Tausche Einsamkeit gegen Zweisamkeit

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4. Kapitel
SCHEIDUNG – UND DANN?

Nach vielen nervtötenden Jahren dieser Ehe, die oft nicht einmal mehr äußerlich eine war, hatte Gerda endlich von Kurt die Nase voll. Sie machte dieser Farce ein Ende und jagte Kurt nach einem Abend, den sie wieder einmal alleine verbrachte und umsonst auf ihn wartete, zum Teufel. Gerda musste noch immer lachen, wenn sie an Kurts Gesicht dachte, als er von ihrem Anwalt das Schreiben mit ihrem Scheidungsersuchen erhielt. Es hieß in diesem Schreiben, dass Gerda sich scheiden lassen möchte, weil ihre Ehe völlig zerrüttet sei. Kurts ständige und teure Frauengeschichten wurden auch erwähnt. Der Scheidungstermin war für einen Tag in zwei Wochen festgesetzt. Um 9.00 Uhr sollten sich beide beim Amtsgericht in Stuttgart einfinden. Gerda war zum vereinbarten Zeitpunkt mit klopfendem Herzen und mit ihrem Anwalt auf dem Flur des Amtsgerichts. Nur Kurt tauchte nicht auf. Es wurde 9.00 Uhr – immer noch kein Kurt. Gerda betrat nun mit ihrem Anwalt das Zimmer. Nach einer Anhörung, bei der Gerda in Tränen ausbrach, weil ihre ganze verkorkste Ehe vor ihren Augen aufstand, kam der Richter sehr bald zu seinem Urteil: Die Ehe von Kurt und Gerda Umweg wurde nach einem Trennungsjahr geschieden. Dieses Trennungsjahr war durch die ständige Abwesenheit von Gerda als durchgeführt angesehen. Kurt wurde als der schuldige Teil für das Scheitern dieser Ehe in Abwesenheit verurteilt. Er musste weiter für die Ausbildung seiner Kinder Simon und Jessy bezahlen. Aus der ehelichen Wohnung sollte er sobald wie möglich ausziehen. Gerda war mit dieser Entscheidung einverstanden und verließ leichten Herzens mit ihrem Anwalt als geschiedene Frau das Amtsgericht. Kurt war überhaupt nicht damit einverstanden, dass er ausziehen und für die Ausbildung der Kinder zahlen sollte. Da er jedoch nicht bei der Verhandlung anwesend war, hatte der Richter eben so entschieden, wie es von Gerdas Anwalt beantragt wurde.

Nachdem Kurt in Stuttgart für sich und seine momentane Freundin, von der Gerda längst geahnt hatte, eine kleine Wohnung in exklusiver Lage fand, zog er aus der ehelichen Wohnung unter Zurücklassung aller Möbel aus. Nur die persönlichen Sachen packte er in sein Auto und fuhr wütend und grußlos davon. Gerda sah schweigend seinem Auszug zu. Man merkte ihr deutlich die Erleichterung an, dass diese Zeit voller Streit endlich vorbei war. Nun kehrte ganz allmählich Ruhe im Hause Umweg ein. Gerdas Anwalt hatte durchgesetzt, dass Kurt monatlich 1.200 Euro an Gerda für die Ausbildung der Kinder zahlen muss; und die schicke Wohnung sollte Gerda mit den Kindern weiterhin gehören.

„Hoffentlich zahlt Kurt auch wirklich den von meinem Anwalt geforderten Unterhalt, der zwingend notwendig ist.“ Mit dem Geld aus ihrem Vorruhestand und dem Kindergeld hätte sie gerade so viel, dass sie die Miete und die notwendigsten Kosten tragen könnte.

Zum Glück war Simon nach einer Zeit, in der Gerda sehr genau rechnen musste, endlich 18 Jahre alt, sodass er aus dem Internat in die Selbständigkeit entlassen werden konnte. Dann war auch Jessy mit 18 Jahren nach einem sehr guten Abitur alt genug, um aus dem Internat entlassen zu werden, und um selbständig zu leben. Simon fand in Stuttgart eine eigene, kleine Wohnung, die er sich mit Gerdas Hilfe sehr gemütlich einrichten konnte. Jessy zog in eine Wohngemeinschaft mit drei anderen jungen Mädchen ein und war ganz glücklich, der strengen Aufsicht im Internat entkommen zu sein. Hier hatte sie ihr eigenes, kleines Zimmer. Sie benutzte es aber kaum, weil die vier jungen Mädchen der Wohngemeinschaft ständig beieinander saßen und sich viel zu erzählen hatten.

