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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Einundzwanzigstes Capitel

Der umwölkte Himmel hing niedrig über der Erde; und wenn es auch nicht so dunkel war, daß das Auge die weißlich schimmernden Fahrgeleise nicht zu unterscheiden vermocht hätte, so flossen doch die einzelnen Gegenstände rechts und links von der Straße zu großen, formlosen Flecken zusammen; es war eine trübe, eine unsichere Nacht. Der in plötzlichen, wenn auch nicht heftigen Stößen entgegenwehende Wind war feucht; er roch nach Regen und nach den breiten Getreidefeldern, über die er dahingestrichen. Als sie, nachdem sie an einem Eichenbusche, der als Merkzeichen diente, vorbeigekommen, in den Seitenweg einbogen, schien es noch dunkler geworden zu sein, so daß der Kutscher den schmalen Fahrweg zuweilen gar nicht mehr zu sehen vermochte und nothwendiger Weise langsamer zu fahren begann.

– Wenn wir nur nicht vom Wege abkommen! – bemerkte Neshdanow, der bis dahin geschwiegen.

– Das ist unmöglich! – versetzte Markelow. – Es kommt kein Unglück allein – aber nicht an demselben Tage.

– Welches war denn das erste Unglück?

– Daß wir einen ganzen Tag verloren haben, – ist das denn gar nichts in Ihren Augen?

– Ja . . . natürlich . . . dieser Goluschkin!! – Wir haben zu viel getrunken. Mein Kopf schmerzt jetzt ganz entsetzlich.

– Ich spreche nicht von Goluschkin. Er hat uns wenigstens Geld gegeben; es ist unser Besuch also nicht ganz zwecklos gewesen.

– So bedauern Sie es also, daß Paklin uns zu seinen . . . wie nannte er sie doch gleich . . . zu seinen Inséparables geführt?

– Ich bedaure es nicht . . . und freue mich auch nicht darüber. Ich gehöre nicht zu Denen, die sich für solche Puppen zu interessiren vermögen . . . Ich meinte etwas Anderes.

– Was denn?

Markelow blieb ihm die Antwort schuldig, und machte in der Ecke eine Bewegung, als ob er sich einhülle. Die Züge seines Gesichts konnte Neshdanow in der Dunkelheit nicht mehr unterscheiden, er sah nur den Schnurrbart in Form eines kurzen schwarzen Querstrichs; aber er hatte schon seit dem Morgen gefühlt, daß Irgend Etwas an Markelow nage, daß er heimlich erbittert sei – und daß es vielleicht besser wäre, gar nicht daran zu rühren.

– Hören Sie, Ssergei Michailowitsch, – begann er nach einer kleinen Pause, – ist es denn wirklich wahr, daß Sie im Ernst an den Briefen dieses Kissljakow, die Sie mir heute gegeben, Gefallen finden können? Es ist ja inhaltsloses, albernes Zeug, was er da schreibt – entschuldigen Sie den scharfen Ausdruck.

Markelow richtete sich auf.

– Erstens, – begann er mit zornerregter Stimme, – erstens muß ich bemerken, daß ich Ihre Ansicht durchaus nicht theile, ich finde, daß es höchst bemerkenswerthe, gewissenhafte Briefe sind! Zweitens aber Kissljakow arbeitet und plagt sich ab, und namentlich glaubt er; er glaubt an unser Werk, an die Revolution! Ich muß Ihnen sagen, Alexei Dmitritsch, – mir scheint, daß Sie – sich sehr kühl dagegen verhalten, daß Sie keinen Glauben daran haben!

– Woraus schließen Sie das? – fragte ihn Neshdanow langsam.

– Woraus! Aus allen Ihren Worten, aus Ihrem ganzen Benehmen! – Wer hat heute bei Goluschkin erklärt, daß er die Elemente nicht sähe, auf die man sich stützen könnte? – Sie! – Wer hat verlangt, daß man ihm dieselben vorführen solle? – Sie! – Und als Ihr Freund, Herr Paklin, dieser Possenreißer und alberne Witzling, die Augen zum Himmel aufschlug und mit lauter Stimme erklärte, daß Niemand von uns ein Opfer zu bringen im Stande wäre, wer hat ihm beifällig zugenickt, seine Behauptung unterstützt? Sie ganz allein! – Sprechen Sie und deuten Sie von sich, wie und was Sie wollen . . . das ist Ihre Sache ich kenne aber Menschen, die Alles von sich gestoßen, was das Leben so schön macht – das Glück der Liebe selbst – um Ihrer Idee zu leben, um ihren Ueberzeugungen treu zu bleiben! – Sie freilich – Sie hatten heute andere Dinge im Kopf!

