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Bartleby

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Ich glaube, diese weise und gesegnete Gemütsverfassung wäre mir erhalten geblieben, wenn mir nicht meine Geschäftsfreunde, wenn sie mein Büro besuchten, mit ihren ungebetenen und unbarmherzigen Bemerkungen in die Parade gefahren wären. So geht es ja oft; der stete Tropfen engherziger Gesinnungen höhlt schließlich den Stein der besten und großmütigsten Entschlüsse. Es war ja allerdings, wenn ich's recht überlege, nicht weiter erstaunlich, daß die Besucher meiner Kanzlei vom wunderlichen Anblick des unerklärlichen Bartleby einigermaßen betroffen waren und sich zu abschätzigen Bemerkungen über ihn veranlaßt sahen; So kam es wohl vor, daß ein Anwalt, der geschäftlich mit mir zu tun hatte und bei mir vorsprach, dort nur meinen Schreiber antraf und sich von ihm genauer auseinandersetzen lassen wollte, wo ich zu finden sei. Bartleby jedoch achtete überhaupt nicht auf des Besuchers müßiges Gerede, sondern blieb unbeweglich mitten im Zimmer stehen. Dem Anwalt blieb nichts anderes übrig als sich den Mann eine Weile anzusehen und dann von dannen zu gehen, nicht klüger als zuvor.

Oder es war eine Zeugenvernehmung im Gang, der Raum war voll von Rechtsanwälten und Zeugen, und die Geschäfte drängten; dann entdeckte vielleicht einer von den anwesenden, tief beschäftigten Advokaten den so gänzlich untätigen Bartleby und ersuchte ihn, er möge doch rasch in seine (des Advokaten) Kanzlei hinübergehen und dies oder jenes Schriftstück für ihn holen. Die Folge war, daß Bartleby gelassen ablehnte, jedoch ebenso müßig blieb wie vorher. Der Rechtsanwalt machte dann gewöhnlich ein langes Gesicht und wandte sich an mich. Was konnte ich ihm aber sagen? Mit der Zeit mußte ich mir eingestehen, daß überall im Kreise meiner Geschäftsfreunde geflüstert und getuschelt wurde, was ich da für eine seltsame Kreatur in meiner Kanzlei beherbergte. Das war für mich doch sehr quälend und unangenehm. Der Gedanke dämmerte in mir auf, daß Bartleby womöglich uralt werden, in alle Ewigkeit meine Kanzlei bewohnen und meine Autorität in Frage stellen könnte. Er würde meine Besucher erschrecken und auf meinen geschäftlichen Ruf ein übles Licht werfen; er würde als eine Art Spuk meines Geschäftslokals gelten, würde dabei bis zum Schluß mit seinen Ersparnissen Leib und Seele zusammenhalten (denn was brauchte er schon? noch keine fünf Cent am Tag!) und mich womöglich noch überleben und mit dem Rechte seiner beständigen Anwesenheit Ansprüche auf meine Kanzlei erheben. Diese und andere düsteren Ahnungen bedrängten mich mehr und mehr, und dazu kamen meine Freunde mit ihren unablässigen, unbarmherzigen Bemerkungen über die Erscheinung in meinem Büro – kurz, es kam in mir zu einer großen Wandlung. Ich beschloß alle Kraft zusammenzunehmen und mich ein für allemal von dem unerträglichen Alp zu befreien.

Bevor ich mir indessen irgendwelche umständlichen Pläne zu diesem Zweck zurechtlegte, legte ich Bartleby noch einmal nahe, das Schickliche zu tun und endgültig abzureisen. In ruhigem, ernstem Ton empfahl ich meinen Vorschlag seiner sorgfältigen und reiflichen Überlegung. Er nahm sich drei Tage Bedenkzeit und benachrichtigte mich dann, sein ursprünglicher Entschluß bestehe nach wie vor: er möchte, kurz gesagt, lieber bei mir wohnen bleiben.