Gerda fühlte sich finanziell erleichtert, weil keine Internatskosten sie mehr belasteten. Sie zahlte jetzt freiwillig einen Teil von Simons Miete und auch die Kosten für Jessys Wohngemeinschaft in der Hoffnung, dass sich ihr Exmann Kurt auch wirklich an den Kosten beteiligen würde. Bisher hatte es ja geklappt, aber diese Regelung war eben auch noch ziemlich neu. Simon studierte nach seinem sehr guten Abiturzeugnis BWL, also Betriebswirtschaftslehre, und man konnte ein Ende der Ausbildung absehen. Er war sehr ehrgeizig und wollte seine Ausbildung möglichst schnell mit Auszeichnung beenden, was durchaus vorauszusehen war. Dann würde er auch selbst für sich sorgen können. Jessy war inzwischen auf der Suche nach einer Ausbildung zur Flugbegleiterin. Sie schrieb fleißig Bewerbungen, hatte aber trotz des ebenfalls sehr guten Abiturzeugnisses bisher keine Zusage bekommen. Weil sie Gerda aber nicht so viel auf der Tasche liegen wollte, verdiente sie sich ihr Taschengeld als Bedienung in einer Diskothek. So konnte sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sie verdiente nicht schlecht und hörte ständig die neueste Musik, bei der sie gerne getanzt hätte. Aber das ging natürlich nicht. Sie hätte sich nicht träumen lassen, dass sie als Bedienung bei Schichtende so kaputt war und nur noch schlafen wollte. Sie kam ziemlich müde nach einer Nacht in der Disco in ihrem WG-Zimmer an, warf sich nur noch auf ihr Bett und versuchte, zu schlafen. Aber aus der gemeinsamen Küche, in der gefrühstückt wurde, kam laute Musik und rücksichtsloses Geschnatter. Ihre Mitbewohnerinnen nahmen kaum Rücksicht darauf, dass Jessy nach der arbeitsreichen Nacht schlafen wollte.

„Vielleicht schlafe ich doch lieber bei meiner Mutter. Da ist es bestimmt ruhiger.“

Kaum zu Ende gedacht, rief sie auch schon bei der Mama an:

„Sag mal, kann ich nicht wieder in mein altes Zimmer bei dir einziehen? Ich kann hier bei dem Lärm, den die anderen so machen, kaum schlafen. Geht das?“

„Aber sicher doch. Ich freue mich, dich wieder bei mir zu haben. So ganz alleine ist das Leben doch für mich ziemlich deprimierend. Den ganzen Tag habe ich niemanden, der mit mir spricht. Ich wollte mir schon einen Hund anschaffen, mit dem ich dann reden kann.“

„Arme Mama, da komme ich doch gerade richtig. Wenn ich nach meiner Schicht in der Disco ausgeschlafen habe, können wir ganz gemütlich reden. Das tut mir auch gut.“

Schon am nächsten Tag kam Jessy mit Sack und Pack in Krähenwinkel an, wo Gerda sie am Bahnhof abholte. Beide waren glücklich über Jessys Entschluss. So war also diese Mutter-Tochter-Beziehung wieder das geworden, was sich Gerda immer wünschte. Endlich hatte sie die nötige Zeit für Jessy und konnte sich ihren Problemen widmen. Und Probleme hatte Jessy genug. Da war einmal Luca, ihr Freund, von dem sie ihrer Mutter noch nichts erzählt hatte. Luca wollte, dass Jessy zu ihm nach Stuttgart zöge. Aber dafür fühlte Jessy sich einfach noch zu jung. Sie wollte unabhängig bleiben. Jedoch Luca, schon 23 Jahre alt, wünschte sich eine feste Partnerschaft und eine gemeinsame Wohnung. Er konnte Jessys Gefühle nicht verstehen.

Das andere Problem war Jessys Suche nach einer Ausbildungsstelle als Flugbegleiterin. Zwar waren ihre Zeugnisse, auch das Abiturzeugnis, sehr gut, aber die Airlines stellten sehr hohe Ansprüche, und der Drang vieler junger Mädchen nach diesem Beruf war groß. So konnten sich die Fluggesellschaften die besten Anwärterinnen aussuchen. Und leider hatte Jessy noch nicht die Chance gehabt, sich persönlich vorzustellen.

„Vielleicht kann ich ja versuchen, meine ehemaligen Kollegen auf dich aufmerksam zu machen. Manchmal hilft so etwas ja“, tröstete Gerda ihre Tochter.

