Steinreich

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Neun gecrashte Autos

Ich dachte immer, das muss dieser einzigarte Lebens-Moment sein, wo ein subtropischer Starksturmregen unzählige Geldscheine vor meinen geistigen Augen auf mich niederprasseln lässt, in dem ich ein Bad nehmen kann wie Dagobert Duck in seinem Geldscheinspeicher. Aber alles was ich im unmittelbaren Blickfeld erkennen konnte, war mit einem matten, milchigen Schleier überzogen wie gespenstisches undurchsichtiges Licht. Und ich hatte mir vorgestellt, ich tanze völlig ausgerastet, ausgetickt wie ein Spasti ausgelassen durch das Zimmer, stelle dabei alle Einzelteile meiner beschissenen Mindestlohnverdiener-Bude auf den Kopf, zerfetze alle Polster und lasse die Federn wie Schneeflocken durch die Luft regnen, aber mein Körper fühlte sich an wie mit Blei gefüllt und mir war so, als ob ich mich kaum von der Stelle bewegen könnte. Und ich dachte, ich würde singen, irre herumbrüllen, den Tarzanschrei von Johnny Weissmüller so gut wie geht imitieren und den Lautstärke-Regler meiner altmodischen Stereoanlage bis zum Anschlag aufdrehen. Aber alles, was ich hörte, war ein imaginärer penetrant regelmäßiger Piepston. Seltsam, beinahe unwirklich, manchmal kam es mir sogar vor, als ob das alles gar nicht passiert wäre …

Aber dann drangen wieder diese unvergesslichen, in meinem Kopf zementierten Bilder wie ein Film durch das milchige Weiß zu mir durch, in einer Deutlichkeit, die nicht den minimalsten Zweifel an der geschehenen Wirklichkeit aufkommen ließen, lebendig, aufregend, einfach zu scheißecht. Immer wieder und immer wieder, wie ein you-tube-Video.

Das ganze Konzentrations-Dilemma, mit dem ich zu kämpfen hatte, war nur die allzu logische Begleiterscheinung -das Wort strapazierten die Typen von der Klinik nur zu gerne- meines Kneipinger-Vollrauschkaters. Außerdem war es unter meinen Umständen so verflucht normal, durchgeknallt und unter der Wirkung einer Überdosis Glückshormone zu stehen, oder zu liegen, je nachdem.

Meine Träume und Zukunftspläne ließen sich davon nicht aufhalten. Im Gegenteil, der Gedanken-Turbolader in meinem Kopf schaltete sich wieder ein. Wie ein Film über das sagenhafte Paradies schwirrten meine Zukunftspläne trotz meiner unklaren Verfassung unaufhaltsam durch meine Fantasien.

Ich sah mich in einer himmlischen Hängematte schaukelnd. Nein, nicht irgendwo auf einem Balkon bei schmuddeligem Nieselregen in Sankt Peter Ording, sondern weit weg, verdammt weit weg, auf der anderen Seite des riesigen Ozeans. Umgeben von sanftem Meeresrauschen im Ohr und begleitet von leise dahinbröselnder Musik strich der Hauch des Windes wie eine sanfte Berührung über meine Haut. In meiner Illusion hielt ich die Augen fest geschlossen und genoss es, dahindösend mit meinen Gedanken zu spielen, meine Zukunftspläne in den herrlichsten Farben zu pinseln.

Ich hatte noch weniger Geld oder alles das, was man sein Eigen nennen könnte als Strapsi, und die hatte schon nichts. Nein, stimmte nicht ganz, sie hatte wenigstens Träume und zusätzlich eine Mutter, die mit neidlosem Recht stolz auf die ebenbildhafte Schönheit ihrer Tochter war und nur ein Ziel verfolgte, einen reichen Mann für sie ausfindig zu machen. Was hätte Strapsi jetzt Augen gemacht, wenn sie ahnen könnte, mit welchen Batzen Geld ich nun gnadenlos um mich schmeißen konnte. Nun ja, in diesem Punkt meiner bislang bescheidenen Existenz hatte sich mein Spätzchen samt ihrer gut meinenden Mutter ein bisschen verrechnet. Nun hatte ich andere Pläne.

