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Rudin

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Epilog

Wiederum waren einige Jahre verstrichen.

An einem kalten Herbsttage hielt vor dem Eingange des Hauptposthofes der Gouvernementsstadt S.

eine Reisecalesche. Aechzend und sich reckend stieg aus derselben ein Herr, er war noch nicht alt, besaß jedoch bereits jene Fülle des Leibes, die man »respectabel« zu nennen pflegt. Nachdem er die Treppe zum ersten Geschoß hinaufgestiegen war, blieb er im Eingange des breiten Corridors stehen, und da er Niemand gewahr wurde, forderte er mit lauter Stimme ein Zimmer. Sogleich hörte man eine Thür zuwerfen, ein langer Diener sprang hervor und lief eiligen Schrittes den Gang voran, nur an dem Schmutzglanz auf der Rückseite und den Aermeln seines abgetragenen Rocks im Halbdunkel erkenntlich. Als der Fremde in sein Zimmer trat, warf er sogleich Mantel und Plaid ab, setzte sich aus einen Divan, stemmte die Arme auf die Kniee, blickte wie schlaftrunken umher und befahl sodann, seinen Bedienten zu rufen. Der Diener that einen Schritt zurück und verschwand. Dieser Reisende war kein Anderer als Leschnew. Er war, der Rekrutenaushebung wegen, von seinem Gute nach S. Gekommen.

Leschnew’s Bedienter, ein junger, krausköpfiger und rothwangiger Bursche, in grauem, mit blauer Schärpe umgürtetem Mantel und weichen Filzstiefeln trat in das Zimmer.

– Nun siehst Du, mein Lieber, da sind wir doch angekommen, sagte Leschnew: – und Du hattest befürchtet, die Schiene am Rade werde abspringen.

– Ja, wir sind wirklich angekommen, erwiederte der Bediente, und versuchte über dem aufgeschlagenen Kragen des Mantels zu lächeln: – wie aber die Schiene nicht abgesprungen ist, das . . .

– Ist Niemand da? ließ sich eine Stimme im Corridor hören.

Leschnew fuhr zusammen und horchte auf.

– Heda! Wer da? wiederholte die Stimme.

Leschnew erhob sich, trat an die Thür und machte sie rasch auf.

Vor ihm stand ein Mann von hohem Wachse, fast ganz ergraut und gebeugt, in einem alten Püschrock mit bronzenen Knöpfen. Leschnew erkannte ihn sogleich.

– Rudin! rief er bewegt.

Rudin wandte sich um. Er konnte das Gesicht Leschnew’s, der mit dem Rücken gegen das Licht stand, nicht erkennen, und blickte ihn zweifelhaft an.

– Sie erkennen mich nicht? redete Leschnew ihn an.

– Michael Michailitsch! rief Rudin aus und streckte die Hand vor, wurde aber verwirrt und zog sie wieder zurück . . .

Leschnew ergriff sie mit beiden Händen.

– Treten Sie ein, herein zu mir! sagte er zu Rudin, und führte ihn in sein Zimmer.

– Wie sind Sie verändert! sagte Leschnew nach einigem Schweigen und unwillkührlich die Stimme senkend.

– Ja, man sagt so, erwiederte Rudin, mit dem Blicke im Zimmer umherschweifend. Die Jahre. . . Sie aber – sind wie früher. Wie geht es Alexandra . . . Ihrer Gemahlin?

– Ich danke, ganz wohl. Welch ein Zufall führt Sie hierher?

– Mich? Das wäre eine lange Geschichte. In diesem Hause befinde ich mich ganz zufällig. Ich suchte einen Bekannten. Uebrigens freut es mich sehr . . .

– Wo speisen Sie?

– Ich? ich weiß nicht. Irgendwo in einem Gasthause. Ich muß heute noch fort von hier.

– Sie müssen?

Rudin lächelte bedeutsam.

– Ja, ich muß. Man weist mir mein Gut zum Aufenthalt an.

– Speisen Sie mit mir.

Rudin blickte zum ersten Male Leschnew gerade in die Augen.

– Sie machen mir den Vorschlag, mit Ihnen zu speisen? fragte er.

– Ja, Rudin, nach alter Art, wie Kameraden. Wollen Sie? Ich glaubte nicht, mit Ihnen zusammenzutreffen und Gott weiß, wenn wir uns wiedersehen werden. Wir können doch so nicht von einander scheiden!

– Gut, ich bin es zufrieden.

Leschnew drückte Rudin die Hand, rief den Diener, bestellte das Essen und befahl, eine Flasche Champagner auf Eis zu stellen.

