America´s next Magician

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Er atmete! Oh, Rovenna sei Dank! Er atmete!

Schon ragte die Bühne vor uns auf. Ich manövrierte uns, noch immer in sonniger Glückseligkeit, zum vorderen Rand der Marmorfläche, als eine der gelben Energiekugeln, deren schnelles Näher­kommen ich bisher – soweit möglich – ignoriert hatte, neben uns einschlug.

Ich konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen und Ivan hatte ich noch längst nicht erreicht. Meine Fokussierung auf Rayn war ein Fehler gewesen.

Funken stoben auf und bohrten sich wie glühende Drahtenden in die ungeschützte Haut meiner rechten Hand. Das schrille Kreischen, das mir entwich, klang wie das eines verwundeten Tieres. Oder das einer zornigen Sphinx, erinnerte mich mein Unterbewusstsein. Der Schmerz war schlimm, noch schlimmer war allerdings die Tatsache, dass mir Rayn entglitt, als ich verspätet die Hand aus der Gefahrenzone riss.

Sein Körper schlug auf dem Steinboden auf, bevor ich realisierte, was geschah. Das Geräusch, das sein Kopf dabei machte, war kein schönes. Und mein Gedächtnis spielte es mir wie ein defekter MP3-Player sofort wieder und wieder vor.

Knack.

Knack.

Knack.

Knack.

Ich kehrte völlig irrational dem Energiekugelhagel den Rücken zu, landete und kniete mich sorgenvoll neben Rayns Körper. Die Vernunft hatte mich verlassen. Der Schock war größer als mein Überlebenstrieb. »Nein!«, presste ich gequält hervor, während es um mich gelb aufleuchtete. Ich zog seinen Kopf zu mir hoch und bettete ihn auf meine Knie. Völlig überrschend zeigte mir dabei der Luftstrom aus Rayns Nase, dass er noch lebte.

Oh Rovenna, hab alle Geister selig!

Rayn lebte.

Aber Ivan! Wie ging es Ivan?

Mein Geist schlug gleichzeitig mit meinem Herz Alarm, als mein Verstand wieder klar zu werden begann. Die Schuld drückte mich augenblicklich nieder. Ivans reglose Gestalt, lag sie noch immer auf dem Marmor, wie ich sie zurückgelassen hatte?

Ich drehte suchend den Kopf.

Der gelbe Hagel war vorerst vorüber. Überall im Boden um Rayn und mich klafften nun kleinere und größere Krater, in denen letzte Reste von Energie schwelten. An der Stelle, an der Ivans Körper gelegen hatte, war ein besonders großer Krater. Von ihm war weit und breit nichts zu sehen. Gar nichts. Kein Arm, kein Bein.

Ich nahm an, dass sich in dem Krater der Überrest dessen befand, was einst sein Körper gewesen war …

Mein Magen sackte ins Bodenlose, während ich die ausgebreiteten Flügel um Rayn und mich schloss – die Welt mit all ihrer Grausamkeit einfach ausschloss. »Nein«, flüsterte ich noch einmal leiser, als es dunkel um uns wurde. Nach außen hin mochte ich weiter im Licht der vier Gilden strahlen, hier drinnen, in der selbst geschaffenen Höhle, war es so trostlos wie in meiner Seele.

Dunkel. Still. Verletzt.

Zärtlich strich ich Rayn die Haare aus dem Gesicht. Mit zitternden Fingerspitzen untersuchte ich danach die Platzwunde, die er sich durch meine Unachtsamkeit beim Sturz eingehandelt hatte. Solange er nicht bei Bewusstsein war, konnte ich nicht sagen, was alles gebrochen und verletzt war, wie es ihm wirklich ging. Das Einzige, was ich konnte, war, zu kontrollieren, ob er weiterhin atmete. Da wir von Lanahaas Schild umgeben waren, konnte ich ihn nirgendwo anders hin-, in Sicherheit bringen. Er war alles, was ich noch hatte. Ich würde ihn so gut es ging schützen. Wenn nötig mit meinem Leben.

Als ich die rechte Hand hob, um sie Rayn unter die Nase zu halten, merkte ich erst, dass ich dort blutete. Ich hatte gar nicht realisiert, wie sehr die magischen Energiefunken meine Haut zerfetzt hatten. Die natürlichen Mechanismen, die meinen Körper normalerweise längst hätten Alarm schlagen lassen, waren offensichtlich vom Feuerwerk in meinen Synapsen außer Kraft gesetzt worden.

