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Bartleby

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»Gehen Sie hinüber und sagen Sie Beißzange, er soll kommen.«

»Ich möchte nicht«, sagte er langsam und ehrerbietig und verschwand mit einer Miene der Sanftmut.

»Schön, schön, Bartleby«, sagte ich in einem gesammelten Ton, der, zwischen Strenge und Gelassenheit schwankend, meinen unabänderlichen Entschluß ausdrücken sollte, demnächst mit einem fürchterlichen Strafgericht aufzuwarten. Tatsächlich hatte ich dergleichen halb und halb im Sinn. Doch hielt ich es schließlich, zumal da die Stunde meines Nachtmahls herannahte, für geraten, meinen Hut aufzusetzen und für den heutigen Tag nach Hause zu gehen. Ratlosigkeit und Kümmernis quälten mich sehr.

Soll ich es gestehen? Das Ende des Handels bestand darin, daß als eine stehende Einrichtung meiner Kanzlei ein blasser junger Schreiber namens Bartleby ein Pult daselbst einnahm; daß er für mich kopierte, zum üblichen Satz von vier Gents für die Folioseite zu hundert Wörtern; daß er aber dauernd von der Pflicht entbunden war, seine Abschriften zu kollationieren, welche Pflicht den Herren Puter und Beißzange übertragen blieb, vermutlich in Anerkennung ihres höher entwickelten Scharfsinns. Überdies durfte besagter Bartleby niemals und unter keinen Umständen auch nur zu dem bescheidensten Botengang entsandt werden, und auch wenn er höflichst gebeten wurde, dergleichen auf sich zu nehmen, mußte damit gerechnet werden, daß er »lieber nicht mochte« – mit anderen Worten, daß er sich rundheraus weigerte.

Die Tage gingen dahin, und ich machte mehr und mehr meinen Frieden mit Bartleby. Seine solide Art, die ihn allen Zerstreuungen abgeneigt machte, sein unermüdlicher Fleiß (wenn er nicht gerade einmal, hinter seinem Wandschirm stehend, in eine gewisse Träumerei verfiel), seine Lautlosigkeit, sein unter allen Umständen gleichbleibendes Benehmen – all dies machte ihn zu einer wertvollen Erwerbung. Ganz unübertrefflich war dies: er war stets zugegen – morgens der Erste am Platze, tagsüber ständig anwesend, und abends der Letzte. Auf seine Ehrlichkeit verließ ich mich felsenfest. Meine wertvollsten Papiere, fühlte ich, waren in seinen Händen völlig sicher. Natürlich kam es dann und wann vor, daß ich, ob ich wollte oder nicht, in eine plötzliche jähzornige Aufwallung ihmgegenüber geriet. Es war über alle Maßen schwierig, sich beständig die seltsamen Eigenbröteleien, Vorrechte und unerhörten Ausnahmebestimmungen vor Augen zu halten, die für Bartleby die stillschweigenden Voraussetzungen seines weiteren Wirkens in meinem Büro bildeten. Bisweilen forderte ich in der Eile drängender Geschäfte Bartleby, ohne mir Böses dabei zu denken, in einem kurzen, hastigen Ton dazu auf, sagen wir seinen Finger auf eine im Entstehen begriffene Schleife zu legen, wenn ich Papiere mit rotem Faden zu heften gedachte. Wie sich denken läßt, kam hinter der spanischen Wand hervor unweigerlich die übliche Antwort: »Möchte lieber nicht«, und wie konnte da ein menschliches Geschöpf, behaftet mit den Schwächen der Menschennatur, umhin, sich bitter über dergleichen Widersinn, dergleichen Unvernunft zu beklagen? Immerhin trug jede neue Zurechtweisung, die ich mir auf solche Art zuzog, weiter dazu bei, daß sich die Wahrscheinlichkeit fernerer Unachtsamkeit meinerseits verminderte.

Es ist hier zu berichten, daß ich, wie die meisten in dichtbesiedelten Juristenhäusern praktizierenden Rechtskundigen, mehrere Schlüssel zu meiner Kanzleitür besaß. Den einen hatte eine Frau in Aufbewahrung, die, im Dachgeschoß wohnhaft, meine Räume täglich fegte und abstaubte und einmal wöchentlich gründlich sauber machte. Einen zweiten hatte aus praktischen Gründen Puter in Verwahr. Den dritten hatte ich selber manchmal in der Tasche. Wer den vierten hatte, wußte ich nicht.