* * *

Während des Essens unterhielten sich Leschnew und Rudin, gleichsam wie verabredet, ausschließlich von ihrem Studentenleben, kamen auf Vieles und Viele zu reden, auf Lebende und bereits Gestorbene. Anfangs sprach Rudin gezwungen, doch, nachdem er ein paar Gläser getrunken hatte, wurde er warm. Endlich nahm der Diener die letzte Schüssel vom Tisch. Leschnew stand auf, verschloß die Thür, setzte sich dann an den Tisch, Rudin gerade gegenüber und stützte still sein Kinn auf beide Hände.

– Nun, jetzt, begann er: – müssen Sie mir Alles erzählen, was sich mit Ihnen zugetragen hat, seit ich Sie nicht gescheit habe.

Rudin warf einen Blick auf Leschnew.

»Mein Gott!« dachte Leschnew nochmals, wie er aussieht, der arme Mensch!

Rudin’s Züge hatten sich noch immer nicht viel verändert, besonders seit der Zeit, da wir ihn auf der Station trafen, obgleich bereits Spuren des herannahenden Alters in denselben sichtbar waren, der Ausdruck war jetzt aber ein anderer. Die Augen blickten anders; aus seinem ganzen Wesen, aus seinen bald langsamen, bald abgerissenen Bewegungen, aus seiner schleppenden und gleichsam gebrochenen Rede sprach äußerste Ermattung, geheimer und stiller Gram, der jener halbaffectirten Schwermuth durchaus nicht ähnlich war, mit welcher er sich vor Zeiten umhertrug, jener Schwermuth, die einer von Hoffnungen und vertraungsvoller Selbstliebe erfüllten Jugend so gut zu Gesichte steht.

– Ich soll Ihnen Alles erzählen, was mir begegnet ist? begann er. – Alles läßt sich nicht erzählen und lohnt sich auch nicht . . . Abgeplagt habe ich mich tüchtig, und mich umhergetrieben, nicht mit dem Körper allein – auch mit der Seele. Welche Enttäuschungen habe ich erfahren! Mein Gott! Mit wem bin ich Alles zusammengekommen! . . . Ja, mit wem, wiederholte Rudin, als er gewahr wurde, daß Leschnew ihn mit besonderer Theilnahme anblickte. Wie oft haben meine eigenen Worte mich angewidert – nicht bloß in meinem eigenen Munde, sondern auch in dem Munde jener Leute, die meine Ansichten theilten! Welche Uebergänge habe ich durchgemacht, von der Ungeduld, von der Reizbarkeit eines Kindes, bis zur stumpfen Gefühllosigkeit des Pferdes, das nicht einmal mehr mit dem Schweife zuckt, wenn die Peitsche es trifft . . . Wie viele Male habe ich mich umsonst gefreut, umsonst gehofft, gekämpft und mich erniedrigt! Wie oft habe ich wie ein Falle meine Fittiche ausgebreitet – und bin auf die Erde zurückgestürzt, um auf ihr fortzukriechen, wie die Schnecke, deren Schale man zertreten hat! . . . Wo bin ich nicht überall gewesen; welche Wege hat mein Fuß nicht betreten! Und es giebt schmutzige Wege, setzte Rudin hinzu und wandte sich etwas ab.

– Sie verstehen, fuhr er fort . . .

– Hören Sie, unterbrach ihn Leschnew: – einst sagten wir: »Du« zu einander. . . Willst Du? wir frischen das Alte auf . . . Trinken wir auf das Du!

Rudin erbebte, erhob sich und in seinem Blick flimmerte Etwas, was keine Sprache wiederzugeben vermag.

– Laß uns trinken, Bruder: – Dank, Bruder, laß uns trinken.

Leschnew und Rudin leerten jeder sein Glas.

– Du weißt, begann Rudin wieder, mit Betonung des Wortes »Du « und lächelnd: – es sitzt in meinem Inneren ein Wurm, der an mir nagt und mir nimmer Ruhe gönnen wird. Er stößt mich den Menschen entgegen – anfangs empfinden sie meinen Einfluß, nachher aber . . .

Rudin machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand.

– Seit ich Sie . . . Dich zum letzten Male sah, bin ich um mancherlei Erfahrungen reicher geworden . . . Mehrmals habe ich ein neues Leben angefangen, mehrfach die Hand an ein neues Werk gelegt – und da siehst Du nun, wie weit ich gekommen bin!

– Du hattest keine Ausdauer, sagte, gleichsam vor sich hin, Leschnew.

– Wie Du sagst, ich hatte keine Ausdauer! . . . Etwas erbauen, das habe ich nie gekonnt! und es ist auch nicht leicht, Bruder, Etwas zu bauen, wenn man keinen Boden unter sich fühlt, wenn man kein eigenes Fundament erst selbst legen muß! Ich will Dir nicht alle meine Abenteuer, das heißt, all mein Mißgeschick, erzählen. Zwei, drei Vorfälle sollst Du erfahren . . . jene Vorfälle aus meinem Leben, wo, wie es schien, der Erfolg mir bereits lächelte, oder nein, wo ich anfing, auf Erfolg zu hoffen – was nicht ganz dasselbe ist . . .

Rudin warf sein graues und schon lichter gewordenes Haar mit derselben Handbewegung zurück, wie er früher zu thun gewohnt war, als er noch dunkeles und volles Haar hatte.

– Höre also, begann er.

– In Moskau kam ich mit einem ziemlich sonderbaren Menschen zusammen. Er war sehr reich und besaß beträchtliche Ländereien; er stand nicht in Staatsdiensten. Seine Hauptleidenschaft, seine einzige Leidenschaft war die Liebe zur Wissenschaft, zur Wissenschaft im Allgemeinen. Ich kann es bis jetzt nicht begreifen, wie diese Leidenschaft bei ihm erwacht war! Sie stand ihm ebenso, wie der Kuh der Sattel. Er selbst konnte sich nur mit Mühe auf der Höhe der Vernunft behaupten und verstand es kaum, sich auszudrücken; er rollte blos bedeutungsvoll die Augen und schüttelte bedenklich den Kopf. Eine weniger begabte und geistig ärmere Natur, Bruder, ist mir nicht vorgekommen . . . Er erinnerte an jene weite Strecken im Smolenskischen Gouvernement, wo man nur Sand findet – Sand, und weiter Nichts, nur hie und da spärliches Gras, das kein Thier fressen mag. Es wollte ihm Nichts gelingen – Alles glitt förmlich aus seinen Händen, Alles, und obendrein war er noch darauf versessen, was leicht war, sich zu erschweren. Hätte es von ihm abgehangen, er würde Einen wahrhaftig noch dazu gebracht haben, auf dem Kopfe zu gehen. Er arbeitete, schrieb und las unermüdlich. Mit einer gewissen starrsinnigen Beharrlichkeit und grenzenlosen Geduld stürzte er sich auf die Wissenschaften; sein Ehrgeiz war unbeschreiblich groß und sein Charakter war eisern. Er lebte allein und galt für einen Sonderling. Ich wurde mit ihm bekannt und . . . gefiel ihm. Ich muß gestehen, ich hatte ihn bald durchschaut, doch sein Eifer rührte mich. Dann besaß er ein so schönes Vermögen, es ließ sich durch ihn so viel Gutes, so viel wahrhafter Nutzen stiften . . . Ich blieb bei ihm wohnen und fuhr endlich mit ihm aus sein Landgut. – Großartige Pläne, Bruder, trug ich mit mir herum; ich träumte von vielen Verbesserungen, Neuerungen . . .

 

– So wie bei der Laßunski, erinnerst Du Dich, bemerkte Leschnew mit gutmüthigem Lächeln.

– Nicht doch! dort war ich in meinem Innersten überzeugt, daß meine Worte unfruchtbar bleiben würden; hier, hier jedoch . . . breitete sich vor mir ein Feld ganz anderer Art aus . . . Ich schleppte agronomische Bücher herbei . . . von denen ich, die Wahrheit zu sagen, nicht ein einziges bis zu Ende gelesen habe . . . und dann machte ich mich an die Arbeit. Anfangs ging es nicht, wie ich erwartet hatte, nachher aber schien es gehen zu wollen. Mein neuer Freund schwieg zu Allem und schaute zu, er störte mich nicht, d. h. bis zu einem gewissen Grade störte er mich nicht; er nahm zwar meine Vorschläge an, führte dieselben auch aus, aber starrsinnig, unnachgiebig und mit heimlichem Mißtrauen lenkte er Alles nach seinem Sinn. Er hielt mit Zähigkeit fest an jedem seiner Gedanken, wie der Sonnenkäfer an dem Grashalm, dessen Spitze er nur mit Anstrengung erklommen hat und nun dasitzt, scheinbar seine Flügel zurechtzupfend, um weiter zu fliegen – plötzlich aber herunterfällt, um nochmals hinaufzukriechen . . . Du mußt Dich nicht über diese Gleichnisse wundern. Schon damals hatten sie sich in meinem Innern angehäuft. Zwei Jahre schlug ich mich so herum. Die Geschäfte gingen schlecht, ungeachtet aller meiner Anstrengungen. Ich fing an, ihrer überdrüssig zu werden, mein Freund langweilte mich, und ich wurde ihm unbequem und erdrückend; sein Mißtrauen ging in schlecht verhehlte Erbitterung über, ein feindseliger Geist hatte sich unser Beider bemächtigt, wir konnten mit einander von Nichts mehr sprechen; verstohlen, aber unaufhörlich bemühete er sich, mir zu zeigen, daß er sich nicht meinem Einflusse fügte; meine Verordnungen wurden entweder verdreht, oder ganz widerrufen . . . Ich wurde zuletzt inne, daß ich dem Herrn Gutsbesitzer nur als Mittel zur geistigen Gymnastik diente. . . . Ich war zu einer Art intelligenten Parasits geworden! Schmerzlich ward es mir, Zeit und Kräfte nutzlos zu vergeuden, schmerzlich empfand ich es, daß ich aber- und abermals mich in meinen Erwartungen getäuscht hatte. Ich wußte sehr wohl, wie viel ich verlor, wenn ich fortging; vermochte es aber doch nicht über mich, und eines Tages, in Folge eines widerlichen und empörenden Vorfalles, dessen ich Zeuge war und der mir meinen Freund in einem wirklich zu unvortheilhaften Lichte zeigte, veruneinigte ich mich vollends mit ihn, reiste ab und ließ diesen aus Steppenmehl mit Zuthat deutschen Syrops zusammengekneteten pedantischen Krautjunker fahren.