9-Porsche-

Weitere Tag-Träume fielen wie Sternschnuppen vom karibischen Abendhimmel, an dem die Zeit still stand und der Moment zu einer Ewigkeit eingefror, während meine Hängematte so dahinschaukelte wie von Geisterhand sanft angestoßen.

Ja, ich konnte mir sogar vorstellen mich wieder zu verlieben. Ohne wenn und aber und auf den allerersten Blick. Eine Schönheit in teuflischem Rot wie ein blanker Wahnsinn? Liebe kann keine Sünde sein, verflucht nochmal. In meinem visionären Traum war es schon passiert.

Meine leuchtenden Augen konnten sich einfach nicht sattsehen an diesen geilen Rundungen, an den perfekten Proportionen, wohin mein gieriger Blick auch fiel. Weich-erotische Übergänge, rassige und zugleich geschmeidige Linien, ein einzigartiges Exemplar menschlicher Vorstellungskraft. Ohne eine einzige Berührung war es glasklar, dass wir beide auf Anhieb ein traumhaftes Gespann sein werden. Es ließ keinen Zweifel offen, das heiße Biest wolles auf die harte Tour. Ich hätte um einen Regenbogen in der Einkaufstüte gewettet, dass es nur auf Vollgas abfuhr und tief am Boden kauernd wie ein gefüttertes Kätzchen schnurrte, wenn es mich im extatischen Geschwindigkeitsrausch in eine andere Dimension katapultierte. Scheiß doch die Wand an, es soll mich ruhig in den Wahnsinn treiben, es wird trotzdem genau das machen, was ich will und nichts anderes.

Meine Vision war so real, dass ich es kaum erwarten konnte, endlich ihr Innenleben in Besitz zu nehmen, mich in das schicke Leder zu zwängen und meine Finger blind tastend über die Instrumente gleiten zu lassen. Und wenn schon, es war eine geniale Vorstellung.

Ich musste dabei sogar an die Weissviel aus der Nachbarwohnung denken, wie sie vor Neugier hinter den zugezogenen Gardinen aus den viel zu engen Klamotten platzten würde, wenn ich mit meiner neuen Eroberung dort aufkreuzen würde. Sie hätte sich ihr Zahnprothesen-Mundwerk zerreißen können wie sie wollte, von mir hätte diese Kanaille kein Sterbenswörtchen erfahren, gar nichts.

Und warum eigentlich nur ein Biest? Ich konnte mir auch zwei davon leisten, ein rotes und ein schwarzes. Die Zeiten, in denen ich meinen Kontoauszug am liebsten im Dunkeln angesehen habe, waren zum Glück vorbei. Jetzt, wo ich achtzehn Millionen Möglichkeiten hatte, waren das nur Peanuts. Benebelt und schwindelig vor Begeisterung an einer jungfräulichen PS-Schönheit auf vier zweihundertfünfziger Pirelli-Breitreifen mit einem Make-up aus Chrom und handpoliertem Hochglanzlack schwebte ich im siebten Porsche-Himmel und sah mich eine Vollgas-Runde auf dem Nürburgring drehen.

Die einen behaupten zwar, Autos seien ganz böse, und doch musste ich zugeben, dass ich die Welt erst später retten wollte. Gerade, weil ich ein ganzes Leben lang damit zu tun hatte, mich selbst zu retten. Das Leben war ziemlich gemein zu mir und mit mir gewesen. Und ich hatte nie etwas, was man auch nur annähernd als Auto bezeichnen konnte. All die Schrottkübel, die ich völlig unangebracht als Fahrzeug bezeichnete, hatten unter dem Gaspedal meines rechten Fußes kein langes Auto-Leben. Stopp, ein einziges war beinahe neu gewesen, als ich es geleast hatte. Leider hatte das keinen Unterschied gemacht und letztendlich erlitt mein BMW das gleiche Crash-Schicksal wie alle seine Vor- und Nachgänger. Aber das war jetzt anders, und wenn nicht, dann stellte das nun auch kein Problem mehr dar. Geld spielte ja keine Rolle mehr.