Was soll ich tun? sagte ich nun zu mir selbst und knöpfte meinen Rock bis zum obersten Knopf zu. Was soll ich tun? Was tut man in dieser Lage? Was rät mir mein Gewissen, mit diesem Menschen, diesem Gespenst zu beginnen? Loswerden muß ich ihn; gehen soll er mir. Aber wie? Du wirst ihn doch nicht, den armen, blassen, niemandem ein Haar krümmenden Menschen – du wirst ihn doch nicht in seiner Hilflosigkeit einfach zur Tür hinaus werfen? Du wirst dir doch nicht die Schande einer solchen Grausamkeit antun? Nein, das will ich nicht, das kann ich nicht. Lieber laß ich ihn schon hier leben und sterben und maure seine Überreste in die Hauswand ein. Gut, was willst du also tun? Wenn du ihm auch noch so süß zuredest, er rührt sich nicht vom Fleck. Bestechungsgeld läßt er einfach unter deinem Briefbeschwerer auf dem Schreibtisch liegen. Mit einem Wort: ganz offensichtlich möchte er lieber hier bei dir hängen bleiben.

Also muß etwas Durchschlagendes, etwas Ausgefallenes geschehen. Aber was? Du willst ihm doch sicher nicht den Wachtmeister auf den Hals hetzen und dieses bleiche Unschuldsgebilde kurzerhand ins Kittchen bringen? Außerdem: aus welchem Grunde könntest du dergleichen überhaupt bewirken? – Ein Landstreicher, ist er das? Wie – er ein Landstreicher, ein Herumwanderer – er, der sich überhaupt nicht von der Stelle rührt? Weil er kein Landstreicher sein möchte, willst du ihn als Landstreicher anschwärzen! – Das ist doch zu unsinnig! Keine nachweisbaren Unterhaltsmittel – da habe ich Ihn! Nein, wieder falsch: denn zweifellos unterhält er sich, und das ist der einzige unanfechtbare Beweis, daß man die Mittel dazu besitzt. Nichts weiter also. Da er mich nicht verlassen will, muß ich ihn verlassen. Ich wechsle meine Kanzlei; ich ziehe woanders hin und lasse ihn wissen, daß ich ihn bei einem Betreten meines neuen Lokals als unbefugten Eindringling gerichtlich belange.

Diesem Vorsatz gehorchend sprach ich meinen Bartleby anderen Tages folgendermaßen an: »Meine Kanzlei liegt mir doch zu weit vom Rathaus entfernt; außerdem ist die Luft unbekömmlich. Kurz und gut, ich beabsichtige, nächste Woche mein Büro zu verlegen, und werde Ihre Dienste nicht länger benötigen. Ich sage es Ihnen schon heute, damit Sie sich einen anderen Posten suchen können.«

Er gab keine Antwort und wir sprachen nicht länger darüber.

Am festgesetzten Tage mietete ich Wagen und Arbeiter, fuhr zur Kanzlei und hatte, da mir wenig Einrichtungsgegenstände vorhanden waren, den Umzug in einigen Stunden hinter mich gebracht. Mein Schreiber blieb, während der ganzen Zeit hinter seiner spanischen Wand stehen, die ich wohlweislich als letzten Gegenstand entfernen ließ. Endlich kam auch sie an die Reihe; sie wurde zusammengefaltet wie ein riesiger Foliant, und der hinter ihr stehende blieb als regungsloser Bewohner in einem kahlen Raum zurück. Ich stand noch unter der Tür und betrachtete ihn einen Augenblick, während eine Art innerer Vorwurf in mir emporkroch. Ich trat noch einmal ein, die Hand in der Tasche – und, ich muß es gestehen, in atemloser Spannung.

»Leben Sie wohl, Bartleby, ich gehe jetzt – leben Sie wohl, und Gott segne Sie, so gut es geht. Hier, nehmen Sie –« ich schob ihm etwas in die Hand, aber es fiel zu Boden – und da – seltsam zu sagen – riß ich mich schier mit Gewalt von ihm, den loszuwerden ich mich so gesehnt hatte.

Als ich in meiner neuen Kanzlei eingerichtet war, hielt ich erst einmal einige Tage die Tür verschlossen und fuhr bei jedem Schrittegeräusch auf den Gängen zusammen. Kam ich nach kurzer Abwesenheit ins Büro zurück, so hielt ich auf der Schwelle einen Augenblick inne und lauschte erst angestrengt, ehe ich meinen Schlüssel ins Schlüsselloch schob. Meine Furcht war jedoch unnütz. Bartleby nahte sich mir nicht.

Ich dachte schon, alles ginge gut, als mich ein verstört aussehender Herr aufsuchte und wissen wollte, ob ich der Mann sei, der bis vor kurzem Kanzleiräume in der Wall Street Nr… . innegehabt hatte.

Voll böser Ahnungen sagte ich, ja, der sei ich.