– Heute! Woher denn gerade heute?

– So spielen Sie doch nicht den Unschuldigen, glücklicher, myrthengekrönter Don Juan! – schrie Markelow, ohne an den Kutscher zu denken, der, ohne sich umzuwenden, jedes Wort vernehmen konnte. Freilich war derselbe im gegenwärtigen Augenblicke zu sehr von dem beschwerlichen Wege in Anspruch genommen, als daß ihn der Streit der beiden Herren hinter seinem Rücken hätte interessiren können – denn er zog gerade vorsichtig und sogar furchtsam das Femerpferd an, das, den Kopf unruhig umherwerfend, sich gegen den von einer ziemlich steilen Erhöhung – die hier eigentlich gar nicht am Platze war – gleitenden Tarantaß stemmte.

– Erlauben Sie – ich verstehe Sie nicht, – versetzte Neshdanow.

Markelow lachte laut auf – es war ein bitteres, gezwungenes Lachen.

– Sie verstehen mich nicht! Ha! Ha! ha! – Ich weiß Alles, mein Herr! Ich weiß, wem Sie gestern eine Liebeserklärung gemacht; ich weiß, wen Sie durch Ihr glattes Gesicht und Ihre beredten Worte bezaubert haben; ich weiß, wer Sie in seinem Zimmer empfängt . . . nach zehn Uhr Abends!

– Gnädiger Herr! – wandte sich der Kutscher plötzlich zu Markelow. – Haltet ein wenig die Leine . . . Ich will mal vom Bock steigen. . . Wir scheinen den Weg verfehlt zu haben . . . Hier muß wohl eine tiefe Grube sein. . .

Der Tarantaß lag in der That ganz auf der Seite.

Markelow ergriff die ihm vom Kutscher dargereichte Leine und fuhr eben so laut fort:

– Ich beschuldige Sie nicht, Alexei Dmitritsch! Sie haben die Gelegenheit benutzt. . . Sie waren im Recht. Ich will nur sagen, daß ich begreife, woher Sie jetzt so kühl sind, und ich wiederhole: – Sie haben andere Dinge im Kopf! Ich füge von mir aus auch noch die Frage hinzu: wo ist der Mensch, der im Voraus bestimmen könnte, woran ein Mädchenherz Gefallen finden wird – oder vorauszusagen wüßte, was es eigentlich wünscht!!

– Jetzt verstehe ich Sie, – erwiderte Neshdanow, – ich verstehe Ihre Erbitterung, ich errathe, wer uns belauscht und sich beeilt hat, Ihnen Alles mitzutheilen . . .

– Hier kommt nicht das Verdienst in Betracht, – fuhr Markelow fort und stellte sich an, als ob er Neshdanow’s Worte gar nicht gehört, indem er zugleich absichtlich jedes Wort langsam dehnte und nachdrücklich betonte, – auch nicht besondere moralische oder physische Eigenschaften. . . O nein! Es ist einfach . . . das verdammte Glück aller unehelichen Kinder . . . aller Bastarde!

Die letzten Worte hatte er rasch und abgebrochen hervorgestoßen – und war plötzlich verstummt.

Neshdanow aber fühlte trotz der Dunkelheit, daß er ganz leichenblaß geworden. Er mußte seine ganze Kraft zusammennehmen, um sich nicht auf Markelow zu stürzen und ihm nicht an die Gurgel zu fahren. . . »Mit seinem Blute soll er mir für diese Beleidigung büßen, mit seinem Blute. . .«

– Jetzt weiß ich, wo wir sind! – rief der plötzlich am Vorderrad auftauchende Kutscher, – habe zu sehr nach links gehalten . . . jetzt wird’s schon gehen! . . . Wir sind gleich zu Hause, haben kaum eine Werst zu fahren!

Er stieg, auf den Bock, nahm die Leine aus Markelow’s Hand und zog das Femerpferd zur Seite . . . Zwei starke Stöße . . . dann rollte der Tarantaß wieder ruhig und rasch dahin . . . Der dunkle Nebel schien plötzlich zu steigen man spürte in der Luft den Rauch eines Schornsteins etwas Großes, Formloses stieg aus der Erde auf da blinkte ein Licht und verschwand dort ein Anderes ein Hund begann zu bellen. . .

– Unsere Bauernhöfe, – murmelte der Kutscher und rief seinen Pferden freundlich ermunternde Worte zu.

Sie kamen den blinkenden Lichtern immer näher und näher . . .

