Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten

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AN MRS V. A. MURPHY:

Nach Erscheinen von Thompsons Artikel über Big Sur in Rogue war seine Vermieterin entschlossen, ihm zu kündigen – nicht nur, weil er ein Waffennarr und ständig betrunken sei, sondern auch, weil er in einem schmierigen Blatt Klatschgeschichten verbreiten würde.

13. August 1961

Big Sur

Kalifornien

Sehr geehrte Mrs Murphy,

Ihr gestriger Besuch hat mich einigermaßen schockiert, und ich schreibe Ihnen nun diesen Brief, um Ihnen zu versichern, dass ich über eine mögliche Kündigung nicht gerade glücklich bin und deshalb alles Erdenkliche tun werde, um dies zu vermeiden.

Zuallererst werde ich meine Schießübungen einstellen und den alten Dämon Rum eine Armlänge von mir fernhalten – sicher ist sicher.

Ich bin der festen Überzeugung, dass Berichte über mein ungestümes Verhalten maßlos übertrieben sind. Ich habe zum Beispiel niemals jemanden mit einer Peitsche bedroht, und tatsächlich hat sich der einzige Akt von Gewaltanwendung, den ich erinnere, in dem Moment ereignet, da ich von einer Horde Homosexueller angegriffen wurde. Mag sein, dass Mrs Webb auch Visionen außerhalb ihrer religiösen Praktiken hat – das würde mich nicht überraschen.

Klar ist, dass ich die Fenster von Kay wieder in Ordnung bringe10 und, wie Sie vorgeschlagen haben, mich in Zukunft zu den Felsen oder in den Canyon zurückziehe, wenn ich ein Bedürfnis nach Schießen verspüre. Wegen der Waffe klangen Sie recht besorgt, es handelt sich aber nur um eine Pistole vom Kaliber 22, die kleinste, die man kaufen kann. Sie ist ordnungsgemäß in Sacramento registriert, und da ich sie nie verdeckt mit mir herumtrage, benötige ich keine weitere Erlaubnis dafür. Ich versichere Ihnen, dass das alles absolut legal ist.

Da sich jetzt der Sommer dem Ende neigt, dürfte es hier bald ein bisschen friedlicher zugehen. Probleme kamen überhaupt nur auf, als die Gegend von Besuchern förmlich überrannt wurde. Ich denke auch, wenn erst einmal Mike und Dick die Hütte übernehmen, wird sich die Situation spürbar verbessern.

Danke für Ihre Geduld. Und übrigens, falls es Sie interessiert, ich habe heute eine Short Story verkauft und bin mit mehr als der Hälfte meines Romans fertig. Ich muss mich in den nächsten Monaten voll und ausschließlich darauf konzentrieren und werde deshalb Trinkexzessen und jeder Art von Gewalt entsagen. Sollte ich dann einmal wieder etwas wirklich Aufregendes erleben wollen, werde ich Urlaub auf den West Indies machen, Rum trinken und mit Haien kämpfen. Bis dahin verbleibe ich,

absolut friedlich,

Hunter S. Thompson

AN EUGENE W. McGARR:

19. Oktober 1961

Big Sur

Na gut, McGarr, ich weiß es genau, Du willst mehr über das High Life in Big Sur erfahren. Setz Dich also mal schön hin, egal, wie viele Fleischstücke oder was für eine Pampe auch immer Du gerade in Händen hältst, und hör zu, wie die Dinge hier stehen. Erstens mal ist mir gekündigt worden – und zweitens habe ich die Kündigung in toto zurückgewiesen. Ich weiß, dass Du Dich diebisch über so etwas freust.