»Dann, Sir«, sagte der Fremde, der sich als Rechtsanwalt zu erkennen gab, »sind Sie für den Mann verantwortlich, den Sie dort zurückgelassen haben. Er will keine Kopierarbeit machen, er will überhaupt nichts tun; er sagt nur immer, er möchte lieber nicht, und das Lokal zu verlassen, weigert er sich auch.«

»Ich bedaure unendlich, Sir«, sagte ich mit angenommener Ruhe, innerlich aber zitternd und zagend, »aber der Mann, von dem Sie sprechen, geht mich nichts an. Er ist weder mit mir verwandt noch steht er bei mir in Dienst – ich wüßte also nicht, inwiefern ich für ihn verantwortlich sein sollte.«

»Aber in Gottes Namen: wer ist denn der Mann?«

»Ich kann Ihnen leider keine Auskunft geben. Ich weiß nichts von ihm. Ich habe ihn eine Zeitlang als Kopisten beschäftigt, er hat aber schon eine ganze Weile nicht mehr für mich gearbeitet.«

»Dann werde ich also selbst die Sache mit ihm ins reine bringen – guten Morgen, Sir.«

Mehrere Tage vergingen, und ich hörte nichts mehr. Mehr als einmal empfand ich eine barmherzige Regung, die mich anhalten wollte, in meiner alten Kanzlei vorzusprechen und den armen Bartleby zu besuchen, aber eine gewisse Scheu, ich weiß nicht wovor, hielt mich zurück.

Die Sache ist ja inzwischen doch vorüber, dachte ich mir, als mich eine weitere Woche hindurch keine neue Nachricht erreichte. Aber schon am Tage darauf fand ich beim Eintreffen in meinem Büro mehrere aufs höchste empörte Menschen vor meiner Tür warten.

»Das ist er – da kommt er!« rief der Vorderste von ihnen. Ich erkannte ihn: es war der Rechtsanwalt, der mich damals allein aufgesucht hatte.

»Sie müssen ihn auf der Stelle wegholen, Sir«, rief ein wohlbeleibter Mensch und trat auf mich zu. Auch ihn kannte ich: es war der Hausherr von Wall Street Nr… . »Diese Herren, meine Mieter, halten es nicht länger aus. Herr B. –« er deutete auf den Rechtsanwalt, »hat ihn aus der Kanzlei gewiesen, nun treibt er sich überall im Hause herum, sitzt bei Tag auf dem Treppengeländer und schläft nachts unter der Tür. Das ist für alle Beteiligten lästig; die Kundschaft fängt schon an, die Kanzleien zu meiden, und manche fürchten, es entwickelt sich ein öffentlicher Skandal daraus. Sie müssen unbedingt etwas unternehmen, und zwar unverzüglich.«

Ich war schreckensstarr über diesen Sturzbach und hätte mich in meines Nichts durchbohrendem Gefühl am liebsten in meinem neuen Büro eingeschlossen. Vergeblich berief ich mich darauf, daß Bartleby mich nichts angehe – nicht mehr als irgend jemanden sonst. Vergeblich: ich war der letzte, von dem man wußte, daß er mit ihm zu schaffen gehabt hatte, und sie hielten sich an mir schadlos. Gepeinigt von dem Gedanken, man könne mich in der Presse bloßstellen (denn das hatte einer der Anwesenden in dunklen Andeutungen angedroht), überlegte ich hin und her und erklärte schließlich, wenn mir der Rechtsanwalt in seinem Büro Gelegenheit zu einer vertraulichen Besprechung mit dem Schreiber gebe, wollte ich noch desselbigen Nachmittags nach besten Kräften versuchen, die Herrschaften von der mir geschilderten Plage zu befreien.

 

Als ich zu meinem alten Quartier hinaufstieg, fand ich Bartleby still auf dem Treppengeländer sitzen, da, wo die Treppe einen Absatz machte,

»Was tun Sie hier, Bartleby?« sagte ich.

»Ich sitze auf dem Treppengeländer«, erwiderte er milde.

Ich winkte ihm, mir in das Anwaltsbüro zu folgen; dort ließ man uns allein.

»Bartleby«, sagte ich, »ist es Ihnen bekannt, daß Sie den Anlaß zu mir sehr beschwerlichen Mißverständnissen geben, indem Sie sich hartnäckig hier im Hauseingang herumtreiben, nachdem man Sie aus dem Büro hinausgewiesen hat?«

Keine Antwort.