Abgesehen von meinen eventuellen fahrtechnischen Unwägbarkeiten war die lange Serie meiner stuntreifen Verkehrsunfälle ein echtes Paradebespiel für mein Scheißpech gewesen, das mich jeden einzelnen verdammten Fahrkilometer wie eine Seuche verfolgte, seit ich Autofahrer geworden war. Die einzige ungewollte Einschränkung im Dauerpech dabei war, dass ich jeden einzelnen Crash ohne Krankenhausaufenthalt überstand. Okay ich einigte mich mit mir selber dann auf vorsichtiges Glück im Unglück.

Unvorstellbar, dass der ganze Mist meiner Schlamasselmeier-Laufbahn unwiderruflich hinter mir lag und ich stattdessen in einer imaginären Wolke der Leichtigkeit wie eine Feder dahinschwebte. Wie in Watte gepackt und eingehüllt in ein sphärisches Irgendwas, das sich wie ein flauschiger Bademantel anfühlte, war ich drauf und dran, mich an dieses himmlische Gefühl zu gewöhnen. Ja, ich konnte es nicht treffender ausdrücken, als himmlisch. So himmlisch, als würde ich wie ein Adler über mir selbst kreisen, erfüllt von einem irrsinnigen Gefühl von Freiheit, über mir nur ein helles Licht, das mich wärmte. Alle meine Ängste dagegen waren verschwunden.

Die Hängematte war mein Wolkenbett. Sollte ich überhaupt noch einmal aufstehen oder mich in aller Ewigkeit der Welt dahintreiben lassen? Im Moment schien es so, als könnte ich das mit einem immerwährenden Lächeln im Gesicht tun. Und doch gab es Achtzehn Millionen Gründe, es nicht zu tun.

Unaufgefordert schob sich plötzlich die Bleifrei-Visage in meine Erinnerung. Nicht mit dem Drang ihn anzurufen und mein Sprüchlein aufzusagen. Nein, das war nicht mehr erforderlich. Wenn ich es getan hätte, dann nur, um ihn wissen zu lassen, dass ich seinen mickrigen Tankladen kaufen wollte um ihn plattmachen zu lassen und ihn mit-samt seinen unfähigen Bediensteten in die Wüste zum Sandsackfüllen zu schicken. Zum Glück löste sich das unschöne Bleifreigesicht so schnell in der Helligkeit auf, wie es gekommen war.

10-Traumurlaub-

Meine Visionen wollten nicht am selben Ort verharren, sie zogen eine Station weiter. Es gab ohnehin keinerlei Grenzen in der Freiheit meiner Hängematte der Träume, nur eine unübersehbare Anzahl an Möglichkeiten. Die Vorstellung, in dieser baumelnden Liegestatt Reiseziele per Fingerschnipp auszuwählen, war atemberaubend. Und was sind schon Länder oder Kontinente, oder was heißt schon Insel-hopping für ein Multimillionär, so wie ich jetzt einer war.

Bis vor kurzem bin ich immer an den Reisebüros mit der sicheren Gewissheit vorbeigegangen, dass ich all diese abgebildeten hochglanzblauen Poollandschaften in den Urlaubsparadiesen dieser schönen Erde nie im Leben sehen werde. Und jetzt? Nun hatte ich die Qual der Wahl, echt Scheiße. Aber ich liebte diese Art von Scheiße. Und ich liebte nicht nur diesen geilen roten Porsche, den ich mir anschaffen wollte, nein, ich liebte nun auch Reisebüros. Besonders dann, wenn es absolut keine Rolle spielte, was der Trip kostete. Und noch um ein ganz besonderes Stück mehr, wenn die Reisebürotante nett gekleidet war, etwa mit einem enganliegenden Kleidchen, möglichst kurz, ein passendes Oberteil dazu mit Ausschnitt mit Aussicht, die ganz exklusiv für mich ein Traumpaket mit allem drum und dran zusammenschnürte. Kaum dachte ich an die Reisefrau meiner Träume, waren meine sündhaften Gedanken unweigerlich wieder bei Strapsi gelandet, auch wenn sie noch so ein Miststück war, sie ließ mich nicht los. Egal, es würde bald viele Strapsis für mich geben, vielleicht eine in jedem Land, das ich bereisen werde, und das sollten nicht zu wenige werden.

 

Für einen kurzen störenden Moment mischten sich ein paar unschöne Erinnerungen wie ein kleines graues Wölkchen in meine Hängematten-Visionen.

