Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

2.5.4 Wollust

Wollust ist die extreme Form sexueller Lust, nämlich als sinnliche Begierde mit erotischen Fantasien. Das aktive Handeln des Menschen zur wilden Steigerung der sexuellen Befriedigung ist dabei eingeschlossen. „Moderne Technik eröffnet viele Wege, sündiges Verhalten zu befriedigen“ (F. Löchner). „Die Wollust liebt die Mittel nicht den Zweck“ (H. von Hofmannsthal). Und: „Die Wollust ist die Katastrophe des Genusses“ (E.M. Cioran). Die Wollust zählt im Christentum als Untugend zu den 7 Todsünden. Das Gegenteil der Lust ist die Unlust, das Gegenteil von Wollust ist die Keuschheit als Enthaltsamkeit: „Wo Lust schrumpft, wächst Sitte“ (M.M. Jung). Wir wollen zunächst zwischen Lust und Wollust unterscheiden:

► Die Lust als Glücksgefühl ist etwas ganz Normales: „Es ist eine Lust zu leben“ (U. von Hutten). Die Lust ist ein Antrieb, der auf die Befriedigung eines stark empfundenen Bedürfnisses oder Mangels ausgerichtet ist. Die Lust war schon in der Antike, im Mittelalter und in der neueren Zeit ein interessierendes Thema.173 „Die Lust ist Ursprung und Ziel des glücklichen Lebens“ (Epikur). Sie ist mit heftigen, zeitlich begrenzten Glücksgefühlen (z. B. Liebe, Sex, Lustgefühl, Begierde), Freude (z. B. Sport, Arbeit) bzw. Genuss (z. B. beim Essen, Trinken) verbunden.

Träumen wir nur? „Alle Lust der Welt ist ein Traum nur“ (F. Petrarca). „Wo die Lust anfängt, hört der Spaß auf“, sagt P. Mommertz. Auch: „Lust verkürzt den Weg“ (W. Shakespeare). Ebenfalls gilt: „Lust findet Zeit“ (W. Puzicha). Und: „Je seltener das Angenehme, desto größer die Lust (Epiktet). Ohne Lust bewältigen wir unser Leben nicht: „Lust ist der beste Motor“ (M. Hinrich). Auch gilt für den Sex: „Phantasie ist der größte Lustgewinn“ (D. Wieser). Ähnlich ausgedrückt: „Lust steigert sich an Lust“ (K. Tucholsky). Der französische Philosoph Honoré de Balzac wirft die Frage auf: „Vielleicht ist die Liebe nur Dankbarkeit für die Lust?“ Als Formen der Lust sind Lebenslust und sexuelle Lust zu unterscheiden. Hier eine treffende Beschreibung der sexuellen Lust:

„Dein herrlicher Körper treibt mich zum Wahnsinn. Ich begehre dich heftig, möchte noch mehr; du machst mich verrückter mit jeder Berührung. Ich liebe dich, brauche dich, will dich so sehr“

(H.C. Neuert)

► Gott hat uns aber im Umgang mit der Lust Grenzen gesetzt: „Du sollst nicht gelüsten deines Nächsten Weibes“ (5 Mose, 5,21) und „Du sollst nicht ehebrechen“ (5 Mose, 5,18). Wenn wir meinen, diese Gebote locker umgehen zu können, um sich beim Ehebruch voll der Wollust hinzugeben, dann täuschen wir uns gewaltig, denn die Folgen von Ehebruch können heftig sein: „Wer Lust begehrt, begehrt Leid“ (Buddha). Auch: „In den Katakomben der Lust wohnt auch der Frust“ (F. Löchner). „Wer Laster hat, ist in ständiger Gefahr, von ihnen überfahren zu werden“ (W. Lörzer). Aber es gilt ebenfalls: „Standhaftigkeit bedarf der Versuchungen“ (A. Saheb). Und vor allem: „Wollust nährt Sünde“ (Sprichwort). Nicht nur die Tinte in meinem Füllfederhalter sträubt sich dagegen, von den schrecklichen Ereignissen eines Lustmordes174 oder von der Kinderpornographie zu berichten. Darüber hinaus kokettiert mancher mit den Geboten Gottes: „Gib mir Keuschheit und Enthaltsamkeit – aber jetzt noch nicht“ (Augustus Aurelius). Oder in ganz anderer Sicht urteilend: „Ein Eunuch hat es leicht zu moralisieren.“* Die extremen Beurteilungen reichen von der himmelsträchtigen Liebe bis zur niederträchtigen Wollust. Sie wird auch als schönste Todsünde bezeichnet.175