Ivan war tot – der Gedanke übertönte alles in mir, selbst meine Angst um Rayn. Für einen Augenblick starrte ich auf die Eintritts­stellen der Funken, die stark bluteten. Sollte die Energie nicht alles verödet und verbrannt haben? Was waren das für gelbe Magiekugeln? Die Gewalt da draußen, sie überstieg meinen Horizont.

Ich wiegte mich mit Rayn auf den Knien vor und zurück. Ließ den Tränen, die sich bereits in meinen Augenwinkeln gesammelt hatten, freien Lauf.

Nach Minuten beruhigte ich mich ein wenig. Was jetzt?, fragte ich mich unwillkürlich. Ich konnte nicht ewig hier sitzen und mich wie ein kleines Kind verstecken, während ich so tat, als würde mich niemand sehen und mich alle sahen. Wo war mein Mut hin? Wo waren meine Wut und der Wille zu kämpfen hin? Weg. Weg. So wie Ivan.

Neue Tränen stiegen in mir auf.

Plötzlich krümmte sich Rayns Körper. Ein leises Wimmern kam ihm über die Lippen und er bewegte sich.

»Rayn?«, flüsterte ich hoffnungsvoll, nahe seinem Ohr. »Kannst du mich hören?« Ich hielt den Atem an, wagte mich nicht zu regen und hoffte. Hoffte so sehr, dass wenigstens Rayn überleben würde.

Sein Brustkorb hob sich. Er hustete, zog gierig Luft durch den Mund in seine Lunge. Hustete wieder, während ich ihn reglos beobachtete. Noch immer ganz so, als könnte eine Bewegung von mir das Wunder seines Erwachens rückgängig machen.

Ein undefinierbarer Laut entwich seinen Lippen.

»Ich bin da«, murmelte ich beruhigend. »Ich bin da.« Und senkte mein Ohr näher zu seinem Mund.

»Mhuuhhmm … ssss … mhhmm«, hörte ich nur.

»Was, Rayn, was?« Aufregung ergriff mich, prickelte in meiner Luftröhre empor bis zu meiner Stirnhöhle.

Er atmete schwer ein. Setzte neu an. »Muusss … ttt … raauu.«

Ich verkniff mir ein nervöses Seufzen. War bei seinem Sprachzentrum im Kopf oder den Stimmbändern im Hals irgendwas verletzt worden? Ich hoffte es nicht.

Jetzt strich sein Atem nur noch schwach über meine Hand.

Dann hörte ich ein weiteres Husten, das stärker wurde und schließlich seinen kompletten Körper schüttelte. Verzweifelt hielt ich ihn fest, umklammerte seine Glieder mit meinen.

Das klang gar nicht gut.

Mir war, als würde ich alles, was Rayn ausmachte, während seines Anfalls mit meinen beiden Händen zusammenhalten. Als wären diese das Einzige, was ihn davon abhielt, in Einzelteile zu zerfallen. Und wäre mein Herz nicht bereits zersplittert, so wäre es das jetzt, da ich seine Qualen miterlebte.

Qualen, für die nur eine Person verantwortlich war, erinnerte ich mich und suchte in mir nach dem Hass für ebenjene. Nach dieser wunderbar mächtigen Emotion, die mich schon ein Stück weit über mich selbst hatte hinauswachsen lassen.

»Du.« Pause.

Hoffnungsvoll blickte ich Rayn in die kaum geöffneten, umflorten Augen. Sein Bewusstsein war da und doch nicht wirklich da.

»Musst«, quetschte er jetzt rau hervor. Dann atmete er überraschend tief ein. Sein Brustkorb weitete sich besorgniserregend. »Da.« Er keuchte laut.

Vor Schmerz? Vor Anstrengung? Was musste ich wo?!

»Raus.« Damit sackte er in sich zusammen. Seine Lider schlossen sich. Seine Atmung ging unregelmäßig.

Starb er?

Ich begann zu hyperventilieren.

Die Schlacht der Elemente


Fassungslosigkeit hüllte mich in einen mentalen Flor des Bedauerns und der Trauer, wandelte mein zu schnelles Herzklopfen in ein Dahindriften meines Geistes. Mein Kopf schmerzte, meine Schläfen pochten.

Rayns Atemzüge gingen immer schleppender.

Ich verdankte ihm so viel und jetzt starb er auf meinen Knien inmitten einer Schlacht, die gar keine sein sollte. Die keinem Ziel diente; zumindest keinem, das sich mir erschloss.