An einem Sonntagmorgen nun besuchte ich zufällig die Trinity Kirche, um einen berühmten Prediger zu hören, und war etwas zu früh zur Stelle, weshalb ich mich entschloß, noch kurz in meine Kanzlei hinüberzugehen. Zum Glück hatte ich meinen Schlüssel bei mir; als ich ihn aber ins Schloß steckte, stieß ich auf einen Widerstand und merkte, daß von innen etwas im Türschloß stak. In meiner Überraschung tat ich einen lauten Ausruf, und wer beschreibt mein Staunen, als innen der Schlüssel gedreht wurde und Bartleby durch die halb offen gehaltene Tür sein hageres Gesicht zu mir herausstreckte – eine Erscheinung in Hemdsärmeln und merkwürdig zerlumptem Morgenrock – und mir in aller Ruhe erklärte, es tue ihm leid, er habe aber gerade im Augenblick dringend zu tun und – möchte mich lieber nicht einlassen. In knappen Worten fügte er hinzu, es sei vielleicht angezeigt, daß ich zwei- oder dreimal um den Häuserblock herumspazierte; bis dahin werde er voraussichtlich mit seinen Angelegenheiten zu Ende sein.

Bartlebys durchaus unvermutete Erscheinung als Sonntagmorgengast in meiner Anwaltskanzlei, seine abgestorbene und doch weltmännische Nonchalance dabei, die gepaart war mit einer großen Bestimmtheit und Kaltblütigkeit – all das zusammen machte auf mich einen so seltsamen Eindruck, daß ich mich unwillkürlich von meiner eigenen Tür davonschlich und seinem Verlangen nachkam. Allerdings nicht ohne viel ohnmächtiges inneres Aufbegehren gegen die sanfte Frechheit meines rätselhaften Schreibers. Es war ja in der Tat vor allem seine erstaunliche Sanftmut, die mich nicht nur entwaffnete, sondern schon förmlich entmannte. Denn das möchte ich doch wohl einen Zustand der Entmannung nennen, wenn man sich von seinem bezahlten Angestellten Vorschriften machen und aus dem eigenen Geschäftslokal hinausweisen läßt. Zu allem anderen beunruhigte mich die Frage, was Bartleby am Sonntagmorgen in Hemdsärmeln und einem auch sonst verwahrlosten Aufzug in meinem Büro verloren hatte. Gingen da fragwürdige Dinge vor sich? Nein, das war ausgeschlossen. Keinen Augenblick wagte ich zu denken, daß Bartleby etwa gegen die Gebote der Sittlichkeit verstoßen könne. Aber was trieb er dort? Kopierte er etwa? Wiederum nein: bei all seiner Verschrobenheit war Bartleby ein Mensch, der ungemein auf äußeren Anstand hielt. Er wäre der Letzte gewesen, der sich in einem auch nur einigermaßen entblößten Zustande an seinem Pult niedergelassen hätte. Außerdem war Sonntag, und etwas an Bartleby entkräftete von vornherein den Verdacht, als könne er mit weltlicher Beschäftigung den Tag des Herrn schänden. Doch kam ich keineswegs mit mir ins reine, und ruhelos vor Neugierde kehrte ich schließlich an meine Tür zurück. Ohne Behinderung steckte ich den Schlüssel ins Schloß, öffnete und trat ein. Bartleby war nicht zu sehen. Ich schaute mich aufs genaueste um, guckte auch hinter seinen Wandschirm, müßte aber bald erkennen, daß er fort war. Bei genauerer Untersuchung der Örtlichkeit drängte sich mir die Vermutung auf, daß Bartleby offenbar seit einer nicht näher zu bestimmenden Zeit in meiner Kanzlei gegessen, sich angekleidet und geschlafen hatte, und zwar ohne Geschirr, ohne Spiegel und Bett. Die gepolsterte Sitzfläche eines wackligen alten Sofas trug in einer Ecke den schwachen Abdruck einer mageren Gestalt, die dort geruht hatte. Unter seinem Pult fand ich eine zusammengerollte Wolldecke; unter dem leeren Kaminrost Schuhwichse und Bürste; auf einem Stuhl ein Blechgefäß mit Seife und zerrissenem Handtuch; in eine Zeitung eingeschlagen einige Pfeffernußkrumen und ein Stückchen Käse. Ja, dachte ich, nun ist es klar: Bartleby hat sein Heim hier aufgeschlagen und ganz allein einen Junggesellenhaushalt geführt. Sogleich überfiel mich auch der Gedanke, welch unendlich freundearmes, einsames und elendes Leben hier zutage käme. Arm ist er im höchsten Maß – aber nun erst seine Einsamkeit, wie entsetzlich! Man bedenke nur: am Sonntag ist Wall Street verlassen wie Petra, die Ruinenstadt; und auch an jedem gewöhnlichen Werktag versinkt sie nachts ins Leere. Und das Haus hier, das während der Woche von Leben und Betriebsamkeit summt, hallt bei Einbruch der Nacht wider vor Verlassenheit, und den ganzen Sonntag regt sich keine Menschenseele dort. Und hier schlägt Bartleby sein Heim auf: einziger Betrachter der Einsamkeit, die er auch menschenüberfüllt gekannt hat – ein anderer, unschuldiger Marius, auf Karthagos Trümmern brütend!