– Nach der Beleidigung, die Sie mir angethan, – brachte Neshdanow endlich heraus, – werden Sie begreifen, Ssergei Michailowitsch, daß ich nicht unter Ihrem Dache bleiben kann, und so unangenehm es mir auch ist, bin ich doch gezwungen, Sie zu bitten, mit Ihren Tarantaß zu überlassen, damit ich sofort zur Stadt fahren kann. Morgen werde ich dann schon eine Möglichkeit finden nach Hause zu kommen, worauf Sie von mir die Meldung erhalten werben, die Sie wohl erwarten.

Markelow schwieg.

– Neshdanow, – rief er dann plötzlich leise, aber fast verzweifelnd aus. – Neshdanow! Um Gottes Willen, treten Sie bei mir ein – sei es auch nur, damit ich Sie aus den Knieen um Vergebung bitten kann! – Neshdanow!l Vergessen Sie vergiß, vergiß das unheilvolle Wort, das mir entfahren! Ach! wenn es nur Jemand wüßte, wie elend, wie elend ich bin! – Markelow schlug sich mit der geballten Hand aus die Brust – ein tiefes Stöhnen entrang sich derselben. – Neshdanow! sei großmüthig! Reich mir die Hand Vergieb mir, ich beschwöre Dich!

Neshdanow reichte ihm . . .zögernd seine Hand; er ergriff sie und drückte sie so fest, daß Neshdanow fast aufschrie.

Der Tarantaß hielt vor Markelow’s Hause. . .

Eine Viertelstunde daran saß Neshdanow in Markelow’s Kabinet.

– Höre! – begann Markelow. (Er nannte ihn jetzt »Du,« und in diesem unerwarteten »Du,« das an einen Menschen gerichtet war, in dem er einen glücklichen Nebenbuhler entdeckt, den er eben tödtlich beleidigt, den er hatte in Stücke zerreißen können, – in diesem »Du« lag das Geständniß rückhaltloser Entsagung, lag ein stilles, schmerzliches Flehen und gewissermaßen auch ein Recht, welches Neshdanow dadurch anerkannte, daß er dieses »Du« erwiderte.) – Höre! Ich habe Dir gesagt, daß ich dem Glücke der Liebe entsagt, um meiner Idee zu leben . . . Das ist nicht wahr, das war eitle Prahlerei! Es hat mich noch nie ein Mädchen geliebt, ich habe noch nie dem Lebensglück zu entsagen gebraucht! Wie ich geboren worden, ein Pechvogel, so werde ich sterben . . . Und vielleicht ist’s auch gut so, denn ich bin zu einem andern Werk geschaffen! – Wenn Du Beides vereinigen kannst lieben, geliebt werden . . . und unserer Sache dienen – nun, so bist Du ein ganzer Kerl und ich beineide Dich . . . aber ich selbst – ich kann es nicht. – Ich kann nicht! Du bist ein glücklicher Mensch, ein glücklicher Mensch! – Ich aber, ich kann es nicht!

 

Markelow hatte diese Worte gebeugten Hauptes, mit schlaff herabhängenden Armen auf einem niedrigen Stuhle kauernd, mit leiser Stimme hervorstoßen. In Gedanken versunken stand Neshdanow vor ihm, und wenn ihn Markelow auch einen glücklichen Menschen genannt hatte, er selbst fühlte sich nichts weniger als glücklich und sah auch nicht darnach aus.

– Die Eine hat mich in meiner Jugend betrogen . . . – fuhr Markelow fort – es war sein herrliches Mädchen – und hat einen Andern geheirathet und wen? Einen Deutschen!l einen Adjutanten!! – Marianne aber . . .

Er hielt an . . . Zum ersten Male war ihm ihr Name über die Lippen gekommen: es war als ob eine brennende Kohle sie gestreift. . .

– Marianne hat mich nicht betrogen: sie hat mir offen gesagt daß ich ihr nicht gefalle . . . Was ist da auch noch viel von Gefallen zu reden! – Sie hat sich Dir hingegeben . . . Was ist’s denn weiter? War sie nicht frei zu thun, was ihr beliebte!

– So hör’ doch, höre! – rief Neshdanow. – Was sprichst Du von Hingeben! – Ich weiß nicht, was Dir Deine Schwester geschrieben, aber ich schwöre Dir . . .

– Ich sage nicht, daß sie sich Dir physisch hingegeben – fiel Markelow ein, dem Neshdanow’s Ausruf offenbar nicht mißfiel – aber moralisch – mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele. – Und es ist gut, daß es so ist. Meine Schwester aber . . . Freilich hat sie nicht die Absicht gehabt, mich zu kränken . . . Das ist ihr übrigens vollkommen gleich; aber sie haßt Dich wahrscheinlich – und Mariannen auch. – Sie hat die Wahrheit gesagt Gott mit ihr!

»Ja,« – dachte Neshdanow, – »sie haßt uns.«

– Alles zum Besten, – fuhr Markelow fort, ohne seine Stellung zu ändern. – Jetzt bin ich frei von allen Fesseln, jetzt kann mich nichts mehr zurückhalten! Achte nicht darauf, daß Goluschkin ein eitler, selbstgefälliger Thor ist; das thut nichts. Und die Briefe von Kissljakow . . . sie mögen komisch sein . . . ich gebe es zu. Aber das Eine mußt Du berücksichtigen: er schreibt, daß Alles bereit sei. – Du wirst am Ende auch das bezweifeln?

Neshdanow schwieg.

– Mag sein, daß Du recht hast; aber wenn man immer warten soll, bis Alles, wirklich Alles fertig ist – dann wird man niemals anfangen können. Denn wenn man alle Folgen bedenkt – so wird’s gewiß auch schlechte darunter geben. Als unsere Vorgänger zum Beispiel die Bauernemanzipation durchführten, konnten sie es wohl ahnen, daß in Folge der Befreiung der Bauern von der Leibeigenschaft eine ganze Klasse von Wucher treibenden Gutsbesitzern auftauchen würde, welche den Bauern das Tschetwert verfaulten Roggens zu sechs Rubel verkaufen; dafür aber von dem Bauern erhalten: erstens: – (Markelow bog den einen Finger um) – Arbeit für volle sechs Rudel; dann: – (er bog den zweiten Finger um) – ein ganzes Tschetwert guten Roggens, und noch dazu – (er bog den dritten Finger um) – eine Zugabel d. h. sie saugen ihm das letzte Blut aus den Adern! Das haben die Eiferer für die Bauernemanzipation niemals voraussehen können – nicht wahr? Und selbst, wenn sie es Vorausgesehen hätten, bleibt es doch immer gut, daß sie den Bauern frei gemacht und nicht an alle möglichen Folgen gedacht haben. Und daher . . . habe auch ich mich entschlossen!

Neshdanow sah Markelow fragend an; dieser blickte jedoch zur Seite, zog die buschigen Brauen zusammen, daß sie über das Auge herabsielen, und biß sich Lippen und Schnurrbart.

– Ja, ich bin entschlossen! – wiederholte er, indem er sich mit der behaarten, dunklen Faust heftig auf’s Knie schlug. – Du kennst meinen Starrsinn ich bin ja ein halber Kleinrusse.

Er erhob sich und ging, als wäre er todtmüde, die Füße träge nach sich schleppend, in’s Schlafzimmer, von wo er ein kleines Porträt von Marianne unter Glas und Rahmen holte.

– Nimm! – sagte er mit ruhiger, aber schmerzerfüllter Stimme, das habe ich ein Mal selbst gezeichnet. Ich bin freilich ein schlechter Maler, aber ich glaube doch, daß es ähnlich ist (das mit Bleistift gezeichnete Porträt war wirklich ähnlich). – Nimm es, Freund, als mein Verrnächtniß. Mit diesem Porträt lege ich Alles in, Deine Hände – nicht meine Rechte . . . ich habe kein Recht auf sie . . . aber Du weißt – Alles! Ich übergebe Dir Alles – sie selbst. Es ist, Freund, ein wunderbares Wesen. . .

Markelow verstummte: schwere Athemzüge hoben und senkten die bewegte Brust.

– Nimm, – schloß er endlich. – Du zürnst mir doch nicht? So nimm denn das Porträt. Ich brauche jetzt nichts . . . nichts Derartiges . . .

Neshdanow nahm das Porträt; ein seltsames Gefühl beklemmte ihm die Brust. Es schien ihm, daß er kein Recht habe, dieses Geschenk anzunehmen, daß Markelow ihm dies Porträt vielleicht gar nicht gegeben hatte, wenn er Neshdanow in’s tiefste Herz geschaut . . . Er drehte, das kleine runde, längs dem schwarzen Rahmen von einem schmalen goldenen Streifen eingefaßte Bild in der Hand – und wußte nicht, was er jetzt thun sollte. – »Es ist ja ein ganzes Menschenleben, das ich hier in der Hand halte,« – dachte er. Er wußte das Opfer zu schätzen, welches Markelow ihm brachte, aber weshalb that er es, weshalb gab er denn gerade ihm, dies Porträt? – Es zurückgeben? Nimmermehr! Es wäre eine noch größere Beleidigung . . . Und ist es denn nicht endlich ein ihm theures Antlitz, liebt er sie denn nicht?

Neshdanow hob die Augen nicht ohne eine gewisse Befangenheit zu Markelow empor – es war ihm, als ob ihn Dieser anschauen müsse, als ob dessen Blick in das Innerste seiner Gedanken zu dringen versuche . . . Markelow aber blickte zur Seite und fuhr fort seinen Schnurrbart zu kauen.

– In diesem Augenblick trat der alte Diener mit einem Licht in der Hand in’s Zimmer.

Markelow richtete sich auf.

– Es ist Zeit zu Bette zu gehen, Freund Alexei! – rief er. – Ueber Nacht kommt Rath. Morgen kannst Du Pferde bekommen und Dich nach Hause aufmachen, und jetzt – gute Nacht!

– Gute Nacht, Alter! – fügte er plötzlich hinzu, indem er sich zum Diener wandte und ihm mit der Hand auf die Schulter schlug. – Gedenke meiner in Frieden!

Der Alte war so betroffen, daß er das Licht fast hätte aus der Hand fallen lassen, und der fest auf seinen Herrn gerichtete Blick drückte etwas Anderes aus, etwas, was mehr war als bloße Wehmuth.

Neshdanow ging auf sein Zimmer. Er fühlte sich matt, abgespannt, krankhaft erregt. Der Kopf war ihm so schwer von dem vielen Wein, in den Ohren vernahm er ein sausendes Klingen, vor den Augen drehten sich allerlei Gestalten: Goluschkin, Wassjka, Thömchen, Thymchen, in der Ferne aber sah er die unentschlossen zurückweichende Figur Mariannen’s. Alles, was er heute gethan und gesprochen, schien ihm so falsch, so unnütz, so flach und nichtig . . . das aber, warum es sich eigentlich handelte, wonach er streben sollte, – das war unerreichbar, unergründlich, tief im Schacht der Erde vergraben. . .

Er wollte aufstehen, hinuntergehen zu Markelow, ihm sagen: nimm Dein Geschenk, nimm es zurück! . . .

– Welch elendes Spiel ist das Leben! – rief er endlich aus.

Am andern Morgen fuhr er schon früh davon. Markelow stand von einem Kreis von Bauern umgeben auf dem Flur. Ob er sie zusammengerufen, oder ob sie von selbst gekommen – das erfuhr Neshdanow nicht; Markelow verabschiedete sich von ihm in kühler, einsilbiger Weise er hatte, so schien es wenigstens, den Bauern Etwas Wichtiges mitzutheilen. Auch der alte Diener mit dem unveränderlich wehmüthigen Blick stand wieder neben seinem Herrn.

Der Tarantaß jagte durch die nahe Stadt hindurch und flog nun auf der offenen Landstraße eilig dahin. Es waren dieselben Pferde, mit denen Markelow und Neshdanow am vorhergehenden Abend aus der Stadt gekommen waren, und kam es nun daher, daß der Kutscher in dem reichen Hause Ssipjagin’s ein gutes Trinkgeld zu erhalten hoffte oder geschah es aus anderen Gründen – kurz, die Pferde liefen ausgezeichnet. Es ist aber bekannt, daß dies immer der Fall ist, wenn der Kutscher schon etwas Branntwein getrunken hat oder mit Sicherheit darauf rechnet, daß er später Geld zum Branntwein erhalten werde.

Es war ein frischer, echter Junimorgen: hohe, rasche Wolken am blauen Himmel, ein starker, gleichmäßiger Wind, die nach dem gestrigen Regen staubfreie Landstraße, die am Wege rauschenden, glitzernden Weiden – überall beflügelte Bewegung und strömendes Leben – von den fernen Hügeln, über grüne Schluchten hinweg, dringt, wie ein helles, feines Pfeifen, der Schlag der Wachtel herüber, als hätte auch er Flügel, die ihn durch die Lüfte trügen – in den warmen Sonnenstrahlen sonnen sich schwarze Ackerkrähen – am fernen Horizont scheinen sich dunkle Käfer zu rühren und zu regen es sind die Pferde der Bauern, die ihre Felder umackern.

Theilnahmlos glitt Neshdanow’s Blick über Alles hinweg, – er war so vertieft in seine grüblerischen Gedanken, daß er gar nicht bemerkte, wie er bereits auf dem Gute Ssipjagins war . . . Als er plötzlich das Dach des Hauses erblickte, den obersten Stock, Mariannen’s Fenster – fuhr er zusammen. – »Ja,« – sagte er zu sich selbst und es wurde ihm mit einem Male so warm um’s Herz, – »er hat Recht – es ist ein gutes Wesen – und ich liebe sie.’«

Zweiundzwanzigstes Capitel

Neshdanow kleidete sich hastig um und begab sich sogleich zu Kolja, dem er um diese Zeit eine Stunde zu geben hatte. Im Eßzimmer stieß er auf Ssipjagin der ihn zwar höflich, aber kalt begrüßte, und sich darauf mit der gleichgültig hingeworfenen Frage, ob es ihm auf der Fahrt gut ergangen sei, in sein Kabinet zurückzog. Der große Staatsmann hatte in seinem Ministerverstande bereits beschlossen, den Lehrer, der »in der That zu roth« war, sobald die Ferien zu Ende, nach Petersburg zurück zu schicken, bis dahin aber ihn nicht aus den Augen zu lassen. »Je n’ai pas eu la main heureuse cette foisci,« dachte er bei sich, »übrigens – »j’aurais pu tomber pire«. Valentine Michailowna’s Gefühle dagegen waren viel ausgesprochener, viel leidenschaftlicher – sie haßte Neshdanow jetzt . . . Dieser Bube! . . . er hatte sie beleidigt! – Marianne hatte sich nicht geirrt: es war wirklich Valentine Michailowna gewesen, welche an der Thür gehorcht hatte . . . Die aristokratische Dame verschmähte es nicht, zu solchen Mitteln zu greifen, wenn es ihr nöthig schien. Im Verlauf der zwei Tage, an welchen Neshdanow abwesend war, hatte sie ihrer »leichtsinnigen« Nichte gegenüber nichts über die Sache verlauten lassen, hatte ihr aber ununterbrochen zu verstehen gegeben, daß sie Alles wisse, daß sie ernstlich in Zorn gerathen wurde, wenn sie nicht so erstaunt wäre – und daß sie noch mehr erstaunen würde, wenn sie Marianne nicht bemitleidete, sie nicht geringschätzte. . . Ein wohlverborgenes, inneres Verachten füllte ihre Wangen, Spott und doch zugleich Mitleid drückten die emporgehobenen Brauen aus, wenn sie Marianne ansah, wenn sie mit ihr sprach; die wunderbaren, weichen Augen ruhten mit einem leisen, sittsamen Staunen, mit einem gewissen leiderfüllten Widerwillen auf dem Antlitz des »trotzigen« Mädchens, welches nach allen ihren »Phantasien und Excentricitäten« damit endete, daß sie sich von einem armseligen Studenten in dunklem Zimmer zu wiederholten Malen . . . küssen ließ!

Arme Marianne! Ihre stolzen strengen Lippen hatte noch nie ein Kuß berührt.

Ihrem Mann verschwieg Valentine Michailowna die Entdeckung, die sie gemacht; sie begnügte sich damit, bei Gelegenheit einiger Worte, die sie in seiner Gegenwart an Marianne richtete, ein bedeutungsvolles Lächeln blicken zu lassen, welches von dein Inhalt ihrer Rede keineswegs bedingt war. Valentine Michailowna bereute es sogar, ihrem Bruder den bewußten Brief geschrieben zu haben . . . Sie kam übrigens bald zu der Ueberzeugung, daß es besser sei zu bereuen und den Brief doch geschrieben, als nicht zu bereuen und dem Bruder nichts mitgetheilt zu haben. . . .

Marianne hatte Neshdanow nur im Fluge am Frühstückstische gesehen. Er fand, daß sie mager und blaß war, und daß sie eher schlecht als gut aussah; der rasche Blick jedoch, den sie auf ihn warf, als er in das Zimmer trat, drang ihm tief in das Herz. Dafür schaute ihn aber Valentine Michailowna in einer Weise an, als wollte sie sagen: »Ich gratulire! Vortrefflich! Sehr geschickt!« und suchte zugleich aus seinem Gesicht die Antwort auf die in Gedanken ausgeworfene Frage zu lesen, ob ihm Markelow ihren Brief wohl gezeigt habe oder nicht. – Sie kam endlich zu dem Resultat, daß Neshdanow den Brief gelesen.

Als Ssipjagin erfuhr, daß Neshdanow auf der von Ssolomin geleiteten Fabrik gewesen, erkundigte er sich bei ihm sofort nach dieser »in jeder Hinsicht höchst bemerkenswerthen industriellen Anstalt«; als es ihm jedoch aus Neshdanow’s Antworten klar wurde, daß dieser dort gar nichts gesehen hatte, verstummte er plötzlich in stolz-erhabener Weise, als ob er sich selbst darüber wundere, daß er von diesem unreifen Subjekt noch thatsächliche Angaben irgend welcher Art hatte erwarten können! – Als er das Eßzimmer verließ, flüsterte ihm Marianne zu:

 

– Erwarte mich im Birkenhain; ich komme sobald es nur möglich ist.

»Auch sie sagt: »Du« zu mir, wie Markelow,« dachte Neshdanow. Es war ihm so angenehm, daß sie ihn »Du« nannte, wenn es ihm auch etwas wunderlich vorkam! . . und es wäre doch sonderbar gewesen – es war so auch unmöglich – hätte sie plötzlich »Sie« zu ihm gesagt und sich von ihm abgewandt. . .

Er fühlte, daß es sein Unglück wäre, wenn es geschähe. Ob er sie wirklich liebte – das wußte er noch nicht; aber daß sie ihm theuer war, daß sie seinem Herzen nahe stand, daß sie ihm nöthig war . . . namentlich nöthig . . . das war ihm klar, darüber war kein Zweifel möglich.

Der Hain, in welchem er Marianne erwarten sollte, bestand aus einigen hundert hohen, alten Birken – hauptsächlich Trauerbirken. Der Wind wehte noch immer mit der früheren Stärke; die lang herabhängenden Zweige wurden wie aufgelöste Flechten hin und her geworfen; nach wie vor zogen die Wollen hoch und rasch am Himmel dahin, und wenn dann zuweilen eine oder die andere derselben vor der Sonne vorbeistrich, so fiel über Alles plötzlich ein gleichmäßiger, einfarbiger Schein. – Nun ist die Wolke vorübergezogen und überall erzittern von neuem hell und grell die unruhvoll flimmernden Lichtstellen und mischen sich unter die vielen dunklen, vom Sonnenstrahl nicht berührten Schattenflächen . . . Ueberall regt sich noch immer dasselbe Leben, aber es scheint jetzt Alles von einer gewissen freudigen Feiertagsstimmung durchdrungen. So auch zieht die Leidenschaft mit einer gewissen freudigen Gewalt ein in das umwölkte, aufgeregte Herz . . . Ein solches Herz bebte in Neshdanow’s Brust, als er den Birkenhain betrat.

Er lehnte sich an den Stamm eines alten Baumes – und begann zu warten. Im Grunde konnte er sich keine Rechenschaft darüber geben, was er empfand und hatte auch nicht das Bedürfniß, über seine Gefühle zur Klarheit zu kommen; er wußte nur, daß es ihm jetzt leichter – und doch wieder ahnungsvoller – ums Herz war, als bei Markelow. Er hatte jetzt nur das Verlangen, Marianne zu sehen, sie zu sprechen; er fühlte sich fest umschlungen von dem Bande, das zwei lebende Wesen aneinander knüpft . . . Neshdanow gedachte des Seils, das von dem Dampfschiff auf die Landungsbrücke geworfen wird . . jetzt ist es um den Pfosten gewunden . . . jetzt hält der Dampfer . . .

– Im Hafen! Gott sei Dank!

Neshdanow fuhr plötzlich zusammen, als er in der Ferne ein Frauenkleid schimmern sah. Das ist Marianne! Er konnte nicht unterscheiden, ob sie zu ihm kam oder sich von ihm entfernte – das sah er aber, daß Schatten und Licht längs ihrer Gestalt von unten nach oben glitten . . . das bedeutete also, daß sie sich ihm näherte, denn sonst hätte es umgekehrt sein müssen: von oben nach unten. Noch ein paar Minuten – und sie stand vor ihm, neben ihm, mit freundlichem, lebhaft bewegte-m Antlitz, mit mild leuchtenden Augen, mit schwachem, jedoch heiterem Lächeln auf den Lippen. Er erfaßte ihre Hände, konnte im ersten Moment jedoch kein Wort hervorbringen; auch Marianne stand schweigend da. Sie war sehr rasch gegangen und ein wenig außer Athem; aber sie war offenbar voll Freude darüber, daß ihr Erscheinen ihm gleichfalls Freude verursachte . . .

Marianne brach zuerst das Schweigen.

– Nun, – begann sie, – sag’ mir rasch: was habt Ihr beschlossen?

– Wir haben beschlossen . . . war es denn nöthig, schon jetzt zu beschließen?

– Du begreifst mich schon. – Erzähle: wovon habt Ihr gesprochen? Wen hast Du gesehen? Bist Du bei Ssolomin gewesen? Erzähle mir Alles, Alles! Wart ein wenig gehen wir dorthin, etwas weiter. Ich kenne ein gutes verstecktes Plätzchen.

Sie zog ihn fort. Gehorsam folgte er ihr durch das hohe, spärliche, dürre Gras. Sie hatte ihn zu einer mächtigen, vom Sturm umgeworfenen Birke geführt, auf deren Stamm sie sich Beide niederließen.

– Erzähle jetzt! – wiederholte sie, setzte aber sogleich hinzu: – Wie ich froh bin, daß ich Dich endlich sehe! Diese zwei Tage schienen mir eine Ewigkeit! Du weißt, daß ich jetzt fest davon überzeugt bin, daß Valentine Michailowna uns belauscht?

– Sie hat es Markelow geschrieben, – sagte Neshdanow.

– Markelow?!

Marianne verstummte und erröthete – nicht vor Scham, sondern unter dein Einfluß eines anderen, mächtigeren Gefühls.

– Böses, herzloses Geschöpf – rief sie leise und langsam. – Das zu thun hatte sie kein Recht . . . Einerlei! Erzähle, erzähl’!

Neshdanow begann zu erzählen . . . Marianne hörte s ihm mit so gespannter Aufmerksamkeit zu, als wäre sie gleichsam versteinert, und unterbrach ihn nur dann, wenn es ihr schien, daß er zu sehr eile, daß er über Manches hinweggehe . . . Nicht alle Einzelheiten seiner Fahrt waren jedoch im Stande, sie in gleicher Weise zu fesseln; über Thömchen und Thymchen lachte sie wohl, aber sie interessirten sie nicht. Das ganze Sein derselben stand ihr zu fern.

– Es ist, als ob Du mir etwas über Nebukadnezar mittheilst! – bemerkte sie.

Was Markelow aber gesagt, was Goluschkin denke (obgleich sie sogleich begriffen, was das für ein Mensch war), – und namentlich: was Ssolomin für Ansichten habe und wie er Neshdanow gefallen – das war es, was sie Wissen Mußte, was sie quälte. »Wann denn? wann?« – diese Frage kam ihr nicht aus dem Kopf, schwebte ihr die ganze Zeit, während Neshdanow sprach, auf den Lippen. Er aber schien gleichsam jede directe Antwort darauf vermeiden zu wollen. Er bemerkte endlich selbst, daß er gerade auf solche Einzelheiten besonderen Nachdruck legte, die am wenigsten geeignet waren, Marianne zu interessiren. Die humoristische Schilderung seiner Erlebnisse machte sie ungeduldig; der Ton der Enttäuschung, der Wehmuth, den er dann wieder anschlug, betrübte sie . . . Es sollte immer nur von der »Sache,« von der bewußten »Frage« die Rede sein. Da hätte er so eingehend sprechen können, wie er nur wollte – es hätte sie nicht ermüdet. Neshdanow erinnerte sich der Zeit, als er einst, bevor er noch aus die Universität zog, in einer bekannten Familie den Kindern Märchen erzählte: – auch sie hatten kein Interesse für die Schilderung der Ereignisse, für den Ausdruck persönlicher-Gefühle . . . auch ihnen war es nur um die Handlung, um die Thatsache zu thun!

Marianne war kein Kind, aber sie war so einfach, so grade und ehrlich wie ein Kind.

In warmen, herzlichen Worten sprach sich Neshdanow über Markelow aus und äußerte sich in besonders sympathischer Weise über Ssolomin. In fast enthusiastischen Ausdrücken von ihm redend, fragte er sich in Gedanken, weshalb er diesen Menschen denn eigentlich so hoch stelle. Er hatte ja nichts gesagt, was von besonderer Bedeutung gewesen wäre; einige seiner Aussprüche standen sogar in direktem Gegensatz zu seinen eigenen Ansichten. . . »Ein gleichmäßiger Charakter,« – dachte er, – »darin liegt’s; eine verständige, frische Natur, wie Thymchen sagte; ein tüchtiger Mensch, ruhig, kräftig; er weiß, was er will und hat Vertrauen in seine Kraft – das macht, daß man auch ihm vertraut; sein Gemüth kennt kein Wanken, Alles in ihm ist in ruhigem Gleichgewicht . . . im Gleichgewicht . . das eben ist’s, was mir fehlt!« . . Neshdanow gab sich ganz den grübelnden Gedanken hin, die ihn jetzt bewegten . . . da legte sich plötzlich eine leichte Hand auf seine Schulter.

Er richtete den Kopf in die Höhe: Marianne blickte ihn aus zärtlich besorgten Augen ängstlich an.

– Was ist Dir, Freund? – fragte sie ihn.

Er nahm die Hand, die auf seiner Schulter gelegen und küßte dieselbe – zum ersten Mal. Marianne lachte, als könnte sie nicht recht begreifen, wie er aus den wunderlichen Einfall gekommen, ihr die Hand zu küssen. Dann aber wurde auch sie nachdenklich.