Wäre meine Mutter Anführerin der Rebellen, wäre es ihr Ziel, Sinessa zu stürzen, den Kaiser zu stürzen – beide zu vernichten? Warum hatte sie sie nicht angegriffen? Wozu die Kämpfe mit Ivan und Rayn?

Heiß glühten meine Wangen, als ich Rayns mit meinen Händen umschloss, da sein Kopf fast von meinem Schoß rutschte.

In meinem Innersten suchte ich nach der Quelle meiner Macht, ging geistig immer weiter in mich, um sie mit bloßer Willenskraft zu packen und hervorzuzerren. Um sie mit der Kraft der Verzweifelten einzusetzen und hoffentlich irgendwie Rayns Leben zu retten.

Ich schluchzte laut auf, als ich das Ende eines hellen Energie­fadens, der nur in meinen Gedanken existierte, spürte. Der Weg zur Quelle meiner Magie! Doch er entglitt mir und ich litt, während ich erneut nach ihm suchte. Mein Brustkorb hob sich vor mühsam unterdrückten Schluchzern. Ungewollt verlieh dies auch Rayns schlaffer Gestalt den Anschein von Bewegung.

Tränen liefen mir in Strömen über die Wangen und nahmen mir die Sicht. Ich durfte jetzt nicht scheitern, oder er würde sterben. Eine unmenschliche Verantwortung.

Meine Nase war zu, ich konnte nur noch durch den Mund atmen. In einer verzweifelten Geste schloss ich die Augen, schloss alles aus, was passierte und passiert war. Dann begab ich mich in das Labyrinth meines Bewusstseins, folgte dem Gefühl von Macht, von Kraft, von Stärke. Der Energiefaden führte mich direkt an den Ort, den ich hatte finden wollen. Behände griff ich in die Masse aus hellem Licht vor mir, streckte meine Finger aus und zog daran. Als daraufhin ein noch kraftvollerer Faden entstand, wickelte ich intuitiv mehr und mehr davon ab.

 

In mir erwuchs der Gedanke, dass ich Rayn mit diesem Faden zusammenflicken konnte, seine Seele, sein Sein. Dass dieser Faden der Anfang einer heilenden Verpuppung sein könnte, wenn ich ihn um seine Gestalt wickelte – so wie es bei mir innerhalb der dritten Aufgabe der Regentschaftswahl die Ayuden gewesen waren. Dass er Rayns Bewusstsein in seinem Körper halten würde, bis dieser genas.

Ich wusste nicht, woher dieses Wissen auf einmal kam. Wusste nicht, ob ich verrückt wurde oder tatsächlich begann, auch innerlich eine Magicia zu sein – wie eine zu denken. Doch ich wusste, dass die Zeit drängte. Dass Rayn nicht mehr viel davon blieb und mir noch weniger, um ihn in dieser Welt zu halten.

Von Verzweiflung getrieben, ignorierte ich die inzwischen deutlich spürbaren Schmerzen, die ich mir selbst zufügte, indem ich an dem Licht zog und wickelte immer mehr von dem Faden zu einem lockeren Knäuel. Es prickelte dabei genau so, wie es zuvor schon der Fall gewesen war, als meine Haut begonnen hatte zu leuchten.

Erschrocken hielt ich einen Augenblick inne. Vorstellung und Realität überlappten sich daraufhin und verschwammen. Für einen Moment war ich ohne Fokus. Passierte all das nur in meinen Gedanken? Oder in echt? Wo war der Faden?

Gequält atmete ich ein, schloss die Augen und öffnete sie wieder. Erneut sah ich auf Rayns nun friedlich wirkende Gestalt hinunter und registrierte überrascht, dass der leuchtende Energiefadenknäuel tatsächlich in den Fingern meiner linken Hand lag. Das Leuchten meiner Gestalt durchbrach nun auch unter dem Schutz meiner Flügel die Dunkelheit.

Aus einer Eingebung heraus begann ich, Rayn vom Kehlkopf abwärts mit dem Faden zu umwickeln. Kurz darauf sah es aus, als wäre das Energieband ein verrutschter Heiligenschein, der nun wie eine verquere Kette um seinen Hals lag. Ich verbiss mir die Schmerzen von den Verbrennungen an meiner Hand sowie in meinem Innersten und wickelte unverdrossen weiter. Ächzte, als ich Rayns Körper herumdrehte, um den Faden rund um seinen Torso zu rollen, dann hob ich mit der rechten Hand einen seiner Füße an.

