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XII

Zwei Jahre etwa waren verflossen war in den ersten Tagen des Mai’s Auf dem Balkon ihres Hauses saß Alexandra Pawlowna, jetzt nicht mehr Lipin, sondern Leschnew; ungefähr vor einem Jahre hatte sie Michael Michailitsch geheirathet. Sie war lieblich wie ehemals, nur in der letzten Zeit etwas stärker geworden. Vor dem Balkon, von welchem aus Stufen in den Garten führten, ging eine Amme umher, mit einem rothbäckigen Kinde in weißem Mäntelchen und weißem Besatz auf dem Hütchen. Alexandra Pawlowna verwandte die Augen nicht von dem Kinde. Es schrie nicht, saugte mit wichtiger Miene an seinem Finger und schaute ruhig um sich herum. Es zeigte sich bereits als würdiger Sohn Michael Michailitsch’s.

Neben Alexandra Pawlowna saß aus dem Balkone unser alter Bekannter Pigassow. Er war, seit wir ihn aus dem Gesichte verloren haben, merklich ergraut, gebeugt, magerer geworden und zischte beim Sprechen: ein Vorderzahn war ihm ausgefallen; das Zischen verlieh seiner Rede noch mehr Bissigkeit . . . Seine Gehässigkeit hatte sich mit den Jahren nicht vermindert, doch waren seine Witze stumpf geworden und er verfiel häufiger in Wiederholungen. Michael Michailitsch war nicht zu Hause, man erwartete ihn zum Thee. Die Sonne war bereits untergegangen. Ein langer, blaßgoldener, citronengelber Streif zog sich am Abendhimmel hin, während an dem entgegengesetzten Himmelsrande zwei solcher Streifen sichtbar waren: einer, der untere, blau, der andere, obere, röthlich- veilchenblau. In der Höhe verschwammen leichte Wölkchen. Alles versprach anhaltend gutes Wetter.

Plötzlich lachte Pigassow auf.

– Was macht Sie lachen, Afrikan Sement iesch? fragte Alexandra Pawlowna.

– Nichts, mir fiel ein . . . Gestern hörte ich, wie ein Bauer zu seiner Frau, die gerade etwas redselig geworden war, sagte: knarre nicht! . . . Mir hat der Ausdruck sehr gefallen. Knarre nicht! Und in der That, worüber können die Weiber denn reden? Sie wissen, ich habe die Anwesenden niemals im Sinne. Unsere Vorältern waren klüger als wir. In ihren Legenden sitzt die Schöne am Fenster, mit einem Stern auf der Stirn und dabei ist sie stumm wie ein Fisch. So muß es auch sein. Und urtheilen Sie selbst: da sagt zu mir vorgestern unsere Frau Adelsmarschallin – wie ein Pistolenschuß schoß sie mir’s vor den Kopf – sagt sie mir, ihr gefalle nicht meine Tendenz! Tendenz! Nun, frage ich Sie, wäre es nicht besser gewesen für sie, wie für Alle, wenn sie, kraft irgendwelcher wohlthuenden Verfügung der Natur, plötzlich des Gebrauchs der Sprache beraubt worden wäre?

– Sie bleiben sich immer gleich, Afrikan Semenitsch: – Sie ziehen immer gegen uns wehrlose . . . Wissen Sie, das ist auch ein Unglück in seiner Art, gewiß. Sie thun mir leid.

– Unglück? Wie können Sie das sagen! Erstens, giebt es, meiner Ansicht nach, überhaupt nur dreierlei Unglück auf der Welt: im Winter in kalter Wohnung zu wohnen, im Sommer enge Stiefel zu tragen und in einem Zimmer zu schlafen, wo ein Kind kreischt, auf das man kein Wanzenpulver streuen darf. Uebrigens bin ich nicht der friedfertigste Mensch von der Welt geworden? Zu einer moralischen Sentenz, zu einem Rechenexempel bin ich geworden! So sittsam ist jetzt mein Betragen!

– Ein schönes Betragen, das Ihrige, ich muß es gestehen! Hat doch, gestern noch, Helena Antonowna sich bei mir über Sie beschwert.

– So – oh! Und was hat sie Ihnen erzählt, wenn ich fragen darf?

– Sie sagte mir, Sie hätten den ganzen Morgen hindurch, auf alle ihre Fragen nur eine Antwort gegeben, »wa—as? wa—as!« und das mit so winselndem Tone . . .

Pigassow lachte.

– Es war aber eine gute Idee, das müssen Sie doch zugeben, Alexandra Pawlowna, . . . wie?

– Eine vortreffliche Idee! Darf man sich wohl gegen eine Frau so unhöflich benehmen, Afrikan Semenitsch?

– Was? Helena Antonowna ist eine Frau in Ihren Augen?

– Was ist sie denn in den Ihrigen?

– Eine Trommel, nichts weiter, eine gewöhnliche Trommel, worauf man mit Stöcken paukt . . .

– Ach ja! unterbrach ihn Alexandra Pawlowna um der Unterhaltung eine andere Richtung zu geben: – man darf Ihnen, wie ich gehört habe, Glück wünschen?

– Wozu?

