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Ein Briefwechsel

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

III.
Alexei Petrowitsch an Maria Alexandrowna

St. Petersburg, den 30. März 1840.

Besten Dank, Maria Alexandrowna, besten Dank für Ihr Schreiben, so trocken es auch ist. Bevor ich es erhielt, befand ich mich in der größten Aufregung, zwanzig Mal am Tage dachte ich an Sie und an meinen Brief. Sie können sich nicht vorstellen, wie höhnisch ich über mich selbst lachte, jetzt aber bin ich in einer ausgezeichneten Gemüthsstimmung und belobe mich selbst nach Verdienst. Maria Alexandrowna, ich beginne einen Briefwechsel mit Ihnen! Gestehen Sie, Sie hätten das nach Ihrer Antwort nicht erwartet; ich selbst bewundere meine Kühnheit! Aber beruhigen Sie sich, ich will nicht von Ihnen, sondern nur von mir zu Ihnen reden. Ich muß mich durchaus, um mich eines beliebten Ausdrucks zu bedienen, mit Jemandem aussprechen. Zwar habe ich kein Recht, Sie zu meiner Vertrauten zu erwählen, gewiß keines, aber ich verlange von Ihnen auch keine Antwort auf mein Schreiben, ich will sogar nicht wissen, ob Sie meine »Raisonnements« lesen oder nicht, aber ich beschwöre Sie, senden Sie mir meine Briefe nur nicht zurück.

Sehen Sie, ich stehe ganz allein in der Welt da. In der Jugend führte ich ein einsames Leben, obgleich ich, so viel mir erinnerlich ist, mich niemals als Byron drapirte. Zunächst waren es die Verhältnisse, und dann die Fähigkeit und die Neigung zu phantasiren, mein ziemlich kühles Temperament, mein Stolz, meine Trägheit, mit einem Worte, eine Menge verschiedener Ursachen, welche mich von der menschlichen Gesellschaft fern hielten. Der Uebergang aus der Welt der Phantasie in die wirkliche ist bei mir spät, vielleicht zu spät, ja vielleicht gar bis hierzu noch, nicht vollständig eingetreten. So lange meine eigenen Gedanken und Gefühle mich beschäftigten und zerstreuten, so lange ich fähig war, mich einem grundlosen, schweigenden Entzücken hinzugeben, beklagte ich meine Einsamkeit nicht. Ich hatte keine Kameraden, ich besaß nur sogenannte Freunde. Zuweilen that mir ihre Gesellschaft noth, wie eine Electrisirmaschine eines Conducteurs bedarf, aber eben nur in der Weise. Die Liebe . . . doch über diesen Gegenstand wollen wir einstweilen schweigen. Jetzt aber, ich muß es bekennen, drückt mich die Einsamkeit, und doch sehe ich keinen Ausweg aus meiner Lage. Ich kluge deßhalb nicht das Schicksal an, ich allein trage die Schuld und bin bestraft nach Gebühr. In der Jugend beschäftigte mich nur Eins: mein liebes Ich. Ich hielt meine gutmüthige Eigenliebe nur für Blödigkeit, ich mied die Gesellschaft – und jetzt bin ich meiner selbst erschrecklich überdrüssig. Was soll ich nun beginnen? Ich liebe Niemanden; alle meine Herzensempfindungen zu anderen sind gleichsam erzwungen und unwahr; ich besitze nicht einmal Erinnerungen, weil ich in meinem ganzen vergangenen Leben nichts als mein eigenes Ich finde. Seien Sie meine Retterin! Ihnen habe ich niemals mit Entzücken Liebe geschworen, Sie nie durch einen Schwall von Redensarten betäubt, ich ging vielmehr ziemlich kalt an Ihnen vorüber, und daher gerade wage ich jetzt, zu Ihnen meine Zuflucht zu nehmen. Würde ich es doch schon früher gethan haben, wenn Sie damals frei gewesen wären! Inmitten all meiner künstlichen und gemachten Empfindungen, Freuden und Leiden war das einzige wahre und aufrichtige Gefühl, die freilich geringe aber unfreiwillige Neigung zu Ihnen, welche damals wie eine vereinzelte Aehre unter wucherndem Unkraut verkam . . . Lassen Sie mich nur ein einziges Mal in ein fremdes Antlitz, in eine fremde Seele blicken, – mein eigenes Gesicht widert mich an! Ich gleiche einem Menschen, der verurtheilt ist, sein ganzes Leben in einem Zimmer mit Spiegelwänden zu verbringen. Ich verlange von Ihnen keine Geständnisse – bei Gott keine! Schenken Sie mir die stillschweigende Theilnahme einer Schwester, oder auch nur die einfache Neugier des Lesers – ich werde Sie interessiren, wahrhaftig, ich werde Sie interessiren.

