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Geschichte des Grafen Hugo von Craenhove

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Nachdem dieß schreckliche Grableben sechs oder sieben Tage gedauert, begann es plötzlich heftig zu frieren und der Winter schien außerordentlich streng werden zu wollen. Die Veränderung der Witterung brachte auch eine Aenderung in die Krankheit: man bemerkte, daß nur wenige neue Ansteckungsfälle vorkamen und daß selbst die Leprosen nicht mehr starben und ihre Eiterbeulen, wie in Ruhe verfallen waren.

Die Obrigkeit und das bischhöfliche Kapitel begannen sich zu versammeln, es wurde da und dort gearbeitet und die Stadt erhielt wieder einen Anschein von Leben. Alsbald wurden strenge, aber notwendige Gesetze über die Leprosie angekündigt und noch andere Maßregeln gegen die Ansteckung getroffen. Alle Diejenigen, die mit Leprosie befallen waren, mußten überall eine weiße Ruthe in der Hand tragen; wer einen Leprosen, der keine Ruthe hatte, todtschlug, bekam eine bestimmte Belohnung von dem Mambour oder Bürgermeister; es war jedem verboten, einem Leprosen über einen Abstand von zehn Schritten zu nahen; wer dieß Verbot übertrat, war dem Tode verfallen. Die Angesteckten durften weder in Kirchen, noch in Häuser gehen und derjenige, welcher etwas auf die Straße warf, Auswurf oder Tücher, oder der einem Hunde und einer Katze einen Bissen Brodes gab, wurde stehenden Fußes umgebracht. Mit einem Wort: die unglücklichen Leprosen durften sich nicht blicken lassen oder das Schwert der angestellen Todtschläger machte ihrem bitteren Leben ein blutig Ende.

Da die größte Zahl der Kranken aus Armen und Nothleidenden bestand, starben anfangs eine große Anzahl vor Hunger und Kälte; andere durch Mangel an Lebensmitteln gezwungen, brachen bei Nacht mit Gewalt in die Häuser der Bäcker und Kornhändler und beschmutzten so den Vorrath der Kaufleute.

Theils aus Mitleiden, theils um die größere Verbreitung der Pest zu verhindern, befahl der Bischof außerhalb der Stadt Lazarethe und Pesthäuser zu errichten. Die Bürger, hierin ein Mittel sehend, sich von der schrecklichen Gegenwart der Leprosen zu erlösen, scheuten die großen Geldopfer nicht und in kurzer Zeit waren außerhalb Lüttich eine ziemliche Anzahl solcher Häuser zum Empfang der Kranken bereit. Man hatte keine andere Veränderung an denselben vorgenommen, als daß man die Fenster zugemauert und hinter dem Haus einen viereckigen offenen Platz, mit einer hohen Mauer umgeben, die Thüren verstärkt und in dem Vordergiebel ein großes Loch angebracht und mit eisernen Gittern versehen hatte.

Alle Leprosen, die man nach dem ersten Befehle des Bischofs aus der Straße fand, und die nicht augenblicklich mit einem der Todtschläger nach dem Lazarethe gingen, wurden erschossen. In weniger als acht Tagen waren die Pesthäuser vollgepfropft mit Elenden, welche vom Hunger gezwungen gewesen, sich auf den Straßen sehen zu lassen. Die reichen Leprosen fanden noch mit vielem Gelde Menschen, welche Essen für sie holten und es ihnen von ferne zuwarfen.

Schrecklich, herzzerreißend war das Loos der eingeschlossenen Leprosen; hatte sich einmal die Thüre des Pesthauses vor ihnen geöffnet, erschloß sie sich nimmer wieder, als um neue Bewohner zu empfangen. Das Essen wurde ihnen auf der Spitze eines langen Stockes zugeschoben; man sah die Unglücklichen halb nackt und mit magern Händen sich wie rasend auf die spärliche Nahrung werfen, jammern und weinen, daß das Herz eines gesunden Menschen vor Schmerz und Schrecken beinahe zerschmolz. O solch’ ein Pesthaus war ein schrecklich Grab von Lebenden bewohnt! Was mußten sie leiden, die Verurtheilten wenn einer ihrer Schicksalsgenossen den Geist aufgab und sie verpflichtet waren, mit eigener Hand in dem viereckigen Hofe die Leiche zu begraben – ein Schicksal, das ihnen bald gleichfalls zu Theil werden sollte.

. . .  . . .  . . .  . . .  . . . 

Hier sah Abulfaragus, daß seine Erzählung auf Aleidis Gemüth einen Eindruck machte, der ihr vielleicht schädlich sein konnte. Darum fragte er:

»Edle Frau, wäre es nicht besser, die weitere Erzählung bis morgen zu verschieben? Du weinst und hast das Schrecklichste meiner Erzählung noch nicht gehört. Der Abend und die Dunkelheit machen Dich sehr erregbar; am hellen Tage kann man Alles besser hören!

»Ich habe das Schrecklichste Deiner Geschichte noch nicht gehört?« seufzte die Edelfrau. »Was ist schrecklicher, als dieß Loos der Leprosen?«

»Das Loos meines Vaters!« rief Abulfaragus, während aus seinen eingefallenen Augen eine Thränenfluth hervorbrach, »o dürfte ich das verschweigen!«

Alle blieben einige Zeit sprachlos und in peinliche Gedanken versunken; endlich sagte Bernhard:

»Ja erzähle uns morgen, bei Tage, das Uebrige, Du bist zu sehr ergriffen und wir würden gleichfalls nicht ruhen können bei der Erinnerung an die schreckliche Erzählung. «

Kurze Zeit darauf verließen sie den Saal und begaben sich in ihre Schlafgemächer.

II

Um folgenden Morgen stieg die Sonne herrlich und glanzvoll auf. Schon sehr frühe befanden sich Bernhard und Aleidis in dem Saale, in der Hoffnung, Abulfaragus werde ihnen den Verfolg seiner Geschichte erzählen; aber der Mittag nahte, ohne daß ihr Freund herabkam. Ein Dienstbote erschien und sagte ihnen, daß Abulfaragus sich unpaß fühle und sie ersuche, sein Nichtkommen zu entschuldigen.

Bernhard und seine Gattin begaben sich in Unruhe nach seinem Zimmer und fanden ihn m Bette liegen. Sie glaubten, Abulfaragus leide nur an einer vorübergehenden Unpäßlichkeit und sprachen ihm Muth ein.

»Abulfaragus,« sagte Aleidis endlich. »Ich muß mir die Schuld Deiner Unpäßlichkeit zuschreiben. Meine unbesonnene Neugierde hat mich angetrieben, eine Erzählung von Dir zu verlangen, die schmerzliche Erinnerungen in Dir erweckt hat.«

»In der That, edle Frau,« antwortete Abulfaragus, »die Erzählung hat mich krank gemacht, aber nicht durch das, was ich Dir gesagt habe; sondern durch das, was mir zu sagen übrig blieb. Als ich Euch meine Geschichte versprach, habe ich zu viel auf meine Kräfte vertraut; nie werde ich dieselbe erzählen können. O Ihr wißt nicht, welch’ schreckliche Dinge ich Euch mittheilen müßte!«

»Also werden wir die Geschichte nicht kennen lernen? – Meine Neugierde ist nicht befriedigt, Abulfaragus. Der Name meines Vaters ist in Deine Geschichte vermischt; deßhalb magst Du mich entschuldigen, wenn ich vor Begierde brenne. Nicht, daß ich Dich auffordern wollte, unmittelbar fortzufahren; ich begreife wohl, daß dieß nicht geschehen kann, aber Du solltest uns doch Deinen ganzen Lebenslauf kennen lernen lassen?«

»Mein Mund, edle Frau, wird Dir nie das schreckliche Loos meiner Eltern verkünden; ich könnte es nicht aussprechen . . . «

Bei diesen Worten zog er unter dem Hauptpfühle ein geschriebenes Buch hervor und dasselbe Aleidis überreichend, sagte er:

»Sieh’ hier, edle Frau, die ganze Geschichte meines Lebens bis zum Tode meines Vaters, meines Pathen und Wohlthäters. Herr von Reedale kann sie Dir vorlesen. Das erste Hauptstück erzählte ich Euch gestern und ich hoffe daß sie Euch nicht zu viele Thränen entlocken soll. Laßt Euch inzwischen an meiner Gesundheit nichts gelegen sein, ich bin nicht krank und brauche nur etwas Ruhe, um ganz hergestellt zu sein.«

Bernhard und Aleidis gingen mit der Handschrift in den Saal und der Burggraf von Reedale begann folgendermaßen zu lesen:

*                   *
*

Während des harten Frostes blieb die schreckliche Krankheit der Leprosie gleichsam stehen, ohne einen merklichen Schritt zu thun und man begann bereits von den strengen Maßregeln abzulassen; aber kaum hatte es in der Nacht gethaut, als die Plage sich wieder wie ein Alles verschlingendes Feuer verbreitete. In wenigen Tagen zählte man schon einige Hundert von der Leprosie Ergriffene; man begann wieder vor einander zu fliehen, es wurden mehr Todtschläger angestellt und wer an den Wink dieser gerichtlichen Mörder nicht nach dem Pesthause ging, dem schlug man den Kopf mit einem Beile ein oder man durchstach ihn mit einer langen Lanze. Die Bürger selbst waren zu Todtschlägern geworden; wo sie einen Leprosen fanden, glaubten sie ein verdienstliches Werk zu thun, wenn sie ihn wie einen rasenden-Hund verfolgten und tödteten.

Mein Vater versagte Niemanden seine Hilfe und war ganze Tage außerhalb seiner Wohnung, um de Kranken zu trösten und glücklichenfalls hie und da einen zu heilen. Wie sehr er auch seine Familie liebte, unsere Thränen konnten ihn nicht abhalten, in die Häuser der Angesteckten zu gehen; er hielt es für eine heilige Pflicht, seinen Beruf als Arzt ganz zu erfüllen und aller Gefahr zu trotzen, um seinem leidenden Mitmenschen zu helfen. Ueberdieß glaubte er nicht angesteckt werden zu können, so lang er sich mit denselben Kräutern bestrich. Deßhalb setzte er auch seine täglichen Besuche fort. Eines Abends war schon lange die gewohnte Stunde seiner Zurückkunft vorüber. Meine Mutter wartete mit pochendem Herzen und zitternd vor Angst, es möchte ihm etwas Schlimmes begegnet sein. Aber trotz aller ihrer Furcht schwieg sie, um uns nicht auch zu ängstigen.

Ich war damit beschäftigt, meine Schwester Maria in einem Buche lesen zu lehren und dieß hinderte uns, zu sehen, wie blaß das Antlitz unserer Mutter war und mit welcher Angst sie auf das leiseste Geräusch der Straße, als einen Vorboten der Ankunft meines Vaters, horchte. Es verlief aber so viel Zeit, daß Maria das Buch zuschlug und verwundert umhersehend fragte:

»Aber Mutter, wo ist unser Vater?«

Unsere Mutter antwortete nicht, aber von ihren Wangen floßen stille Thränen, sie betrachtete meine Schwester mit trübem Blick und zog sie ohne zu sprechen, an ihre Brust. Ich meinerseits dachte, mein Vater wache vielleicht an dem Todtenlager eines vornehmen Mannes und begriff die Furcht meiner Mutter nicht, obschon ihre Thränen auch die meinen fließen machten. All meine Worte vermochten nichts über ihr Gemüth; ein geheimes Vorgefühl ließ sie ein schrecklich Unglück ahnen und sie weinte mit meiner Schwester bis zum Morgen. Aber wie wurde ich selbst von der Angst gefoltert, als die Sonne am Himmel aufstieg, ohne daß wir unsern Vater wieder gesehen hatten!

 

Das Weinen meiner Mutter und Schwester erfüllte unsere Wohnung; sie rauften sich die Haare aus und zerreißen ihre Kleider . . . und ich, der muthvoll zu sein glaubte, ich stand rathlos weinend bei ihnen; kein tröstend Wort fiel von meinen Lippen. Endlich erwachte ich aus meiner Bewußtlosigkeit und sagte meiner Mutter, ich wolle ausgehen, um meinen Vater zu suchen oder etwas von ihm zu hören. Sie küßte mich mit unbegreiflicher Heftigkeit; als ob sie fürchtete, auch ich würde nicht wieder zu ihr zurückkehren, und warf sich mit meiner Schwester vor einem Kruzifix auf die Kniee. Um meiner klagenden Schwester einige Hoffnung zu geben, täuschte ich mich selbst und verließ das Zimmer mit gebrochenem Herzen.

Keiner unserer Freunde wußte mir zu sagen, wo mein Vater sei: Niemand hatte ihn am Tage zuvor gesehen! vergeblich rannte ich mit verborgenen Thränen und gebeugtem Haupte durch die Stadt, Alles blieb stumm auf meine Fragen. Nachmittags stand ich auf einer Brücke und schaute verzweifelnd auf das vorüberfließende Wasser, nicht wissend, woran ich dachte, so sehr hatte mich der Schmerz betäubt. Aus diesem Traume weckten mich rauhe Männerstimmen; mich umwendend sah ich vor mir einen Leprosen, der von den Todtschlägern mit der Spitze ihrer Lanzen fortgetrieben wurde. Die jammernden Klagen des Unglücklichen fanden einen tiefen Wiederhall in meinem Herzen; ein mitleidig Gefühl ließ mich ihm einige Zeit nachfolgen, ohne daß ich wußte, wohin er ging oder was er that. So gelangte ich zum Thore hinaus aufs freie Feld. Da sah ich die Thüre des Lazarethes öffnen und den Leprosen hineinstoßen, worauf die Thüre sich wieder stille schloß.

Vom bittersten Schmerze bezwungen, setzte ich mich vor diesem weiten Grabe auf das Gras nieder und dachte an das Loos der Leprosen im Lazarethe. Ich sah die lebendigen Leichen mit dem Tode umherwandeln, einander fliehen bei dem schrecklichen Anblicke ihrer Wunden, vergehen vor Schmutz und Moder, verschmachten vor Gestank und einander in gegenseitigem Hasse verzehren! O wie schrecklich, wie tödtlich folterte mich der Gedanke, daß innerhalb dieser Mauern sich Menschen befanden, die mit dem Ausdrucke der Raserei ihre schon abgestorbenen Fuße anblickten, während in ihrem Herzen noch Kraft genug übrig blieb, um alle die Schrecklichkeit ihres Looses zu begreifen! Menschen, die neben der kalten Leiche ihres Schicksalsgenossen schliefen, ohne es für nöthig zu erachten, sich von dem drohenden Tode zu entfernen!

In solch’ peinliche Gedanken lag ich versunken, als plötzlich mein Name mir an’s Ohr klang; ein Freudenschrei entflog meinem Munde, denn ich hatte die Stimme meines Vaters gehört. Ich stand auf und blickte um mich . . . Aber, o Himmel, was sah ich! Ein Donnerschlag rührte mich; ich lachte wie einer, der spottet, und fiel ohne Gefühl zur Erde . . .

Kann ich sagen, was ich in diesem Augenblicke litt! So schrecklich war dieser Anblick für mich, daß der höchste Ausdruck unermeßlicher Pein, daß ein Lachen meine Klage gewesen war. – Ich hatte meinen Vater hinter dem Eisengitter gesehen! Er, von dem ich das Leben empfing, lag begraben – auf ewig begraben in dieser alles verschlingenden Pesthöhle! – O Gott, Du warst mit mir in diesem Augenblicke! Wie hatte ich nun noch leben können nach diesem fürchterlichen Schlage?

Sobald ich zu mir selbst gekommen war, sprang ich jammernd auf, um zu dem eisernen Gitter zu fliegen; aber fünf bis sechs Todtschläger hielten mich unter Androhung des Todes zurück; noch einmal warf ich mein verwildert Auge auf das ehrwürdige Haupt meines Vaters und lehnte mich an den Querbaum, den man da aufgestellt hatte. Näher mochte ich nicht treten; vier Todtschläger standen mit gespannter Armbrust bereit, ihre Pfeile mir durch den Leib zu jagen, wenn ich Hand oder Fuß über den Querbalken streckte.

Nachdem ich meinem Herzen durch Thränen Luft gemacht, erhob ich das Haupt und blieb mit gefalteten Händen, wie versteinert stehen, ohne mit meinem Vater ein Wort zu wechsen. Seine geliebte Stimme klang mir verständlich in mein Ohre er sagte mit himmlischer Geduld:

»Walter, habe Muth, mein Sohn! Der Herr hat seinen Diener heimgesucht, ich werde den Schlag mit Dankbarkeit ertragen, wie schwer er auch ist. Weine nicht so heftig, Walter; erhalte die Kraft Deines Gemüthes, um Deine Mutter zu trösten . . . «

»O mein unglücklicher Vater,« rief ich mit lauter Stimme, »kann ich Dich nicht retten. Sollte unsere Wissenschaft kein Mittel gegen Dein Uebel kennen?«

»Mein Kind,« antwortete er, »was würde es helfen? Und genäse man hier hundertmal in einer Stunde, man würde hundertmal auf’s Neue angesteckt. Dir, Walter, muß ich die ganze Wahrheit sagen, damit Du Deine Mutter und Schwester auf den schrecklichen Schlag, der sie treffen wird, trösten könnest. Aber sei stark, mein Sohn; ich beschwöre Dich bei Deiner innigen Liebe zu mir, daß Du Deiner Mutter mit vorsichtigen Worten mittheilst, daß ich zu den Todten gehöre und bald . . . «

Er sprach noch länger in diesem herzzerreißenden Tone, doch ich war taub und blind geworden für seine Worte; ich verstand ihn nicht mehr, Alles drehte sich vor meinen Augen und meine Ohren waren von betäubendem Summen erfüllt. Von Zelt zu Zeit hörte ich noch die Stimme meines Vaters, der rief:

»Walter, Walter, mein Sohn!«

Ich weiß nicht, wie lange ich so am Querbaume lehnte; als ich erwachte, standen die Todtschläger noch da, ihre Bogen auf mich gerichtet, und meines Vaters Antlitz lachte mir noch durch das eiserne Gitter entgegen. Mit gezwungener Ruhe der Ermattung seufzte ich.

»O mein Vater, weiches Unglück brachte Dich in dieß abscheuliche Gefängniß?«

Aus seinen kurzen Worten vernahm ich daß er am Morgen des vergangenen Tages über die Maas in einem Kahn gefahren, um einige reiche Leprosen zu besuchen. Er täuschte sich in dem Glauben an die Unfehlbarkeit der Kraft seiner Kräuter; denn am Nachmittage war sein Gesicht plötzlich mit blauen Flecken bedeckt. In diesem Zustande hatten ihn die Todtschläger begegnet und ohne alle Rücksicht ihn mit Gewalt in das Pesthaus getrieben – Da saß er nun, bis der Tod seine Bande brechen würde . . . !

Ich schreibe dieß also, weil ich selbst von meines Vaters Erzählung nur abgebrochene Worte verstund. Mir schien es gleichgültig, wie er in das Lazareth gekommen; schrecklich genug war mir der Anblick des Eisengitters, das meinen Vater auf ewig von seiner Familie und der Welt trennen sollte!

Schon sank die Sonne am Horizonte hinab, schon hatte mein Vater mich mehr als einmal gemahnt, meine Mutter und Schwester zu trösten; ich lag immer noch bewegungslos am Querbaum, die Augen fest auf das Eisengitter gerichtet. Zweifelsohne wäre ich die Nacht da geblieben, hätte mich nicht ein Todtschläger mit Gewalt gezwungen, den Platz zu verlassen. Indem er mich auf den Weg nach Lüttich trieb, sprach dieser in dem Augenblicke, als er mich stehen ließ und zum Lazarethe zurückkehrte:

»Jüngling, ich will Dir sagen, was Du thun mußt, statt wie ein Weib über ein unabänderlich Unglück zu weinen.«

Ich sah ihm hoffend in die Augen. Er sagte:

»Bringe Deinem Vater morgen etwas Speise und Trank, denn die größte Qual, welche die Leprosen im Lazarethe ausstehen, ist Hunger und Durst. Aber vergiß den Speisestock von zehn Fuß nicht, sonst müßtest Du ihm das Essen aus dieser Entfernung zuwerfen und das geht nicht wohl . . . Guten Abend! . . . «

Wie zerschmetterten mich diese Worte! Ich fühlte sie auf meinem Herzen, wie feurige Kohlen glühen. – O Gott, ich soll meinem Vater auf der Spitze eines Stabes Essen geben. Schrecklicher Gedanke!

Unglücklich, wie es nur ein Mensch sein kann, ging ich trägen Schrittes nach der Stadt. Da kam ein tröstlicher Gedanke in meine Seele: ich hatte ein Mittel gefunden, zu meinem Pater zu kommen! In meinem Unglück lachte ich vor Freude und meine Füße trieben mich rascher fort, bis zu einem Hause, wo ein Leprose wohnte, der unserer Familie befreundet war. Aber in dem Augenblick, als ich eintreten wollte, dachte ich an meinen Vater und meine Schwester. Ich blieb stehen, begann zu weinen und entfernte mich eiligst aus Furcht, der Gedanke habe sich wieder meiner bemeistert. – Ich hatte einen Augenblick den Gedanken mit Freuden ergriffen, mich zu einem Leprosen zu begeben, ihn um die Wohlthat der Ansteckung zu bitten, und mich dann von den Todtschlägern bei meinem Vater einschließen zu lassen. Glücklicherweise zogen die Bilder meiner Mutter und Schwester mir durch den Sinn und ich eilte heim.

Was sollte ich nun der Mutter und Schwester sagen? Ich war ein Bote des Todes – ich sollte ihre Herzen zerschmettern. Das war meine schreckliche Botschaft. Der übermäßige Schmerz machte mich beinahe bewußtlos, sonst hätte ich kaum gewagt, meiner Wohnung mich zu nähern, aber meine Füße trieben mich bis vor unsere Thüre. Da empfing mein Geist ein plötzlich Licht; ich begriff aufs Neue und mit einer folternden Klarheit das Schreckliche meines Unglücks und meiner Botschaft. Ich zitterte so sehr, daß meine Kniee brachen und ich auf der Treppe niedersank. Trotz dieser Schwäche suchte ich meine Kräfte zu sammeln, um nach dem Auftrage meines Vaters sein Unglück meiner Mutter und Schwester mitzutheilen.

Dieser Gedanke gab endlich meinem Gemüthe etwas mehr Kraft; ich öffnete die Thüre und ging, doch heftig zitternd und mit wankendem Schritte bis in das Zimmer, wo meiner ein schrecklich Schauspiel wartete. – Dort in der Ecke des Zimmers saß meine Mutter, das Haupt in die Hände gestützt; ihre Augen waren roth, wie wenn eine Blutader darin gesprungen wäre, ihr Mund stand offen, und zeigte die geschlossenen Zähne. Neben ihr saß meine Schwester in derselben Haltung. Beide starrten mich bewegungslos an; als ob ich ein Fremder für sie wäre. Welche Verzweiflung hatte die beiden Frauen zu Steinbildern gemacht?

Ihre rothgeweinten Augen hatten solche Kraft über mich, daß ich eine Zeitlang mit derselben Gefühllosigkeit stehen blieb; bald aber warf ich mich knieend vor meiner Mutter nieder, umschlang ihren Hals und begann sie heftig zu küssen: – ich hatte jede andere Sprache vergessen . . . Ich erhielt keine Antwort von meiner Mutter und meine Schwester blieb gleich gefühllos, bis ich mit schneidender Stimme rief:

»Mein Herz bricht! Mutter, Schwester laßt mich Eure Stimme hören, denn ich fühle den Tod in mir!«

»O Walter!« seufzte meine Mutter leise.

»Guter Bruder!« lispelte meine Schwester.

Wie wenn dieß Zeichen von Leben mir seinige Kraft gegeben, fühlte ich die Raserei der Verzweiflung in meinem Herzen erkalten und ich erinnerte mich meiner Sendung:

»Welch’ neues Unglück hat Euch während meiner Abwesenheit betroffen?« fragte ich. »Seid doch nicht so ängstlich und so tödtlich betrübt. Ich habe unsern Vater gesehen; zu wird uns wahrscheinlich bald wiedergegeben sein . . . «

»Du hast ihn gesehen?« rief meine Mutter heftig.

»Ich habe ihn gesehen, sei davon versichert,« antwortete ich bebend.

»Dann hat Dein Engel Dich beschützt, Walter, daß Du nicht mit Wahnsinn geschlagen wurdest!«

Bei diesen unverständlichen Worten brach meine Schwester in Thränen aus. Sie weinte:

»O Bruder, lüge nicht, lüge nicht! Der Vater sitzt in dem Pesthause, wir wissen es! Der Jude Borech hat ihn auch gesehen.«

Ich warf mich aufs Reue auf meine Kniee zu meiner Mutter nieder und umschloß mit ihr zugleich meine Schwester; unsere Thränen begannen wie Brunnen zu fließen. Kein Seufzer, kein Athemzug störte die Stille der Nacht, die uns umgab; es war wie in einer unterirdischen Höhle ohne Eingang. Klagen können die Dolmetscher eines gewöhnlichen Schmerzes sein; aber unsere Trauer verschmähte die menschliche Sprache, als zu schwach für eine nie gefühlte Seelenfolter.

Nutzlos wäre es, unseren Zustand während dieser Nacht zu beschreiben, da er sich nicht veränderte. Die aufgehende Sonne traf mich bei der Verfertigung eines schrecklichen Werkzeuges: ich arbeitete an einem Speisenstock, womit ich meinem Vater das Essen zuschieben wollte! Es war ein eisernen Gefäß, auf der Spitze eines langen und dünnen Stabes. Sobald ich denselben fertig hatte, nahm ich ein gutes Stück gebratenes Fleisch, eine Flasche des besten Zyperweins, Brod und Salz und einige Leintücher. Mit dem Allem beladen, wollte ich Abschied nehmen von meiner Schwester und Mutter; doch wie sehr ich auch bat, sie wollten mitgehen, um meinen Vater zu sehen. Wohl einsehend, daß dieser Anblick ihre Schmerzen nur erneuern und, wenn es möglich, noch vermehren würde, wandte ich Alles an, was meine Einbildung ausfindig machen konnte, um sie zurückzuhalten; nichts half, sie mußten mir folgen.

 

Da schritten wir gesenkten Hauptes durch die Straßen, gleich Menschen, die eine Leiche zur letzten Ruhestätte begleiten; unsere Trauer und mein schrecklich Werkzeug erweckte die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden nicht mehr, als um sie vor uns fliehen zu machen. Ein solches Schauspiel war nicht neu und ließ die Zuschauer nur daraus entnehmen, daß wir zu einer Familie gehörten, in welcher die Ansteckung ein Opfer gefunden. Vor das Stadtthor gekommen, wandte ich mich nach meiner Mutter um; ich ward sehr erstaunt, als mir aus Ihrem Gesicht ein Strahl von Freude und Trost entgegenleuchtete.

Sie aufmunternd, sagte ich mit einer Art von Freude:

»O Mutter, ich sehe es, es ist mehr Ruhe in Deinem Herzen. Bleibe doch so!«

Sie hieß uns einen Augenblick stille halten, und sprach in einem Tone, der etwas Heiligen hatte:

»Kinder, ich habe unserem Herrn Jesus Christus auf dem Wege ein feurig Gebet zugesandt. Ich fühlte einen Strahl der Erleichterung sich in mein Herz senken und empfing neue Kraft von Ihm zu Erfüllung unserer trüben Pflicht. – Warum gehen wir zu Eurem Vater? Etwa um ihm das Herz durch den Anblick unseres Leidens zu zerreißen? – Nein, nicht wahr? Die Unglücklichen müssen getröstet werden von Denen, die weniger unglücklich sind. Wohlan, meine Kinder, haltet die Thränen in der schmerzlich bewegten Brust zurück. Zeigen wir unserem Vater nicht unseren Schmerz, sondern unsere Liebe; – und überwindet uns das Gefühl, – weinen wir auch Thränen, so leuchte doch ein süßes Lächeln hindurch, das unsern unglücklichen Vater tröste.«

Diese Worte machten eine wunderbare Wirkung auf unser Gemüth; wir gewannen Kraft zur Vollbringung einer Pflicht, die uns wie eine heilige Sendung erschien. – So einander ermuthigend, nahten wir dem Pesthause; in einer bestimmten Entfernung sahen wir die Todtschläger ihre Bogen spannen und hörten ihre drohende Stimme uns zurufen:

»Vor den Querbaum! Vor den Querbaum, bei Todesstrafe!«

Obwohl wir uns sehr gestärkt fühlten, zitterten wir doch, als wir dem Querbaume uns näherten, wir hatten aber Zeit, uns wieder etwas zu erholen, denn wir sahen Niemand hinter dem eisernen Gitter. Es kam einer der Todtschläger zu uns, um zu fragen, wen wir zu sprechen wünschten und auf unsere Antwort rief er mit kräftiger Stimme:

»Abulfaragus! Abulfaragus!«

Da erschien das Haupt meines Vaters vor dem Eisengitter: – er lächelte freundlich, der Unglückliche.

Stille Thränen rollten aus seinen Augen; doch wie meine Mutter befohlen, ein Ausdruck süßer Liebe glänzte auf unserem Antlitz und wir bemerkten, welchen Balsam dieß in die Wunde meines Vaters goß. Während ich mich bereit hielt, um auf der Spitze des Stockes Speise und Trank zu reichen, begann meine Mütter ihn zu trösten mit Worten, die nur ihr Frauenherz kannte. Wunderbare Wirkung der Liebe! Wir waren alle zum Tode betrübt und doch fand in diesem Augenblick ein Gefühl seliger Freude den Zugang zu unseren Herzen! Wir unterwarfen uns gänzlich dem Willen des Herrn und dem Loose, das er uns beschieden. Vielleicht wäre die Saite der Pein in unseren Herzen gebrochen. Hätten wir nicht in der vergangenen Nacht den Leidenskelch bis zum Boden geleert.«

Als ich den Stab ausstreckte, und meinen Vater das Fleisch ergreifen sah, überfiel mich ein eiskalter Schauer; meine Mutter und Schwester erblaßten gleichfalls, aber die Worte meines Vaters gaben uns bald die Ruhe zurück.

Was soll ich mehr von dieser Begegnung sagen? Wir blieben geraume Zeit vor dem Querbaume und sprachen von den Mitteln, die unsern Vater herstellen sollten. Es läßt sich von selbst begreifen, daß diese Untersuchung ohne Erfolg blieb, da eine Wiederherstellung unmöglich, war, so lange mein Vater im Pesthause. Auf sein Ansuchen und eingeschüchtert von den Drohungen der Todtschläger, entfernten wir uns von dem Pesthause und kehrten schweigend zu unserer Wohnung zurück.

An den drei folgenden Tagen machten wir dieselbe Reise und blieben jedesmal lange vor dem Querbaume stehen.

Inzwischen verbreitete das anhaltende Thauwetter die Pest noch weiter; in den zwei letzten Tagen hatte sie wieder all ihre Ansteckungskraft erhalten und man hörte von nichts als neuen Anfällen der Leprosen und Sterben.

In dieser schrecklichen Zeit begann das gemeine Volk auszusprengen, die Leprosen vergiften die Brunnen und Wasserbehälter, indem sie ihre Wundentücher darin auswaschen; man setzte sogar noch hinzu, daß sie dazu von den Juden bestochen seien, welche Geld hergeben, nur um die Christen zu ermorden, um sie also zu hindern, an dem Zuge nach Jerusalem Theil zu nehmen. In Frankreich sah man bereits Banden von vier- bis fünftausend Mann, welche unter dem Namen Pastoureaux alle Juden und Leprosen aufsuchten und ohne Mitleid ermordeten. Von da hatte gewiß die Beschuldigung der Juden in Lüttich ihren Ursprung von dort genommen. Ob diese Aussage nun gegründet war oder nicht, kurz, das ist gewiß, daß der Haß, welcher zwischen Juden und Christen herrschte, heftig genug war, um das unwissende Volk zu abscheulichen Verbrechen zu treiben.

Gegen Abend kam eine Nachbarsfrau, welche erzählte, daß zahlreiche Haufen die Stadt durchzogen, ohne daß man wußte, was sie wollten; sie fügte hinzu, in der Nähe der Stadtmauer habe man etwa zehn Judenwohnungen geplündert; sie zeigte uns sogar durch das Fenster das Feuer, das man hineingeworfen um sie dem Boden gleich zu machen.

Wir gedachten mit Angst des Schreckens unserer früheren Glaubensgenossen, und standen bereit, in unser Schlafgemach zu gehen, als plötzlich geheimnißvoll an unsere Thüre gepocht wurde. Nach dem ersten Schrecken ging ich hinab, um über der Hausthüre durch das Fenster zu sehen. In der Dunkelheit bemerkte ich einen Mann, der sich fest an die Thüre gedrückt hatte und dadurch beinahe unsichtbar war. Ich begann mit ihm folgendes Zwiegespräch:

»Was verlangst Du, Mann?«

»Wohnt hier der Arzt Abulfaragus?«

»Ja.«

»Ich muß Dir etwas sagen, woran sein und seiner Familie Leben hängt.«

»Sprich, Freund, was hast Du uns Schreckliches zu verkünden?«

»Ich kann nicht so laut mit Dir sprechen. Man möchte mich hören.«

»Du weißt aber wohl, daß man zu dieser Stunde keinem Unbekannten mehr das Haus öffnet.«

»Das weiß ich wohl; deine Vorsicht muß ich preisen. Oeffne Deine Wohnung nicht, aber stehe unten an die Thüre, dann will ich mit Dir durch ein Schlüsselloch sprechen.«

»Ich schloß eiligst das Fenster, um zu thun, wie er begehrte, doch ehe ich hinabging, sagte ich meiner Mutter, was der Unbekannte gewollt. Dann stellte ich mich hinter die Thüre und sagte dem Wartenden, daß ich bereit sei, ihn u hören. Mit kurzen Worten und gedämpfter Stimme sagte er:

»Aus Frankreich kam eine Bande Pastoralen in die Stadt, alles gemeine Volk ist Ihnen zugefallen; heute haben sie schon einige Judenwohnungen geplündert, morgen werden sie alle Häuser der Juden zerstören und die Leprosen, welche in der Stadt sind, ermorden. Ich komme von der Versammlung, welche sie noch auf dem Cornillons-Berge halten. Abulfaragus hat mich von der Leprosie gerettet. Ein Gefühl der Dankbarkeit heißt mich Euch Nachricht davon geben. Höre wohl, was ich Dir sage: böse Menschen haben angegeben, Abulfaragus sei Christ mit dem Munde und Jude mit dem Herzen; sie haben ihn einen gottvergessenen Zauberer genannt, der unermeßliche Schätze aufgehäuft. Dies Letzte war genug zu seiner Verurtheilung; Morgen früh bei Sonnenaufgang wird man seine Wohnung stürmen und ihn mit seiner ganzen Familie ermorden, wenn er nicht flieht . . . Sage ihm dieß. – Lebe wohl.«

Ich hörte den Unbekannten sich entfernen. So sehr war ich von seiner Mittheilung betroffen, daß ich lange Zeit im Gange stehen blieb, ohne einen Entschluß fassen zu können. Doch warf ich mich endlich gegen das Schicksal auf; ich verstand, welch’ große Aufgabe mir geworden und wie meine Mutter und Schwester von meiner Macht allein ihre Rettung zu erwarten hätten. Freilich war ich noch nicht zwanzig Jahre alt, doch der letzte Schlag, den das Unglück meines Vaters mir versetzte, hatte mein Herz für die Angriffe des Schicksals gestählt; auch dachte ich, man könne mir jetzt nichts mehr nehmen und ich müsse deßhalb die Befreiung meines Vaters bewerkstelligen, ohne zu fürchten, daß man seine Flucht an Mutter und Schwester räche. Voll von solchen Gedanken stieg ich die Treppe hinauf und erzählte Alles, was der Unbekannte mir gesagt hatte.