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Die Verstümmelten

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

13. Kapitel

Es begann einzutreffen, was Franz Polzers Unruhe gefürchtet hatte. Die Tür war geöffnet. Die einmal gestörte Ordnung mußte immer neue Gesetzlosigkeit nach sich ziehen. Die Lücke war da, durch die das Unvorhergesehene einbrach und Furcht verbreitete.

Nun lag der Verstümmelte im Zimmer mit den weißgekleideten Möbeln. Man hörte ihn nachts stöhnen. Seine Wunden schmerzten. Der Eiter fraß tiefer in sein Fleisch, und schwere Träume quälten ihn. Polzer horchte. Der Tod war im Haus und wartete.

Der Pfleger schlich auf Filzschuhen durch die Zimmer. Man hörte seinen Schritt nicht. Man erschrak, wenn er plötzlich im Zimmer hinter einem stand.

Der Pfleger trug eine weiße Jacke und eine weiße Schürze. Die Schürze war unter der Jacke um den Leib gebunden. Sie war nicht neu. Sie hatte vorne einen tellergroßen, rostbraunen Fleck, der Polzers Blick anzog. Polzer wußte, daß dieser Fleck ein Blutfleck sei, den das Alter gebleicht hatte.

Schon nach wenigen Tagen trat eine neue Änderung ein. Franz Polzer setzte ihr keinen Widerstand entgegen, nun da die Ordnung einmal durchbrochen war. Es war keine Hilfe mehr und kein Halten.

Er saß abends bei Karl. Karl war in einen Stuhl gesetzt, wie Kinder ihn haben, die noch nicht gehen können. Dieser Stuhl war für ihn angefertigt worden. Er war vorne durch ein Brett geschlossen, daß Karl das Übergewicht nicht verliere und nicht falle. Zudem war Karls Rumpf mit einem Riemen an die Lehne gefesselt. Der Stumpf der linken Hand war verbunden. Ein starker Geruch strömte aus dem Verband. Der rechte Arm ragte einsam aus dem Rumpf.

Sonntag war fortgeschickt worden. Polzer war allein mit Karl. Karl horchte ins Nebenzimmer. Man hörte kein Geräusch. Frau Porges saß in der Küche.

»Polzer,« sagte Karl. Er sprach hastig und leise. »Er muß aus diesem Zimmer hinaus. Tu, was du willst, aber er muß in deinem Zimmer schlafen. Hier darf er nicht mehr schlafen, Polzer. Er soll mit dir schlafen, oder geh du zu Frau Porges, aber hier darf er nicht bleiben, Polzer, ich habe Angst vor ihm!«

Polzer war überrascht. Karl schien doch Sonntag ins Herz geschlossen zu haben.

»Du warst doch so zufrieden mit Sonntag, Karl, was ist denn geschehen?«

Karl war erregt. »Er ist mit Dora im Bunde. Hast du es nicht gesehen? Ach, wenn du doch Augen hättest, Polzer! Nein, nun hat sie das zarte Schamgefühl überwunden, die Keusche, nun fürchtet sie seinen Blick nicht mehr. Ich sehe es schon seit einigen Tagen, Polzer, sie blicken einander an, ich träume nicht. Ich bin wehrlos, aber ich sehe den leisesten Blick. Ich darf kein Auge schließen, Polzer. Er ist der Mann dazu! Wer wird sich wundern, wenn ich morgen tot bin? Du vielleicht, du edle Einfalt du? Ein Handtuch über den Kopf, ich kann nicht einmal schreien, und es ist um mich geschehen!«

»Du tust ihr Unrecht, Karl.«

»Ich muß vorsichtig sein, Polzer, ich muß auf der Hut sein. Ich bin wehrlos. Vielleicht, wenn ich einschlafe ... Sie stecken unter einer Decke, Dora mit ihm, Polzer, er ist Metzger, er ist der Mann dazu. Allein wagt sie es nicht, nein, nein. Sie fürchtet sich davor. Ich würde schreien, sie würde die Kraft nicht haben, die Muskeln würden versagen. Aber er tut‘s, Polzer. Das viele Geld wird sie haben, und er wird einen Haufen bekommen. Sie teilen es schon im Bett. Hast du den roten Fleck auf der Schürze gesehen? Weißt du, was es ist, Polzer ?« Polzer schwieg.

»Blut, Polzer, altes Blut! Ich habe ihn gefragt. »Es ist eine alte Schürze,« sagte er, ›das ist noch Kälberblut.‹«

Polzer wich zurück.

»Kälberblut?« sagte er. Er hatte nicht gedacht, daß es Kälberblut sein könne.

»Ich will kein Kalb sein, Polzer!« Karl lachte schreiend und wankte auf seinem Sitz. »Tu, was du willst! Du kannst mit ihm schlafen. Dir wird er nichts tun. Was hat er an dir? Nimm dir ein Messer ins Bett! Wenn er kommt, such zu!«

»Nein, nein!« rief Polzer flehend.

»Du fürchtest dich? Dann geh zu Frau Porges. Schlaf mit ihr! Noch heute muß er hinaus. Das Zimmer muß versperrt werden. Wenn er den Schlüssel umdreht, erwache ich und kann schreien. Sie soll nicht zu früh frohlocken! Ich bin klüger als sie. Sag es Frau Porges, daß du dein Bett in ihr Zimmer bringst.«

Franz Polzer nickte. Er begriff, daß nun alles unaufhaltsam im Gleiten sei. Nun mußte er mit der Witwe in einem Zimmer wohnen, immer ihren Geruch riechen, immer ihr fettes Fleisch sehen, abends, wenn sie sich auszog, das Mieder ablegte und das Hemd an ihrem Leib herabfiel.

Als der Pfleger kam, sagte Karl:

»Herr Sonntag, ich finde, daß Sie ein eigenes Zimmer haben müssen, ein Zimmer, in dem Sie zu Hause sind.« Er lächelte. »Ich will, daß Sie sich wohlfühlen. Herr Polzer wird nun sein Zimmer an Sie abtreten. Sie können noch heute übersiedeln.«

»Ich danke Ihnen für Ihre Güte, Herr Fanta,« sagte Sonntag und verneigte sich, »und auch Ihnen, Herr Polzer, daß Sie sich meinetwegen so einzuschränken bereit sind. Aber ich bin nicht zu meiner Bequemlichkeit hier. Ich bleibe gern in diesem Zimmer.«

»Das glaube ich,« sagte Karl. »Ihre Bescheidenheit ehrt Sie, mein lieber Herr Sonntag. Aber es ist mein Wunsch, daß Sie alles haben, was ich Ihnen bieten kann.«

Der Pfleger verneigte sich schweigend.

Als Polzer das Heiligenbild an der Wand über seinem Bett in Frau Porges‘ Zimmer anbrachte, sagte Frau Porges:

»Was soll das Bild hier?«

Polzer sah sie erstaunt an.

»Ich will das Bild nicht in meinem Zimmer!«

»Dieses Bild?« fragte Polzer bestürzt. »Was haben Sie gegen das Bild?«

»Es ist ein häßliches Bild. Ich will keine Bilder von Heiligen da. Nein, ich fürchte mich davor.«

»Fürchten? Vor diesem Bild? Es ist ein einfaches altes Bild, Frau Porges!«

»Häng es ab, Polzer!« sagte sie. »Ich will das Bild nicht. Es ist so häßlich, das Bild. Ich bekomme Angst, wenn ich es sehe. Ich weiß nicht, was Ihr mit diesen Bildern habt.«

Polzer schüttelte verwundert den Kopf. Was hatten sie alle gegen sein Bild? Warum fürchteten die Juden sich davor? Warum haßten sie es? Hatte das Bild ihnen etwas getan? Oh, es war vielleicht nicht gut, unter Menschen zu sein, die die Bilder der Heiligen haßten und fürchteten. Auch Karl haßte sie. Ihm mußte er alles verzeihen. Er hatte Wohltaten von ihm und seinem Vater empfangen.

Polzer antwortete Frau Porges nicht. Vielleicht würde sie sich daran gewöhnen und morgen das Bild nicht mehr sehen.

Tags darauf, als Polzer abends aus der Bank kam, sah er, daß das Bild fort war.

»Wo ist das Bild, Frau Porges ?« fragte er.

»Fort,« sagte sie.

»Das Bild? Nein, nein, Frau Porges.«

»Fort. Ich habe es verbrannt. Ich wollte es nicht mehr sehen.«

»Mein Bild? Ich habe es immer gehabt, Frau Porges.«

Seine Stimme zitterte. Er konnte es nicht glauben, daß er das Bild nun nicht mehr haben würde.

»Nun hast du es nicht mehr,« sagte sie. »Weine doch darum! Wenn du mich lieb hättest, hättest du es selbst getan.«

Franz Polzer sagte nichts mehr. In der Nacht würde das Heiligenbild nicht mehr über seinem Bett sein. Alles mußte zusammenstürzen.

Er trat bei Karl ein. Er blieb mitten im Zimmer stehen. Er sah nicht, daß der Pfleger im Zimmer war. Er sah bloß Karls Hornbrille, in deren Gläsern sich das Licht brach. Ihm war, als müsse er fallen.

»Sie hat mein Bild verbrannt,« sagte er.

»Dein Bild? Das Heiligenbild?« Karl lachte. »Das ist wahrhaftig unvorsichtig von ihr! Nun wird er böse sein, der heilige Franz!«

»Ich habe es immer gehabt. Auf der Schule habe ich es gehabt.«

»Ich weiß, ich weiß. Ich sehe ihn noch vor mir. Er spiegelte alle Farben. Rot, grün, blau, gold. Er war angestrichen, daß es nicht besser ging. Nun? Du bist wohl fassungslos? Du glaubst wohl, daß er sich rächen wird? Nun, sag es doch, daß du es glaubst! Ich werde nicht erstaunt sein darüber, glaube mir! Ich bin darauf gefaßt, Polzer, daß du dir morgen um einen Gulden einen neuen Heiligen kaufst, der dich weiter beschützen soll.«

Polzer schüttelte den Kopf. Karl sah ihn herausfordernd an.

»Narr, unverbesserlicher Narr! Geh, geh, hörst du, geh dir einen Stellvertreter kaufen! Einen Franz den Zweiten. Vielleicht kannst du einen finden, Polzer, der noch schöner lackiert ist. Dann kann dir nichts mehr geschehen!«

Polzer wunderte sich, daß Karl in Zorn geriet. Er wollte sagen, daß es das nicht sei und dadurch das Mißverständnis aufklären. Aber nun schien ihm alles fern und schon nebensächlich. Er sah, wo der Heilige im Zimmer der Mutter gehangen hatte. Über dem Bett an einer Wand, von der sich in Blättern die Tünche löste. In den Rahmen war eine Rose gesteckt. Polzer wunderte sich sehr. Er hörte Karl sprechen und fühlte, daß der Pfleger mit dem roten Fleck auf der Schürze sich langsam nähere. Von der Rose und der Wand mit dem sich lösenden Kalk hatte er nichts mehr gewußt. Er schüttelte verwundert den Kopf. Denn die Rose und die Wand waren aus seinem Gedächtnis verschwunden gewesen.

Karl sagte:

»Wenn es Gottesfurcht wäre, nun, ich könnte es begreifen, wenn auch es nicht mein Fall ist. Aber nein: es ist Aberglaube, es ist nicht anders als mit dem Federstiel. Haha, Franz, erinnerst du dich noch des Federstiels ?«

Er lachte laut und sah Polzer ins Gesicht.

»Das ist es nicht,« sagte Polzer leise. »Bloß, weil ich den Heiligen immer gehabt habe.«

Er fürchtete sich vor Karls Lachen und blickte zu Boden. Aber der Pfleger war vorgetreten und stand neben Karls Stuhl.

»Ein gottesfürchtiger Mensch...« sagte der Pfleger. Seine Stimme klang tief und eintönig.

Karl sah den Pfleger scharf an. Der Pfleger unterbrach seine Rede.

 

Karl lächelte ihm zu:

»Nun, sprechen Sie, Herr Sonntag! Ich freue mich, wenn Sie sich an unseren Gesprächen beteiligen.«

»Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Fanta, möchte ich hier nur ein Kleines sagen. Ich bitte um Vergebung, wenn ich mich nicht so auszudrücken vermag wie gebildete Menschen. Ich habe wenig gelernt.«

Polzer sah gerade vor sich den Fleck auf der Schürze. Es war das Kälberblut. Polzer setzte sich und schloß die Augen. Die Stimme des Pflegers klang einschläfernd in seinen Ohren.

»Ein gottesfürchtiger Mensch, wollte ich sagen,« fuhr der Pfleger fort, »achtet die göttliche Ordnung. Wie denn, wenn Gott ist, sollte seine Ordnung nicht auch im Kleinsten sein, und sollen wir nicht trauern, wenn Mutwille diese Ordnung zerstört? Und was das Heiligenbild betrifft, die Zeugen, die um Christus gerungen und gelitten haben, sollen wir sie nicht verehren, wo uns die Bilder verstorbener Eltern heilig sind? Alles steht auf dem Vorigen, wenn Sie mich recht verstehen, und so kommt es über uns her, und niemand kann davon weg, was ihm gesetzt ist.«

»Ja,« sagte Polzer.

»Alles ist unerklärlich und dunkel, denkt man. Aber mit einemmal erwacht die Helligkeit und man sieht, alles geschieht, wie es da ist. Es gibt keine ändern Wege als zu Christus. Alle gehen diese Wege, aber nur wenige wissen sie. Der Heilige auf dem Bild hat Zeugnis von diesen Wegen abgelegt. Wenn wir uns dazu bekennen, zeugen wir für Christus.«

»Nun, lieber Herr Sonntag, ich habe für derartige Gedankengänge kein Verständnis. Ich bin kein gottesfürchtiger Mensch. Nein, nein, das fehlte mir gerade noch, daß ich glauben sollte, Gott habe mich gestraft mit Eiter und Gestank, und mir an die Brust schlagen und aufs Jenseits hoffen. Das kann doch Ihr lieber Gott nicht verlangen, Herr Sonntag, das doch nicht!«

»Auch Sie werden einmal wissen, daß Sie auf einem dieser Wege gehen. Auch ich habe es nicht immer gewußt und auch Sie nicht, Herr Polzer!«

Polzer öffnete die Augen.

»Es ist nur, weil es immer über dem Bett hing,« sagte er.

»Sehen Sie,« rief Karl lachend.

»Eines Tages werden wir alle es sehen. Gebe Gott, daß Sie noch Zeugnis davon ablegen können und daß es nicht in Ihrer letzten Stunde sei, Herr Fanta! Denn das ist wohl schwer zu tragen.«

»Da muß ich mich wohl sehr beeilen, lieber Sonntag. Denn lange wird es doch nicht mehr dauern. Allerdings, durch liebenswürdige Mittel lockt er mich nicht, das werden Sie zugeben, Herr Sonntag.«

»Das Leiden ist keine Strafe, Herr Fanta. Es gibt keine Strafe, bloß dem Gottlosen will es so scheinen. Es gibt keinen ändern Trost, als daß man das Gute wie das Böse tun und ertragen muß. Der Gottesfürchtige läßt es willig und freudig geschehen, der Gottlose mit Murren. Einmal werden wir alle es verstehen. Nichts ist, was nicht um Christus geschähe.«

»Nein, nein, Herr Sonntag, ich danke schon jetzt. Daß man sich freuen soll, das ist denn doch zuviel verlangt, glaube ich. Aber es gefällt mir, daß Sie selbst so überzeugt und zufrieden sind.«

»Ich war es nicht immer, Herr Fanta. Als ich Metzger war und täglich die Tiere schlachtete, war ich es noch nicht. Ich tat meine Arbeit, aber in mir lag es, wenn ich so sagen darf, gleich einem dunklen schweren Berg. Ich ging nicht mit den Kameraden. Ich ging einsam. Ich war gewalttätig, und man fürchtete mich. Damals versuchte ich es mit dem Trunk. Da wurde ich bei einem Raufhandel verwundet, und ich lag lange im Krankenhaus in einer mährischen Stadt. Im Zimmer hing ein Christusbild. Mit mir lagen Kranke, und sie jammerten. Ich hatte die Lippen aufeinandergebissen, die Wunde brannte, und ich jammerte nicht. Ich fluchte der Schwester, einer frommen jungen Nonne, die mir die Wunde wusch und verband. Ich sagte in ihrer Gegenwart unflätige Worte. Allein sie kam geduldig immer wieder mit einem Lächeln um den Mund. Ihre Ergebenheit brachte mich auf. Ich wollte sie zornig sehen, und ich erdachte mir einen Plan, sie auf das tiefste zu verletzen. Ich wollte am nächsten Morgen, wenn sie kam, die Decke fortstoßen, ihr meine Wollust zeigen und sie höhnisch um Hilfe bitten. Allein es geschah etwas Schreckliches. Sie kam am Morgen nicht. Sie war in der Nacht auf eine grauenhafte Weise ermordet worden. Man hat den Täter nie entdeckt. Aus der Abteilung der Sträflinge des Krankenhauses war in dieser selbigen Nacht ein Häftling entflohen. Man zweifelte nicht, daß dieser die Tat vollbracht habe. Dieses Ereignis erweckte mich. Ich hatte sie gequält und hatte noch am Morgen, als sie schon ermordet war, an ihre Qual gedacht. Ich suchte nach einem Trost. Sie hatte mir Bücher mit den Erzählungen vom Leben und Leiden der Märtyrer gegeben. Ich las sie nun, und ich erkannte, daß es keinen Trost gebe als die Sühne und daß die Sühne nicht einmal ist, sondern ewig, und daß das der Trost ist, daß man immer von neuem sühnt. Ich hatte Christus gefunden.«

Klara Porges war eingetreten. Sie trug eine Schüssel mit Karl Fantas Abendbrot. Der Pfleger nahm ihr die Schüssel aus der Hand.

»Als ich zurückkam, sah ich, daß ich nicht mehr Metzger sein könne. Ich versuchte es an einem Kalb, aber als sein Blut mir warm auf die Hände sprang und sein unwissendes, schon gebrochenes Auge mich ansah, stand ich auf und entlief. Ich zweifelte nicht, daß ich nun mich Kranken widmen müsse, das Werk der getöteten Prostnitzer Nonne fortzusetzen. Mein Schlächtermesser legte ich zuoberst in meinen Koffer. Jeden Abend nehme ich es um, und ich weiß, daß ich Metzger war und daß die Sühne nie zu Ende sein wird. Ich sehe es an und befühle seine Schärfe. Und ich freue mich, daß diese Schärfe ungenützt liegt.«

Er hatte den Deckel eines schwarzen Koffers geöffnet, der in der Ecke stand. Er hob ein langes Messer und wog es in der Hand.

»Sehen Sie es an,« sagte er.

»Geben Sie es fort,« sagte Frau Porges.

»Fürchten Sie sich nicht, Frau Porges! Glauben Sie an Christus und fürchten Sie keine Waffen! Fürchten Sie nicht den Tod! Über dem Antlitz der Sterbenden ist die Versöhnung. In meinen Armen sind viele gestorben.«

Er hatte sich zu Karl Fanta gebeugt und hielt den Löffel mit Suppe an Karls Mund.

Karl hatte sich aufgerichtet.

»Und nun?« fragte Karl Fanta unruhig. »Und nun? Ich bin der nächste, Herr Sonntag. Was wollen Sie?«

»Sprecht nicht von solchen Dingen,« sagte Klara Porges. »Ich kann von solchen Dingen nicht sprechen hören, und geben Sie das Messer vom Tisch, Herr Sonntag!«

14. Kapitel

Täglich gegen den Abend kam Dora. Sie blieb allein bei Karl Fanta. Poker saß bei Klara Porges in der Küche.

Man hörte oft Doras Weinen aus dem Zimmer. Dann trat sie heraus mit geröteten Augenlidern und gesenktem Blick. Manchmal schrie Karl Fanta nach dem Pfleger, nach Polzer oder nach Klara Porges. Aber Dora hielt die Tür von innen zu und flehte, man möge nicht kommen.

»Er will sie nackt zeigen.« Klara Porges lächelte.

»Er quält Dora sehr,« sagte Polzer.

»Was hat sie? Er ist wie ein Kind. Warum schämt sie sich vor ihm? Ich schäme mich nicht vor ihm.«

»Sie, Frau Porges?«

»Ja, ja, ich,« sagte sie.

Nachts hörte man Karl stöhnen. Sein Zimmer war von außen versperrt. Niemand schlief bei ihm. Des Pflegers Bett stand in dem Zimmer, das Polzer früher bewohnt hatte. Der Pfleger wachte. Er ging mit gleichmäßigen Schritten auf und ab. Seine Schritte waren leise. Aber Polzer hörte sie. Auch Frau Porges war unruhig. Polzer sah, daß sie aufrecht im Bett saß und lauschte.

»Hörst du ihn nachts ?« fragte Karl Fanta ihn leise.

Polzer nickte.

»Er sagt, er habe Gesichte, die ihn nicht schlafen lassen. Er ringe mit dem Bösen. Was will er, was will er, Polzer? Er hat den Koffer mit dem Messer zu sich genommen.«

Polzer schlief wenig. Die Luft des Zimmers war erfüllt von einem leisen säuerlichen Geruch, der von Frau Porges‘ Bett ausging. Oft glaubte er ersticken zu müssen. Die Witwe duldete nicht, daß er das Fenster öffne. Sie fürchtete Zugluft sehr. Morgens und abends wusch sie sich. Er sah das schwere Fleisch der Witwe nackt, dunkel schimmern. Über den Hüften bildete es dicke Falten. Sie kam auf ihn zu und lachte leise: »Fürchtest du dich,« flüsterte sie. »Sieh mich an, hörst du!« Ihr Atem drang warm an sein Ohr.

Ihre Hände peinigten ihn. Sie hielt ihm den Mund zu, daß er nicht schreie und daß der Pfleger ihn nicht höre, und stieß ihn zu sich ins Bett.

Nachts sah er die weiße Kopfhaut schimmern zwischen dem schwarzen Haar links und rechts. Sie schlief. Er wollte aufstehen, diesen Scheitel zerstören. Dann würde alles gut sein, das wußte er. Er fürchtete sich. Aber einmal würde er nicht mehr zittern, und dann würde es geschehen. Einmal würde er aufstehen müssen, es zu tun, und er bebte bei diesem Gedanken. Er würde sich erheben und ruhig auf das Bett zutreten, in dem sie schwer und laut atmend lag. Und ohne Erregung, ohne einen Gedanken zu denken, sachlich die Finger in ihr Haar wühlen und den Scheitel zerstören. Vielleicht ihn abschlagen, mit Sonntags scharfem Metzgermesser den Scheitel abschlagen vielleicht.

Morgens, ehe er das Haus verließ, trat Franz Polzer bei Karl Fanta ein. Karls Stuhl war an das geöffnete Fenster geschoben. Sonntag brachte das Zimmer in Ordnung. Er trug das Geschirr hinaus, brachte Wasser zum Waschen und holte das Frühstück. Karls Blicke verfolgten ihn aufmerksam und ungeduldig. Er wartete, bis der Pfleger das Zimmer verlassen hatte. »Nun,« fragte Karl flüsternd, »was ist? Was ist mit der Dicken? Polzer! Ich höre sie schon hantieren in der Küche. Was war in der Nacht mit der Witwe?«

Polzer gab keine Antwort.

»Nun, nun, du bist eben diskret, mein Junge. Ich kann es verstehen. Ein Mann von Welt, ein Gentleman! Haha, nur kein süßes Geheimnis aus dem Schlafzimmer verraten! Das bleibt zwischen Decke und Leintuch bei einem Kavalier.«

Sonntag trat ein. Karl schwieg, bis Sonntag das Zimmer wieder verlassen hatte.

»Hast du sie gehabt, Polzer?« Er war sehr erregt. »Du mußt sie haben, hörst du! Ich will sie auch haben, ja!«

»Du?« fragte Polzer.

»Ich! Ich habe schon manches gesehen, ja, und ich bin nicht enttäuscht. Im Gegenteil, Polzer, im Gegenteil. Oh, sie ist klug, deine Klara, sehr klug, haha. Sie sorgt für sich und für dich. Auch für dich! Wer hätte das gedacht! Aber es ist gut so. Keine Unklarheit! Jede Ware hat ihren Preis, und das ist gute Ware, wie, Polzer, wie? Meinst du, daß das nicht schön ist, meinst du, daß Dorachen besser ist? Zart, edle Linie, meinst du? Mag das fromme Wildschwein daran seine Freude haben! Weißt du, daß er nun Konventikel abhält, Polzer? Was hältst du davon? Ich fürchte, sie gehen alle in die Wüste — mit ihm, versteht sich.«

Karl machte eine Pause.

»Nein, nein,« fuhr er fort, »die Knöspchen machen es nicht, Polzer. In der Schönheit, Polzer, kann es nicht sein. Es ist anderswo. Es gibt Gourmets und es gibt Fresser, Polzer, verstehst du das? Die Schönheit wird einem über. Man kann sie immer nur ansehen. Schau mich nicht an wie ein Kalb, ich bitte dich! Es gibt Fresser, die eine Sau fressen wollen und keine Pastetchen. Oder gar nur Blumen betrachten. Eine Sau soll es sein, Polzer! Sie hat einen häßlichen Bauch, wie ? Fett, faltig ? Du siehst ihn doch, wenn sie sich wäscht. Sag mir, wenn du es kannst, was ist denn schön an einem glatten Mädchenbauch, nun, nun, weißt du es nicht? Eine abgeweichte Frau ist sie, sagst du, die Brust, der Fettbauch, schwipp schwapp, labbert wie Kesselfleisch. Gerade das, Polzer, schwipp schwapp, das Mutterschwein! Ich bin kein Mann mehr, du mußt mich nicht so ansehen, ich weiß es, aber mein Späßchen will ich noch haben, hahaha!«

Sein Gesicht hatte sich zu einer Grimasse verzogen.

»Geh, geh,« sagte er, »geh, Knabe Franz, und glaube an die Schönheit! Such dir ein Mädelchen, wie Dora war, und leg dich in ein Bettchen mit ihr, aber daß es fein sauber überzogen ist. Iß kein weiches Brot vorher, daß du nicht durch Knall und Geruch den lieblichen Zauber bannst!«

Was ist das alles, dachte Polzer auf dem Wege in die Bank. Sie sorgt für sich und für dich, hatte Karl gesagt. Was sollte das heißen? Verlangte er nun das von ihr, womit er auch Dora quälte, und wollte sie Geld von ihm dafür? Wozu brauchte sie Geld? Nein, nein, sie lebte doch bescheiden, und zudem hatte sich ihr Einkommen doch jetzt erst durch Karls Zuzug vergrößert. Sie würde sich nicht schämen, hatte sie gesagt, und würde tun, was er verlange. Wollte sie nun wirklich Geld von ihm ? Wenn Karl sie ganz zu sich nehmen würde, ganz in sein Zimmer, dachte Polzer! Aber Klara Porges würde es nicht tun. Und dann würde auch er, Polzer, wieder ganz allein sein. Neben dem Pfleger, dessen Schritt ihn nachts ängstigte. Was für einen Verdacht hatte nun Karl wegen des Pflegers Konventikel? Polzer hatte davon schon gehört. Die Frauen hatten sich zuerst in Klara Porges‘ Wohnung versammelt, nun aber trafen sie einander bei Kamilla. Auch Dora ging hin. Sonntag wollte die Frauen bekehren. Er las ihnen vor und erzählte Legenden aus dem Leben der Heiligen. So hatte man es Polzer gesagt. Dora ging nicht gerne hin, die ändern Frauen schienen sie überredet zu haben. Polzer zweifelte nicht, daß Sonntag ihr noch immer widerwärtig sei und daß Karl sie grundlos verdächtige. Vielleicht wußte Karl selbst, wie haltlos sein Verdacht sei, und tat bloß so, sie zu beleidigen. Denn er haßte sie aus einem verborgenen Grund.

 

Einen Augenblick lang dachte Polzer daran, daß vielleicht, während er in der Bank sei, Klara Porges ihr Fleisch vor dem Verstümmelten entkleide. Der Gedanke daran war ihm peinlich. Was war nun mit Dora, die ihm aus dem Wege ging? Und was mit Franz, den er jetzt selten sah? Wo war der Doktor? Warum kam er nicht? Was war mit dem Geld, das Frau Porges von Karl verlangte? Wieso war in den Frauen die Neigung für fromme Dinge erwacht? »Es ist keine Ordnung mehr in den Dingen,« dachte Polzer. »Ich hätte ausziehen sollen, solange es Zeit war.« Er dachte an die leisen Schritte des Pflegers nachts aus dem Nebenzimmer, das getrocknete Kälberblut und das Messer. Das Heiligenbild hing nicht mehr an der Wand. Nun war es zu spät zu allem.

Der kleine Wodak saß nicht an seinem Platz, als Franz Polzer eintrat. Polzer begann seine Arbeit. Wodaks Hut und dünnes Stöckchen hingen am Kleiderrechen. Wo war er? Sollte etwas vorgefallen sein? Am Ende ... Polzer horchte. Sprach man im Nebenzimmer? Er hörte nur das gleichmäßige Geräusch der Maschinen. Aber nun näherten sich Schritte auf dem Korridor, Stimmen. Polzer erhob sich. Nun waren sie an der Tür. Polzer griff nach der Stuhllehne hinter sich.

Die Tür wurde aufgerissen. Fogl, Wodak, begleitet von Herren und Damen, stürzten herein. Fogl trat, rot im Gesicht, nahe an Polzer heran. Polzer lehnte sich zurück. Er begriff alles. Er wollte die Augen schließen, aber er durfte es nicht. Einen Augenblick lang schien ihm, als sehe er Wodaks lachendes Gesicht. Fogl stand vor ihm. Nun mußte er ihm unverwandt auf den Mund sehen.

»Da sind Sie in dem geerbten Anzug,« sagte Fogl. »Und Sie lassen mich eine Rede halten? Wissen Sie, was Sie sind? Ein Betrüger sind Sie,« rief er. »Bekommt einen Anzug geschenkt — der Schneider lacht sich tot, wie er es Wodak erzählt — und läßt mich eine Rede halten, der reiche Herr Erbe! Wissen Sie, daß Sie mich beleidigt haben? Wissen Sie, wie man so einen nennt, Herr? Einen Hochstapler! Jawohl! Und Sie wagen noch, uns unter die Augen ... Herr ...«

Er trat noch näher. Polzer bewegte sich nicht. Er sah Fogl starr auf den Mund. Er wußte, nun würden sie auf ihn eindringen, nun würde Fogl die Hand erheben, ihm den Anzug vom Leibe reißen. Nun war geschehen, was er gefürchtet hatte. Franz Polzer atmete ruhig. Nun würden sie ihn strafen.

Aber sie straften ihn nicht. Fogl wich langsam wieder zurück. Sie sahen ihn an, als warteten sie. Da begriff Polzer, daß er gehen müsse, leise davonschleichen. Er ließ den Stuhl los und ging langsam mit gesenktem Kopf. Er ging zwischen ihnen durch zur Tür. An der Tür fühlte er das Verlangen, sich umzudrehen und seinen Tisch noch einmal anzusehen. Auch, daß er den obersten Bogen auf seinem Tisch bereits durchgesehen, wenn auch noch nicht mit seinem Namenszug gezeichnet habe, wollte er sagen. Aber nun stand er schon auf dem dunklen Gang.

Frau Porges empfing ihn erstaunt.

»Ich werde nun nicht mehr in die Bank gehen,« sagte er.

Sie sah ihn fragend an, aber es war ihm schwer, darüber zu sprechen.

»Es ist etwas geschehen,« sagte er.

Er suchte es vor Karl zu verheimlichen. So verließ er morgens das Haus, als ginge er noch in die Bank. Er wagte es nicht, in das Innere der Stadt zu gehen, wo er Leuten begegnen konnte, die ihn kannten. Er ging das Ufer des Flusses entlang, gegen die Vorstadt. Am Sonntag suchte er nun ein kleines Cafe auf, in dem er unbekannt war. Er hätte gern den Doktor gesehen und ihn gebeten, den neuen Anzug zurückzunehmen. Aber der Doktor war wohl verreist. Polzer erschrak, wenn ein Vorübergehender, dem der braune rundgeschnittene Rock auffiel, sich nach ihm umsah. Er wußte, daß sein Betrug noch nicht zu Ende sei. Er hatte den Rock noch nicht abgelegt. Er trug ihn, als sei er ein Mann aus guten Bürgerskreisen wie Karls Vater. Er ging knapp an den Mauern der Häuser, denn: immer konnte der Mann kommen, der ihn erkannte.

Karl blieb es nicht lange verborgen, daß Polzer nicht mehr in die Bank gehe.

»Was ist denn,« fragte er. »Du gehst nicht mehr in die Bank?« Polzer errötete und gab keine Antwort.

Karl lachte:

»Ich verstehe. Ihr schwimmt in Geld, wie? Wozu denn auch noch?«

»Karl,« sagte Polzer. »Was ist mit dem Geld?«

»Was mit dem Geld ist? Wie du fragen kannst, du liebe Unschuld, du! Laß dir von deiner Klara erzählen! Vielleicht flüstert sie es dir nachts ins Ohr.«

Es war kein Damm mehr gegen die hereinbrechende Verwirrung. Von allen Seiten drang sie nun ein.

Karl Fantas goldene Uhr, die immer neben dem Kranken auf dem Tisch gelegen hatte, war plötzlich verschwunden. Sonntag und Klara Porges suchten sie in allen Räumen der Wohnung. Sie fanden sie in einem schwarzen Holzkoffer, in dem Polzer seine Wäsche aufbewahrte.

Der Pfleger legte sie auf den Tisch. Er sah Franz Polzer an. »Wir haben die Uhr in Herrn Polzers Koffer gefunden,« sagte er.

Polzer begriff erst, als er Karls Blick auf sich fühlte. Er stand auf und wollte etwas sagen. Aber der Pfleger kam ihm zuvor.

»Herr Fanta,« sagte der Pfleger, »ich bitte Sie um Christi willen, antworten Sie uns auf diese eine Frage: Können Sie sich entsinnen, daß Sie Herrn Polzer Ihre Uhr zur Aufbewahrung übergeben haben? Sie haben es vielleicht vergessen!«

»Nein,« sagte Karl, »ich habe sie ihm nie gegeben. Aber was soll das?«

»Das soll, daß Herrn Polzer nur das befreien könnte. Wenn Sie sich nicht erinnern, dann ist kein Zweifel, daß er nicht widerstanden hat. Herr Polzer hat also die Uhr gestohlen.«

»Ein so kostbares Stück,« sagte Frau Porges.

»Nein, nein,« sagte Franz Polzer hilflos und hob abwehrend die Hände. Der Pfleger sah ihn ernst an.

»Wir sind nicht berufen zu richten,« fuhr der Pfleger fort, »wir sind allzumal Sünder und ein jeder hat Seines am Wege. Die Lockung des Goldes ist groß für einen Armen, der zudem sein trockenes Brot verloren hat. Wir wissen nicht, welche Leiden Ihnen auferlegt sind, Herr Polzer.«

»Nein, nein,« rief Polzer. Er wußte nichts anderes zu sagen. Er machte einen Schritt auf Karl zu.

»Nun, nun, nur keine Fassungslosigkeit,« sagte Karl. »Die Sache geht dich nichts an. Der böse Geist war stärker als dein Schutzheiliger. Du hast keine Schuld. Laß deinen Schutzheiligen unter Herrn Sonntags Aufsicht gymnastische Übungen machen! Vielleicht kommt er zu Kraft, Polzer. Herr Sonntag, die Uhr soll Ihnen gehören, wenn ich sterbe, — wenn ich eines natürlichen Todes sterbe, Herr Sonntag.«

Sonntag verneigte sich.

»Schon gut,« sagte Karl. »Ich weiß, daß Sie nicht am Gelde hängen. Eben darum gebe ich es Ihnen, Herr Sonntag. Frau Porges, Sie müssen es Polzer verzeihen. Er hat es gewiß nur für Sie getan.«

Frau Porges schüttelte den Kopf. Sie wog die Uhr in der Hand. »Ein kostbares Stück,« sagte sie.

»Und nun,« sagte Karl, »was ist mit dem Abendbrot? Ich habe Hunger.«

Klara Porges und der Pfleger verließen das Zimmer. Polzer sah ihnen nach. Er wollte sich umwenden und auf Karl zutreten. Was war das gewesen ? Er hatte es nicht begriffen. Karl schüttelte den Kopf, daß Polzer schweige.

»Schließ die Tür,« flüsterte er. »Sind sie in der Küche? ... Du brauchst mir nichts zu sagen. Du hast die Uhr nicht genommen. Du hast den Mut nicht dazu. Ich weiß gar nichts. Aber ich fürchte mich. Es gehen Dinge vor. Man kann mir den Mund zuhalten, daß ich nicht schreie, und ich muß mich schlachten lassen wie ein Kalb. Man will Geld, von allen Seiten Geld. Alles für Geld! Sage mir, Polzer, was tut die Witwe mit dem Geld? Höre, Polzer, du sollst nicht schlafen gehen, bevor er nachts nicht in seinem Zimmer ist. Bevor er dieses Zimmer nicht versperrt hat, hörst du? Er ist nun abends immer lange bei mir. Er steht da mit geneigtem Kopf und spricht zu mir. Es geht so eintönig. Es schläfert mich ein. Bloß die Angst hält mich wach. Ich sehe ihn an, ob er sich bewegt. Er setzt mir zu mit seinem Glauben. Alle sind im Bunde. Dora weint nun nicht mehr. Sie gehorcht, ohne zu weinen. Sie hat einen Hinterhalt, verstehst du? Sonntag sagt, daß der Glaube sie gestärkt hat. Auch sie will Geld. Aber ich gebe ihr keines. ›Bald wirst du alles haben, Dorachen,‹ sage ich. Ich glaube, sie wird nicht lange warten wollen und ein wenig nachhelfen lassen, verstehst du, der Glaube hat sie gestärkt.«