Zum ersten Mal in meinem Leben ergriff mich ein Gefühl überwältigender, herzverzehrender Schwermut. Bis dahin hatte ich dergleichen nicht gekannt, nur eine leichte, nicht unangenehme Art von Melancholie. Jetzt aber zog mich die Fessel gemeinsamen Menschentums unwiderstehlich in Trübsinn hinab. Brüderliche Schwermut! – denn beide, Bartleby und ich, waren wir ja Adams Söhne. Die prächtigen Seidenkleider, die von Wohlleben gerundeten Gesichter kamen mir in den Sinn, die ich heute erst, in ihrem Sonntagsstaat, schwanengleich den Mississippi des Broadway hatte hinabgleiten sehen; und ich stellte mein blaßgesichtiges Schreiberlein dagegen und dachte bei mir: Siehe, das Glück wiegt sich im Licht, also daß wir uns bedünken lassen, die Welt sei heiter; das Elend aber verbirgt sich, also will uns bedünken, es gebe des Elends nicht. Diese traurigen Phantasien – Hirngespinste sicher eines kranken, dumpfen Kopfes – führten mich weiter zu anderen, mehr ins Einzelne gehenden Gedanken über Bartlebys wunderliches Wesen. Das Vorgefühl seltsamer Entdeckungen tastete auf mich zu. Des Schreibers bleiche Gestalt trat mir vor Augen: unter lauter fremden gleichgültigen Menschen lag er hingestreckt, frostblaß im Leichentuch.

Unvermittelt zog Bartlebys verschlossenes Schreibpult meine Aufmerksamkeit auf sich. Der Schlüssel stak deutlich sichtbar im Schloß.

Ich plane nichts Unrechtes, will auch keine herzlose Neugier stillen, dachte ich bei mir; außerdem gehört das Pult mir und der Inhalt ebenso; also darf ich mich wohl erdreisten und hineinschauen. Alles war ordentlich eingerichtet; die Papiere lagen sauber geschichtet. Die Fächer reichten tief nach innen: ich schob die Aktenfaszikel beiseite und tastete ins Dunkle. Plötzlich stieß ich gegen etwas und zog es hervor. Es war ein altes seidenes Schnupftuch, schwer und wohl verknotet. Ich machte es auf und sah: es diente als eine Art Sparstrumpf.

 

Mit einem Schlag kamen mir die stillen Heimlichkeiten wieder in den Sinn, die ich an dem Menschen wahrgenommen hatte. Er sprach nur, wenn er Antwort geben mußte; ich hatte ihn, obwohl er zuweilen ganz viel Zeit für sich hatte, nie lesen sehen, nicht einmal eine Zeitung; oft stand er lang an seiner blassen Fensterluke hinter der spanischen Wand und blickte auf die blinde Ziegelmauer hinaus. Nie ging er zu einem Mittagstisch oder Speisehaus, und sein blasses Gesicht bezeugte hinlänglich, daß er auch kein Bier trank, wie Puter, und auch nicht Tee oder Kaffee wie andere Leute. Niemals, es hätte denn hinter meinem Rücken geschehen müssen, begab er sich zu irgend einer Veranstaltung; er ging auch nicht spazieren, es sei denn im gegenwärtigen Augenblick, Und er hatte es abgelehnt mir zu sagen, wer er sei, woher er kam, ob er irgendwo Verwandte besaß. Auch klagte er, so mager und bleich er aussah, nie über schlechte Gesundheit. Am stärksten aber stand mir der unbewußte Ausdruck eines – wie soll ich es nennen? – eines fahlen Hochmuts vor Augen, oder vielleicht besser gesagt einer herben Zurückhaltung, die mich buchstäblich eingeschüchtert hatte, so daß ich mich auf alle seine Wunderlichkeiten einließ, sobald ich fürchten mußte, etwas noch so Geringfügiges, außer der Reihe Liegendes von ihm zu verlangen. Und das auch dann, wenn ich nach seiner langanhaltenden Regungslosigkeit ganz genau wußte, daß er hinter seinem Wandschirm nur dastand und träumerisch auf seine Feuermauer hinausstarrte.

