Makroökonomik und Wirtschaftspolitik

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1.3.2.3. Zum Zusammenhang zwischen Wachstum und erschöpfbaren Ressourcen

Eine Konsequenz des Wirtschaftswachstums, insbesondere seit der Industrialisierung, ist die Schädigung der Umwelt (Miegel 2012). Die Aufwendungen, die dadurch entstehen, dass die Umweltschäden beseitigt werden, sind vom wirtschaftlichen Wachstum abzuziehen. Das Statistische Bundesamt berücksichtigt diesen Sachverhalt in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. Auch in den ökonomischen Theorien findet die Umwelt Berücksichtigung, wobei allerdings häufig eine getrennte Analyse von Umwelt und Wachstum erfolgt. Wenn sie gemeinsam besprochen wuden, diente die Umwelt lange in erster Linie als Abfallraum. Dabei können die Überlegungen zum Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Umweltqualität einfach gehalten werden. So ist eingängig, dass mit steigender Produktion die Umwelt intensiver genutzt wird. Mit zunehmendem Kapitalstock kommt es zu einer Verschlechterung der Umweltqualität. Es können allerdings Investitionen zum Ausgleich der Umweltschädigung in dem Maß getätigt werden, in dem die Grenzkosten der Schadensvermeidung gerade genau dem Grenzschaden aus der Umweltnutzung entsprechen. Ziel ist dabei nicht, die Umweltverschmutzung grundsätzlich zu vermeiden. Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass die Kosten für die Wiederherstellung des Anfangszustandes dem Verursacher der Umweltschädigung angelastet werden. Der sogenannte externe Effekt, der bei der Produktion von Gütern aus der Umweltnutzung resultiert, soll internalisiert werden. Wird dies durch eine angemessene Umweltpolitik erreicht, ist nachhaltiges Wirtschaftswachstum sichergestellt (vgl. dazu ausführlich Fritsch, Wein und Ewers 2007).

1.3.3 Empirische Ansätze zum Wirtschaftswachstum

Die empirische Wirtschaftsforschung bedient sich der Analyse und Beschreibung historischer Entwicklungen. So unterschied Walt W. Rostow (1916–2003) in seinem Buch „The Stages of Economic Growth“ fünf Entwicklungsstufen (Rostow 1960):

 1. Stufe: Die traditionelle Gesellschaft ist von der Agrarwirtschaft bestimmt, in der keine Arbeitsteilung erfolgt.

 2. Stufe: Das aufgeklärte Bürgertum kennt bereits die Vorzüge des Außenhandels, macht sich das Kreditwesen und die Arbeitsteilung zu Nutze.

 3. Stufe: |23|In der Take Off-Phase der wirtschaftlichen Entwicklung entstehen das Unternehmertum und die Investitions- und Sparneigung.

 4. Stufe: Es wird wirtschaftliche Reife im Zuge der allgemeinen Technisierung und der Herausbildung des Managertums erreicht.

 5. Stufe: Der Massenkonsum und die Überflussgesellschaft setzen sich durch.

Rostow hat die wirtschaftliche Entwicklung beschrieben und sich für ein starkes Unternehmertum eingesetzt, da er dieses als maßgeblich für den Anstoß wirtschaftlichen Wachstums anerkannte. Empirische Wirtschaftsanalysen sind quantitativ beschreibend. Bei den Analysen z.B. von Kuznets (vgl. im Kapital 2 den Abschnitt zu den Konjunkturzyklen) und den Berichten der Wirtschaftsforschungseinrichtungen wird immer wieder betont, dass wirtschaftliches Wachstum ein Ergebnis der Anstrengung von Menschen ist, die versuchen, ihren Lebensstandard zu verbessern. Das Tempo des Wachstums ist dabei abhängig vom Verhalten der Wirtschaftssubjekte und vom Ordnungsrahmen:

 Risikobereitschaft und Tüchtigkeit;

 Qualifikation der Arbeitnehmer;

 Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft der Unternehmen z.B. bei strukturellen Veränderungen (Kohlebergbau, Textilindustrie);

 Bereitschaft zum Sparen und damit zum Verzicht auf Gegenwartskonsum;

 Günstige institutionelle Rahmenbedingungen: Wirtschaftsordnung und -politik können maßgeblich für die Dynamik des wirtschaftlichen Wachstums sein.

