Polizeigesetz für Baden-Württemberg

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

6. Rechtsschutz

22

Gegen die unmittelbare Ausführung selbst als Realakt kann die Feststellungsklage (§ 43 VwGO) erhoben werden.

23

In der Praxis wird zumeist um Rechtsschutz gegen den nach Abs. 2 erlassenen Kostenbescheid nachgesucht. Hier sind Widerspruch (§ 68 ff. VwGO) und danach Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Beide haben nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung, da dieser Fall nicht von § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erfasst wird (VGH BW, NVwZ 1986, 933; VBlBW 2007, 228). Im Rahmen der Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Kostenbescheids wird inzident die Rechtmäßigkeit der unmittelbaren Ausführung selbst überprüft (s. o. RN 16).

§ 9 Maßnahmen gegenüber unbeteiligten Personen

(1) Gegenüber anderen als den in den §§ 6 und 7 bezeichneten Personen kann die Polizei ihre Maßnahmen nur dann treffen, wenn auf andere Weise eine unmittelbar bevorstehende Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht verhindert oder eine bereits eingetretene Störung nicht beseitigt werden kann, insbesondere wenn die eigenen Mittel der Polizei nicht ausreichen oder wenn durch Maßnahmen nach den §§ 6 bis 8 ein Schaden herbeigeführt würde, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht.

(2) Maßnahmen dieser Art dürfen nur aufrechterhalten werden, solange die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen.

Literatur: Erichsen/Biermann, Obdachlosigkeit als gefahrenabwehrrechtliches Problem, Jura 1998, 371; Froese, Die Sicherstellung privaten Eigentums zur Flüchtlingsunterbringung, JZ 2016, 176; Günther/Traumann, Wohnraumbeschlagnahme zur Unterbringung Obdachloser, NVwZ 1993, 130; Kießling, Nichtstörer und andere Unbeteiligte als Adressaten von Polizeiverfügungen, Jura 2016, 483; Möstl, Die dogmatische Gestalt des Polizeirechts, DVBl. 2007, 122; Rühl, Die Polizeipflichtigkeit von Versammlungen bei Störungen durch Dritte und bei Gefahren für die öffentliche Sicherheit bei Gegendemonstrationen, NVwZ 1988, 577; Schoch, Die Notstandspflicht im Polizei- und Ordnungsrecht, Jura 2007, 676; Trockels, Polizeirechtliche Gesichtspunkte der Obdachlosigkeit, BWVPr. 1989, 145.

Inhaltsübersicht

1. § 9 als Ausnahmeregelung

2. Voraussetzungen für die Heranziehung (Abs. 1)

a) Unmittelbar bevorstehende Gefahr

b) Die Gefahr kann nicht auf andere Weise verhindert werden

c) Verhältnismäßigkeit (einschließlich Zumutbarkeit) der Heranziehung

3. Mehrere Nichtverantwortliche

4. Dauer der Heranziehung (Abs. 2)

1. § 9 als Ausnahmeregelung

1

Nach § 9 können ausnahmsweise nichtverantwortliche Personen, die also weder Störer nach § 6 noch nach § 7 sind, zur Gefahrenabwehr herangezogen werden. Zulässig ist das nur im sog. polizeilichen Notstand, d. h., wenn die Gefahr weder durch den Störer noch durch die Polizei selbst abgewehrt werden kann. Dass es sich hierbei um Ausnahmefälle handelt, zeigt sich auch daran, dass der Nichtstörer unter Umständen eine Entschädigung für seine Inanspruchnahme verlangen kann (s. u. § 100, RN 1 ff.).

2

§ 9 ist, ebenso wie die §§ 6 und 7, eine Adressatenregelung und nicht selbst Ermächtigungsgrundlage für polizeiliche Maßnahmen. Zum Anwendungsbereich im Übrigen s. o. § 6, RN 1–3. Sind spezielle Vorschriften für die Inanspruchnahme Nichtverantwortlicher vorhanden, wie z. B. die §§ 29–31 FwG und §§ 25–31 KatSG, gehen sie § 9 vor.

Zu den Maßnahmen, bei denen jedermann Adressat sein kann s. o. § 6, RN 2.

2. Voraussetzungen für die Heranziehung (Abs. 1)

Die eng gefassten Tatbestandsvoraussetzungen machen den Ausnahmecharakter der Vorschrift deutlich.

a) Unmittelbar bevorstehende Gefahr

3

Das Gesetz fordert eine unmittelbar bevorstehende oder eine bereits eingetretene Störung. Da diese Begriffe aber wenig Sinn geben (s. o. § 1, RN 50), muss als Tatbestandsvoraussetzung eine unmittelbar bevorstehende Gefahr gegeben sein. Diese zeichnet sich durch eine besondere zeitliche Nähe und ein gesteigertes Maß der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts aus. D. h., der Schaden muss in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (VGH BW, NVwZ 1987, 237, 238; NVwZ-RR 1994, 52; 2000, 288, 289). Da die Inanspruchnahme des Nichtstörers das äußerste Mittel (Ultima Ratio) ist, ergibt sich außerdem aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i. e. S. (§ 5 Abs. 2), dass ein Schaden von einigem Gewicht oder für besonders hochwertige Rechtsgüter zu erwarten sein muss. Als hochwertige Rechtsgüter i. S. der Vorschrift sind z. B. Gesundheit und Leben von Menschen, die Freiheit der Person oder bedeutende Vermögenswerte anzusehen.

Zur sog. „Dauergefahr“ s. o. § 1, RN 49 a.

b) Die Gefahr kann nicht auf andere Weise verhindert werden

4

Gefahrenabwehr auf andere Weise bedeutet in erster Linie die Heranziehung des Störers nach §§ 6, 7. Das ist jedoch nicht möglich, wenn ein solcher z. B. nicht existent oder nicht bzw. nicht rechtzeitig in der Lage ist, die Gefahr zu beseitigen. Die Weigerung des Störers, tätig zu werden, berechtigt nicht, nach § 9 vorzugehen; hier muss zunächst versucht werden, ihn im Wege des Verwaltungszwangs zur Einhaltung seiner Pflichten anzuhalten.

5

Zulässig ist die Inanspruchnahme Nichtverantwortlicher nach Abs. 1 letzter Halbsatz auch dann, wenn Maßnahmen gegen den Störer unverhältnismäßig (i. S. des § 5 Abs. 2) wären. Das kann z. B. der Fall sein, wenn die zum Schutz einer Versammlung gegenüber Gegendemonstranten (Störer) getroffenen Maßnahmen in unvermeidbarer Weise eine erhebliche Anzahl Unbeteiligter treffen würden. Dann wäre es zulässig, die Versammlung gem. § 15 VersG zu verbieten (Heranziehung des Veranstalters als Nichtstörer). Derartige Fälle müssen allerdings die absolute Ausnahme bleiben, denn in erster Linie ist es Aufgabe der Polizei, mit allen verfügbaren Mitteln die Durchführung einer Versammlung zu ermöglichen und zu schützen (BVerfG, NVwZ 1998, 835, 836; 2006, 1049, 1050; NVwZ-RR 2007, 641, 642; NJW 2000, 3053; BVerwG, NVwZ 1999, 991, 993; VGH BW, NVwZ 1987, 237 f.; VBlBW 1990, 231; VG Freiburg, VBlBW 2002, 497, 498 f.).

6

Gefahrenabwehr auf andere Weise, die der Inanspruchnahme des Nichtstörers vorgeht, ist auch die mit eigenen Mitteln der Polizei. Dazu wird sie – aufgrund ihrer hohen Präsenz – fast immer in der Lage sein; ein weiterer Grund, dass die Anwendungsfälle für § 9 in der Praxis selten sind. Zu den eigenen Mitteln zählt in erster Linie eigenes tatsächliches Handeln, auch in Form der unmittelbaren Ausführung einer Maßnahme nach § 8. Reichen die Mittel der Polizei nicht aus, muss sie – sofern genügend Zeit bleibt – im Wege der Amtshilfe um Verstärkung nachsuchen. Schließlich sind eigene Mittel auch solche, die sich die Polizei im Wege vertraglicher Vereinbarung beschaffen kann.

Beispiel: Vor der Beschlagnahme einer Wohnung (Maßnahme gegen den Wohnungseigentümer als Nichtstörer) muss die Behörde prüfen, ob sie über eigene bestehende Unterkünfte verfügt, die Errichtung von Behelfsunterkünften oder die Anmietung von Räumen (z. B. in Hotels) möglich ist (vgl. VGH BW, BWVPr. 1984, 15).

Dass der Polizei durch den Einsatz eigener Mittel höhere Kosten entstehen als durch die Inanspruchnahme des Nichtstörers, ist grundsätzlich unbeachtlich. Fiskalische Erwägungen zur Bejahung der Notstandspflicht wären allenfalls denkbar, wenn der Einsatz eigener Mittel zu nicht verantwortbaren hohen Kosten führen würde.

c) Verhältnismäßigkeit (einschließlich Zumutbarkeit) der Heranziehung

7

Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Grundsatz des geringsten Eingriffs s. o. § 5, RN 6) ergibt sich, dass dem Nichtstörer nur das zur Gefahrenabwehr sachlich Unumgängliche aufgegeben werden darf.

Beispiel: Zur Beseitigung der Obdachlosigkeit einer Einzelperson genügt die Beschlagnahme eines Zimmers einer Wohnung.

 

Deshalb sind Maßnahmen, die sich länger auswirken, von vornherein zeitlich zu begrenzen.

Beispiel: Die Beschlagnahme einer Wohnung ist zunächst auf etwa einen Monat (maximal 6 Monate, vgl. § 38 Abs. 3) zu befristen; ferner muss die Behörde versuchen, selbst Wohnraum zu beschaffen.

8

Schließlich dürfen dem Nichtstörer keine unzumutbaren Belastungen auferlegt werden. Unzumutbar sind Maßnahmen, durch die ein Nichtstörer selbst erheblich gefährdet wird oder solche, bei deren Befolgung höherwertige Pflichten verletzt würden.

Beispiele: Von einem Unbeteiligten kann nicht verlangt werden, bei der Rettung eines abgestürzten Bergsteigers mitzuwirken, wenn auch bei der Rettungsaktion Absturzgefahr besteht.

Ein Arzt, der sich auf dem Weg zu einem Schwerstkranken befindet, kann unterwegs bei einem Unfall nicht dazu angehalten werden, Leichtverletzte ärztlich zu versorgen.

3. Mehrere Nichtverantwortliche

9

Kommen für die Abwehr einer Gefahr mehrere Nichtverantwortliche in Frage, so liegt es im pflichtgemäßen Ermessen der Polizei, gegen wen sie tatsächlich ihre Maßnahmen richtet. Wie bei der Auswahl unter mehreren Verantwortlichen (s. o. § 6, RN 21) wird auch hier die effektive Gefahrenabwehr an erster Stelle der Ermessenserwägungen stehen. Eine wesentliche Ermessensgrenze bildet der Grundsatz des geringsten Eingriffs (§ 5 Abs. 1). Seine Anwendung kann z. B. bedeuten, dass einem Wohnungsbauunternehmen die Einweisung von Obdachlosen eher zuzumuten ist als Privatpersonen (vgl. OVG Berlin, NJW 1980, 2484, 2485), diese aber eher als ein Hotel heranzuziehen sind, wenn dessen Belegung mit Obdachlosen eventuell zum Erliegen des Hotelbetriebs und damit zum wirtschaftlichen Ruin führt.

4. Dauer der Heranziehung (Abs. 2)

10

Nach § 9 Abs. 2 dürfen Maßnahmen gegen den Nichtverantwortlichen nur aufrechterhalten werden, solange die Voraussetzungen des Abs. 1 vorliegen. D. h., die unmittelbar bevorstehende nicht unerhebliche Gefahr muss fortbestehen und ihre Abwehr darf auch weiterhin auf andere Weise nicht möglich sein. Demzufolge muss die Polizei fortlaufend prüfen, ob Gefahrenabwehr zwischenzeitlich nicht durch die Inanspruchnahme des Störers oder durch eigene Mittel möglich ist.

Beispiel: In einer Zeit vermehrt auftretender Obdachlosigkeit müssen die zuständigen Gemeinden (Ortspolizeibehörden) notfalls durch die Aufstellung von angemieteten oder gekauften Wohncontainern die weitere Inanspruchnahme von Nichtstörern verhindern.

11

Sind die Voraussetzungen des Abs. 1 entfallen, ist die Polizei verpflichtet, fortwirkende Maßnahmen sofort aufzuheben (z. B. Aufhebung der Beschlagnahmeanordnung hinsichtlich einer Wohnung für Obdachlose), sofern nicht ihre rechtliche Wirkung ohnehin zeitlich beschränkt ist (z. B. durch eine befristete Beschlagnahme). Verbleiben dennoch weiterhin tatsächliche Beeinträchtigungen (z. B. der eingewiesene Obdachlose zieht nicht aus), so steht dem Nichtstörer ein Folgenbeseitigungsanspruch gegen die Polizei zu (h. M., a. A. VGH BW, NVwZ 1987, 1101, der einen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten nach den §§ 3, 1 Abs. 1 annimmt), unabhängig davon, ob die Einweisung in eine vom Eingewiesenen bisher genutzte Wohnung erfolgte oder nicht (BGH, NJW 1995, 2918, 2919; VGH BW, VBlBW 1997, 187, 188). Dieser zwischen dem Nichtstörer und der Polizei bestehende Anspruch berechtigt die Polizei allerdings nicht zu Maßnahmen gegenüber Dritten (z. B. Obdachlosen). Hier ist, sofern spezielle Rechtsgrundlagen fehlen, die polizeiliche Generalklausel (§§ 3, 1 Abs. 1) heranzuziehen (VGH BW, NJW 1990, 2770, 2771; VBlBW 1997, 187, 188). Für weitergehende Beeinträchtigungen (z. B. demoliert der Obdachlose die beschlagnahmte Wohnung) haftet die Polizei nicht unter dem Gesichtspunkt der Folgenbeseitigung, da dieser Anspruch nur die unmittelbaren Folgen eines Eingriffs erfasst. Auch andere, vor allem deliktische Ansprüche (§§ 823 ff. BGB) gegen die Polizei dürften regelmäßig ausscheiden.

§ 10 (§ 9 a a. F.) Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Berufsgeheimnisträger

(1) 1Maßnahmen nach §§ 27, 28, 34 bis 38, 40, 41, 43, 44 und 49 bis 56, die sich gegen einen in § 53 Absatz 1 der Strafprozessordnung genannten Berufsgeheimnisträger richten und voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würden, über die diese Person das Zeugnis verweigern dürfte, sind unzulässig. 2Dennoch erlangte Erkenntnisse dürfen nicht verwertet werden. 3Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. 4Die Tatsache ihrer Erlangung und Löschung ist zu dokumentieren. 5Die Sätze 2 bis 4 gelten entsprechend, wenn durch eine Maßnahme, die sich nicht gegen einen in § 53 Absatz 1 der Strafprozessordnung genannten Berufsgeheimnisträger richtet, von einer dort genannten Person Erkenntnisse erlangt werden, über die sie das Zeugnis verweigern dürfte.

(2) 1Maßnahmen, durch die ein Berufsgeheimnisträger betroffen wäre und dadurch voraussichtlich Erkenntnisse erlangt würden, über die diese Person das Zeugnis verweigern dürfte, sind abweichend von Absatz 1 zulässig, soweit dies zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für Leben, Gesundheit oder Freiheit erforderlich ist. 2Dies gilt nicht für Berufsgeheimnisträger nach § 53 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1, 2 und 4 der Strafprozessordnung sowie für einen Rechtsanwalt, eine nach § 206 der Bundesrechtsanwaltsordnung in eine Rechtsanwaltskammer aufgenommene Person oder einen Kammerrechtsbeistand.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend, soweit die in § 53 a der Strafprozessordnung Genannten das Zeugnis verweigern dürften.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht, sofern Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person die Gefahr verursacht hat.

Literatur: Kutscha, Der Lauschangriff im Polizeirecht der Länder, NJW 1994, 85; Schenke/Würtenberger, Der Schutz von Amts- und Berufsgeheimnissen im Recht der polizeilichen Informationserhebung, JZ 1999, 548.

Inhaltsübersicht

1. Zweck der Vorschrift

2. Geschützte Berufsgeheimnisträger (Abs. 1)

3. Reichweite des Schutzes (Abs. 1, 2)

4. Handlungs- und Verwertungsverbot (Abs. 1)

5. Geschützte Berufshelfer (Abs. 3)

6. Wegfall des Schutzes (Abs. 4)

1. Zweck der Vorschrift

1

Diese Vorschrift regelt allgemein für das Polizeigesetz den Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Berufsgeheimnisträger (§§ 53, 53 a StPO) gegen bestimmte Maßnahmen der Polizei. Dieser Schutz besteht darin, dass die in § 10 genannten Maßnahmen ihnen gegenüber grundsätzlich unzulässig sind und dennoch erlangte Kenntnisse nicht verwertet werden dürfen.

Beispiele: Unzulässig ist die Befragung eines Geistlichen über das, was ihm in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut oder sonst bekanntgeworden ist. Unzulässig ist der verdeckte Einsatz eines technischen Mittels (z. B. „Wanze“) gegen einen Rechtsanwalt, um Erkenntnisse über den Mandanten zu erlangen.

2

Zweck der Vorschrift ist es, das besondere Vertrauensverhältnis zwischen bestimmten Berufsangehörigen und denen, die ihre Hilfe und Sachkunde in Anspruch nehmen, zu schützen.

2. Geschützte Berufsgeheimnisträger (Abs. 1)

3

Unzulässig sind die genannten polizeilichen Maßnahmen gegen die Berufsangehörigen, die nach § 53 Abs. 1 StPO zeugnisverweigerungsberechtigt sind. Das sind, nach der insoweit abschließenden Regelung:

4

Geistliche (§ 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO)

Gemeint sind nach h. M. nur Geistliche der christlichen Kirchen und der sonstigen öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften,

Verteidiger (§ 53 Abs. 1 Nr. 2 StPO)

Das sind alle gewählten oder bestellten Verteidiger,

Rechtsanwälte und ähnliche Berufe (§ 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO)

Ärzte und ähnliche Berufe (§ 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO)

Schwangerschaftsberater (§ 53 Abs. 1 Nr. 3 a StPO)

Berater für Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit (§ 53 Abs. 1 Nr. 3 b StPO)

Parlamentsabgeordnete (§ 53 Abs. 1 Nr. 4 StPO)

Für Bundestagsabgeordnete gilt Art. 47 GG, für Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg Art. 39 LV, für Europaabgeordnete § 6 EuAbgG.

Mitarbeiter von Presse und Rundfunk (§ 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO).

5

Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 StPO beschränkt sich auf die bei der Berufsausübung anvertrauten oder bekanntgewordenen Tatsachen. Dementsprechend begrenzt ist auch der Schutz der o. g. Berufsangehörigen. Anvertraute Tatsachen sind solche, die unter Verlangen oder unter stillschweigender Erwartung der Geheimhaltung preisgegeben werden. Bekanntgewordene Tatsachen sind die, die der Berufsausübende erfahren hat, ohne dass sie ihm anvertraut wurden.

Beispiel: Wird ein Geistlicher von dem Entführer einer Person als Überbringer des geforderten Lösegeldes vorgeschlagen, ohne dass Ersterer als Seelsorger in Anspruch genommen wurde oder wird, ist dieser nicht zeugnisverweigerungsberechtigt. Die Polizei dürfte also den Geistlichen z. B. längerfristig observieren (§ 49 Abs. 2 Nr. 1).

3. Reichweite des Schutzes (Abs. 1, 2)

6

Nach Abs. 1 sind alle in § 53 Abs. 1 StPO genannten Berufsgeheimnisträger geschützt. Die Reichweite des Schutzes variiert jedoch; wie sich aus einer Zusammenschau von Abs. 1 und Abs. 2 ergibt.

7

Ein absolutes Handlungs- und Verwertungsverbot bezüglich der genannten Maßnahmen besteht nur hinsichtlich der Berufsgruppe der Geistlichen, der Rechtsanwälte und der Parlamentsabgeordneten. Der Landesgesetzgeber verzichtet dabei auf die Differenzierung zwischen Strafverteidigern und den übrigen Rechtsanwälten, da die Übergänge nicht immer eindeutig sind. Hinsichtlich der Geistlichen wird dies im Hinblick auf den Schutz der Menschenwürde begründet, der es gebiete, staatliche Maßnahmen, die in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung eingreifen, zu unterlassen (BVerfGE 109, 279, 322), für Parlamentsabgeordnete damit, dass sie durch die entsprechenden Verfassungsnormen (s. o. RN 4) einen besonderen Schutz erführen.

8

Ein relatives Handlungs- und Verwertungsverbot bezüglich der genannten Maßnahmen besteht hinsichtlich der übrigen in § 53 Abs. 1 StPO genannten Berufsgruppen. Gegen diese sind polizeiliche Maßnahmen ohne Einschränkung zulässig, soweit dies zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr (vgl. dazu § 9, RN 3) für Leben, Gesundheit oder Freiheit (s. u. § 1, RN 19) erforderlich ist. Hier soll also das Interesse an der Wahrung des Vertrauensverhältnisses zurücktreten gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Gefahrenabwehr.

9

 

Ob eine derartige Benachteiligung der hier in Rede stehenden Berufsgruppen sinnvoll und rechtens ist, erscheint zweifelhaft, weil eine unterschiedliche „Wertigkeit“ der jeweils bestehenden Vertrauensverhältnisse kaum begründet werden kann. Letztlich wird bei allen in den Kernbereich privater Lebensgestaltung eingegriffen. Auf jeden Fall dürfen polizeiliche Maßnahmen hier nicht schematisch, sondern nur unter strikter Beachtung der jeweiligen Interessen im Einzelfall getroffen werden. So wird z. B. eine Maßnahme zum Schutz der Gesundheit oder Freiheit in der Regel nur dann gerechtfertigt sein, wenn diesen Rechtsgütern ein Schaden von einigem Gewicht droht.