Im Uebrigen habe ich die Ehre, als Ihr aufrichtiger Freund zu verharren.

A. S.. . .

IV.
Alexei Petrowitsch an Maria Alexandrowna

Petersburg, den 3. April 1840.

Abermals schreibe ich Ihnen, obgleich ich voraussehe, daß ich bei ausbleibender Gutheißung von Ihrer Seite bald verstummen werde. Ich begreife, daß Sie einiges Mißtrauen gegen mich hegen müssen. Sie haben möglicherweise Recht darin! Früher hätte ich Ihnen feierlich erklärt und mir selbst Vielleicht auf’s Wort geglaubt, daß , ich mich seit unserer Trennung »entwickelt habe,« fortgeschritten sei; mit einer nachsichtigem beinahe liebkosenden Verachtung hätte ich mich über meine Vergangenheit geäußert, mit einer rührenden Prahlerei hätte ich Sie in die Geheimnisse meines jetzigen wahren Lebens eingeweiht . . . jetzt aber, ich versichere Sie, Maria Alexandrowna, ist es mir sogar peinlich und widrig, daran zu denken, welche Rolle einst meine elende Eigenliebe gespielt und wie ich mir darin gefallen habe. Fürchten Sie sich nicht, ich werde Ihnen keine großen Wahrheiten, keine tiefen Einblicke auf drängen; ich besitze sie nicht – diese Wahrheiten, diese Einblicke. Ich bin ein einfacher, gewöhnlicher Mensch geworden – glauben Sie es mir. – Ich empfinde Langeweile, Maria Alexandrowna, ja, ich kann vor Langeweile nicht aushalten. Eben darum schreibe ich Ihnen, und . . . ich glaube in der That, daß wir uns verstehen werden. Dennoch aber fühle ich mich außer Stande, weiter zu Ihnen zu reden, bevor Sie mir nicht Ihre Hand gereicht haben, bevor ich nicht von Ihnen ein Schreiben mit dem einen Worte »ja« erhalten habe. – Maria Alexandrowna, wollen Sie mich zu Ende hören? – Das ist die Frage.

Ihr ergebener A. S. . .

V.
Maria Alexandrowna an Alexei Petrowitsch

Dorf . . »den 14. April.

Was sind Sie doch für ein seltsamer Mensch! Nun denn – ja!

Maria B. . .

VI.
Alexei Petrowitsch an Maria Alexandrowna

Petersburg, den 2. Mai 1840.

Hurrah! Dank, Maria Alexandrowna, tausend Dankt Sie sind ein sehr gutes und nachsichtiges Wesen.

Versprochenermaßen beginne ich von mir selbst zu reden und thue das mit einem Vergnügen, das an Appetit grenzt . . . ja, an Appetit. Von Allem in der Welt kann man mit Eifer, mit Entzücken, mit Begeisterung reden, aber mit Appetit nur von sich selbst.