Auch von Simon erfuhr Gerda inzwischen mehr. Er lebte neuerdings mit seiner Freundin Jaqueline, die wie er BWL. studierte, zusammen. Gerda kannte das Mädchen überhaupt nicht. Aber sie traute ihrem Sohn schon zu, sich die richtige Partnerin auszusuchen. Als Gerda vor einiger Zeit am Wochenende in Stuttgart war, hätte sie gerne ihren Sohn besucht. Leider kam sie vor verschlossene Tür. „Ich hätte eben vorher anrufen sollen“, warf sie sich selbst vor. So war es bisher noch nie zu diesem Besuch gekommen, obwohl Simon seine Mutter öfters gebeten hatte, doch für eine Tasse Kaffee bei ihm vorbeizukommen, wenn sie in Stuttgart wäre. Jetzt nahm sich Gerda Zeit, ihren Sohn und die neue Freundin einmal zu besuchen. Simon und Jaqueline hatten vor Gerdas Besuch die Wohnung auf Hochglanz geputzt, um vor den gestrengen Augen der Mama zu bestehen. Als Gerda nun kam, war der Kaffeetisch schon gedeckt und Jaqueline hatte zur Feier des Tages sogar einen Kuchen gebacken. Das war etwas ganz Besonderes. Jaqueline war keine Hausfrau. Kuchenbacken gehörte nicht zu ihren Stärken.

„Fein, dass du kommen konntest“, meinte Simon und nahm Gerda liebevoll in den Arm.

„Darf ich dir meine Wohnung zeigen? Sicher kennst du noch nicht alles Neue, was Jaqueline und ich in der letzten Zeit so angeschafft haben.“

„Eigentlich möchte ich erst einmal deine Jaqueline begrüßen.“ Gerda streckte dem Mädchen freundlich die Hand hin. Jaqueline hat sich im Hintergrund gehalten und kam jetzt auf Gerda zu.

„Hoffentlich haben Sie nichts dagegen, dass ich mich hier bei Simon breitgemacht habe“, meinte sie. Gerda fand Jaqueline sehr nett. Das Mädchen hatte eine natürliche, freundliche Ausstrahlung und die beiden Frauen waren sich vom ersten Augenblick an sympathisch.

„Nun sollst du aber erst einmal meine Wohnung ansehen.“

Simon war schon ganz ungeduldig.

„Ihr habt wirklich einen sehr guten Geschmack“, konnte Gerda nur lobend feststellen. Man merkte sofort, dass die Einrichtung dieser kleinen Wohnung mit viel Liebe ausgesucht wurde. Die Möbel waren nicht besonders wertvoll, aber sehr praktisch. Für eine spätere, größere Wohnung war das besonders wichtig. Es gab keine großen Möbel, sondern nur lauter kleine Elemente, die man je nach Laune verschieben konnte. Simon und auch Jaqueline hatten sich sehr bewusst eingerichtet. Die jungen Leute strahlten um die Wette. Gerda konnte sich nach dem Kaffee mit einem sehr guten Gefühl wieder auf den Weg machen.

 

So lief nun Gerdas Leben wieder in den richtigen Bahnen. Ihre Kinder waren in Ordnung. Ihnen hatten anscheinend die vergangenen katastrophalen Familienverhältnisse nicht geschadet. Sie standen beide auf festen Beinen. Das machte Gerda ganz glücklich. Was war aber mit ihr? Sie war inzwischen seit längerer Zeit geschieden und wusste nicht so recht, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte. Nach einer neuen Partnerschaft stand ihr der Sinn nach dieser unglücklichen Ehe nicht gerade. Aber so alleine vor sich hin zu leben, dafür fühlte sie sich einfach noch zu jung. Was also sollte sie tun?

5. Kapitel
NEUE PERSPEKTIVEN

So saß Gerda also an diesem noch ziemlich kühlen Frühlingsmorgen wieder, wie schon so oft, in ihrer gemütlich eingerichteten Küche beim Frühstück und überlegte, was sie mit sich anfangen könnte. Zuerst einmal holte sich Gerda die neue Tageszeitung aus dem Briefkasten und las sie jetzt bei Toast mit Marmelade und frisch gebrühtem Kaffee von vorne bis hinten durch, ohne auf den ersten Blick etwas zu finden, was sie besonders interessierte.

Die Stellenanzeigen weckten dann aber Gerdas Interesse. Gab es hier vielleicht eine Tätigkeit für sie, die sie trotz ihres Alters von 58 Jahren ausüben könnte? Sie hatte doch ein Auto und fuhr auch noch sehr gerne und flott. Botenfahrten oder etwas in der Art könnte sie sich gut vorstellen. Sie stieß auf eine Anzeige, die ihr Interesse weckte. Ein Anbieter von „Essen auf Rädern“ suchte Menschen, die mit ihrem eigenen Auto das fertig gekochte, heiße Essen zu Senioren brächten. Ob das eine Tätigkeit für sie war? Gute Bezahlung war in der groß aufgemachten Anzeige auch angeboten. Man könnte es ja einmal versuchen. Sie hätte dann eine sinnvolle Tätigkeit; würde wieder Kontakt zu ganz verschiedenen Menschen bekommen und außerdem noch Geld verdienen. Das letztere war auch nicht zu verachten. So meldete sich Gerda dann auf die angegebene Telefon-Nummer:

„Hier das „Rollende Senioren-Menue“, mein Name ist Karsten Winter“, meldete sich eine sehr freundliche, junge Männerstimme.

„Hier spricht Gerda Umweg. Ich interessiere mich für eine Mitarbeit in Ihrer Firma.“

„Ich freue mich, dass Sie sich für uns interessieren. Bevor wir uns jedoch am Telefon über die Bedingungen für eine Mitarbeit unterhalten, würde ich vorschlagen, dass Sie uns in unserem Büro in Krähenwinkel in der Langen Straße 15 besuchen. Dort können wir in Ruhe alles Nähere besprechen. Würde Ihnen der kommende Montag passen?“

„Der wäre mir recht. Ich komme also am Montag zu Ihnen und höre mir an, ob diese Tätigkeit mir zusagt“, freute sich Gerda.

„Es wäre schön, wenn ich nicht mehr so tatenlos zu Hause sitzen würde und noch dazu Geld, das ich auch gut gebrauchen kann, verdiene. Das muss ich doch gleich Jessy erzählen, wenn sie von ihrer Arbeit in der Disco. nach Hause kommt.“

Als Jessy jedoch müde und ausgelaugt von ihrer Nachtschicht in der Disco. kam, konnte Gerda sie nicht mehr ansprechen. Jessy taumelte nur noch in ihr Bett und war nicht mehr ansprechbar. „Na ja, erzähle ich es ihr eben, wenn sie wieder aufwacht.“ Um die noch aufgeschlagene Zeitung weiter zu lesen, war sie nicht mehr in der Stimmung. Also legte sie sie erst einmal an die Seite und räumte ihr Frühstücksgeschirr in den Geschirrspüler.

„So, und was mache ich jetzt? Bis zum Montag ist es doch noch ziemlich lange. Vielleicht mache ich meinen Wochenendeinkauf, so dass ein wenig Zeit vergeht.“ Gerda nahm sich den ziemlich langen Zettel, auf den sie im Laufe der Woche aufgeschrieben hatte, was so in ihrem Haushalt fehlte. Gemüse, Brot und Milch war auf jeden Fall wichtig. Es würde wieder ein ziemlich großer Einkauf werden, dachte sie seufzend. Gerda merkte eben doch, dass Jessy bei ihr wohnte. So viel Cola und Kartoffelchips hätte Gerda alleine nicht gebraucht. Aber Jessy sollte sich ja auch bei ihr wohlfühlen. So nahm sie sich ihre große Einkaufstasche und fuhr mit ihrem kleinen Auto zum naheliegenden Supermarkt.

Als sie aus dem Auto stieg, wurde sie von einer älteren Nachbarin, der alleinstehenden Frau Humpelmann begrüßt.

„Es ist gut, dass ich Sie hier treffe“, rief Frau Humpelmann aus. „Könnten Sie mich auf dem Rückweg mitnehmen? Es ist für mich doch ziemlich beschwerlich, ohne Auto einen Samstagseinkauf zu transportieren.“

„Aber sicher nehme ich Sie gerne mit. Sie können in Zukunft immer mitkommen, wenn ich zum Einkaufen fahre.“

„Ach wissen Sie, Frau Umweg, es ist nicht leicht, wenn man als Seniorin alleine lebt. Ich kann nicht mehr so gut von meiner Wohnung die Treppe hinunter steigen, um mich mit den nötigen Lebensmitteln zu versorgen. Deshalb habe ich mir schon bei einer Firma mit dem Namen „Rollendes Senioren-Menue“ mein Essen bestellt. Es wird mir in die Wohnung gebracht und ich muss nicht mehr so beschwerliche Wege machen, um mich zu verpflegen. Das ist eine gute Sache. Ich freue mich, dass auch jemand an die älteren Menschen denkt. Aber mit dem Älterwerden haben Sie ja noch lange keine Probleme, liebe Frau Umweg.“

„Jünger werde ich auch nicht“, seufzte Gerda. „Aber das ist ja jetzt ein Zufall. Gerade habe ich mich mit dem rollenden Senioren-Menue in Verbindung gesetzt. Ich möchte für diese Firma arbeiten. Dann könnte ich Ihnen ja immer Ihr Essen mitbringen. Sind Sie denn zufrieden?“