1.4 Fazit

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) steht im Zentrum der Bemessung des wirtschaftlichen Wachstums einer Volkswirtschaft. Die Größe ist angreifbar, weil eine Reihe von Faktoren nicht in die Berechnung einbezogen werden und das BIP z.B. bei Berücksichtigung des Freizeitnutzens höher bzw. bei Berücksichtigung von Umweltschäden geringer ausfallen müsste. Gleichwohl dient das BIP in gewissem Maße dazu, verschiedene Volkwirtschaften und deren Entwicklungen vergleichen zu können.

Versucht man, neben dem Messen des wirtschaftlichen Wachstums dessen Entwicklung zu prognostizieren, stößt man erneut an Grenzen. Es können Daten aus der Vergangenheit analysiert werden, um daraus für die Zukunft Aussagen zu treffen. Die ableitbaren stilisierten Fakten zeigen Entwicklungsmuster auf. Auch Wachstumstheorien sollen helfen, den Prozess des Wachstums, den Verlauf, zu erklären. In der Regel abstrahieren die Modelle sehr stark von der Wirklichkeit, damit einfache Aussagen getroffen werden können. So werden üblicherweise die Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit in die Analyse einbezogen und aus deren Zusammenspiel Ergebnisse hergeleitet. Die Neoklassiker gehen dabei von abnehmenden Grenzproduktivitäten der Produktionsfaktoren aus und arbeiten in der langen Frist, während die keynesianischen Modelle eher kurzfristig orientiert sind und über Nachfrageveränderungen z.B. im Wege zusätzlicher Investitionen argumentieren. Allen Modellen gemein ist, dass sie Schwierigkeiten haben, das wirtschaftliche Wachstum zu prognostizieren. |24|Eine Mischung aus Theorie und Praxis scheint daher angemessen und verhilft über empirische Daten dazu, passende Wachstumspolitiken zu entwickeln.

Grundsätzlich gibt es zwei Ansatzpunkte der Wachstumspolitik: die Ausdehnung des Angebots an Gütern, d.h. Verbesserung der Produktionsbedingungen (geht auf die sog. neoklassische Wirtschaftstheorie zurück) sowie die Ausdehnung der Nachfrage nach Gütern, d.h. direkte oder indirekte Einflussnahme auf die Güternachfrage (geht auf den Keynesianismus zurück). Eine nachfrageseitige Wirtschaftspolitik könnte darin bestehen, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch Steuersenkungen anzuregen bzw. die Investitionsausgaben z.B. durch Zinssenkung zu erhöhen. Diese Politiken setzen an der Verwendungsseite des BIP an, d.h. an der Formel

BIP = CH + CG + I + (Ex – Im)

Auch die Staatsnachfrage kann z.B. durch Haushaltsbeschlüsse zum Anstieg der Bildungsausgaben bzw. über die Steigerung der Nettoexporte (z.B. durch Wechselkurspolitik) erhöht werden. Ziel ist die Abschwächung (kurzfristiger) konjunktureller Schwankungen und eher nicht das (langfristige) Wachstum.

Eine angebotsseitige Wirtschaftspolitik zielt darauf ab, die Möglichkeiten und Anreize für die Unternehmen, ein hohes Güterangebot zu produzieren, zu fördern. Politikbereiche können die Verbesserung des Humankapitalstocks, insbesondere Förderung von Bildung und Ausbildung, die Förderung des technischen Fortschritts, insbesondere Förderung von Forschung und Entwicklung, die erleichterte Realkapitalbildung, etwa öffentliche Bereitstellung einer Infrastruktur sowie Stärkung des Wettbewerbs und Deregulierung sein (vgl. Kapitel 10).

