Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten

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AN VIRGINIA THOMPSON:

Nachdem er aus seiner Hütte zwangsgeräumt wurde, bezieht Thompson Quartier in der Kellerwohnung von Annie und Fred Schoelkopf in der Nähe von Otisville. Die Schoelkopfs schließen Thompson ins Herz; sie bereiten ihm nächtliche Mahlzeiten zu und versorgen ihn mit Bargeld, damit er seinen Roman Prince Jellyfish beenden kann.

9. August 1959

Otisville, New York

Liebe Mom,

sollte es in meinen letzten Briefen an guten Nachrichten und aufmunternden Neuigkeiten gefehlt haben, hat das einen guten Grund. Ich habe mich in einer Serie kleiner Katastrophen verfangen; nichts Ernstes, aber jene Art von Dingen, die eine weniger robuste Person jederzeit um den Verstand bringen kann. Hier ein kleiner Überblick:

1 ich bin zwangsgeräumt worden

2 die Lenkung des Wagens ist hinüber

3 ich konnte den Wagen nicht aus der Einfahrt bewegen, der Vermieter hievte ihn hoch und beschlagnahmte einen Reifen als Anzahlung für die Stromrechnung

4 ich hielt den Vermieter fest

5 meine Arbeitslosenversicherung wurde gekündigt

6 bis ich die Lenkung wieder in Ordnung bringen konnte, fiel der Wagen buchstäblich auseinander

7 die KFZ-Versicherung wurde gekündigt, da ich die vorletzte Zahlung nicht geleistet habe

8 mein Führerschein wurde verlängert, doch ich kann den Wagen jetzt nicht einmal nach New York fahren, um ihn zu verhökern.

Der Wagen fährt noch – gerade irgendwie und nicht besonders sicher – und ich denke, ich könnte entweder [Paul] Semonin oder Forbes8 dazu bewegen, hierher zu kommen und ihn für mich nach New York zu fahren. Wenn er dort erst einmal steht, kann ich dafür immerhin noch ein bisschen Geld kriegen. Es ist ein grottenschlechter Deal, aber mir bleibt gerade keine andere Wahl.

Das hört sich jetzt alles schlimmer an, als es ist. Das alles passierte innerhalb einer Woche, und langsam geht es mir auf die Nerven. Gäbe es Annie und Fred Schoelkopf nicht, weiß der Himmel, was für ein schreckliches Schicksal mich ereilt hätte.

Du wirst das vielleicht nicht gerne hören – und ich weiß, Memo wird es hassen wie die Hölle –, aber mein Plan ist folgender: Ich gehe zurück nach Louisville, schließe mich im hinteren Schlafzimmer ein und schreibe den Roman zu Ende. Er ist jetzt zur Hälfte fertig, doch ich werde ihn niemals abschließen, wenn ich auf diese irrwitzige Tour weitermachen muss, bloß um was zu essen zu haben und zu überleben. Ich habe Viking Press angekündigt, dass sie die erste Hälfte bis Ende des Sommers bekommen. Sie haben zwar mit keinem Wort gesagt, dass sie das Buch veröffentlichen werden, ihr Interesse aber ist der einzige Lichtblick meiner sehr düster erscheinenden unmittelbaren Zukunft. Ich schreibe also den Rest in Louisville, und dann fahre ich wieder. Ich habe nicht vor, einen Job anzunehmen, wenn ich da bin, und ich habe auch nicht vor, euch einen Cent zu kosten. Ich will nur ein bisschen Frieden und Ruhe, um arbeiten zu können.

Sobald ich mich beruhigt habe, werde ich Dir alles genauer erklären. Gerade aber kann ich nichts weiter tun, als hier zu sitzen und auf die Tastatur der verdammten Schreibmaschine zu starren.