► Synthese: „Gott hat uns u. a. auch die sexuelle Lust geschenkt, damit wir mit unserem Ehepartner glücklich sind, mit ihm in der Liebe Spaß haben und für Nachwuchs sorgen können. Die sexuelle Lust mit dem Ehepartner immer wieder neu zu erleben gehört zu den schönsten Geschenken, die uns Gott gegeben hat.“* Diese Lust ist so wundervoll, dass man sie nicht in Worte kleiden kann; man glaubt, kurze Zeit irgendwie im Paradies zu sein. Aber Gott hat uns hinsichtlich außerehelicher Partnerschaften strenge Grenzen gesetzt. Der Umgang damit ist allerdings nicht einfach, wie es die vielen negativen Ereignisse in unserer heutigen Gesellschaft und in der Welt deutlich zeigen. Der Ehebruch aus dem Motiv bloßer Wollust ist heute nicht selten. Der Ehebruch ist heute leider weit verbreitet und wenn nicht die Angst vor Aids gegeben wäre, hätten wir noch mehr von diesen Verfehlungen. Ehebruch bringt in vielen Fällen tiefes Leid, das den betroffenen Partner seelisch zugrunde richten kann. Deshalb gibt es hier definitiv keine liberalen Kompromisslösungen: „Eheliche Treue ist unverzichtbar, denn Ehe ist nicht teilbar mit anderen Menschen.“*

2.5.5 Zorn

Der Zorn ist die extreme emotionale Erregung eines Menschen und hat eine lange Kultur- und Literaturgeschichte.176 Er kommt in der Praxis als heftiger Ärger, wutartiger Affekt, Aggression, Wut und Impulsivität vor177 und kann schnell zu unkontrollierten Handlungen führen, z. B. zum Anbrüllen anderer Menschen oder zum lauten Fluchen. Er existiert auch als Zürnen, beispielsweise als Zorn über eine Untat, als Jähzorn, als Volkszorn und zuletzt als „Zorn Gottes“. Der Wut geht eine persönliche Kränkung voraus, beispielsweise wenn jemand sehr ungerecht behandelt wird. Wieso? „Auch Ursachen haben Ursachen“ (H.U. Bänziger). Zorn ist als Untugend mit Unmut und häufig mit Unzufriedenheit verbunden. Die Empörung ist ein weiterer Zustand der Erregung. Im Christentum ist der Zorn eine der 7 Todsünden.178 Das Gegenteil von Zorn ist Geduld. Dem Zorn wird ein gewisses Verständnis, aber auch viel Unverständnis entgegengebracht.

► Thesen: Zorn ist als Erregung etwas Normales, denn kein Mensch ist normalerweise in der Lage, die Ungerechtigkeiten dieser Welt so einfach hinzunehmen. Auch Martin Luther hat das gespürt: „Der erste Zorn ist immer der beste.“ Definitiv: „Der Zorn ist kurze Raserei.“ (Horaz). Auch unerfüllte Liebe kann mit Zorn verbunden sein: „Liebe kennt keinen Hass, aber Zorn (P. Mommertz). Und es gilt: „Wer nie im Zorn erglühte, kennt auch die Liebe nicht“ (E.M. Arendt). Sogar: „Zorn macht Schwache stark“ (Ovid). Zorn ist häufig mit Lautstärke verbunden: „Der Zorn bläst laut ins Horn.“* Die Reaktion darauf sollte nicht laut sein, denn: „Sanfte Rede stellt den Zorn“ (Sprichwort). Ein wahres Wort: „Die Empörung ist der Zorn der Gerechtigkeit“ (S. Prudhomme). Wenn die Gerechtigkeit verletzt wird, sollten wir uns mehr darüber aufregen! Wir lassen uns viel zu viel bieten, ohne uns zu wehren, sagt St. Hessel, und damit hat er Recht: „Empört Euch“: en francais: „Indignez vous!“179

