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Kritik der reinen Vernunft

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Das große Glück, welches die Vernunft vermittelst der Mathematik macht, bringt ganz natürlicherweise die Vermutung zuwege, daß es, wo nicht ihr selbst, doch ihrer Methode, auch außer dem Felde der Größen gelingen werde, indem sie alle ihre Begriffe auf Anschauungen bringt, die sie a priori geben kann, und wodurch sie, so zu reden, Meister über die Natur wird; da hingegen reine Philosophie mit diskursiven Begriffen a priori in der Natur herumpfuscht, ohne die Realität derselben a priori anschauend und eben dadurch beglaubigt machen zu können. Auch scheint es den Meistern in dieser Kunst an dieser Zuversicht zu sich selbst und dem gemeinen Wesen an großen Erwartungen von ihrer Geschicklichkeit, wenn sie sich einmal hiermit befassen sollten, gar nicht zu fehlen. Denn da sie kaum jemals über ihre Mathematik philosophiert haben, (ein schweres Geschäft!) so kommt ihnen der spezifische Unterschied des einen Vernunftgebrauchs von dem anderen gar nicht in Sinn und Gedanken. Gangbare und empirisch gebrauchte Regeln, die sie von der gemeinen Vernunft borgen, gelten ihnen dann statt Axiomen. Wo ihnen die Begriffe von Raum und Zeit, womit sie sich (als den einzigen ursprünglichen Quantis) beschäftigen, herkommen mögen, daran ist ihnen gar nichts gelegen, und ebenso scheint es ihnen unnütz zu sein, den Ursprung reiner Verstandesbegriffe, und hiermit auch den Umfang ihrer Gültigkeit zu erforschen, sondern nur sich ihrer zu bedienen. In allem diesem tun sie ganz recht, wenn sie nur ihre angewiesene Grenze, nämlich die der Natur nicht überschreiten. So aber geraten sie unvermerkt, von dem Felde der Sinnlichkeit, auf den unsicheren Boden reiner und selbst transzendentaler Begriffe, wo der Grund (instabilis tellus, innabilis unda) ihnen weder zu stehen, noch zu schwimmen erlaubt, und sich nur flüchtige Schritte tun lassen, von denen die Zeit nicht die mindeste Spur aufbehält, da hingegen ihr Gang in der Mathematik eine Heeresstraße macht, welche noch die späteste Nachkommenschaft mit Zuversicht betreten kann.

Da wir es uns zur Pflicht gemacht haben, die Grenzen der reinen Vernunft im transzendentalen Gebrauche genau und mit Gewißheit zu bestimmen, diese Art der Bestrebung aber das Besondere an sich hat, unerachtet der nachdrücklichsten und klarsten Warnungen, sich noch immer durch Hoffnung hinhalten zu lassen, ehe man den Anschlag gänzlich aufgibt, über Grenzen der Erfahrungen hinaus in die reizenden Gegenden des Intellektuellen zu gelangen: so ist es notwendig, noch gleichsam den letzten Anker einer phantasiereichen Hoffnung wegzunehmen, und zu zeigen, daß die Befolgung der mathematischen Methode in dieser Art Erkenntnis nicht den mindesten Vorteil schaffen könne, es müßte denn der sein, die Blößen ihrer selbst desto deutlicher aufzudecken, daß Meßkunst und Philosophie zwei ganz verschiedene Dinge seien, ob sie sich zwar in der Naturwissenschaft einander die Hand bieten, mithin das Verfahren des einen niemals von dem anderen nachgeahmt werden könne.

Die Gründlichkeit der Mathematik beruht auf Definitionen, Axiomen, Demonstrationen. Ich werde mich damit begnügen, zu zeigen: daß keines dieser Stücke in dem Sinne, darin sie der Mathematiker nimmt, von der Philosophie könne geleistet, noch nachgeahmt werden. Daß der Meßkünstler, nach seiner Methode, in der Philosophie nichts als Kartengebäude zustande bringe, der Philosoph nach der seinigen in dem Anteil der Mathematik nur ein Geschwätz erregen könne, wiewohl eben darin Philosophie besteht, seine Grenzen zu kennen, und selbst der Mathematiker, wenn das Talent desselben nicht etwa schon von der Natur begrenzt und auf sein Fach eingeschränkt ist, die Warnungen der Philosophie nicht ausschlagen, noch sich über sie wegsetzen kann.

