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Rudin

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Alexandra Pawlowna schlug die Hände zusammen.

– Rudin nicht sehr kenntnißreich! rief sie aus.

– Nicht sehr kenntnißreich, wiederholte Leschnew ganz in demselben Tone: – auch daß er es liebt, aus Kosten Anderer zu leben, eine Rolle spielen will und so weiter . . . das ist Alles in der Ordnung. Schlecht ist es aber, daß er kalt ist wie Eis.

– Er, diese feurige Seele, kalt! unterbrach ihn Alexandra Pawlowna.

– Ja, kalt wie Eis, und er weiß es und spielt den Feurigen. Schlecht ist das, fuhr Leschnew, allmählich sich belebend, fort: – denn es ist ein gefährliches Spiel, das er spielt, – gefährlich, nicht für ihn, versteht sich, keinen Kopeken, kein Härchen setzt er auf die Karte – Andere dagegen setzen ihre Seele ein . . .

– Von wem, wovon reden Sie? Ich verstehe Sie nicht, sagte Alexandra Pawlowna.

– Schlecht ist, daß er nicht ehrlich ist. Weil er ein Mann von Geist ist, muß er den Werth seiner Worte kennen, – und doch läßt er sie von seinen Lippen fallen, als ob sie ihm aus dem Herzen kämen . . . Nun ja, er ist beredt; seine Beredtsamkeit ist aber nicht die eines Russen. Und dann – verzeiht man auch der Jugend Schönrednerei, in seinem Alter ist es eine Schande, am Getön eigener Worte Gefallen zu finden, eine Schande, sich derartig zur Schau zu stellen.

– Mich dünkt, Michael Michailitsch, für den Zuhörer ist es ganz gleich, ob man sich zur Schau stellt, oder nicht . . .

– Bitte um Vergebung, Alexandra Pawlowna, es ist nicht ganz gleich. Es kann mir Jemand ein Wort sagen, und es dringt mir durch Mark und Bein, ein, Anderer sagt mir genau dasselbe Wort und vielleicht noch; schöner – und es wird mir nicht einmal das Ohr kitzeln. Woher kommt das? —

Das heißt, Ihr Ohr wird es nicht kitzeln, unterbrach ihn Alexandra Pawlowna.

– Ja, mein Ohr, erwiederte Leschnew: – obgleich ich vielleicht große Ohren habe. Die Sache ist die, daß Rudin’s Worte eben nur Worte bleiben, und niemals zu Thaten werden, dennoch aber können diese seine Worte Verwirrungen erzeugen in einem jungen Herzen und dasselbe zu Grunde richten.

– Von wem, von wem reden Sie aber, Michael; Michailitsch?

Leschnew zögerte.

– Sie wünschen zu wissen von wem ich rede? Von Natalia Alexejewna.

Alexandra Michailowna wurde für einen Augenblick verwirrt, lächelte aber gleich darauf.

– Du lieber Gott! begann sie: – was für sonderbare Einfälle Sie immer haben! Natalia ist noch ein Kind; und dann, gesetzt es wäre auch Etwas daran, so werden Sie doch nicht glauben, daß Darja Michailowna . . .

– Darja Michailowna ist vor Allem eine Egoistin und lebt nur für sich; dann aber ist sie so sehr von ihrer Erfahrung in Erziehung der Kinder überzeugt, daß es ihr nicht einmal einfällt, um ihre Tochter besorgt zu sein. Bewahre! wie könnte sie das! Ein Wink, ein majestätischer Blick – und Alles muß wie am Drahte gehen. Das ist’s, woran diese Gnädige denkt, die sich eine Beschützerin der Künste und Wissenschaften dünkt, sich für einen hohen Geist und Gott weiß was noch hält, in der That aber weiter nichts ist, als ein altes Weltdämchen Natalia ist kein Kind; glauben Sie mir, sie giebt sich häufigeren und tieferen Betrachtungen bin, als wir Beide. Und da mußte solch ein ehrliches, leidenschaftliches Gemüth aus diesen Schauspieler, diesen Gecken stoßen! Uebrigens ist auch dies in der Ordnung.

