Makroökonomik und Wirtschaftspolitik

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2.3 Konjunkturprognose

Während die diagnostizierbaren Konjunkturzyklen vergangenheitsbezogen sind, ist die Konjunkturprognose in die Zukunft gerichtet. Sowohl die Konjunkturdiagnose als auch die Prognose sollen zu Erkenntnissen verhelfen, die dazu beitragen, eine adäquate Konjunkturpolitik zu konzipieren. In der Presse wird regelmäßig über die Erwartungen von Experten hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands, der USA, Chinas, europäischer Staaten, lateinamerikanischer Volkswirtschaften etc. berichtet. Diese ziehen Auswertungen von Befragungen von Unternehmen und privaten Haushalten zu Rate, um die künftige Wirtschaftsentwicklung abzuschätzen.

Bei den Befragungen der Unternehmen werden in der Regel zum einen die aktuelle Geschäftssituation und zum anderen die Geschäftserwartungen abgefragt. Es werden Frühindikatoren, gleichlaufende und Spätindikatoren unterschieden. Zu den Frühindikatoren gehören z.B. die Auftragseingänge, die bei den Unternehmen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt eingegangen sind. Sie gelten als Signal für die Veränderung der Nachfrage im In- und Ausland. Darüber hinaus werden insbesondere in den USA die Hauskäufe als wichtiger Indikator für die konjunkturelle Entwicklung wahrgenommen, da die Bauinvestitionstätigkeit besonders zinsreagibel ist. Daten zu den Hauskäufen werden in der Regel freitags gegen 14:30 Uhr mitteleuropäischer Zeit veröffentlicht und sorgen weltweit für Aktivitäten an den Aktien- und Rentenmärkten. Auch die Entwicklung der Finanzmärkte, beispielsweise die Kursänderungen von Aktien, wird als Frühindikator für künftige konjunkturelle Entwicklungen in Betracht gezogen. Zu den gleichlaufenden Indikatoren für die Entwicklung der Konjunktur gehört die Analyse der Veränderungen des Produktionsindexes bzw. der Kapazitätsauslastung der Unternehmen. Wenn die Kapazitäten von einem Stichtag gegenüber einem weiteren Stichtag stärker ausgelastet sind, deutet dies mitunter auf den Beginn eines konjunkturellen Aufschwunges hin und vice versa. Neben den hochsensiblen Frühindikatoren bildet die Auswertung der Spätindikatoren die Grundlage für wirtschaftspolitische Entscheidungen. Insbesondere die Lohnentwicklung und die Veränderung der Beschäftigungssituation sind hier von Bedeutung.

Abgesehen von der chronologischen Unterteilung der Indikatoren unterscheiden wir zudem Einzel- und Gesamtindikatoren. Während die Löhne, die Preise und die Auftragsentwicklung zu den Einzelindikatoren gerechnet werden, weisen die Entwicklung des BIP, des Ifo-Geschäftsklimaindexes und des Geschäftsklimas der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) die Eigenschaften von Gesamtindikatoren auf. Der Ifo-Geschäftsklimaindex wird im Wege einer regelmäßigen Umfrage unter etwa 7000 Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft Deutschlands ermittelt. Der Fragebogen |32|besteht aus insgesamt 20 Fragen. Die Unternehmen werden zu ihrer gegenwärtigen Geschäftslage (Auswahlmöglichkeit: gut, befriedigend oder schlecht), ihren Geschäftserwartungen für das kommende halbe Jahr (Auswahlmöglichkeiten: günstiger, gleich bleibend oder ungünstiger), zur Nachfragesituation (Auswahlmöglichkeiten: verbessert, nicht verändert oder verschlechtert) sowie zur Zahl ihrer Beschäftigten (Auswahlmöglichkeiten: zunehmend, gleichbleibend, abnehmend) befragt. Der „Wert“ der gegenwärtigen Geschäftslage ist die Differenz der Prozentanteile der Antworten „gut“ und „schlecht“. Der Saldo der Erwartungen ist die Differenz der Prozentanteile der Antworten „günstiger“ und „ungünstiger“. Das Geschäftsklima ist ein geometrischer Mittelwert aus den Salden der Geschäftslage und der Erwartungen. Zur Berechnung des Indexwertes wird das Geschäftsklima auf den Durchschnitt des Jahres 2005 normiert (seit Mai 2011). Zu diesem Zeitpunkt wurde der Index auf 100 gesetzt. Der Index dient als Frühindikator für die konjunkturelle Entwicklung. Zudem ergänzt er Daten aus der amtlichen Statistik, denen gegenüber er den Vorteil hat, dass er häufiger erhoben wird und schnell verfügbar ist. Das BIP wird beispielsweise von den statistischen Ämtern nur quartalsweise erhoben und mit einer ‚Verspätung‘ von ca. zwei Quartalen unter Vorbehalt veröffentlicht.