Besser beide Beine auf einmal umwickeln, erkannte ich dabei. Wie bei der Mumifizierung ägyptischer Pharaonen, flüsterte eine Stimme in meinem Hinterkopf.

Vor mich hin murmelnd ließ ich Rayns Fuß wieder sinken, versuchte seine beiden Beine mit einer Hand zu packen. Verdammt, warum hatte ich so kleine Hände?

Während meines Herumrangierens hoben und senkten sich automatisch meine Flügel. Licht von außen drang zu uns durch. Und die Geräusche von Gewehren, von Drohnensurren und einem andauernden dumpfen Stakkato, das den fortwährenden Angriff gegen den Schild beschrieb. Außerdem waren einzelne Schläge zu hören.

Einschläge, wurde mir klar, als ich durch den Spalt unterhalb meines rechten Flügels gelbes Licht ganz in der Nähe auf dem Marmor­boden glimmen sah. Lanahaa war längst nicht besiegt und es glich einem kleinen Wunder, dass bisher keine weitere Energiekugel ihres neuerlichen Angriffs meine Flügel getroffen hatte.

Schnell wickelte ich den restlichen Faden um Rayn. Dann legte ich ihm beide Hände an die Schläfen, schloss ein letztes Mal die Augen und wünschte ihm mit aller Macht meiner Gedanken und Mensay-Kräfte, dass er überlebte.

Als ich die Hände wegnahm und sich meine Lider langsam wieder hoben, ging etwas vor, ich spürte es genau. Und sah es schließlich auch: Rayns Umwicklung glühte immer heller im Licht der vier Gilden. In den Leerstellen zwischen den Fadenrunden hatte sich ein Schild gebildet, der seine Gestalt wie einen Kokon aus Scherben von gesponnenem Licht wirken ließ. Seine Züge waren unter der Helligkeit kaum noch zu erahnen. Aber er war in Sicherheit.

Nun konnte ihm nur noch die Magie helfen – ihn heilen.

Ich hatte alles in meiner Macht Stehende für ihn getan.

Durchatmend stand ich auf und klappte Kraft meines Willens meine Flügel zusammen. Das Tageslicht blendete mich und ich schwankte wieder, so viel Kraft hatte mich das – was auch immer ich gerade intuitiv mit Rayn gemacht hatte – gekostet.

Auf die Schärfung meines Sichtfelds folgte ein unmittelbarer Schock. Weitere Detonationen erschütterten den Grund. Rechts und links von mir waren Sinessa, Sir Isaac und Zweiauge noch immer mit dem Aussenden von Magie beschäftigt.

Ich eilte zu dem Krater, in dem ich Ivans Körper vermutete. Musste die Überreste aus einem inneren Zwang heraus nun doch sehen. Mein Puls stieg an.

Kein Fuß, kein Zeh, kein einziges Haar hatte Lanahaas Geschoss von Ivan übrig gelassen. Da waren nur Steine, Geröll, geschwärzte, verbrannte und geschmolzene Stellen.

Ich schmeckte Galle.

Das war der Tropfen, der das Fass in mir wortwörtlich zum Überlaufen brachte. Der Kräfte in mir entfachte, von denen ich keine Ahnung gehabt hatte, sie zu beherrschen – schon gar nicht in dem Moment.

Wut pulsierte heiß durch meine Adern, Abscheu, Geringschätzung und Hass folgten ihr auf den Fuß. Das alte Spiel. Doch dieses Mal fühlte es sich anders an. Gänsehaut hüllte mich von den Zehen bis zur Nasenspitze ein, so stark waren die Emotionen. Bevor ich wusste, was ich tat, hatte ich mich mit aller Kraft gen Himmel katapultiert und die Flügel ausgebreitet.

Ich hatte nichts mehr zu verlieren. Ivan war fort! Sein Körper war wieder Staub in dem Staub, aus dem wir alle entstammten. Rayn war bestmöglich versorgt. Und ich würde die Schuldige lehren, wie es sich anfühlte, dessen beraubt zu werden, was einem etwas bedeutet hatte.

Wenn in ihrem kalten Herzen nur ein Funke Gefühl übrig war, dann würde sie leiden! Würde verstehen, was es hieß, wenn jemand nichts mehr von einem übrig ließ. Alles zerstörte – und doch nicht genug zerstörte, wenn man noch atmete.