– Gecken! Sie nennen ihn einen Gecken!

– Natürlich ihn. . . Sagen Sie doch selbst, Alexandra f Pawlowna, was für eine Rolle spielt er bei Darja Michailowna? Den Götzen, das Orakel des Hauses vorstellen, sich in die Wirthschaft, in häusliche Klatschereien und Lappalien mischen – ist das wohl eines Mannes würdig?

Alexandra Pawlowna blickte Leschnew mit Erstaunen an.

– Ich erkenne Sie nicht wieder, Michael Michailitsch, jagte sie. – Das Blut ist Ihnen in’s Gesicht gestiegen, Sie sind in Aufregung. – Nein, wahrhaftig, da steckt etwas Anderes dahinter . . .

– Nun, da haben wirkt Sagt man einer Frau die Wahrheit auf sein Gewissen – sie wird sich nicht zufrieden geben, bevor sie nicht irgend einen nichtigen Nebengrund erdichtet, weshalb man gerade so und nicht anders geredet hat.

Alexandra Pawlowna wurde böse.

– Bravo, Monsieur Leschnew! Sie fangen an, die Frauen nicht besser zu behandeln, als Herr Pigassow es thut; doch, mit Ihrer Erlaubniß, wie scharfsichtig Sie auch sein mögen, wird es mir doch schwer, zu glauben, daß Sie in so kurzer Zeit Alle und Alles durchdringen konnten. Mir scheint, Sie sind im Irrthum. In Ihren Augen wäre Rudin eine Art Tartüffe.

– Das ist’s eben, daß er nicht einmal ein Tartüffe ist. Tartüffe, der wußte wenigstens, um was es ihm zu thun war; dieser aber, trotz seines Verstandes . . .

Leschnew hielt inne.

– Nun denn, dieser also? Reden Sie aus, Sie ungerechter, garstiger Mensch!

Leschnew erhob sich.

– Hören Sie, Alexandra Pawlowna, begann er: – ungerecht sind Sie, nicht ich. Sie zürnen mir wegen meines strengen Urtheils über Rudin: ich habe ein Recht, mich über ihn streng zu äußern! Vielleicht habe ich dieses Recht nicht um billigen Preis erkauft. Ich kenne ihn gut: habe lange mit ihm zusammen gelebt. Erinnern Sie sich, ich versprach Ihnen gelegentlich, unser Leben in Moskau zu erzählen. Wie es scheint, muß ich es wohl jetzt thun. Werden Sie aber die Geduld haben, mich bis zu Ende anzuhören?

– Reden Sie, reden Sie!

– Wohlan denn! Leschnew begann langsamen Schrittes durch das Zimmer zu gehen, von Zeit zu Zeit blieb erstehen und senkte den Kopf nach vorn.

– Vielleicht ist es Ihnen bekannt, hub er an: – vielleicht auch nicht, daß ich früh als Waise zurückblieb und bereits im siebenzehnten Jahre keine andere Autorität über mich kannte, als die eigene. Ich lebte im Hause meiner Tante in Moskau, und that, was ich wollte. Ich war ein ziemlich hohler und selbstsüchtiger Bursche, und liebte mich zu brüsten und groß zu thun. Als ich die Universität bezogen hatte, war mein Betragen das eines Schuljungen und verwickelte mich bald in eine höchst fatale Geschichte. Ich will sie Ihnen nicht erzählen: es lohnt nicht. Ich hatte mir eine Lüge zu Schulden kommen lassen, eine ziemlich garstige Lüge . . . Die Sache kam heraus, ich ward überführt beschämt . . . . ich war verwirkt, und weinte wie ein Kind. Das ereignete sich in der Wohnung eines Bekannten, in Gegenwart unsrer Gefährten. Alle machten sich lustig über mich, Alle, einen Studenten ausgenommen, der, bitte zu beachten, mehr als die Uebrigen unwillig über mich gewesen war, so lange ich verstockt blieb und meine Lüge nicht eingestanden hatte. That ich ihm vielleicht leid – genug, er nahm mich unter den Arm und führte mich zu sich.

