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30.01.2013: Kerang – Echuca: 101 km

Ich bin erst um 23.00 Uhr hiesiger Zeit total mental und körperlich mit allem fertig und krabble in mein Bett. Kaufte mir im Supermarkt ein Badehandtuch zum Drauflegen. Das besitzt eine feste Unterfläche. So lege ich es mir über meinen neuen Schlafsack und schlafe durch, während draußen über mir bei Vollmond das Kreuz des Südens wacht. Ein super Anblick, weil wir es in unseren norddeutschen Gefielden nie sehen können.

Heute früh ist mein Über-Zelt von innen total von meinem feuchten Atem nass. So eine Gemeinheit! Zum Glück hängt zum Auswischen der Waschbecken nach dem Benutzen in der Damen-Toilette an jedem Waschbecken ein trockenes kleines Handtuch. Diese alle nehme ich mit nach draußen und wische so gut ich kann, die Plane trocken. Während ich mich in der Dusche frisch mache, legt sich doch dummerweise in dieser Zeit der Tau auf alles drauf. Das also auch noch! Nun habe ich keine Zeit mehr zu verlieren. Mein heutiger Weg ist nur 10 km kürzer als gestern. Und wenn es wieder zu stürmen beginnt, komme ich auch wieder zu spät am Caravan-Park an. Und ab geht es!

Es rollt sich sehr gut. Meine Strecke ist scheinbar eine Nebenstraße; denn es herrscht darauf sehr wenig Verkehr. Auch Road Trains gibt es kaum. Und meine Landschaft rundherum ist platt wie ein Pfannkuchen. So etwas erträume ich mir eigentlich immer, erlebe es aber selten. Dieses Glück ist mir heute hold.

Die Landschaft hat sich in eine Cattle-Region (Kuh-Region) verwandelt. Auch wächst hier kein Wein mehr, oder wenn, dann ganz selten noch am Anfang, später aber, wenn etwas angebaut ist, dann handelt es sich um Mais. Mais und Kühe, das passt ausgezeichnet zusammen. So sieht es bei uns zu Hause auch aus, bis auf die vielen Ländereien dazwischen, die brach liegen, vielleicht aber schon verkauft sind. Auch zieht sich wieder - wie schon gestern - ein breiter Bewässerungsgraben – wie bei uns an der Westküste von Schleswig-Holstein auch – linkerhand der Straße dahin. Dieses Wasser ist wie das der anderen vielen Kanäle vom Murray River für die Landwirtschaft und die Bewohner abgezweigt worden. Kein Wunder, dass der originale River einen recht niedrigen Wasserstand aufweist. Aber darüber habe ich ja gestern schon geschrieben.

Da, wo Kühe weiden, sausen in der Luft viele Fliegen umher. Vorher saßen sie auf den Kuhfladen und nun möchten sie sich an meine Augen und auf meinen Mund setzen. Na, denen gewöhne ich das aber mit meinem Mücken-Fliegen-Spray ab! Nun dürfen sie woanders ihre dreckigen Füßchen abtreten.

Heute liegen seit langer Zeit mal wieder totgefahrene Kängurus an der Straßenseite. Eins davon ist ein weibliches, das auf dem Rücken liegt und die Beine nach allen vier Himmelsrichtungen von sich streckt. Es ist wohl schon zwei bis drei Tagen tot, aber noch nicht angefressen worden. Der Beutel ist dick, aber wie zugeklebt. Ich hätte auch nicht wegen des Leichengiftes hineingesehen.

Später liegt die erste schwarze Schlange an der Straßenseite. Sie sieht so aus wie unsere Ringelnatter, doch ohne die weiße Zeichnung und ist doppelt so dick. Ansonsten fahren die Verkehrsteilnehmer nur Füchse tot.

Dann rolle ich zu zwei Autos, deren Insassen sich gegenseitig helfen. Eine Frau steht interessiert und gelangweilt daneben. Ich halte an und bitte sie, mich während des Radelns zu fotografieren. Das tut sie gern. Nun besitze ich schon zwei Fotos von mir. Mit dem Selbstauslöser habe ich so meine Schwierigkeiten.

In Cohuna zieht es mich unweigerlich in ein Restaurant zum Frühstücken. Komisch, tue ich doch sonst nicht. Aber dann sehe ich, weshalb ich von meiner Mutter dort oben über mir im Himmel – auch ohne Wolke – hingeschickt werde. Dort steht in Großbuchstaben in weißer Kreide auf einer schwarzen Tafel neben der Tür: Cream Tea und Scones mit Konfitüre und Schlagcreme! Ich traue meinen Augen nicht. Das erinnert mich an die Fahrradfahrt mit Englisch-Bob, New-York-Bob und mir von Land’s End bis nach John O’Groats in Schottland, wo mich Engl.-Bob zu Cafés brachte, in denen es dieses herrliche und beste Essen von ganz England gab. In Erinnerung daran muss ich unbedingt hinein und mir diese famose Zwischenmahlzeit bestellen! Die Eigentümer dieses Cafès sehen 100%ig englisch aus. Ich komme mir richtig nach England versetzt vor.

Und da vor diesem Cafè ein ausgefallenes Fahrrad steht, suche ich im Café den Fahrradfahrer. Er ist nicht zu übersehen und sitzt in der rechten Ecke vor dem Tresen mit seinem Glas Bier. So hat er sein Fahrrad dekoriert: zwischen den Speichen an der Nabe der Laufräder klemmen zwei gelbe Tennisbälle. Vor dem Lenker hat er viele weiße Reflektoren auf einem quadratischen Brett befestigt. Ihn kann von vorn tatsächlich keiner überfahren.

Nachdem ich die leckeren Scones aufgegessen habe, radle ich in Erinnerung an die interessante End-to-End-Fahrradfahrt des Jahres 2000 weiter.

In Echuca eingetroffen, schiebe ich mein Rad zum Caravan-Park. Zum Fahren habe ich keine Lust mehr. Da überholt mich ein Rennradfahrer, dreht um und unterhält sich mit mir ganz lange. Er ist beruflich Prinzipal-Lehrer. Ich wusste nicht, was das ist. „Ich bin schon in Rente, helfe aber noch in der Schule aus. Sonst wäre ich gern mit dir mit um diese riesige rote Insel Australien geradelt. Meine Frau hätte sicher auch viel dagegen“, meint er lächelnd.

Auf dem Caravan-Park sitze ich in der Laundry auf dem Fußboden und schreibe, während draußen der Cookaburra die Leute unterhält. Auch andere Vögel krächzen und schilpen.

Weil es mir hier auf diesem Caravan-Park entschieden zu teuer ist, entscheide ich mich gegen einen Ruhetag, obgleich ich einen bitter nötig habe.

Huch? Mir sind eben die Augen beim Schreiben zugefallen. Sooooo müde bin ich von den Fahrten der letzten Tage.

31.01.2013: Echuca – Elmore: 52 km

Die weißen Kakadus waren gestern Abend und sind heute früh eifrig am Erzählen und Herumfliegen. Vorher beschwerten sich die Leute über die rosa Kakadus, weil sie sich so laut unterhalten. Aber gegen die weiße Sorte sind die anderen noch harmlos.

Heute früh kann ich mein Zelt trocken zusammenrollen. Auf diesem Campingplatz in Echuca zeltet ein sehr nettes Pärchen. Sie ist Italienerin und er Australier. Sie trafen sich mal zufällig in London. Nun wohnen sie schon viele Jahre in Italien und machen aber regelmäßig in Australien Urlaub, seit beide in Rente gegangen sind. Ihr Auto steht in Australien bei Freunden – Autoschlossern - in der Garage. Auf diese Weise sind sie hier immer unabhängig und möchten heute in Richtung Port Augusta und danach gen Süden nach Adelaide weiterfahren. Sie verbringen in Australien jedes Jahr eine Zeitspanne von sechs Monaten per Caravan-Parks.

Heute fährt es sich so gut wie gestern: total plattes Gelände und so gut wie überhaupt kein Wind, keine Trucks und nur drei Road Trains, die alle um mich einen großen Bogen schlagen. Ich winke ihnen jedes Mal ein Dankeschön hinterher. Ich glaube, das haben sie sich alle schon per Telefon erzählt.

Die Landschaft um mich herum zeigt wie gestern Stoppelfelder und zwei große Rinderherden: eine aus nur schwarzen und eine aus der Holsteiner Schwarzbunten Rasse. Komme mir vor wie in Deutschland.

In Rochester fällt mein Blick linkerhand auf eine große Plastik aus gegossenem Metall: Oppi, der berühmteste Rennradfahrer Australiens! Na, da halte ich an, schiebe mein Rad in die Nähe und lese mir seine großen Rennradtaten durch: Er war nicht nur Paris-Brest-Paris und die Tour de France gefahren, sondern noch viele andere sehr große Rennen. Daraufhin wurde er von der englischen Königin zum „Sir“ geadelt. Ich hoffe, Während ich sein metallenes Bein tätschele, dass von seiner Energie wenigstens ein klein wenig in mich übergeht.

Während ich dort so stehe und staune, tritt ein junges Ehepaar auf mich zu und grüßt sehr neugierig. Es handelt sich um einen Michael und seine französische junge Frau Carroll. Sie möchten unbedingt wissen, woher ich bin und wohin ich möchte. Sie fotografieren mich mit dieser Statue.

Auf meiner Weiterfahrt sehe ich mal wieder ein weibliches, totes Känguru auf dem Rücken liegen. Das sieht so aus, als ob das Baby aus der Muttertasche noch klettern wollte, es aber nicht mehr schaffte. Traurig.

Der Caravan-Park Heathcote ist noch 71 km entfernt. Eigentlich habe ich vor, noch bis dahin zu kommen. Aber als das Ortseingangsschild Elmore erscheint, entscheide ich mich dazu, hier zu übernachten. Es handelt sich um einen kleinen Ort. Demzufolge kann der Caravan-Park nicht so teuer sein.

So setze ich mich erst in ein Café und esse Obstsalat. Die nette Dame hinter der Theke erzählt mir, dass ihr Vater aus Holland und ihre Mutter aus Wiesbaden, Deutschland, kamen. Ihr Vater war erst 15 Jahre, als er einfach von zu Hause ausriß und nach Australien ging. Das war kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Hier in diesem fremden Land passte er sich gut an, lernte die englische Sprache und packte bei jeder Arbeit an. Durch Zufall lernte er seine deutsche Frau hier kennen. Sie heirateten. Leider ist der Mann nun schon verstorben. Aber die Tochter ist sehr stolz auf ihn, weil er so fleißig war und sich im fremden Land durchgebissen hatte.

Auf meine Frage: „Wieso ist er denn als Junge von zu Hause ausgerissen?“ – antwortet sie:

„Seine Mutter war zu streng mit ihm. Auf diese Weise konnte er ihr aus dem Weg gehen. Er hielt es zu Hause nicht mehr aus.“

Und dann werde ich noch von einem Mann, der hier arbeitet, auf Deutsch angesprochen.

„Sind sie aus Deutschland?“

„Nein, ich stamme aus der Schweiz. Mein Vater besaß dort einen großen Fuhrpark. Damit wurden Geschäfte von der Schweiz bis weit nach Deutschland hinein abgewickelt. Deutschland ist sehr schön.“

 

Bevor ich mich auf dem Caravan Park in Elmore eintrage, möchte ich den Übernachtungspreis wissen. Ist der Preis hoch, fahre ich nach Heathcote weiter. Von der sympathischen Deutsch-Holländerin erhalte ich die Telefonnummer des hiesigen Caravan-Parks und rufe an. Da ich die Frau am anderen Ende so schlecht verstehen kann, überreiche ich den Hörer der Frau hinter dem Tresen. Sie fragt nach dem Übernachtungspreis und teilt ihr mit, dass ich nur mit dem Push-Bike und einem kleinen Zelt unterwegs sei. Deshalb brauche ich nur $10 pro Nacht zu bezahlen. Da lasse ich durchsagen, dass ich für drei Nächte buche und gleich komme.

Ich befinde mich gerade in den sanitären Anlagen, um auf meinem Computer zu schreiben. Unter dem Waschbecken liegt eine Kakerlake auf dem Rücken. Ich weiss nicht, ob sie noch lebt. Vorsichtshalber puste ich sie nicht an. Vielleicht fängt sie dann an, mit ihren vielen schwarzen Beinen zu zappeln. Nein, das kann ich nicht sehen. Hoffentlich ist sie heute Abend weg. Gleich stelle ich mein Zelt auf, weil die Sonne weiter gewandert ist und mein Platz nun im Schatten liegt.

Kaum bin ich damit fertig, da fängt es draußen an zu stürmen! Ich lege mich lang auf den Rücken und halte mit beiden Händen, Armen, Füßen und Knien die dem Sturm zugewandte Zelt-Wand stabil. Der Sturm hält fast zwei Stunden an. Der Himmel zieht zu. Was für ein Glück, dass ich schon hier auf dem Caravan Park bin und das Zelt steht.

Als ich abends mein Pumpernickel-Brot dick mit Butter, Knoblauchzwiebel und Salz essen möchte, läuft mir schon allein vom Gedanken daran die Spucke im Mund zusammen. Und als ich meine Schätze im Zelt ausbreite, stelle ich fest, dass ich vor zwei Tagen auf dem Campingplatz meine Butter im Kühlschrank liegen ließ. Was soll ich machen? Im Gefängnis lebten die Gefangenen von trockenem Brot mit Salz und Wasser. Warum soll ich davon nicht auch leben können? Die Gefängnisinsassen hätten sich über den Knoblauch bestimmt riesig gefreut, bekamen ihn aber nicht. Aber ich! So lebe ich mit trockenem Brot, Salz und Wasser und der „Delikatesse“ Knoblauch. Ich bin ein Knoblauchmonster geworden. Mir kommt sicher niemand zu nahe.

Während ich in den sanitären Räumen für die Ladies an einem Bord stehe und schreibe, sehen mich die Damen, die mal „müssen“. Dabei befindet sich eine ganz besonders nette, ältere, die sagt: „Sie sind großartig!“

Ich erkläre ihr: „Mich halten alle für verrückt.“

„Nein“, meint sie, „das sind sie nicht. Ich wünsche ihnen von Herzen, dass ihnen auf ihrer großen Fahrradtour nichts passieren möge.“

Komisch, mir fällt gerade ein, dass ich ja unendlich schrecklich nach Knobi stank. Und sie hat nichts gesagt, und auch nicht die Unterhaltung von ihrer Seite aus kurzfristig abgebrochen. Alle Achtung!

Während ich mich dusche, hoffe ich, dass der Sturm, falls er wieder zuschlägt, mein Zelt nicht wegpustet. Ansonsten müsste ich hinterherlaufen und es wieder einfangen. Was für ein schrecklicher Gedanke!

Als ich die sanitären Anlagen verlasse, ist es dunkel. Mein Zelt steht noch treu und brav. Die darin stehenden Packtaschen wären auch zu schwer zum Wegpusten gewesen. Aber beim Aufziehen des Reißverschlusses werden meine Hände nass. Es hat in der Zwischenzeit geregnet. Was für ein Glück, dass es jetzt draußen wenigstens trocken ist.

Aber kalter Wind pfeift von rechts unten in mein Zelt. Das muss ich unbedingt abändern. So kann ich doch nicht schlafen! Was soll ich machen? Linkerhand stehen schön aneinander aufgereiht meine Packtaschen. Dort kann er nicht durchpfeifen. So entschliesse ich mich dazu, die beiden kleineren Packtaschen rechts neben meine Lenkertasche zu stellen. Außerdem besitze ich ja noch hier meine große Waschtüte und die große Tüte mit meiner Garderobe. Diese beiden Teile stelle ich hinter die zweite kleine Packtasche. Meine Frühstücksunterlage befindet sich quer und senkrecht hinter meiner Lenkertasche.

Mir ist klar, dass dies eine sehr kalte Nacht wird. Das muss ich abändern. Kurzentschlossen hole ich alle meine Fahrradgarderobe aus meinen Packtaschen und ziehe sie übereinander an. Ich besitze nur ein Paar Socken, das etwas wärmer als die dünnen aus Baumwolle ist. Aber die Füße stecken ja mit dem Schlafsackhinterende in der Cool-Tasche, damit der Wind da nicht zugreift. Auf den Kopf stülpe ich mir die gelbe Pudelmütze, die ich von Reni mit der gelben Fleece-Jacke geschenkt bekam. Diese ziehe ich als letzte Schicht über alles. Nur hat der Reißverschluss der Jacke seinen Geist aufgegeben. Kann sie vorn nicht zuziehen. Aber besser so als gar nicht.

So krabble ich vorsichtig in meinen Schlafsack, schiebe meine Füße mitsamt Schlafsackhinterende in die Tasche, decke noch über alles von unten bis oben mit dem Badetuch ab und ziehe mir den Schlafsack bis über beide Ohren. Der Wind ist ausgesperrt. Die Zeltpflöcke schlug ich vorher auch noch alle einzeln tiefer in die Erde. Die Sturmabspannung steht gut und fest. Also: Gute Nacht!

01.02.2013: Erster Ruhetag in Elmore: 0 km

Um 6.30 Uhr wache ich erst auf. Das ist ein sehr gutes Zeichen! Die Garderobenschichten haben ihre warme Wirkung nicht verfehlt. Kein Wind rüttelt mehr an meinem Zelt. Aber von draußen fällt auch kein Sonnenschein durch mein winziges Zeltfenster. Der Himmel ist noch nicht richtig hell. Kein Vögelein singt. Auf meinem Thermometer sehe ich 10°C, bleibe eingekuschelt liegen und freue mich meines Lebens, dass ich heute nicht so früh aufzustehen und loszufahren brauche.

Nach einer Stunde wird es mir hier zu langweilig. So setze ich mich hin, sehe durch mein kleines Fensterchen und damit auf einige schmale, von der Sonne beschienene Grasflächen. Aber hierher hat sich noch kein Sonnenstrahl verirrt.

Endlich reiß ich mich zusammen und gehe in die sanitären Anlagen! Während ich nun hier am Bord, auf dem Babys gewickelt werden können, mit meinem gerade ausgepackten kleinen Notebook stehe, tritt wieder die nette Dame von gestern ein. Sie unterhält sich mit mir sehr ausführlich über meine Streckenführung. Sie und ihr Mann sind mit dem Caravan auch schon um Australien gefahren. Sie kennt sich von dieser Warte aus aus und gibt mir gute Hinweise. Ich hätte sie am liebsten gedrückt! Sie heißt Sue. Ich darf sie duzen. Sie bittet um meine Email-Adresse und ist mit ihrem Mann sehr an meiner Weiterfahrt interessiert. Und falls ich mal Probleme habe, soll ich ihnen per Email schreiben. Sie werden mir helfen. Wieder ein Engel auf meiner langen Fahrradreise. Vielen Dank!

Heute mal wieder hübsch angezogen, wandere ich zur Hauptstraße von Elmore, wo die vielen Geschäfte nebeneinander unter einem langen, breiten Sonnendach Wand an Wand stehen. Das ist hier normal. Zuerst kaufe ich Esswaren ein. In einem anderen Geschäft finde ich einen neuen Stoff-Hut mit Krempe für 50 Cent und eine dicke, warme Trainingshose, wie wir sie ganz früher trugen. Die soll nun nachts meine Beine und meinen Körper schön warm halten. Beim Bäcker erstehe ich vier dicke Brötchen. Pumpernickel gibt es in diesem Ort nicht.

Mit meinen Schätzen bei meinem Zelt wieder eingetroffen, esse ich. In der Zwischenzeit ist wieder Starkwind aufgekommen. Dicke, weiße Kumulus-Wolken jagen am wunderbar blauen Himmel dahin, während ich auf dem Rücken in meinem Zelt liege und durch das Fliegennetz nach draußen sehe. Ich wundere mich die ganze Zeit darüber, warum hier die Vögel nicht zwitschern und flöten. Denen war es über Nacht sicher auch viel zu kalt. Verständlich. Und bei diesem Sturm können sie sich wohl auch nur schwer auf den stark hin und her schwankenden Zweigen halten. Wie dann dabei noch aus vollster Kehle und Leidenschaft zwitschern? Das ist ihnen wohl vergangen. Hätte ich auch nicht gemacht.

Während überall bis Echuca die Gallahs die Bäume und die Luft mit ihrem Geschrei bevölkern, gibt es in Echuca fast nur die weißen Kakadus. Also, wer sich vorher über den Lärm der Gallahs beschwert hatte, der soll hier eines anderen belehrt werden. Diese machen einen noch viel größeren Lärm. Aber ein Lachender Hans ist nirgendwo zu Gast in den Bäumen. Ich bin müde und lege mich schlafen.

02.02.2013: Zweiter Ruhetag in Elmore: 0 km

Außer schlafen, essen, trinken, eine andere sehr gute warme Jacke für morgens und abends gekauft, ist nichts weiter passiert. Morgen möchte ich in mehreren Tagesetappen weiter an die Great Ocean Road nach Warnambool radeln. Ich hoffe, dass es nicht zu steil über die Berge geht.

Um 18.00 Uhr australischer Zeit bin ich mit meiner Tochter Gudrun und ihren beiden kleinen Töchtern Anna-Lena und Marie per Skype verabredet. Eine ganze Stunde unterhalten wir uns per Video zwischen Spanien und Australien. Was die Technik alles schaffen kann! Ich bin begeistert! Eine super Technik mit dem Skype! Vielen Dank, ihr Ingenieure, die ihr das geschaffen habt!

Und dieses Skype-Gespräch mache ich per Akku; denn meine Familie möchte mein Zelt und mein Umfeld sehen. So wandere ich damit auf dem Caravan Park hin und her. Sie sind begeistert! Nur wurde davon mein Akku ziemlich alle.

In den sanitären Anlagen, wo ich mich sehr oft mit meinem Computer aufhalte – immer an der elektrischen Leitung – stecke ich wieder den Stecker dafür und mein kleines WIFI in die Steckdosen. Nun muss ich warten, bis sich das kleine orange leuchtende Licht wieder in grün verfärbt. Mein Notebook möchte ich dort nicht unbewacht stehen lassen, bleibe dabei und beginne, von zu Hause zu träumen. Aber dort ist es zurzeit lausig kalt. Und Kälte mochte ich noch nie. Da gefällt es mir hier entschieden besser!

Und während ich da so stehe, betritt eine Frau den Raum, die mit ihrem Mann gerade ihr Zelt neben ihrem Wagen aufgestellt hat. Sie stammt aus der Nähe von Rotterdam in Holland und war oft um das Isle-Meer geradelt. Das war eine Strecke für einen knappen Tag, aber mit einer wunderbaren Sicht immer auf das Wasser mit seinen Wassersportlern. Sie selbst radelt aber nicht gern. Sie ist Malerin. Auch hier übt sie ihr Hobby aus. Ihr Mann fährt dann zum Beispiel nur hier in der Gegend von Melbourne dahin, wo es wunderschön ist. Dort wird gehalten und gemalt.

Ich erzähle ihr: „Nach dem Krieg wurde mein Bruder Helmut aufgrund der Unterernährung nach Holland in eine Familie mit zwölf Kindern verschickt. Er hat es dort sehr gut gehabt. Normalerweise sollte er nach sechs Wochen wieder zu uns zurückkehren, aber die Eltern schrieben uns, dass sie Helmut noch über Weihnachten und bis zum 6. Januar bei sich behalten wollten. Sie liebten ihn alle. Am liebsten hätten sie ihn adoptiert. Er kam am 7. Januar gut ernährt und ganz glücklich bei eisiger Kälte wieder zu uns nach Hause, war sehr gut eingekleidet worden, konnte aber nur noch Holländisch sprechen. Dort war er auch während der ganzen Zeit zur Schule gegangen.“

Aber warum erzähle ich das dieser netten Frau heute? Ja, wir lebten seit 1952 auf der Nordseeinsel Amrum. Und im Februar 1953 ging von Holland bei einer riesigen Sturmflut ein sehr großer Teil seines Landes unter. Mein Vater forschte hinterher nach, ob diese lieben Leute am Leben geblieben waren. Leider waren alle ertrunken.

Ich wollte ihr nur erzählen, wie liebenswürdig die Holländer sind. Sie war von dieser wahren Geschichte sichtlich tief berührt. Aus ihrem Duschen wurde nichts. Die Zeit ging vorbei und ihr Mann wartet auf Abendessen. So geht sie erst einmal unverrichteter Dinge zurück zum Zelt. Am kommenden Morgen möchte sie mich verabschieden.

Ein Blick zu meinem Computer – das orangefarbene Lämpchen hat sich in grün verfärbt. Der Akku ist aufgeladen. So gehe ich zum Zelt, ziehe alle meine warmen Sachen übereinander und schiebe mich wie eine dicke Tonne in meinen – zum Glück – weiten Schlafsack.