Die Abneigung färbte mein Gesichtsfeld zu einem rot-schwarz umwölkten Bereich. Ich sah, wie die Haut an meinen Armen immer heller glühte, bis sie fast verglühte, die Knochen durchschimmerten und ich begann, komplett in Flammen zu stehen. Echten, heißen, beißenden Flammen. Sie wurde zu einem Ebenbild der Verfassung meiner Seele. Immer gleißender züngelte die Magie meines Elements um meinen Körper und meine Flügel. Immer blendender wurde sie, bis sich die Flammen von Rot-Gelb zu einem Weiß-Blau färbten. Jetzt war für vieles auf diesem Planeten schon ein einziger Kontakt mit mir tödlich.

Meine Nasenflügel weiteten sich, als ich Lanahaas Wolkenthron näher kam. Unverdrossen stand sie auf der obersten Stufe. Ihre Haare wogten im magischen Wind, ihre Miene wirkte glatt, während sie weiter Energiebälle in Richtung Bühne schleuderte.

Das dunkellila Kleid, das sie trug, erzeugte im Windzug ein lebendig klingendes Rascheln. Eine riesige Wolkenschlange wand sich inzwischen in weit ausholenden Kreisen über ihrem Kopf und zischte gefährlich in meine Richtung. Das große Maul öffnete sich und eine lange, gespaltene Zunge schnellte hervor, die sich allerdings in der Luft, weit vor mir, im Zug des Windes zersetzte.

Das Schauspiel entlockte mir nur ein lapidares Mundwinkelzucken, während ich meine Flügelschläge beschleunigte. Damit wollte sie mich erschrecken? Konnte sie nicht mehr? War sie etwa erschöpft?

Geschickt wich ich durch einige flinke Bewegungen der Energie aus, die sie mir nun entgegenschleuderte. Manövrierte wie ein Kaninchen im Zickzacklauf unter ihrem immer schneller werdenden Beschuss durch die Luft. Noch ein paar kräftige Flügelschläge, dann …

Der Wind um uns nahm zu, bis er innerhalb von Sekunden eine orkanartige Stärke erreichte. Ich wurde von den Böen regelrecht ausgebremst. Die Muskulatur an meinem Rücken ging bis ans Äußerste, um mich in der Luft zu halten. Arbeitete und arbeitete immer schneller, um der heraufbeschworenen Naturgewalt zu trotzen, die nicht abebbte. Meine Flügel kamen allerdings an ihre Grenzen.

Da stürzte sich die Wolkenschlange im Sinkflug auf mich.

Ich versuchte ihr intuitiv auszuweichen. Doch gegen den Wind zu manövrieren wurde immer schwerer. Die Anstrengung trieb mir Schweißperlen auf die Stirn, meine Muskeln brannten.

Die Schlange hatte mich fast erreicht.

Aber selbst wenn sie mich angriff: Mein Feuer würde die Wolken in das verwandeln, was sie waren – Wasser. Und dann würde es bestenfalls regnen, wobei die Tropfen eher direkt verpuffen würden, wenn es zu heiß wurde. Diesen Kampf würde ich gewinnen, war das Lanahaa nicht klar?

Uns trennten nur noch wenige Meter.

Die Schlange rauschte auf mich zu. Sie wuchs mit der Bewegung weiter an, riss ihr Maul auf, während ich meine Hände nach oben streckte und meine Flügel zu ihrer vollen Spannweite entfaltete. Ich wollte so viel Fläche wie möglich erzeugen, ein so großes Feuer sein, wie es nur ging. Sie auf einen Schlag vernichten – oder mindestens so viel von ihr erwischen wie ich konnte. Denn die Wahrheit war: Meine Kräfte schwanden wieder.

Dass Lanahaa keine zusätzlichen Energiekugeln schickte und sich aufs Beobachten beschränkte, hätte mir zu denken geben sollen. Doch alles ging so schnell.

In der einen Sekunde stierte ich noch der Schlange entgegen, in der nächsten hatte sie mich mit ihrem riesigen Maul verschlungen und klappte es zu. Die Wolkenberge ihres mächtigen Leibes wurden durch mein Feuer erhitzt und wandelten sich innerhalb von Nano­sekunden zu Wassertropfen, die in einer Flut auf mich niederprasselten. Die Welle, die so verursacht wurde und aufgrund der Schwerkraft gen Boden strebte, riss mich mit sich fort. Tonnen an Wasser drückten mit ihrem Gewicht gleichzeitig auf meinen Körper; hüllten mich ein und zogen mich in einem ungleichen Todeskampf in die Tiefe.