In diesen Tagen ist mit mir etwas überaus Sonderbares vorgegangen: ich habe zum ersten Male einen Rückblick auf meine Vergangenheit geworfen. Sie verstehen mich: Jeder von uns denkt oft an das Vergangene – mit Bedauern oder Verdruß, oder zum bloßen Zeitvertreib, – aber einen kühlen, klaren Blick auf sein ganzes vergangenes Leben zu werfen – etwa wie ein Wanderer von einem hohen Berge auf das von ihm durchwanderte Thal zurückschaut – das vermag man nur in reiferen Jahren, und ein geheimnißvoller eisiger Schauer ergreift das Herz, wenn es zum ersten Male geschieht. Das meinige wenigstens zog sich schmerzhaft zusammen! So lange wir jung sind, haben wir solche Rückblicke nicht, meine Jugend aber ist dahin, und mir liegt, wie jenem Wanderer auf dem Berge, Alles klar und deutlich vor den Augen. Ja, dahin, unwiederbringlich dahin ist meine Jugend, und sie steht vor mir wie ein Bild im Rahmen. Ein trauriger Anblicks Wahrlich!i Maria Alexandrowna, ich bejammere mich selbst. Mein Gott! mein Gott! ist es denn möglicht daß ich bis zu diesem Grade mein eigenes Leben verdorben, mich so unbarmherzig hin und her gezerrt und gequält habe. . . Jetzt bin ich klug geworden, aber leider zu spät. Haben Sie jemals eine Fliege aus dem Netz einer Spinne gerettet? Ist Ihnen das begegnet? Erinnern Sie sich denn, wie Sie sie an die Sonne setzten; ihre Füße und Flügel sind zusammengeklebt, schwerfällig bewegt sie sich und ist mit aller Anstrengung bemüht, sich vom Spinnengewebe zu reinigen. Noch langen Versuchen erholt sie sich einigermaßen, kriecht, versucht die Flügel auszustrecken . . . umsonst! nicht mehr kann sie, wie früher, herumschwirren, nicht mehr sorglos im Sonnenschein summen, um bald durch das geöffnete Fenster in‘s kühle Zimmer zu fliegen, bald wieder in die heiße Sommerlust zurückzukehren . . . Sie aber ist wenigstens nicht freiwillig in das verrätherische Netz gerathen . . . wie ich, der ich meine eigene Spinne gewesen bin. Und dennoch kann ich mir nicht einmal die ganze Schuld hieran beimessen, denn wer, sagen Sie mir, wer trägt jemals an irgend Etwas die Schuld – allein? Oder besser gesagt, tragen wir nicht Alle Schuld, ohne, daß man uns dessenungeachtet anklagen darf? Die Verhältnisse wirken bestimmend auf uns ein; sie stoßen uns ans diesen oder jenen Weg, und nachher üben sie selbst das Strafamt an uns aus. Jeder Mensch hat sein Schicksal . . . Sehen Sie. Da fällt mir eben ein etwas weit hergeholter, aber treffender Vergleich ein. Wie die Wolken sich erst aus den Dünsten der Erde bilden, aus deren Schooß emporsteigen, sich dann von ihr absondern und entfernen und endlich, Segen oder Vernichtung bringend, wieder zu ihr zurückkehren, so gestaltet sich um einen Jeden von uns, und zwar aus uns selbst, eine . . . wie soll« ich es nennen? eine Art Atmosphäre, welche zerstörend oder segenbringend auf uns zurückwirkt. Diese Atmosphäre eben – nenne ich Schicksal. Mit anderen Worten und einfacher gesagt: Jeder ist zugleich der Schöpfer und das Geschöpf seines Schicksals . . .

