Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten

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AN ANN FRICK (nicht abgeschickt):

Pleite, arbeitslos, geknickt – Thompson legt offen, warum sich die »Hunterfigur« niemals einer Autorität beugen würde; wie ein Held aus Der ewige Quell von Ayn Rand würde er sich selbst treu bleiben, was immer die Folgen wären.

3. März 1959

22 Mulberry St.

Middletown, New York

Liebe Ann,

vielleicht wirst Du diesen Brief nie zu Gesicht bekommen, fürs Erste jedenfalls sicher nicht. Sollte ich ihn je abschi­cken, wird ein weiterer Brief dabei liegen, der davon handelt, was in der Zwischenzeit passiert ist. Wenn es also soweit ist, dass du das hier liest, wird die Person, die das geschrieben hat, hinter der Maske jener Person verschwunden sein, von der Du zu denken scheinst, dass ich es bin. Ich schreibe Dir diesen Brief, um Dir zu zeigen, dass diese andere Person existiert. Doch ich werde ihn für eine Weile unter Verschluss halten, denn ich will nicht, dass Du diese andere Person jemals zu Gesicht bekommst; höchstens aus der Ferne. Es ist nicht gerade jemand, den ich Dir auf Dauer wünschen würde, doch ich denke, dass Du über ihn Bescheid wissen solltest, und wenn es nur im Rückblick ist.

Ich werde mich so kurz wie möglich fassen und schnell auf den Punkt kommen, um weder meine Worte noch Deine Zeit zu verschwenden. Diese »andere Person« ist selbstverständlich Hunter S. Thompson, und zwar hier und jetzt, in der Gegenwart. Er ist schon wieder, zum soundsovielten Mal, »ganz unten angekommen«, und wenn er diesmal nicht wieder hochkommt, dann ist dieser Brief, schätze ich, das Todesröcheln. Und wenn er doch wieder hoch­kommt – auch dann wird es dieser Brief wert sein, gelesen zu werden – als grimmige Erinnerung daran, dass der Grabgesang einst schon erklungen war. Anders gesagt: Wenn das hier der endgültige Zusammenbruch sein sollte, möchte ich ihn dokumentiert wissen; und wenn nicht, dann erst recht – als moralischer Schub für die Zukunft.

Letzte Woche wurde ich gefeuert, und ich bin momentan so hilflos, wie man es nur sein kann. Für die Kündigung wurden mir drei Gründe genannt: 1) die Tatsache, dass ich im Büro eine ganze Nacht in Socken herumlief, 2) die Tatsache, dass ich im Büro einen Süßigkeitenautomaten mit einem gewaltigen Tritt beschädigte, nachdem ich vergeblich zwei Münzen hineingeworfen hatte, und 3) die Tatsache, dass sich einer der regulären Anzeigenkunden des Record persönlich beim Verleger beschwerte, nachdem ich zwei Speisen zurückgehen lassen und den Kunden in seinem eigenen Restaurant wegen der schlechten Qualität des Essens beleidigt hatte.

»Sie leisten gute Arbeit«, meinten sie zu mir, »und verfügen über einen scharfsinnigen Verstand. Aber wir sind hier nicht in Greenwich Village, und Sie scheinen ein wenig unsozial zu sein, ein wenig neben der Spur. Auch scheinen Sie nicht gerade viel von partnerschaftlichen Verhältnissen zu verstehen. Deshalb können wir es uns einfach nicht erlauben, Leute wie Sie für den Record zu engagieren.«

Hier hast Du sie also, die Grabinschrift für Hunter Thompson: »Er war ein guter Typ, aber ein wenig neben der Spur.«

Und hier noch ein Spruch speziell für Dich: »Er hatte recht, absolut recht, wie er sich so ins Zeug legte (in seiner eigenen Art, neben der Spur zu sein), aber jetzt ist er einfach nur ein weiterer Arbeitsloser; einer, der eben doch falsch lag.«

Wie auch immer, ich hoffe, Du verstehst den Punkt. Ich bin sans salary, egal ob ich richtig lag oder nicht. Natürlich bin ich überzeugt, dass es falsch ist, nur eine Rolle zu spielen oder Betrügereien mitzumachen, und ich habe fest vor, so weiterzuleben, wie ich glaube, dass ich es tun sollte.