Die Entwicklung des aus den beiden Komponenten „Beurteilung der Geschäftssituation“ und der „Geschäftserwartungen“ bestehenden Geschäftsklimaindexes für die Periode zwischen Januar 2003 und März 2017 wird in Abbildung 8 dargestellt.

Abbildung 8:

Der Ifo-Geschäftsklimaindex für Deutschland (Quelle: Eigene Darstellung mit Daten vom Ifo-Institut 2017).

Nachdem weiter oben gezeigt wurde, dass in Deutschland im Jahr 2009 eine Depression vorlag, wird in Abbildung 8 deutlich, dass die Unternehmen die Folgen der Finanzmarktkrise bereits im Vorfeld abgeschätzt haben. Die Geschäftserwartungen, die in Abbildung 8 gestrichelt dargestellt sind, nahmen bereits 2007 ab. Auch die Bewertung der Geschäftssituation durch die Unternehmen, die gepunktet dargestellt ist, |33|nimmt die realwirtschaftliche Entwicklung des BIP quasi vorweg. Andersherum zeigen die Indikatoren bereits vor Eintreten der konjunkturellen Besserung einen deutlichen Positivtrend: Die Geschäftserwartungen waren bereits vor dem Eintreten des Wachstumstiefs im Aufwind begriffen. Besondere Bedeutung hat der Ifo-Geschäftsklimaindex. Der Geschäftsklimaindex ist das arithmetische Mittel aus den Geschäftserwartungen und der Beurteilung der Geschäftslage seitens der befragten Unternehmen. Das Geschäftsklima ist in der Grafik mit einer durchgehenden Kurve dargestellt und hilft bei der Prognose von Trendwenden im Konjunkturzyklus. Eine Trendwende bei der Konjunkturentwicklung ist mit hoher Sicherheit gemäß der so genannten Dreimal-Regel erst nach einem dreimaligen Ausschlagen des Geschäftsklima-Indikators in die betreffende Richtung zu erwarten (Heubes, 1991, 15 ff).

Der Präsident des ifo-Institutes in München Clemens Fuest äußert sich folgendermaßen zur aktuellen Entwicklung: „Die Stimmung in den deutschen Chefetagen verbessert sich immer mehr. Der ifo Geschäftsklimaindex stieg im März von 111,1 (saisonbereinigt korrigiert) auf 112,3 Punkte. Dies ist der höchste Wert seit Juli 2011. Die Aufwärtsentwicklung bei der Beurteilung der aktuellen Geschäftslage hält unvermindert an. Auch die Erwartungen der Unternehmen verbesserten sich weiter. Der Aufschwung gewinnt an Kraft.“[20]

Die Gesellschaft für Konsumklimaforschung (GfK) untersucht das Verhalten der Verbraucher. So basiert die am 23. Februar 2017 veröffentlichte Studie zum Konsumklima auf rund 2000 Verbraucherinterviews, die im Auftrag der EU-Kommission monatlich durchgeführt werden. In dem Bericht werden verschiedene Indikatoren grafisch aufbereitet, prognostiziert und ausführlich kommentiert. Zu den Indikatoren gehören[21]:

 die KonjunkturerwartungenFolgende Frage wurde den Verbrauchern gestellt: „Was glauben Sie, wie wird sich die allgemeine wirtschaftliche Lage in den kommenden zwölf Monaten entwickeln?“ (Auswahlmöglichkeiten: verbessern – gleich bleiben – verschlechtern)

 die EinkommenserwartungenDie Verbraucher antworteten auf die Frage: „Wie wird sich Ihrer Ansicht nach die finanzielle Lage Ihres Haushalts in den kommenden zwölf Monaten entwickeln?“ (Auswahlmöglichkeiten: verbessern – gleich bleiben – verschlechtern)

 die Konsum- und Anschaffungsneigung„Glauben Sie, dass es zurzeit ratsam ist, größere Anschaffungen zu tätigen?“ (Der Augenblick ist günstig – weder günstig noch ungünstig – ungünstig)

 das Konsumklima.Diese Größe soll die Entwicklung des privaten Konsums erläutern. Seine wesentlichen Einflussfaktoren sind die Einkommenserwartung, die Anschaffungs- sowie die Sparneigung. Die Konjunkturerwartung wirkt in diesem Zusammenhang eher mittelbar über die Einkommenserwartung auf das Konsumklima.