Mein Artikel ist also in Rogue erschienen, und Mrs Murphy hat ihn als bösartige Verhöhnung ihrer Besitztümer gelesen – keine zwanzig Stunden später kam das Kündigungsschreiben. Ich habe drei Wochen lang immer wieder darüber nachgedacht. Und bin zu dem Schluss gekommen, dass es nur einen Ausweg für mich gibt: auf meinem Arsch sitzen zu bleiben und auf meiner Schreibmaschine zu hämmern, bis sie genügend Sheriffs zusammengetrommelt haben, um mich hier herauszutragen. Ich hoffe also nur, dass Dich dieser Brief vor Deinem Eintritt in die Phase mentaler Verfettung erreicht, damit ich Dich zu dieser lustigen Nummer hier einladen kann. Alles spricht also dafür, dass in den nächsten ein, zwei Monaten für Unterhaltung gesorgt sein wird.

Räumungstermin ist der 27. Oktober, also in sechs Tagen schon, und morgen braue ich wieder Bier, und zwar genug, dass es locker zehn Tage dauern wird, um es abzufüllen, und fünfzehn, um es auszutrinken. Ich habe vor, mich hier in diesem Zimmer zu besaufen, und womöglich sogar noch mit einer weiteren Ladung, ehe sie mich dann endgültig fertigmachen. Denn fest steht, McGarr, sie werden mich fertigmachen, genau so wie sie es mit Dir tun werden – oder vielleicht sollte ich sagen: würden –, und dann machen sie Schluss mit uns, und unser Untergang wird im Zeichen von Notdurft und Unterdrückung stehen. Oder wie Mr Mailer sagt: »Die Scheißer bringen uns um.« Ich glaube aber, dass Mailer seinen Glauben an den Kampf schon verloren hat – den verkommenen Spaß am Verlieren gewissermaßen; das leichte reine Gefühl, wenn es einem absolut scheißegal ist, ob man gewinnt oder verliert. Mailer hat gelernt, sich selbst zu ernst zu nehmen, und jeder, der das tut, ist für die Scheißer ein gefundenes Fressen.

Bei Dir, McGarr, ist es inzwischen genauso, du bist abgestumpfter, wirst allmählich ein Poser, bist viel zu leicht durchschaubar. Irgendwo dahinter, glaube ich, lugt bei Dir der noch ungebändigte Schatten eines echten Menschen hervor. Das hoffe ich zumindest. Wenn Du auch das noch verlierst, ist es vorbei.

Deine Theorien über mein Leben hier habe ich in etwa so erwartet und will deshalb nicht viel Zeit damit verschwenden. Es genügt zu sagen, dass Du richtig liegst – was meine Art von Sadismus angeht, in Big Sur alles einfach nur laufen zu lassen. Das ist wiederum so wahr, dass es mir umso leichter fällt, dies aus meinem System zu eliminieren, und so kann ich mich inzwischen abreagieren, indem ich mich zwei Stunden in den Hügeln herumtreibe, anstatt meine Energie mit der idiotischen Suche nach aufregenden Dingen zu verschwenden, und den Rest des Tages lasse ich in einer ruhigen Gemütsverfassung auf mich zukommen. Wenn mir davon »übel« wird, sei es drum. Begrifflichkeiten wie diese haben ohnehin ihre Bedeutung verloren, außer bei Leuten, die glauben, ein Wort sei ein Faktum.

Wie ich schon in meinem letzten Brief schrieb, war Semonin hier, eine Dokumentation seines Besuchs findest Du beiliegend. Du solltest ihn bald treffen, und zeig ihm doch dieses Foto, mal sehen, was er dazu sagt. Ich schreibe ihm, sobald er in Spanien ist. Derartige Ausflüge können ja die seltsamsten Wendungen nehmen. Deine Ausführungen über Europa lassen das Ganze nun schrecklich öde erscheinen; so öde, dass mein anfängliches Interesse, mit ihm mitzufahren, ziemlich abgekühlt ist. In meinen Augen ist Europa ein überfülltes Museum, ein hübscher alter Schaukasten, der eine Welt von früher zeigt. Den Deutschen, mit ihren gottverdammt billigen kriegerischen Herzen, wünsche ich nur das Beste. Wenn es zum Krieg und zu Bomben und dieser Art von Business kommt, hoffe ich, dass ein paar Deutsche in meiner Nähe sind. Bei den Russen spüre ich Wohlanständigkeit, die Deutschen aber erscheinen mir wie eine Spezies zweibeiniger Haie – clever, effektiv und auf gefährliche Weise dumm.

Jetzt zu den Neuigkeiten – Maxine ist was Schlimmes passiert, sie hatte unzählige Stiche am Kopf. Ich habe sie selbst nicht gesehen, Clancy hat davon erzählt, der übrigens aus seiner Bruchbude in San Francisco rausgeflogen ist. Das ist alles, was mir gerade einfällt. Maxine macht sich Richtung Osten auf, sie sagt, es könnte für immer sein. Weiß der Himmel, was aus ihr wird; besser, ich denke erst gar nicht darüber nach.

Soviel zu unserem Schlagabtausch, McGarr. Ich werde hier bleiben, bis sie mich heraustragen. Sende mir doch ein paar Beschimpfungen, wenn Du dazu kommst. Ich denke gerade darüber nach, nach Hawaii zu segeln und eine Jagdreise nach Vancouver zu unternehmen, dann Mexiko und Südamerika. Chile wäre vielleicht auch nicht ohne, was immer das heißen mag. Mal überlegen. Nicht ohne – was aber dann? Ich schätze, einige von uns finden das noch heraus. Und damit bist Du jetzt entlassen.

Neugierig, HST

1962

»In Puerto Estrella, Kolumbien, gibt es nicht viel zu tun, außer vielleicht reden. Schwer zu sagen, was die Dorfbewohner so zu reden haben, denn sie sprechen ihre eigene Sprache – einen Dialekt namens Guajiro, ein bisschen wie Arabisch, und das lässt es in den Ohren eines weißen Mannes nicht gerade klingeln.

Normalerweise unterhalten sie sich übers Schmuggeln, denn dieses winzige Dorf, mit seinen strohgedeckten Hütten und einer Gesamtbevölkerung von ungefähr hundert südamerikanischen Indios, ist ein bedeutsamer Einfuhrhafen. Weniger für Menschen als vielmehr für Whiskey, Tabak und Schmuck. Offiziell kann man dort gar nicht einreisen, da es nicht einmal eine Einwanderungsbehörde und erst recht keinen Zoll gibt. Es gibt eigentlich überhaupt keine Gesetze, und genau das ist es, was Puerto Estrella zu einem so wichtigen Hafen macht.«

Hunter S. Thompson

»Ein leichtsinniger Amerikaner in einer Schmugglerhöhle«

aus: National Observer, 6. August 1962

AN PAUL SEMONIN:

Nachdem er mit William Kennedy zehn Tage in Puerto Rico verbracht hat, verschlägt es Thompson nach Aruba, und er schreibt darüber einen Text für den National Observer. Er ist fast eine Woche auf der Insel, bis er von Schmugglern in einem Boot mitgenommen wird, das nach Puerto Estrella, Kolumbien, aufbricht.

5. Mai 1962

Aruba

Lieber Pseudospanier,

ich hab Dir so viel zu erzählen, dass es schon kaum möglich ist, auf einem so kleinen Stück Papier auch nur anzufangen. Das ist auch der Grund, warum ich es benutze. Zu den großen Krachern also ein anderes Mal. Erstmal solltest Du wissen, wie es bei mir aussieht, falls in den letzten Monaten nichts bei Dir angekommen sein sollte.

 

Meine aktuelle Situation ist folgende: Ich bin in Aruba und habe dreißig Dollar; morgen Nachmittag habe ich eine kostenlose Mitfahrgelegenheit nach Kolumbien und zwar in einem kleinen Boot, das eine Ladung unverzollten Whiskey an Bord haben wird; dafür kann ich innerhalb der nächsten 48 Stunden in den Knast kommen, in einen kolumbianischen Knast wohlgemerkt, wenn ich es bis Barranquilla schaffe, und genau dort will ich hin, bleiben mir noch fünf Dollar; was dann passiert, weiß der Himmel. Es mutet seltsam an, wenn die beste Aussicht, die ein Mann gerade hat, darin besteht, mit fünf Dollar auf dem südamerikanischen Kontinent aufzuschlagen. Meine größte Sorge ist der Knast; die zweitgrößte, dass man mir meine Ausrüstung klaut (vor allem die Kamera), was meine weiteren Pläne ernsthaft gefährden würde. Und die einzige Hoffnung, die ich in Sachen Geld habe, sind fünf identische Artikel, die ich in San Juan abgeschickt habe. Wenn sie irgendwo gebracht werden, habe ich zusätzlich zu den fünf irgendwas zwischen zwanzig und hundert Dollar, wenn ich in Barranquilla bin.

Schon wieder loszuziehen vermittelt mir eine neue Ahnung von Wildheit, verunsichert mich aber auch. Meine Haut, die einen rot-braunen Ton angenommen hat, schält sich, in meinen Adern kreisen Rum und holländisches Bier, die meiste Zeit verbringe ich liegend, denke an nichts anderes als daran, Stories zu schreiben und welchen Dreh ich ihnen geben könnte, und bin insgesamt ziemlich durcheinander. Ich verbringe meine Zeit mit einem holländischen Journalisten und seiner Frau, die beide sehr nett zu mir sind. Heute habe ich zwei weitere Artikel sowie fünf Filmrollen zum Entwickeln abgeschickt. Irgendwas davon könnte klappen.

Ich war noch einmal für zehn Tage in San Juan und bin zu kaum etwas anderem gekommen als zu trinken und mit [William] Kennedy zu quatschen. Er war besser in Form, als ich es erwartet hätte, ist ohne Job und hat eine Mordswut im Bauch – er ist eben ein Champ, sofern man das Wort noch verwenden kann. San Juan scheint deprimierender denn je und wird von amerikanischen Schwuchteln überflutet – es sind so viele, dass die Regierung eine Untersuchung darüber in Auftrag gegeben hat. Außerdem stampfen sie gerade einen vierspurigen Highway bis Loíza River aus dem Boden. Bis zum Yacht Club haben sie’s schon geschafft, sieht merkwürdig aus, aber ab da ist es – noch – die alte Straße. In ein paar Monaten wird es eine vollständig vierspurige Asphaltstrecke sein.

Jetzt werde ich langsam zu müde, um weiterzuschreiben, und morgen ist Der Schlimme Tag. Gott allein weiß, was alles passiert, wenn ich erst mal an Bord bin. Es hat etwas Furchteinflößendes, wenn ich daran denke, in einem Schmugglerboot nach Südamerika zu fahren, dreißig Dollar in der Tasche zu haben und sechshundertfünfzig Kilometer von der nächsten Stadt entfernt zu sein. Es wird dort nur Indios geben. No hablo. No comprendo. No tengo. Ich werde also sehr oft ein wortloses Lächeln aufsetzen müssen. Lass von Dir hören – lass den Faden nicht abreißen.

Hunter

AN PAUL SEMONIN

In Barranquilla verbringt Thompson einen Abend mit einer Gruppe Indios, trinkt mit ihnen Whiskey und behauptet, gut mit Amerikas First Lady Jacqueline Kennedy befreundet zu sein.

26. Mai 1962

Unterwegs nach Bogotà

Dein Brief hat mich heute Morgen erreicht, mein Lieber, und ich kann nur sagen … hmm, also … in diesem Augenblick sitzt gerade, so groß wie der Arsch Gottes und ungefähr fünfzehn Zentimeter von der Schreibmaschine entfernt, ein Käfer. Sieht übler aus als alles, was Kafka je geträumt hat, und ist so riesig, dass ich seine Augen und seine behaarten Beine sehen kann – mein Gott, er ist gerade abgehoben und schwirrt jetzt bedrohlich surrend über mir herum.

So ungefähr wird es wohl die nächsten acht Tage weitergehen. Wir sind soeben aus Barranquilla abgefahren, nachdem wir uns mit sieben Bootsladungen Bier herumschlagen mussten, die mit an Bord müssen. Jetzt fahren wir flussaufwärts, und vor uns ist gerade ein riesiger Lichtkegel, der uns blendet. In diesem Licht haben sich ungefähr sechs Millionen Käfer in allen Variationen gesammelt – soeben habe ich mir einen vom Nacken geklatscht –, dazu die Moskitos, die einen unentwegt stechen, und kleine Dinger, die Mimis heißen.

Heute Nacht kann ich mir aussuchen, ob ich draußen an Deck schlafe oder in einer Vier-Mann-Kabine über dem Maschinenraum. Ich werde es mal an Deck versuchen und sofort wieder reingehen, wenn ich die Stiche nicht mehr aushalte. Mückenschutzmittel – gibt’s hier nicht.

Englisch werde ich für acht Tage oder länger vergessen können. Unser Boot fährt nur die halbe Strecke bis zu einem Dorf am Magdalena River, das in einem wichtigen Ölgebiet liegt. Dort werde ich mich, ohne Englisch und mit einem Schreiben vom Oberhäuptling der ganzen Unternehmung bewaffnet, um ein weiteres Boot kümmern müssen, das mich mitnimmt. Ich verstehe kein Wort in diesem Schreiben, nur dass mir eine Freifahrt zusteht. Der Deal, den ich ausgehandelt habe, sieht vor: kostenlose Fahrt auf einer Strecke von sechshundertfünfzig Kilometer, und im Gegenzug mache ich zehn Fotos vom Boot, für Werbezwecke. Insgesamt sind es etwa zwölfhundert Kilometer von Barranquilla nach Bogotà. Immer noch siebeneinhalb Tage.

Die Crew ist hartgesotten und macht einen finsteren Eindruck, der Kapitän ist Haudegen. Er kann nicht verstehen, was einer wie ich hier verloren hat, und es kümmert ihn auch nicht. Auch seine Tochter ist mit dabei, ist nur ein ziemlich abgemagertes Mädchen. Letzte Nacht habe ich in einem Bordell herumverhandelt und es am Ende abgelehnt zu bezahlen, ich konnte meine Vorstellungen nicht recht deutlich machen. Ich hatte schon das süßeste Mädchen an meiner Seite, doch die hühnergesichtige Madam wollte es nicht hergeben. Zum Teufel mit ihnen. Latinos sind allesamt Huren, jeder auf seine eigene Art – selbst die Präsidenten. (Die schweigende Crew beobachtet mich beim Schreiben; im Augenwinkel kann ich sie sehen, keine zwei Meter hinter mir. Ich habe bereits für einigen Wirbel gesorgt, als ich ihnen mein Teleobjektiv zeigte, und diese Briefmaschine erst, ein Knüller. Das Zippo-Feuerzeug ist natürlich ein alter Hut, sonst hätte ich es auch schon zum Einsatz gebracht. Es ist eine ständige Herausforderung, sie aus der Reserve zu locken und in Erstaunen zu versetzen – statt nur dazuhocken und Todesängste auszustehen.)

Vor einer Woche fuhr ich in einem Fischerboot von Aruba aus los und verbrachte drei Tage mit angeblich primitiven und gefährlichen Indios. Doch es stellte sich heraus, dass es die freundlichsten Menschen waren, die man sich vorstellen kann. Loíza Aldea ist, wenn man es mit Guajira vergleicht, wie Harlem. Die Menschen tragen eine Schärpe um die Hüfte, sonst nichts, und sie sprechen kein Spanisch, sondern ihre eigene Sprache. Es handelt sich um einen Einfuhrhafen von Schmugglern. Drei Tage lang tranken wir besten Scotch und waren breit wie sonst was. Eine phantastische Zeit, es gab jedoch kein Wasser, und das Essen hätten nicht mal Hunde angerührt. Ich musste mir trotzdem davon nehmen, aus Angst, sie wären sonst beleidigt. Schon in Aruba hatte man mich davor gewarnt. So verbrachte ich bereits vier Tage in Kolumbien, ohne dass sich jemand meinen Pass angeschaut hätte. Das war erst in Barranquilla der Fall, und ich kam etwas in Verlegenheit, als ich erklären sollte, wie ich überhaupt hergekommen bin.

In Guajira gibt es keine Gesetze, keinen Zoll, keine Einwanderungsbehörde, keine Weißen, kein gar Nichts, nur Indios und Whiskey. Barranquilla ist dagegen eine richtige Stadt, für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr wie San Juan, aber jetzt geht es wieder rein ins wilde Landesinnere – mit sieben Bootsladungen Bier. Gelingt es mir, mich mit Leuten von der Crew anzufreunden, dann am besten mit denen, die fürs Bier zuständig sind. Sieben Ladungen Bier müssten für alle reichen. Ich habe hier schon Bier gesoffen bis zum Umfallen – zehn Cent die Flasche, Zigaretten acht Cent. Ich besitze nur noch zehn US-Dollar – und habe eine Theorie entwickelt, die als Thompsons Gesetz der Reiseökonomie in die Geschichte eingehen wird: Mit Vollgas drauf los und auf die Kosten pfeifen – am Ende geht sowieso alles den Bach runter.

Eben habe ich einen Zeitungsartikel von mir aus der New Orleans Times-Picayune zugeschickt bekommen, eine lange, tiefschürfende Geschichte über Kubaner im Exil.

(Mein Gott, dieser Monsterkäfer ist wieder da, schuppert und saugt an der Tischdecke, die von Ameisen übersät ist. Vielleicht sollte ich ihn töten. Warum ein großes Ding draus machen.)

Treffe ständig Leute, die ziemlich in Ordnung sind. In Aruba einen holländischen Journalisten, in Barranquilla zwei eliteschulmäßige Englischlehrer. Die verschafften mir Kon­takt zu einem Typen in Bogotá, der was mit Fulbright-Stipendien zu tun hat und den ich in acht Tagen angraben werde. Sofern es sich abzeichnet, dass die Wahlen in Peru am 10. Juni ohne Blutvergießen verlaufen, werde ich ungefähr zwei Wochen in Bogotà bleiben, dann langsam weiter nach Ecuador und die Küste runter nach Lima. Ich komme langsamer voran als gedacht, aber das gibt immerhin den Merkwürdigkeiten mehr Raum. Ich bin mit zwölf Dollar an der südamerikanischen Küste angekommen, und in Barranquilla mit einem Dollar zehn Cents. (Shit, eben hat mich eine Wanze am Nacken gestochen, sie ist doppelt so groß wie dieser Käfer. Musste das verfluchte Ding töten. Kann sein, dass ich hier nicht mehr weiter tippen kann – das Licht lockt jetzt die größeren Dinger an.) Sie kreisen alle über mir, sehen aus wie Skorpione. Gott, noch acht solcher Tage. Man kriegt eben, was man bezahlt hat – und bezahlt habe ich nichts. Immerhin werden ein paar Fotos dabei herausspringen, wenn schon sonst nichts. Oder am Ende noch Malaria.

Ich trinke überall Wasser und bete, dass ich kein Fieber bekomme. Es fühlt sich hier definitiv nach Kongo an; Barranquilla haben wir zurückgelassen, die Ufer sind von Palmen und anderem struppigen Zeugs gesäumt. Ich kann das sehen, wenn sie das Licht andrehen. Der Kapitän geht jetzt ins Bett, schließt die Kabinentür seiner Tochter von außen ab und schaut mich mit stierem Blick an. Vielleicht ist es Zeit, sich zu den Bieren zu bewegen. Ich werde mal beim Mechaniker vorbeischauen, der das Grinsen eines Trinkers und Arme wie King Kong hat. Die beschissenen Wanzen lassen nicht von mir ab. Ich kann es kaum aushalten. Meine Eier gegen ein Schlafmittel. Oder gebt mir eine Kabine mit Aircondition, für zwanzig Dollar die Nacht. Vielleicht überwiegen am Ende doch die Vorteile des klassischen Tourismus. Sogar das Trinkwasser ist warm. Ich schwitze wie ein Tier.

Und jetzt zu Dir. »Hütte leer im April«, das klingt wie das Läuten der Totenglocken. (Noch ein riesiger Käfer, versuche ihn zu erschlagen – aber verfehlt.) Jetzt wird es Zeit, tief nach dem Scheckheft zu graben, was? (Jeder scheint hier jetzt ins Bett zu gehen – wahrscheinlich wecken sie mich dann zur Unzeit.) Ich habe letzte Nacht nur zwei Stunden geschlafen, nachdem ich um fünf Uhr morgens aus dem Bordell hinausgeschmissen wurde. Werfe mit Pesos um mich, als wären es Bohnen. Man glaubt gar nicht, dass es echtes Geld ist. Heute Morgen studierte ich ein paar Quadratzentimeter auf der Gesellschaftsseite des El Heraldo aus Barranquilla. Alles Lügen, aber auf Spanisch und harmlos. Mein Geist ist unruhig; ich kann mich nicht konzentrieren mit all den Wanzen. Ich sehe Dich immer wieder vor mir, wie Du mit einem Notizbuch herumläufst und versuchst, die Trommel für die Revolution zu rühren. In wessen Auftrag zum Teufel arbeitest Du eigentlich? Kommt da irgendwie Geld rein? Immer noch aufgekratzt wegen diesem Nymphchen? Macht McGarr irgendetwas anderes als essen und bei den Berbern herumzuwandern? Er sagt, er würde schreiben; ich aber vermute, dass es mit jeder Art von Kunst aus und vorbei ist. Jetzt verenden auf dem Tisch die Käfer und kriechen in die Schreibmaschine. Ich versuche sie wieder rauszupusten, klappt aber nicht. Noch immer gedämpftes Licht, der Kapitän treibt’s wohl gerade mit sich selbst. Gott, mein Bein für ein kaltes Bier. Acht Tage wie dieser. Sollte ich jemals Bogotà erreichen, bleibe ich am besten gleich für immer. Habe vor fünf Tagen einen Brief von Hudson weitergeleitet bekommen, er ist inzwischen der einzige Besitzer des Bootes. Michael hat den Geist aufgegeben. Harvey Sloane11 will aufhören und bis zum Ende des Sommers die Fliege machen. Er brachte die Möglichkeit ins Spiel, mich mit ihm irgendwo zu treffen und mich anmus­tern zu lassen, hat auch gefragt, wie es bei Dir aussieht. Ich glaube kaum, dass er Deinen Brief bekommen hat, nach dem, was er mir schrieb. Schien keine Ahnung zu haben, was Du machst und wie Deine Pläne sind. Geht mir genauso. Kommt nach Spanien Afrika? Hudson sprach davon, dass Du schon soweit seist, Dich der Crew anzuschließen, ebenso Sandy. Ich für meinen Teil werde mich zu nichts verpflichten, ehe das Ding nicht im Wasser ist und schwimmt. Gegen Ende des Sommers habe ich vor, in Rio zu sein, zu den dortigen Oktober-Wahlen. Gott, diese Käfer. Ich glaube, ich muss raus hier.

 

Noch ein Wort zu Aruba, da Du Dich danach erkundigt hast. Es geht für einen kurzen Aufenthalt in Ordnung, ziemlich teuer und wahrscheinlich von jedem europäischen Ölhafen aus für wenig Geld zu erreichen. Von Aruba nach Europa kostet es auf einem Frachter drei bis fünf Dollar pro Tag. Ich bin dort auf gastfreundliche Leute gestoßen und hatte eine gute Zeit, aber ganz ohne Kontakte würde ich es Dir nicht empfehlen. Natürlich bereite ich anderen Reisenden wie Dir den Weg. Die Namen sind alle notiert. Schreib mir an c/o US-Botschaft, Abteilung Konsulat, Lima, Peru, oder an das Postfach in New York, das sicherer sein dürfte, da meine Pläne jederzeit plötzlichen gewaltsamen Änderungen ausgesetzt sein können. Okay … Die USA gefallen mir von hier aus gesehen immer besser. Ein Job dort könnte die Lösung sein. Oder Arbeitslosengeld.

Hunter

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