Nur gerade sehen die Dinge ein wenig trostlos aus. Ich habe keine Ahnung, was ich verflucht noch mal machen werde und weiß nicht mal, wo ich überhaupt anfangen soll. Mein Geld reicht noch für zwei Wochen, ich besitze einen schwarzen Jaguar, der Benzin frisst, als wärs ein Kamel auf Rädern, ich habe keine Wohnung und keinerlei Aussicht auf einen Job, bei dem nicht genau das Gleiche wieder passieren würde – spätestens dann, wenn ihnen dämmert, dass ich »ein wenig neben der Spur« bin.

Es fühlt sich so an, als sei es das Leben selbst, das gerade unter meinen Füßen wegbricht, und ich weiß nicht, ob ich springen, losrennen oder stehenbleiben und runtergehen soll, um meinen Unmut gegen die herabfallenden Trümmer hinauszuschreien – während genau diese mich allmählich begraben.

Ich weiß, dass ich richtig liege, aber manchmal frage ich mich, wie wichtig es ist, richtig zu liegen – anstatt es vielleicht lieber bequem zu haben. Ich bezweifle, dass sich diese Frage in der Welt von Tallahassee allzu oft stellt, doch es mag der Tag kommen, an dem auch Du darüber wirst nachdenken müssen. Und wenn, dann wirst Du weder der erste noch der letzte Mensch sein, der dies tut, sowenig wie das bei mir der Fall ist. Die Schwierigkeit liegt weniger in der Frage begründet als in dem Menschen, der sie beantworten muss. Es gibt so wenige Menschen, die stark – oder glücklich – genug sind, um in dieser irren Welt das Richtige zu tun, und die dazu fähig wären, fühlen sich meist nicht dazu berufen, es herauszufinden.

Ich könnte jetzt ewig so weitermachen, aber ich glaube, es ist klar geworden, worum es geht. Die Hunterfigur ist erneut an einer Weggabelung angekommen, und wieder einmal lau­tet die Frage: »Wie geht es von hier aus weiter?« Wir werden es natürlich sehr bald wissen, denn sogar die Hunterfigur braucht etwas zu essen. Etwas wird passiert sein, wenn Du diesen Brief bekommen hast, und es ist mir wichtig, Dich nochmal daran zu erinnern, dass er in einer Phase des absoluten Chaos verfasst worden ist. Jedenfalls fühle ich mich gerade so verloren wie nie zuvor in meinem Leben.

Auch wenn das bei mir nicht so häufig vorkommt, finde ich, dass Du meine Tiefpunkte genauso kennen solltest wie meine Höhenflüge. Beizeiten ist die unbeschwerte Thomp­son-Fassade sehr anstrengend, und ich brauche jemanden, dem ich offen zeigen kann, wenn ich durcheinander bin und mich verloren fühle. Ich bin auch nur ein Mensch, und ich weiß, dass jeder, der darauf besteht, das Große Spiel nach seinen eigenen Regeln zu spielen, sich damit abfinden muss, gelegentlich Schläge einzustecken. Das kann sich wiederholen, und darum schicke ich Dir diesen Brief erst dann, wenn ich erneut Gefahr laufe, abzustürzen.

Wenn das beim nächstes Mal irgendeine Wirkung auf Dich haben sollte – was gut sein könnte –, dann möchte ich, dass Du verstehst, was den Absturz ausgelöst hat, warum er unvermeidlich ist, und vor allem: dass es das vorher auch schon einmal gegeben hat.

Wenn Dir das alles Angst macht, dann, glaube ich, wird der Brief einen mehr als notwendigen Zweck erfüllt haben. Wie ich schon sagte, bin ich ein ganz realer Mensch und kein umherwandernder Tagtraum. Diese Seite meiner Persönlichkeit ist genauso real wie alles andere, und ich finde, das solltest Du wissen. Und ich denke, dass es umgekehrt mindestens genauso wichtig für mich ist zu wissen, was Du über diesen Brief denkst. Schreib mir, wenn Du Zeit hast.

Love, Hunty

AN WILLIAM FAULKNER:

Thompson ist ein aufrichtiger Bewunderer der Romane von Faulkner, besonders von Schall und Wahn. Dieser Brief – den Hunter an Faulkners Privatadresse in Oxford, Mississippi, schickt – bleibt unbeantwortet.

30. März 1959

Cuddebackville

New York

Sehr geehrter Mr Faulkner,

ich dachte, es könnte Sie interessieren, was ich heute in der Times gefunden habe und Ihnen anbei mitschicke. Ich musste dabei an ein Statement von Ihnen denken, das ich in irgendeiner Publikation mit dem Titel Schriftsteller bei der Arbeit gelesen habe. Ich habe dieses Buch gerade nicht zur Hand. Ihr Statement drehte sich um Henry Ford, Robert Frost und das Bild vom »Schriftsteller als folgsamer Hund«.

Wenn ich auf das vergangene Jahr zurückschaue, kann ich Ihnen und Mr Sulzberger7 nicht ganz zustimmen. Soweit ich sehe, besteht die Rolle, die Aufgabe, die Verpflichtung und in der Tat die einzige Option des Schriftstellers in der »äußeren« Welt darin, so ehrenhaft und trotzig vor Hunger zu sterben wie nur möglich. Genau das habe ich vor, nur scheint der Vorrat an Hühnern in dieser Gegend weitgehend aufgebraucht zu sein, bis ich weiterziehe.

Und übrigens, wenn Sie – am Ende dieses Briefs – das brennende Verlangen in sich spüren, mir einmal die Woche einen Scheck zu schicken, fühlen Sie sich bitte frei, es zu tun. Meine Anfälligkeit für Korruption wurde mehrfach auf die Probe gestellt und funktioniert gut. Ich bin in den Catskills der einzige Hühnerdieb und Romanautor unter den Südstaatlern, der einen alten Jaguar fährt, in einer unbeheizten Hütte lebt und den Großteil seines wöchentlichen Arbeitslosengelds für Super-Benzin ausgibt.

Mein Gesuch ist natürlich nur ein kleiner Scherz. Ich bin es so sehr gewohnt, Briefe an Gläubiger zu schreiben, dass ich mich selbst nicht im Griff zu haben scheine in meinem Bemühen, einen halbwegs stimmigen Brief zu verfassen. Ich wollte Ihnen nur ein paar Zeilen schreiben und komme jetzt besser zum Schluss, ehe das Ganze noch ausufert. Sollten Sie jedenfalls einmal in der Gegend sein, würde es mich sehr freuen, wenn Sie bei mir anklingeln würden. Ich habe mehrere zusätzliche Betten, und der Neversink River mit seinen zahlreichen Forellen fließt direkt vor meiner Haustür. Alles in allem ein wunderbares Plätzchen. Im Winter ein bisschen kalt und es gibt leider nichts zu essen, aber es ist ein hübscher Ort, um sich auszuruhen.

So verbleibe ich – bis wir alle in den Flammen radioaktiven Zeitungspapiers aufgehen – mit den besten Empfehlungen:

Hunter S. Thompson

 

AN ANN FRICK:

Frick hat »Hunty« einen fünfseitigen Versöhnungsbrief geschrieben, in dem sie ihm eine Liebeserklärung macht, die unter dem Schwall von Fragen, die sie umtreiben, gut versteckt ist.

26. Juni 1959

Cuddebackville

New York

Liebe Ann,

ja, manchmal kommt es vor, dass ich auf einem Foto lächle. Ich hab’s Dir hier dazugelegt. Die Aufnahme war für ein Passbild.

Es ist jetzt vier Uhr morgens in Cuddebackville, New York. Die beiden Lebensmittelgeschäfte sind geschlossen, die Kirche ist pechschwarz und dichter Nebel liegt über dem Neversink River. Es regnet, wie schon seit zwei Wochen. Die Berge schimmern grün und die Straßen sind in ewigen Dunst gehüllt. Cuddebackville liegt in einem Tal am Fuße des Otisville Mountain. Der Nebel über dem Tal ist heute Nacht undurchdringlich, und die Straße, die den Berg hinaufführt, ist dunkel und leer.

Weit draußen auf der Straße des Oakland Valley, gut und gerne vier Kilometer von der Stadt entfernt, ruht ein schwarzer Jaguar neben einer Hütte hoch über der Straße in einer Einfahrt. Licht brennt in der Hütte, vielleicht das einzige in ganz Cuddebackville. Drinnen sitzt ein Mann vor einer Schreibmaschine, trinkt eisgekühlten Tee und raucht eine Zigarette. Er hat seit acht Uhr abends geschrieben, und eben hat er das dritte Kapitel eines Romans beendet. Er schreibt seit einigen Wochen fast ohne Unterbrechung. In einem Monat sollte er mit dem Buch soweit sein, dass er es nach New York mitnehmen kann, wo einer der Lektoren von Viking Press (Verlag) darauf wartet, es zu lesen.

Das ist der Grund, warum er dem Mädchen in Tallahassee mit den strahlenden Augen nichts von seiner Arbeit erzählt hat: Weil er nichts anderes macht als schreiben, und was gäbe es darüber schon zu sagen?

Ja, jetzt weißt Du es, Ann, meine Liebe. Ich schreibe. Und, wenn Du mich fragst, ob ich damit etwas erreicht habe, und wenn Du finanziellen Erfolg damit meinst, ist die Antwort – nein. In dieser Woche, so sieht es aus, sind drei meiner Stories an mich zurückgegangen – mit kleinen freundlichen Ablehnungsschreiben, die jeweils angeheftet waren.

Bitter? Hoffnungslos? Na ja, vielleicht ist es so. Doch bevor wir uns darauf einigen sollten, kommen hier ein, zwei Zitate, auf die ich neulich gestoßen bin:

(A) »Zwischen 1919 und 1927 habe ich meine Stories immer wieder an amerikanische Magazine geschickt, nicht eine wurde gedruckt, bis Atlantic Monthly eine Geschichte von mir mit dem Titel Fifty Grand veröffentlichte.«

* Das ist Hemingway; von 1919 bis 1927, das ergibt acht Jahre.

(B) »Nach Feierabend schrieb ich Stories … Es wurden insgesamt neunzehn … Niemand wollte sie haben, keiner antwortete persönlich. Es waren genau einhundertzweiundzwanzig Ablehnungsschreiben, die ich in meinem Zimmer auf einen Fries gepinnt hatte.«

* Das stammt von Scott Fitzgerald. Der hat, damals in den Zwanzigern, das ein oder andere veröffentlicht.

Wie Du siehst, meine Liebe, man kann nie wissen. Manche schaffen es, andere eben nicht. Zufällig denke ich nun mal, dass ich es schaffen werde. Ich kann es mir gar nicht erlauben, anders zu denken.

Bei durchschnittlich drei Ablehnungen pro Woche sollte ich Fitzgerald in sechsunddreißig Wochen eingeholt haben. Und dann bleiben mir immer noch sechs Jahre, um mit Hemingway gleichzuziehen. Wenn es mir aber tatsächlich gelingt, diesen Roman zu veröffentlichen, werde ich beide hinter mir gelassen haben. Und, mein Gott, wäre das ein Spaß. Also, immer feste dran glauben, Du süßes kleines altes dunkeläugiges Ding. Noch ist es nicht so, dass sie meinen Sarg mit Dreck bewerfen würden.

Kommen wir zur nächsten Frage: Welcher Teil von mir zieht Dich an? Tja, Ann, ich glaube nicht, dass Du diese Frage übertrieben anständig formuliert hast, also werde ich versuchen, sie so zu beantworten, wie ich denke, dass sie gemeint ist. Wenn ich in derselben Weise antworten würde, wie Du sie formuliert hast, würdest Du mir bestimmt überhaupt nicht mehr schreiben.

Hmmnnnnnn … gar nicht so einfach. Es wäre ja viel einfacher, auf Deine Version der Frage zu antworten. Aber nein, für sowas bin ich viel zu fromm.

Es wäre jedoch vermessen, darüber hinwegzusehen, dass es ganz klar eine körperliche Anziehung gibt. Und ich fin­de, das ist völlig in Ordnung; anders will ich es mir gar nicht vorstellen.

Da ist natürlich mehr, aber ich habe niemals ernsthaft darüber nachgedacht. Ich weiß nur, seitdem ich sechzehn bin, bist Du das einzige Mädchen, dem ich über den Weg gelaufen bin, das einen nachhaltigen Eindruck auf mich hinterlassen hat. Das ist jetzt drei Jahre her, und ich habe es noch immer nicht geschafft, Dich aus meinem Kopf zu kriegen. Und ich habe es versucht. Gott! Drei Jahre! Kommt Dir das auch schon so lange vor?

Nebenbei gesagt, weißt Du noch, dass ich Dich am 5. Februar 1957 in meinem Brief mit »Cheri« angeredet und Dich »emotional starrsinnig« genannt habe? Und weißt Du auch, dass Du mir am 25. September 1956 sehr persönliche Zeilen geschickt hast, die ungefähr so lauteten: »Und wegen Wochenende. Ich habe eine Menge zu tun und werde sehr beschäftigt sein …« Sehr persönlich formuliert. Weiter schriebst Du, dass es trotzdem für Dich vorstellbar wäre, »Samstagnachmittag oder Samstagnacht auszugehen«, dass es aber »am besten wahrscheinlich Samstagnacht« wäre.

Ich weiß nicht mehr genau, was an diesem Wochenende passiert ist, aber ich bin sicher, dass es einigermaßen ernüchternd gewesen sein muss.

Bist Du, nebenbei gesagt, immer noch so hübsch wie damals? Warum schickst Du mir nicht Mal ein neues Foto? Bleib bitte hübsch. Es ist für mich sehr wichtig, dass Du hübsch bist. Ich meine das ernst.

Ich bin jetzt in einer dermaßen guten Stimmung, dass ich Dich, wenn ich meine Augen schließe, vor mir sehen kann, hier in meiner Hütte. Wenn Du hier wärst, würde ich Dich jetzt sofort ins Bett rüberziehen. Verkommen, aber wahr, muss ich leider sagen. Ich bin gerade dabei, mich wieder selbst zu frustrieren; verdammt, ich halte es kaum aus.

Aber wäre das nicht was? Wenn Du hier wärst, meine ich. Ich lächle; du lächelst auch. Und glaub nicht, das ich betrunken bin. Kein bisschen. Hab in drei Tagen nicht mehr als ein Glas Bier getrunken. Ich bin einfach nur glücklich. Ich weiß nicht genau, warum, aber es muss mit der Vorstellung zu tun haben, dass Du hier in meinem Bett … ja, das würde mich tatsächlich sehr glücklich machen.

Lächle!

Und es ist nicht nur das Bett. Es wär mir einfach eine Freude, wenn Du die ganze Zeit hier wärst. Es wär mir eine Freude, Dich einfach nur anzuschauen. Sag mal, kannst Du eigentlich kochen? Ich bin hungrig geworden und muss aufstehen und mir ein Thunfisch-Sandwich machen. Ja, ich lebe von Thunfisch und Erdnussbutter und Milch und Brot.

Ich betrachte das Foto von Dir, während ich dies schreibe, und versuche mir Deine Antworten und Reaktionen vorzustellen. Ich finde Vergnügen daran.

Ich besitze sogar ein Foto, auf dem Du lächelst, und eines mit einem sehr ernsten Gesicht. Ich wechsle hin und her, je nachdem, welche Reaktion ich gerade von Dir erwarte.

Dies ist ein sehr seltsamer Brief; viele Deiner Fragen habe ich gar nicht beantwortet, aber es tut gut, ihn zu schreiben.

Die Antwort auf eine Deiner Fragen ist nun, dass ich alles an Dir liebe – bis auf das, was ich nicht so sehr mag. Das ist der Teil von Dir, der mich an all die Mädchen erinnert, die ich sonst sehe. Der Teil von Dir, der meint, jeder – sogar Hunter – müsse früher oder später bodenständig werden, mit einer geregelten Arbeit und einer Hypothek auf dem Haus und zwei verchromten Autos in der Garage und mit einer Menge dummer netter Nachbarn und einem Leben, das keine Perspektive bietet außer ewiger Manipulation, getrieben von Kräften, die zu verstehen Du Dir nie die Mühe gemacht hast. Das ist der Teil von Dir, den ich nicht so sehr mag, und den ich nie mögen werde.

Wenn Du mir antwortest, würde ich gerne wissen, welchen Teil Du von mir nicht magst. Oder vielleicht den Teil, den Du magst … wenn das leichter sein sollte.

Du sagst außerdem, ich hätte Dir nie erzählt, worauf es mir im Leben wirklich ankommt. Es ist, kurz gesagt, dies:

Ich will in der Lage sein, mich selbst (und, ausgenommen im Falle eines Desasters, auch meine Familie) als Autor zu ernähren. Ich möchte ein Haus irgendwo auf den West-Indies, hoch oben auf einem Felsen mit Blick auf das karibische Meer. Ich möchte genug Geld haben, um mir guten Scotch und gutes Essen leisten zu können. Ich will in meine Frau verliebt sein und wünsche mir, dass sie es in mich ist. Das wär’s ungefähr; ich verlange nicht viel, aber die paar Dinge sind wichtig. Wenn Du anderer Meinung bist, würde ich gerne Deinen Standpunkt hören.

Und wo ich gerade dabei bin, lass mich noch etwas anderes zitieren:

Niemand-anders-als-du-selbst zu sein – in einer Welt, die alles darauf anlegt, Tag und Nacht, aus dir einen anderen zu machen – bedeutet, in der härtesten Schlacht zu kämpfen, die einem Menschen möglich ist; und hör niemals zu kämpfen auf.

* Das stammt von e.e.cummings, der so etwas wie ein zeitgenössischer Dichter ist.

Das ist ein ziemlich dramatischer Schlussteil, deshalb sollte ich dieses lange Schreiben zum Ende bringen. Meine Situation hier ist äußerst ungewiss, und es besteht immer noch die Möglichkeit, dass ich diesen Sommer zu Dir runterkomme. Ich lasse Dich wissen, was passiert. So wie ich es jetzt gerade sehe, wird sich die Lage, ehe sie sich verbessert, erst einmal verschlechtern. Ich spreche natürlich nur von meinen eigenen Geschicken.

Bleib hübsch und verlier nicht den Glauben. Ich denke, Du und ich, wir mögen einen aussichtslosen Kampf kämpfen, doch wenn dem so ist, gilt das auch für jeden anderen hier in dieser verrückten Welt, und an meiner Seite nimmst Du den Niederlagen vielleicht den Schmerz.

Love, HST

AN WILLIAM J. DORVILLIER, SAN JUAN STAR:

Fest entschlossen, einen Job in der Karibik zu finden, bewirbt sich Thompson auf eine Anzeige im Magazin Editor & Publisher hin um eine Stelle als Sportredakteur beim San Juan Star in Puerto Rico. Verleger Dorvillier sollte später, 1961, den Pulitzer-Preis für seine Leitartikel zur Debatte über die Trennung von Kirche und Staat bekommen.

9. August 1959

Cuddebackville

New York

William J. Dorvillier

Star Publishing Corp.

Box 9174

Santurce, Puerto Rico

Sehr geehrter Herr,

wie ich höre, suchen Sie einen Sportredakteur. Sollte das stimmen, könnten wir zusammenkommen. Mich interessiert die Stelle aus zwei Gründen: wegen des Redaktionssitzes in der Karibik, und weil es eine neue Zeitung ist. Das Thema Gehalt steht definitiv erst an zweiter Stelle, da es sich hier nicht um einen Job in unserer großartigen rotarischen Demokratie handelt. Die untere Grenze, sofern Sie es sich leisten können, liegt irgendwo bei vierhundert Dollar im Monat. Ich würde jedoch keine genaue Zahl nennen wollen, bevor ich nicht mehr über Sie und die aktuellen Anforderungen herausgefunden habe. Es gibt so manchen Job, den ich nicht für zweitausend Dollar im Monat machen würde, und es gibt andere, bei denen ich froh wäre, es für zweihundert zu tun. Heben wir uns das Thema Gehalt für später auf, einverstanden?

Ich spreche kein Spanisch – einigermaßen Französisch –, aber sehe keine Probleme, mir das anzueignen. Was die Qualität meiner Arbeit angeht, bin ich entweder der beste oder der schlechteste Sportredakteur, den Sie kriegen können. Ich würde die Fotografen vor große Herausforderungen stellen, würde darauf bestehen, meine eigenen Seiten selbst zu layouten, eine Kolumne schreiben, die den Intellekt mancher Leser beanspruchen würde, und allgemein gesprochen würde ich alle Anstrengungen auf mich nehmen, um den für meine Begriffe perfekten Sportteil zu produzieren. Wenn Sie daher einen pflegeleichten Schreiberling suchen, bin ich nicht Ihr Mann.

Im Moment bin ich arbeitslos und werde es bleiben, bis ich einen Job gefunden habe, der es mir wert ist. Nach­dem ich bereits Sportjournalist, Sportredakteur, Volontär und Reporter – in dieser Reihenfolge – gewesen bin, habe ich den amerikanischen Journalismus abgeschrieben. Der Niedergang der amerikanischen Presse war schon lange abzusehen, und mir ist meine Zeit zu schade, um sie mit Anstrengungen zu vergeuden, die auf den »Mann auf der Straße« ausgerichtet sind – mit dem täglichen Quantum an Klischees, Klatsch und erotischem Schund. Es gibt da noch eine andere Art von Journalismus, die Ihnen vertraut sein mag oder nicht. Dessen Grundsätze sind auf einem Bronzeschild an der südöstlichen Ecke des Time Tower in New York eingraviert.

 

Mit diesem Brief, den Arbeitsproben und dem Lebenslauf sollten Sie alles haben, was Sie brauchen, um eine Vorstellung davon zu bekommen, mit wem Sie es zu tun haben. Wenn Sie an mir interessiert sind, würde ich gerne mehr über Sie, das Blatt und die Aufgabenbereiche des Sportredakteurs erfahren. Ich muss mich jetzt schleunigst wieder an meinen Roman setzen. Wenn Sie diesen Brief erhalten haben, wird der erste Teil meines Buches bereits bei Viking Press in New York liegen; wenn Ihre Zeitung im November startet, wird mein Buch abgeschlossen sein. Und danach – wer weiß?

Wie immer Sie sich entscheiden, bitte senden Sie mir meine Arbeitsproben zurück.

Vielen Dank,

Hunter S. Thompson