1. Von den Definitionen. Definieren soll, wie es der Ausdruck selbst gibt, eigentlich nur so viel bedeuten, als, den ausführlichen Begriff eines Dinges innerhalb seiner Grenzen ursprünglich darstellen44. Nach einer solchen Forderung kann ein empirischer Begriff gar nicht definiert, sondern nur expliziert werden. Denn, da wir an ihm nur einige Merkmale von einer gewissen Art Gegenstände der Sinne haben, so ist es niemals sicher, ob man unter dem Worte, der denselben Gegenstand bezeichnet, nicht einmal mehr, das andere Mal weniger Merkmale desselben denke. So kann der eine im Begriffe vom Golde sich außer dem Gewichte, der Farbe, der Zähigkeit, noch die Eigenschaft, daß es nicht rostet, denken, der andere davon vielleicht nichts wissen. Man bedient sich gewisser Merkmale nur so lange, als sie zum Unterscheiden hinreichend sind; neue Bemerkungen dagegen nehmen welche weg und setzen einige hinzu, der Begriff steht also niemals zwischen sicheren Grenzen. Und wozu sollte es auch dienen, einen solchen Begriff zu definieren, da, wenn z.B. von dem Wasser und dessen Eigenschaften die Rede ist, man sich bei dem nicht aufhalten wird, was man bei dem Worte Wasser denkt, sondern zu Versuchen schreitet, und das Wort, mit den wenigen Merkmalen, die ihm anhängen, nur eine Bezeichnung und nicht einen Begriff der Sache ausmachen soll, mithin die angebliche Definition nichts anderes als Wortbestimmung ist. Zweitens kann auch, genau zu reden, kein a priori gegebener Begriff definiert werden, z.B. Substanz, Ursache, Recht, Billigkeit usw. Denn ich kann niemals sicher sein, daß die deutliche Vorstellung eines (noch verworren) gegebenen Begriffs ausführlich entwickelt worden, als wenn ich weiß, daß dieselbe dem Gegenstande adäquat sei. Da der Begriff desselben aber, so wie er gegeben ist, viel dunkle Vorstellungen enthalten kann, die wir in der Zergliederung übergehen, ob wir sie zwar in der Anwendung jederzeit brauchen: so ist die Ausführlichkeit der Zergliederung meines Begriffs immer zweifelhaft, und kann nur durch vielfältig zutreffende Beispiele vermutlich, niemals aber apodiktisch gewiß gemacht werden. Anstatt des Ausdrucks: Definition, würde ich lieber den der Exposition brauchen, der immer noch behutsam bleibt, und bei dem der Kritiker sie auf einen gewissen Grad gelten lassen und doch wegen der Ausführlichkeit noch Bedenken tragen kann. Da also weder empirisch, noch a priori gegebene Begriffe definiert werden können, so bleiben keine anderen als willkürlich gedachte übrig, an denen man dieses Kunststück versuchen kann. Meinen Begriff kann ich in solchem Falle jederzeit definieren; denn ich muß doch wissen, was ich habe denken wollen, da ich ihn selbst vorsetzlich gemacht habe, und er mir weder durch die Natur des Verstandes, noch durch die Erfahrung gegeben worden, aber ich kann nicht sagen, daß ich dadurch einen wahren Gegenstand definiert habe. Denn, wenn der Begriff auf empirischen Bedingungen beruht, z.B. eine Schiffsuhr, so wird der Gegenstand und dessen Möglichkeit durch diesen willkürlichen Begriff noch nicht gegeben; ich weiß daraus nicht einmal, ob er überall einen Gegenstand habe, und meine Erklärung kann besser eine Deklaration (meines Projekts) als Definition eines Gegenstandes heißen. Also blieben keine anderen Begriffe übrig, die zum Definieren taugen, als solche, die eine willkürliche Synthesis enthalten, welche a priori konstruiert werden kann, mithin hat nur die Mathematik Definitionen. Denn, den Gegenstand, den sie denkt, stellt sie auch a priori in der Anschauung dar, und dieser kann sicher nicht mehr noch weniger enthalten, als der Begriff, weil durch die Erklärung der Begriff von dem Gegenstande ursprünglich, d.i. ohne die Erklärung irgend wovon abzuleiten, gegeben wurde. Die deutsche Sprache hat für die Ausdrücke der Exposition, Explikation, Deklaration und Definition nichts mehr, als das eine Wort: Erklärung, und daher müssen wir schon von der Strenge der Forderung, da wir nämlich den philosophischen Erklärungen den Ehrennamen der Definition verweigerten, etwas ablassen, und wollen diese ganze Anmerkung darauf einschränken, daß philosophische Definitionen nur als Expositionen gegebener, mathematische aber als Konstruktionen ursprünglich gemachter Begriffe, jene nur analytisch durch Zergliederung (deren Vollständigkeit nicht apodiktisch gewiß ist), diese synthetisch zustande gebracht werden, und also den Begriff selbst machen, dagegen die ersteren ihn nur erklären. Hieraus folgt:

a) daß man es in der Philosophie der Mathematik nicht so nachtun müsse, die Definition voranzuschicken, als nur etwa zum bloßen Versuche. Denn, da sie Zergliederungen gegebener Begriffe sind, so gehen diese Begriffe, obzwar nur noch verworren, voran, und die unvollständige Exposition geht vor der vollständigen, so, daß wir aus einigen Merkmalen, die wir aus einer noch unvollendeten Zergliederung gezogen haben, manches vorher schließen können, ehe wir zur vollständigen Exposition, d.i. der Definition gelangt sind; mit einem Worte, daß in der Philosophie die Definition, als abgemessene Deutlichkeit, das Werk eher schließe, als anfangen müsse45. Dagegen haben wir in der Mathematik gar keinen Begriff vor der Definition, als durch welche der Begriff allererst gegeben wird, sie muß also und kann auch jederzeit davon anfangen.

 

b) Mathematische Definitionen können niemals irren. Denn, weil der Begriff durch die Definition zuerst gegeben wird, so enthält er gerade nur das, was die Definition durch ihn gedacht haben will. Aber, obgleich dem Inhalte nach nichts Unrichtiges darin vorkommen kann, so kann doch bisweilen, obzwar nur selten, in der Form (der Einkleidung) gefehlt werden, nämlich in Ansehung der Präzision. So hat die gemeine Erklärung der Kreislinie, daß sie eine krumme Linie sei, deren alle Punkte von einem einigen (dem Mittelpunkte) gleich weit abstehen, den Fehler, daß die Bestimmung krumm unnötiger Weise eingeflossen ist. Denn es muß einen besonderen Lehrsatz geben, der aus der Definition gefolgert wird und leicht bewiesen werden kann: daß eine jede Linie, deren alle Punkte von einem einigen gleich weit abstehen, krumm (kein Teil von ihr gerade) sei. Analytische Definitionen können dagegen auf vielfältige Art irren, entweder indem sie Merkmale hineinbringen, die wirklich nicht im Begriffe lagen, oder an der Ausführlichkeit ermangeln, die das Wesentliche einer Definition ausmacht, weil man der Vollständigkeit seiner Zergliederung nicht so völlig gewiß sein kann. Um deswillen läßt sich die Methode der Mathematik im Definieren in der Philosophie nicht nachahmen.

2. Von den Axiomen. Diese sind synthetische Grundsätze a priori, sofern sie unmittelbar gewiß sind. Nun läßt sich nicht ein Begriff mit dem anderen synthetisch und doch unmittelbar verbinden, weil, damit wir über einen Begriff hinausgehen können, ein drittes vermittelnde Erkenntnis nötig ist. Da nun Philosophie bloß die Vernunfterkenntnis nach Begriffen ist, so wird in ihr kein Grundsatz anzutreffen sein, der den Namen eines Axioms verdiene. Die Mathematik dagegen ist der Axiomen fähig, weil sie vermittelst der Konstruktion der Begriffe in der Anschauung des Gegenstandes die Prädikate desselben a priori und unmittelbar verknüpfen kann, z.B. daß drei Punkte jederzeit in einer Ebene liegen. Dagegen kann ein synthetischer Grundsatz bloß aus Begriffen niemals unmittelbar gewiß sein; z.B. der Satz: alles, was geschieht, hat seine Ursache, da ich mich nach einem dritten herumgehen muß, nämlich der Bedingung der Zeitbestimmung in einer Erfahrung, und nicht direkt unmittelbar aus den Begriffen allein einen solchen Grundsatz erkennen konnte. Diskursive Grundsätze sind also ganz etwas anderes als intuitive, d.i. Axiomen. Jene erfordern jederzeit noch eine Deduktion, deren die letzteren ganz und gar entbehren können, und, da diese eben um desselben Grundes wegen evident sind, welches die philosophischen Grundsätze, bei aller ihrer Gewißheit, doch niemals vorgeben können, so fehlt unendlich viel daran, daß irgendein synthetischer Satz der reinen und transzendentalen Vernunft so augenscheinlich sei (wie man sich trotzig auszudrücken pflegt), als der Satz: daß zweimal zwei vier geben. Ich habe zwar in der Analytik, bei der Tafel der Grundsätze des reinen Verstandes, auch gewisser Axiomen der Anschauung gedacht; allein der daselbst angeführte Grundsatz war selbst kein Axiom, sondern diente nur dazu, das Prinzipium der Möglichkeit der Axiomen überhaupt anzugeben, und selbst nur ein Grundsatz aus Begriffen. Denn sogar die Möglichkeit der Mathematik muß in der Transzendentalphilosophie gezeigt werden. Die Philosophie hat also keine Axiomen und darf niemals ihre Grundsätze a priori so schlechthin gebieten, sondern muß sich dazu bequemen, ihre Befugnis wegen derselben durch gründliche Deduktion zu rechtfertigen.

3. Von den Demonstrationen. Nur ein apodiktischer Beweis, sofern er intuitiv ist, kann Demonstration heißen. Erfahrung lehrt uns wohl, was da sei, aber nicht, daß es gar nicht anders sein könne. Daher können empirische Beweisgründe keinen apodiktischen Beweis verschaffen. Aus Begriffen a priori (im diskursiven Erkenntnisse) kann aber niemals anschauende Gewißheit d.i. Evidenz entspringen, so sehr auch sonst das Urteil apodiktisch gewiß sein mag. Nur die Mathematik enthält also Demonstrationen, weil sie nicht aus Begriffen, sondern der Konstruktion derselben, d.i. der Anschauung, die den Begriffen entsprechend a priori gegeben werden kann, ihr Erkenntnis ableitet. Selbst das Verfahren der Algeber mit ihren Gleichungen, aus denen sie durch Reduktion die Wahrheit zusamt dem Beweise hervorbringt, ist zwar keine geometrische, aber doch charakteristische Konstruktion, in welcher man an den Zeichen die Begriffe, vornehmlich von dem Verhältnisse der Größen, in der Anschauung darlegt, und, ohne einmal auf das Heuristische zu sehen, alle Schlüsse vor Fehlern dadurch sichert, daß jeder derselben vor Augen gestellt wird. Da hingegen das philosophische Erkenntnis dieses Vorteils entbehren muß, indem es das Allgemeine jederzeit in abstracto (durch Begriffe) betrachten muß, indessen daß Mathematik das Allgemeine in concreto (in der einzelnen Anschauung) und doch durch reine Vorstellung a priori erwägen kann, wobei jeder Fehltritt sichtbar wird. Ich möchte die ersteren daher lieber akroamatische (diskursive) Beweise nennen, weil sie sich nur durch lauter Worte (den Gegenstand in Gedanken) führen lassen, als Demonstrationen, welche, wie der Ausdruck es schon anzeigt, in der Anschauung des Gegenstandes fortgehen.

Aus allem diesem folgt nun, daß es sich für die Natur der Philosophie gar nicht schicke, vornehmlich im Felde der reinen Vernunft, mit einem dogmatischen Gange zu strotzen und sich mit den Titeln und Bändern der Mathematik auszuschmücken, in deren Orden sie doch nicht gehört, ob sie zwar auf schwesterliche Vereinigung mit derselben zu hoffen alle Ursache hat. Jene sind eitle Anmaßungen, die niemals gelingen können, vielmehr ihre Absicht rückgängig machen müssen, die Blendwerke einer ihre Grenzen verkennenden Vernunft zu entdecken, und, vermittelst hinreichender Aufklärung unserer Begriffe, den Eigendünkel der Spekulation auf das bescheidene, aber gründliche Selbsterkenntnis zurückzuführen. Die Vernunft wird also in ihren transzendentalen Versuchen nicht so zuversichtlich vor sich hinsehen können, gleich als wenn der Weg, den sie zurückgelegt hat, so ganz gerade zum Ziele führe, und auf ihre zum Grunde gelegten Prämissen nicht so mutig rechnen können, daß es nicht nötig wäre, öfters zurück zu sehen und achtzuhaben, ob sich nicht etwa im Fortgange der Schlüsse Fehler entdecken, die in den Prinzipien übersehen worden, und es nötig machen, sie entweder mehr zu bestimmen, oder ganz abzuändern.

Ich teile alle apodiktischen Sätze (sie mögen nun erweislich oder auch unmittelbar gewiß sein) in Dogmata und Mathemata ein. Ein direkt synthetischer Satz aus Begriffen ist ein Dogma; dagegen ein dergleichen Satz durch Konstruktion der Begriffe, ist ein Mathema. Analytische Urteile lehren uns eigentlich nichts mehr vom Gegenstande, als was der Begriff, den wir von ihm haben, schon in sich enthält, weil sie die Erkenntnis über den Begriff des Subjekts nicht erweitern, sondern diesen nur erläutern. Sie können daher nicht füglich Dogmen heißen (welches Wort man vielleicht durch Lehrsprüche übersetzen könnte). Aber unter den gedachten zwei Arten synthetischer Sätze a priori können, nach dem gewöhnlichen Redegebrauch, nur die zum philosophischen Erkenntnisse gehörigen diesen Namen führen, und man würde schwerlich die Sätze der Rechenkunst, oder Geometrie, Dogmata nennen. Also bestätigt dieser Gebrauch die Erklärung, die wir gaben, daß nur Urteile aus Begriffen, und nicht die aus der Konstruktion der Begriffe, dogmatisch heißen können.

Nun enthält die ganze reine Vernunft in ihrem bloß spekulativen Gebrauche nicht ein einziges direkt synthetisches Urteil aus Begriffen. Denn durch Ideen ist sie, wie wir gezeigt haben, gar keiner synthetischen Urteile, die objektive Gültigkeit hätten, fähig; durch Verstandesbegriffe aber errichtet sie zwar sichere Grundsätze, aber gar nicht direkt aus Begriffen, sondern immer nur indirekt durch Beziehung dieser Begriffe auf etwas ganz Zufälliges, nämlich mögliche Erfahrung; da sie denn, wenn diese (etwas als Gegenstand möglicher Erfahrungen) vorausgesetzt wird, allerdings apodiktisch gewiß sind, an sich selbst aber (direkt) a priori gar nicht einmal erkannt werden können. So kann niemand den Satz: alles, was geschieht, hat seine Ursache, aus diesen gegebenen Begriffen allein gründlich einsehen. Daher ist er kein Dogma, ob er gleich in einem anderen Gesichtspunkte, nämlich dem einzigen Felde seines möglichen Gebrauchs, d.i. der Erfahrung, ganz wohl und apodiktisch bewiesen werden kann. Er heißt aber Grundsatz und nicht Lehrsatz, ob er gleich bewiesen werden muß, darum, weil er die besondere Eigenschaft hat, daß er seinen Beweisgrund, nämlich Erfahrung, selbst zuerst möglich macht, und bei dieser immer vorausgesetzt werden muß.

Gibt es nun im spekulativen Gebrauche der reinen Vernunft auch dem Inhalte nach gar keine Dogmate, so ist alle dogmatische Methode, sie mag nun dem Mathematiker abgeborgt sein, oder eine eigentümliche Manier werden sollen, für sich unschicklich. Denn sie verbirgt nur die Fehler und Irrtümer, und täuscht die Philosophie, deren eigentliche Absicht ist, alle Schritte der Vernunft in ihrem klarsten Lichte sehen zu lassen. Gleichwohl kann die Methode immer systematisch sein. Denn unsere Vernunft (subjektiv) ist selbst ein System, aber in ihrem reinen Gebrauche, vermittelst bloßer Begriffe, nur ein System der Nachforschung nach Grundsätzen der Einheit, zu welcher Erfahrung allein den Stoff hergeben kann. Von der eigentümlichen Methode einer Transzendentalphilosophie läßt sich aber hier nichts sagen, da wir es nur mit einer Kritik unserer Vermögensumstände zu tun haben, ob wir überall bauen, und wie hoch wir wohl unser Gebäude, aus dem Stoffe, den wir haben, (den reinen Begriffen a priori,) aufführen können.

Des ersten Hauptstücks

Zweiter Abschnitt

Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung ihres polemischen

Gebrauchs

Die Vernunft muß sich in allen ihren Unternehmungen der Kritik unterwerfen, und kann der Freiheit derselben durch kein Verbot Abbruch tun, ohne sich selbst zu schaden und einen ihr nachteiligen Verdacht auf sich zu ziehen. Da ist nun nichts so wichtig, in Ansehung des Nutzens, nichts so heilig, daß sich dieser prüfenden und musternden Durchsuchung, die kein Ansehen der Person kennt, entziehen dürfte. Auf dieser Freiheit beruht sogar die Existenz der Vernunft, die kein diktatorisches Ansehen hat, sondern deren Ausspruch jederzeit nichts als die Einstimmung freier Bürger ist, deren jeglicher seine Bedenklichkeiten, ja sogar sein veto, ohne Zurückhalten muß äußern können.

Ob nun aber gleich die Vernunft sich der Kritik niemals verweigern kann, so hat sie doch nicht jederzeit Ursache, sie zu scheuen. Aber die reine Vernunft in ihrem dogmatischen (nicht mathematischen) Gebrauche ist sich nicht so sehr der genauesten Beobachtung ihrer obersten Gesetze bewußt, daß sie nicht mit Blödigkeit, ja mit gänzlicher Ablegung alles angemaßten dogmatischen Ansehens, vor dem kritischen Auge einer höheren und richterlichen Vernunft erscheinen müßte.

Ganz anders ist es bewandt, wenn sie es nicht mit der Zensur des Richters, sondern den Ansprüchen ihres Mitbürgers zu tun hat, und sich dagegen bloß verteidigen soll. Denn, da diese ebensowohl dogmatisch sein wollen, obzwar im Verneinen, als jene im Bejahen: so findet eine Rechtfertigung kat' anthropon statt, die wider alle Beeinträchtigung sichert, und einen titulierten Besitz verschafft, der keine fremden Anmaßungen scheuen darf, ob er gleich selbst kat' aledeian nicht hinreichend bewiesen werden kann.

Unter dem polemischen Gebrauche der reinen Vernunft verstehe ich nun die Verteidigung ihrer Sätze gegen die dogmatischen Verneinungen derselben. Hier kommt es nun nicht darauf an, ob ihre Behauptungen nicht vielleicht auch falsch sein möchten, sondern nur, daß niemand das Gegenteil jemals mit apodiktischer Gewißheit (ja auch nur mit größerem Scheine) behaupten könne. Denn wir sind alsdann doch nicht bittweise in unserem Besitz, wenn wir einen, obzwar nicht hinreichenden, Titel derselben vor uns haben, und es völlig gewiß ist, daß niemand die Unrechtmäßigkeit dieses Besitzes jemals beweisen könne.

 

Es ist etwas Bekümmerndes und Niederschlagendes, daß es überhaupt eine Antithetik der reinen Vernunft geben, und diese, die doch den obersten Gerichtshof über alle Streitigkeiten vorstellt, mit sich selbst in Streit geraten soll. Zwar hatten wir oben eine solche scheinbare Antithetik derselben vor uns; aber es zeigte sich, daß sie auf einem Mißverstande beruhte, da man nämlich, dem gemeinen Vorurteile gemäß, Erscheinungen für Sachen an sich selbst nahm, und dann eine absolute Vollständigkeit ihrer Synthesis, auf eine oder andere Art (die aber auf beiderlei Art gleich unmöglich war), verlangte, welches aber von Erscheinungen gar nicht erwartet werden kann. Es war also damals kein wirklicher Widerspruch der Vernunft mit ihr selbst bei den Sätzen: die Reihe an sich gegebener Erscheinungen hat einen absolut ersten Anfang, und: diese Reihe ist schlechthin und an sich selbst ohne allen Anfang; denn beide Sätze bestehen gar wohl zusammen, weil Erscheinungen nach ihrem Dasein (als Erscheinungen) an sich selbst gar nichts d.i. etwas Widersprechendes sind, und also deren Voraussetzung natürlicherweise widersprechende Folgerungen nach sich ziehen muß.

Ein solcher Mißverstand kann aber nicht vorgewandt und dadurch der Streit der Vernunft beigelegt werden, wenn etwa theistisch behauptet würde: es ist ein höchstes Wesen, und dagegen atheistisch: es ist kein höchstes Wesen; oder, in der Psychologie: alles, was da denkt, ist von absoluter beharrlicher Einheit und also von aller vergänglichen materiellen Einheit unterschieden, welchem ein anderer entgegengesetzte: die Seele ist nicht immaterielle Einheit und kann von der Vergänglichkeit nicht ausgenommen werden. Denn der Gegenstand der Frage ist hier von allem Fremdartigen, das seiner Natur widerspricht, frei, und der Verstand hat es nur mit Sachen an sich selbst und nicht mit Erscheinungen zu tun. Es würde also hier freilich ein wahrer Widerstreit anzutreffen sein, wenn nur die reine Vernunft auf der verneinenden Seite etwas zu sagen hätte, was dem Grunde einer Behauptung nahe käme; denn was die Kritik der Beweisgründe des dogmatisch Bejahenden betrifft, die kann man ihm sehr wohl einräumen, ohne darum diese Sätze aufzugeben, die doch wenigstens das Interesse der Vernunft für sich haben, darauf sich der Gegner gar nicht berufen kann.

Ich bin zwar nicht der Meinung, welche vortreffliche und nachdenkende Männer (z.B. Sulzer) so oft geäußert haben, da sie die Schwäche der bisherigen Beweise fühlten: daß man hoffen könne, man werde dereinst noch evidente Demonstrationen der zwei Kardinalsätze unserer reinen Vernunft: es ist ein Gott, es ist ein künftiges Leben, erfinden. Vielmehr bin ich gewiß, daß dieses niemals geschehen werde. Denn, wo will die Vernunft den Grund zu solchen synthetischen Behauptungen, die sich nicht auf Gegenstände der Erfahrung und deren innerer Möglichkeit beziehen, hernehmen? Aber es ist auch apodiktisch gewiß, daß niemals irgendein Mensch auftreten werde, der das Gegenteil mit dem mindesten Scheine, geschweige dogmatisch behaupten könne. Denn, weil er dieses doch bloß durch reine Vernunft dartun könnte, so müßte er es unternehmen, zu beweisen: daß ein höchstes Wesen, daß das in uns denkende Subjekt, als reine Intelligenz, unmöglich sei. Wo will er aber die Kenntnisse hernehmen, die ihn, von Dingen über alle mögliche Erfahrung hinaus so synthetisch zu urteilen, berechtigten. Wir können also darüber ganz unbekümmert sein, daß uns jemand das Gegenteil einstens beweisen werde; daß wir darum eben nicht nötig haben, auf schulgerechte Beweise zu sinnen, sondern immerhin diejenigen Sätze annehmen können, welche mit dem spekulativen Interesse unserer Vernunft im empirischen Gebrauch ganz wohl zusammenhängen, und überdem es mit dem praktischen Interesse zu vereinigen die einzigen Mittel sind. Für den Gegner (der hier nicht bloß als Kritiker betrachtet werden muß,) haben wir unser non liquet in Bereitschaft, welches ihn unfehlbar verwirren muß, indessen daß wir die Retorsion desselben auf uns nicht weigern, indem wir die subjektive Maxime der Vernunft beständig im Rückhalte haben, die dem Gegner notwendig fehlt, und unter deren Schutz wir alle seine Luftstreiche mit Ruhe und Gleichgültigkeit ansehen können.

Auf solche Weise gibt es eigentlich gar keine Antithetik der reinen Vernunft. Denn der einzige Kampfplatz für sie würde auf dem Felde der reinen Theologie und Psychologie zu suchen sein; dieser Boden aber trägt keinen Kämpfer in seiner ganzen Rüstung, und mit Waffen, die zu fürchten wären. Er kann nur mit Spott oder Großsprecherei auftreten, welches als ein Kinderspiel belacht werden kann. Das ist eine tröstende Bemerkung, die der Vernunft wieder Mut gibt; denn, worauf wollte sie sich sonst verlassen, wenn sie, die allein alle Irrungen abzutun berufen ist, in sich selbst zerrüttet wäre, ohne Frieden und ruhigen Besitz hoffen zu können?

Alles, was die Natur selbst anordnet, ist zu irgendeiner Absicht gut. Selbst Gifte dienen dazu, andere Gifte, welche sich in unseren eigenen Säften erzeugen, zu überwältigen, und dürfen daher in einer vollständigen Sammlung von Heilmitteln (Offizin) nicht fehlen. Die Einwürfe, wider die Überredungen und den Eigendünkel unserer bloß spekulativen Vernunft, sind selbst durch die Natur dieser Vernunft aufgegeben, und müssen also ihre gute Bestimmung und Absicht haben, die man nicht in den Wind schlagen muß. Wozu hat uns die Vorsehung manche Gegenstände, ob sie gleich mit unserem höchsten Interesse zusammenhängen, so hoch gestellt, daß uns fast nur vergönnt ist, sie in einer undeutlichen und von uns selbst bezweifelten Wahrnehmung anzutreffen, dadurch ausspähende Blicke mehr gereizt, als befriedigt werden, ob es nützlich sei, in Ansehung solcher Aussichten dreiste Bestimmungen zu wagen, ist wenigstens zweifelhaft, vielleicht gar schädlich. Allemal aber und ohne allen Zweifel ist es nützlich, die forschende sowohl, als prüfende Vernunft in völlige Freiheit zu versetzen, damit sie ungehindert ihr eigen Interesse besorgen könne, welches ebensowohl dadurch befördert wird, dadurch, daß sie ihren Einsichten Schranken setzt, als daß sie solche erweitert, und welches allemal leidet, wenn sich fremde Hände einmengen, um sie wider ihren natürlichen Gang nach erzwungenen Absichten zu lenken.

Lasset demnach euren Gegner nur Vernunft sagen, und bekämpfst ihn bloß mit Waffen der Vernunft. Übrigens seid wegen der guten Sache (des praktischen Interesses) außer Sorgen, denn die kommt in bloß spekulativem Streite niemals mit ins Spiel. Der Streit entdeckt alsdann nichts, als eine gewisse Antinomie der Vernunft, die, da sie auf ihrer Natur beruht, notwendig angehört und geprüft werden muß. Er kultiviert dieselbe durch Betrachtung ihres Gegenstandes auf zweien Seiten, und berichtigt ihr Urteil dadurch, daß er solches einschränkt. Das, was hierbei streitig wird, ist nicht die Sache, sondern der Ton. Denn es bleibt euch noch genug übrig, um die vor der schärfsten Vernunft gerechtfertigte Sprache eines festen Glaubens zu sprechen, wenn ihr gleich die des Wissens habt aufgeben müssen.

Wenn man den kaltblütigen, zum Gleichgewichte des Urteils eigentlich geschaffenen David Hume fragen sollte: was bewog euch, durch mühsam ergrübelte Bedenklichkeiten, die für den Menschen so tröstliche und nützliche Überredung, daß ihre Vernunfteinsicht zur Behauptung und dem bestimmten Begriff eines höchsten Wesens zulange, zu untergraben? so würde er antworten: nichts, als die Absicht, die Vernunft in ihrer Selbsterkenntnis weiter zu bringen, und zugleich ein gewisser Unwille über den Zwang, den man der Vernunft antun will, indem man mit ihr groß tut, und sie zugleich hindert, ein freimütiges Geständnis ihrer Schwächen abzulegen, die ihr bei der Prüfung ihrer Selbst offenbar werden. Fragt ihr dagegen den, den Grundsätzen des empirischen Vernunftgebrauchs allein ergebenen, und aller transzendenten Spekulation abgeneigten Priestley, was er für Bewegungsgründe gehabt habe, unserer Seele Freiheit und Unsterblichkeit (die Hoffnung des künftigen Lebens ist bei ihm nur die Erwartung eines Wunders der Wiedererweckung), zwei solche Grundpfeiler aller Religion niederzureißen, er, der selbst ein frommer und eifriger Lehrer der Religion ist; so würde er nichts anderes antworten können, als: das Interesse der Vernunft, welche dadurch verliert, daß man gewisse Gegenstände den Gesetzen der materiellen Natur, den einzigen, die wir genau kennen und bestimmen können, entziehen will. Es würde unbillig scheinen, den letzteren, der seine paradoxe Behauptung mit der Religionsabsicht zu vereinigen weiß, zu verschreien, und einem wohldenkenden Manne wehe zu tun, weil er sich nicht zurechtfinden kann, sobald er sich aus dem Felde der Naturlehre verloren hatte. Aber diese Gunst muß dem nicht minder gut gesinnten und seinem sittlichen Charakter nach untadelhaften Hume so wohl zustatten kommen, der seine abgezogene Spekulation darum nicht verlassen kann, weil er mit Recht dafür hält, daß ihr Gegenstand ganz außerhalb den Grenzen der Naturwissenschaft im Felde reiner Ideen liege.

44Ausführlichkeit bedeutet die Klarheit und Zulänglichkeit der Merkmale; Grenzen die Präzision, daß deren nicht mehr sind, als zum ausführlichen Begriffe gehören; ursprünglich aber, daß diese Grenzbestimmung nicht irgend woher abgeleitet sei und also noch eines Beweises bedürfe, welches die vermeintliche Erklärung unfähig machen würde, an der Spitze aller Urteile über einen Gegenstand zu stehen.
45Die Philosophie wimmelt von fehlerhaften Definitionen, vornehmlich solchen, die zwar wirklich Elemente zur Definition, aber noch nicht vollständig enthalten. Würde man nun eher gar nichts mit einem Begriffe anfangen können, als bis man ihn definiert hätte, so würde es gar schlecht mit allem Philosophieren stehen. Da aber, so weit die Elemente (der Zergliederung) reichen, immer ein guter und sicherer Gebrauch davon zu machen ist, so können auch mangelhafte Definitionen, d.i. Sätze, die eigentlich noch nicht Definitionen, aber übrigens wahr und also Annäherungen zu ihnen sind, sehr nützlich gebraucht werden. In der Mathematik gehört die Definition ad esse, in der Philosophie ad melius esse. Es ist schön, aber oft sehr schwer, dazu zu gelangen. Noch suchen die Juristen eine Definition zu ihrem Begriffe von Recht.