»Es muß jetzt eines oder das andere geschehen. Entweder Sie fassen einen Entschluß oder er wird über Ihren Kopf weg gefaßt. In was für einem Berufszweig würden Sie sich gern betätigen? Möchten Sie wieder für jemanden Abschreibearbeiten machen?«

»Nein, ich möchte mich lieber nicht verändern.«

»Würde Ihnen ein Posten als Kommis in einem Kurzwarengeschäft zusagen?«

»Da ist man zu sehr an einen Fleck gebunden. Nein, ein Posten als Kommis sagt mir nicht zu – ich bin aber nicht wählerisch.«

»Zu sehr an einen Fleck gebunden«, rief ich. »Sie binden sich ja selber an einen Fleck!«

»Nein, einen Posten als Kommis möchte ich lieber nicht annehmen«, versetzte er, als wolle er diesen bescheidenen Punkt sofort geklärt wissen.

»Und wie wäre es mit einem Posten als Schenkkellner? Dabei strengt man die Augen nicht an.«

»Das würde mir in keiner Weise zusagen – obwohl ich, wie gesagt, nicht wählerisch bin.«

Seine ungewohnte Gesprächigkeit ermutigte mich. Ich versuchte von neuem mein Heil.

»Na schön – vielleicht möchten Sie im Land herumreisen und für Kaufleute Rechnungen einziehen? Das käme Ihrer Gesundheit zustatten.«

»Nein, ich möchte lieber etwas anderes tun.«

»Aha – und als Reisebegleiter nach Europa fahren, einen jungen Herrn gesellschaftlich unterhalten – wie würde Ihnen das passen?«

»Sehr schlecht. Für mein Gefühl ist da gar nichts Dauerndes dabei. Ich möchte gern seßhaft werden. Aber ich bin nicht wählerisch.«

»So, seßhaft? Na, seßhaft sollen Sie also werden!« schrie ich ihn an, denn ich verlor nun alle Geduld und geriet zum erstenmal, seit ich diese auf die Nerven gehende Bekanntschaft unterhielt, in eine wirkliche Wut. »Wenn Sie nicht bis heute abend dieses Grundstück verlassen, sehe ich mich veranlaßt – und nicht nur veranlaßt, sondern verpflichtet – das – das Grundstück selbst zu verlassen … « Ich kam zu diesem etwas sinnlosen Schluß, weil ich nicht wußte, mit welcher Drohung es mir gelingen möchte, den unbeweglichen Gesellen hinlänglich zur Raison zu bringen. Jede weitere Bemühung schien mir unnütz, und ich wollte schon davonstürzen, als mir ein letzter Einfall kam – ein Einfall, mit dem ich auch vorher schon zuweilen geliebäugelt hatte.

»Bartleby«, sagte ich, so freundlich ich es in meiner gegenwärtigen Erregung vermochte, »wollen Sie mit mir nach Hause kommen – nicht in mein Büro, sondern zu mir in meine Wohnung? Und bei mir bleiben, bis wir uns in aller Ruhe und Gemütlichkeit auf einen passenden Ausweg geeinigt haben? Kommen Sie, wir wollen gleich zusammen losziehen!«

»Nein, im Augenblick möchte ich mich lieber überhaupt nicht verändern.«

Ich gab keine Antwort mehr. In jäher, rascher Flucht, die mich denn auch vor jeder Begegnung bewahrte, stürzte ich auf die Straße hinaus, lief die Wall Street hinauf nach dem Broadway und sprang dort in den ersten Omnibus, der mich bald jeder Verfolgung entzog. Sobald mir die ruhige Besinnung wiederkehrte, konnte ich mir in voller Deutlichkeit sagen, daß ich das Menschenmögliche getan hatte, sowohl mit Rücksicht auf die Forderungen des Hausherrn und seiner Mieter, wie auch im Hinblick auf meinen Wunsch und mein Pflichtgefühl, die mich drängten, Bartleby Gutes zu tun und ihn vor roher Verfolgung zu bewahren. Ganz bewußt strebte ich nun nach einer Gemütsstimmung der Ausgeglichenheit und Sorglosigkeit, und mein Gewissen gab mir darin recht – aber freilich, ganz so wie ich wollte, gelang mir der Versuch nicht. Meine Furcht, der aufs äußerste gereizte Hausherr und seine ergrimmten Mieter könnten mir aufs neue auf den Hals kommen, war so groß, daß ich Beißzange für einige Tage mit der Führung des Geschäfts beauftragte und in meinem Kütschchen in die obere Stadt und in die Vororte hinausfuhr. Auch nach Jersey City und Hoboken setzte ich über und stattete Manhattanville und Astoria flüchtige Besuche ab. Ich lebte während dieser Zeit geradezu in meiner Kutsche.

Als ich wieder in die Kanzlei kam, lag denn auch tatsächlich ein Brief von dem Hausherrn auf meinem Pult. Ich öffnete ihn mit zitternder Hand. Mir wurde mitgeteilt, der Absender habe nach der Polizei geschickt und Bartleby als Landstreicher in die sogenannten Gräber einliefern lassen. Da ich besser über ihn Bescheid wisse als sonst jemand, ersuche er mich, dort vorzusprechen und den Hergang in zweckmäßiger Weise zu Protokoll zu geben. Die Nachricht machte auf mich einen zwiespältigen Eindruck. Zuerst war ich empört; schließlich aber empfand ich doch so etwas wie Zustimmung. Indem der Hausherr derart energisch durchgegriffen hatte, war er auf einen Ausweg verfallen, zu dem ich mich höchstwahrscheinlich nicht entschlossen hätte. Andererseits war es, unter diesen eigentümlichen Umständen, das einzig mögliche letzte Auskunftsmittel.

Wie ich später erfuhr, erhob der arme Schreiber bei der Nachricht, er werde nach den Gräbern abgeführt, nicht den mindesten Widerstand, sondern ließ in seiner bläßlichen, regungslosen Weise alles ruhig mit sich geschehen.

Von Mitleid oder Neugier getrieben schlossen sich etliche von den Zuschauern dem Zuge an, und so schob sich denn – an der Spitze ein Polizist Arm in Arm mit Bartleby – eine schweigende kleine Prozession durch den Lärm, die Hitze und die vergnügte Betriebsamkeit der mittäglichen Verkehrsadern.

Am gleichen Tag noch, an dem ich den Brief erhalten, begab ich mich nach den Gräbern oder, um mich korrekter auszudrücken, nach der Strafanstalt. Ich fragte mich zum zuständigen Beamten durch, setzte ihm den Zweck meines Kommens auseinander und erfuhr, die von mir beschriebene Person befinde sich allerdings im Hause. Ich versicherte dem Beamten, Bartleby sei ein durchaus redlicher Mensch und verdiene großes Mitleid – er sei nur in einer ganz unerklärlichen Weise überspannt. Ich erzählte, was ich von ihm wußte, und regte schließlich an, man möge ihn in einer tunlichst gelinden Haft im Hause behalten, bis sich eine Möglichkeit zu noch versöhnlicherem Verfahren biete – wiewohl ich nicht recht wußte, was sich da bieten sollte. Für den Fall, daß man zu keinem Entschluß gelangte, mußte ihn das Armenhaus aufnehmen. Zum Schluß bat ich um die Erlaubnis, ihn zu sprechen.

Da er keines groben Vergehens bezichtigt war und sich in jeder Weise still und harmlos verhielt, hatte man ihm gestattet, sich frei innerhalb des Gefängnisses zu bewegen und sich besonders in den eingefriedeten, grasbewachsenen Höfen aufzuhalten. Da fand ich ihn denn, allein in dem stillsten von den Höfen, das Gesicht einer hohen Mauer zugekehrt, während ringsum, so mußte ich denken, aus den engen Schlitzen der Zellenfenster die Blicke von Mördern und Dieben nach ihm ausspähten.

»Bartleby!«

»Ich kenne Sie«, sagte er, ohne umzublicken, »und ich habe Ihnen nichts zu sagen.«

»Ich war es nicht, der Sie hierher gebracht hat, Bartleby«, sagte ich, schmerzlich betroffen von dem in seinen Worten angedeuteten Verdacht. »Sie sollten auch nicht so bitter von Ihrem Aufenthalt hier denken. Es hat nichts Ehrenrühriges, daß Sie hier sind. Sie sehen ja auch, es ist kein so trauriger Platz, wie man meinen sollte. Schauen Sie, da ist der Himmel, und da das Gras … .«

»Ich weiß, wo ich bin«, erwiderte er. Mehr war nicht aus ihm herauszubringen, und ich verließ ihn.

Als ich wieder auf den Gefängnisgang kam, sprach mich ein breiter, wie ein Stück Fleisch aussehender Mensch mit einer Schürze an. Er schlenkerte den Daumen über die Schulter und fragte: »Ist das ein Freund von Ihnen?«