Das alles überlegte ich bei mir und hielt es mit der soeben entdeckten Tatsache zusammen, daß Bartleby meine Kanzlei zu seinem dauernden Absteigequartier und Wohnsitz erkoren hatte; auch erinnerte ich mich seines launenhaften und mürrischen Wesens und fühlte, indem ich mir dies alles vergegenwärtigte, eine Stimmung der nüchternen Überlegung über mich kommen. Mein erstes Empfinden war das einer reinen Schwermut und aufrichtigen Mitleids gewesen. Je mehr aber Bartlebys Verlassenheit in meiner Phantasie sich steigerte und immer noch steigerte, desto mehr steigerte sich auch meine Schwermut zur Furcht, mein Mitleid zum Widerwillen. So wahr es ist, so schrecklich wahr, daß der Anblick oder die Vorstellung des Elends bis zu einem gewissen Punkt unsere besten Regungen wachruft, so gilt doch in gewissen besonders gelagerten Fällen die Tatsache, daß jenseits jenes Punktes die Wirkung aufhört. Irrtümlich wäre die Behauptung, daß daran einfach die angeborene Selbstsucht des Menschenherzens schuld sei. Es kommt vielmehr aus der Aussichtslosigkeit, einem allzu grenzenlosen organischen Übel zu steuern und Heilung zu spenden. Für ein empfindsames Gemüt ist Mitleid nicht selten Schmerz. Wenn sich dann schließlich herausstellt, daß das Mitleid doch zu keiner wirklichen Hilfe führt, verlangt die Selbsterhaltung, daß sich die Seele davon frei macht. Was ich an jenem Morgen sah, brachte mich zu der Überzeugung, daß mein Schreiber an einer angeborenen, unheilbaren Krankheit litt. Ich konnte seinem Leib gewisse almosenartige Erleichterungen zuteil werden lassen; aber sein Leib quälte ihn ja nicht, sondern seine Seele war es, die litt, und seine Seele konnte ich nicht erreichen.

Meine Absicht, in die Trinity Kirche zu gehen, blieb an jenem Morgen unausgeführt. Was ich gesehen hatte, machte mich für den Augenblick irgendwie ungeeignet zum Kirchbesuch. Ich wanderte statt dessen heimwärts, in Überlegungen versunken, was mit Bartleby zu geschehen habe. Schließlich kam ich zu folgendem Entschluß. Ich wollte ihm am nächsten Morgen in aller Ruhe einige Fragen stellen, seinen Lebenslauf und dergleichen betreffend, und wenn er es ablehnte, sie offen und rückhaltlos zu beantworten (und ich vermutete allerdings, daß er es »lieber nicht« tun würde), so wollte ich ihm über das hinaus, was ich ihm schuldig war, einen Zwanzig-Dollar-Schein geben und ihm erklären, daß ich seiner Dienste nicht länger bedürfe. Zu jeder anderen Hilfe jedoch, würde ich ihm erklären, sei ich mit Freuden bereit; vor allem würde ich, wenn er an seinen Heimatort zurückkehren wollte (wo der auch immer liegen mochte), mich gern an den Kosten beteiligen. Nicht nur das; auch wenn er nach seiner Heimkehr irgendwann der Hilfe bedürfe, brauche er mir nur zu schreiben und werde sicher eine Antwort bekommen.

Der nächste Morgen kam heran.

»Bartleby«, sagte ich; ich, rief es, so sanft ich konnte, hinter seinen Wandschirm.

Keine Antwort.

»Bartleby«, sagte ich noch sanfter. »Kommen Sie her. Ich werde Ihnen nichts auftragen, was Sie lieber nicht tun möchten. Ich möchte nur mit Ihnen sprechen.«

Daraufhin kam er lautlos zum Vorschein.