– Das heißt: Du hast Dein Stück täglichen Brodes fahren lassen, wandte Leschnew ein und legte beide Hände auf Rudin’s Schulter.

– Ja, und stand wieder nackt und leicht da im leeren Raume. Fliege nun, wohin du willst . . . Ha, trinken wir Eins!

– Auf Deine Gesundheit! sagte Leschnew, erhob sich und küßte Rudin auf die Stirn. – Auf Deine Gesundheit und auf Pokorski’s Andenken . . . Er hat es auch verstanden arm zu bleiben.

– Das war Nummer Eins meiner Abenteuer, sagte Rudin nach einer kleinen Pause. – Soll ich fortfahren, wie?

– Fahre fort, ich bitte Dich.

– He!l mit der Sprache will es nicht recht fort. Ich bin des Redens müde, Bruder . . . Nun, es sei. Nachdem ich mich noch an verschiedenen Stellen umhergetrieben hatte . . . ich könnte Dir beiläufig erzählen, wie ich bei einem pflichtgetreuen hohen Beamten Sekretär wurde und wie das endete; es würde uns jedoch zu weit führen . . . nachdem ich mich also an verschiedenen Orten umhergetrieben hatte, beschloß ich zuletzt . . . ich bitte Dich, nicht zu lachen . . . ein Geschäftsmann, ein praktischer Mensch zu werden. Das kam folgendermaßen: ich wurde mit einem gewissen . . . vielleicht hast Du von ihm gehört . . . mit einem gewissen Kurbejew bekannt . . .

– Ich habe den Namen nie gehört. Aber ich bitte Dich, Rudin, wie konntest Du mit Deinem Verstande nicht einsehen, daß es gar nicht Dein Geschäft ist . . . entschuldige das Wortspiel . . .

Geschäftsmann zu sein?

– Ich weiß, Bruder, daß es nicht meine Sache ist; was ist denn aber überhaupt meine Sache? . . . Hättest Du nur Kurbejew gesehen! Stelle ihn Dir nur, bitte, nicht als einen hohlen Schwätzer vor. Man sagt, ich wäre in früheren Jahren beredt gewesen. Ich bin im Vergleich zu ihm nichts. Das war ein überaus gelehrter, belesener Mann; ein schöpferischer Kopf, ein Kopf für Industrie und Handelsunternehmungen. Die kühnsten, unglaublichsten Projecte sprühten in feinem Geiste. Wir traten zusammen und faßten den Entschluß, gemeinschaftlich unsere Kräfte einem gemeinnützigen Zwecke zu widmen.

– Welchem? sage doch!

Rudin senkte den Blick.

– Du wirst lachen müssen.

– Weshalb? Nein, ich werde nicht lachen.

– Wir beschlossen, einen Fluß im K. . . schen Gouvernement schiffbar zu machen, äußerte Rudin, verlegen lächelnd.

– Ja so! Dieser Kurbejew war also Capitalist?

– Er war ärmer als ich, erwiederte Rudin und senkte still seinen ergrauten Kopf.

Leschnew lachte auf, hielt jedoch plötzlich inne und faßte Rudin’s Hand.

– Vergieb mir, Bruder, ich bitte Dich, sagte er: – ich hatte das nun gar nicht erwartet. Nun, Euer Unternehmen blieb also auf dem Papiere?

– Nicht so ganz. Ein Angriff wurde gemacht. Wir mietheten Arbeiter . . . und gingen an’s Werk. Da stießen wir auf vielerlei Hindernisse. Erstens, wollte es den Mühlenbesitzern nicht einleuchten, zweitens, konnten wir mit dem Wasser ohne Maschine nicht fertig werden, für die Maschine jedoch fehlte das Geld. Sechs Monate verbrachten wir in Erdhütten. Kurbejew’s einzige Nahrung bestand in Brod; ich selbst wurde auch nie satt. Ich bedauere es übrigens nicht: die Gegend da herum ist wunderschön. Wir quälten und quälten uns ab, suchten die Kaufleute zu überreden und sandten Briefe und Circulare in die Welt. Das Ende davon war, daß mein letzter Groschen bei diesem Projecte aufging.

– Nun! bemerkte Leschnew: – ich denke, es war nicht schwer, Deinen letzten Groschen daran ausgehen zu sehen.

– Ja der That war das nicht schwer . . . doch das Unternehmen war aber, bei Gott, nicht übel und hätte großen Gewinn abwerfen können.

– Was ist aber aus jenem Kurbejew geworden? fragte Leschnew.

– Aus ihm? Er ist jetzt in Sibirien, Goldgräber ist er geworden. Und Du wirst sehen, er wird sich Vermögen erwerben; er wird nicht umkommen.

– Mag sein! Du aber wirst es bestimmt nicht dahin bringen.

– Ich? Was ist dabei zu machen! Ich weiß ja übrigens, daß ich in Deinen Augen von jeher für einen unnützen Menschen gegolten habe.

– Du? Geh doch, Bruder! . . . Es gab eine Zeit, Du hast recht, wo mir nur Deine Schattenseiten in die Augen fielen; jetzt aber, glaube mir’s, habe ich Dich schätzen gelernt, Vermögen wirst Du Dir wohl nicht zusammenschlagen. . . Deßhalb aber liebe ich Dich. . .

Rudin lächelte matt.

– Wirklich?

– Ich achte Dich deßhalb! Er erwiederte Leschnew: – verstehst Du mich wohl?

Sie schwiegen Beide.

– Nun, soll ich zu Nummer drei übergehen? fragte Rudin.

– Thue mir den Gefallen.

– Gut. Die Nummer drei und die letzte. Von dieser Nummer habe ich mich eben erst los gemacht. Langweilt es Dich aber nicht?

– Erzähle, erzähle.

– Siehst Du, begann Rudin: – ein Mal in einer Stunde der Muße . . . an Muße hat es mir niemals gefehlt . . . überlegte ich bei mir: Kenntnisse besitze ich nicht wenig, ich wünsche das Gute . . . Du wirst mir doch nicht absprechen wollen, daß ich das Gute wünsche?

– Das fehlte noch!

– Auf allen Punkten war ich mehr oder weniger durchgefallen . . . warum sollte ich nicht Pädagog werden, oder um es einfach zu sagen, Lehrer? . . . besser doch, als Nichts zu thun . . .

Rudin hielt inne und schöpfte Athem.

– Besser, als ein unnützes Leben führen, wird es doch sein, wenn ich mich bestrebe, Andern das mitzutheilen, was ich weiß: vielleicht werden sie aus meinen Kenntnissen einigen Nutzen für sich schöpfen. Meine Talente sind doch am Ende keine alltäglichen; die Gabe der Rede habe ich auch . . . Ich beschloß also, mich diesem neuen Fache zu widmen. Mühe genug kostete es mir, eine Anstellung zu finden; Privatunterricht wollte ich nicht ertheilen; an Elementarschulen war mein Platz nicht. Endlich gelang es mir, die Stelle eines Lehrers am hiesigen Gymnasium zu erhalten.

– Eines Lehrers – für welches Fach? fragte Leschnew.

– Eines Lehrers der russischen Literatur. Ich kann Dir sagen, noch keine Sache habe ich mit solchem Eifer angegriffen, wie diese. Der Gedanke, auf die Jugend zu wirken, begeisterte mich. Drei Wochen war ich mit der Abfassung meiner Antrittsvorlesung beschäftigt.

– Hast Du sie hier? unterbrach ihn Leschnew.

– Nein, sie ist mir irgendwo verloren gegangen. Sie kam nicht schlecht heraus und fand Beifall. Noch jetzt sehe ich die Gesichter meiner Zuhörer vor mir, – diese guten, jungen Gesichter mit dem Ausdrucke der treuherzigsten Aufmerksamkeit, Theilnahme, ja selbst des Erstaunens. Ich bestieg das Katheder und hielt meinen Vortrag wie im Fieber; ich hatte geglaubt, ich würde daran reichlich für eine Stunde haben, und in zwanzig Minuten war ich fertig. Der Inspector war auch zugegen – ein trockener Alter mit silbergefaßter Brille und kurzer Perrücke, – von Zeit zu Zeit neigte er den Kopf nach meiner Seite hin. Als ich zu Ende war und von meinem Sessel sprang, sagte er zu mir: – »Gut, doch etwas zu hoch und unbestimmt, und von dem Hauptgegenstande ist zu wenig gesagt worden.« Die Gymnasiasten jedoch geleiteten mich mit Blicken der Achtung . . . wahrhaftig. Das eben giebt einen solchen Werth der Jugend! Die zweite Vorlesung und auch die dritte hatte ich aufgeschrieben . . . dann aber improvisirte ich.

– Und hast Erfolg gehabt? fragte Leschnew.

– Ich hatte großen Erfolg.

Die Zuhörer fanden sich in Massen ein. Ich theilte Ihnen Alles mit, was mir auf der Seele lag. Unter denselben waren drei, vier in der That ausgezeichnete Knaben; die Uebrigen verstanden mich nur halb. Ich muß indessen gestehen, daß auch diejenigen, welche mich verstanden, mich bisweilen durch ihre Fragen verwirrt machten. Ich verlor den Muth aber nicht. Liebten mich ja doch Alle: bei den Repetitionen gab ich Allen gute Censuren. Da aber entspann sich gegen mich eine Intrigue . . . oder nein! eine Intrigue war es nicht; ich war, einfach gesagt, nicht in meine Sphäre gerathen. Ich war den Andern unbequem und die Andern waren es mir. Ich hielt Gymnasiasten Vorlesungen, wie man sie Studenten nicht immer hält, und meinen Zuhörern waren diese Vorlesungen doch nicht sehr förderlich . . . ich beherrschte die Thatsachen selbst . . . nicht recht. Zudem genügte mir der Wirkungskreis nicht, der mir vorgezeichnet war . . . Du weißt ja, das war immer meine schwache Seite. Ich wollte radikale Reformen und schwöre Dir, diese Reformen waren gut und ausführbar. Ich hoffte sie mit Hilfe des Directors, eines braven und ehrlichen Mannes, auf welchen ich Anfangs Einfluß gehabt hatte, durchzusetzen. Seine Frau stand mir bei. Ich habe, Bruder, in meinem Leben nicht viele solcher Frauen getroffen. Sie war bereits nahe den Vierzigen, glaubte aber noch an das Gute, liebte Alles Schöne wie ein fünfzehnjähriges Mädchen und scheute sich nicht, ihre Ueberzeugung, vor wem es auch sein mochte, offen auszusprechen. Ich werde niemals ihre edle Begeisterung, ihre Lauterkeit vergessen. Ihrem Rathe folgend, hatte ich schon einen Plan entworfen . . . doch da wurden geheime Umtriebe gegen mich eingeleitet und ich ward bei ihr angeschwärzt. Besonders schadete mir ein Lehrer der Mathematik, ein unansehnlicher, bissiger und gallsüchtiger Mensch, der an Nichts glaubte, in der Art wie Pigassow, aber bei weitem tüchtiger, als er . . . ja, sage doch, lebt Pigassow noch?

– Er lebt und stelle Dir’s vor, er hat ein Dienstmädchen geheirathet, die, wie man sagt, ihn prügeln soll.

– Das geschieht ihm Recht! Und Natalia Alexejewna, geht es ihr gut?

– Ja.

– Ist sie glücklich?

– Ja.

Rudin schwieg.

– Wovon sprach ich aber soeben . . . ganz Recht! vom Lehrer der Mathematik. Er hatte einen Haß auf mich geworfen, meine Vorlesungen verglich er mit einem Feuerwerk, haschte im Fluge jeden, nicht ganz deutlichen Ausdruck auf und führte mich einmal sogar in Bezug auf ein Opus aus dem XVI. Jahrhundert irre . . . Die Hauptsache aber war, er hatte meine Absichten verdächtigt; meine letzte Seifenblase stieß an ihn, wie an eine Nabel, und zerplatzte. Der Inspector, zu dem ich mich gleich Anfangs nicht gut gestellt hatte, reizte den Director gegen mich auf; es kam zu einer Scene, ich wollte nicht nachgeben, wurde heftig, die Geschichte kam den Oberen zu Ohren und ich ward gezwungen, meine Entlassung zu nehmen. Ich blieb nicht dabei stehen, ich wollte zeigen, daß ich mit mir nicht so umspringen lasse . . . aber leider mußte ich einsehen, daß man mit mir nach Belieben verfahren durfte . . . Jetzt muß ich die Stadt verlassen.

 

Es trat Schweigen ein.

Beide Freunde saßen da mit gesenktem Kopfe.

Rudin nahm zuerst wieder das Wort.

– Ja, Bruder, begann er: – ich kann jetzt mit Koltzow9 ausrufen: »Wie hast Du, meine Jugend, mir mitgespielt, mich umhergeworfen, ich weiß nicht mehr, wo ein noch aus « . . . Und war ich denn wirklich zu Nichts gut, gab es denn wirklich gar Nichts für mich zu thun auf der Welt? Ich habe diese Frage oft an mich gerichtet und welche Mühe ich mir auch gab, mich in meinen eigenen Augen herabzusetzen, so war mir’s dennoch unmöglich, in mir das Vorhandensein von Kräften nicht zu fühlen, mit denen nicht Jedermann begabt ist! Weßhalb bleiben denn diese Kräfte unfruchtbar? Und dann noch Eines: erinnerst Du Dich, als wir zusammen im Auslande waren, war ich in Selbstvertrauen und Selbsttäuschung befangen . . . Es ist wahr, ich war damals nicht deutlich dessen bewußt, wonach mich verlangte, ich labte mich bis zur Uebersättigung am Wortgepränge und schenkte Trugbildern Glauben; jetzt aber, ich schwöre Dir’s, darf ich laut, vor Allen, gestehen, was ich will. Ich habe nichts zu verhehlen: ich bin im wahren Sinne des Wortes ein wohlgesinnter Mensch; ich werde demüthig, will mich in die Verhältnisse schicken, verlange wenig, strebe nach keinem entfernten Ziele, möchte, wenn auch nur geringen Nutzen schaffen. Aber . . . es will mir nicht gelingen! Was bedeutet das? Was hindert mich, zu leben und zu wirken, wie Andere es thun? . . . Ich trachte ja jetzt nach nichts Höherem . . . Und doch! . . . Kaum gelingt es mir, eine bestimmte Stellung einzunehmen, auf einem gewissen Punkte Posto zu fassen, so stößt mich das Geschick unerbittlich fort . . . Ich fange an, Furcht zu bekommen vor meinem Geschicke . . . Woher das Alles? Erkläre mir dies Räthsel!

– Räthsel! wiederholte Leschnew. – Ja, es ist wahr. Warst Du ja für mich selbst stets ein Räthsel. Sogar in unserer Jugend, wenn Du, wie es vorkam, nach irgend einer kleinlichen Aeußerung plötzlich wieder das Wort nahmst, daß uns das Herz im Leibe erzitterte, und dann wieder auf einmal anfingst . . . nun, Du weißt, was ich sagen will . . . selbst damals verstand ich Dich nicht: deshalb verlor sich auch meine Liebe zu Dir . . . Es lag so viel Kraft in Dir: ein so unermüdliches Streben nach Idealem. . .

– Worte, alles nur Worte! Die Thaten fehlten, unterbrach ihn Rudin.

– Die Thaten fehlten! Was für Thaten . . .

– Was für Thaten? Eine blinde Großmutter und die ganze Familie mit seiner Hände Arbeit ernähren, wie Priaschenzow, erinnerst Du Dich . . . Da hast Du eine That.

– Ja; aber ein gutes Wort – ist auch eine That.

Rudin blickte schweigend Leschnew an und schüttelte still den Kopf.

Leschnew wollte Etwas sagen, fuhr aber blos mit der Hand über sein Gefecht.

– Und so fährst du denn auf dein Gut?

– Ja, ich fahre hin.

– Hast du denn dein Gut behalten?

– Etwas ist davon übrig geblieben. Zwei und eine halbe Seele. Ein Winkel für mich, wo ich den Tod erwarten kann. Du denkst vielleicht in diesem Augenblicke: »Auch dies vermochte er nicht ohne Phrase zu sagen.« Die Phrasen, es ist wahr, sie haben mein Unglück verschuldet, mich aufgerieben, bis zum Ende habe ich sie nicht los werden können. Was ich aber soeben sagte, war keine Phrase. Dies weiße Haar: Bruder, ist keine Phrase, diese Runzeln, diese durchgescheuerten Ellenbogen – sind keine Phrase. Du bist immer streng gegen mich gewesen und das war Recht von Dir; doch nicht von Strenge kann mehr die Rede sein, wenn schon Alles abgethan, in der Lampe kein Oel mehr und die Lampe auch bereits zerschlagen ist und der Docht im nächsten Augenblicke zu verglimmen droht . . . Der Tod, Bruder, muß am Ende Alles aussühnen . . .

Leschnew sprang auf.

– Rudin! rief er aus, warum sagst Du mir das? Wodurch habe ich das von Dir verdient? Wer hat mich zum Richter bestellt, und was für ein Mensch würde ich sein, wenn mir, beim Anblicke Deiner eingefallenen Wangen und Runzeln, das Wort Phrase – in den Sinn kommen könnte? Du willst wissen, was ich von Dir denke? Wohlan! ich denke: dieser Mensch . . . was hätte der wohl mit seinen Fähigkeiten erringen können, über welche irdische Güter würde er wohl jetzt gebieten, wenn er gewollt hätte! . . . und ich finde ihn hungernd und ohne Obdach . . .

– Ich errege Dein Mitleid, brachte Rudin kaum hörbar hervor.

– Nein! Du irrst. Achtung flößest Du mir ein – das ist es. Was hinderte Dich, lange Jahre bei jenem Gutsbesitzer, deinem Bekannten, zu verbringen? ich bin fest überzeugt, wenn Du ihm nur zu Gefallen hättest leben wollen, Dein Auskommen wäre gesichert! Weshalb hast Du es im Gymnasium nicht ausgehalten, weshalb – sonderbarer Mensch! – was auch Dein jedesmaliges Sinnen im Anfange gewesen sein mag, mußte Dein Unternehmen allemal und durchaus damit enden, daß Du Deinen eigenen Vortheil zum Opfer brachtest, keine Wurzel schlagen wolltest in schlechtem Boden, wie fett er auch sein mochte!

– Ich bin als Spielball auf die Welt gekommen, fuhr Rudin mit wehmüthig-verächtlichem Lächeln fort. – Ich kann nicht stille stehen.

– Das ist wahr; Du kannst aber nicht stille stehen, nicht weil ein Wurm in Dir steckt, wie Du vorhin sagtest . . . Kein Wurm steckt in Dir, kein Geist müßiger Unruhe: Liebe zur Wahrheit durchglüht Dich, und wie man sieht, glüht sie ungeachtet aller Misere in Dir selbst lebhafter als in vielen Anderen, die sich nicht einmal für Egoisten erklärten und Dich vielleicht gar einen Intriguanten nennen. Ich an Deiner Stelle hätte wahrlich schon längst jenen Wurm zum Schweigen gebracht und Frieden mit Allem geschlossen; Du aber bist nicht einmal bitterer geworden, und ich bin überzeugt, Du wärst heute noch, in diesem Augenblicke, bereit, von Neuem wie ein Jüngling an’s Werk zu gehen.

– Nein, Bruder, ich bin jetzt ermattet, erwiederte Rudin. – Es war für mich genug.

– Ermattet! Ein Anderer wäre längst gestorben. Du sagst, der Tod sei ein Sühnopfer; glaubst Du denn, das Leben sei es nicht? Wer gelebt hat und gegen Andere nicht nachsichtig geworden ist, der verdient selbst keine Nachsicht. Wer aber wollte behaupten, daß er keiner Nachsicht bedürfe? Du hast gewirkt, wie Du gekonnt hast, nach Kräften hast Du gekämpft . . . Was verlangst Du mehr? Unsere Wege gingen auseinander . . .

– Du, Bruder, bist ein ganz anderer Mensch als ich, unterbrach ihn Rudin mit einem Seufzer.

– Unsere Wege gingen auseinander, fuhr Leschnew fort: – vielleicht eben darum, daß mich, mit meinem Vermögen, mit meinem kalten Blute und unter anderen, glücklicheren Verhältnissen, Nichts daran hinderte, ruhig sitzen zu bleiben und, die Hände im Schooße, den Zuschauer zu machen, während Du auf das Feld hinaus mußtest, um mit aufgestreiften Aermeln Dich zu plagen und abzuarbeiten. Unsere Wege gingen auseinander . . . siehe aber, wie nahe wir einander sind. Reden wir ja Beide fast dieselbe Sprache, auf einen halben Wink verstehen wir einander, an denselben Gefühlen sind wir herangewachsen. Von den Unsrigen sind ja Wenige nur noch übrig, Bruder; Beide sind wir die letzten Mohikaner! In früheren Jahren, als wir noch das volle Leben vor uns hatten, konnten wir verschiedener Meinung sein, ja sogar feindlich einander gegenüberstehen; jetzt aber, da das Häufchen um uns herum lichter wird, da neue Geschlechter an uns vorüberziehen, die anderen Zielen, als die unsrigen es waren, entgegeneilen, müssen wir fest zusammenhalten. Stoßen wir an, Bruder, und laß uns nach alter Art singen: gaudeamus igitur!

Die Freunde stießen mit den Gläsern an und sangen in gerührtem und falschem, d. h. echt russischem Tone das alte Studentenlied.

9Ein bekannter Volksdichter. D Übersetzer.

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