„Na ja, ein wenig teuer ist es ja schon, wenn mir das Essen gebracht wird. Aber mit meiner Rente kann ich es mir gerade noch leisten. Die jungen Leute, die das Essen bringen, sind alle sehr nett und freundlich. Ich kann also nicht klagen.“

Gerda freute sich, dass sie über das rollende Senioren-Menue so eine gute Auskunft bekam. Es handelte sich also um ein Unternehmen, bei dem man unter reellen Bedingungen arbeiten würde. „Da kann ich also am Montag zuversichtlich zu dem Bewerbungsgespräch gehen. Wenn dann auch noch die Bezahlung in Ordnung ist, habe ich hier die Möglichkeit, meiner häuslichen Einsamkeit zu entgehen, Geld zu verdienen und noch etwas Gutes für die älteren Mitbürger zu tun.“

Gerda konnte kaum den Montag erwarten, an dem es sich zeigen würde, ob dieser Job der richtige für sie wäre. Mit Jessy sprach sie auch über ihr Vorhaben, als das junge Mädchen nach ihrer Nachtschicht in der Diskothek endlich gegen Mittag aufwachte.

„Ich finde die Idee gut“ meinte auch Jessy. „Ich habe schon öfters von dieser Firma gehört. Es wird überall gut darüber gesprochen.“

Endlich wurde es nun Montag. Gerda war ziemlich aufgeregt, als sie sich auf den Weg zur Langen Straße und zum rollenden Senioren-Menue machte. Sie hatte sich so angezogen, dass man ihr den Boten für das Essen glaubte. Jeans, eine einfache Bluse und eine Jeansjacke, so sah sie sauber und zuverlässig aus. Wer sie so sah, konnte kaum glauben, dass dies die elegante Flugbegleiterin Frau Umweg war. In der Langen Straße angekommen, fand sie gleich das Haus Nummer 15, ein einfaches Mehrfamilienhaus und durchaus kein imponierender Sitz für eine Firma. Sie drückte auf die Klingel und eine junge Männerstimme bat sie in der Sprechanlage, in den 4. Stock hochzukommen.

„Oha, da will jemand sicher gleich testen, ob ich überhaupt in der Lage bin, schnell mit einem Seniorenessen die vielen Treppen zu bewältigen“, dachte sich Gerda und spurtete sportlich die Treppen hoch. Ohne zu schnaufen stand sie dann vor einer ganz normalen Wohnungstür, wo sie lachend von Herrn Winter, dem Inhaber der Firma empfangen wurde.

„Dies ist in der Tat für mich der Test, ob der Bewerber überhaupt in der Lage ist, diese Arbeit zu verrichten. Aber den haben Sie mit Bravour bestanden. Kommen Sie bitte in mein Büro. Ich denke, dass wir sicher gut miteinander arbeiten werden.“

Wie Gerda schon am Telefon vermutet hatte, war der Inhaber des rollenden Senioren-Menues wirklich noch ein sehr junger Mann, nicht älter als ihre Tochter. Er machte einen netten und höflichen Eindruck und Gerda war gespannt, was er ihr zu sagen hatte.

Sie setzte sich vor seinen riesigen, alten Schreibtisch, auf dem sich die Papiere häuften.

„Dies ist also die Zentrale meiner Firma, wo ich täglich die Einteilung meiner Boten für die verschiedenen Bereiche der Stadt vornehme“, erklärte Herr Winter. Und nun erzählte er von seiner Geschäfts-Idee zur Gründung dieses Unternehmens.

„Ich hatte bei meiner eigenen Mutter erlebt, wie schwierig es für Senioren ist, noch in ihrer eigenen Wohnung zu leben und sich gesund und ausreichend zu verpflegen. Da kam mir die Idee mit dem rollenden Senioren-Menue. Ich lasse von den angestellten Boten morgens das bestellte und in Wärmeboxen verpackte Essen in einer Großküche abholen und an die angemeldeten Senioren austeilen. Wenn Sie also für mich arbeiten würden, bekämen Sie einen bestimmten Teil von Krähenwinkel zugeteilt und müssten dort in der Mittagszeit den Senioren das bestellte Essen an die Tür oder in die Wohnung bringen. Leider sind ältere Menschen oft ziemlich ungeduldig und werden leicht ungehalten, wenn sie ihr Essen nicht zu der von ihnen bestimmten Zeit bekommen. Das geht jedoch zeitlich nicht immer und es kommt auf Sie an, wie Sie damit umgehen.“

„Ach, damit habe ich keine Probleme. Ich musste als Flugbegleiterin oft mit schwierigen Menschen umgehen und hatte da schon eine gewisse Routine, die sich bewährte.“

„Dann sind Sie ja genau die richtige Frau für diesen Job. Wann können Sie anfangen?“

„Moment, zuerst möchte ich gerne von Ihnen wissen, was ich bei dieser Arbeit verdiene.“

„Entschuldigung, Frau Umweg. Das hätte ich Ihnen natürlich gleich sagen müssen. Sie bekommen also für ungefähr drei Stunden Arbeit täglich eine monatliche Vergütung von 1500 Euro. Sie müssen aber mit Ihrem eigenen Auto fahren, weil ich noch keinen Wagenpark besitze.“

„Das ist nicht besonders viel, wenn ich dafür mein Auto benutze und das Benzin für die Fahrten selbst bezahle.“

Als sie das enttäuschte Gesicht Herrn Winters sah und daran dachte, dass sie ja eigentlich nur arbeiten wollte, um der Einsamkeit zu entgehen, gab sie sich einen Ruck und nahm das Angebot Herrn Winters an.

„Gut, ich werde also für Sie arbeiten“, sagte sie zu.

„Können Sie schon morgen anfangen?“, wollte Herr Winter noch wissen. „Dann müssten Sie um neun Uhr bei der Großküche sein, um die bestellten Portionen Essen abzuholen. Von mir erhalten Sie eine Liste der Personen, die das Essen bekommen. Und nun wünsche ich uns eine gute Zusammenarbeit.“

„Das wünsche ich mir auch“, erwiderte Gerda. Mit einem festen Händedruck wurde dieser Vertrag besiegelt.

Am nächsten Morgen holte Gerda pünktlich um neun Uhr ihre dreißig Essenportionen aus der Großküche. Nun musste sie nur noch nach der Liste, die sie von Herrn Winter bekommen hatte, die Portionen schnell austeilen, so dass alle Senioren das Essen noch warm bekamen. Das war nicht so einfach. Das erste Menue kam in die Kaiserstr. 15. Wo war diese Straße? In dem Teil von Krähenwinkel kannte sich Gerda nicht aus. Sie suchte und suchte. Dabei sah sie auf ihre Uhr und stellte fest, dass es bereits 10,30 Uhr war. Wie sollte sie so dreißig Essen rechtzeitig zu den Senioren bringen? Gerda schwitzte schon ordentlich. Endlich hatte sie die Kaiserstr. 15 gefunden. Natürlich fand sie keinen Parkplatz und musste schnell in der zweiten Reihe parken. Hoffentlich kam nicht gerade eine Politesse vorbei. Dann wäre ihr schon der erste Strafzettel sicher. Sie suchte auf der Klingelanlage den Namen Hurtig und schellte. Eine längere Zeit verging, bis Frau Hurtig endlich auf den Türöffner gedrückt hatte, nachdem sie sich vergewisserte, dass hier ihr Essen unterwegs war. Sie wohnte natürlich im dritten Stock. Gerda spurtete mit ihrer Wärmebox schnell die Treppen hinauf und zu Frau Hurtig, die schon an ihrer Flurtür auf sie wartete.

„Sie kommen aber heute spät. Hoffentlich ist mein Essen auch noch warm.“ Das war kein sehr freundlicher Empfang. Aber Gerda lächelte und wollte Frau Hurtig ihr Essen übergeben.

„Ihr Vorgänger hat mir das Essen aber in die Küche gebracht und auf meinen Teller gefüllt. Ich kann das mit meinen Arthrose-Händen so schlecht. Können Sie das nicht?“

„Ach du meine Güte! Noch mehr solcher Sonderwünsche, dann ist das letzte Essen sicher am Abend beim Empfänger.“ Zähneknirschend packte Gerda das Essen aus und richtete es auf dem bereitgestellten Teller an. Hoffentlich war es nun so richtig! Aber Frau Hurtig schien einverstanden. Als Gerda dann wieder bei ihrem Auto ankam, hing natürlich ein Strafzettel an der Windschutzscheibe und ein wütender Mann, der nicht aus seiner Parklücke kam, stand mit einem bösen Blick auf die Armbanduhr vor seinem Auto.

 

„Geschieht Ihnen ganz recht, dass Sie einen Strafzettel bekommen haben. So etwas tut man doch nicht.“

„Entschuldigung“, konnte Gerda nur noch leise sagen. Sie war jetzt wirklich fix und fertig. Und das war erst das erste Essen. Es folgten noch 29 Wärmeboxen, die alle warm bei ihrem Empfänger sein sollten.