Ich bekam keine Luft mehr. Sah nur noch blau und kniff, vom überwältigenden Drang in meinem Inneren geleitet, die Augen zu. Überall war Wasser. Ich ertrank. Ertrank mitten in der Luft, in einem ganzen Schwall davon.

Mein Kopf wusste, wie irreal die Situation war, dass das Wasser eigentlich schneller fallen sollte als ich, weil es schwerer war. Dass es verdampfen sollte. Doch ich fühlte nicht nur, wie ich ertrank – oder ertränkt wurde –, mein Körper sagte mir ganz deutlich, dass es zu Ende ging.

Wirklich zu Ende ging.

In einem Reflex atmete ich aus. Der Sauerstoff stieg in Luftblasen aus meinen Nasenflügeln, kitzelte dabei die empfindliche Haut sowie an den feinen Härchen der Schleimhäute und ich musste niesen.

Mein ganzer Körper krümmte sich zusammen, meine Flügel wurden von den Wassermassen weiter nach unten gedrückt. Der Schmerz an meinem Rücken, der durch die gegensätzlichen Bewegungen entstand, riss mich fast entzwei. Es tat weh. So weh! An meinen Schulterblättern, der Wirbelsäule und dem Genick.

Mein Mund öffnete sich in unaufhaltbarer Wehklage. Wasser strömte mir über die Zunge an den Gaumen, ließ mich würgen und verstärkte das Gefühl zu sterben. Schmerz, da war nur noch Schmerz, überall. Doch das Schlimmste war, dass ich so noch mehr kostbaren Sauerstoff verschenkt hatte.

Luft! Ich brauchte Luft!

Meine Gedanken verlangsamten sich bereits. Mein Brustkorb begann sich zu heben. Nein!, schrie eine Stimme in meinem Innersten. Luft!, plärrte eine andere. Tu es!, eine dritte. Du wirst so oder so sterben, sagte der rationale Teil, der übrig war. Deshalb ist es jetzt ohnehin egal, falls du inzwischen – bei all diesen Stimmen in deinem Kopf – verrückt geworden bist.

Trotzdem kämpfte ich mit mir. Kämpfte gegen den inneren Drang, noch einmal den Mund zu öffnen.

Ich wollte nicht sterben.

Schließlich, wie zu erwarten, atmete ich doch ein. Statt Luft sog ich Wasser durch meine Nasenflügel nach oben. Mir war, als würde plötzlich das Ende des gewaltigen nassen Schlangenschwanzes vernichtend vor mein Gesicht gedrückt. Wasser, Wasser, Wasser – überall nur verschwommenes Blau. Graublau, tödliches Blau!

Unfähig zu erkennen, ob ich ein- oder ausatmete und von mehr Panik erfasst als von Wasser umgeben, wusste ich nur noch einen Ausweg.

Wieder schloss ich die Augen.

Wieder griff ich nach dem Zentrum der Kraft in mir. Und obwohl es nun schon nicht mehr so hell leuchtete, bewegte ich mich innerlich immer näher darauf zu. Labte mich an seinem Lichtschein, trat schließlich in das verheißungsvolle Leuchten und kämpfte mich weiter vor, von der Intuition getrieben, den Kern berühren zu wollen.

 

Jeder Schritt war beschwerlich, jede Bewegung ein Kampf mit mir selbst – wahrscheinlich weil mein Körper gerade jeder Kraft beraubt wurde. Das Wasser hätte längst verdampft sein müssen, da das Feuer in und an mir noch brannte. Doch es wurde von irgendetwas daran gehindert. Oder eher: irgendwem. Lanahaa.

Nach qualvollen Sekunden hatte ich die Quelle meiner magischen Kraft gefunden: Ein pulsierender Wirbel, eine Masse aus fließendem Licht, die fortwährend ihre Gestalt änderte. Mein Geist begann träger zu werden. Die Schönheit des Augenblicks lullte mich ein und ich überlegte, ob ich nicht einfach hierbleiben sollte, inmitten all der sorgen­­­­freien Einzigartigkeit.

Es wäre so einfach, so bequem … und ich war doch so unendlich müde.