– Zur Beendigung Ihres Processes. Die Glinow Wiesen sind Ihnen ja zugesprochen . . .

– Ja, sie sind mir zugesprochen worden, erwiederte finster Pigassow.

– Sie haben schon seit langer Zeit darnach getrachtet und scheinen jetzt nicht zufrieden.

– Ich muß Ihnen sagen, Alexandra Pawlowna, brachte Pigassow langsam hervor: – es kann nichts Schlimmeres und Verletzenderes geben, als wenn ein Glück zu spät kommt. Freude kann es Ihnen doch nicht bringen, dagegen raubt es Ihnen das Recht, das allerkostbarste Recht – das Schicksal zu schelten. Ja, meine Gnädige, ein spätes Glück ist nichts als ein bitterer und beleidigender Spott. —

Alexandra Pawlowna zuckte bloß die Achseln.

– Amme, sagte sie dann: – ich denke, es ist Zeit, daß Mischa zu Bett gebracht wird. Gieb ihn hierher.

Und Alexandra Pawlowna machte sich mit ihrem Sohne zu schaffen, während Pigassow sich brummend auf die andere Seite des Balkons zurückzog.

Aus einmal zeigte sich in der Nähe, aus dem Wege, der längs dem Garten hinlief, Michael Michailitsch auf seiner Reitdroschke. Vor derselben liefen zwei große Hofhunde her: der eine gelb, der andere grau; er hatte sie sich vor Kurzem erst angeschafft. Sie zerrten sich unaufhörlich, und waren die besten Freunde. Ein alter Dachshund kam ihnen bis vor das Thor entgegen und sperrte das Maul auf, als wolle er bellen, doch wurde daraus nur ein Gähnen und er kehrte, mit dem Schwanze ruhig wedelnd, wieder um.

– Sieh einmal her, Sascha, rief Leschnew schon von Weitem seiner Frau zu: – wen ich Dir da mitbringe.

Alexandra Pawlowna erkannte nicht sogleich die Person, die hinter ihrem Manne saß.

– Ah! Herr Bassistow! rief sie dann.

– Er ist es, er! erwiederte Leschnew: – und was für vortreffliche Nachrichten er bringt. Watte nur, Du sollst sogleich Alles erfahren.

Und er fuhr in den Hof hinein.

Einige Minuten darauf erschien er mit Bassistow auf dem Balkon.

– Hurrah! rief er, seine Frau in die Arme schließend – Sergei heirathet!

– Wen? fragte Alexandra Pawlowna bewegt.

– Versteht sich, Natalia . . . Unser Freund hier hat diese Nachricht aus Moskau mitgebracht, und es ist auch ein Brief an Dich da . . . Hörst Du, Mischuk? setzte er hinzu, die Händchen seines Sohnes erfassend: – Dein Onkel heirathet! . . . Das ist aber ein Phlegma! er blinzelt nur mit den Augen dazu!

– Der junge Herr wollen schlafen, bemerkte die Amme.

– Ja, sagte Bassistow, indem er zu Alexandra Pawlowna trat: – ich bin heute von Moskau im Auf trage von Darja Michailowna gekommen – die Gutsrechnungen durchzusehen. Hier ist auch der Brief.

Alexandra Pawlowna öffnete hastig den Brief ihres Bruders. Er bestand aus nur wenigen Zeilen. Im ersten Anfalle von Freude meldete er der Schwester, er habe um Natalia angehalten, ihre und Darja Michailowna’s Einwilligung bekommen, versprach mit der ersten Post ausführlich zu schreiben und umarmte und küßte in Gedanken Alle. Er schrieb offenbar in einer Art von Betäubung.

Der Thee wurde gebracht. Bassistow mußte sich setzen. Man überschüttete ihn mit Fragen. Alle, Pigassow, sogar, waren über die erhaltene Nachricht erfreut.

– Sagen Sie doch, fragte Leschnew im Laufe der Unterhaltung: – es sind uns Gerüchte über einen gewissen Herren Kartschagin zu Ohren gekommen – sollte an ihnen etwas Wahres sein?

Dieser Kartschagin, welchen der Leser bisher noch nicht kennen gelernt hat, war ein hübscher junger Mann – ein Dandy, sehr aufgeblasen und wichtigthuend; er hielt sich majestätisch, und sah dabei so aus, als wäre er kein lebendiger Mensch, sondern eine ihm selbst auf Subscription errichtete Statue.

– Doch nicht so ganz unwahr, erwiederte Bassistow mit einem Lächeln. Darja Michailowna war ihm sehr gewogen; Natalia wollte jedoch nichts von ihm wissen.

– Den kenne ich ja, warf Pigassow dazwischen: – das ist ja ein Doppeltölpel, ein Erzperrückenstock . . . ich bitte Sie. Wenn alle Leute ihm ähnlich wären, müßte man sich viel Geld zahlen lassen, wenn man überhaupt leben sollte . . . wie ist das möglich!

– Vielleicht, erwiederte Bassistow: – in der Welt spielt er jedoch keine der letzten Rollen.