Der Rausschmiss aus dem Elternnest. Ich war genau achtzehn, als mein Herr Stiefvater mich vor die Türe gesetzt hatte. Der Tag, an dem ich vergeblich auf Strapsi vor dem Kino gewartet habe und der andere Tag, an dem sie mich zum zweiten Mal sitzen ließ, weil dieser Mistkerl namens Fix sie mir ein zweites Mal ausgespannt hatte, die Serie meiner Auto-Unfallfahrten wie am Fließband, meine Verzweiflungsfahrt mit dem geleasten Fahrzeug, die erst am Baum ziemlich abrupt zu Ende war, der Verlust meines Führerscheins und die meisten meiner Jobs, die ich verloren hatte, das verfluchte Ding mit dem Kartenspielen und meine dazugehörenden Spielschulden, die Beinahe-Abfackelung meiner armseligen Wohnung, bei der ich wenigstens meine Haut und meinen Arsch retten konnte und zuletzt meine erfolglose Entziehungskur, die in meiner kurzen Vagabunden-Phase endete. Aber bald verschwand der Schlechte-Gedanken-Streifzug durch meine beschissene Vergangenheit wie von selbst. Die laue Pinacolada-Atmosphäre gewann wieder die Oberhand in meinem Oberstübchen und die Bleifreis, die Paulichens, der Stief-Willi und all die anderen Menschen, die es nicht gut mit mir gemeint hatten, vernebelten sich von selbst in der karibischen Luft.

Das traumhafte Gefühl vom vollkommenen Glück in einer baumelnden Hängematte war wieder zurückgekommen. Ich konnte sogar den visionären Sand fühlen, wie er durch meine Finger lief wie durch ein feines Sieb. Immer wieder spreizte ich meine Finger, um eine Vorstellung davon zu haben und dabei zusehen zu können. Wenn jeder Cent meines Megagewinnes ein Sandkorn wäre, würde es wohl reichen für eine eigene Sanddüne? Eigentlich völlig egal. Achtzehn Millionen, so oder so, es war eine gewaltige Menge Kies.

Angenommen, ich würde mit meinen angefangenen vierzig Jahren das Geld innerhalb der nächsten vierzig Jahren aufbrauchen wollen, dann könnte ich jedes Jahr eine knappe halbe Million davon ausgeben, also rund vierzigtausend Mäuse pro Monat, und umgerechnet mehr als eintausend an jedem einzelnen Tag meines Lebens. Das würde ich nie schaffen.

Ich gestehe es ein. Ich habe es einfach nie in meinen Kopf bekommen, warum die Mädels hysterisch beim Shopping-queen-Shoppen ausflippen, warum sie kreischend im Schuhladen einfallen und Schuhe sammeln, wie wir als Jungs Briefmarken gesammelt haben und warum sie dann glückserfüllt mit fünf Taschen an jeder Hand die Innenstadt verlassen, als ob sie gerade ein date mit dem lieben Gott erlebt hätten -cooler Typ übrigens-. Und nun bin ich selbst in akuter Gefahr, mir diesen Kaufrausch-Virus einfangen, ohne dass ich einen einzigen Schritt in den Bauch eines Edel-Herrenausstatters riskiert hatte.

Allein die Vorstellung an Markenhemden, -hosen, Gürtel, Jacken, Schuhe in Hülle und Fülle, wollte mich fast aus der kommoden Hängematte vertreiben. Nix mehr mit Angebotsware aus dem wöchentlichen Aldi-Prospekt oder vom Flohmarkt. Das war vorbei. Mein Gedanke galt nur noch dem aufkommenden Hype, dass mich das Preisetikett künftig nicht interessieren würde. Vielleicht kleidete ich meine nächste Strapsi ein, es würde ja keine finanzielle Rolle spielen. Was noch? Eine Uhr? Ja, vielleicht, aber nicht um auf die Uhrzeit zu gucken, sondern nur aus optischen Gründen. Und ich könnte wieder zocken, so richtig. Aber nicht mehr im Hinterzimmer mit den Blödmännern, die mich immer ausgenommen haben. Wenn schon, dann in den Casinos in Las Vegas, auf den Bahamas, in Paris, natürlich auch in Monte Carlo. Mann, ich schwebte von einem Höhenflug zum anderen.