Ganz am Rande meines Bewusstseins war mir jedoch klar, dass der Ort, an dem ich mich gerade befand, nicht real existierte. Dass ich meinem Bewusstsein etwas vorgaukelte, mir eine Eselsbrücke baute, die mich meine eigene Kraft nutzen ließ. Wenn ich mich jetzt dazu entschied, mich treiben zu lassen, würde ich sterben – würde mich aufgeben.

Nein!

Der unmittelbare Gedanke hallte durch Raum und Zeit, weckte mich mit seiner Intensität. Ich wollte leben. Leben! Ich versuchte daran anknüpfend den letzten Rest Emotion in mir zu aktivieren, versuchte daraus Kraft zu schöpfen. Doch im Vergleich zu all den Malen zuvor wollte es mir nicht recht gelingen. Ich fühlte mich ausgelaugt und viel zu schwach. So als hätte ich all meine eben noch so mächtige Magie gewirkt, meine Kraft verbraucht. Vielleicht hatte ich mich überschätzt. Das Feuer in mir und an mir köchelte gleichermaßen nur noch auf Sparflamme, bald würde es ausgehen.

Wie viele Meter mochten es bis zum Boden sein? Wie viele Sekunden waren verstrichen? Warum wollte ich noch mal leben?

Ivans Gesicht drängte sich in meinen gedanklichen Fokus. Seine grünen Augen und der rötliche Haarschopf, der ihn so besonders machte. Ich würde den Sexiest Man Alive nie wiedersehen. Weil er nicht mehr ›alive‹ war, nicht mehr lebte. Sie hatte ihn getötet. Und dafür musste sie sterben! Dafür wollte ich leben.

Die Flamme meiner Kraft züngelte wieder stärker in mir. Ich kämpfte gegen das Gefühl des Ertrinkens an. Versuchte mich von meiner Situation zu distanzieren, um herauszufinden, wie ich ihr entkommen konnte. Was war real? Gegen was musste ich ankämpfen?

Dann war es plötzlich vorbei.

Das Wasser war weg und mit ihm das Gefühl zu ertrinken. Luft umgab mich, die ich reflexartig tief in meine Lunge zog. Dabei entstand ein ungesund pfeifendes Geräusch. Irgendetwas fühlte sich furchtbar falsch an. Obwohl es sich doch …

Mein Körper erstarrte zeitgleich mit meinen Gedanken. Mein gepeinigter Blick irrte umher. Meine Augen brannten, während ich verwundert registrierte, dass ich schwebte – aber nicht aus eigener Kraft. Meine Flügel hingen mir nass und schwer am Rücken. Sie bewegten sich keinen Zentimeter.

Was …?

Ich versuchte so viel wie möglich zu erfassen, um meinem Gehirn Informationen zu liefern. Wollte die Situation um mich so schnell wie möglich begreifen. War in unmittelbarer Alarmbereitschaft für den nächsten Angriff.

Doch dieser blieb aus.

Lanahaa bewegte sich seelenruhig in der Luft vor mir. Sie hatte sich von ihrem Thron gelöst und schwebte, ähnlich Rayns surfenden Bewegungen zuvor, hin und her.

Ich blinzelte, stand unter Schock. Wir befanden uns noch immer hoch oben, über dem Platz. Wenn ich mich nicht täuschte, nur wenige Meter von der Position entfernt, an der die Schlange ihr Maul aufgerissen hatte.

Ich starrte der Frau im lilafarbenen Kleid entgegen. Sah sie blasser aus als zuvor? War sie nun erschöpft? Ich war es definitiv.

Sie starrte unverwandt zurück. Ihre Bewegungen wurden langsamer, bis ihre Gestalt in der Luft zum Stillstand kam. Genau vor mir.

Und genau dann fiel bei mir endlich der Groschen.

Nicht die Wassermassen der Schlange waren es gewesen, die mich überschüttet hatten. Nein, die Schlange war vielleicht noch echt gewesen – ein Wolkengebilde. Aber das Einbüßen meiner Sicht, die Verwirrung meiner Sinne – alles, was im vermeintlichen Leib des Tieres über mich herein­gebrochen war, war eine Illusion gewesen. Eine verdammt gute. Lanahaa hatte mich mit den Winden in der Luft festgehalten, wie sie es auch gerade tat, ohne dass ich es gemerkt hatte – in meinem Tunnel der geistigen Umnachtung –, und mich kontinuierlich mit immer mehr Wasser überschüttet. Oder mir das zumindest vorgegaukelt.