Jeder also ist selbst der Schöpfer seines Schicksals – ja! . . . aber unsereins ist es zu sehr, und das eben ist unser Unglück! Zu früh schon erwacht in uns das Selbstbewußtsein; zu früh schon fangen wir an, uns selbst zu beobachten . . . Wir Russen haben keine andere Lebensaufgabe, als die, unsere eigene Persönlichkeit immer auf‘s Neue durchzuarbeiten, und kaum haben wir die Kinderschuhe ausgetreten, so beginnen wir schon damit. Keine bestimmte Richtung wird uns von außen her gegeben, Nichts achten, an Nichts glauben wir wahrhaft, und so hoben wir freie Bahn, aus uns zu machen, was uns irgend beliebt. Nun aber ist nicht von Jedem zu verlangen, daß er sofort die Unfruchtbarkeit des in gegenstandsloser Selbstbewegung verpuffenden Geistes einsehe, – und was dabei herauskommt, ist daher nichts Anderes als wiederum eine jener geistigen Mißgeburten, eine jener nichtigen Existenzen, in denen selbst der angeborene Trieb nach Wahrheit durch die überwuchernde Eigenliebe in sein Gegentheil verkehrt wird, in denen lächerliche Einfalt mit verächtlicher Verschmitztheit sich paart und die, in einer ohnmächtigen Unruhe des Denkens sich verzehrend, niemals weder die Befriedigung einer ernsten Thätigkeit, noch den Schmerz eines wahren Leidens, noch auch den Triumph einer siegenden Ueberzeugungstreue kennen lernen. Indem wir in uns die Fehler aller Altersstufen vereinigen, nehmen wir zugleich einem jedem dieser Fehler seine gute, versöhnende Seite; wir sind dumm wie die Kinder, aber wir sind nicht aufrichtig wie sie; wir sind kaltblütig wie die Greise, aber ihre Besonnenheit fehlt uns. . . Dafür aber sind wir Psychologen! O ja, wir sind große Psychologen. Unsere Psychologie verirrt sich nur leider allzuoft in die Pathologie; ach über unsere Psychologie! – Dieses raffinirte Studium der Gesetze eines kranken Seelenzustandes und einer kranken Geistesentwickelung, womit gesunde Menschen sich gar nicht zu befassen pflegen . . . Die Hauptsache aber ist, daß wir nie jung sind, selbst nicht in der Jugend.

 

Und dennoch – warum sich selbst verleumden? Als ob nicht auch wir einst jung gewesen wären! als ob nicht auch in uns die Kraft des Lebens pulsirt, gebraust, gelodert hättet O ja, auch wir waren in Arkadien geboren, auch wir haben aus jenen lichten Auen gewandelt! . . . Sind Sie beim Durchstreifen eines Gebüsches jemals auf jene dunkelfarbigen Grillen gestoßen, die, unter Ihren Füßen hervorspringend und mit Geräusch ihre feuerrothen Flügel ausbreitend, einige Schritt weit fliegen, um alsbald wiederum in das Gras zurückzusinken? Ebenso hat auch unsere farblose Jugend zuweilen auf einige Augenblicke zu kurzem Fluge ihre bunten Schwingen entfaltet . . . Erinnern Sie sich unserer stummen Abendspaziergänge zu Vieren längs der Hecke Ihres Gartens nach irgend einem langen lebhaften, heißen Gespräche? Erinnern Sie sich jener glücklichen Stunden, da die Natur uns freundlich in ihren unermeßlichen Schooß aufnahm und wir uns mit ersterbenden Sinnen wie in eine Fluth von Wonnegefühl versenkten? Plötzlich erglühte die Abendröthe und hüllte Alles um uns her in die zarteste Purpurfarbe, und von dem schimmernden Himmel, von der magisch beleuchteten Erde – überall her wehte es uns an mit einem Hauche feurig-frischer Jugend, freudig-unsterblichen Glücks. Wie die Abendröthe am Himmel, so loderten still und leidenschaftlich unsere entzückten Herzen, und die kleinen Blätter der jungen Bäume zitterten leise und unruhig über uns, gleichsam wie ein Wiederhall des Gewoges von unklaren Gefühlen und Hoffnungen in unserer Brust. Erinnern Sie sich jener Reinheit, Güte und Gläubigkeit unserer Zukunftspläne, jenes rührenden Edelmuths unserer Hoffnungen, jener Schweigsamkeit unserer vollen Herzen – und sagen Sie selbst: waren wir damals nicht eines besseren Looses würdig als das ist, was uns seitdem zu Theil geworden? Weßhalb war es uns beschieden, nur zuweilen das ersehnte Ufer in der Ferne zu erblicken, niemals es zu betreten , niemals auf ihm zu rasten!

 
»Nicht Freudenthränen, gleich den Kindern Israels,
»Zu weinen an der Schwelle des gelobten Landes?
 

Diese beiden Verse von Fet rufen mir seine übrigen in‘s Gedächtniß. . . Erinnern Sie sich, wie wir einst , auf dem Wege stehend, ein Wölkchen rosenrothen Staubes in der Ferne erblickten , welches von einem leichten Windhauche gegen die untergehende Sonne emporgetragen wurde? »In fernhin wirbelnder Wolke«, begannen Sie, und wir verstummten sogleich und hörten zu: