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König Oriand

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VIII

Markus war seit zwei Tagen in Harlebeka zurück.

Diesmal hatte er unter verschiedenen Vorwänden von dem König Urlaub erhalten, um ihm voraus zu reisen; und weil er bezüglich gewisser Umstände ebenso neugierig als besorgt war, hatte er sich unterwegs dergestalt beeilt, daß er glaubte, dem König trotz seiner ziemlich schnellen Fahrt wohl vier oder fünf Tage voraus zu sein.

Jetzt saß er, den Kopf in der Hand bei einem Tische, Mattabruna gegenüber. Er hatte ihr erzählt, wie er diese Nacht mit vielerlei entsetzlichen Träumen geplagt worden wäre, und klagte, er fühle sich davon noch tief aufgeregt und erschrocken.

Mattabruna suchte, nachdem sie zuerst über seine Abergläubigkeit gelacht hatte, seinen Muth aufzurichten, indem sie ihm vor Augen stellte, wie bis jetzt ihnen Alles geglückt wäre, Beatrix würde eines schimpflichen Todes sterben und nichts hinterlassen, als einen verwünschten Namen. Sie, Mattabruna, würde für immer ihre Stelle auf dem Throne einnehmen und in unbeschränkter Macht über das Land herrschen. Eine ihrer ersten Handlungen würde sein, die schöne Burg von Wolweghem dem Markus schenken zu lassen.

»Und das soll die einzige Belohnung Eurer Dienste nicht sein,« sagte sie am Schluß ihres Gesprächs. »Ich habe noch eine andere Absicht für später. Der Marschall ist alt; er kann nicht lange mehr leben, und auf alle Fälle kann ich ihn durch hohe Gunstbezeugungen zum Abgang überreden. Was würdet Ihr sagen, wenn ich Euch zu diesem obersten Amt erheben ließe?«

Aber Markus, der in Gedanken verloren, fast gar nicht auf ihre Worte hörte, sagte murmelnd: »Ihr seid wirklich zu gut für mich . . . Und ist es wohl wahr, daß die Königin behauptet, den ersten Schrei ihres Kindes, gehört zu haben?

»Nur einmal hat sie davon gesprochen; aber es war mir nicht schwer, sie zu überzeugen, daß sie es geträumt habe.«

»Und man hat seit jenem Tage von meinem Diener Savary nichts, nichts mehr vernommen?«

»Ich habe es Euch schon zweimal erzählt: nichts Anderes, als daß sein Pferd in so wildem Lauf hier angekommen ist, daß es vier oder fünf Menschen umgerannt und verletzt hat.

»Wenn Savary das Kind gerettet hätte und uns verrathen wolltet seufzte Markus.

»Vertreibt doch diese Erinnerung aus Euren Träumen.«

»Er kann sein Pferd durch unbarmherziges Schlagen zur verzweifelten Flucht getrieben haben, um uns dadurch zu täuschen.

»Nein, nein, Eure Furcht ist ungegründet, widersprach ihm Mattabruna. Das Pferd war voll Blut und hatte viele Wunden; man konnte sehr wohl sehen, daß es von wilden Thieren angefallen worden war.«

»Also Ihr achtet Euch völlig überzeugt, Fürstin, daß Savary und das Kind im Walde-ohne-Gnade von Wölfen oder Bären sind zerrissen worden?

»Ganz überzeugt, Markus. Dieser Vorfall scheint Euch zu beunruhigen.

»Ja, dieses unerklärte Verschwinden flößt mir Furcht ein.«

»Mich hat es im Gegentheil erfreut; denn dadurch werden wir von dem einzigen Zeugen befreit, der uns beschuldigen konnte.«

Sie dämpfte ihre Stimme und neigte sich zum Ohre des Ritters.

»Euer Diener Savary war eine feige Memme und ein Dummkopf, flüsterte sie mit einem Lächeln. So wenig Vertrauen hatte ich auf seine Verschwiegenheit, daß ich bereits für ihn das Fläschchen bereit hielt, wovon die Dienstfrau der Königin einige Tropfen getrunken hat.

Markus sah die böse Fürstin mit Angst an; ihre eiskalten Worte machten ihn schaudern. Er schlug den Blick nieder und blieb still.

»Ei, ei, mein armer Markus! sagte Mattabruna. »Wie kann ein starkmüthiger Mann, wie Ihr, sich durch leere Träume so niederschlagen lassen? Wahrlich, ich habe Mitleiden mit Euch!«

»Ich weiß nicht, murrte Markus, mich beunruhigt etwas, wie das Vorgefühl eines Unglücks. Ich will mit Euch glauben, Fürstin, daß Savary durch wilde Thiere zerrissen worden ist. Noch andere Erwägungen bekümmern mich jedoch eben so sehr. Der König ist so sonderbar gestimmt; jetzt bricht er einmal los in toller Wuth und schreit, die ist Königin müsse durch seine Hände sterben; dann wieder ruft er »Beatrix! Beatrix!« im Tone der äußersten Zärtlichkeit und mit Thränen in den Augen oder er stößt traurige Klagen aus, als hätte er seine Schande vergessen, um an nichts Anderes zu denken, als an sein verlorenes Glück. Sicher, Fürstin, er liebt die bezaubernde Beatrix noch aus aller Kraft seiner Seele. Wer weiß, ob die Liebe nicht in ihm triumphieren wird? Er würde ihr Vergebung schenken, und alle unsere Mühe, alle unsere Angst, würden vergeblich sein.«

»Ihr Vergebung schenken?« wiederholte Mattabruna mit triumphierendem Lachen. Ha, ha, welch’ sinnloser Gedanke! Meine Vorsorgen sind zu lange zum Voraus getroffen und zu wohl berechnet. Es sind bereits drei Wochen, daß die Königin ihr Zimmer nicht mehr zu verlassen wagt; sie wagt selbst nicht mehr ans Fenster zu gehen, aus Furcht von jemand gesehen zu werden; denn so bald man sie von außen bemerkt, so steigen Verwünschungen gegen sie auf und der Schrei »in den Tod mit der Zauberin! In den Tod mit dem Teufelsweib!« steigt drohend zu ihr empor. Ihr begreift, daß dieses Rachegeschrei bei der Ankunft des Königs aus dem Schooße des Volkes, ihm in die Ohren donnern wird – ich habe dafür gesorgt – und daß dies seinen Haß und seine Wuth – bis zur Tollheit erhitzen wird.

»In der That, Fürstin, Ihr habt Recht. In Bezug darauf ist meine Besorgniß ungegründet.«

»Noch an etwas anderes habe ich gedacht,« sagte Mattabruna. Beatrix will den König in ihrem Zimmer erwarten. So allein mit ihm würde sie ihm zu Füßen fallen, ihn erweichen durch ihre Thränen, ihn wieder bezaubern durch ihre schlauen Liebesbezeugungen. Das darf nicht gewagt werden; unter dem blauen Himmel, in der Mitte des Volks, soll der König ihr zuerst begegnen.

»Und wenn sie sich weigert, ihr Zimmer zu verlassen?«

»Ach, sie ist leichtgläubig wie ein Kind; man macht ihr weiß, was man will. Ich habe sie bereits in ihrem Entschluß wankend gemachte diesen Morgen werde ich sie ganz überreden, meinem Rathe zu folgen. Ihr laßt mich daran denken. Es ist schon spät und sie wartet auf mich. Ich bin ihr einziger Trost, Markus; denn die Edeldamen des Hofes, ja selbst die Dienstmädchen, fliehen vor ihr oder nahen ihr nur zitternd, und entfernen sich sogleich wieder von ihr, als wäre sie der Teufel selbst.«

Sie stand auf und reichte Markus die Hand.

»Ich eile zur Königin,« sagte sie, »Kommt auf den Mittag wieder her; ich werde Euch mittheilen, was wir dort beschlossen haben worden . . . Bis sogleich, Herr van Wolweghem, Marschall, Oberbefehlshaber des königlichen Heeres!«

Markus drückte einen Kuß auf die Hand seiner Gönnerin.

Sie schritten zur Thür hinaus und jeder entfernte sich nach entgegengesetzter Richtung.

Als Mattabruna in das Zimmer der Königin trat, überraschte sie diese auf den Knieen vor einem Kruzifix mit erhobenen Händen und in Thränenströmen zerschmelzend.

Beatrix sprang auf, umarmte seufzend ihre geheime Feindin und ließ ihren Kopf auf die Brust sinken.

»Ach, liebe Mutter,« jammerte sie, »warum kommst du so spät diesen Morgen? Ich Unglückliche, von jedermann gehaßt und verabscheut, habe doch niemand mehr zum Trost als dich allein!«

Mattabruna führte die Königin nach einem Lehnstuhl und setzte sich neben sie.

»Arme Beatrix, sagte sie, du brauchst nicht zu verzweifeln. Es wird so schlimm nicht gehen, als du meinst.

Die Königin weinte unter lautem Schluchzen. Wie war das unschuldige Opfer des schnödesten Verraths bleich und abgemagert! Man heilte meinen mögen, eine Leiche zu sehen! Und gleichwohl – diese farblosen Wangen, diese milchweiße Stirn, diese großen blauen Augen, weit entfernt davon, ihre Anmuth verloren zu haben, verliehen ihrem geisterhaften Aussehen eine ehrfurchterweckende Macht, die einen schaudern machen und zu derselben Zeit bezaubern konnte. Mattabruna wußte es wohl; und darum vorzüglich wollte sie den König nicht mit Beatrix allein lassen, aus Furcht, er möchte dem unwiderstehlichen Glanze dieser Augen erliegen.

»Immer gleich untröstlich, meine Tochter? sagte sie. »Komm, habe mehr Vertrauen auf Oriand’s Liebe und Großmuth.«

»Ach, für mich selbst fürchte ich nicht, liebe Mutter,« antwortete die Königin. »Ich weiß nicht, welches Loos der Herr im Himmel seiner demüthigen Dienerin vorbehält; wie es auch sei, ich nehme es geduldig an, wie eine Märtyrin . . . Aber was mir Tag und Nacht die Thränen aus den Augen treibt, ist der quälende Gedanke, daß mein armer Oriand zum ewigen Unglück verurtheilt ist. Die Entehrung ist doch vor der Welt unauslöschlich und hielte er mich auch für unschuldig, der giftige Wurm des Verdachtes und die Beschämung werden an seinem stolzen und hochherzigen Gemüthe bleibend nagen. Könnte mein Tod seiner Seele die verlorene Ruhe wiederschenken, wie würde ich Gott preisen, wenn er mir erlaubte, für meinen hochgeliebten Oriand zu sterben!«

»Nun, hoffe nur immer, daß dein Gatte Vernunft annehmen wird, flüsterte Mattabruna, ihre Hand ergreifend. Wir werden ihm begreiflich machen, daß solche geheime Zufälle durch den unerforschlichen Willen des Himmels sich ereignen. Wahrscheinlich wird der König morgen oder übermorgen ankommen; Wir werden ihm zusammen entgegengehen.

»Ich ihm entgegengehen? Mutter, ich wage es nicht!«

»Warum denn?«

»Das Volk wird mich mit Verwünschungen in seiner Gegenwart beladen.«

»Desto besser, Beatrix; dies wird meinen Sohn entrüsten und ihn zu deinen Gunsten stimmen.«

»Aber wenn die Menge mich mit Koth bewürfe, wie man es bereits unter meinem Fenster thut. Ich bin noch Königin.«

»Fürchte dich nicht davor, Beatrix. Ich habe Vorsorge getroffen. Unsere Straße auf dem Platze wird durch zwei Reihen Waffenknechte abgesperrt sein und die Obersten haben von mir Befehl erhalten, dich vor jedem Schimpf zu behüten.«

»Ach, ich weiß nicht,« seufzte Beatrix, »aber es ist etwas, das mich vor diesem Schritt zurückschrecken läßt!«

 

»Du hast Unrecht, meine Tochter. Wenn du Oriand nicht entgegengehst, wird er denken, daß du dich für schuldig erkennst und – bei seinem aufbrausenden Gemüthe wäre dies hinlänglich, um ihn zu einer beklagenswerthen That zu treiben. Du mußt meinem armen Sohn diese schreckliche Gefahr ersparen.«

Es wurde leise an die Thür geklopft.

Mattabruna öffnete und ging aus dem Zimmer.

»Was wollt Ihr? fragte sie einen Obersten der Wache, der im Gange stand.

»Fürstin, unterbrach dieser, es steht ein Bote unten, welcher meldet, daß unser Herr König nicht mehr weit von hier ist, und vielleicht binnen einer Stunde ankommen wird.«

»Es ist gut. Der Bote soll im Audienzsaale auf mich warten. Sende Trompeter in der Stadt herum, um die Rückkehr des Königs anzukündigen.«

»Beatrix, spute dich; schmücke dich etwas aus und ziehe ein Festkleid an; der König kommt,« sagte sie in das Zimmer tretend. Ich muß noch Befehle austheilen zu seinem Empfang. Wir werden ihm entgegengehen, Hand in Hand. Sei nicht bange!«

Während Mattabruna, herunter gegangen, sich damit beschäftigte, Alles auf solche Weise zu bereiten, daß sie ihr verbrecherisches Ziel unfehlbar erreichen mußte, kam König Oriand langsam angeritten auf der großen Straße, die von Aldenarda nach Harlebeka führte.

Durch ganz Deutschland und durch die deutschen Gauen nach dem Rheinstrom zu hatte er seine Fahrt so viel als möglich beschleunigt. Je mehr er sich dem Orte näherte, wo er Beatrix sehen sollte, beschlich ihn allmählich eine Art von geheimer Angst, die ihn antrieb, den Schritt seines Pferdes zu mäßigen. Nicht daß er im mindesten an der Schuld der Beatrix zweifelt; im Gegentheil, die schmerzliche Ueberzeugung von ihrem Verbrechen hatte tiefe Wurzeln in seinem Herzen geschlagen und er dürstete nach Rache; aber zu gleicher Zeit kämpfte in ihm noch das unüberwindliche Gefühl der Liebe für das erste Weib, das sein Herz zum Klopfen gebracht und einen Himmel von süßer, unbekannter Freude für ihn geöffnet hatte.

Sein Vertrauter Warnfried ritt hinter ihm. Einige Schritte weiter folgten hundert Reiter seiner Leibwache. Alle schwiegen und hielten ihre Blicke mit Angst auf ihren Fürsten gerichtet; denn sie zweifelten nicht, daß sich etwas Schreckliches ereignen würde, und weil sie jetzt bereits die Thürme der Stadt hinter dem Gehölz erscheinen sahen, war das gefürchtete Unglück nahe bevorstehend.

Oriand schien in einem tiefen Traum versunken und ließ mit schlaffer Hand den Zaum seines Rosses auf den Sattel hängen.

So nahte der Zug einem Außenquartier der Stadt. Die Bewohner standen in der Straße geordnet und jauchzten ihrem Fürsten ehrerbietig zu, ohne daß er darauf zu achten schien.

Aber draußen vor dem öffentlichen Thore von Harlebeka hatten Ritter, Bürger und Unfreie sich in einem dichten Haufen zusammengeschaart, auf dem Wege, den der Fürst gehen mußte.

Bei seiner Ankunft erhoben sie einen langen Willkommruf. Sie riefen mit mächtigem Schalle:

»Heil, Heil unserm König!«

Aber unmittelbar darauf stieg aus allen Theilen der Menge ein wüstes Gemisch von Verwünschungen gegen die Königin:

»Rache, Rache!« schrie man unaufhörlich, Rache über sie die Zauberin! »In den Tod mit der Betrügerin! Auf den Scheiterhaufen mit dem Teufelsweib! In’s Feuer, in’s Feuer!«

Der König hob, zitternd vor Zorn, den Kopf empor und schaute in die Runde über das rasende Volk hin. Wo sein flammendes Auge sich hinwandte, verging das Getöse; aber es entstand mit desto mehr Kraft an der andern Seite.

Oriand fühlte wohl, daß er nicht stark genug sein würde, den rechtmäßigen Racheruf der Menge zu dämpfen, und hätte er es auch gewollt. Sein Aerger, seine Schaam, seine Wuth schmolzen in seinem geängstigten Herzen zu einer fieberhaften Raserei zusammen. Gleichwohl verrieth keine Gebehrde seine höchste Erschütterung; nur aus einem heisern Murren kannte sein Vertrauter Warnfried ermessen, was der arme Fürst leiden mußte.

So trat der Zug innerhalb der Mauern des Palastes ein.

Mitten auf dem Vorhofe stand Mattabruna, mit der behenden Königin an der Hand.

Oriand sah sie.

Ein Racheschrei, der bis über die Thürme wiederhallte, entfuhr seiner Brust, und er sprang von seinem Pferde.

Das blitzende Schwert erhebend, lief er nach der unglücklichen Königin, die auf die Kniee gefallen war und die Hände bittend zu ihm ausstreckte. Er polterte in unverständlichen Worten von Schande, von Blut und von Tod . . . Aber als er Beatrix den Kopf zu spalten gedachte, fiel sein glühender Blick in ihre süßen, bittenden Augen, und als ob wirklich Zauberfunken daraus schössen, der wüthende König blieb mit aufgehobenem Schwerte stehen und begann zu beben.

»O, mein armer Oriand,« klagte Beatrix, »du bist wohl unglücklich. Möge Gott in seiner Gnade dir meinen unglückseligen Tod nicht anrechnen!«

Der König wich ein paar Schritte zurück.

»Ach, mein Sohn, ewig ist unsere Schande!« rief Mattabruna, während sie sich so stellte, als wollte sie ihn zurückhalten.

Dieses letzte Wort feuerte die Raserei des Königs wieder an. Er sprang auf einmal vorwärts mit dem Schwert in der zuckenden Faust.

»Stirb, stirb, höllische Betrügerin!« schrie er.

Aber wieder brach der Blick von Beatrix seinen Willen und seine Macht.

Brüllend wie ein Löwe, der mit den Augen eine Beute verschlingt, aber diese nicht erreichen kann; trat Oriand wankend zurück, rief seinen Vertrauten, und sagte ihm in aufgeregtem Ton:

»Warnfried, ich will ihr Blut nicht; ich kann sie nicht erschlagen, mein Herz schreckt zurück vor ihrem Tod . . . Aber man entferne sie aus meinen Augen . . . oder ich bin im Stande, sie um Vergebung zu bitten, sie, die mich so schnöde verrathen hat! Nehmt Wachen, fährt die Zauberin nach dem Schloß Falkenstein – sofort! Ihr wacht über sie bis auf näheren Befehl und bleibt mir mit eurem Haupte verantwortlich. Geht schnell; daß sie mir aus den Augen komme!«

Und kaum hatte er diese Worte gesprochen, so lief er, von seiner Mutter gefolgt, vor Schmerz und Zorn heulend, nach dem Palast, sprang die Stufen hinauf und verschwand innerhalb des Thores, wahrscheinlich um in der Einsamkeit seine brennende Schaam und seinen tödtlichen Gram zu verbergen.

Sobald der König den Platz verlassen hatte, wollte die Menge rings um die Königin zusammendringen; aber Warnfried hatte sie sofort durch Waffenknechte umringen lassen.

Für den Augenblick mußte das aufgereizte Volk sich auf das Lautwerden von Verwünschungen und Racherufen beschränken.

Der Lärm war so stark und so verworren daß Warnfried sich kaum der Königin verständlich machen konnte.

»Fürstin,« sagte er, »unser Herr König hat mir geboten, Euch nach dem Schloß Falkenstein zu führen. Beliebe es Euch mit mir nach meiner Burg außerhalb der Stadt zu gehen. Da werde ich Euch einen Wagen besorgen.«

Die unglückliche Beatrix, die noch immer knieete und zu beten schien, stand auf und folgte dem Ritter. Sie sagte nichts anderes als:

»Oriand, mein armer Oriand! Gott beschirme dich!«

Als sie außerhalb der Mauern des Palastes gelangt war, und das Volk nicht mehr fürchtete, von dem Könige gesehen zu werden, begann man das unschuldige Opfer nicht allein mit Schimpf- und Scheltworten zu überschütten, sondern es sogar mit Koth und Steinen zu bewerfen, so arg, daß die Waffenknechte auf Befehl Warnfrieds unter die Menge schlagen mußten, um diesen boshaften Mißhandlungen ein Ende zu machen.

Eine Viertelstunde später saß Beatrix auf einem Wagen, umringt von Wachen, und begann die lange, traurige Reise nach dem düsteren Falkenstein.

IX

Während der ersten Monate nach der Gefangensetzung der Königin litt Oriand an einer seltsamen Aufgeregtheit des Geistes. Man hätte sagen mögen, daß ein heftiges Nervenfieber ihn nie verließ; denn er war so mürrisch, so aufbrausend, daß fast niemand ihm zu nahen wagte.

Als ob ein undeutlicher Verdacht von Betrug oder Verrath ihn marterte, so untersuchte er mit Mißtrauen das Benehmen und die Handlungen Aller, welche ihn umgaben, strafte ohne Barmherzigkeit das geringste Versehen und ließ sogar ganz unschuldige Leute hinrichten.

Aber am Ende des ersten Jahres verging allmählich diese krankhafte Energie in ihm, und er ward schwach und unentschlossen, ging mit zur Erde gebogenem Kopf, und schien unter einer tiefen Traurigkeit niedergebeugt.

Ein ruheloser Kampf mit sich selbst verzehrte seine Kräfte und umdüsterte seinen Verstand. Abgeneigt gegen jede Gesellschaft, trauerte er alle Tage in der völligsten Einsamkeit, hielt viele Selbstgespräche, nannte seufzend den Namen der Königin und schien halb sinnlos.

Die Ritter und das Volk von Harlebeka sahen mit Angst vorher, daß die Vernunft ihres heldenhaften Königs in dieser düstern Schwermuth verloren gehen würde, und sie entbrannten um so mehr in Haß und Rachsucht gegen Beatrix; denn sie hielten es für unzweifelhaft, daß die Königin aus ihrem Gefängniß ihren armen Ehegatten noch durch Teufelskunst beherrschte.

Nichts hatten die geheimen Feinde von Beatrix versäumt, um dem Könige diese Ueberzeugung beizubringen. Sehr oft wurde ihm die Nachricht gebracht, daß man noch immer schreckenerregende Spuckgestalten und Nachtgespenster um den Falkenstein herumschweifen oder aus dem Thurme auffliegen sah, worin die Zauberin gefangen saß. Es war also augenscheinlich, daß Beatrix fortdauerd in Beziehung stand mit dem Teufel und selbst in ihrem Kerker durch höllische Geister bedient wurde.

Mattabruna, die allein noch das Vertrauen ihres Sohnes genoß, schwebte in großer Besorgniß. Oriand sprach zu ihr von nichts Anderem als von Beatrix. Alles, was sie von ihm hörte, waren Klagen über sein verlorenes Glück; und er gestand selbst mit Schreck, daß sein Herz, sein Verstand, sein ganzes Wesen verschlungen wäre in der Erinnerung an ihre süße Gesellschaft und an ihre wundersame Anmuth.

Dies machte Mattabruna besorgt, Oriand, von seiner unüberwindlichen Liebe getrieben, könnte vielleicht Beatrix wieder aus dem Kerker holen, um sie trotz alledem wieder auf den Thron zu setzen. Sie beschloß, die Königin auf die eine oder andere Weise ins Grab zu stoßen, und ließ nicht nach, bei jeder Gelegenheit ihrem Sohne anzurathen, Beatrix durch Richter über die Thatsache der Zauberei verhören und verurtheilen zu lassen. Aber Oriand, zurückschreckend vor dem Gedanken, daß ein Todesurtheil die unermeßliche Ewigkeit zwischen ihn und Beatrix stellen würde wollte nichts davon hören oder schob seine Entscheidung darüber stets auf.

Im Laufe des zweiten Jahres kam ihm plötzlich zu Ohren daß die Königin in ihrem Kerker auf den Tod gelegen hätte, in Folge einer geheimen Vergiftung ihrer Speisen. Ein Hund und eine Katze, die von der Nahrung der Gefangenen gefressen hatten, waren sofort crepiert. Jetzt jedoch war die Königin wieder hergestellt.

Als Oriand diesen Anschlag vernahm, erhob er sich plötzlich aus seiner Unentschlossenheit, und wollte nach dem Falkenstein eilen, um dort Rache zu nehmen an denjenigen, die ungeachtet seines bestimmten Verbots, ihr im Geringsten zu schaden, dem Leben der Beatrix nachgestellt hatten.

Mattabruna hielt ihn jedoch von diesem Schritte zurück, indem sie ihm die Furcht einflößte, er könnte, wenn er die Zauberin sähe und ihrem Blick begegnete, unter der Verführung und unter der Macht des Teufels erliegen.

Der abergläubische König, der gleich dem Volke, Beatrix für eine Zauberin ansah, gab seiner Mutter in diesem Punkte Gehör; sandte aber, unter dem Befehl von Markus, eine Schaar von Waffenknechten nach dem Falkenstein, um alle diejenigen von dort zu holen, die bis dahin die Königin bewacht hatten.

Markus erfüllte den Willen des Königs, und brachte die ganze Besatzung des Falkensteins nach Harlebeka, mit Ausnahme eines einzigen Küchenjungen, der, wie er sagte des Nachts im Gebüsch entschlüpft sei.

Oriand verhörte alle diese Leute; aber sie behaupteten, jeder seinerseits, daß sie von nichts wüßten und unschuldig wären an einem Anschlag, den sie tief bedauerten.

Sinnlos vor Wuth, weil er die Schuldigen nicht entdecken konnte, ließ der König die Henker rufen und gebot ihnen, allen Waffenknechten und Dienern des Falkensteins den Kopf abzuschlagen.

Wie inständig auch seine Mutter und seine Hofleute ihn um Gnade für die Verurtheilten baten, er blieb unerbittlich und verließ den Platz nicht eher, als bis das letzte Schlachtopfer vor seinen Augen in die breite Blutlache niedergefallen war.

Von da an wagte Mattabruna nichts gegen das Leben der Beatrix zu unternehmen; um so mehr, weil ihr Sohn die Bewachung des Falkensteins einem ihm ergebenen Ritter anvertraut hatte, der seinen Kopf zum Bürgen für die Erhaltung der Gefangenen verpfändet hatte.

 

So vertiefen wohl vier Jahre, ohne daß irgend eine Veränderung in die Lage kam. Noch immer blieb der König einsam und traurig. Wohl war seine Wuth abgekühlt und er schien harmlos zu sein; aber wie wenig war nöthig, um dieses energische Gemüth Alles zerschmetternd sich entladen zu lassen!

Das Einzige, was Mattabruna noch über ihn vermochte, war, daß sie ihn zurückhielt, nach dem Falkenstein zu gehen, ungeachtet dessen, daß eine geheime Anziehungskraft sehr oft die wankende Begierde, Beatrix noch einmal zu sehen, in ihm neu erregte.

Ungefähr um diese Zeit kam an den Hof des Königs der achtzigjährige Odo, Abt von St. Bertyn zu St. Omer. Er hatte sich über ein schreiendes Unrecht zu beklagen das seinem Kloster von gewissen mächtigen Rittern angethan worden war. Dieser Greis war allenthalben berühmt wegen seiner Gottesfurcht und Weisheit; er genoß ein großes Ansehen, und oft gingen Fürsten und Herren in schwierigen Verhältnissen bei ihm zu Rathe.

Mattabruna beschloß durch seine Vermittlung einen letzten Versuch zu wagen, um Beatrix zum Tode verurtheilen zu lassen. Sie gab ihm, auf ihre Weise, Kenntniß von Allem, was geschehen war, und bat den Priester zum Besten ihres Sohnes und seines Landes, ihn zum Brechen des geheimnißvollen Bandes zu überreden, das ihn noch immer an die gottvergessene Zauberin gefesselt hielt.

Der Abt, zu einer Privatunterredung mit dem König zugelassen, sagte ihm:

»Herr Fürst, Euer Leben ist düster und peinlich. Ihr denkt unaufhörlich an ein Weib, die durch Teufelskunst Euch bezaubert hat. Eure Seligkeit läuft Gefahr. Warum erlöst Ihr Euch nicht selbst von dieser sündigen Neigung?

»Ha! könnte ich davon erlöst werden! Aber wie? seufzte Oriand.

»Stellt die Zauberin vor Gericht, auf daß ihre Schuld oder ihre Unschuld bewiesen werde.

»Man wird sie zum Feuer verurtheilen!

»Wenn sie es verdient!

»Aber, ehrwürdiger Vater, ich will es nicht; ich kann es nicht wollen! rief Oriand verzweifelnd. Ich liebe sie noch immer wie den ersten Tag, sogar noch mehr! Die Vorstellung von ihrem Tode macht mich zittern; mich dünkt, ich würde nicht mehr leben können, wenn sie die Welt verlassen hätte!«

Der greise Priester suchte im väterlichen Tone ihm begreiflich zu machen, wie verbrecherisch in Gottes Augen ein solches Versunkensein seiner Seele sein müßte, und wäre selbst ein tugendhaftes Weib der Gegenstand solcher blinden Liebe gewesen! Nun es aber eine Zauberin gälte, eine Dienerin der höllischen Geister, könnte man wohl vor Angst zittern, bei dem Gedanken, daß der König, seine Seligkeit opferte, um ein tadelnswerthes und gottloses Gefühl in seinem Herzen länger zu nähren.

Aber wie lange der Abt auch sprach und welche Mühe er auch anwandte, um Oriand zu überwinden, dieser wollte nicht zustimmen zur Einsetzung von Richtern, die unabsehbar die Königin zum Scheiterhaufen verdammen würden. Er behauptete nicht, daß der Abt Unrecht hätte; er bezeugte aber, er fühle sich nicht im Standeseinen Rath zu befolgen.

Einige Worte des Priesters gaben endlich seinen Gedanken eine neue Richtung.

»Aber, ehrwürdiger Vater, fragte er, »giebt es nicht für alle Sünden, wie schwer sie auch seien, Vergebung? Wenn Beatrix; dem bösen Geist entsagte und zu Gott zurückkehrte?«

»In der That, antwortete der Abt, den Kopf schüttelnd, unser heiliger Vater, der Papst . . . «

»Der Papst? der Papst kann ihr vergeben, sie erlösen? schrie Oriand. Welches Licht, o Himmels Beatrix könnte mir noch wieder geschenkt werden? Unschuldig, rein? Ha, muß es sein, ich gehe nach Rom!

»Gemach, Herr König, sagte der Abt, der Papst selbst, wie ausgedehnt auch seine Macht sei, kann keinen Sünder lossprechen, der seine Schuld nicht bekennt und in der Bosheit hartnäckig verharrt. Wenn die Königin ihre Beichte sprechen, Reue zeigen wollte, und sich bereit erklärte, die auferlegte Bußübung anzunehmen, dann, ja dann kann der heilige Vater ihr alles vergeben . . . «

Der König sprang auf und sagte sehr aufgeregt:

»Habt Dank, habt Dank; Ihr lasset die Verlorene Hoffnung, wie ein glänzendes Licht, vor mir aufgehen. Ihr seid ein heiliger Mann, mächtig in der Kirche; werdet Ihr die Beichte der Königin hören?