Das Wirtschaftswachstum und die Wachstumspolitiken sind mehr denn je sehr wichtige Forschungs- und Politikfelder. Mit der Wirtschaftskrise, die 2007 in den USA durch das Platzen der Immobilienblase losgetreten wurde, und den folgenden Staatsschuldenkrisen der USA und einer Vielzahl europäischer Staaten hat sich herausgestellt, dass die Theorien und die Schlussfolgerungen für die Politik zu überdenken sind. Offenkundig bedarf der ‚freie‘ Markt vor dem Hintergrund der Globalisierung und der internationalen Verflechtung der Güter- und Kapitalmärkte eines flexiblen ordnungsrechtlichen Rahmens. Ein Beispiel für den flexiblen Umgang mit makroökonomischen Krisen ist die konzertierte Aktion der Franzosen, Spanier, Italiener und Deutschen im Herbst 2009: Es wurden Konjunkturpakete geschnürt, um einen scharfen Einbruch der wirtschaftlichen Aktivitäten zu vermeiden. Dies und weitere Aspekte werden im folgenden Kapitel zur Konjunktur besprochen.

[Zum Inhalt]

|25|Kapitel 2: Wie entsteht eine Rezession?
2.1 Was ist ein Konjunkturzyklus?

„[…] im Jahr 2014 [wird sich] die konjunkturelle Lage in Deutschland voraussichtlich aufhellen. Während für das Jahr 2013 lediglich ein Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes von 0,4 Prozent erwartet wird, prognostiziert der Sachverständigenrat für das Jahr 2014 einen Zuwachs von 1,6 Prozent. (SVR 2013)“

Dies war der Stand im Sommer 2013. Schaut man sich die Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung rückblickend an, dann ist festzustellen, dass das BIP 2013 um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugelegt hat und 2014 tatsächlich um 1,6 Prozent. Sieht man in das Gutachten des Sachverständigenrates 2014/15 ‚Mehr Vertrauen in Marktprozesse‘, dann waren die Erwartungen für die Zukunft eher pessimistisch:

Nach einem überraschend guten Start in das Jahr 2014 hat die deutsche Konjunktur einen deutlichen Dämpfer erhalten. Hierfür dürften die geopolitischen Risiken ebenso eine Rolle gespielt haben wie die ungünstige Entwicklung im Euro-Raum. Über Vertrauenseffekte könnte sich zudem der von der Bundesregierung eingeschlagene Kurs in der Energiepolitik sowie in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik negativ bemerkbar gemacht haben. Im Jahr 2015 dürfte sich die verhaltene wirtschaftliche Entwicklung fortsetzen; der Sachverständigenrat rechnet mit einer Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts von 1,0 Prozent. (SVR 2014)

 

Tatsächlich ist das BIP im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr um 1,7 Prozent gestiegen. Für das Jahr 2016 korrigiert der Sachverständigenrat seine Konjunkturprognose:

„[…] aufgrund eines etwas schwächeren außenwirtschaftlichen Umfelds leicht nach unten. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland wird nach Einschätzung des Rates um 1,5 Prozent wachsen, also um 0,1 Prozentpunkte weniger als im Jahresgutachten 2015/16 prognostiziert. Für das Jahr 2017 wird ein etwas höherer BIP-Zuwachs von 1,6 Prozent erwartet.“ (SVR 2016b)

Tatsächlich ist das BIP 2016 um 1,9 Prozent gewachsen.

Konjunkturschwankungen, wie sie in den Zitaten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aus dem Herbst des Jahres 2013 sowie 2014 und in der Pressemitteilung aus dem Frühjahr 2016 diagnostiziert und prognostiziert werden, lassen sich als Schwankungen des Auslastungsgrades des Produktionspotenzials definieren. Dieser Indikator gibt ein Bild von der gesamtwirtschaftlichen Wirtschaftsentwicklung wieder. Er misst nicht die wirtschaftlichen Aktivitäten der Wirtschaftssubjekte selbst, sondern stellt diese in Relation zur potenziellen Wertschöpfung (vgl. dazu Böschen 2015).

|26|Dasjenige Produktionsvolumen, das in einer Periode maximal erzeugt werden könnte, wenn alle Produktionsfaktoren vollständig ausgelastet wären, bezeichnet man als Produktionspotenzial. Das Produktionspotenzial ist eine hypothetische Größe. Eine objektive Definition der volkswirtschaftlichen Produktionsgrenze ist nicht möglich. Fasst man das Produktionspotenzial als Summe der betrieblichen Produktionsmöglichkeiten auf, so müssten letztere eindeutig definiert werden, um den gesamtwirtschaftlich erzeugbaren Output zu ermitteln. Für die Vollauslastung der Produktionskapazitäten eines Unternehmens gibt es jedoch keine objektiven Kriterien. Häufig wird auf die betriebsübliche, nicht jedoch auf die technisch maximal mögliche Kapazität abgestellt. Entsprechendes gilt für die Kapazitätsgrenze einer Volkswirtschaft. Das Produktionspotenzial ließe sich demnach nur dann quantifizieren, wenn Annahmen hinsichtlich der bestmöglichen Nutzung der Produktionsfaktoren getroffen werden würden.[14] Im ‚Normalzustand‘ der deutschen Volkswirtschaft wird das Produktionspotenzial zu 96,75 Prozent ausgelastet (SVR 2011). Das Konzept des Produktionspotenzials spielt ungeachtet der genannten Kritik eine wichtige wirtschaftstheoretische und -politische Rolle. So ist die kurzfristig orientierte Konjunkturpolitik darauf ausgerichtet, die optimale Auslastung des Produktionspotenzials zu sichern.

Das Produktionspotenzial weist eine positive Steigung auf, da in der Regel – abgesehen von Kriegssituationen – der Kapitalstock einer Volkswirtschaft stetig zunimmt. Würden alle Produktionsfaktoren ständig voll ausgelastet werden, würde die Volkswirtschaft entlang dieses Pfades wachsen. Da aber Konjunkturschwankungen aufgrund verschiedener Faktoren üblich sind, wird das Produktionspotenzial nur im sogenannten Boom, der Hochkonjunktur, zu 100 Prozent genutzt. In der Depression ist nur ein Teil der Produktionsfaktoren ‚beschäftigt‘. Um zu erklären, in welchem Maße die Volkswirtschaft durchschnittlich während eines Konjunkturzyklus’ wächst, wird ein Trend bestimmt. Die Konjunktur (das tatsächliche BIP) schwankt um diesen langfristigen Wachstumstrend.

Mit Konjunktur meinen Ökonomen somit die Schwankungen, die bei einem bestimmten Grad der Kapazitätsauslastung des vorhandenen Produktionspotenzials entstehen (können). Hochkonjunkturphasen werden als Perioden einer überdurchschnittlichen Inanspruchnahme der Produktionskapazitäten wahrgenommen. Während einer Depression werden demgegenüber die Produktionsmöglichkeiten nur unterdurchschnittlich intensiv genutzt. Die Phase zwischen einer Hochkonjunktur bzw. einem wirtschaftlichen Boom und einer Depression bezeichnet man als Abschwung oder Rezession. Die Phase zwischen einer depressiven Periode und einem Boom nennen Ökonomen Aufschwung oder Expansion.

Während eines Aufschwungs steigt die Produktion (das BIP) gemäß der Definition des Statistischen Bundesamtes in mindestens zwei aufeinander folgenden Quartalen.[15] |27|Die Arbeitslosigkeit sinkt. Im Boom (Hochkonjunktur) erfolgt die Produktion an der Kapazitätsgrenze. Es werden relativ viele Investitionen getätigt und das Preisniveau steigt u.U. stark. Wenn die Inflationsrate besonders stark im Verhältnis zum BIP zunimmt, wird dies als konjunkturelle Überhitzung bezeichnet. Aufgrund des Preisanstiegs geht in der Regel die Nachfrage zurück und schließlich die Produktion. Die Wirtschaft befindet sich in einer Rezession, wenn die Produktion in zwei aufeinander folgenden Quartalen abnimmt. In dieser Situation steigt die Arbeitslosigkeit. Fällt das BIP, während die Inflationsraten hoch bleiben, befindet sich die Volkswirtschaft in einer Situation der Stagflation: wirtschaftliche Stagnation und monetäre Inflation. Gehen die Produktion und die Investitionen weiter zurück und nimmt die Arbeitslosigkeit zu, dann ist die Volkswirtschaft von einer Depression (Krise) betroffen.

Je nachdem in welcher Phase die volkswirtschaftliche Entwicklung verortet wird, sollen konjunkturpolitische Maßnahmen die konjunkturelle Entwicklung während des Booms gegebenenfalls vorab dämpfen oder in der Depression unterstützen. Betrachtet man die empirischen Daten der Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft wie sie in untenstehender Abbildung 7 dargestellt sind, so fällt auf, dass der durchschnittliche Wachstumspfad zwar durchweg positiv war, dass zwischen 1950 und 2016 die Wachstumsdynamik jedoch deutlich abgenommen hat.

Abbildung 7:

Veränderung des realen deutschen Bruttoinlandsproduktes gegenüber dem Vorjahr in Prozent (Quelle: Eigene Darstellung mit Daten vom Statistischen Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung – Lange Reihen ab 1950, 2017e).[16]

|28|Von einem durchschnittlichen Wachstum von 8,2 Prozent in den Wiederaufbaujahren zwischen 1950 und 1959 ist die deutsche Volkswirtschaft auf ein durchschnittliches Wachstum von nur 0,9 Prozent zwischen 2000 und 2010 gerutscht. Dafür maßgeblich ist unter anderem die Weltwirtschaftskrise, die im Jahr 2007 in den USA durch den Kollaps des Bankwesens aufgrund der Kreditvergabepolitik der Banken provoziert und ausgelöst wurde. Die Auswirkungen zeigten sich insbesondere 2009 in Deutschland und in einer Reihe anderer Staaten auf der Welt.

Neben der geringeren Wachstumsdynamik ist in Abbildung 7 ablesbar, dass es einige Depressionen während der vergangenen 60 Jahre in Deutschland gegeben hat. Die erste Ölpreiskrise 1973/74 hat sich auch auf die deutsche Wirtschaft deutlich ausgewirkt. Aufgrund des Ölpreisschocks gingen die Produktion, die Nachfrage und die Investitionen deutlich zurück. „Der Rohölpreis, der 1970 noch 1,40 US-Dollar pro Barrel (=158,8 Liter) betragen hatte, schoss nach oben und hatte sich um die Jahreswende 1973/74 vervierfacht.“ (Seng 2004)

Die zweite Depression wurde ebenfalls durch einen immensen Anstieg des Ölpreises 1980/1981 ausgelöst. Das Barrel kostete zeitweise 38 USD. Anfang der 90er Jahre manövrierte Deutschland sich wirtschaftlich durch die Wiedervereinigung und die damit verbundenen Aufwendungen sehenden Auges in eine wirtschaftliche Depression. Anfang des neuen Jahrtausends sorgte die sogenannte „dot.com-Krise“ für Irritationen an den Finanzmärkten. Die Unternehmen der „New Economy“ schienen stark überbewertet zu sein und es kam zu einem Platzen der Spekulationsblase mit der Folge eines massiven Abrutschens der Börsenwerte der Unternehmen der betroffenen Branchen. Dies zeitigte schließlich auch Auswirkungen in der Realwirtschaft. Davon betroffen war nicht nur die deutsche Volkswirtschaft. Der wirtschaftliche Einbruch war weltweit spürbar.

Bereits erwähnt wurde die Finanzmarkt-, Wirtschafts-, Banken- und Staatsschuldenkrise, die sich realwirtschaftlich ab 2009 in Deutschland auswirkte. Sie scheint jedoch, soweit die in Abschnitt 2 aufgeführten Indikatoren eine stichhaltige Aussage zulassen, überwunden zu sein. In den Jahren 2010 und 2011 wurden reale Wachstumsraten zwischen 3,6 und 3,3 Prozent gegenüber dem jeweiligen Vorjahr vom Statistischen Bundesamt ausgewiesen[17], 2012 und 2013 0,7 und 0,1 Prozent. Im Jahr 2014 ist das BIP um 1,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, 2015 um 1,7 Prozent und 2016 um 1,9 Prozent (Statistisches Bundesamt 2017d).

2.2 Konjunkturdiagnose

Um eine erfolgreiche Konjunkturpolitik mit dem Ziel der Glättung der Konjunkturschwankungen umsetzen zu können, ist es unabdingbar, gewisse Gesetzmäßigkeiten konjunktureller Entwicklungen zu erkennen und deren Ursachen offen zu legen. Eine |29|Reihe von Wissenschaftlern hat versucht, aus empirischen Daten und deren Entwicklung Muster zu isolieren und wiederkehrende Konjunkturzyklen zu definieren.[18] Zu diesen gehören

 Joseph Kitchin (Kitchin, 1923)

 Clement Juglar (Juglar, 1860)

 Simon Kuznets (Kuznets, 1930)

 Nicolai Kondratieff (Kondratieff, 1926)

Ein Kitchin-Zyklus hat eine Gesamtlänge von im Durchschnitt drei bis vier Jahren. Unter Wirtschaftswissenschaftlern gilt ein Kitchin-Zyklus als relativ ‚harmlos‘, da angenommen wird, dass auftretende Nachfrageschwankungen durch den Lagerauf- oder -abbau ausgeglichen werden können. Das bedeutet, dass keine oder nur geringe Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Beschäftigung auftreten. Die Lagerveränderungen wirken quasi als Puffer. – Zur aktuellen Relevanz: Seit vielen Jahren ist zu beobachten, dass Lagerhaltungszeiten von den Unternehmen aus Kostengründen minimiert und damit optimiert werden. Die Folge ist, dass Nachfrageschwankungen unmittelbarer auf die Beschäftigungssituation rückkoppeln. Insofern ist die Pufferfunktion nicht mehr gegeben und der Kitchin-Zyklus nicht mehr relevant.

Ein Juglar-Zyklus weist eine Gesamtlänge von acht bis zwölf Jahren auf. Diese Zyklen gelten nach wie vor als zentrale Konjunkturzyklen in marktwirtschaftlichen Systemen. Änderungen der Nachfrage schlagen vollständig auf die Produktion und damit auf die Beschäftigungssituation und das wirtschaftliche Wachstum durch. Typischerweise setzt hier die 80 Jahre später entwickelte keynesianische Konjunkturpolitik an. Maßnahmen zur Stärkung der Nachfrage seitens des Staates sollen einen konjunkturellen Einbruch überwinden helfen.

Ein Kuznets-Zyklus ist ein Wachstumszyklus, da er eine Länge von ca. zwanzig Jahren hat. Er wird als Re-Investitionszyklus bezeichnet. Als Grund für wirtschaftliche Schwankungen werden Investitionsschübe genannt, die auftreten, wenn sich in bestimmten Branchen wegen hohen Kapitalbedarfs und langer Nutzungsphasen Investitionen stauen. Diese müssen dann kurzfristig komprimiert realisiert werden. Die Investitionsexplosion bewirkt dann eine intensive, gegebenenfalls zu hohe Auslastung der Produktionskapazitäten.

Ein Kondratieff-Zyklus weist eine Dauer von 50 bis 60 Jahren auf. Er ist eher als Trend- oder Wachstumszyklus zu verstehen und wird durch Innovationsschübe verursacht. So verortete Kondratieff zwischen 1790 und 1840 einen Zyklus, der durch die technischen Entwicklungen in der Eisen- und Textilindustrie hervorgerufen wurde. Zwischen 1840 und 1900 begründeten der Eisenbahnbau, die Dampfmaschine und die Stahlindustrie einen wirtschaftlichen Aufschwung. Zurzeit befinden wir uns im |30|fünften Kondratieff-Zyklus, der auf die weitreichenden Innovationen in der Informationstechnologie zurückzuführen ist.

Diese empirisch, d.h. ex post, diagnostizierten Zyklen lassen sich allerdings nicht dazu nutzen, Prognosen über künftige Entwicklungen zu treffen. Sie dienen lediglich der Interpretation wirtschaftlicher Entwicklungen, die in der Vergangenheit Platz gegriffen haben, und der Analyse geeigneter wirtschaftspolitischer Maßnahmen, die einst umgesetzt wurden.

Neben den genannten Konjunkturzyklen, die unterschiedliche Ursachen und Phasenlängen aufweisen, gibt es sogenannte politische Konjunkturzyklen. Sie werden von exogenen Faktoren bestimmt, d.h. die Ursache des Entstehens konjunktureller Störungen hängt nicht unmittelbar mit ökonomischen Faktoren zusammen. Die Dauer eines politisch motivierten Konjunkturzyklus’ wird – so die Theorie von William D. Nordhaus (geb. 1941) – von der Länge der Legislaturperiode der im Amt befindlichen Regierung bzw. Regierungskoalition beeinflusst. Grundsätzlich hängt die Wiederwahl einer Regierung davon ab, ob die Beschäftigungssituation und die Wirtschaftsstruktur am Ende der Legislaturperiode das Plazet der Wähler finden. Es liegt damit nahe, dass eine an ihrer Wiederwahl interessierte Regierung gegen Ende der Legislaturperiode versucht, mit allen Mitteln eine prosperierende Wirtschaft, also einen Aufschwung aufrechtzuhalten oder gar zu erzeugen. Die Wiederwahl kann z.B. erreicht werden, indem der Staat versucht, durch die Ausweitung der Transferleistungen an die privaten Haushalte zunächst die Kaufkraft und schließlich den privaten Konsum kurzfristig zu erhöhen. Mittelfristig ist der durch diese Maßnahme erzeugte Aufschwung allerdings ein konjunkturelles Strohfeuer, da die zusätzlichen Transferausgaben mittels zusätzlicher Staatsausgaben und damit Staatsverschuldung finanziert werden müssen. Die Steuereinnahmen werden in einer derartigen Phase nicht erhöht, da damit die zusätzliche Kaufkraft der Wirtschaftssubjekte unmittelbar abgeschöpft werden würde. Dass die Staatsverschuldung in der Zukunft im Wege der Steuerfinanzierung zu bedienen und zu tilgen ist, durchschaut der wählende Bürger dem Konzept der politischen Konjunkturzyklen zufolge nicht oder er steht dieser Situation gleichgültig gegenüber.[19] Neben der Ausweitung der Transferleistungen kann der Staat die Subventionierung bestimmter, üblicherweise beschäftigungsintensiver Branchen ausweiten, um Wählerstimmen zu sichern bzw. zu sammeln. Hier gelten die gleichen kritischen Argumente, die bereits aufgeführt wurden. Die politischen Verantwortungsträger stören die Folgen dieser Maßnahmen für die Staatsverschuldung und auch die Inflation nur am Rande, solange die Wiederwahl ermöglicht wird. Nach der gewonnenen Wahl werden recht bald Instrumente eingesetzt, die die Staatsfinanzen begünstigen, die Inflation bekämpfen etc. Auch die positive Entwicklung der Beschäftigungssituation wird gelegentlich geopfert, um die anderen Stabilitätsziele erneut zu erreichen – zumindest bis zur nächsten Wahl. Dann wird erneut eine expansive Wirtschaftspolitik verfolgt. Die Beschäftigungssituation verbessert sich, die Wähler |31|sind zufrieden. Aufgrund der anstehenden Wahlen wurden ein Aufschwung und ein Abschwung eingeleitet.

 

Der letztgenannte Konjunkturzyklus wird inzwischen, abgesehen von exogenen Schocks, die eine Wirtschaft treffen können, gemeinhin als besonders relevant für die konjunkturelle Lage einer Volkswirtschaft eingestuft.