen und ganz ohne Schutz waren, das Leben in ein Paradies von Freundschaft und Bruderliebe umzuschaffen. Zweifelsohne mußte mein Vater oft mit dem christlichen Freunde über Religion sprechen, denn bisweilen, wenn er von ihm zurückkam, sagte er uns, es i sei nicht unmöglich, daß der Gekreuzigte der erwartete Messias gewesen. Ja, er gab sich sogar bald Mühe, uns zu beweisen, daß kein anderer Messias kommen werde, als der Gottmensch der Christen. Diese Beweise waren aber bei uns unnöthig: meine Mutter, meine Schwester und ich, wir waren längst im Innern Christen; seit drei Monden besaßen wir ein Christusbild und beteten im Stillen vor ihm, der Gekreuzigte möge das Leben seines Dieners, des brabanter Ritters, erhalten.

Eines Morgens, als wir in unserer Kajüte gerade beim Frühstücke waren, trat mein Vater ein und setzte sich, ohne zu sprechen, auf einen Sessel. Sein Gesicht leuchtete von Freude und Glück, seine Augen strahlten, sein Mund lächelte: es war, als ob die Sonne, das Verdeck durchbrechend, seine Stirne erhellte.

Nachdem er einen Augenblick geschwiegen hatte, richtete er sich auf und sprach zu uns in feierlichem Tone:

»Abigaïl, Du, die treue Gefährtin meines Lebens, und Ihr, meine Kinder, horcht auf das, was ich Euch sagen werde; aber was mein Mund auch spricht, glaubt nicht, daß ich Euch verpflichten will, meinem Beispiele zu folgen. Komm hierher, Jonathan, mein Sohn, und Du meine Rebekka, da ich Euch nochmal einen Kuß gebe, ehe ich meinen Entschluß mittheile.«

So sehr uns der freudige Ausdruck meines Vaters beruhigen mußte, so überkam uns doch eine gewisse Angst. Beinahe zitternd empfingen wir den Kuß und mit Thränen in den Augen umarmte meine Mutter den Vater. Wir wußten nicht, was wir zu fürchten oder zu hoffen hatten.

Plötzlich rief mein Vater leidenschaftlich:

»O meine Kinder, es gibt nur einen Messias, – dieser Messias ist Jesus, und ich bin sein Diener! Seine Stimme hat zu meinem Herzen gesprochen, seine Gnade hat mich erfüllt mit Licht und Freude!«

Bei diesen Worten zog er ein silbernes Kreuz unter seinem Gewande hervor, hing es an die Wand auf und sagte:

»Er ist mein Seligmacher und mein Gott.«

Mein Vater erwartete von uns ein Jammern über die Glaubensänderung, denn diese Furcht allein hatte ihn angetrieben, seine Erklärung zu bevorworten; aber er hatte sich zu seiner Freude betrogen. Die Augen meiner Mutter erglänzten plötzlich von demselben Feuer; sie warf sich wie eine Christin knieend vor dem Kreuze nieder; meine Schwester und ich knieten daneben; sie hob ihre Hand in die Höhe und rief zum Gekreuzigten:

»Jesus, Du Sohn Davids, Du bist es, von dem Jesaia gesagt: »Darum wird der Herr Euch ein Zeichen geben, siehe, eine Jungfrau wird empfangen; sie wird einen Sohn gebären, deß Name wird Immanuel sein.« – Dein Name, o Messias, sei verherrlicht von Allem, was Leben hat. Du bist der Sohn Gottes, Erlöser der Welt! Der Gott meines Gatten und der meine.«

Und wir antworteten freudig: »Amen! Amen!«

Thränen der Rührung und der Freude strömten aus meines Vaters Augen; er kniete hinter uns nieder, umschloß uns mit seinen Armen und betete einige Augenblicke mit leiser Stimme, als ob er den gekreuzigten Erlöser bitte, die Bitte der Seinigen zu erhören. Dann hob er uns Alle auf, umarmte uns mehre male und rief beständig:

»O, wir werden Christen sein!«

Dieser Tag war der schönste unseres Lebens; wir fühlten eine unbeschreibliche Freude und erschmolzen in Thränen, die uns ein Vorgefühl jener Himmelsseligkeit gaben. Gegen Mittag kam der brabantsche Ritter in unsere Kajüte und theilte unsre Freude; ja er fühlte sich, noch mehr gehoben, als wir, da er unsere Bekehrung für das größte Glück hielt, das uns durch seine Freundschaft geworden.

Es brauchte nicht lange, uns die Geheimnisse der neuen Lehre begreifen zu machen: unsre Herzen empfingen die Saat der Lehre Christi mit so viel Eifer, daß wir bald im Stande waren, die heilige Taufe zu empfangen. Der brabanter Ritter war mein Pathe; andere vornehme Herren die Zeugen meiner Eltern und meiner Schwester.

Am bestimmten Tage kam ein Bischof mit großem Gefolge von Rittern auf unser Schiff, und wir empfingen nach vielen Feierlichkeiten die heilige Taufe. Alle anwesenden Herren wünschten uns Glück, aber besonders erfreut war der brabanter Ritter; er küßte mich wohl hundert Mal und nannte mich seinen Sohn Walter. Dieß war der neue christliche Name, den man mir gegeben; mein Vater hieß Joseph, meine Mutter Susannah und meine Schwester Maria; Abel Farach wurde Abulfaragus.



Während man uns nun von allen Seiten Glück wünschte und der frohe Jubel der Ritter unsere Bekehrung feierte, sahen wir plötzlich unter den Küsten von Rhodus eine große Anzahl türkischer Galeeren in die See stechen und unter lautem Kriegsgeschrei auf uns lossteuern.

Plötzlich lief der Ruf: »zu den Waffen! zu den Waffen!« über die ganze christliche Flotte, jeder Ritter begab sich auf seine Galeere, alles wurde zu einer Seeschlacht fertig gemacht und die christlichen Schiffe fuhren ihren Feinden entgegen. Ich sah das Gefecht nicht, denn man hieß uns ins Schiff gehen; da unsere Galeere nicht dazu bestimmt war, im Kampfe mitzumachen, so hörten wir selbst nicht das mindeste Geräusch.

Nach einer Stunde kam jemand, uns zu sagen, daß die Christen Sieger geblieben und vier türkische Galeeren verbrannt hätten. Wir freuten uns sehr über diese gute Zeitung und dankten dem Herrn im Gebete; als wir plötzlich ein Geräusch von Menschentritten auf dem Verdecke unseres Schiffes hörten; mit ängstlichem Vorgefühl liefen wir die Treppe hinauf und sahen, daß man einen verwundeten Ritter auf unser Schiff brachte.

 

An den Thränen meines Vaters merkten wir bald, wer es war, den man leblos und verblutet zurückbrachte. Wir schrieen alle laut auf; meine Schwester fiel weinend in die Arme ihrer Mutter. Ich warf mich auf die Kniee neben den brabantischen Ritter; »ich rief ihn bei seinem Namen, küßte seine blauen Lippen und netzte seine bleiche Stirne mit meinen Thränen. Ach, mein Pathe, unser edelmüthiger Wohlthäter hatte in der Schlacht eine tödtliche Wunde empfangen, ein Pfeil war ihm quer durch den Hals gedrungen!

Der Verwundete wurde in das Bett meiner Mutter gelegt; dann ersuchte mein Vater alle Anwesenden, sie möchten ihn allein bei dem brabanter Ritter lassen, Sobald man ihm gehorcht, sprach er zu uns:

»Halten wir ein mit unseren Thränen, damit retten wir ihn nicht. Frauen kniet nieder und betet. Du,Walter, hole schnell Wasser!«

Meine Mutter und Schwester warfen sich knieend vor das Kreuz; ich eilte wie mit Flügeln die Treppe hinunter und kam augenblicklich mit einem gefüllten Krug zurück.

Ohne zu sprechen, begann mein Vater die Wunden zu waschen, und zu untersuchen, ob ein großes Blutgefäß in dem Hals des Verwundeten verletzt sei; die Stirne meines Vaters brannte bei dieser Untersuchung; ich sah, wie er sich in der Verzweiflung die Haare ausriß und wie er endlich entmuthigt niederfiel. Da brach ich in heftige Thränen aus, denn ich konnte nun nicht mehr an dem Tode meines Freundes zweifeln.

Nach einigen Augenblicken erhob mein Vater wieder das Haupt und begann eine neue Untersuchung. Kurze Zeit darauf leuchtete einige Hoffnung auf seinem Gesichte und er sagte mit ruhiger Stimme zu meiner Mutter und Schwester:

»O betet, betet inbrünstig, denn mit Gottes Hilfe wird er genesen!«

Ein Freudenschrei war ihre Antwort und sie senkten ihr Haupt noch tiefer zum Gebet. Den ganzen Nachmittag half ich meinem Vater Salben und Tranke bereiten; wir wachten des Nachts bei dem Leblosen, ängstlich auf jede Bewegung, als ein Lebenszeichen wartend.

Der dritte Tag war für uns ein Tag des Glücks und der Freude: man hörte ihn einen Ton von sich geben und mein Vater hatte gesagt, »er wird leben!«

Von diesem Augenblicke an verbesserte sich der Zustand unseres Wohlthäters; am zwölften Tage konnte er schon seine Augen fest auf uns richten, und durch feine freundlichen Blicke uns für die Sorgfalt lohnen. Vierzig Nächte wachten meine Mutter und Schwester abwechselnd an seinem Bette. Während dieser Zeit hatte sich seine Wunde geschlossen und nach einem Monate bekam er endlich seine vorige Gesundheit wieder. Nun kannte seine Liebe zu uns keine Grenzen mehr. Mein Vater ward ihm ein Bruder und er nannte mich nie anders, als seinen Sohn Walter.

Im Jahre 1310, am 16. Mai, eroberten die Christen die Insel Rhodus und verjagten die Türken. Viele Ritter zogen nun heim und auch wir beschlossen die Flotte zu verlassen, um in Europa eine Heimath zu suchen. Unser Freund forderte uns auf, mit ihm nach Brabant zu ziehen. Wir besaßen wenig in der Welt und bedurften eines Beschützers, überdieß wäre es uns beinahe unmöglich gewesen, von unserem Wohlthäter zu scheiden. Wir nahmen also seinen Vorschlag dankbar an und machten uns auf den Weg, unter dem Geleite Walters von Craenhove . . . «

»Himmel, mein Vater!« rief Aleidis erstaunt, »Abulfaragus, warum hast Du mir diesen Namen so lange verschwiegen?«

»Edle Frau,« antwortete der Greis halb lächelnd, »es war Dein Vater, mein Pathe und der Busenfreund meiner Eltern. Du kannst es nicht glauben, wie ich ihn geliebt, diesen tapfersten aller christlichen Ritter! O das Blut, das durch Deine Adern läuft, ist vom edelsten Blute, das die Sonne in allen drei Welttheilen je erwärmt! Und nannte ich Dir nicht früher schon seinen allzeit theuren Namen, so geschah es nur, weil ich Dich durch die Beschreibung seiner tödtlichen Krankheit nicht betrüben wollte.«

Aleidis schwieg, aber ihre funkelnden Augen und ihr halbgeöffneter Mund zeigten deutlich ihre große Neugierde. Abulfaragus bemerkte dieß und fuhr alsbald fort:

»Wir kamen nach einer langen Reife in der Stadt Lüttich an der Maas an; da fand mein Vater so viele seiner früheren Glaubensgenossen, die unsere Muttersprache redeten, daß er sich vornahm, sich hier häuslich niederzulassen und als Arzt seine Dienste anzubieten. Der gute Graf von Craenhove zwang uns eine bedeutende Summe Geldes auf. Wir kauften ein Haus in einer Straße, wo jüdische Wechsler wohnten und nahmen dort unsern Wohnsitz. Walter von Craenhove mit unserem Danke überhäuft, zog nach seinem Schlosse, dem Laternenhofe.

In Lüttich wohnten wir einige Jahre im Frieden, während welcher mich mein Vater in den arabischen Wissenschaften, worunter Arzneikunde und Astrologie die hauptsächlichsten, unterwies. Dieselbe Berühmtheit, die mein Vater in Syrien genossen, wurde ihm auch hier zu Theil; er heilte viele Edelleute und Geistliche und sammelte so ansehnliche Schätze. Man nannte ihn den reichen Astrologen Abulfaragus. Ohne Zweifel machte das Glück meines Vaters die Mißgunst und den Neid Vieler rege; denn mehr als einmal hörten wir, daß man unter der Hand ihn als Zauberer zu verschreien suche. Besonders verlästerten ihn die Juden, weil sie über seine Bekehrung sehr erbittert waren; aber wir hatten zu mächtige Freunde und zu viel kranke Ritter und Prälaten brauchten die Hilfe meines Vaters, um uns nicht vor allem Ungemach zu beschützen.

Um diese Zeit wurden in allen christlichen Reichen Briefe von dem Papste in Rom ausgetheilt, welche die Ritter und Bürger gegen die Türken in den Kampf riefen; auf allen Plätzen, Märkten und Straßen predigten die Boten des Papstes einen allgemeinen Kreuzzug. Sie zeigten in ihrem Eifer mit rührender Stimme und Thränen in den Augen, wie das Blut der Christen in Palästina in Strömen floß und wie die Sarazenen täglich das Grab des Erlösers mit Hohn und Spott entheiligten. Nicht selten sprachen sie von den Leiden des Erlösers und sagten dann, wie er durch das böse und verdammungswerthe Geschlecht, so nannten sie die Juden, gemartert und gekreuzigt worden. Es wird Euch nicht wundern, daß unsere Glaubensgenossen, wenn sie solche Predigten hörten, offen dagegen murrten. Es entstand von dieser Zeit an ein tiefer Haß zwischen dem Volk von Lüttich und den zahlreichen Juden, die daselbst wohnten; nach und nach wurde dieser Zustand sogar gefährlich. Mehr als einmal behauptete man, daß die Juden sich vieler Uebelthaten im Geheimen schuldig machen und wurde ein Mord begangen, so legte ihn das Volk den Beschnittenen zur Last. Wie ungerecht es auch sei, den Gerechten mit dem Schuldigen zu verfolgen, so muß ich doch bekennen, daß einige Juden in ihrer Verirrung Missethaten begingen, die den Haß wohl rechtfertigten.

Bei diesem Stande der Sachen und während man noch den Kreuzzug predigte, erschien mit einem Male eine gefährliche Krankheit in Europa. Lüttich war keine der Städte, wo sie am wenigsten Schlachtopfer forderte. – Diese Plage glich sehr dem morgenländischen Aussatz oder der Lazaruskrankheit, doch war sie in Bösartigkeit noch größer. Man nannte sie zu Lüttich die Leprosie. Wer von derselben ergriffen wurde, fühlte plötzlich ein ungestümes Herzpochen, der kalte Schweiß brach am ganzen Körper aus; dann bekam sein Gesicht und seine ganze Haut eine fahle und gelbe Farbe, die zwei Stunden später mit lauter blauen Flecken übersäet schien. Diese Flecken änderten sich am anderen Tage in harte Geschwulste, aus welchen alsbald eben so viele offene und unheilbare Eiterbeulen entstanden.

Die meisten Menschen, die mit dieser schrecklichen Krankheit geschlagen waren, starben in wenigen Tagen; andere ertrugen es länger und lebten Monate lang zum Schrecken ihrer Mitbürger. Was das Schrecklichste an dieser Krankheit war, ist ihre Ansteckungskraft, welche man so groß glaubte, daß schon der Anblick einer Pestbeule diese Krankheit in den Betrachter übertrage. Was auch daran sei, es unterliegt keinem Zweifel, daß der, welcher die Hand eines angesteckten Freundes drückte, von diesem den Tod empfing; wer in eines Angesteckten Wohnung ging, oder Kleider und Tücher eines Leprosen berührte, war am andern Tage mit blauen Geschwüren überdeckt, – ja selbst das Geld verbreitete die Krankheit.

Unbeschreiblich ist der Schrecken, der sich aller Herzen bei dem ersten Eindringen dieser tödtlichen Pest bemächtigte; alle Thüren und Fenster waren geschlossen, keine lebende Seele war anfangs auf den Straßen zu bemerken. Lüttich hatte einige Tage lang das Aussehen einer Stadt, in welcher weder Thier noch Mensch wohnte. Mein Vater war aber den ganzen Tag von uns entfernt; mit den ihm bekannten Kräutern bestrichen, suchte er Hilfe und Trost in die Häuser der Juden und Christen zu tragen und es glückte ihm unter tausend Kranken etwa zehn wieder herzustellen. Was er uns erzählte, wenn er tief in der Nacht zurückkam, um auszuruhen, war schrecklich; – er sah die Kinder ihren kranken Vater mit langen Stöcken die Treppe hinunterstoßen und wie einen verlassenen Hund auf die Strafe treiben; er sah die Mütter ihren Kindern aus der Entfernung mit List einen Strick um den Hals werfen und sie so zum Hause hinausschleudern; die Brüder mit dem Beile ihre angesteckte Schwester von sich treiben! – O man kann es kaum glauben, alle Bande des Blutes und der Verwandtschaft waren zerrissen, jeder haßte und mißtraute seinem Nebenmenschen, Alle verkrochen sich in Höhlen und Kellern, bereit, den zu tödten, der ihnen nahen wollte, wäre es auch ihr Vater und Gatte oder Sohn. Und kam ein Angesteckter auf die Straße, gleichviel ob er Hilfe suchte, oder von seinen Hausgenossen hinausgeworfen worden war, er konnte nur wenige Schritte thun, ohne daß aus dem einen oder anderen Fenster ihm ein eiserner Pfeil den Körper durchbohrte.