Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten

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»Frieden und Einsamkeit. Ich habe einen Vorgeschmack davon bekommen, sogar hier in Amerika. Wenn ich morgens auf Partington Ridge aufstand, zur Tür der Hütte ging, um sie zu öffnen, schaute ich auf die samtigen, dahinrollenden Berge, und ich war so von Zufriedenheit und Dankbarkeit ergriffen, dass sich instinktiv meine segnende Hand hob … So möchte ich den Tag beginnen … Und das ist der Grund, warum ich mich in Big Sur niedergelassen habe. Jeder Tag sollte genau so beginnen … Hier herrschen Frieden und Gelassenheit, ein Leben mit ein paar guten Nachbarn, und sonst nur wilde Tiere, edle Bäume, Bussarde, Adler; das Meer, der Himmel, die Hügel, endlose Berge …«

Doch es kam der Tag, an dem Miller aus seiner Tür herausschaute und nicht mehr nur Bäume, wilde Tiere und eine Handvoll freundlicher Nachbarn vor sich sah. An manchem Morgen würde er auf die Lobgesänge auf den Ort verzichten und stattdessen der in seinem Garten versammelten Horde von Unverbesserlichen mit der Faust drohen. Sein Fall aber war speziell; er war ein Mann, den jeder kannte. Doch auch der Rest von Big Sur leistete erbitterten Widerstand, und obwohl die Schlacht von Anfang an verloren war, kam die Dampfwalze, die man Fortschritt nennt, nur langsam voran und steckte stellenweise komplett fest.

Es gibt hier Leute, die nicht die leiseste Ahnung haben, was sonst in der Welt vor sich geht. Sie haben seit Jahren keine Zeitung mehr gelesen, hören kein Radio und bekommen vielleicht einmal im Monat, wenn sie in die Stadt fahren, ein Fernsehgerät zu Gesicht.

Es kann ein traumatisches Erlebnis sein, in Big Sur die New York Times zu lesen. Wenn man hier schon ein paar Monate verbracht hat, kommt es einem zunehmend schwierig vor, die Masse an einschüchternden und komplexen Informationen noch irgendwie ernst zu nehmen. Es genügt, auf einer Klippe zu sitzen, hoch über dem felsigen Strand, am Rande des leeren weiten Ozeans, und hinter sich die geschichteten Hügel zu spüren, an denen wie an einer großen Wand das Durcheinander von Krieg und Politik abprallt, und schon erscheint einem die Welt der New York Times so unwirklich und fremd, so vollständig gegen die Stille und die Schönheit dieser Küste gerichtet, dass man sich manchmal nur noch wundert, wie die Menschen, die diese andere Welt bewohnen, bei Verstand bleiben. Was natürlich auch nicht allen gelingt. Täglich sieht man Menschen, die den Halt ver­lieren. Tausende sind überdreht, weil sie zu viel Zeitung lesen, und mit unzähligen anderen ist es bergab gegangen, ohne dass es einen erkennbaren Grund gegeben hätte.

Anders in Big Sur. Bis 1947 gab es nicht einmal Elektrizität, das Telefon wurde erst 1958 eingeführt. In New York, wo man ständig Geschichten über die »Bevölkerungsexplosion« an der Westküste hört, kann man es kaum glauben, dass es einen Ort wie diesen überhaupt gibt. Verglichen mit den anderen Teilen Kalifor­niens scheint Big Sur extrem primitiv zu sein. Schroffe Hügel, die im Nirgendwo verlaufen, keine Supermärkte, keine Reklametafeln, kein ins Meer ragender Kai, der bevölkert ist und auf dem Handel getrieben wird. Entlang des gesamten Küstenstreifens, der sich über hundertdreißig Kilometer erstreckt, finden sich nur fünf Tankstellen und zwei Lebensmittelläden. Auf einem Abschnitt von achtzig Kilometern gibt es keine Elektrizität. Die Menschen, die hier leben – und manche von ihnen besitzen ganze Berge und jungfräuliche Ländereien –, benutzen immer noch Gaslaternen und Coleman-Öfen.

Trotz eines aggressiven Fortschritts ist es immer noch möglich, tagelang auf diesen Hügeln umherzuwandern und nur Rehe, Wölfe, Berglöwen und Wildschweine zu sehen, sonst nichts. Teile von Big Sur sind so ursprünglich und verlassen wie damals in jenen Tagen, als Jack London auf einem Pferd von San Francisco angeritten kam. Das Haus, in dem er wohnte, existiert noch; es befindet sich oben auf einem Kamm, einige Kilometer südlich vom Postamt.

Mit ein bisschen Glück kann man immer noch ganz für sich sein; die meisten aber, die es hierher verschlägt, haben anderes im Sinn. Es sind Durchreisende – »Verwaiste« und »Wochenendausflügler«. Die Verwaisten, das sind die spirituell Heimatlosen, verlorene Seelen einer genauso komplexen wie nervenaufreibenden Gesellschaft. Ob es sich um Rechtsanwälte, Arbeiter, Beatniks oder wohlhabende Dilettanten handelt – sie alle sind auf der Suche nach einem Ort, an dem sie sich niederlassen und »zuhause fühlen« können. Einige bleiben tatsächlich in Big Sur und finden die Art von Freiheit und Entspannung, die sie bislang vergeblich gesucht haben. Die meisten aber gehen wieder – es ist für ihren Geschmack »zu langweilig« oder »zu einsam«.

Der Wochenendausflügler dagegen ist ein anderes Geschöpf. Es mag ein Kundenberater oder eine Tunte aus Hollywood sein oder ein Major der Luftwaffe in Stanford – jedenfalls hat er Geschichten von Big Sur gehört und ist hier, um Spaß zu haben. Sein weibliches Gegenstück ist ein Teilzeitmodel aus L.A. oder ein kleines gelangweiltes Rich Girl aus San Francisco. Sie kommen alleine oder in Gruppen, freitags und samstags, sind ganz außer sich vor Neugierde und zu allem bereit. Es sind genau diejenigen, die mit den Orgien anfangen – die vom Gin besoffenen Heteros und die verkappten Perversen, die der Stadt entfliehen, um Dampf abzulassen. Sie starten gewöhnlich in Nepenthe, dem sommerlichen Hauptquartier der örtlichen trinkenden Klasse, und beschließen das Ganze in den großen Römischen Badewannen in Hot Springs Lodge, fünfzehn Kilometer die Küste runter. Die Girls treffen samstags in Nepenthe ein, lassen die gesamte Bar mit einem arroganten Blick verstummen – und toben um Mitternacht in den überfüllten Wannen in Hot Springs herum, sind dabei völlig nackt und verlangen kreischend nach einer neuen Ladung Gin. Das Badehaus ist nichts weiter als ein offener Schuppen aus Beton mit Blick aufs Meer, und die Wannen sind mit heißem schwefelhaltigen Wasser gefüllt; sie bieten Platz für zehn Personen. Tagsüber starren die meisten auf die Wand, die den Männer- vom Frauenbereich trennt. Ist aber die Sonne erst einmal untergegangen, geht es in den Wannen so gemischt zu wie in einem Bordell bei einer Silvesterfeier, und oft um einiges wilder.

Das ist die glamouröse Seite von Big Sur, jene Seite, die sich gelegentlich mit dem Mythos deckt – diese Dinge aber spielen sich nicht auf den Hügeln ab, wie viele vermuten.

Der einsame Highway genügt, um einen nachdenklich zu stimmen. Er erhebt und schlängelt sich entlang der Klippen wie eine riesige Asphaltwelle, und an einigen Stellen geht es achthundert Fuß geradewegs nach unten, und man kann das Donnern der Brandung hören. Zwischen Carmel und San Simeon, wo die grünen Hänge der Berge von Santa Lucia ins Meer abfallen, ist die Küste furchteinflößend. Nepenthe ist von April bis November geöffnet und eines der schönsten Res­taurants in Amerika; und Chaco, der lüsterne alte za­ris­tische Schriftsteller, der auf seiner Terrasse »Spirituosen alle macht«, wie er sagt, ist eine so schillernde Person, wie man es sich nur wünschen kann.

Hier leben eine Menge Künstler, von denen die meis­ten in der Coast Gallery ausstellen, ziemlich genau in der Mitte zwischen Nepenthe und Hot Springs. Wie überall sonst auch jobben die meisten der Künstler, um Essen und Miete bezahlen zu können. Andere, wie etwa Bennet Bradbury, fahren ein neues Cadillac-Ca­brio und wohnen in »angesagten« Ecken wie Coast­lands oder Partington Ridge.

An jedem beliebigen Tag braucht man nur in den Dorfladen zu gehen und wird dort zum Beispiel drei Franzosen und zwei bärtige Griechen antreffen, die sich über die Vorzüge von Dada-Gedichten unterhalten – es kann aber gut sein, dass man schon am nächsten Tag überhaupt niemanden mehr trifft, außer den Viehzüchter aus der Umgebung, der irgendwas von den allgegenwärtigen Gefahren der Maul- und Klauenseuche in sich hineinmurmelt.

Die lokalen Dichter übertreffen zahlenmäßig die Wild­schweine vor Ort bei weitem, der einzige aber, der einen gewissen Namen hat, ist Eric Barker – und der sieht viel zu sehr nach einem Farmer aus, als dass er bei den Touristen für Aufsehen sorgen könnte. Deshalb sieht in Big Sur auch fast jeder entweder wie ein Farmer oder wie ein Poet aus dem Walde aus. Emil White, der Verleger des Big Sur Guide, wird von den Leuten immer für einen Einsiedler oder einen Sex-Maniac gehalten; und Helmut Deetjan, dem das Big Sur Inn gehört, sieht viel eher wie ein Junkie aus als jene, die seit Jahren wirklich süchtig sind. Und hat man einmal Nicholas Roosevelt gesehen, dem Mann der Oyster Bay Roosevelts, wie er auf dem Highway entlang spaziert, könnte man denken, der ist ein Tramper, macht gleich deine Windschutzscheibe mit einem alten Taschentuch sauber und bittet um einen Vierteldollar. Die örtlichen Tunten lassen sich leicht identifizieren, ansonsten aber könnte fast jeder ein Nudist oder ein Verrückter sein – und manche sind es ja auch.

Ob man sich in Big Sur umschaut oder wirklich dort lebt, macht einen großen Unterschied. Sich für ein paar Tage dem oberflächlichen Glamour hingeben kann jeder: herumhängen, sich einen antrinken, sich auf die Suche nach Orgien machen – hinter all dem aber verbirgt sich eine Lebensweise, die nur die wenigsten ertragen würden.

Es hat nichts mehr mit Glamour zu tun, wenn ein unscheinbarer Typ aus der Stadt hierher kommt, um »einmal richtig abschalten zu können« – und der sich, keine zwei Wochen später, mit Wein zulaufen lässt und Amok läuft, weil es hier niemanden gibt, mit dem er reden könnte, und weil ihn die Stille um den Verstand bringt. Einsamkeit ist nichts Aufregendes, und Big Sur ist voll davon. Wenn man Abgeschiedenheit nicht aushält, kann einem das so Angst machen, dass man es nicht erträgt. Es gab Leute, die mich elendig verflucht haben, weil ich nicht blieb, um ihnen Gesellschaft zu leisten, und es gab Leute, die in meinem Haus zu Besuch waren und nicht mehr gehen wollten, weil sie die Vorstellung nicht aushielten, wieder alleine zu sein.

 

Die Bevölkerung von Big Sur ist heute kleiner als um 1900 und etwa genauso groß wie 1945. Hunderte von Menschen haben hier seit dem Ende des Kriegs versucht, ein neues Leben zu beginnen, und Hunderte sind dabei gescheitert. Diejenigen aus den Städten, die hofften, sich einer fröhlichen Bande trinkfester, aus einer durchorganisierten Gesellschaft Geflüchteter anzuschließen, waren schnell enttäuscht. Die Geflüchteten findet man nicht so leicht, und mit ihnen zu trinken ist es noch weniger. Bald bekommt die Stille etwas Bedrohliches; die wuchtigen Schläge des Meeres wirken feindselig, nachts hört man die seltsamsten Geräusche. Neben Essen und Schlafen bleibt einem an manchen Tagen nichts weiter zu tun als zu seinem Briefkasten zu gehen und dem Postboten über den Weg zu laufen, der sechs Tage die Woche von Monterey mit einem VW-Bus herunterfährt und Briefe, Zeitungen, Lebensmittel und Bier dabei hat.

Big Sur ist keine Instant-Kolonie und keine Touristenattraktion voller Souvenirs und Kunstkram. Man stolpert da nicht einfach rein, vergisst seine Probleme und macht sich mal eben locker. Ein gewaltiger Einsatz ist nötig, um sein Leben hier aus eigener Kraft abzusichern, und eine Menge verdammt harter Arbeit. Wer nur kommt, um sich irgendwo dranzuhängen oder durchgefüttert zu werden, wird sich noch wundern.

In seinem Buch über Big Sur beschreibt Miller die Leute, die er traf, als er ankam. Einige, die von den Touristenströmen deprimiert waren, suchten noch verlassenere Orte auf – Mexiko, die nordwestliche Pazifikküste, griechische Inseln. Viele aber sind geblieben und leben noch genauso wie vor zehn Jahren:

»Diese jungen Menschen, gewöhnlich in ihren späten Zwanzigern oder frühen Dreißigern … befassen sich nicht mehr damit, ein verderbliches System zu unterwandern, sondern wollen ihr eigenes Leben führen – am Rande der Gesellschaft. So ist es nur natürlich, dass Orte wie Big Sur eine besondere Anziehungskraft auf sie ausüben. Sie alle sind auf den unterschiedlichsten Wegen hierher gekommen, jeder aus einem persönlichen Grund, und jeder unterscheidet sich vom anderen wie eine Murmel von einem Würfel. Und alle sind sie ›Originale‹. Alle auf eine Art ›besonders‹, wenn man sie mit dem Durchschnitt vergleicht. Aus meiner Sicht sind es engagierte Leute, die guten Willens und sehr integer sind. Sie haben die Verhältnisse satt und sind angetreten, sich von Zwängen zu befreien und ihr eigenes Leben zu leben. Niemand von ihnen verlangt irgendetwas Phantastisches vom Leben außer dem Recht, nach der eigenen Fasson zu leben. Keiner gehört einer Partei, einer Doktrin, einem Kult oder einem Ismus an, doch wissen sie alle sehr genau, wie in diesen finsteren Zeiten eine andere Art von Leben möglich ist. Sie führen keine Kreuzzüge für ihre Ideen, setzen aber alles daran, sie umzusetzen. Über allem steht dabei – menschliche Würde. Manchmal ist das nicht so leicht, vor allem, wenn es um ›Details‹ geht, aber in echten Notsituationen funktioniert es immer. Nur wenn sie sich unterordnen sollen, stößt man in der Regel auf taube Ohren.«

Es sind Expats, Leute, die aus allen Ecken der Welt kommen, um das gute Leben zu wagen. Es gibt aber noch andere, die auch dazugehören. Viehzüchter, deren Familien seit Generationen hier leben. Oder ausgemachte Bastarde, die alleine leben, weil man sie nirgendwo sonst haben will. Einige sind klassische Eigenbrötler, die hier gelandet sind, weil sich niemand um sie schert, solange sie nur ihr eigenes Ding machen. Und dann wären da noch Menschen, denen jedes Unrechtsbewusstsein abgeht, die keinerlei guten Willen haben, nichts hinbekommen, und bei denen man sich fragt, wozu sie überhaupt gut sind.

Auf gewisse Weise verbindet Big Sur mehr mit New York und Paris als mit Monterey und San Francisco. Für die Schriftsteller und Fotografen, die in Big Sur ein paar Monate im Jahr verbringen, ist New York der Mittelpunkt der Welt – da sind die Verleger, da werden die entscheidenden Aufträge erteilt und die Schecks ausgestellt. Sind die Schecks erst einmal eingelöst, geht es weiter nach Paris. Denn das Motto heißt: In Bewegung bleiben, bis das Geld aufgebraucht ist – und dann wieder zurück nach Big Sur. In ihrem Denken ist San Francisco eine Bar, Monterey ein Lebensmittelgeschäft, und L.A. ein großer Zirkus, einige hundert Kilometer die Straße runter.

Andere, vor allem Maler und Bildhauer, orientieren sich eher Richtung Norden nach Carmel, wo es zahlreiche Kunstgalerien, Werkstätten und Touristen mit dicker Brieftasche gibt.

Zu den Besuchern in Big Sur – zu denen, die wirklich eingeladen sind – zählen mehr die Künstler, die Journalisten aus dem Ausland oder die Weltreisenden als die gewöhnlichen Urlauber. Hotels gibt es keine, die Motels sind klein und bieten keine Abwechslungen, und wenn es hier ein Nachtleben gibt, dann nur um das Nepenthe herum – das fünf Mal im Jahr geschlossen ist. Die meisten der Bewohner sind auf ihre Privatsphäre geradezu versessen, und es gibt nichts, was ihnen mehr auf die Nerven ginge als neugierige Eindringlinge. Jemand, der mit einer Dose Bier auf einem Felsen sitzt, sich den Sonnenuntergang ansieht oder Wale betrachtet, die gerade aufs Meer hinaus ziehen, ist normalerweise nicht sehr erfreut, wenn er sein Lebensgefühl einem Geschäftsmann erklären soll, der auf Reisen ist und mal eben angehalten hat, »um mit einem der Einheimischen zu reden«.

Jerry Gorslin hat die ersten achtzehn Jahre seines Lebens in New York zugebracht. Jetzt lebt er in einer verlassenen Bergbaumutung, vierzig Kilometer südlich von Hot Springs, und er ist mehr als glücklich, keine Gäste zu haben. Ein, zweimal die Woche fährt er die Küste hoch, um sich Bücher auszuleihen, legt einen Arbeitstag ein, um einem Typen zu helfen, der sein Haus ausbaut, oder er verbringt ein paar bierselige Stunden im heißen Schwefelbad. Das meis­te, was er zum Leben benötigt, baut er selbst an, er stellt seinen eigenen Wein her, kocht auf einem Holzofen und hält Kontakt zu seinen Freunden in Europa, wo er zwei Jahre lang vor Big Sur lebte.

Lionel Olay, ein Schriftsteller, lebt mit einer jungen Frau und zwei Hunden versteckt auf den Hügeln. Jeden Monat verbringt er ein paar Tage in Hollywood, um Aufträge zu ergattern, zum Schreiben aber zieht er sich nach Big Sur zurück. Wenn Geld eintrifft, setzt er sich blitzschnell in Bewegung – Mexiko, Kuba, Spa­nien, dann wieder Big Sur.

Jemand wie King Hutchinson ist hier seit drei Jahren und hat nicht vor wegzugehen. Er gehört zu der Vielzahl derer, die nach der »Sieben-zu-fünf-Regel« leben: sieben Monate arbeiten im Nepenthe, fünf Monate Arbeitslosenversicherung.

Don Bloom ist Künstler. Er kann von dem, was er verdient, gerade so leben und zahlt 25 Dollar im Monat für eines der schönsten Häuser an der Küste. Er kommt auch ohne Elektrizität gut zurecht, hat einen der wundervollsten Gärten in ganz Big Sur und verbringt einen Gutteil des Tages auf seiner Veranda – und schaut aufs Meer.

Alltag in Big Sur funktioniert so: auf Post warten, die Seelöwen in der Brandung beobachten, in den Wannen von Hot Springs sitzen, dann und wann den ein oder anderen Drink – und die meiste Zeit an dem Projekt arbeiten, das der Grund war, überhaupt herzukommen: Malerei, Schreiben, Gartenarbeit oder einfach die Kunst, sein eigenes Leben zu leben.

Was – und wen – man hier findet, hängt vor allem davon ab, wo man sich bewegt. Partington Ridge zum Beispiel ist die Antwort von Big Sur auf die Park Avenue. Nicholas Roosevelt wohnt dort; ebenso Sam Hopkins vom Top-O’-the-Mark-Clan (Hopkins Hotel). Die Berühmtheiten – Dylan Thomas bis Arthur Krock und Clare Boothe – quartieren sich standesgemäß in Partington ein, und wenn sie sich an den Tisch zum Essen setzen, serviert man ihnen vermutlich alles, nur keine wild wachsenden Senfkörner.

Etwas weiter unten an der Küste befinden sich die Besitztümer von Murphy, dazu gehört auch Hot Springs; die Gesamtmiete für neun Wohnungen kostet hier 176 Dollar im Monat. Es ist die reinste Wanderausstellung, in der man alles finden kann, von purer Gewalt bis zu Touch Football. Die Scheune ist für fünfzehn Dollar im Monat zu haben, das Bauernhaus für vierzig, und eine Hütte im Canyon bekommt man für fünf Dollar. Hier wohnt Emil White, und wenn man ihn einen Verleger nennen möchte, dann würde die Liste der Mieter ungefähr so aussehen: ein Fotograf, ein Barmann, ein Schreiner, ein Verleger, ein Schriftsteller, ein Abtrünniger, ein Metallbildhauer, ein Zen-Buddhist, ein Anwalt und drei Leute, die sich weder sexuell noch sozial oder sonst wie zuordnen lassen. Es gibt auf dem Grundstück nur zwei reguläre Ehefrauen; bei allen anderen handelt es sich um Geliebte, »Gefährtinnen« oder hoffnungslose Verliererinnen. Bis zuletzt war Dennis Murphy, der Romancier, der Lichtblick der Community; es ist seine Großmutter, der der ganze Kram gehört. Als sein Buch The Sergeant ein Bestseller wurde, waren Tag und Nacht Leute hinter ihm her, die Hunderte von Kilometern unterwegs gewesen waren, um auf ihn einzureden und ihm seinen Schnaps wegzutrinken. Nachdem das ein paar Monate so gegangen war, zog er nach Monterey.

Die gute alte Mrs Murphy lebt hinter den Bergen in Salinas und kommt glücklicherweise nur zwei, drei Mal im Jahr nach Big Sur. Ihr Mann, Dr. Murphy senior, hatte das Gelände einst als einen groß angelegten Kurort geplant, als Trutzburg der Wohlanständigkeit und des gesunden Lebens. Aber irgendwas ist schief gelaufen. Während des Zweiten Weltkriegs wurde es zur Anlaufstelle von Wehrdienstverweigerern und hat sich über die Jahre zu einem abgeschotteten Campingplatz für moralisch Deformierte entwickelt, einer Büchse der Pandora und einem Schauplatz menschlicher Absonderlichkeiten, einem beliebten Zufluchtsort für Trägheit und Dekadenz.

In nicht allzu ferner Zukunft wird das Big-Sur-Fieber womöglich zu Ende sein. Miller sagte – an einem seiner freundlicheren Tage –, dass die Küste eines Tages die Riviera Amerikas werden würde. Wer weiß, es dürfte jedenfalls noch dauern. In der Zwischenzeit ist es eine so gute Kopie von Walhall, wie es das Land eben hergibt – und eines der besten Plätze der Welt, um nackt in der Sonne zu sitzen und die New York Times zu lesen.