Das zweite Menue musste nun in die Mozartstr. 35. Wenigstens wusste Gerda, wie sie dort hinkam. Auch fand sie zum Glück gleich einen Parkplatz. Die Haustüre bei Frau Meier stand schon offen und Frau Meier wartete bereits sehnsüchtig auf ihr Essen. Sie war sehr freundlich, obwohl Gerda auch hier sicher entschieden mit Verspätung kam. Es war inzwischen schon fast 12 Uhr. Mit einem herzlichen Dankeschön nahm Frau Meier ihre Wärmebox an sich und entschwand in ihre Wohnung. Das ging ja nun wirklich einmal schnell. Hoffentlich hatte Gerda weiter so ein Glück. Aber das nächste Pech war schon vorprogrammiert. Gerda wollte von der Mozartstraße in die Hauptstraße einbiegen. Noch war die Ampel grün, also schnell, schnell. Da sprang sie schon auf gelb um. Gerda wollte noch daran vorbei in die Hauptstraße – aber vergeblich. Es blitzte aus dem Ampelkasten und Gerda wusste genau, was das hieß. Es hieß drei Punkte in Flensburg, einen Monat Fahrverbot und 150 Euro Geldstrafe. So hatte sich Gerda diese Arbeit, von der sie schon am ersten Tag merkte, dass sie niemals in drei Stunden die bestellten Portionen ausliefern könnte, und die ihr außerdem nur Ärger und Unkosten einbrachte, nicht vorgestellt. Sie hatte sich also sehr schnell erledigt. Gerda rief ihren Chef an und berichtete von ihrem Pech.

„Schicken Sie doch bitte jemanden her, der die restlichen Menues ausfährt. Ich bin total am Ende und kann nicht mehr!“ Herr Winter war sehr enttäuscht, aber Gerda war froh, dass sie einen Grund hatte, beim rollenden Senioren-Menue zu kündigen.

Nun saß sie also wieder, wie schon einmal, an einem Samstagmorgen in ihrer Wohnung und wusste nicht, wie sie den Tag herumbringen sollte. Zuerst der Blick in die dicke Samstagszeitung. Sie blätterte ohne große Begeisterung darin herum. Dabei kam sie wieder an die Stellenanzeigen. Hier hatte sie mit viel Hoffnung eine Arbeit gesucht und, wie sie dachte, auch gefunden. Aber eine Arbeit, bei der sie nicht sehr viel verdiente, und auch noch ihr eigenes Auto fahren musste, war denn doch nicht nach ihrem Sinn. Und eigentlich brauchte sie auch keine Arbeit, um Abwechslung in ihr Leben zu bringen. Vielleicht traf sie ja irgendwann einen netten Mann, mit dem sie reden und auch ab und zu irgendwo ein schönes Glas Wein trinken könnte. Auch ein paar Streicheleinheiten und einen guten Sex vermisste Gerda nach der Scheidung von Kurt. Wenn Kurt auch kein idealer Ehemann war, hatte sie mit ihm doch ab und zu einen schönen Abend mit einer noch schöneren Nacht verbracht. Sie war eben noch nicht jenseits von Gut und Böse.

So las sie ihre Zeitung von Seite zu Seite, ohne etwas zu finden, das ihr Interesse weckte. An den Vereinsnachrichten jedoch blieb sie hängen. Der Wanderverein Wandervogel bot eine interessante Wanderung durch den wunderschönen Schwarzwald an. Gerda wäre gerne mit dem Verein gewandert. In der Zeit mit Kurt war sie nie mit ihm zusammen fort gewesen. Kurt hatte keine Zeit oder keine Lust, Gerda auf Wanderungen zu begleiten. Sie unternahm dann Wanderungen mit einer Gruppe, die meist aus Ehe- oder sonstigen Paaren bestand. Dabei hatte sie so ihre schlechten Erfahrungen gemacht. Sie kam sich bei diesen Wanderungen wie das fünfte Rad am Wagen vor. Verdrossen schlich sie als Fast-Single alleine vor oder hinter den Pärchen her und konnte sich die ehelichen oder fastehelichen Gespräche anhören:

„Weißt du schon, bei Müllers hängt wieder einmal der Haussegen schief. Er soll mit Frau Schulze von nebenan ein Verhältnis haben. Das ist doch wohl allerhand! Na ja, damit habe ich mit meinem Mann ja zum Glück keine Probleme!“ So etwas erzählte man gerne der Freundin, die im gleichen Schritt mitlief.

„Bei diesen Gesprächen soll man nicht neidisch werden. Warum haben immer nur andere Frauen die netten Männer? Meiner war zwar auch nett, aber leider interessierte er sich mehr für seinen Beruf und für hübsche, junge Damen. Für mich hatte er nur wenig Zeit. Ein schöner Abend zu Zweit war eine Seltenheit. Vielleicht kann ich jetzt nach unserer Scheidung noch einmal einen neuen Versuch starten, einen Partner für Wanderungen und ein erfreuliches Miteinander zu finden. Das Leben als Single ist doch ziemlich trostlos.“ Nur nach der missglückten Ehe mit dem treulosen Kurt war Gerda im Moment noch sehr misstrauisch, was Männer betraf. Eigentlich war dieses Leben als Single auch nicht zu verachten. Sie konnte kommen und gehen, ohne irgend jemandem Rechenschaft über ihr Tun zu geben. Wenn nur nicht die einsamen Nächte wären, in denen man viel Zeit zum Nachdenken hatte. Und die leere Seite in ihrem großen Bett war auch eine Tatsache, die sie sehr traurig stimmte. Vielleicht sollte man sich ehrenamtlich betätigen und im Altersheim helfen. Sie hörte und las öfters, dass Personal in den Heimen fehlte und die Alten deshalb nicht ausreichend versorgt werden konnten. Hier könnte man wenigstens etwas Gutes tun.

Dann fand Gerda noch eine andere Anzeige auf der Seite mit den Stellenangeboten, die ihr Interesse weckte. Da stand:

„Seriöse Partnervermittlung sucht qualifizierte Mitarbeiter.“

„Das wäre doch etwas für mich. So hätte ich eine Aufgabe und vielleicht wäre ja auch ein Partner für mich dabei.“

Eine Telefonnummer war angegeben. Nach einigem Zögern und mit ziemlichem Herzklopfen rief Gerda an.

„Agentur Liebeslust, Jürgen Korz am Apparat. Was kann ich für Sie tun?“, fragte eine sonore Männerstimme freundlich.

„Hallo guten Tag. Ich bin Gerda Umweg und wäre an einer Mitarbeit in Ihrer Agentur interessiert.“

„Das ist eine sehr gute Entscheidung von Ihnen, Frau Umweg. Aber am Telefon sollten wir nicht darüber sprechen. Treffen wir uns doch erst einmal. Dann können wir miteinander in Ruhe reden. Ich würde ein Treffen für morgen im Parkhotel hier in Stuttgart um 15 Uhr vorschlagen. Ist Ihnen das recht?“

„Oh ja, ich komme gerne“, freute sich Gerda.

„Soll ich irgendwelche Unterlagen zu dieser Besprechung mitbringen?“

„Wenn Sie Ihren Lebenslauf und eine kurze Bewerbung mitbringen, reicht mir das schon.“ So war es also abgemacht. „Sage ich Jessy etwas von diesem Treffen?“, sinnierte Gerda. „Lieber nicht. Vielleicht macht sich Jessy dann nur unnötige Sorgen um das Seelenleben ihrer Mama. Nach dem Treffen, wenn es so abläuft, wie ich es mir denke, kann ich ihr ja davon erzählen.“

Dann nahte der Nachmittag, an dem sie sich mit Herrn Korz treffen wollte. Gerda versuchte, ihr elegantes, graues Kostüm anzuziehen. Die Jacke saß ja sehr gut und die weiße Bluse darunter sah auch sehr vorteilhaft aus. Aber der Rock, was war mit dem los? War er bei der letzten Reinigung eingelaufen? Er klemmte ganz schön! „Das war sicher nicht die Reinigung, sondern ich muss unbedingt ein paar Pfund abnehmen“, murmelte sie. Mit einiger Mühe gelang es ihr dann aber, den Rock über die Problemstellen zu zerren. Sie musste nur aufpassen, dass sie bei der Besprechung mit diesem Herrn Korz immer schön gerade saß und den Bauch einzog. Sie sah sich im großen Schlafzimmerspiegel an und fand sich mit diesem Kostüm sehr seriös. Das war ihr wichtig. Sie fuhr mit ihrem kleinen, roten Auto nach Stuttgart. „Hoffentlich finde ich auch gleich einen Parkplatz in der Nähe des Hotels“, dachte sie und fuhr konzentriert durch die Stadt. Da tauchte auch schon das Parkhotel auf, und o Wunder, direkt neben dem Hotel schien ein Parkplatz direkt auf Gerda zu warten. Sie parkte schnell und sicher ein und machte sich auf den Weg zum Hoteleingang, wo in der Lobby sofort nach ihrem Eintritt ein jugendlich wirkender Herr aufstand und auf sie zukam. Das konnte nur Herr Korz sein, der auf sie wartete. Er hatte sich im gestrigen Telefonat gut beschrieben: Groß, sportlich, mit kurzen, blonden Haaren und einer sehr auffallenden Brille; seriös gekleidet mit einem dunkelblauen Anzug, hellblauem Hemd und dunkelblauer Krawatte. Gerade so, wie sich Gerda einen Bankangestellten vorstellte. Er trat auf Gerda zu, zeigte sein charmantestes Lächeln, nahm mit einem festen Griff Gerdas Hand:

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