|34|Zudem werden Informationen über die Ausgabevorhaben der Verbraucher für 20 Bereiche der Gebrauchsgüter-, Verbrauchsgüter- und Dienstleistungsmärkte zusammengestellt. Die GfK-Konsumklimastudie wird seit 1980 erhoben. Der aktuellen Studie ist zu entnehmen: „Nach dem glänzenden Start in das Jahr 2017 muss die Verbraucherstimmung in Deutschland im Februar einen kleinen Rückschlag hinnehmen. Sowohl die Konjunktur- und Einkommenserwartung als auch die Anschaffungsneigung gehen zurück. Für den Monat März liegt die Prognose für das Konsumklima bei 10,0 Punkten nach 10,2 Zählern im Februar. Der Regierungswechsel in den USA und die zuletzt deutlich gestiegene Inflation haben der überaus guten Konsumstimmung im Februar einen Dämpfer versetzt. So büßen die Konjunktur- und Einkommenserwartung einen wesentlichen Teil ihrer Gewinne aus den Vormonaten wieder ein. Im Sog der gesunkenen Einkommensaussichten sinkt auch die Anschaffungsneigung moderat.“ (Gesellschaft für Konsumforschung 2017)

Abbildung 9:

Konsumklimaindex (Quelle: Eigene Darstellung mit Daten der Gesellschaft für Konsumklimaforschung 2014–2017).

In Abbildung 9 werden die Konjunkturerwartungen, die Einkommensentwicklung sowie die Anschaffungsneigung anhand von Indexpunkten (auf der Ordinate) dargestellt. Es werden Daten aus dem Mai 2014, 2015, 2016 und Februar 2017 gegenüber gestellt. Die Konjunkturerwartungen haben sich gegenüber 2015 und 2014 aktuell deutlich eingetrübt, jedoch zuletzt wieder leicht aufgehellt. Die Einkommenserwartungen legen im Zeitablauf zu, sinken jedoch 2017 etwas. Während die Anschaffungsneigung im Mai 2015 besonders hoch war, geht sie seither zurück. Das Konsumklima hat sich leicht positiv verändert. Letztere Entwicklungen spiegelt auch der ifo-Geschäftsklimaindex im Großen und Ganzen wieder (vgl. Abbildung 8). Insgesamt ist die Stimmung in der deutschen Wirtschaft aktuell recht positiv. Die Tarifverhandlungen in vielen Branchen der deutschen Wirtschaft, die mit z.T. relativ ehrgeizig wirkenden Lohnforderungen seitens der Gewerkschaften einhergehen, bringen darüber hinaus |35|zum Ausdruck, dass die Jahre der Lohnzurückhaltung der Vergangenheit angehören und eine zusehends positive Entwicklung der Wirtschaft erwartet wird.

 

Auch Wirtschaftsforschungsinstitute versuchen, die wirtschaftliche Entwicklung zu prognostizieren. In Deutschland arbeitet eine Reihe von Ökonomen an Konjunkturprognosen für verschiedene, meist gemeinnützige Wirtschaftsforschungsinstitute, die zum Teil unterschiedlichen Interessengruppen nahestehen. Zu nennen sind u.a. das:

 Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung, RWI, in Essen;

 Institut für Wirtschaftsforschung e.V., Ifo-Institut, in München;

 Weltwirtschaftsinstitut, IfW, in Kiel;

 Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, DIW, in Berlin;

 Institut für Wirtschaftsforschung, IWH, in Halle;

 Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv, HWWA[22].

Die sechs genannten Wirtschaftsforschungsinstitute veröffentlichten zwischen 1950 und 2007 zweimal im Jahr eine viel beachtete Konjunkturprognose, die als Frühjahrs- und Herbstgutachten bekannt war. Seit 2007 schreibt das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie die „Gemeinschaftsdiagnose“ aus. Für die Periode 2017 bis 2019 sind folgende Arbeitsgemeinschaften bzw. Institute an der Gemeinschaftsdiagnose beteiligt (Schmelzer 2016):

 DIW Berlin mit Österreichischem Institut für Wirtschaftsforschung, WIFO;

 ifo Institut München mit KOF Konjunkturforschungsstelle an der ETH Zürich;

 IWH Halle mit IfW Kiel;

 RWI Essen mit Institut für Höhere Studien, IHS, Wien.

An dieser 2007 eingeführten wettbewerblich organisierten Vergabepraxis wird deutlich, dass das zuständige Bundesministerium bemüht ist, eine größtmögliche Unabhängigkeit zwischen Wissenschaft und Politik hinsichtlich der unter anderem für die Unternehmen und die Politik sehr wichtigen wirtschaftswissenschaftlichen Konjunkturanalysen herzustellen.[23]

Große Bedeutung wird in Wirtschaft und Politik auch dem Bericht des SVR beigemessen. Das Gutachten wird seit 1963 jährlich bis zum 15. November der amtierenden Bundesregierung überreicht. Diese nimmt bis spätestens acht Wochen nach Vorlage des Gutachtens im Rahmen des Jahreswirtschaftsberichts Stellung. In einem eigenen Gesetz über die Bildung eines SVR sind die Aufgaben des Sachverständigenrates und die Berufung der Mitglieder geregelt. Zu den Aufgaben gehören die Analyse der gesamtwirtschaftlichen Lage und Prognosen für die Zukunft. Die Experten sollen „Fehlentwicklungen und Möglichkeiten zu deren Vermeidung aufzeigen, jedoch keine Empfehlungen für bestimmte wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen aussprechen“. In der Tat nutzt der SVR nationale und internationale Indikatoren, um die Konjunktur zu analysieren. Diese Datenreihen werden laufend aktualisiert. Zu den Indikatoren gehören zusammengefasst:

 |36|die Produktion der Industrie,

 der Auftragseingang der Industrie aus dem Inland/Ausland,

 die Produktion des Bauhauptgewerbes,

 die Entwicklung des Geschäftsklimas in der gewerblichen Wirtschaft,

 die Beurteilung der Fertigwarenlager und der Auftragsbestände im verarbeitenden Gewerbe,

 der Frühindikator für die wirtschaftliche Lage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW),

 die Umsatzentwicklung im Einzelhandel,

 das Verbrauchervertrauen,

 die Entwicklung der Aus- und Einfuhr,

 der Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungsbereich,

 die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts und dessen Verwendungskomponenten,

 die Entwicklung von Produktivität und Lohnstückkosten,

 die Entwicklung der Bruttowertschöpfung, von verfügbarem Einkommen, Konsum und Sparen,

 die Einschätzung der Wirtschaftslage (Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, DIHK),

 die Entwicklung der Erwerbstätigkeit in Deutschland, der Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung.

Auf der Basis der gewonnenen Daten wurde auch das Gutachten mit dem Titel „Jahresgutachten 2016/17 – Zeit für Reformen“ veröffentlicht, das folgende Daten beinhaltet:

Tabelle 1: Wirtschaftliche Eckdaten für Deutschland in Prozent


Quelle: Eigene Darstellung mit Daten des SVR und des Statistischen Bundesamtes[24].

|37|Im Gegensatz zum Ifo-Geschäftsklimaindex und zum GfK-Konsumklimaindex basieren die erhobenen Daten weniger auf Umfragen (abgesehen z.B. von der DIHK-Umfrage zur Einschätzung der Wirtschaftslage), als vielmehr auf Daten, die von den statistischen Landes- und Bundesämtern regelmäßig erhoben werden. Es handelt sich also um ex post-Daten, deren Extrapolation gleichwohl eine Prognose erlaubt. Tabelle 1 weist einige Verwendungskomponenten des BIP aus und deren Veränderung in den vergangenen Jahren, wobei für die Jahre 2014, 2015, 2016 und 2017 auf der Basis der Daten, die bis Mitte des entsprechenden Vorjahres verfügbar waren, Prognosen formuliert wurden. Häufig wird die Qualität bzw. die Treffsicherheit von Prognosen kritisiert. Während der SVR mit seiner Prognose die Entwicklung des BIP für das Jahr 2016 eine Punktlandung hingelegt hat, hat er das BIP-Wachstum 2015 um 0,6 Prozentpunkte unterschätzt (vgl. die Spalte 20152). Für das Jahr 2014 wurden die prognostizierten 1,6 Prozent realen Wirtschaftswachstums durch das Statistische Bundesamt bestätigt (vgl. die Spalte 20142). Hinsichtlich des privaten und staatlichen Konsums hat der SVR die Nachfragesituation 2016, 2015 und 2014 unterschätzt. Die Ausrüstungsinvestitionen wurden in den Jahren teilweise deutlich unterschätzt, während die Bauinvestitionen 2016 und 2015 über- und 2014 unterschätzt wurden. Die Exporttätigkeit war 2016 höher und 2015 sowie 2014 geringer erwartet, während die Importtätigkeit etwas stärker angenommen worden war, als sie tatsächlich ausfiel. Bei der Arbeitslosenquote hat sich der Sachverständigenrat erhofft, dass die Arbeitsmarktsituation sich deutlicher verbessern würde. Hinsichtlich der Preisveränderungen ist die Differenz zwischen der Prognose des SVR und den Daten des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2016 geringer und 2015 deutlich höher als 2014. Letzteres hängt damit zusammen, dass die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank nicht zu der in all den Jahren vor der Finanzmarktkrise üblichen Ausweitung der Geldmenge und damit zu einer Steigerung des Preisniveaus führt. Die Prognosegenauigkeit ist insgesamt als relativ hoch zu bezeichnen. Diese Tatsache erlaubt das Stützen konjunkturpolitischer Maßnahmen auf der Basis der Prognosewerte des SVR.

2.4 Konjunkturtheorien

Um konjunkturelle Entwicklungen trotz der aufgeführten Diagnose- und Prognosemethoden noch besser verstehen, vorhersehen und interpretieren zu können, wurden und werden nach wie vor Konjunkturtheorien und -modelle entwickelt. Bei den wirtschaftswissenschaftlichen Theorien zur Konjunkturentwicklung unterscheiden wir die vorkeynesianischen von den „neuen“ Theorien. Zu letzteren gehören das keynesianische Konjunkturmodell (ab ca. 1937) sowie die polit-ökonomische Sichtweise der Theoretiker (ab 1975) und einige weitere jüngere Modelle.

2.4.1 Vorkeynesianische Konjunkturtheorien

Die Wissenschaftler, die die rein-monetäre Konjunkturtheorie postulierten, gingen davon aus, dass die Instabilität des Geldumlaufes der zentrale Bestimmungsgrund des Konjunkturverlaufes ist. Für sie ist der Konjunkturzyklus ein reines Geldphänomen. So |38|sorgt ein erhöhtes Geldangebot für sinkende Zinsen, da das Geld weniger knapp wird. In der Folge wird die realwirtschaftliche Lagerhaltung günstiger und die (Konsum-) Nachfrage belebt. Demgegenüber veranlassen steigende Zinsen aufgrund des knapper werdenden Geldes einen Lagerabbau. Die im Lager befindlichen Waren sollen abgesetzt werden, damit mehr Geld in Umlauf kommt und gegebenenfalls die Zinsen erneut fallen können. Das zusätzliche Güterangebot aus den aufgelösten Lagern konkurriert nun mit den Waren aus der laufenden Produktion. Dieses Mehrangebot an Gütern dürfte zu fallenden Preisen führen. Verstärkt wird der monetäre Anstoß sowohl im Aufschwung als auch in der Depression dadurch, dass die Einkommen produktionsabhängig sind und damit auch der Konsum. Während des Aufschwunges sorgen Preissteigerungserwartungen demnach dafür, dass die Händler ihre Vorräte ausdehnen, d.h. mehr Güter produzieren, um mehr in die Lager einstellen zu können. Damit wird der Expansionsprozess gefördert, der Boom verstärkt. Ebenso bewirkt nach der konjunkturellen Wende die Erwartung sinkender Preise den Abbau der Lager. Die Talfahrt in die Depression wird beschleunigt. Es greifen somit die jeweilige Konjunkturphase verschärfende Mechanismen und nicht die wünschenswerten konjunkturdämpfenden Maßnahmen. Die adäquate politische Maßnahme ist gemäß der Anhänger der rein-monetären Konjunkturtheoretiker die Stabilisierung des Geldumlaufes. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes hängt von den Erwartungen der Konsumenten und Unternehmen im Hinblick auf die Zinsentwicklung, auf die Höhe der künftig verfügbaren Einkommen etc. ab. Ob der Umlauf des Geldes überhaupt kontrolliert werden kann, ist noch heute umstritten. Zudem wird an der Theorie kritisiert, dass empirische Studien widerlegen, dass die Lagerhaltung zinsabhängig ist. Im Gegenteil: die jederzeitige Lieferfähigkeit hat sich als dominierend herausgestellt (Teichmann 1997, 4ff).

Eine weitere Erklärung für das Auftreten konjunktureller Wellen sind die monetären und die nicht-monetären, realen Überinvestitionstheorien. Die monetären Überinvestitionstheorien begründen Konjunkturschwankungen mit dem Auseinanderfallen von „natürlichem Zins“ und „Kreditzins“. Hier werden Investitionen durch eine übergroße Differenz zwischen dem „natürlichem Zins“ als realwirtschaftlich bestimmter Rendite der Investitionen und dem „Kreditzins“ als monetärem Zins der Finanzmärkte ausgelöst. Ist die Investitionsrendite höher als der für Kredite zu zahlende Zins, so investieren die Unternehmen und weiten ihre Produktionskapazitäten sowie die Beschäftigung aus. Im weiteren Verlauf gleichen sich der natürliche Zins und der Kreditzins wieder an. Die Investitionen gehen zurück. Der Renditevorteil von Sachinvestitionen gegenüber Finanzinvestitionen sinkt und kann sogar negativ werden. Investitionen sind nicht mehr rentabel bzw. werden unrentabel (Teichmann 1997, 5ff). Dies wird in Abbildung 10 veranschaulicht.

Abbildung 10:

Rentabilität von Investitionsprojekten (Quelle: Eigene Darstellung).

Während auf der horizontalen Achse der Grafik die Investitionsprojekte A bis F abgetragen sind, wird auf der vertikalen Achse die Rentabilität der Investitionsprojekte denominiert in Euro aufgeführt. Die zugrunde liegende, realistische Annahme ist, dass die Investitionsprojekte mittels der Aufnahme von Krediten finanziert werden. Steigt der Kreditzins, so werden im Beispiel die Projekte C, D, und E unrentabel. Der Investor wird die Projekte nicht umsetzen, keine Mitarbeiter einstellen, sondern vermutlich einige entlassen müssen. Allein Projekt F lohnt sich noch für den Unternehmer, wobei |39|die Rendite durch den höheren Kreditzins geschmälert wird. Es kommt, wenn mehrere Unternehmen das genannte Kalkül aufmachen, zur Rezession und eventuell Depression.

Die realen Überinvestitionstheorien knüpfen an der Tatsache an, dass die Investitionsgüterindustrie größeren konjunkturellen Schwankungen unterliegt als die Konsumgüterindustrie. Die Schwankungsursachen liegen damit in der im Vergleich zur künftigen Nachfrage zu hohen oder zu geringen Investitionsgüterproduktion begründet. Ein Konjunkturzyklus mit Aufschwung und sich hieraus automatisch ergebendem Abschwung lässt sich z.B. damit erklären, dass es ausgehend von positiven Erwartungen infolge von Innovationen oder einer Verbesserung der institutionellen Rahmenbedingungen für die Unternehmen etc. zu einer stark ansteigenden Investitionsgüternachfrage kommt. Damit nimmt die Kapazitätsausweitung im Investitionsgütersektor zu. Irgendwann aber ist der Markt gesättigt. Noch mehr neue Maschinen werden nicht benötigt. Die vorhandenen Kapazitäten der Investitionsgüterindustrie werden nicht mehr ausgelastet. Es kommt in der Investitionsgüterindustrie zu einem Abschwung. Dies geschieht auch dann, wenn die Konsumgüternachfrage noch intakt ist. Allerdings werden die Entlassungen in der Investitionsgüterbranche zu einer geringeren Kaufkraft und damit zu einem Rückgang der Nachfrage nach Konsumgütern führen. Die Konsumgüterindustrie kann ebenso in eine Schieflage geraten (Teichmann 1997, 6ff). Ein Beispiel für die reale Überinvestitionstheorie ist die Krise in der Automobilindustrie nach dem Boom der deutschen Wiedervereinigung. Der Markt war – bei hohen vorhandenen Kapazitäten – gesättigt.

 

In den Unterkonsumtionstheorien werden Konjunkturschwankungen auf Veränderungen der Einkommens- und Vermögensverteilung bzw. konkret auf einen Rückgang der Konsumnachfrage aufgrund eines Kaufkraftverfalls zurückgeführt. Unterstellen wir einen Aufschwung und legen zur Vereinfachung folgende Annahmen zugrunde:

 |40|Je höher die Einkommen aus unselbstständiger Arbeit sind, desto höher ist die volkswirtschaftliche Konsumquote.

 Je höher die Einkommen aus Vermögen und Unternehmertätigkeit sind, desto höher ist die volkswirtschaftliche Spar- bzw. Investitionsquote.

 Zudem gilt, dass in einem Aufschwung grundsätzlich die Preise schneller steigen als die Löhne, da ein gewisser Nachfragedruck vorliegt.

Wenn aber die Güterpreise schneller steigen als die Löhne, kommt es aufgrund hierdurch steigender Gewinne der Unternehmen zu einer Änderung der funktionalen Einkommensverteilung. Als funktionale Einkommensverteilung wird das Verhältnis der Lohnquote zur Gewinnquote verstanden. Die Lohnquote ist der Quotient der Arbeitnehmerentgelte und des Volkseinkommens. Das Volkseinkommen setzt sich aus den Bruttoeinkommen aus unselbstständiger Arbeit und den Einkommen aus Vermögens- und Unternehmenseinkünften zusammen. Die Gewinnquote ihrerseits ist das Verhältnis aus den Vermögens- sowie Unternehmenseinkünften und dem Volkseinkommen. Steigt also die Lohnquote, so muss die Gewinnquote sinken und vice versa, denn beide Quoten müssen in der Summe 100 ergeben; das gesamte Volkseinkommen. In Deutschland liegt die Lohnquote aktuell bei einem Anteil von etwa 68 Prozent am Volkseinkommen. Sie schwankte in den vergangenen acht Jahren zwischen 63 und 68 Prozent am Volkseinkommen. Steigen nun in einem Aufschwung die Preise schneller als die Löhne, wird die Investitionstätigkeit in Relation zur Konsumnachfrage überproportional erhöht. Ein wirtschaftlicher Abschwung wird dann unvermeidlich, wenn bei hohen Kapazitäten der Investitionsgüterindustrie der Auslastungsgrad der Konsumgüterindustrie sinkt, weil die Kaufkraft der unselbstständig Beschäftigten in Relation zum Angebot zu gering ist. Im Zuge der Rezession kommt es dann bei rückläufigen Unternehmensgewinnen und Preissenkungen wieder zu der ursprünglichen Einkommensverteilung. Die Kaufkraft steigt, die Nachfrage nimmt zu, ein neuer Aufschwung beginnt. Dies geschieht allerdings nur unter der Prämisse, dass die Rezession nicht dazu genutzt wurde, die Löhne zu stark zurückzuführen (Teichmann 1997, 7). Dies würde – so die Unterkonsumtionstheorien – zu einem Abschwung führen, wie im Jahr 1929, als eine Weltwirtschaftskrise ausgelöst wurde. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die Bundesbank angesichts der konjunkturellen Entwicklung, die Erhöhung der realen Löhne: „Insofern liegt es in der Natur der Sache und ist auch zu begrüßen, dass die Arbeitsentgelte wieder stärker steigen als zu Zeiten, in denen die deutsche Wirtschaft in deutlich schlechterer Verfassung war.“[25]

Neben der monetären Überinvestitionstheorie werden weitere monetäre Konjunkturtheorien ins Feld geführt, die allerdings darauf basieren, dass fehlerhafte geldpolitische Maßnahmen der Zentralbank für konjunkturelle Schwankungen verantwortlich sein sollen. Betreibt die Zentralbank eine expansive Geldpolitik indem sie beispielsweise die Leitzinsen senkt oder die Geldmenge ausweitet, so kommt es normalerweise, d.h. wenn der Transmissionsmechanismus funktioniert und die Geschäftsbanken günstige Refinanzierungskosten an die privaten Haushalte und Unternehmen weitergeben, zu einer Kreditexpansion. Diese führt in einer ansonsten normalen Wirtschaftslage zu einer Ausweitung der Investitionen (vgl. Abbildung 10: Alle Projekte, auch |41|die Projekte A und B werden rentabel und deshalb umgesetzt). Zudem nehmen die Konsumausgaben zu, da die Ersparnisbildung der Wirtschaftssubjekte aufgrund der gesunkenen Zinsen weniger rentabel ist. Es kommt zu einem Aufschwung. Wenn in dieser Situation die Geschäftsbanken die Kreditvergabe nicht ausweiten können oder diese gar wegen zunehmender Risiken einschränken, kommt es zu einem Anstieg des Zinsniveaus. Es nehmen damit sowohl die Finanzierungskosten der Investoren zu als auch die Kontokorrentzinsen, die für die Nachfrager bedeutsam sind. In der Folge geht die Nachfrage zurück. Die Preise fallen. Die Gewinne der Unternehmen sinken. Die Investitionen werden eingeschränkt und damit die Beschäftigung. Schließlich fällt die Kaufkraft aufgrund der gesunkenen Lohnsumme. Die Wirtschaft gleitet in die Rezession. Ein Beispiel für eine kreditinduzierte Rezession ist die Finanzkrise, die 1997/ 1998 in Asien durch eine zunächst viel zu expansive Kreditpolitik des dortigen Bankensektors verursacht wurde.

Hintergrund dieser Erklärung konjunktureller Schwankungen ist die Annahme, dass Konjunkturzyklen parallel zu Produktlebenszyklen von Produkten verlaufen, die besonders beschäftigungsintensiv produziert werden. Joseph Schumpeter (1883–1950) ging davon aus, dass sich eine Produktinnovation eines Unternehmers als technologische Neuerung auf dem Markt durchsetzen kann. Die Wirtschaft gerät in einen Aufschwung, da immer mehr Unternehmen die Innovation, indem sie vermehrt investieren, nachahmen. Dieser Prozess geht so lange von statten, bis so viele Neuunternehmer auf dem Markt sind, dass der Gewinn des einzelnen Unternehmens zurückgeht. Der erzielbare Preis für das Produkt liegt dann nicht nur kurz- sondern mittelfristig unterhalb der Grenzkosten der Produktion, d.h. für den Unternehmer lohnt sich die Produktion nicht mehr. Sinkende Gewinne oder gar Verluste leiten jedoch unter Umständen einen Abschwung ein, dem durch eine sich erneuernde Innovationsfähigkeit der Volkswirtschaft begegnet werden kann.

Eine weitere Sichtweise hinsichtlich der Gründe für Konjunkturschwankungen lieferte Arthur C. Pigou (1877–1959) im Jahr 1927. Er machte das Verhalten der Marktteilnehmer verantwortlich für Konjunkturschwankungen. Übertriebener Optimismus der Investoren führt zu z.T. risikobehafteten Investitionsentscheidungen und damit zu einem angebotsinduzierten Aufschwung, der bei einer neutralen Sicht auf die Wirtschaftsentwicklung unter Umständen nicht stattgefunden hätte. Wenn sich die Absatzerwartungen der Unternehmer nun nicht erfüllen, kommt es zu einer stark gegenläufigen Kontraktionsphase. Die Unternehmen bauen Kapazitäten über die Maßen ab. Die Beschäftigung geht zurück. Die Kaufkraft fällt weiter. Denkbar ist auch, dass der Optimismus der Konsumenten einen nachfrageinduzierten Aufschwung einleitet. In der Erwartung zunehmender Beschäftigung sowie steigender Löhne und Gehälter wird der Konsum ausgedehnt. Stellen sich die Erwartungen als fehlerhaft heraus, steigen die Löhne und Gehälter nicht im erhofften Ausmaß. Der Konsum wird zurückgenommen. Die anfänglich positive Erwartung schlägt in eine Rezession um (Teichmann 1997, 7ff).

Ein Konjunkturzyklus kann auch ohne jegliche kausale ökonomische Notwendigkeit herbeigeredet werden. In dem Augenblick, in dem die Medien und einflussreiche Wirtschaftssubjekte mit einem wirtschaftlichen Einbruch rechnen und öffentlich |42|darüber reden, beginnen die Empfänger der Informationen zu sparen, weniger zu investieren bzw. zu konsumieren. Andersherum kann auch ein Aufschwung herbeigeredet werden. Wird eine neue, als wirtschaftskompetent geltende Regierung gewählt, investieren die Unternehmen, um die Konsumenten künftig bedienen zu können. Diese kaufen auch auf Kreditbasis Güter, da sie mit Lohn- und Gehaltssteigerungen rechnen und andererseits Preissteigerungen erwarten. Diese Art von Konjunkturschwankungen wird durch sich selbst erfüllende Prophezeiungen induziert.