► Antithesen: Der Zorn hat als Untugend auch eine bösartige Seite: „Ach, der Zorn verderbt die Besten“ (F. von Schiller). „Der Zorn verrät ein böses Gewissen“ (F. von Schiller). „Ein kurzes Wort mit Unbedacht bringt Jahre voller Zorn und Krach“ (A. Bechstein). Mitunter kann es schlimm ausgehen, denn: „Der Zorn schafft eine Waffe“ (Vergil). Vielfach gilt: „Im Zorn trifft man nur selten gute Entscheidungen“ (E. Limpach). „Keine Leidenschaft trübt die Unvoreingenommenheit des Urteils mehr als der Zorn“ (M. de Montaigne). Auch der Glaube der Juden stellt richtig: „Sobald der Mensch in Zorn gerät, gerät er in Irrtum“ (Talmud). Und: „Nimmer hat die Wut sich gut verteidigt“ (Shakespeare). Manchmal geht es hitzig zu: „Wo es funkt, kann es heiß werden“ (P.F. Keller). Aber: „Jähzornige Frauenzimmer – gleich wie Männer auch – sind weniger schlimm als stille Wasser, welche tief“ (Euripides). Man glaubt es kaum: „Auch im Lamm ist Zorn“ (Sprichwort). Nicht selten: „Ohnmacht züchtet Wut“ (E. Pannek). Zuweilen gilt auch: „Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tötet man“ (F.W. Nietzsche). Manchmal geht es sehr laut zur Sache: „Zorn ist eine große Kraft, die mehr Leid als Freude schafft“ (L. Hirn). Und: „Ärger ist wie Säure. Er zerfrisst vor allem das Gefäß, in dem er sich befindet“ (P. Hohl). Zum Schluss: „Der Zorn lässt die Menschen nicht alt werden“ (Sprichwort). Deshalb kommen wir zu dem klaren Ergebnis: „Wut muss man bekämpfen“ (Shakespeare).

► Synthese: „Kann sich der Mensch einerseits in seiner Erregung wehren, aber anderseits sein eigene Wut bekämpfen? Ja, denn alles zu seiner Zeit. Manchmal muss man sich u. U. auch lautstark empören, z. B. wenn ein hilfsbereiter älterer Mensch von einem Rüpel niedergeschlagen und obwohl er hilflos am Boden liegt immer noch getreten wird.“* In anderen Fällen ist es wichtig, dass man sich zusammenreißt, nämlich wenn man sich aus persönlichen Gründen verständlicherweise geärgert, der Partner es aber ganz anders gemeint hat. Merke: „Missverständnisse lösen nicht selten Zorn aus.“* „Auch zu viel Alkohol kann Zorn mit sich bringen.“*

Deshalb: „Der Edle bändigt seinen Zorn und mäßigt seine Triebe“ (aus China). Wie kann man auf Zorn reagieren? Vor allem: „Dem Zornigen soll man das Schwert nehmen.“ Außerdem: „Tue nie etwas aus momentanem Zorn heraus.“ Der folgende gute Rat ist schon sehr alt: „Das größte Gegenmittel gegen den Zorn ist der Aufschub“ (Seneca). „Manchmal ist es gut, dass man ausweicht (z. B. nach draußen gehen), wenn man den Zorn spürt.“* Denn: „Zorn ist ein Windsturm, der die Lampe des Verstandes ausbläst“ (R.G. Ingersoll). Folgendes ist auch richtig:

 

„Es ist besser, im Zorn zu kommen und im Frieden zu gehen, als in Frieden zu kommen und im Zorn zu gehen“

(W.J. Reus)

Übrigens: „Gemütsmenschen kommen aufgrund ihres Wesens mit der Bekämpfung von Wut besser zurecht als Choleriker, da diese meistens zum Aufbrausen neigen.“* Zum Schluss versöhnlich: „Wenn der Zorn verebbt, flutet die Reue“ (G. Uhlenbruck).

2.5.6 Neid

Der Neid ist das ethisch vorwerfbare, intensive Empfinden des Menschen, nämlich seine Auffassung, die Besserstellung anderer Menschen sei ungerechtfertigt. Bosheit, Feindseligkeit, ohnmächtiges Begehren, verborgener Groll und Gehässigkeit beschreiben dieses Laster.180 Es ist eine Missgunst mit dem Wunsch, diese Besserstellung (z. B. Besitztümer, Gesundheit, Schönheit, Status) selbst zu besitzen bzw. ist das große Verlangen, sie anderen wegnehmen zu wollen. Im Christentum zählt der Neid zu den 7 Todsünden, weil gerade er die dunkle Seite der menschlichen Natur zeigt. Das Gegenteil des Neids ist das Wohlwollen. Neid hat viele, aber kaum freundliche Gesichter.181 Nach Nietzsche begründet sich die soziale Gerechtigkeitsbewegung in dem Neid der zu kurz Gekommenen und sie zeigt sich z. B. im Sozialneid. Der kollektive Neid ist oft verbunden mit der Empörung über die ungerechte Güterverteilung und kann weitgehende politische Wirkungen haben.182 „Gerade heute ist Sozialneid nicht zu unterschätzen.“* Niccolo Paganini meint grundsätzlich: „Die Tüchtigen werden beneidet, den Talentierten wird geschadet und die Genies werden gehasst.“ Demgegenüber gibt es bei den Tieren den Futterneid. Auch der Neid lässt sich unterschiedlich bewerten.

► Der Neid ist heute in unserer Gesellschaft als Untugend leider sehr weit verbreitet, denn: „Die gefährlichsten Herzkrankheiten sind immer noch Neid, Hass und Geiz“ (P.S. Buck). „Der Neider gönnt anderen auch das nicht, was er selbst nicht haben möchte“ (M. Pickford). Aus Frankreich stammt die Erkenntnis: „Der Neid ist die Wurzel aller Übel.“ Er lässt den Betroffenen einfach nicht in Ruhe, wie uns ein Spruch aus Großbritannien vermittelt: „Der Neid ist sein eigener Folterknecht.“ Eigenartig ist, dass ein Neider die Gegebenheiten meist überzogen bewertet: „Neid schaut immer durchs Vergrößerungsglas“ (E. Blanck). In der Gruppe hat es sich auch folgendes gezeigt: „Auf Neid ist mehr Verlass als auf Solidarität“, wie H.J. Quadbeck-Seeger richtig bemerkt. Mitunter kommt der Neid schneller auf als uns recht sein kann: „Kaum hat mal einer ein bissel was, gleich gibt es welche, die ärgert das“ (W. Busch). Zuweilen setzt sich der Neid längerfristig fest: „Unser Neid dauert stets länger als das Glück derer, die wir beneiden“ (La Rochefoucauld). Wer anderen etwas neidet, behält es meist nicht für sich: „Die Tochter des Neids ist die Verleumdung“ (G. Casanova). Deshalb sind wir über folgendes nicht erstaunt, was J.W. von Goethe erkannt hat: „Man darf sich nicht wundern, wenn Neid schnell in Hass übergeht.“ Neid hat auch eine Schwester: Die lachende Schwester des Neides ist die Schadenfreude.183 Sie ist eine positiv erlebte Emotion, der in der Regel Neid vorausgegangen ist, obwohl die angemessene Reaktion Mitleid wäre.

► Ist der Neid der Menschen wirklich so groß oder ist das alles übertrieben? Die deutsche Sozialwissenschaftlerin N. Pomes beschwichtigt: „Neid zeigt uns unsere Wünsche.“ Spitzbübisch ist die Feststellung von W. Busch: „Der Neid ist die aufrichtigste Form der Anerkennung.“ Ähnlich: „In Deutschland ist die höchste Form der Anerkennung der Neid“ (A. Schopenhauer). Manchen zurückgezogen lebenden Menschen baut der Neid sogar auf: „Nichts hilft so gut, die Einsamkeit zu überbrücken wie der Neid“ (M. Genin). Nach Oscar Wilde ist Neid auch mit Anerkennung verbunden, denn: „Die Anzahl unserer Neider bestätigt unsere Fähigkeiten.“ Vor allem wird einem der Neid nicht geschenkt: „Neid muss man sich sehr hart erarbeiten“ (E. Reuter). Es ist bekannt: „Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muss man sich verdienen“ (R. Lembke). Der griechische Arzt und Dichter Epicharmos geht noch weiter: „Wer von niemandem beneidet wird, der ist nichts wert.“ Mancher genießt den Neid: „Erfolg ist nur halb so schön, wenn es niemanden gibt, der einen beneidet“ (N. Mailer).

► Was lernen wir daraus? Der Menschenkenner A. Schopenhauer bringt es auf den Punkt: „Wir denken selten an das, was wir haben, aber immer an das, was uns fehlt.“ Müssen wir wirklich gegenüber anderen Menschen neidisch sein? Ich sage: „Missgunst und Neid sind keine guten Ratgeber, sondern Merkmale des Bösen.“* „Wie gleichen sich doch Mensch und Tier in Neid und Gier“ (P.E. Schumacher). Neid wird es immer geben: „Die Neider sterben wohl, doch nimmer mehr der Neid“ (Molière). Auch zeigt die Erfahrung: „Neid braucht keinen Grund“ (E. Klepgen). „Neidische Menschen sind doppelt schlimm dran: denn sie ärgern sich nicht nur über das eigene Unglück, sondern auch über das Glück der anderen“ (Hippias). Wie entsteht Neid?

„Neid entsteht aus Schwäche, Kleinmut, mangelndem Selbstvertrauen, selbstempfundener Unterlegenheit und überspanntem Ehrgeiz. Deswegen verbirgt der Neider seinen unschönen Charakterzug schamhaft. Geht es dem Beneideten an den Kragen, genießt der Neider stille Schadenfreude“

(G. Aly)

Deshalb kommen wir zu dem Ergebnis: „Das sicherste Zeichen des wahrhaft verständigen Menschen ist Neidlosigkeit“ (La Rochefoucauld). Wie sollten wir Menschen uns denn verhalten? Mit der Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach können wir zusammenfassen: „Andere neidlos Erfolge erringen sehen, nach denen man selbst strebt, ist Größe.“ Oder etwas anders ausgedrückt: „Andere glücklich und zufrieden zu sehen ist eine der größten Herausforderungen für unseren Neid.“*184 Zum Schluss der hilfreiche Rat von Seneca: „Dem Neide wirst Du entgehen, wenn Du verstehst, Dich im Stillen zu freuen.“

2.5.7 Lüge

Die Lüge ist eine bewusst falsche Aussage oder unwahre Behauptung eines Menschen, beispielsweise lügen aus Angst, Geltungsbedürfnis oder aus Berechnung. In der Absicht zu täuschen werden dabei Tatsachen verdreht.185 Oscar Wilde bringt Lüge und Kunst in Verbindung und behauptet auf seine Art: „Das Lügen und das Dichten sind Künste.“ Beim Kind kann man dann nicht von Lüge sprechen, wenn es zwischen der Realität und den Produkten seiner Phantasie noch nicht unterscheiden kann. Bei Erwachsenen ist die übermäßige Neigung zur Lüge Ausdruck einer psychologischen Fehlentwicklung, die mit Charakterschwäche, Erziehungsfehlern, Enttäuschungen oder schlechtem Umgang zusammenhängen kann. In der Regel fühlen sich Menschen verletzt, und hintergangen, wenn sie belogen werden: Das Christentum verurteilt die Lüge deshalb als Sünde. Auch die Lüge hat eine lange Kulturgeschichte.186 Das Lügen wird im Allgemeinen als Untugend negativ bewertet, aber mitunter auch relativ wohlwollend beurteilt.

► Thesen: „Die Lüge ist immer ein Selbstmord des Geistes“, meint J.G. Fichte. Das Lügen ist nicht nur in der Politik, sondern auch im Privatbereich weit verbreitet: „Es wird nie mehr so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd“, meint O. v. Bismarck. Gerade heute wird in unserer liberalen Gesellschaft viel gelogen: „Wer lügt, der riskiert damit, dass er auch dann, wenn er die Wahrheit sagt, nicht ernst genommen wird.“* Und: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht“ (Phädrus). Den Lügenden trifft es dann auch selbst: „Die Strafe des Lügens ist nicht, dass ihm niemand mehr glaubt, sondern dass er selbst niemandem mehr glauben kann“ (G.B. Shaw). Meistens bleibt es nicht bei einer Lüge: „Eine Lüge schleppt zehn andere nach“ (Sprichwort). Die Lüge bringt oft Böses mit sich: „Gutes kann niemals aus Lüge und Gewalt entstehen“ (M. Gandhi). Andere negative Verhaltensweisen sind dann nicht weit: „Lügen und Stehlen gehen miteinander“ (Sprichwort). Gott sei Dank kommt man aber mit der Lüge nicht weit, denn: „Lügen haben kurze Beine“ (Sprichwort). Aus Russland stammt das kluge Sprichwort: „Mit Lügen kann einer durch die Welt kommen, aber bestimmt nicht zurück“ (aus Russland). Interessant ist die folgende Feststellung: „Das Gefährliche an Halbwahrheiten ist, dass immer die falsche Hälfte geglaubt wird“ (H. Krailsheimer). Das alles ist auf die Dauer unbefriedigend und es kommt hinzu: „Die Lüge ist wie ein Schneeball, je mehr an ihn wälzt, desto größer wird er“ (M. Luther). Der Lügner findet sogar im Grab keine Ruhe: „Jemand hat so viel Lügen mit ins Grab genommen, dass angebaut werden musste“ (M. Hinrich).