– Das war Rudin? fragte Alexandra Pawlowna.

– Nein, es war nicht Rudin . . . das war ein Mensch . . . er ist jetzt schon todt . . . das war ein ungewöhnlicher Mensch. Er hieß Pokorski. Ihn mit wenigen Worten zu schildern, bin ich nicht im Stande, kommt sein Name mir aber auf die Lippen, dann vergeht mir die Lust, von jedem Anderen zu sprechen. Das war eine erhabene, reine Seele und ein Geist, wie er mir nachher nicht wieder vorgekommen ist. Pokorski bewohnte ein kleines, niedriges Stübchen im Halbgeschosse eines alten, hölzernen Häuschens. Er war sehr arm, und schlug sich, so gut es ging, mit Unterrichtgeben durch. Es kamen Zeiten, wo er nicht einmal mit einer Tasse Thee seinen Gast zu bewirthen im Stande war, und sein einziger Divan war dermaßen eingesessen, daß er einem Boote nicht unähnlich sah. Dennoch, trotz des Mangels an Bequemlichkeiten, besuchten ihn Viele. Es hatten ihn Alle lieb, und er zog die Herzen an. Sie können sich nicht vorstellen, wie so angenehm und heiter es sich in seinem ärmlichen Stäbchen saß! Bei ihm wurde ich mit Rudin bekannt. Er hatte sich damals bereits von seinem Fürstensöhnchen getrennt.

– Was hatte denn jener Pokorski besonderes an sich? fragte Alexandra Pawlowna.

– Wie soll ich Ihnen das erklären? Poesie und Wahrheit – das zog Alle zu ihm hin. Bei seinem hellen, weiten Geiste war er liebenswürdig und unterhaltend, wie ein Kind. Noch jetzt tönt sein frohes Lachen in meinen Ohren nach, und dabei

 
»Glühte er still und unauslöschlich für das Gute
»Wie vor dem Heiligenbild die nächtliche Lampe . . . «
 

wie sich über ihn ein halbverrückter, überaus liebenswürdiger Poet unseres Kreises ausgedrückt hat.

– Und wie sprach er? fragte wieder Alexandra Pawlowna.

– Er sprach gut, wenn er aufgelegt war, doch nicht auffallend. Rudin war schon damals zwanzig Mal beredter als er.

Leschnew hielt inne und kreuzte die Arme übereinander.

– Pokorski und Rudin glichen einander nicht. An Rudin war weit mehr Glanz und Effekt, mehr Phrase, und – wenn Sie wollen – mehr Begeisterung. Er schien viel mehr Talent zu besitzen als Pokorski, in der That aber war er, im Vergleich zu ihm, ein armer Wicht. Rudin entwickelte ganz vorzüglich jeden beliebigen Gedanken und disputirte meisterhaft; die Gedanken entsprangen aber nicht aus seinem Kopfe: er stahl sie Anderen, vorzüglich Pokorski. Dieser war äußerlich ruhig und sanft, fast schwach – liebte die Frauen bis zur Narrheit, zechte gern und würde von Niemandem eine Beleidigung ertragen haben. Rudin schien voll Feuer, Kühnheit, Leben, war jedoch im Innern der Seele kalt und beinahe ein Poltron, so lange seine Selbstliebe nicht angefochten wurde: dann aber konnte er aus der Haut fahren. Er suchte beständig, Andere zu beherrschen, that es aber immer im Namen allgemeiner Prinzipien und Ideen und gewann dadurch wirklich großen Einfluß über Viele. Es ist wahr, Niemand liebte, ihn; ich war vielleicht der Einzige, der sich an ihn geschlossen hatte. Sein Joch wurde ertragen . . . Pokorski unterwarfen sich Alle von selbst. Rudin vermied aber auch niemals, sich mit dem Ersten Besten in Unterhaltung oder Wortstreit einzulassen . . . Er hatte nicht viel gelesen, jedenfalls aber bedeutend mehr, als Pokorski und wir Alle, überdies besaß er einen systematischen Verstand und ein ungeheures Gedächtniß, dies Alles aber verfehlt niemals seine Wirkung auf die Jugend! Ein Resultat muß sie haben, Abschlüsse, wenn auch falsche, aber es müssen Abschlüsse sein! Ein durchweg ehrenhafter Mensch taugt dazu, nichts. Versuchen Sie es, der Jugend zu gestehen, daß Sie ihr reine Wahrheit nicht reichen können, weil Sie selbst solche nicht besitzen . . . die Jugend wird Sie nicht anhören wollen. Sie geradezu hinter das Licht führen, können Sie aber auch nicht. Es ist durchaus nothwendig, daß Sie selbst, wenn auch nur zur Hälfte, glauben, Sie seien im Besitze der Wahrheit . . . Darum war denn auch die Wirkung, die Rudin auf Unser Einen ausübte, so mächtig. Nun sehen Sie, ich sagte Ihnen soeben, daß er nicht viel gelesen hatte; es waren aber philosophische Bücher, die er las, und sein Kopf war so eingerichtet, daß er aus Dem, was er gelesen hatte, sogleich das Allgemeine herausnahm, sich an die Wurzel der Sache klammerte, und dann erst von derselben aus, nach allen Seiten hin, klare und gerade Gedankenfäden zog, geistige Fernsichten eröffnete. Unsern damaligen Kreis bildeten, offen gestanden, Knaben – und nur oberflächlich gebildete Knaben. Philosophie, Kunst, Wissenschaft, das Leben selbst – alles das waren für uns nur Worte, vielleicht auch Begriffe, anziehende, herrliche, aber zerstreute, vereinzelte Begriffe. Von einem allgemeinen Zusammenhange dieser Vorstellungen, von einem allgemeinen Weltgesetze hatten wir keine Ahnung, nichts davon stand vor unseren Blicken, obgleich wir unbestimmt darüber disputirten und uns abmühten, uns Licht darüber zu verschaffen. Hörten wir Rudin sprechen, so glaubten wir zum ersten Male, ihn endlich erfaßt zu haben, diesen allgemeinen Zusammenhang, wir wähnten, der Vorhang sei endlich vor uns aufgehoben! Gesetzt auch, er habe nicht Eigenes vorgetragen – was that es! eine regelmäßige Ordnung war in unserem ganzen Wissen eingetreten, alles Verworrene hatte sich gesammelt, geschichtet und war vor uns aufgewachsen, wie ein Bau, überall war Licht und wehte Lebensgeist . . . Nichts blieb unverständlich, zufällig: aus Allem sprach vernünftige Nothwendigkeit und Schönheit, Alles bekam eine klare und zugleich geheimnißvolle Bedeutung, jede vereinzelte Erscheinung im Leben tönte wie ein Akkord, und wir selbst, von einer heiligen Scheu, einem sanften Herzensschauer erfüllt, dünkten uns belebte Gefäße jener ewiger Wahrheit, ihre Werkzeuge, zu etwas Großem berufen . . . Kommt Ihnen das nicht lächerlich vor?

 

– Nicht im Mindestens erwiederte Alexandra Pawlowna gedehnt: – Warum glauben Sie das? Ich verstehe Sie nicht ganz, finde es aber nicht lächerlich.

– Seit der Zeit sind wir freilich klüger geworden; fuhr Leschnew fort: – das muß uns Alles jetzt wie Kinderei vorkommen . . . Doch, ich wiederhole es, wir hatten damals Rudin viel zu verdanken Pokorski stand unvergleichlich höher als er, dagegen ist nichts zu sagen; Pokorski flößte uns Allen Feuer und Kraft ein, er fühlte sich indessen zu gewissen Zeiten schlaff und wurde schweigsam. Er war ein nervöser, krankhafter Mensch; wenn er aber seine Flügel entfaltet hatte – Gott! wohin nahm er dann seinen Flug! gerade in das tiefste Blau des Himmels hinein! In Rudin hingegen, diesem schönen und stattlichen Jungen, gab es viel Kleinliches; er machte sogar Klatschereien; seine Leidenschaft war es, sich in Alles zu mischen, über Alles sein Wort abzugeben, Alles zu erklären. Seine rührige Thätigkeit gönnte sich niemals Ruhe . . . ein politischer Geist das! Ich rede von ihm, wie ich ihn damals gekannt habe. Er hat sich übrigens leider nicht verändert. Und auch in seinen Ueberzeugungen ist keine Veränderung eingetreten . . . bei fünfunddreißig Jahren! . . . Das kann nicht Jeder von sich sagen.

– Sehen Sie sich, sagte Alexandra Pawlowna zu ihm: – Sie brauchen ja nicht wie ein Perpendikel das Zimmer zu durchlaufen!

– Mir ist’s so bequemer, erwiederte Leschnew. – Kaum war ich in den Kreis Pokorski’s hineingerathen, so war ich wie umgewandelt: ich demüthigte mich, fragte nach, lernte, freute mich, empfand eine Art von Ehrfurcht, wie wenn ich in einen Tempel getreten wäre. Und in der That, wenn ich an unsere Zusammenkünfte zurückdenke, ja, bei Gott; es war viel Gutes, ja Rührendes in ihnen. Stellen Sie sich eine Gesellschaft von fiinf, sechs jungen Burschen vor, ein einziges Talglicht brennt, es wird ein abscheulicher Thee getrunken mit altem, ganz altem Zwieback dazu; zugleich aber betrachten Sie unsere Gesichter und hören unsere Reden! In den Blicken eines Jeden – Entzücken, es glühen die Wangen, das Herz klopft, wir reden von Gott, von Wahrheit, von der Zukunft der Menschheit, von Poesie, – zuweilen auch Unsinn, lassen uns von einem Nichts hinreißen; was thut das aber! . . . Pokorski sitzt da, mit untergeschlagenen Beinen, seine Hand stützt die bleiche Wange: seine Augen leuchten. Rudin steht mitten im Zimmer und redet, redet schön, das treue Abbild eines jugendlichen Demosthenes vor dem brausenden Meere; Ssubotin, der Poet mit verwühltem Haar, stößt von Zeit zu Zeit, und wie im Traume, abgebrochene Sätze aus; ein vierzigjähriger Bursche, Sohn eines deutschen Pastors, Scheller genannt, der wegen seines beständigen, unverbrüchlichen Schweigens unter uns sich den Ruf eines überaus tiefen Denkers erworben hatte, schweigt auf ganz besonders feierliche Weise – und der heitere Stschitow selbst, der Aristophanes unseres Kreises, wird stille und lächelt bloß; zwei, drei Neulinge horchen mit begeistertem Entzücken auf . . . Und die Nacht zieht unbemerkt in stillem Fluge wie auf Fittichen vorüber. Da graut schon der Morgen und gerührt, heiter, ehrsam, nüchtern – an Wein dachte man damals bei uns nicht – und mit einer gewissen, der Seele wohlthuenden Müdigkeit gehen wir auseinander . . . Noch jetzt denke ich daran, wie ich, ganz in Rührung zerflossen, die menschenleeren Gassen durchstreifte, und sogar den Sternen zutrauliche Blicke zuwarf, als wären sie mir näher gerückt und verständlicher geworden . . . Oh! die herrliche Zeit damals, und ich kann nicht glauben, daß sie nutzlos verloren gegangen ist! Und sie ist es auch nicht – sie ist nicht verloren, selbst für diejenigen nicht, welche nochmals in der Alltäglichkeit des Lebens untergingen . . . Wie oft sind mir dergleichen Leute, einstige Commilitonen, vorgekommen! Man hätte glauben können, ganz verthiert wäre der Mensch, – und es bedürfte nur des Namen’s Pokorski – so wurde sogleich alles Gute, das in ihm übrig geblieben war, rege, wie wenn man in einem schmutzigen und finsteren Gemache ein liegen gebliebenes Fläschchen voll Wohlgerüchen öffnet . . .

Leschnew schwieg; sein bleiches Gesicht hatte sich geröthet.

– Weshalb aber, wann – haben Sie sich mit Rudin entzweiet? hub Alexandra Pawlowna mit verwundertem Blicke an.

– Ich habe mich nicht mit ihm entzweit; ich trennte mich von ihm, als ich ihn im Auslande genau kennen gelernt hatte. Aber schon in Moskau hätten wir uns entzweien können. Schon damals spielte er mir einen bösen Streich.

– Was war denn das?

– Das will ich Ihnen sagen. Ich war . . . wie soll ich mich ausdrücken? Zu meiner Figur paßt das nicht . . . ich war von jeher sehr geneigt, mich zu verlieben.

– Sie?

– Ja ich! Das ist sonderbar, nicht wahr? Dem ist aber doch so . . . Nun, ich verliebte mich also damals in ein sehr liebliches Mädchen . . . Warum sehen Sie mich denn so an? Ich könnte Ihnen von mir eine bei Weitem wunderbarere Geschichte erzählen.

– Was für eine Geschichte? wenn ich fragen darf? Sie machen mich neugierig.

– Einfach folgende: Zu jener Zeit in Moskau pflegte ich bei Nacht mich zu einem Rendezvous einzustellen . . . mit wem meinen Sie wohl? mit einer jungen Linde am Ende meines Gartens. Ich hielt ihren dünnen und schlanken Stamm umfangen, und es däuchte mir, ich umfasse die ganze Natur, und das Herz wurde mir weit und verging in Liebe, als ob wirklich die ganze Natur sich in dasselbe ergossen hätte . . . Ja, so war ich!. . . Doch was! Sie glauben vielleicht auch, ich hatte damals keine Verse gemacht? Ich habe es dennoch gethan, ja sogar eine Nachbildung des »Manfred« von Byron! Unter den handelnden Personen kam ein Gespenst vor, mit Blut auf der Brust, und, wohl verstanden, nicht sein eigenes Blut, sondern das Blut der Menschheit überhaupt . . . Ja, ja, also wundern Sie sich nicht. . . Doch, ich fing an, von meiner Liebe zu erzählen. Ich machte also die Bekanntschaft eines jungen Mädchens . . .

– Und hörten auf, zu der Linde zu gehen? fragte Alexandra Pawlowna.

– Hörte auf hinzugehen. Jenes junge Mädchen war ein herzensgutes, allerliebstes Geschöpfchen, mit lebhaftem klaren Augen und hellklingender Stimme.

– Sie schildern sehr gut, bemerkte mit einem seinen Lächeln Alexandra Pawlowna.

– Sie aber sind eine strenge Richterin, erwiederte Leschnew.

Nun, dieses Mädchen wohnte bei ihrem greisen Vater . . . Doch ich will mich nicht in Details einlassen. Ich muß Ihnen aber wiederholen, daß dieses junge Mädchen wirklich herzensgut war – goß sie mir doch immer beim Thee das Glas bis zum Rande voll, wenn ich auch nur um ein halbes gebeten hatte! . . . Drei Tage nach unserem ersten Zusammentreffen war ich schon in Liebe zu ihr entbrannt, am siebenten Tage hielt ich es nicht mehr aus und theilte Rudin Alles mit. Junge Leute, wenn sie verliebt sind, können es nicht für sich behalten: ich beichtete also Rudin Alles. Ich stand damals ganz unter seinem Einflusse, und dieser Einfluß, ich muß es unverhohlen bekennen, war in vieler Hinsicht wohlthuend. Er war der Erste, der mich nicht gering achtete, er gab mir den nöthigen Schliff. Pokorski liebte ich leidenschaftlich aber ich empfand eine gewisse Scheu vor seiner reinen Seele, Rudin stand mir näher. Als er von meiner Liebe hörte, gerieth er in unbeschreibliches Entzücken, gratulierte mir, umarmte mich und begann sogleich mich zu belehren, mir die große Wichtigkeit meiner neuen Lage auseinanderzusetzen. Ich war ganz Ohr . . . Nun, Sie wissen ja, wie er zu reden versteht. Seine Worte machten auf mich einen außerordentlichen Eindruck. Ich bekam auf einmal eine merkwürdige Achtung vor mir selbst, nahm eine ernsthafte Miene an und lachte nicht mehr. Ich weiß es noch, ich fing sogar an, vorsichtiger aufzutreten, als trüge ich in der Brust ein Gefäß, mit kostbarer Flüssigkeit angefüllt, die ich zu verschütten befürchtete . . . Ich fühlte mich hoch beglückt, umso mehr, da mir unerkennbare Beweise von Wolhwollen zu Theil wurden. Rudin äußerte den Wunsch, die Bekanntschaft des Gegenstandes meiner Liebe zu machen, und vielleicht war ich es selbst, der daraus bestand, daß er ihm vorgestellt werde.

– Nun, ich sehe, sehe jetzt, wo dies hinausläuft, unterbrach ihn Alexandra Pawlowna. – Rudin hat Ihnen Ihren Gegenstand abgejagt, und Sie können es ihm bis jetzt nicht verzeihen . . . Ich wollte wetten, ich habe es getroffen!

– Und Sie wurden Ihre Wette verlieren, Alexandra Pawlowna: Sie sind im Irrthum. Rudin hat mir meinen Gegenstand nicht abgejagt, und wollte ihn mir auch nicht abjagen; er hat aber dennoch mein Glück zertrümmert, obgleich ich ihm jetzt, wenn ich es mit kaltem Blute betrachte, Dank dafür wissen möchte. Damals aber verlor ich beinahe den Verstand. Rudin wollte mir keinesweges schaden – im Gegentheil! Doch, getreu seiner unglückseligen Gewohnheit: jede Regung des Lebens, des eigenen sowohl, wie des Anderen, an ein Wort zu spießen, wie den Schmetterling an die Nadel, begann er uns über uns selbst aufzuklären, unser Verhältniß, unser gegenseitiges Benehmen zu analysiren, er zwang uns despotisch, ihm Rechenschaft abzulegen von unseren Gedanken, ertheilte uns Lob und Tadel, ja, – wollen Sie es glauben – er ließ sich mit uns sogar in einen Briefwechsel ein! . . . Kurz, wir wurden durch ihn ganz und gar irre an einander! Ich würde wohl damals schwerlich meine Schöne geheirathet haben, so viel gesunder Verstand war mir noch geblieben, wir hätten aber immerhin, gleich Paul und Virginie, einige glückliche Monate verbringen können; so aber kam es zu Mißverständnissen und Spannungen aller Art – mit einem Worte, es wurde ein völliger Wirrwarr daraus. Das Ende vom Liede war, daß Rudin eines schönen Morgens aus seinen eignen Reden die Ueberzeugung herausschälte: es läge ihm, als dem Freunde, die heilige Verpflichtung ob, den greisen Vater von Allem in Kenntniß zu setzen, und das hat er auch gethan.

– Wäre es möglich? rief Alexandra Pawlowna aus.

– Ja, doch nicht zu vergessen, mit meiner Einwilligung – das ist das Wunderbare! Ich erinnere mich jetzt noch, welch’ ein Chaos ich damals im Kopf mit mir umherschleppte es drehte sich und verrückte sich in demselben Alles, wie in einer Camera obscura: was weiß gewesen, zeigte sich schwarz, Schwarzes – weiß, Lüge schien Wahrheit, Einbildung – Pflicht geworden zu sein . . . Oh! noch jetzt fühle ich mich beschämt, wenn ich daran denke! Rudin, – der verlor den Muth nicht . . . warum sollte er es auch! er flog nur so hinweg über Mißverständnisse und Verwickelungen aller Art, wie die Schwalbe über den Teich.

 

– Und so schieden Sie denn von Ihrem Mädchen? fragte Alexandra Pawlowna, das Köpfchen naiv auf die Seite neigend, und die Augenbrauen heraufziehend.

– Ich schied von ihr. . . und es war ein schlechtes, ein beleidigendes, ungeschicktes, unnützerweise offenkundiges Scheiden . . . Ich weinte, sie weinte und, der Teufel weiß, was daraus wurde . . . Es hatte sich da ein gordischer Knoten zusammengezogen – er mußte durchhauen werden, das that aber wehe! Uebrigens fügt sich Alles auf der Welt zum Besten. Sie hat einen braven Mann geheirathet und lebt jetzt glücklich . . .

– Gestehen Sie es, Sie haben Rudin doch nicht vergeben können . . . warf Alexandra Pawlowna ein.

– Sie irren sich! erwiederte Leschnew: – geweint habe ich, wie ein Kind, als ich bei seiner Abreise in’s Ausland Abschied von ihm nahm. Die Wahrheit zu sagen, ist mir aber doch, schon damals, ein Stachel in der Seele stecken geblieben. Und als ich später im Auslande mit ihm zusammentraf . . . je nun, da war ich auch schon älter geworden . . . Rudin erschien mir in seinem wahren Lichte.

– Was war es denn, was Sie an ihm entdeckt hatten? – Nun, Alles, wovon ich Ihnen vor einer Stunde erzählte. Doch genug von ihm. Vielleicht endet noch Alles gut. Ich wollte Ihnen nur beweisen, daß, wenn ich über ihn ein strenges Urheil fälle, ich es nicht thue, weil ich ihn etwa nicht kenne . . . Was indessen Natalia Alexejewna betrifft, so will ich nicht unnütze Worte verlieren; Sie aber mögen auf Ihren Bruder Acht geben.

– Auf meinen Bruder! Was ist’s denn mit ihm?

– Sehen Sie ihn doch nur an. Bemerken Sie denn nichts?

Alexandra Pawlowna senkte den Kopf.

– Sie haben Recht, sagte sie; – mein Bruder. . . seit einiger Zeit erkenne ich ihn nicht wieder . . .

Glauben Sie aber wirklich . . .

– Still! er kommt, däucht mir, flüsterte Leschnew. Natalia ist gewiß kein Kind mehr, glauben Sie mir’s, obschon Sie unerfahren ist wie ein solches. Sie werden sehen, dieses kleine Mädchen wird uns noch Alle in Erstaunen setzen.

– Wodurch meinen Sie? «

– So meine ich: solche kleine Mädchen pflegen sich in’s Wasser zu stürzen, Gift zu nehmen und dergleichen mehr. Beurtheilen Sie sie nicht nach ihrem ruhigen Aussehen, sie besitzt heftige Leidenschaften und auch Charakter, verlassen Sie sich darauf!

– Nun, mir scheint, Sie versteigen sich in das Reich der Dichtung. Einem solchen Phlegmatiker, wie Ihnen, könnte auch ich noch als ein Vulkan erscheinen.

– Oh nein! äußerte Leschnew lächelnd . . . Was Charakter anbetrifft – davon besitzen Sie, Gott sei Dank, nichts.

– Was ist das wieder für ein unartiger Ausfall!

– Wie? Ich bitte Sie, das ist ja das allergrößte Compliment . . .

Wolinzow trat herein und warf einen mißtrauischen Blick auf Leschnew und seine Schwester. Er hatte in der letzten Zeit etwas abgenommen. Beide redeten ihn an; er würdigte aber ihre Scherze kaum eines Lächelns und hatte, wie sich einst Pigassow über ihn äußerte, die Miene eines »melancholischen Hasen.« Es hat aber wohl kaum jemals einen Menschen gegeben, der nicht, wenn auch nur ein Mal in seinem Leben, eine noch schlechtere Miene gezeigt hatte. Wolinzow fühlte, daß Natalia sich von ihm abwandte, mit ihr aber, so däuchte es ihn, schwand auch der Boden unter seinen Füßen.