Meine Mutter hatte mich gefoltert, um mich zu schwächen. Genau wie mit dem magischen Käfig, der mich viel zu lang beschäftigt hatte. Der Gedanke schluckte sich wie Zyankali. Es war eine bittere Pille voll Gift.

Sie hatte mich einer Art magischem Waterboarding unterzogen. Und es hatte funktioniert. Das simulierte Ertränken hatte bei mir den Eindruck unmittelbar drohenden Ertrinkens hervorgerufen und den Würgreflex angesprochen. Die Foltermethode hätte mich allerdings auch um ein Haar umgebracht. Meine Mutter hatte die Gefahr des Eindringens von großen Mengen an Wasser in meine Luftröhre und meine Lunge mit nachfolgendem Ertrinken in Kauf genommen. Und damit meinen Tod.

Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter, als das Grauen all dessen in mein Bewusstsein sickerte. Der Schock der Erkenntnis brachte das letzte Flackern der Flamme in mir mit sich. Dann ging sie aus.

Eine ungeheure seelische Ermattung hatte mich ergriffen und ich kämpfte nicht länger gegen die Erschöpfung in mir. Ich sah keine Hoffnung mehr und selbst Rache und Hass hatten ihren Reiz verloren. Ich war so tief verletzt, dass der Schmerz in meinem Innersten alles konsumierte. Er pochte unablässig und erinnerte mich daran, wie weh es tat.

Ivan war tot, Rayn war tödlich verletzt und auch ich war gerade fast getötet worden, wieder einmal – allerdings dieses Mal infolge von Folter durch meine eigene Mutter.

Ich schloss die Augen, wollte am liebsten die Erinnerung an alle Geschehnisse und Wahrheiten des heutigen Tages aus meinem Gedächtnis löschen. Als es jedoch Sekunden später vor meinen Lidern immer heller leuchtete und ein markerschütternder Schrei in mein Bewusstsein drang, riss ich sie ein letztes Mal auf.

Lanahaas Gestalt glühte im Licht dreier riesiger Magiebälle, die gerade ihren Körper trafen. Einer riss sie an ihrer Schulter herum, einer drang von vorn in ihr Herz und der dritte von hinten in den Rücken. Grelle Lichtblitze und ein lauter Knall begleiteten die großen Energie­mengen, die in mehreren Explosionen an den Eintrittsstellen detonierten. Gelbe, weiße und blaue Magie umzüngelte ihre Extremitäten.

In meinen Gedankensirup kam Bewegung. Gelb, Weiß und Blau. Die Farben der Gilden der übrigen Magicians!

Obwohl Lanahaa sich sichtlich wehrte und zuckte, kam sie in der Luft ins Trudeln. Sie schrie schrill auf, als noch mehr Magie sie traf. Ihr Brustkorb wurde nach hinten gerissen, ihr Unterkörper nach vorne.

Bewegungslos verfolgte ich ihre Anstrengungen, sich zu stabilisieren. Sah das aufsteigende Grauen in ihren Augen und beobachtete stumm ihren Überlebenskampf, während sie schrie – so schrill und laut.

Schrei. Schrie. Schrie.

Es berührte mich seltsamerweise nicht. Ganz so, als wäre ich nur ein Voyeur – unbeteiligt, nicht wirklich anwesend. Als wäre das alles nicht real. Zu sehr hatte mein Geist bereits gelitten, um etwas zu empfinden. Und doch musste ihr jemand den finalen Schlag versetzen.

Aus dem Augenwinkel meinte ich einen Schatten wahrzunehmen, der sich mit rasanter Geschwindigkeit näherte. Wie in Zeitlupe drehte ich den Kopf, um der neuen Bedrohung entgegenzublicken. Noch eine Wolkenschlange? Ihre letzte?

Doch was ich sah, war ungleich erschreckender. Es überbot alles, was ich mir vorzustellen vermocht hätte. Es war … unmöglich!

Ich halluzinierte. Ganz eindeutig.

War ich gestorben, ohne es zu merken? Denn das, was ich meinte zu sehen, konnte nicht stimmen! Ich war verrückt geworden. Es gab kein Zurück. Oder?

Ivans Gestalt, in silbernem Hemd und mit firmamentblauer Anzughose, kam mit rasender Geschwindigkeit in einer blauen Blase auf uns zu. Er sah so unversehrt aus. Um ihm schwebte eine ganze Heerschar an kleinen blauen und weißen Magiekugeln, die er steuerte.