Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums

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2. 4. 15 Menschlichkeit

Die Menschlichkeit ist als Tugend die humane Gesinnung eines Menschen. Sie äußert sich beispielsweise in der Achtung des Mitmenschen, Toleranz Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Nachbarschaftshilfe, Engagement in sozialen Einrichtungen und im achtsamen Umgang mit der Natur. „Dabei heißt tolerant sein, Widersprüche aushalten können“ (G. Grass). Der Gedanke der Humanität umfasst auch die allgemeine Menschenwürde, wie sie im Grundgesetz verankert ist:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“

(Art. 1, 1 Grundgesetz)

Die Menschlichkeit hat auch im Rahmen der Menschenführung als Erfolgsfaktor ihren Stellenwert.160 Grundsätzlich gilt für uns alle: „Behandle Menschen immer so, wie du selbst behandelt werden möchtest“ (nach I. Kant). Der kluge Schöpfer des kategorischen Imperativs lebte in Königsberg und konnte sich im Alter ein Haus, einen Hausdiener und eine Köchin leisten. Kant wird – etwas überzeichnet – als spröder, pünktlicher und professoraler Typ dargestellt. In seiner Studienzeit war er ein guter Katenspieler und verdiente sich sein Studium auch mit Billardspielen. Später litt er an der Alzheimer-Krankheit und war am Ende total orientierungslos.161 Er starb 80jährig in Königsberg. Seine Forderungen nach mehr Menschlichkeit gelten bis heute. Auch der Dalai Lama162 fordert seit Jahren engagiert: „Alles, was wir brauchen, ist mehr Menschlichkeit.“ Das Gegenteil ist die Unmenschlichkeit, die sich z. B. in Rücksichtslosigkeit, Gewalt und unterlassener Hilfeleistung zeigt. Die Menschlichkeit grenzt sich auch von verschiedenen tierischen Eigenheiten und Gegebenheiten ab.

► Was bedeutet Menschlichkeit? „Sie ist die höchste Tugend“ (L. de Vauvenargues). Und: Menschlichkeit ist Humanität: „Sie besteht darin, dass niemals ein Mensch einem Zweck geopfert wird“ (A. Schweitzer). Woran ist sie zu messen? „Menschlichkeit misst sich vor allem an Demut“ (K. Feldkamp). Wie entfaltet sie sich? „Das Wesen der Menschlichkeit entfaltet sich nur in der Ruhe. Ohne sie verliert die Liebe alle Kraft ihrer Wahrheit und des Segens“ (J.H. Pestalozzi). Wie kann man sie erhalten? „Man muss sich besiegen lassen und Menschlichkeit haben“ (Moliére). Zum Verhältnis von Vernunft und Menschlichkeit: „Der Mensch soll nicht vernünftiger, er soll menschlicher werden“ (I.G. von Herder). Zur Partnerschaft äußert sich der österreichische Dichter E. Ferstl: „Solange die Menschlichkeit uns miteinander verbindet, ist mir völlig egal, was uns trennt.“ Und: „Lieben ist für mich die schönste Art von Menschlichkeit“ (D. Wieser). Für uns alle ist wichtig: „Die wirkungsvollste Energiequelle unseres Lebens ist und bleibt die menschliche Wärme“ (E. Ferstl).

► Der Schweizer Journalist W. Ludin wirft die entscheidende Frage auf: „Es gibt Milliarden von Menschen. Warum gibt es so wenig Menschlichkeit?“ Wieso wird die oben gepriesene Menschlichkeit nicht überall im Kleinen und auch im Großen praktiziert? In Mikrosicht eruieren wir: „Bei den meisten Erfolgsmenschen ist Erfolg größer als die Menschlichkeit“ (D. du Maurier). In Makrosicht kann auch aktuell festgestellt werden: „Die fürchterlichen Massaker wurden niemals von Skeptikern oder Nihilisten verübt, sondern von Gläubigen und Utopisten, im Namen von mächtigen Idealen“ (R. Burger). Und für die Politik gilt: „Geschickte Reden und eine zurechtgemachte Erscheinung sind selten Zeichen der Mitmenschlichkeit“ (Konfuzius). Nicht wenige Menschen haben mit der Menschlichkeit nicht nur gute Erfahrungen gemacht: „Wer sich in unserer Gesellschaft menschlich zeigt, unterliegt der Gefahr, ausgenutzt zu werden.“* Deshalb kommt G. Uhlenbruck zu keinem erfreulichen Ergebnis: „Mensch zu sein, das ist heute ein Risikofaktor.“ In anderer Sicht wird Menschlichkeit vorgetäuscht, aber nicht dementsprechend gehandelt: „Sie trinken heimlich Wein. Und predigen öffentlich Wasser“ (H. Heine). Die deutsche Lyrikerin R. Bloch folgert: „Wir sind dort verloren, wo die Menschlichkeit ihr Gesicht verliert.“

► Mögliche Synthese mit Oscar Wilde, der liberal reagiert: „Jeder Mensch hat seinen wunden Punkt und erst das macht ihn menschlich.“ Diese Sicht trifft aber nur partiell zu. Die Menschlichkeit wird meistens erst dann zum wirklichen Thema, wenn wir Menschen sie entbehren müssen. Leider verzeichnen wir auch in unserer Gesellschaft eine zunehmende menschliche Kälte und teilweise einen Mangel an Menschlichkeit, beispielsweise wenn Menschen brutal zusammengetreten werden, obwohl sie hilflos am Boden liegen. Die Aggressionen von Menschen kommen hier an eine Schmerzgrenze.163 „Was nutzt das Bekenntnis zur Unantastbarkeit der Würde des Menschen, wenn Menschenrechte mit Füßen getreten werden? Um der Menschlichkeit wieder mehr Geltung zu verschaffen, dürfen wir alle nicht müde werden, durch eigenes Vorbild und bewusstes und zielgerichtetes Verhalten gegen die Unmenschlichkeit anzugehen.“* Und wir stellen resignierend fest: „Solange Menschlichkeit nur von den anderen gefordert wird, wird das nichts.“* Außerdem: „Ohne den konsequenten Kampf gegen die sozialen Missstände in unserem Landes werden wir das Böse nicht in den Griff bekommen, zumal die Untugenden immer stärker vorankommen.“* Vor allem: „Menschlichkeit bedeutet Herzenswärme.“* Zum Schluss noch die Erkenntnis: „Jeder Mensch ist verdammt, bis in ihm die Menschlichkeit erwacht“ (W. Blake).

2.5 Untugenden des Menschen

Eine Untugend ist im Gegensatz zur Tugend die mangelnde Gesinnung eines Menschen. * Untugenden sind Laster, also die das übliche Maß überschreitenden Gewohnheiten, Neigungen und Willensrichtungen.164 Untugenden äußern sich in schlechten Angewohnheiten von Menschen und werden deshalb als für den Einzelnen und für die Gemeinschaft als schädlich angesehen. Was als Untugend bzw. als Laster angesehen wird, ist in hohem Maße von der Meinung innerhalb einer Gesellschaft abhängig. Beispiele für Untugenden sind Wollust, Zorn, Lüge, Eitelkeit, Geiz, Faulheit, Neid und Stolz.165 In der Welt des geisteswissenschaftlichen Universums sollten wir die Untugenden zwar kennen, aber zu meiden versuchen. Auch die Untugenden werden in dialektischer Sicht vorgestellt.

2.5.1 Stolz

Der Stolz bezeichnet das stark ausgeprägte Selbstwertgefühl eines Menschen. Die Ausprägungen des Stolzes reichen von der positiven Interpretation als berechtigte Freude über eine eigene Leistung (z. B. über einen erfolgreichen Studienabschluss) oder stolz auf einen Freund zu sein, bis hin zu negativer Wertung als übertriebenes Selbstbewusstsein, z. B. Hochmut, Eitelkeit, Hochnäsigkeit, Arroganz, Prahlerei, Überheblichkeit und Narzissmus.166 Der Stolz zählt als Untugend zu den 7 Todsünden. „Der Stolz ist vielfach gleich, verschieden sind nur die Mittel und die Art, ihn an den Tag zu legen“ (La Rochefoucauld). Der Stolz kann auf sich selbst, aber auch auf gesellschaftliche Anerkennung ausgerichtet sein. Er zeigt sich in Gebärden und Gesten, z. B. in einer aufrechten Körperhaltung (positiv) bzw. wenn „die Nase hoch getragen wird.“ Gibt es Zusammenhänge zwischen Stolz und Arroganz? „Arroganz entsteht, wenn der persönliche Erfolg schneller wächst als die eigene Persönlichkeit.“ (S. Kühne). „Arroganz ist die Karikatur des Stolzes“ (E. Freiherr von Feuchtersleben). Dagegen ist Selbstachtung eine positive Pflicht, um das Wertvolle zu erhalten und das Unwürdige zu entfernen. „Wird Stolz sich seiner bewusst, so ist er Eitelkeit“ (W. Rathenau). Das Gegenteil von Stolz ist Demut. „Man kann nicht früh genug die Erfahrung machen, wie entbehrlich man in der Welt ist“ (J.W. von Goethe). Demgegenüber gibt es leider auch den falschen Stolz: „Mancher ertrinkt lieber, als dass er um Hilfe ruft“ (W. Busch). Hochmut ist schwierig zu bekämpfen. Hier ist Selbsterkenntnis nötig. Hilft es, Bescheidenheit dagegenzusetzen? „Oft täuscht man sich, wenn man glaubt, durch Bescheidenheit den Hochmut bezwingen zu können“ (N. Machiavelli). Wie zeigt sich der Stolz?

► Der Stolz zeigt sich im Selbstwertgefühl des Menschen: „Stolz kommt von innen, er ist die direkte Hochschätzung unserer selbst“ (A. Schopenhauer). „Der Stolz ist die berechtigte Freude darüber, etwas Besonderes geleistet zu haben“ (unbekannt). Auf seine Höchstleistungen kann der Mensch stolz sein. Mancher lebt aber mit seinem Stolz in einer anderen Welt: „Traumprinzen wohnen in Luftschlössern“ (A. Adler). Oftmals kommt dann das Erwachen zu spät. Trotzdem muss auch eine Niederlage nicht in Depression enden: „Eine stolz getragene Niederlage ist auch ein Sieg“ (M. von Ebner-Eschenbach). Nach dem Motto: „Kopf hoch, wenn der Hals auch dreckig ist“ (Sprichwort).

► Demgegenüber sind Hochnäsigkeit und Überheblichkeit Untugenden, die dem Menschen schaden: „Wer von oben herabschaut, ist nicht stolz, sondern arrogant“ (E. Blanck). Noch besser: „Wer glaubt etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden“ (Sokrates). Ähnlich: „Dummheit, Stolz und Unverschämtheit sind Blutsverwandte“ (aus Russland). Wogegen müssen wir angehen? „Ärger, Stolz und Neid sind unsere wahren Gegner“ (Dalai Lama). Jeder sollte die Folgen seines Verhaltens durchdenken, denn man kann sehr tief fallen: „Wer abhebt, benötigt einen guten Fallschirm.“* Etwas deftiger: „Ein Esel bleibt immer ein Esel, auch wenn sein Sattel aus feinstem Leder ist“ (aus Türkei). Interessant ist auch die folgende Erkenntnis: „Stolze Menschen hassen Stolz bei anderen“ (B. Franklin). Deshalb verwundert uns nicht: „Unter den Stolzen ist immer Hader“ (Sprüche 13,10). Stolze reagieren oft falsch: „Demütigung beschleicht die Stolzen oft“ (J.W. von Goethe). Zum Schluss: „Der Stolze verzehrt sich selbst“ (Ch. W. von Gluck).

 

► Fazit: Der wirklich Erfolgreiche weiß: „Wer stolz auf sich selber ist, braucht wenig Komplimente“ (A. Marti). Auch gilt: „Ein stolzer Mensch verlangt von sich das Außerordentliche, ein hochmütiger schreibt es sich zu“ (M. von Ebner-Eschenbach). Es stimmt auch: „Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz“ (Sprichwort). Sie schaden uns: „Stolz ist das Haupthindernis auf dem Wege der Entwicklung“ (Dalai Lama). Geltung, Ansehen und Macht werden zur Bedrohung, wenn das Geltungs- und Machtstreben ausartet. Und es gilt: „Zu viel Stolz lässt kaum Platz für Weisheit“ (C.K. Rath). „Wer aus Geltungssucht zum Streber wird, denkt nur an seine Karriere und schiebt alles beiseite, was ihm im Wege steht. Er ist sogar bereit, seinen Glauben und seine Religion aufzugeben, wenn er dadurch sein Ziel erreichen kann“ (Auszug aus dem Katholischen Katechismus für Erwachsene). Merke: „Den Stolz hat Gott noch stets vernichtet und Demut immer aufgerichtet“ (K.L. Immermann). So mancher Hagestolz täuscht sich enorm:

„Manche Hähne glauben,

dass die Sonne ihretwegen aufgeht“

(T. Fontane)

Dazu Goethe: „Wie gerne säh ich jeden stolzieren, könnt er das Pfauenrad vollführen.“ Und: „In Wirklichkeit ist vielleicht keine unserer natürlichen Leidenschaften so schwer zu überwinden wie der Stolz“ (B. Franklin). Zum Nachdenken: „Wer über die Verächtlichkeit des Ruhmes Bücher schreibt, wird es trotzdem nicht versäumen, seinen Namen auf das Titelblatt zu setzen“ (Cicero).167 Freiherr von Knigge äußert dazu folgende edle Wünsche: „Ich möchte gern, dass man Stolz als eine edle Eigenschaft der Seele ansähe; als ein Bewusstsein wahrer innerer Erhabenheit und Würde; als ein Gefühl der Unfähigkeit, niederträchtig zu handeln.“ Zum Schluss sucht Albert Schweitzer den wissenschaftlichen Bezug: „Die Wissenschaft, richtig verstanden, heilt den Menschen von seinem Stolz, denn sie zeigt ihm seine Grenzen.“168 Oder in anderer Sicht: „Je größer der Mann, desto geringer der Stolz“ (C.F. Hebbel).

2.5.2 Geiz

Der Geiz ist die zwanghafte oder übertriebene Sparsamkeit eines Menschen. Der Geizige ist unfähig, Güter mit anderen zu teilen und unterliegt der Habgier bzw. der Erhaltung und Vermehrung seines Besitzes. Es wird auch vom Pfennigfuchser, Geizhammel und Rappenspalter gesprochen. Das Schicksal von armen Menschen interessiert ihn leider überhaupt nicht. Der Geizige lebt karg und gönnt sich für sein eigenes Leben fast nichts. Vielmehr erfreut er sich am permanenten Anhäufen von Kapital und von Habenzinsen: „Der Geiz hat den Ehrgeiz, immer mehr Geld auf seinem Konto zu horten“ (unbekannt). Merke: „Wer mit einem Geizhals verheiratet ist, hat kein schönes Leben.“* Die Wurzeln dieses Verhaltens liegen wohl schon in der Kindheit. Es kann auch in der Erziehung durch Lernvorgänge bedingt sein. „Wer geizige Eltern hat, wird dadurch stark beeinflusst und verinnerlicht diese Haltung.“* Auch: „Der Geiz wächst mit dem Gelde“ (Sprichwort). Er zählt als Untugend im Christentum zu den 7 Todsünden. Die Nähe zum Neid ist unverkennbar: „Geiz und Neid hausen unter einem Dach“ (aus Sizilien). Das Gegenteil von Geiz ist die Mildtätigkeit.

► Pro-Argumente: Zwischen Geiz und Sparsamkeit sind die Grenzen fließend.169 Wer zu übertriebener Sparsamkeit neigt, findet Geiz gar nicht so schlimm: „Geiz ist geil!“ (Werbespruch). Und fügt schnell hinzu: „Der Geiz ist etwas ausschließlich Menschliches“ (O. Gildemeister). Trotzdem: „Viel Geld zu besitzen und reich zu sein, ist etwas Wunderbares!“ (unbekannt). „Wenn nicht gespart wird, dann ist kein Geld für Kredite da!“ (unbekannt). Und: „Die Volkswirtschaft braucht sparsame Menschen!“* Auch postuliert der Geizige unehrlich: „Ich spare für meine Familie, damit ihr es später besser geht.“ Es ist wohl wahr: „Der Geiz sucht Gründe für seine Sparsamkeit“ (M.M. Jung).

► Contra: Der Geizige gönnt sich selbst und anderen nichts: „Das größte Vergnügen aller Geizhälse besteht darin, sich ein Vergnügen zu versagen“ (G. Benn). Und: „Nichts zu geben findet der Geizige immer Ursache“ (Sprichwort). Es ist kaum zu glauben, aber wahr: „Dem Geizigen ist es sogar um das Wasser leid, mit dem er sich wäscht (T.M. Plautus). Übertriebene Sparsamkeit eines Menschen ist von Übel: „Geiz ist das Futter der Gier“ (S. Schütz). Auch gilt: „Geiz ist ein kranker Geist“ (M. Hinrich). „Der Geiz hat den Ehrgeiz, viel Geld auf seinem Konto zu haben.“* Medizinisch ausgedrückt heißt das: „Wenn ein Geizhals Geld ausgibt, verliert er Blut“ (aus Polen). So sind die Folgen offensichtlich: „Geiz zerstört Körper und Seele“ (aus Abessinien). Und auch: „Geiz macht ein Herz aus Stein und Erz“ (Sprichwort). Auf einen Werbespruch entgegnet A. Selacher: „Geiz ist geil? Geiz macht impotent.“ Großzügigkeit ist für den Geizigen ein Fremdwort: „Mancher Geizkragen hält sich schon für großzügig, wenn er den Sonnenschein mit anderen teilt“ (W. Meurer). Dazu eine kurze Geschichte.

Der Philosoph Franz von Baader weilte auf dem Gutshof seines Freundes Boris v. U., der als sehr geizig bekannt war und vor allem die Bettler hasste. Nun stand ein sehr alter, zerlumpter Mann vor dem Philosophen und fragte: „Sie sind doch der bekannte Philosoph Professor Franz von Baader, aus Bayern stammend?“ „Ja doch!“ „Sie haben ein bedeutendes Werk über Vermögenslose geschrieben, haben Sie eine milde Gabe für mich?“ Der Philosoph sagte: „Ich habe selbst nicht viel, aber mein guter Freund Boris wird sich vielleicht erkenntlich zeigen!“ Der Hausherr Boris kommt hinzu und rief voller Entsetzen: „Ein Bettler, ich gebe nichts! Raus!“ „Sie sind sehr liebenswürdig“, sagte der Bettler: „… möge es Euch ergehen wie Abraham, Isaak und Jacob!“ Boris meinte erstaunt: „Ein Schnorrer, aber höflich ist er!“ „Höflich?“ meinte der Bettler: „Was ich Euch wünsche ist, dass Ihr umherirrt wie Abraham, blind werdet wie Issak und hinkt wie der unselige Jacob!“

► Conclusio: Manche Geizige wurden mit ihrem Geiz sehr reich, andere haben sich zugrunde gerichtet.170 Kein Mensch möchte als geizig gelten, denn geizige Menschen sind in der Regel nicht beliebt: „Geizhals und Glück werden sich niemals kennen lernen“ (B. Franklin). Der Geiz trennt Paare und er lässt Freundschaften auseinander gehen. Denn: „Geiz ist die Wurzel allen Übels“ (Timotheus 6,10). Wenn Frauen heute auf Partnersuche sind, dann sehen sie den Geiz als die unbeliebteste Eigenschaft bei Männern. Befragungen zeigen, dass die Hälfte der Männer auch keine geizige Frau heiraten möchte. Bei diesem Phänomen sind die Übergänge zwischen Sparsamkeit und Geiz fließend. Der Geizige selbst leidet nicht unter dieser negativen Eigenschaft, sondern er freut sich an seinem Geld. „Wer den Geiz auf die Spitze treibt, kommt nicht umhin, sich in totaler Konsumverweigerung zu ergötzen“ (J. Wilbert). „Geiz beginnt, wo die Armut aufhört“ (H. de Balzac). „Man kann sich keine Niederträchtigkeit denken, deren ein Geizhals nicht fähig wäre“ (A.F. von Knigge). „Viel versprechen, wenig geben, lässt den Geizhals in Frieden leben (aus Flandern).“ „Einen Geizhals kann man aber nicht ändern: man muss ihn nehmen, wie er ist.“* Die gute Seite dabei ist:

„Geiz ist das einzige Laster, das sich in den Augen der Nachkommen in eine Tugend verwandelt“

(Martin Held)

Deshalb gilt: „Geizhälse sind die Plage ihrer Zeitgenossen, aber das Entzücken ihrer Erben“ (Th. Fontane). Und: „Des Geizhalses einzige Wohltat ist sein früher Tod“ (aus Bulgarien). Am Ende kann aber keiner etwas mitnehmen: „Jedenfalls hat es keinen Sinn, der reichste Mann auf dem Friedhof zu sein“ (P. Ustinow).

2.5.3 Eitelkeit

Die Eitelkeit ist dasjenige Wohlgefallen des Menschen an sich selbst, das sich auf vermeintliche Vorzüge vor anderen stützt und im Unterschied zum Stolz diese Vorzüge von den andern unbedingt anerkannt wissen will.171 Beispielsweise die Sorge um die Schönheit, um die geistige Vollkommenheit bzw. um das eigene Aussehen. Dabei sind die Grenzen zwischen der natürlichen Freude am eigenen Körper und der übertriebenen Sorge um die eigene Attraktivität fließend. Wir können als normale Eitelkeit die persönliche und die nationale Eitelkeit unterscheiden. Der überzogen eitle Mensch ist sehr stark von seinen vermeintlichen Vorzügen überzeugt und stellt sie häufig zur Schau. Übertriebene Eitelkeit ist eine Untugend. Das Gegenteil von Eitelkeit ist eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Person bzw. gegenüber Nationen. Man kann nun die Frage aufwerfen: „Ist Eitelkeit ein verwerfliches Laster oder eine fördernde Kraft?“172 Sie hat wohl von beidem etwas:

► Thesen: „Eine gewisse Eitelkeit ist menschlich“* . „Ohne die Eitelkeit wäre die Welt nur halb so schön“ (F. Löchner). Das gilt vor allem für bestimmte Künstler: „Musiker sind nicht eitel, sie bestehen aus Eitelkeit“ (K. Tucholsky). Treffend: „Eitle Fernsehjournalisten halten sich selbst für mindestens ebenso bedeutend wie ihre prominenten Interviewpartner“ (E. Probst). Aber: „Große Eigenschaften entschuldigen kleine Eigenheiten“ (Wiliam Penn). Für den Alltag gilt: „Wem sein Aussehen ganz egal ist, mit dem stimmt etwas nicht“ (unbekannt). Für das Besondere und Große gilt: „Glanz und Gloria, Triumph der Eitelkeit (O. Baumgartner-Amstad). Oder für den Sport gilt: „Medaillenspiegel: Attribut nationaler Eitelkeit“ (A. Eilers). Und: „Wenn der Ehrgeiz als Zwerg zur Welt kommt, nennt man ihn Eitelkeit“ (unbekannt).

Interessant ist auch folgende Meinung: „Der Mensch hat es so gern, wenn man über ihn spricht, dass ihn sogar eine Unterhaltung über seine Fehler entzückt“ (A. Maurois). Wie lässt sich übertriebene Eitelkeit erkennen? „Selbsterkenntnis behütet dich vor Eitelkeit“ (M. de Cervantes-Saavedra). Auch gilt: „Macht und Eitelkeit machen uns beredt“ (Ch. von Schweden). Außerdem: „Die Eitelkeit ist die Höflichkeits-Maske des Stolzen“ (F.W. Nietzsche). Etwas vermessen ist folgende Feststellung: „Eitelkeit ordnet Lebensglück gern der eigenen Intelligenz zu“ (M.M. Jung). Oft gilt im Leben: „Den größten Streich spiel uns immer noch die eigene Eitelkeit“ (E. Koch). Edle Menschen erkennen rechtzeitig die nötige Konsequenz: „Die Eitelkeit ist das erste, was der Weise ablegt“ (aus China).

► Antithesen: Übertriebene Eitelkeit kann als Untugend süchtig bzw. affig machen: „Eitelkeit ist eine persönliche Ruhmsucht“ (J.W. von Goethe). Auch: „Die Eitelkeit, der nimmersatte Geier, fällt nach verzehrtem Vorrat selbst sich an.“ (Shakespeare). „Wo die Eitelkeit anfängt, hört der Verstand auf“ (M. von Ebner-Eschenbach). Auch viel Geld kann zu überzogener Eitelkeit führen: „Ein schwerer Beutel macht leicht eitel“ (A. a Santa Clara). Dann ist die Überheblichkeit nicht weit: „Wer Eitelkeit zum Mittagbrot hat, bekommt Verachtung zum Abendbrot“ (B. Franklin).

Auch hier gilt: „Wer abhebt, benötigt einen guten Fallschirm.“* Eitelkeit findet sich insbesondere vor dem Spiegel: „Eitelkeit macht jeden Spiegel blind“ (A. Brie). Noch stärker ausgedrückt: „Für die Eitelkeit ist selbst die Pfütze ein wohlgefälliger Spiegel“ (A. Schopenhauer). Aber: „Wenn Menschen in Not sind, dann sinkt der Stellenwert der Eitelkeit enorm:“* „In der Not verdunstet viel Eitelkeit“ (M. Hinrich). Zum Nachdenken: „Die Strafe für Eitelkeit ist Schmeichelei“ (W. Raabe). „Mitunter wird mit übertriebener Eitelkeit bzw. mit Affigkeit versucht, Schwächen der eigenen Person zu übertünchen.“* Wird die überhöhte Eitelkeit verletzt, dann gibt es oft unangemessene Reaktionen: „Verletzte Eitelkeit hat hundert Krallen“ (aus Piemont). Oder: „Verletzte Eitelkeit infiziert sich oft mit Hassgefühlen“ (G. Uhlenbruck). Deshalb gilt auch hier: „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“ (Sprichwort).

 

► Synthese: „Wenn sich eine vornehme Frau für ihren Mann vor dem Spiegel schön macht oder der edle Mann eitel seine Fliege für den besonderen Abend zurechtlegt, dann sind diese Verhaltensweisen normal.“* Aber wir stoßen an eine Grenze, wo die Eitelkeit zur Affigkeit wird, die es für alle zu vermeiden gilt. „Männer, die Angst davor haben, dass man ihre gefärbten Haare ans Licht bringen könnte, waren mir schon immer suspekt.“* In der christlichen Theologie zählt die Eitelkeit zu den Hauptsünden, denn sie lenkt das Denken des Menschen von Gott ab und zu sich selbst hin. „Sehr eitle Menschen wollen vor allem sich selbst gefallen“* Dazu äußert sich ein Menschenkenner treffend:

„Man muss sich also eingestehen, dass die eitlen Menschen nicht sowohl Anderen gefallen wollen, als sich selbst, und dass sie so weit gehen, ihren Vorteil dabei zu vernachlässigen; denn es liegt ihnen oft daran, ihre Mitmenschen ungünstig, feindlich, neidisch, also schädlich gegen sich stimmen, nur um die Freude an sich selber, den Selbstgenuss, zu haben“

(F.W. Nietzsche)

Wer gar zu eitel ist, kann sogar zum Schöngeist oder zum Hagestolz werden. Die Betroffenen sollten sich dann nicht wundern: „Niemand hat aber Mitleid mit dem Schmerz der Eitelkeit“ (S. Johnson). Deshalb sollten wir Menschen rechtzeitig gegensteuern: „Tötet eure Eitelkeit, bevor sie euch umbringt“ (P.E. Schumacher). Das ist aber alles gar nicht so einfach, denn: „Eitelkeit ist darum so schwer abzulegen, weil man sie, unter allen Lastern allein, den ganzen Tag genießen kann“ (J. Paul).