Ich muß zurück nach St. Omer, Herr Fürst!

Bleibt zwei oder drei Tage, ich bitte Euch! Ist es nicht besser, eine arme Seele zu retten, als ihr durch den Tod den Weg zur Seligkeit zu versperren?

»Sicher; aber ich würde auf jeden Fall nur vorläufig und unter Vorbehalt der Entscheidung des Papstes, das Bekenntniß ihrer Schuld und ihrer Sünden empfangen können.

»Es ist gleich, ehrwürdiger Vater; ich würde mit ihr nach Rom reisen, und läge die heilige Stadt am Ende der Welt . . . Beatrix, Beatrix, ich würde dich zum zweiten Mal retten! Du würdest wieder meine süße, lautere Lebensgefährtin werden und an meiner Seite stehen bis zum Grabe! . . . Also, guter Vater, Ihr bleibt? Ich eile nach dem Falkenstein. Beatrix liebt mich unsäglich, sie wird mich anhören. – Ihr seid mein hochverehrter Gast, Herr Abt; verfügt in meinem Palast über Alles; ein jeder wird auf Euren Wunsch fliegen . . .

Als Oriand in das Zimmer seiner Mutter trat und ihr mit heitern Worten Kenntniß gab von seinem Vorhaben, erschrak sie sehr bei dem Gedanken, daß Beatrix wieder auf den Thron würde gelangen können; aber sie erwog bald, daß die Gefangene, die ganz unschuldig war, unmöglich ihre Schuld bekennen könnte. Dadurch müßte ihr Sohn unfehlbar in seiner Erwartung getäuscht werden, und diese vermeintliche Hartnäckigkeit der Königin könnte ihn hinlänglich erzürnen, um ihren Tod zu beschließen.

Vielleicht würde der Zauberblick der Beatrix ihn ungeachtet ihres Widerstandes zu einem unerwarteten Entschluß antreiben. Um nun so viel, als ihr möglich war, ihn bewahren zu können und einem solchen Ausgang zuvor zu kommen bat sie Oriand, ihr zu gestatten, ihn nach dem Falkenstein zu begleiten. Sie hätte, sagte sie, allezeit das besondere Vertrauen und die Zuneigung der Königin genossen und könnte behilflich sein, sie zum Bekenntniß ihrer Schuld zu vermögen.

Auf ihr Anbringen versprach Oriand, er würde kalt und unerbittlich bleiben, wenn Beatrix sich nicht willig zeigte, und er würde sich weder durch Zauberkraft, noch durch ihre süße Stimme, noch durch die Erinnerung an sein früheres Glück zu thörichter Nachgiebigkeit verleiten lassen.

Der König, von seiner Mutter und einigen treuen Rittern begleitet, reiste die ganze Nacht, und kam am Morgen des zweiten Tages, vor der Zugbrücke des Falkensteins an.

Der Wächter auf dem Wachtthurme erkannte seinen Fürsten und blies das Horn.

Man ließ die Brücke nieder und öffnete das Thor; der Zug trat in die Burg ein.

Oriand winkte dem Kastellan oder Obersten der Besatzung, und gebot ihm:

»Führt mich und meine Mutter in einen Saal, und bringt dann die Königin vor mich.

»Was euch betrifft, ihr Herren,« sagte er, sich zu den Rittern wendend, »so laßt eure Pferde in den Stall führen und genießet Ruhe, bis ich euch rufe.«

Er folgte dem Obersten der Besatzung in einen unteren Saal, wo einige Lehnstühle an einem Tische standen, setzte sich neben seine Mutter, und sah bebend und aufgeregt dem Kastellan nach, der sich entfernte um die Königin zu holen.

Wie klopfte ihm das Herz! Es waren mehr als fünf Jahre her, daß er sie nicht mehr gesehen hatte. Diese arme Beatrix! Sie hatte wohl arg gesündigt gegen Gott und gegen ihn; aber war es nicht eher eine unglückliche Verirrung ihres Geistes, als ein Werk ihres freien Willens? O könnte sie doch einwilligen in das Bekenntniß ihrer Schuld, er würde ihr in die Arme fliegen und ihr zurufen: Beatrix, liebe Beatrix, du bist gerettet, Alles ist vergeben und vergessen!

Mattabruna, die auf der ganzen Reise sich bemüht hatte, ihren Sohn gegen Beatrix zu erbittern, und der es damit im hohen Grade geglückt war, las nun auf seinem Gesicht, welche gefährliche Gemüthsumwandlung in ihm vor sich ging. Sie sprach daher eilig so eindringliche Worte zu ihm, daß er mit hohler Stimme ihr sagte: