Die Riesen kommen

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VII

Soweit ich in Erfahrung bringen kann, kamen die Hennen gegen drei Uhr nachmittags nach Hickleybrow. Ihre Ankunft muß eine lebendige Geschichte gewesen sein, obgleich niemand auf der Straße gewesen war, um sie zu sehen. Das heftige Schreien des kleinen Skelmersdale scheint die erste Kunde von etwas Auffallendem gegeben zu haben. Miß Durgan vom Postamt stand, wie gewöhnlich am Fenster und sah die Henne, die das unglückliche Kind gepackt hatte, mit ihrem Opfer rasend die Straße hinauffliehen, von zwei anderen eng verfolgt. Man kennt ja jenen schwingenden Schritt der emanzipierten, athletischen, modernen Henne! Man kennt die scharfe Beharrlichkeit des hungrigen Huhns!

Wahrscheinlich wurde Miß Durgan nicht völlig überrumpelt. Trotz Mr. Bensingtons Einschärfung des Geheimnisses waren Gerüchte von den großen Kücken, die Mr. Skinner züchtete, im Dorf seit Wochen im Umlauf gewesen. »Himmel!« rief sie, »das hab' ich erwartet.«

Sie scheint sich mit großer Geistesgegenwart benommen zu haben. Sie griff sofort den versiegelten Briefsack auf, der nach Urshot weitergehen sollte, und stürzte zur Tür hinaus. Fast zugleich erschien Mr. Skelmersdale selber unten im Dorf, in der Hand eine Gießkanne, die er am Ausguß gepackt hielt, und im Gesicht sehr weiß. Und natürlich stürzte alles im Dorf im Nu an Tür und Fenster.

Das Schauspiel der Miß Durgan auf der Straße, mit der Hickleybrowschen Korrespondenz eines ganzen Tages in der Hand, gebot der Henne, die Master Skelmersdale gepackt hielt, Einhalt. Sie zögerte einen Moment der Unentschiedenheit und wandte sich dann zu den offenen Toren von Fulchers Hof. Der Moment war verhängnisvoll. Die zweite Henne rannte scharf gegen sie an, ergriff das Kind mit wohlgezieltem Picken und sprang über die Mauer in den Pfarrgarten.

»Karahk, kahk, kahk, kahk, kahk!« kreischte die hinterste Henne, scharf getroffen von der Gießkanne, die Mr. Skelmersdale geworfen hatte, und flatterte wild über Mrs. Glues Haus und so auf das Feld des Doktors, während der Rest dieser gargantuanischen Vögel die Henne, die das Kind trug, über den Pfarrasen hin verfolgte.

»Gütiger Himmel!« rief der Pfarrer, oder auch (wie manche sagen) etwas viel Männlicheres, und indem er seinen Krockethammer schwang und schrie, lief er der Jagd voran.

»Halt, du Vieh!« rief der Pfarrer, als wären Riesenhühner etwas ganz Gewöhnliches im Leben.

Und als er dann sah, daß er sie unmöglich würde abfangen können, schleuderte er mit aller Macht und Kraft seinen Hammer, und hin flog er in anmutiger Kurve, und um einen Fuß an Master Skelmersdales Kopf vorbei und durch die Glashaube des Gewächshauses. Krach! Das neue Gewächshaus! Der Frau Pfarrerin schönes, neues Gewächshaus!

Das erschreckte die Henne. Es hätte jeden erschreckt. Sie ließ ihr Opfer in einen Lorbeerbusch fallen (aus dem es alsbald herausgezogen wurde, zersaust, aber, abgesehen von seinen weniger zarten Kleidern, unverletzt), sprang mit einem Flügelschlag auf das Dach von Mr. Fulchers Ställen, trat durch eine schwache Stelle der Ziegel und kam sozusagen aus der Unendlichkeit in die beschauliche Ruhe des gelähmten Mr. Bumps herabgestürzt – der, wie jetzt über jeden Zweifel bewiesen ist, dieses eine Mal in seinem Leben ohne jede Hilfe durch seinen ganzen Garten und ins Haus kam, wo er sofort wieder in christliche Resignation und hilflose Abhängigkeit von seiner Frau verfiel ...

Die anderen Hennen wurden von den anderen Krocketspielern zurückgetrieben und liefen durch des Pfarrers Küchengarten auf des Doktors Feld, zu welchem Rendezvous schließlich auch die fünfte kam, die nach einem erfolglosen Versuch, auf den Gurkenrahmen auf Mr. Witherspoons Hof zu gehen, trostlos gluckste.

Es scheint, sie standen eine Zeitlang nach Hennenart umher, scharrten ein wenig und gackerten nachdenklich, und dann pickte eine nach einem Bienenkorb des Doktors und darüber weg, und darauf setzten sie tölpisch, ruckweise, federig quer über die Felder auf Urshot zu, und die Straße von Hickleybrow sah sie nicht mehr. In der Nähe von Urshot trafen sie wirklich auf angemessenes Futter in Gestalt eines Rübenfeldes und pickten eine Zeitlang mit Gusto, bis sie ihr Ruf einholte.

Die unmittelbare Hauptreaktion dieses erstaunlichen Einbruchs von Riesenvögeln in den Bereich des menschlichen Geistes war eine außerordentliche Leidenschaft zu schreien und zu rennen und Gegenstände zu werfen, und in ganz kurzer Zeit war fast die ganze mobile Mannschaft von Hickleybrow, und sogar mehrere Damen, mit einer wunderbaren Sammlung von Schlag- und Wurfinstrumenten in der Hand auf den Beinen. Sie trieben sie nach Urshot hinein, wo ein Landfest im Gange war, und Urshot nahm sie als den Haupttrumpf eines glücklichen Tages auf. Man begann bei Findon Beeches auf sie zu schießen, aber zunächst nur mit einer Krähenflinte. Natürlich konnten Vögel von der Größe unbegrenzte Mengen kleinen Schrotes ohne Unbehagen vertragen. Sie zerstreuten sich irgendwo in der Nähe von Sevenoaks, und bei Tonbridge floh einer von ihnen in äußerster Aufregung etwas vor und parallel mit dem Nachmittags-Dampferexpreßzug einher – zur großen Verwunderung aller, die sich darin befanden.

Und gegen halb sechs wurden zwei von ihnen auf sehr geschickte Weise von einem Zirkusbesitzer in Tunbridge Wells gefangen. Er lockte sie in einen Käfig, der durch das Ableben eines verwitweten Dromedars leer geworden war, indem er Kuchen und Brot hinstreute.

VIII

Als der unglückliche Mr. Skinner an diesem Abend zu Urshot aus dem Zuge der South-Eastern-Railway stieg, war es beinahe Dämmerung. Der Zug hatte Verspätung, aber keine ungehörige Verspätung – und Mr. Skinner machte gegen den Stationsvorsteher eine Bemerkung darüber. Vielleicht sah er etwas im Auge des Stationsvorstehers lauern. Nach dem kürzesten Zögern und mit einer vertraulichen Handbewegung neben seinem Munde fragte er, ob heute »irgendwas« passiert sei.

»Wie meinen Sie?« sagte der Stationsvorsteher, ein Mann mit harter, emphatischer Stimme.

»De Wespen hier und de Viecher.«

»Wir hab'n nich viel Zeit gehab, an Wespen ze denken,« sagte der Stationsvorsteher liebenswürdig. »Wir hab'n ze viel mit Ihre verdammten Hennen ze tun gehab,« und er eröffnete Mr. Skinner die Neuigkeit von den Hühnern, wie man einem politischen Gegner die Fenster einschlägt.

»Sie hab'n nichß von Mrs. Skinner gehört?« fragte Skinner mitten unter dem Geschoßschauer von Auskunft und Anmerkung.

»Keine Angst!« sagte der Stationsvorsteher – als wisse er etwas.

»Dadrüber muß ich Erkunnigungen einßiehen,« sagte Mr. Skinner, indem er sich aus dem Bereich von des Stationsvorstehers zwingenden Verallgemeinerungen über die Verantwortlichkeit fortschob, die an der Überernährung von Hennen hinge ...

Als er durch Urshot ging, wurde Mr. Skinner von einem Kalkbrenner aus den Gruben drüben bei Hankey angerufen und gefragt, ob er nach seinen Hennen suche.

»Sie haben nichß von Mrs. Skinner gehört?« fragte er.

Der Kalkbrenner – besten genaue Phrasen uns nicht interessieren – gab seinem höheren Interesse an Hennen Ausdruck ...

Es war schon dunkel – wenigstens so dunkel wie eine klare Juninacht in England sein kann – als Skinner – oder wenigstens sein Kopf in die Schenke zu den Lustigen Fuhrknechten kam und sagte: »Hallo! Sie hab'n woll nichß von die Geschichte mit meine Hennen gehör, was?«

»O, nich!« sagte Mr. Fulcher. »Na, 'n Teil von die Geschichte is mir in 'n Stalldach eingebrochen, und 'n anneres Kapitel hat 'n Loch in Missis Pasters Mistbeet – bitt' um Verzeihung – Gewächshaus geschlagen.«

Skinner trat ein. »Ich hätt' gern 'n bißchen was Stärkendes,« sagte er, »heißen Gin mit Wasser,« und alles begann ihm von den Hühnern zu erzählen.

»Du meine Güte!« sagte Skinner.

»Sie hab'n nichß von Mrs. Skinner gehör, was?« fragte er in einer Pause.

»Das hab'n wir nich!« sagte Mr. Witherspoon. »Wir hab'n nich an sie gedach. Wir hab'n an keinen von Ihnen gedach.«

»Sin Sie heute nich ze Haus gewes'n,« fragte Fulcher über einem Krug.

»Wenn einer von diese verdammtigen Vögel se gepick hat,« begann Mr. Witherspoon und überließ ihrer Phantasie das volle Grauen ohne Hilfe ...

Es deuchte die Versammlung zur Zeit, es werde ein interessanter Schluß eines ereignisreichen Tages sein, wenn man mit Skinner ginge und nachsähe, ob Mrs. Skinner etwas passiert sei. Man weiß nie, was man für Glück haben kann, wenn Unglücksfälle im Schwange sind. Aber Skinner, der am Schenktisch stand und seinen heißen Gin mit Wasser trank, während sein eines Auge über die Dinge hinter dem Schenktisch schweifte und das andere aufs Absolute fixiert war, verfehlte den psychologischen Moment.

»Es schein, mit die großen Wespen hat es heute nirgenß was gegeben?« fragte er mit ausgesuchter Uninteressiertheit.

»Zu viel mit Ihre Hennen ze tun gehab,« sagte Fulcher.

»Ich glaub, jetz sin se auf jeden Fall nach Haus gegangen,« sagte Skinner.

»Was – die Hennen?«

»Ich dachte eigentlich mehr an die Wespen,« sagte Skinner.

Und dann fragte er mit einer Miene der Vorsicht, die in einem wochenalten Baby Argwohn erweckt hätte, indem er schweren Nachdruck auf die meisten Worte legte, die er wählte: »Mir schein, nieman hat noch von irgeneinen annermgroßen Vieh gehör, das rumläuf, was? Großen Hunnen oder Katzen oder irgen so was? Mir schein, wenn große Hennen aufkommen, und große Wespen – –«

Er lachte mit dem fein gespielten Ausdruck eines Mannes, der müßiges Zeug redet.

Aber über die Gesichter der Leute aus Hickleybrow legte sich ein brütender Ausdruck. Fulcher war der erste, der ihrem sich verdichtenden Denken die konkrete Form der Worte lieh.

 

»Eine Katz gegen die Hennen – –« sagte Fulcher.

»Jaah!« sagte Witherspoon, »eine Katz gegen die Hennen.«

»Das müßt 'n Tiger sein,« sagte Fulcher.

»Mehr als 'n Tiger,« sagte Witherspoon.

Als schließlich Skinner dem einsamen Fußpfad über das schwellende Feld hin folgte, das Hickleybrow von der düsteren, fichtendunklen Mulde trennte, in der die Riesenschlingpflanzen im Schweigen mit der Experimentalfarm rangen, folgte er ihm allein.

Man sah ihn deutlich am Horizont aufragen, vor der warmen, klaren Unendlichkeit des Nordhimmels – denn so weit folgte ihm das öffentliche Interesse – und dann in die Nacht versinken, in ein Dunkel, aus dem er, will es scheinen, nie wieder auftauchen wird. Er ging – in ein Geheimnis. Bis auf den heutigen Tag weiß niemand, was ihm passiert ist, nachdem er den Kamm überschritten hatte. Als später, getrieben von ihrer eigenen Phantasie, die beiden Fulchers und Witherspoon den Hügel emporstiegen und ihm nachstarrten, hatte ihn die Nacht völlig verschlungen.

Die drei Männer standen nah beieinander. Kein Laut kam aus dem bewaldeten Dunkel, das ihren Augen die Farm verbarg.

»Alles in Ordnung,« sagte der junge Fulcher am Schluß des Schweigens.

»Seh keine Lichter,« sagte Witherspoon.

»Kann man nicht von hier.«

»Es is dunstig,« sagte der ältere Fulcher.

Sie überlegten eine Weile.

»Er wär zurückgekomm'n, wenn was verkehr wär,« sagte der junge Fulcher, und das schien so klar und entscheidend, daß der alte Fulcher »Na« sagte, und die drei gingen nach Haus und zu Bett – ich will zugeben, nachdenklich.

Ein Hirt draußen bei Hucksters Farm hörte nachts ein Quietschen, für dessen Quelle er Füchse hielt, und morgens war eins seiner Lämmer getötet, halbwegs nach Hickleybrow geschleppt und zum Teil verschlungen ...

Das Unerklärliche daran ist das völlige Fehlen jeder unbestreitbaren Überreste Skinners!

Viele Wochen später fand man unter den verkohlten Ruinen der Experimentalfarm etwas, was ein menschliches Schulterblatt so gut sein konnte wie nicht, und in einem anderen Teil der Ruinen einen langen Knochen, der stark benagt und gleich zweifelhaft war. In der Nähe des Gatters nach Eyebright zu fand man ein Glasauge, und viele Leute entdeckten darauf, daß Skinner einem solchen Besitztum viel von seinem persönlichen Charme verdankte. Es starrte mit jenem gleichen unvermeidlichen Ausdruck der Losgelöstheit in die Welt hinaus, jener gleichen, ernsten Melancholie, die die Erlösung seiner sonst weltlichen Züge gewesen war.

Und rings um die Ruinen entdeckte eine fleißige Nachsuche die Metallringe und die verkohlten Bezüge zweier Leinenknöpfe, drei ganze Knochenknöpfe und einen jener metallischen Art, wie sie an den weniger sichtbaren Nähten der menschlichen Bekleidung getragen werden. Diese Reste sind von maßgebenden Personen als für die Vernichtung und Zerstreuung eines Skinner beweisend angesehen worden, aber nach meiner vollen Überzeugung und in Anbetracht seiner charakteristischen Idiosynkrasie, muß ich gestehen, wären mir weniger Knöpfe und mehr Knochen lieber.

Das Glasauge scheint natürlich äußerste Überzeugungskraft zu besitzen, aber wenn es wirklich Skinner gehört hat – und selbst Mrs. Skinner wußte nicht sicher, ob jenes sein unbewegliches Auge aus Glas war – so hat irgend etwas seine Farbe aus einem flüssigen Braun in ein heiteres und zuversichtliches Blau verwandelt. Jenes Schulterblatt ist ein äußerst zweifelhaftes Dokument, und ich sähe es gern Seite an Seite neben den benagten Scapulae einiger der gewöhnlicheren Haustiere, ehe ich seine Menschlichkeit zugäbe.

Und wo waren zum Beispiel Skinners Stiefel? So pervers und seltsam das Gelüst einer Ratte sein muß, ist es zu denken, daß dieselben Geschöpfe, die ein Lamm nur halbverzehrt liegen lassen konnten, Skinner rein aufgefressen haben sollten, Haar, Knochen, Zähne und Stiefel?

Ich habe so viele Menschen, die Skinner einigermaßen genau kannten, ausgefragt, wie ich nur konnte, und samt und sonders stimmten sie darin überein, daß sie sich nicht vorstellen konnten, daß irgend etwas ihn fressen mochte.

Er gehörte, wie mir ein ehemaliger Seefahrer, der sich zur Ruhe gesetzt hatte und in einem von Mr. W. W. Jacobs' Häusern in Dunton Green wohnte, versichert hat, zu jenen Menschen mit einer vorsichtigen Bedeutsamkeit des Wesens, wie sie in jenen Gegenden nicht ungewöhnlich ist, Menschen, die »irgendwie aufgespült werden« und, was das verzehrende Element angeht, »gerade dazu taugen, ein Feuer auszulöschen«. Er meinte, Skinner werde auf einem Floß so sicher sein wie irgendwo. Der Seefahrer, der sich zur Ruhe gesetzt hatte, fügte hinzu, er wünsche nichts gegen Skinner zu sagen; Tatsachen seien Tatsachen. Und lieber als sich seine Kleider von Skinner machen lassen, sagte der Seefahrer, der sich zur Ruhe gesetzt hatte, wollte er die Gefahr auf sich nehmen, daß man ihn einsperrte. Diese Bemerkungen zeigten Skinner sicherlich nicht im Licht eines appetitanregenden Gegenstandes.

Um ganz offen gegen den Leser zu sein, so glaube ich nicht, daß er jemals auf die Experimentalfarm zurückgekehrt ist. Ich glaube, er trieb sich lange zögernd um die Felder der Scholle von Hickleybrow umher; und als dann jenes Quietschen begann, wählte er die Linie des geringsten Widerstandes aus seinen Schwierigkeiten in das Unbekannte hinaus.

Und im Unbekannten, ob in dieser oder der anderen, unerforschten Welt, ist er bis auf den heutigen Tag hartnäckig und ganz unbestreitbar geblieben ...

Die Riesenratten
I

Zwei Nächte nach Mr. Skinners Verschwinden war der Doktor von Podbourne noch spät in der Nähe von Hankey in seiner Chaise unterwegs. Er war die ganze Nacht aufgewesen und hatte einem andern unbedeutenden Bürger in diese unsere seltsame Welt verholfen, und nach vollbrachter Pflicht fuhr er in ziemlich schläfriger Stimmung nach Hause. Es war etwa zwei Uhr morgens, und der abnehmende Mond ging auf. Die Sommernacht war kalt geworden, und es lag ein niedriger, weißlicher Dunst, der die Dinge undeutlich machte. Er war ganz allein – denn sein Kutscher lag krank im Bett – und an beiden Seiten war nichts zu sehen als ein fließendes Geheimnis von Hecken, die durch den gelben Schein seiner Lampen liefen, und nichts zu hören als das Getrappel seines Pferdes und das Knirschen seiner Räder mit dem Echo aus den Hecken. Sein Pferd war so zuverlässig wie er selber, und man wundert sich nicht, wenn er einnickte ...

Man kennt jenes intermittierende Einschlummern, wenn man so dasitzt, das Sinken des Kopfes, das Nicken zum Rhythmus der Räder, dann das Kinn auf die Brust, und mit einem Male das plötzliche Auffahren.

Klipp, klapp, klapp.

Was war das?

Dem Doktor war, als habe er ganz nah ein dünnes, schrilles Quietschen gehört. Einen Moment war er ganz wach. Er sagte ein paar Worte unverdienten Vorwurfs zu seinem Pferde und blickte sich um. Er versuchte sich zu überreden, daß er den fernen Schrei eines Fuchses gehört habe – oder vielleicht ein junges Kaninchen, das von einem Wiesel gefangen war.

Schsch, schsch, schsch, klipp, klapp, schsch – – ...

Was war das?

Er fühlte, seine Phantasie begann zu arbeiten. Er schüttelte die Schultern und sagte zu seinem Pferde, es solle vorwärts machen. Er lauschte und hörte nichts.

Oder war es nichts?

Er hatte einen wunderlichen Eindruck, als habe irgend etwas eben über die Hecke nach ihm gespäht, ein wunderlicher, großer Kopf. Mit runden Ohren! Er blickte scharf aus, aber er konnte nichts sehen.

»Unsinn,« sagte er.

Er setzte sich mit dem Gedanken auf, er sei von einem Alp befallen, gab seinem Pferd einen ganz leichten Schlag mit der Peitsche, sprach zu ihm und spähte wieder über die Hecke. Der Schein seiner Lampe aber machte die Dinge gemeinsam mit dem Nebel undeutlich, und er konnte nichts unterscheiden. Ihm kam in den Kopf, sagte er, es könne nichts dort sein, denn sonst hätte sein Pferd davor gescheut. Aber trotzdem blieben seine Sinne nervös wach.

Dann hörte er ganz deutlich ein weiches Fußtrappeln, das ihn auf der Straße verfolgte.

Das wollte er seinen Ohren nicht glauben. Er konnte sich nicht umblicken, denn der Weg machte gerade da gewundene Kurven. Er gab seinem Pferd einen Schlag und blickte wieder zur Seite. Und dann sah er, wo ein Strahl aus seiner Lampe über ein niedriges Stück Hecke sprang, ganz deutlich den gewölbten Rücken eines – eines großen Tieres – was für eines Tieres konnte er nicht sagen – das in raschen, krampfhaften Sprüngen dahineilte.

Er sagt, er habe an die alten Märchen von Hexerei gedacht – das Wesen war allen Tieren, die er kannte, so absolut unähnlich, und aus Furcht vor der Furcht seines Pferdes griff er die Zügel fester. Obgleich er ein gebildeter Mann war, gibt er zu, fragte er sich, ob dies etwas sein konnte, was sein Pferd nicht sah.

Voraus rückte in der Silhouette vor dem aufgehenden Mond der Umriß des kleinen Ortes Hankey näher, tröstlich, obgleich er kein einziges Licht zeigte, und er knallte mit der Peitsche und sprach noch einmal, und dann waren die Ratten in einem Blitz über ihm!

Er hatte ein Gatter passiert, und in dem Moment sprang die vorderste Ratte in den Weg herüber. Das Vieh sprang aus der Unbestimmtheit in die äußerste Helle auf ihn los; das scharfe, gierige, rundäugige Gesicht, der lange Rumpf, der durch seine Bewegung übertrieben wurde; und was ihm besonders auffiel, die rosigen vorderen Schwimmfüße der Bestie. Was ihm die Sache damals am grauenhaftesten gemacht haben muß, war, daß er keine Ahnung hatte, daß das Vieh eins von den Schöpfungstieren war, die er kannte. Wegen der Größe erkannte er es nicht als Ratte. Sein Pferd machte einen Satz, als das Vieh neben ihm auf den Weg sprang. Die kleine Gasse erwachte vom Knall der Peitsche und dem Rufen des Doktors zum Tumult. Die ganze Geschichte kam plötzlich in Bewegung.

Klipp, klapp, krach, klapp.

Der Doktor, scheint es, stand auf, rief seinem Pferd zu und peitschte es mit aller Kraft. Die Ratte wand sich und wich bei seinem Schlage höchst beruhigend aus – im Schein seiner Lampe konnte er sehen, wie sich der Pelz unter der Peitsche furchte – und er peitschte immer von neuem, ohne auf den zweiten Verfolger zu achten und ihn zu bemerken, der ihn auf der anderen Seite einholte.

Er ließ die Zügel fahren und blickte nach rückwärts, wo er hinter sich die dritte Ratte auf der Verfolgung entdeckte ...

Sein Pferd setzte vorwärts. Die Chaise sprang aus einem Gleise hoch. Eine wahnsinnige Minute vielleicht schien alles in Sprüngen und Sätzen zu gehen ...

Es war nichts als gutes Glück, daß das Pferd gerade in Hankey stürzte und weder bevor noch nachdem die Häuser passiert waren.

Niemand weiß, wie das Pferd stürzte, ob es stolperte, oder ob die Ratte rechts es wirklich mit einem ihrer reißenden Zahnhiebe von oben nach unten packte (sie führte sie mit dem vollen Gewicht ihres Körpers aus); und der Doktor entdeckte erst, daß er selber gebissen war, als er im Hause des Ziegelmachers stand; viel weniger noch entdeckte er, wann der Biß geschah, aber gebissen war er, und zwar arg – ein langer Riß, ähnlich dem Riß eines Doppeltomahawks, der ihm zwei parallele Fleischbänder aus der Schulter gerissen hatte.

Er stand einen Moment aufrecht in seiner Chaise, und im nächsten war er zu Boden gesprungen, und obgleich er es nicht wußte, hatte er sich die Knöchel arg verstaucht, und er hieb wütend auf eine dritte Ratte ein, die direkt auf ihn losschoß. Er entsinnt sich des Satzes kaum, mit dem er oben über das Rad gesprungen sein muß, als die Chaise sich überschlug, so verwirrend heiß und rasch stürzten die Eindrücke auf ihn ein. Ich selber glaube, das Pferd bäumte sich, als ihm die Ratte von neuem nach dem Halse biß, und es stürzte zur Seite und riß die ganze Sache mit; und der Doktor sprang gleichsam instinktiv. Als die Chaise stürzte, explodierte das Bassin der Lampe und goß plötzlich einen Leuchtschein brennenden Öls, einen Strahl weißer Flammen in den Kampf hinein.

Das war das erste, was der Ziegelarbeiter sah.

Er hatte das Getrappel gehört, als der Doktor heranfuhr, und – obgleich des Doktors Erinnerung davon nichts weiß – sein wildes Schreien. Er war hastig aus dem Bett gesprungen, und als er das tat, kam der furchtbare Krach, und außerhalb der sich hebenden Jalousie schoß der Schein auf. »Es war heller als bei Tage,« sagte er. Er stand da, mit der Jalousieschnur in der Hand und starrte zum Fenster hinaus auf eine Alpverwandlung der vertrauten Straße vor ihm. Die schwarze Gestalt des Doktors mit seiner wirbelnden Peitsche tanzte vor den Flammen umher. Das Pferd schlug undeutlich aus, halb von der Flamme verborgen, eine Ratte am Hals. Im Dunkel vor der Kirchhofmauer leuchteten die Augen eines zweiten Ungeheuers. Ein drittes – eine bloße furchtbare schwarze Masse mit rot erleuchteten Augen und fleischfarbenen Händen – klammerte sich unstet auf der Mauer fest, auf die es beim Blitz der explodierenden Lampe gesprungen war.

 

Man kennt das spitze Gesicht einer Ratte, jene beiden scharfen Zähne, jene erbarmungslosen Augen. Vergrößert gesehen um nahezu sechsmal seine Lineardimensionen, und noch mehr vergrößert durch das Dunkel und den Schrecken und die springenden Launen einer hüpfenden Flamme, muß es für den Ziegelarbeiter – der noch mehr als halb schlief – ein schlimmer Anblick gewesen sein.

Dann hatte der Doktor die Gelegenheit erfaßt, die momentane Frist, die der grelle Schein ihm gab, und er war dem Ziegelarbeiter aus den Augen entschwunden und hämmerte unten mit dem dicken Ende seiner Peitsche gegen die Tür ...

Der Ziegelarbeiter wollte ihn nicht einlassen, ehe er Licht hatte.

Viele haben den Mann deswegen getadelt, aber ehe ich nicht meinen eigenen Mut als besser kenne, zögere ich, mich ihrer Zahl anzuschließen.

Der Doktor schrie und hämmerte ...

Der Ziegelarbeiter sagt, er weinte vor Angst, als die Tür schließlich aufging.

»Den Riegel,« sagte der Doktor, »den Riegel« – er konnte nicht mehr sagen: »den Riegel vor die Tür.« Er versuchte zu helfen und hinderte nur. Der Ziegelarbeiter verriegelte die Tür, und der Doktor mußte sich eine Zeitlang auf den Stuhl neben der Uhr setzen, ehe er nach oben gehen konnte ...

»Ich weiß nicht, was das für Bestien sind!« wiederholte er mehrere Male. »Ich weiß nicht, was das für Bestien sind!« – mit starkem Nachdruck auf dem »sind«.

Der Ziegelarbeiter hätte ihm Whisky geholt, aber der Doktor wollte nicht allein bleiben, wo gerade nichts als ein flackerndes Licht brannte.

Es dauerte lange, ehe der Ziegelarbeiter ihn dazu bringen konnte, hinauf zu gehen ...

Und als das Feuer aus war, kamen die Riesenratten zurück, holten das tote Pferd, schleppten es über den Kirchhof auf das Ziegelfeld und fraßen daran, bis die Dämmerung kam, und selbst da wagte noch niemand, sie zu stören ...

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