»Wollen Sie mir sagen, Bartleby, wo Sie geboren sind?«

»Ich möchte lieber nicht.«

»Wollen Sie mir überhaupt Auskunft über sich geben?«

»Ich möchte lieber nicht.«

»Was haben Sie denn um Gotteswillen für einen Grund, daß Sie nicht mit mir sprechen wollen? Ich meine es doch gut mit Ihnen.«

Er schaute mich nicht an, während ich sprach, sondern hielt seinen Blick auf meine Cicerobüste geheftet, die sich unmittelbar hinter meinem Stuhl befand, sechs Zoll hoch über meinem Kopf.

»Was haben Sie zu antworten, Bartleby?« sagte ich, nachdem ich längere Zeit gewartet hatte. Sein Antlitz blieb die ganze Zeit regungslos, nur um den weißen, eingetrockneten Mund bebte es kaum wahrnehmbar.

»Ich möchte im Augenblick lieber keine Antwort geben«, sagte er und zog sich in seine Klause zurück.

Ich gebe zu, es war kein Zeichen meiner Stärke – aber seine Art bei diesem Gespräch erbitterte mich. Zunächst einmal schien sich darin eine gewisse stille Nichtachtung zu verbergen; und außerdem wirkte seine Halsstarrigkeit undankbar auf mich, nach all der unbestreitbar guten Behandlung und Nachsicht, die ihm von mir zuteil geworden war.

Wieder saß ich da und grübelte, was zu tun sei. Ich, war gekränkt über sein Verhalten und hatte, als ich ins Büro kam, den festen Entschluß in mir getragen, ihn zu entlassen – und doch fühlte ich etwas wie bange Ahnung an mein Herz pochen und mir sagen, ich dürfe keinesfalls meine Absicht ausführen, es wäre ein wahrer Schurkenstreich, wenn ich auch nur ein bitteres Wort gegen dieses verlassenste Geschöpf auf Gottes Erde von mir gäbe. Ich schleppte schließlich wie ein guter Freund meinen Stuhl hinter seinen Wandschirm, setzte mich zu ihm und sagte: »Bartleby, lassen wir es gut sein – Sie brauchen mir nichts aus Ihrem Leben zu offenbaren – nur das eine bitte ich Sie, unter Freunden: fügen Sie sich, soweit als möglich, in die Gepflogenheiten unserer Kanzlei ein. Sagen Sie nur, daß Sie morgen oder übermorgen auch mitmachen wollen, wenn wir Manuskripte kollationieren. Ich meine, sagen Sie mir, daß Sie in den nächsten Tagen anfangen wollen, ein bißchen vernünftig zu sein – sagen Sie mir nur das, Bartleby!«

»Im Augenblick möchte ich lieber nicht ein bißchen vernünftig sein«, war seine geisterhaft milde Antwort.

In diesem Augenblick öffnete sich die Flügeltür und Beißzange kam herein. Er hatte offenbar eine ungewöhnlich schlechte Nacht hinter sich; sein Magenleiden hatte sich wohl schlimmer geäußert als sonst. Er hörte Bartlebys letzte Worte eben noch mit an.

»Möchte lieber nicht, he?«, knirschte er. »Dem Möchtenicht würde ich's mal zeigen, wenn ich Sie wäre, Sir – –« – an mich gewandt – »– ich würde ihm mal zeigen, was Mögen ist, dem Möchtenicht, dem Maulesel, dem störrischen! Was ist es denn schon wieder, Sir, bitte schön, was er lieber nicht möchte?«

Bartleby rührte kein Glied.

»Herr Nippers«, sagte ich, »ich möchte lieber, Sie zögen sich eine Weile zurück.«

Auf rätselhafte Weise hatte ich es mir neuerdings angewöhnt, das Wort »möchte lieber« bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten zu verwenden. Ich zitterte bei dem Gedanken, daß meine nahe Berührung mit meinem Schreiber mich womöglich bereits ernstlich geistig geschädigt habe. Zu welchen weiteren und tieferen Verirrungen mochte es noch kommen? Die Besorgnis davor war nicht ohne Einwirkung auf meinen Entschluß gewesen, zu summarischen Maßregeln zu greifen. Beißzange war kaum verschwunden, mit äußerst sauerem und verdrießlichem Gesicht, als Puter geschmeidig und ergeben seine Aufwartung machte.