Love, HST

VON WILLIAM KENNEDY, SAN JUAN STAR:

Der Verleger des San Juan Star lässt einen einunddreißigjährigen Redakteur – William Kennedy aus Albany, New York – auf Thompsons Bewerbung antworten. Kennedy, der zum ersten Mal 1956 in Puerto Rico war, wird 1984 den Pulitzer-Preis für seinen Roman Ironweed bekommen.

25. August 1959

Puerto Rico

Mr Hunter S. Thompson

2437 Randsdell Avenue

Louisville 4, Kentucky

Sehr geehrter Mr Thompson:

Nachdem wir uns eingehend mit Ihrer Bewerbung beschäftigt haben, sind wir zu dem Schluss gekommen, dass Sie bei uns nicht glücklich sein würden.

Erstens ist unser Verleger Mitglied im Rotary Club.

Zweitens verleihen Ihnen Ihre literarischen Betätigungen nicht wirklich den Status von einem, der »neben der Spur« ist, da drei unserer Redaktionsmitglieder ebenso Romane geschrieben haben; ein weiterer ist Bühnenautor.

Drittens zielt unsere Strategie höchstwahrscheinlich auf »den Mann auf der Straße« ab, da damit letztlich alle gemeint sind, außer Bettlägerige und Eremiten; und es gibt in Puerto Rico nicht genügend Bettlägerige und Eremiten, um die Auflage zu erzielen, die wir anstreben.

Wir haben das Gefühl, dass es am besten für Sie wäre, wenn Sie sich wieder um Ihren Roman kümmern und vielleicht sogar gleich mit einem neuen beginnen. Sie könnten dabei die bronzene Tafel am Times Tower ins Zentrum Ihrer Geschichte stellen. Man sollte immer über das schreiben, was einem besonders vertraut ist.

Wirklich zu bedauerlich, dass wir nicht zusammenkommen. Viele Menschen laufen hier ohne Schuhe herum. Es hätte Ihnen bestimmt gefallen.

Ihre Bewerbung nehmen wir zu den Akten. Sollten wir jemals einen Süßigkeitenautomaten aufstellen und jemanden benötigen, der ihn eintritt, werden wir Sie kontaktieren.

Herzlich, im Geiste des Zen

William J. Kennedy

Geschäftsführender Redakteur

AN WILLIAM KENNEDY, SAN JUAN STAR:

Wütend über den höhnischen Ton im Antwortschreiben des Star überlegt Thompson über Wochen, wie er nach Puerto Rico kommen könnte – nur um William Kennedy zu verprügeln.

30. August 1959

2437 Randsdell Ave.

Louisville, Kentucky

Ihr Brief war niedlich, mein Freund, und Ihre Interpretation meines Briefs wiederum ist bezeichnend für einen jener intellektuellen Kretins, die für den Niedergang der amerikanischen Presse mitverantwortlich sind. Glauben Sie aber bloß nicht, dass mich Ihre Absage daran hindern wird vorbeizuschauen, und wenn ich da bin, erinnern Sie mich daran, dass ich Ihnen zuerst die Zähne einschlagen und Ihnen dann eine Bronzetafel tief in Ihren kleinen Darm rammen werde.

Grüßen Sie mir schön Ihre »literarische« Redaktion und Ihren rotarischen Verleger. Wenn die alle nur halb so niedlich sind wie Sie, wird das Blatt sich abgehen wie eine Rakete.

Auf den Unsinn, was die Aufbewahrung meiner Bewerbung angeht, muss ich wohl nicht näher eingehen.

cheers:

Hunter S. Thompson

VON WILLIAM KENNEDY:

Anstatt sich von den Drohungen in Thompsons Brief vom 30. August einschüchtern zu lassen, fühlt sich Kennedy herausgefordert – und macht Thompson ein interessantes Angebot.

8. September 1959

San Juan, Puerto Rico

Mr Hunter Thompson

2437 Ransdell Avenue

Louisville, Kentucky

Freund Hunter:

Sie sind vermutlich nicht so toll, wie Sie denken, und nur halb so verstiegen, wie Sie den Anschein erwecken.

Der Punkt ist: Wir haben uns überlegt, Ihre Dienste vorübergehend in Anspruch zu nehmen – allein auf Grundlage Ihrer Entertainerqualitäten. Ein müde lächelnder Schreiberling wäre dafür sowieso nicht in Frage gekommen. Dann haben wir uns die Zeilen auf dieser Bronzetafel angesehen, und Sie wurden immer kleiner, Hunter. Immer kleiner.

Allerdings nur als Angestellter.

Wir sind immer noch bereit, Sie so zu sehen, wie Sie sich selbst sehen – als umtriebigen Experten in Sachen Niedergang des amerikanischen Journalismus’. Und deshalb machen wir Ihnen folgendes Angebot.

Wenn Sie bereit sind, sich Zeit zu nehmen, um Ihren Unmut über den Journalismus in Amerika auf, sagen wir, drei doppelspaltigen Seiten darzulegen, bringen wir das in der ersten Ausgabe, die nach aktuellem Stand am 2. November erscheint. Wir bezahlen Sie nach regulärem Zeilenhonorar, das allerdings erst noch festgelegt werden muss.

Um klar zu machen, was der Hintergrund für Ihren Beitrag ist, möchten wir Auszüge des Briefwechsels abdrucken, der dem Beitrag vorausgegangen ist; deshalb benötigen wir auch Ihre Einwilligung, Ihre Briefe verwenden zu dürfen.

Sie können in dem Artikel so kontrovers sein, wie Sie es sonst normalerweise auch sind.

Nur quatschen Sie keine Opern. Wir erscheinen im Tab­loid-Format.

Es könnte nun der Gedanke aufkommen, dass Ihre Geringschätzung unserer noch nicht einmal erschienenen Publikation Sie von einer Zusammenarbeit abhält. Doch mir fiele auf Anhieb keine andere Zeitung ein, die Ihnen eine solche Gelegenheit bieten würde; wenn Sie es also ernst meinen mit dem Niedergang des Zeitungswesens, legen Sie los oder halten Sie die Schnauze.

Mit därmlichen Grüßen

William J. Kennedy

Geschäftsführender Redakteur

AN WILLIAM KENNEDY, SAN JUAN STAR:

Das ist der Beginn einer Korrespondenz, die fast vierzig Jahre andauert.

10. September 1959

2437 Ransdell Ave.

Louisville 4, Kentucky

Mein Freundchen! Sie wollen also sagen, die Sache mit der Bronzetafel hat Sie genervt? Teufel, ich dachte, das wäre der beschwingteste Absatz, den ich seit Jahren geschrieben hätte. Mann, ich meine: Das war doch plas­tisch!

So viel dazu. Ich kann es nicht anders sagen, Freund Kennedy, Ihr Brief hat mir Spaß gemacht. Das ist eine verrückte kleine Korrespondenz, die wir hier am Laufen haben, mein Lieber, und ich weiß nicht, ob ich lieber lachen oder weinen soll. Sogar Ihr erster Brief hat mir gefallen, und es war mir ein großes Vergnügen, eine Antwort darauf zu liefern. Es sind Verbindungen wie diese, die unser kurzes Leben ausmachen.

Ihr arrogantes Angebot jedoch stimmt mich nachdenklich. Wenn Sie es ernst meinen – und das heißt ernst genug, um zu glauben, ich würde einen definitiven Essay zum Thema »Der Niedergang der amerikanischen Presse« auf drei doppelspaltigen Seiten in Angriff nehmen –, dann muss ich davon ausgehen, dass Ihr hoffnungsloser Optimismus nur noch übertroffen wird von der erschreckenden Unfähigkeit, den Umfang oder wahlweise die Tragweite des Themas zu erkennen, das ich abhandeln soll. Sie sind sich mit Sicherheit bewusst, dass der »Niedergang« der Presse seine Wurzeln in der psychopathisch anmutenden Selbstgefälligkeit der amerikanischen Öffentlichkeit hat … wofür nahezu ausnahmslos die unangemessenen Einrichtungen für Bildung und Erziehung die Schuld tragen … wofür wiederum maßgeblich die Presse verantwortlich ist … und worunter sie jetzt selbst leidet, da aus Zeitungsleuten eine Brut unbrauchbarer Schreiberlinge und Klatschreporter geworden ist … und immer so weiter in diesem allzu vertrauten Teufelskreis, der letztlich nur durchbrochen werden kann, wenn zugleich das größte und hoffnungsvollste politische Experiment in der Geschichte der Menschheit scheitert …

 

So, nachdem ich das losgeworden bin und davon ausgehe, dass die Presse von heute mit »abstrakten Verallgemeinerungen« nichts anzufangen weiß, kann ich es noch einmal anders versuchen und nehme an, dass Ihr Angebot auf Ihren nicht zu leugnenden Sinn für Humor gründet; und dass Sie in der ersten Ausgabe nur einen plappernden Beatnik in die Mangel nehmen wollen, der die lächerliche Frechheit besitzt, vor allem nach einer Arbeit zu suchen, bei einem ganz heißen neuen Blatt wie dem San Juan Star.

Glücklicherweise spielen in diesem Fall Ihre Motive für mich keine große Rolle. Ich würde diesen Artikel gerne schreiben, egal ob Sie ihn nehmen oder nicht, und ich würde es auf einen Versuch ankommen lassen. Wenn ich Zeit finde und ich die Geschichte zu meinem eigenen Vergnügen schreiben kann, schick ich Ihnen den Artikel noch vor dem 1. Oktober. Was Sie dann damit machen, ist Ihre Sache. Und wegen meiner Briefe – ich habe, sollte ich den Artikel schreiben, keine Einwände, dass sie erscheinen. Auf jeden Fall werde ich mich in naher Zukunft wieder bei Ihnen melden, entweder um den Artikel zu schicken oder Ihnen mitzuteilen, warum ich es nicht tue.

Bis dahin verbleibe ich

kontrovers,

Hunter S. Thompson

AN WILLIAM KENNEDY, SAN JUAN STAR:

Während er sich in seinem alten Zimmer verschanzt, um an Prince Jellyfish zu feilen, nimmt sich Thompson die Zeit, für Kennedy einen Einakter zur Publikation im San Juan Star zu schreiben.

1. Oktober 1959

2437 Ransdell Ave.

Louisville 4, Kentucky

Mein lieber Schreiberling,

hier ist Ihr Stück, Kumpel, und ich bin der Erste, der seine Beat-Generation-Kappe ablegt, wenn Sie den Mumm haben, es zu veröffentlichen.

Es ist nicht exakt das – so hoffe ich –, worum Sie mich gebeten, was Sie erwartet hatten. Sie wissen genau wie ich, dass dieses Thema nicht auf »ungefähr drei zweispaltigen Seiten« abgehandelt werden kann. Und deshalb habe ich mir überlegt, dass dies die beste Form dafür ist: ein grobschlächtiges Drama der niederen Art. Natürlich ist es eine Farce, wenn auch eine, die es in sich hat; und ich denke, der Text spricht für sich. Sie sagten mir, ich könne so kontrovers sein wie ich möchte, und ich habe Sie beim Wort genommen.

Sie könnten die Ironie, die da drinsteckt, noch befördern, indem Sie mein Drama verhackstücken, damit es in eine Raumkapsel passt. Es würde mich kein bisschen wundern, wenn Sie das täten, also sage ich Ihnen hiermit: Wenn Sie es nicht so bringen wollen, wie es ist, dann schicken Sie es mir wieder. Und seien Sie sich darüber im Klaren, dass Sie mich in diesem Fall nicht nur in meiner Skepsis, sondern auch in meiner Kritik bestärken würden.

Wenn Sie sich aber entscheiden, es zu veröffentlichen, würde ich mich sehr freuen, wenn Sie mir fünf Belegexemplare zusenden. Die Kosten können Sie mit dem Scheck für das Drama verrechnen. Machen Sie das ruhig so, die Unkosten nehme ich gerne in Kauf.

Sie haben meine Genehmigung, jeden der Briefe oder auch alle zusammen zu verwenden. Von Ihnen als einem kompetenten Journalisten erwarte ich, dass Sie meine Zitate aus dem Zusammenhang reißen, meine Arbeit verhöhnen, mich auf jede erdenkliche Art beleidigen und mich überhaupt im Namen des Unterhaltungsanspruchs der Zeitung ans Kreuz nageln. Mir ist es absolut egal, was Sie mit den Briefen anstellen – Sie dürfen sie sogar umschreiben –, aber wenn Sie an dem Theaterstück herummachen, etwas streichen oder hinzufügen oder auf irgendeine andere Weise den Wortlaut verändern, dann werde ich dafür sorgen, dass Sie Ihre Indiskretion bereuen.

Genau genommen hat mich Ihr letzter Brief überrascht, und vielleicht schulde ich Ihnen über kurz oder lang eine Entschuldigung für all meine Ausfälligkeiten. Das hoffe ich, aber ich denke, es ist besser, mir zunächst einmal diese erste Ausgabe anzusehen, ehe ich meinen Dolch beiseite lege.

Und denken Sie an die fünf Exemplare. Bis ich diese bekomme oder Sie das Stück zurückschicken, verbleibe ich

Misstrauisch

Hunter S. Thompson

VON WILLIAM KENNEDY, SAN JUAN STAR:

In Abstimmung mit William Dorvillier, dem Verleger des San Juan Star, lehnt Kennedy den Einakter von Thompson rundheraus ab. Kennedy – der Thompson in späteren Jahren als kritischer Leser beim Schreiben zur Seite steht – rät ihm, bei der Literatur zu bleiben.

22. Oktober 1959

San Juan

Puerto Rico

Freund Hunter:

Ich schicke Ihnen das Stück zurück.

Sie haben mich enttäuscht. Ich habe einen ernsthaften Essay zu einem ernsthaften Thema erwartet. Doch Sie haben einen Packen aufgewärmter Klischees mit internen Anspielungen abgeliefert. Sie werfen Fragen auf, nur um dann abzudriften und in verrückten Dummheiten zu enden.

Es würde keinen Mumm brauchen, um dieses Stück zu veröffentlichen. Höchstens Dummheit.

Das Theaterstück hat seine guten Momente. Wie etwa der Teil über Lincoln. Hier zeigt sich, dass Sie als Autor dann gut sind, sobald Sie auf etwas Neues gestoßen sind, das sich zu erzählen lohnt.

Ich wünsche Ihnen ganz ehrlich alles Gute für Ihr Buch. Wenn es Ihnen ernst damit ist, tun Sie gut daran, sich vom Journalismus zu verabschieden.

Nur einen Rat will ich Ihnen noch geben: hören Sie damit auf abzuschreiben. Und schauen Sie mal bei Gelegenheit hier vorbei. Wir könnten uns gegenseitig bei einer Flasche Rum beschimpfen.

Adios, Katze

William J. Kennedy

Geschäftsführender Redakteur

AN WILLIAM KENNEDY, SAN JUAN STAR:

Aufgebracht darüber, dass jemand vom San Juan Star seinen Einakter als »angeberisches Gefasel« bezeichnet hat, holt Thompson ein letztes Mal zu einem Schlag gegen die rotarische Mentalität des amerikanischen Journalismus aus.

29. Oktober 1959

Otisville, New York

Mein lieber Schreiberling,

Ihr rotarischer Dummkopf von Verleger ist einer der originellsten Denker, dem ich seit einiger Zeit über den Weg gelaufen bin. Ich konnte nicht ahnen, dass mein »Drama« auf Anhieb den Richtigen trifft.

Irgendein Kretin hat seine »Kritik« auf die Rückseite meines Manuskripts gekritzelt, von wegen »angeberisches Gefasel«. Nette Formulierung, oder? Der Mann ist eine echte Leuchte.

Ich sollte aber vielleicht erwähnen, dass meine Figur Avare9 genau die gleiche Formulierung benutzt, um das Lincoln-Zitat in dem Stück zu kommentieren. Mit all der inbrünstigen Beschränktheit seines Schlages sagt er: »Oh, Sie dachten wohl, dieses angeberische Gefasel interessiert mich, oder?« Avare ist meiner Auffassung eine dermaßen überzogene Karikatur eines verblödeten Labersacks, dass ich kaum zu hoffen wagte, sein Ebenbild einmal in Fleisch und Blut zu sehen. Doch Ihr windiger Chef scheint genau so einer zu sein, und jede Wette, dass es der helle Wahnsinn sein muss, für jemand wie ihn zu arbeiten.

Und Ihre Worte wiederum: ein Papierstapel voller »aufgewärmter Klischees mit internen Anspielungen« ist eine ziemlich passende Beschreibung des gegenwärtigen Journalismus, würde ich sagen. Warum schreiben Sie diesen »ernsthaften Essay« nicht selbst, den Sie von mir so vehement einfordern?

Sie können von mir nicht erwarten, dass ich Ihnen einen Packen Plattitüden schicke, um damit Ihre stinkende Leiche von Zeitung zu dekorieren, als wär’s die amerikanische Flagge, die einen Sarg voller Müll bedeckt. Wenn Sie Ihre Leser mit Lincoln und Jesus kleinkriegen wollen, dann nur zu. Die Männer jedoch, die für den »Niedergang« verantwortlich sind, sind Männer wie Ihr geistreicher windiger Chef, die auf ihren pompösen Ärschen sitzen und ein Geschrei über »angeberisches Gefasel« anstimmen, während ihre angeheuerten »literarischen« Schreiberlinge Tag und Nacht schuften, um nichts als Schund zu produzieren.

Sie liefern den Beweis, dass ich richtig liege, Freund Kennedy, und ich denke, das wissen Sie so gut wie ich. Mein Stück zu veröffentlichen wäre eine kleine Blamage gewesen, da bin ich sicher, und ich hätte zu gerne das Gesicht des Verlegers gesehen, als er es gelesen hat. Ich weiß, wovon ich rede, Kennedy, und wenn das ein wenig zu brutal für euch »ernsthafte« Leute ist, um es verdauen zu können, dann umso besser. Warum veröffentlichen Sie statt meines Stücks nicht die Strophen der Nationalhymne? Das wäre mehr nach Ihrem Geschmack, und Sie müssten dann auch nicht so viel abtippen. Plattitüden sind eine sichere Nummer und es ist leicht, so zu tun, als würde man sie nicht sehen, doch mit der Wahrheit verhält es sich anders.

Für den Fall, dass ich mal in der Nähe bin, nehme ich Ihre Einladung zu einem kleinen Besäufnis gerne an. Ich schätze, dass Sie ziemlich in Ordnung sind und Charakter haben. Umso beschämender ist es, dass Sie sich als Sprachrohr des internationalen Rotariertums verdingen. Aber es ist eben so, dass wir alle etwas zu essen brauchen, und wenn ich mal so alt bin wie Sie, sitze ich womöglich im gleichen Boot. Ich hoffe es nicht, aber man kann es nie ausschließen.

Auf jeden Fall danke für Ihre freundlichen Worte über den Roman, und ich wünschte, ich könnte das gleiche über Ihre Zeitung sagen. Aber so billig bin ich nicht zu haben, und so bleibt mir nur, auf Wiedersehen zu sagen und mich für einen interessanten Briefwechsel zu bedanken.

ETC. – HST

AN ROBERT BONE:

Kurz nachdem Thompson vom Middletown Daily Record gefeuert wurde, verlässt auch der Reporter und Fotograf Bone das Blatt, um sich einen neuen Job in Manhattan zu suchen. Er bleibt beim San Juan Star hängen. Von 1961 an wird er für ein Wirtschaftsmagazin in Rio de Janeiro arbeiten.

14. Dezember 1959

Otisville

New York

Robert:

Habe eben Deinen Artikel im Record (»Souveränität oder Status Quo«) zu Ende gelesen und fand ihn deutlich schlechter als den Bericht über die Kommunistenverhöre. Wen hast Du das für Dich schreiben lassen?

Verzeih mir diese Spitze. Das ist auch nicht der Anlass für diesen Brief, ich dachte eben nur, ein Gegengewicht zu all meinen Komplimenten in der letzten Zeit kann nicht schaden. Übrigens, die Ausgabe des Star (Editorial auf Seite eins), die Du mir geschickt hast, ist um so vieles besser als die erste, die ich gesehen habe. Sieht so aus, als hätte Kennedy die Vormachtstellung des Rotary Clubs ins Wanken gebracht.

Kommen wir zur Sache. Es gibt die klitzekleine Chance, bald von hier wegzukommen, aber ich brauche noch ein paar Infos von Dir, ehe ich ernst damit mache. Ein Typ namens Philip Kramer, Verleger und Redakteur von einem Was-auch-immer, das sich Puerto Rico Bowling News nennt, behauptet, er würde eine neue monatliche Sportzeitschrift starten (»von der Aufmachung her so ähnlich wie Sports Illustrated«), und er sucht deshalb Sportjournalisten. Er sitzt in Roosevelt, Puerto Rico, ich kann’s nicht mal auf der Landkarte finden. Ich wäre Dir unendlich dankbar, wenn Du mir folgende Fragen beantworten könntest – ich spendier Dir dann auch ein paar Drinks, wenn alles gut geht. Jedenfalls muss ich Kramer nächste Woche in New York treffen und ich hoffe, Du kannst mir Deine Antworten noch vorher zukommen lassen. Schicke sie an c/o Murphy, 69 E. 4th St., Manhattan.

Und los geht’s:

1. Wo liegt Roosevelt? Wie sieht es da aus?

 

2. Weißt Du irgendwas über Kramer? Sein Brief klingt, als hätte ihn ein Fanatiker oder Verrückter geschrieben.

3. Du weißt, wie hoch Lebenshaltungskosten sind: Was wäre für Dich das Minimum an Gehalt, wenn Du an meiner Stelle wärst?

4. Hast du von dieser angekündigten Zeitschrift schon gehört? Das Projekt müsste mit einem Haufen Geld ausgestattet sein, wenn es mehr sein soll als eine Blase, und ich will nicht wegen irgendeinem Projekt runterkommen, das nach einer Woche wieder dicht macht.

5. Ganz ehrlich – magst Du Puerto Rico? Was spricht dafür – und was dagegen?

Wenn Dir noch irgendwelche anderen wichtigen Punkte einfallen, melde Dich unbedingt. Und nochmal, schick den Brief nicht nach Otisville. Wenn Du sofort schreibst und den Brief nach New York schickst, kommt er etwa zeitgleich mit Kramer an. Und um Himmels willen, kein Wort davon an Kennedy (oder an sonst jemanden beim Star). Wenn Kramer von meinen Verhandlungen mit dem Star erfährt, würde er nie wieder mit mir reden. So wie es aussieht, habe ich die Chance, ihn hinters Licht zu führen und ihn denken zu lassen, ich sei ein ganz normaler Journalist. Genau darum schreibe ich Dir: Ich will verhindern, dass er mich hinters Licht führt. Also … danke für jede Art von Unterstützung. Vielleicht sehen wir uns schon bald.

Mach’s gut: H