► Antithesen: Nach S. Dietz ist eine prinzipielle Verurteilung der Lüge aber nicht zu rechtfertigen.187 Auch F.W. Nietzsche stellt fest: „Kein Leben ohne Lügen.“ Außerdem sagt er zum Nachdenken: „Wer nicht lügen kann, weiß nicht, was Wahrheit ist.“ Ist denn das Lügen an sich gar nicht so schlimm? „Mit der ersten Lüge wird man Mensch“ (St. Schütz). Oder gehört die Lüge gar zum Erwachsenwerden? „Wer nie lügt, wird nie groß“ (aus Uganda). Die Lüge kann auch mit Sex verbunden sein: „Die nackte Lüge hat schöne Beine“ (M. Hinrich). R.W. Emerson findet das Lügen sogar schön, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann: „Die Wahrheit ist etwas Schönes, ohne Zweifel, aber Lügen auch.“ Zum Nachdenken: „Manche Menschen können so erfrischend lügen, dass einem der Durst nach Wahrheit vergeht“ (E. Ferstl).

Oder anders gesehen: „Lieber eine glatte Lüge als eine ungefällige Wahrheit“ (aus Ägypten). Der englische Philosoph S. Butler sieht es so: „Der beste Lügner ist der, der mit den wenigsten Lügen am längsten auskommt.“ Es gibt Arbeitsfelder, die uns zur Lüge verführten: „Die Einkommensteuer hat mehr Menschen zu Lügnern gemacht als der Teufel“ (W.P. Rogers). Oder wollen wir Menschen gar, dass uns andere mitunter nicht die Wahrheit sagen? „Die Menschen sind alle so geartet, dass sie lieber eine Lüge als eine Absage hören wollen“ (M.T. Cicero). Wir erkennen, dass das Thema Lügen sehr vielschichtig ist, wie uns auch folgende Weisheit vor Augen führt: „Einzig den Ärzten ist es erlaubt zu lügen (unbekannt). Und nach Grotius: „Im Kriegsfall sind List und Lüge erlaubt.“ In bestimmten Situationen bestehe kein Recht auf Wahrheit.188

► Synthese: Psalm 116,11 drückt es ganz hart aus: „Alle Menschen sind Lügner.“ Oder etwas geminderter, aber treffend: „Die Welt ist voller Leute, die Wasser predigen und Wein trinken“ (G. Guareschi). Dazu W. Busch väterlich: „Wer dir sagt, er hätte noch nie gelogen, dem traue nicht, mein Sohn.“ Und: „In der Schnelligkeit ist die Lüge immer der Wahrheit voraus“ (W. Meurer). Manchmal ist mit heute das viele Lügen im Alltag zuwider:

„Lug und Trug regier'n die Welt, weil kein Anstand heut' mehr zählt. Das macht mich alles sehr betroffen, kann nur auf bess're Zeiten hoffen“

(Horst-Joachim Rahn)

Gott sei Dank kann ich mich auf meine Frau und meine Freunde immer verlassen. Denn es gilt zeitlos: „Ehrlich währt am längsten“ (Sprichwort). „Heute wird die Lüge in unserer Gesellschaft leider nicht als ein Vergehen bewertet, sondern als legitimes Mittel zur Selbstverteidigung oder gar als Kavaliersdelikt.“* „Wir sollten die Lüge nicht wohlwollend beurteilen, sondern uns wieder mehr um die Wahrheit bemühen.“* Das gilt ohne Einschränkung auch für die Notlüge, wenngleich J. Joyce feststellt: „Der Erfinder der Notlüge liebte den Frieden mehr als die Wahrheit.“

 

In der Bibel wird der Teufel als der „Vater der Lüge“ bezeichnet (Joh. 8, 44). Das achte Gebot der Zehn Gebote lautet: „Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“ (5. Mose, 5 20), was im Christentum und im Judentum als generelles Verbot der Lüge interpretiert wird. Auch im Islam ist Lügen nicht erlaubt. Im Buddhismus gilt sie als eine der zehn Untugenden. Augustinus betrachtet die Lüge als eine Sünde. „Wir sollten mehr Wert auf die Achtung und Befolgung aller Zehn Gebote legen, auch wenn das in der Praxis nicht so einfach ist.“* Vergessen wir dabei nicht: „Das permanente Lügen führt – wie alles Böse – zu negativen Festschreibungen in unserer Seele.“*189 „Lüge führt auf längere Sicht zur Unzufriedenheit.“* „Wer gelogen hat, muss dauernd der Wahrheit ausweichen, um von ihr nicht überfahren zu werden“ (W. Ludin). Und ich behaupte zum Schluss: „Es geht auch ohne Lüge! Oder bin ich damit gar unehrlich oder unmenschlich?“*