Moment, ihn durfte ich auf keinen Fall vergessen. Mein bester Freund, der mich nie im Stich gelassen hat und der einzige, mit dem ich das Riesenteil fifty fifty geteilt hätte ohne mit der Wimper zu zucken. Ich hätte mit ihm eine Weltreise gemacht und auf seine alten Tage nochmal alle seine Wünsche erfüllt, auch die Reise nach San Francisco. Leider ging das nicht mehr. Er war alles gewesen, was ich Familie nennen konnte, mein Großvater Steinalt. Und längst war er nur noch ein paar hundert Gramm Asche in seiner Low-Budget-Urne.

Das einzige, was ich jetzt noch tun konnte, war, sein verwittertes Holzkreuz gegen einen ansehnlichen Mamor-Grabstein mit einer vernünftigen Inschrift auszutauschen: „Hier ruht mein bester Freund, mein Großvater.“ Das war ich ihm schuldig. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, ihn in ein würdiges Grab umbetten zu lassen, oder doch nicht? Großmutter lag auch bei ihm. Aber wie schon Van Morrison sang: „it`s all over now Baby Blue!“

Es war seltsam, dass ich keinen Appetit hatte. Vielleicht war allein die Vorstellung über meine künftigen kulinarischen Möglichkeiten so sättigend, dass ich kein akutes Bedürfnis nach Steaks, Happas und Tapas gehabt hatte. Und doch war der Gedanke, dass mein Speiseplan künftig ein bisschen anders war als Pizza aus der Tiefkühltruhe und Makkaronis aus der Konservendose, wie eine weitere Wolke auf der ich schweben wollte. Falls mein Appetit sich eventuell auch künftig in Grenzen halten würde -was ich mir allerdings nicht vorstellen wollte-, konnte ich zumindest meiner weiblichen Begleitung ein neunundneunzig gängiges Menü im teuersten Gourmet-Tempel der Gastro-Szene bieten, das hätte durchaus Charme.

Ich selbst war aber alles andere als verwöhnt gewesen, auch als Kind. Meine Mutter war eher knapp bei Kasse, und Alkohol und Zigaretten nagten bestimmt überproportional am Haushaltsgeld. Später dann war es mein Stiefvater, der den größten Essenshappen abbekam, ach ja und mein Halbbrüderchen, dem die allerfeinsten Schleckereien hineingestopft wurden, bis sie hinten samt Alu-Verpackung wieder herauskamen. Irgendwann hatte ich mich daran gewöhnt. Und später konnte ich es mir nicht leisten. Umso mehr könnte ich mich nun richtig beliebt damit machen, die Leute in einen feinen Schuppen einzuladen und mich dabei nur für die linke Seite der Speisekarte zu interessieren. Genauso gut konnte ich nun selbst reinhauen so viel, so oft, und wo und wann ich gerade wollte, Tag und Nacht, bis ich kotzen müsste.

Nur im Augenblick war es kein ungezügelter Appetit, der mich seit der Kneipinger-Party begleitete, sondern eine penetrante Übelkeit, die sich trotz meiner traumhaften Visionsbilder in meiner Pseudo-Hängematte nicht verabschieden wollte. Diese unliebsame Nachwirkung war nun mein Kneipinger-Andenken geworden.

Was kümmerte mich mein anhaltendes Kotzgefühl im Magen eigentlich? Es gab wichtigeres, wie beispielsweise ein Harem voller Puppen, die ich bald tanzen lassen konnte. Aufreizend und ausgelassen nur für mich allein. Ich sah sie schon vor mir. Zuerst ein vielsagendes Lächeln, dann das flüchtige Grabschen ihrer Hände an meinen Armen, das Reiben ihrer halbnackten Oberkörper an meinen Schultern, ihre makellosen schlanken Körper, wie sie ihre aufgepumpten Brüste schamlos im gegenseitigen Wettstreit zur Schau stellten und die glitzernden Piercings, die ich in ihren braungebrannten Bauchnabeln bewundern konnte. Selbst wenn sie mir den Rücken zudrehten, konnte ich mich immer noch nicht sattsehen, wenn ich vergeblich nach den Bändchen der Tangas suchte, die sich mitten in ihren knackigen Hinterteilen restlos hineingefressen hatten. Und ich, Stephan Steinreich war mittendrin, der unangefochtene Star, die Nummer eins, der höchstpersönliche Hotspot, der großzügige Spender der Drinks, der Gönner, der Mäzen.

In dieser Leichtigkeit waren meine Beschwerden eine Lächerlichkeit und die Aussicht auf ein zügelloses Vergnügen ohne Limit wie eine Droge nach einem so verdammt missratenen Liebesleben, das das Wort nicht verdiente. Für die Ladies war ich nichts als ein hoffnungsloser Looser um den man lieber einen Bogen machte. Nur zu logisch, dass meine Beziehungen von Chaos und Unglück geprägt waren. Dabei waren sie ohnehin äußert überschaubar gewesen. Ich konnte sie locker an einer Hand abzählen und selbst dann blieben noch zwei Finger übrig. Traurig, oder soll ich eher sagen überpeinlich, dass ausgerechnet die Beziehung mit Gupi die längste war. Immerhin war sie die treueste von allen und das aus gutem Grund.

Endlich aber konnte ich nun über mich selbst schmunzeln und stellte mir dabei vor, wie sich Strapsi in ihren süßen Arsch beißen würde, falls sie es mitkriegen könnte, wie ich mir in der Karibik die Sonne auf den Pelz brennen ließ. Ich dachte daran, ihr eine Postkarte zu schicken, warum eigentlich nicht. Ja, das war eine nette Idee.

Wie oft und wie irrsinnig hatte ich mich in dieses Mädchen mit den großen Augen, der Stubsnase und den langen blonden Haaren verknallt. Und wie oft hatte ich mir eine Abfuhr geholt, und egal welchen anderen Frauen ich auch nachsah, ich habe sie alle mit ihr verglichen. Doch keine war auch nur annähernd so hübsch wie sie, sinnliche Lippen, lange Wimpern, Topfigur und den geilsten Pfirscharsch, den man sich vorstellen kann. An ihrer Schönheit etwas auszusetzten wäre eine infame Lüge gewesen. Warum das mit ihrer Karriere trotzdem nie geklappt hatte, keine Ahnung. Wenn es nach ihrer neurotischen Mutter gegangen wäre, hätte sie einen Schönheitswettbewerb nach den anderen gewinnen müssen. Heidi Klum hat sie wohl übersehen. Stattdessen ist sie Tag für Tag in dem Friseursalon ihrer Tante gestanden, es sollte ja nur ein Übergangs-Job sein, bis sie entdeckt wird. Na ja, dazu ist es halt nicht gekommen und die Konkurrenz schläft bekanntlich auch nicht. Kurzum, aus dem Übergangsjob wurde eine Daueranstellung und auf die Karriere als Model wartet sie vermutlich heute noch. Ja, so ist das Leben. Und ich war nicht der Einzige gewesen, der mit dem Glück eine gestörte Beziehung gehabt hatte.

Im Nachhinein konnte ich mich nur wundern, dass ich diesen ganzen Müll einfach so über mich ergehen lassen hatte ohne durchzudrehen die ganzen langen Jahre. Als Belohnung für meine Geduldigkeit standen dafür nun die Dollarzeichen in meinen Augen und ein tiefgreifendes Bedürfnis, eine ganze Menge Leben völlig ungeniert nachzuholen, Mädchen, Autos, Reisen, Plunder einkaufen und Partys feiern, bis der Arzt kommt.

Die primitiven Kneipinger-Sauf-Orgien bis zur Bewusstlosigkeit waren Vergangenheit und ein Dreck gegen das, welche Feste ich künftig schmeißen wollte. Feste, die den Namen Fest auch redlich verdienten. Champagner, Kaviar, Hummer und alles, was die Hitliste der Delikatessen hergab, würden so selbstverständlich sein, wie das Klopapier auf dem WC. Genauso selbstverständlich wie Gogo-Girls, Live-Musik, DJs, ich könnte mir sogar die Rolling Stones kaufen. Und eine exklusive Getränkeliste, die sich gewaschen hat, schicke Klamotten, ein Feuerwerk und ein Entertainment, wie es eines Multimillionärs würdig ist.

Ja, so stellte ich mir mein neues Leben vor, als meine Gedanken in der Zukunft spazieren gingen, während die himmlische Hängematte mit mir in der lauen Karibiknacht unspektakulär hin und her pendelte.