– Je nun, das ist uns gleich! rief Alexandra Pawlowna aus: – Lassen wir ihn! Ach, wie bin ich froh um den Bruder! . . . Und Natalia ist heiter, glücklich?

– Ja. – Sie ist ruhig, wie immer – Sie kennen sie ja – sie scheint aber zufrieden zu sein.

Der Abend verging unter angenehmen und heiteren Gesprächen. Man setzte sich zu Tische.

– Ja, da fällt mir ein, sagte Leschnew zu Bassistow, indem er ihm Lafitte einschenkte: – wissen Sie, wo Rudin weilt?

– Für jetzt weiß ich es nicht mit Bestimmtheit. Vorigen Winter kam er auf kurze Zeit nach Moskau und reiste dann mit einer Familie nach Simbirsk; wir tauschten eine Zeit lang mit einander Briefe: in dem letzten benachrichtigte er mich, daß er Simbirsk verlasse – sagte jedoch nicht, wohin er ziehe – und seit der Zeit hörte ich nichts mehr von ihm.

– Der geht nicht unter! nahm Pigassow das Wort: – er sitzt irgendwo und hält Reden. Dieser Herr wird immer zwei, drei Verehrer finden, die ihm mit aufgerissenem Munde zuhören und ihm Geld vorschießen. Geben Sie Acht, das Ende davon wird sein, er stirbt in irgend einem Provinzialstädtchen – in den Armen einer überreifen Jungfer mit falschem Haare, die ihm, als dem genialsten Menschen von der Welt, ein heiliges Andenken bewahren wird . . .

– Sie urtheilen über ihn sehr scharf, bemerkte Bassistow halblaut und unzufrieden.

– Durchaus nicht scharf, erwiederte Pigassow: – sondern der Wahrheit getreu. Meiner Ansicht nach, ist er ein Tellerlecker und weiter nichts. Ich habe vergessen, Ihnen zu sagen, fuhr er, zu Leschnew gewendet, fort: – ich habe ja die Bekanntschaft jenes Terlachow gemacht, mit welchem Rudin die Reise in’s Ausland machte. Ja wohl, ja wohl! Was der mir von ihm erzählt hat, davon machen Sie sich keinen Begriff – das ist wirklich lustig! Auffallend ist es, daß alle Freunde und Nacheiferer Rudin’s mit der Zeit seine Feinde werden.

 

– Ich bitte, mich aus der Zahl solcher Freunde auszuschließen! unterbrach ihn mit Feuer Bassistow.

– Sie, nun – das ist ein anderes Ding! Auf Sie ist es auch nicht gemünzt.

– Was war es denn, was Ihnen Terlachow erzählte? fragte Alexandra Pawlowna.

– Mancherlei: es fällt mir nicht Alles ein. Die allerbeste Anekdote über Rudin aber ist folgende: Ohne Unterlaß mit seiner Selbstentwickelung beschäftigt, (diese Herren sind es fortwährend; während Andere, einfach gesagt, schlafen und essen – befinden sie sich im Momente der Entwickelung des Schlafens oder des Essens; ist es nicht so, Herr Bassistow? – Bassistow antwortete nichts) . . . Also mit seiner Entwickelung fortwährend beschäftigt, war Rudin auf dem Wege der Philosophie zu dem Vernunftschlusse gekommen, daß er sich verlieben müsse. Er stellte Nachforschungen über den Gegenstand an, der einem so wunderbaren Vernunftschlusse entspräche. Fortuna lächelte ihm. Er machte die Bekanntschaft einer Französin, einer allerliebsten Putzhändlerin. Das ereignete sich, merken Sie wohl, in einer deutschen Stadt, am Rheine. Er besuchte sie, brachte ihr allerlei Bücher und sprach mit ihr über Natur und Hegel. Stellen Sie sich die Lage der Putzhändlerin vor! sie hielt ihn für einen Astronomen. Nun, Sie wissen, seine Figur ist nicht übel: dazu war er Ausländer, Russe – er gefiel. Endlich bestimmte er eine Zusammenkunft, ein höchst poetisches Stelldichein: in einer Gondel auf dem Flusse. Die Französin willigte ein; legte ihr bestes Kleid an und fuhr mit ihm in der Gondel spazieren. Auf diese Weise vergingen zwei Stunden. Womit glauben Sie nun, daß er sich diese ganze Zeit über beschäftigte? Er hat der Französin den Kopf gestreichelt, gedankenvoll den Himmel angeschaut und ihr mehrmals wiederholt, daß er »väterliche« Zärtlichkeit für sie fühle. Die Französin kehrte wuthentbrannt nach Hause zurück und hat nachher Alles dem Terlachow erzählt. Solch ein Kerl ist er gewesen!

Und Pigassow lachte laut auf.

– Sie sind ein alter Cyniker! bemerkte Alexandra Pawlowna ärgerlich: – indessen gewinne ich immer mehr und mehr die Ueberzeugung, daß selbst Diejenigen, die über Rudin herfallen, ihm nichts Schlechtes nachsagen können.

– Nichts Schlechtes? Ich bitte Sie! und sein beständiges Leben auf fremder Leute Kosten, seine Anleihen . . . Michael Michailitsch? gewiß hat er auch von Ihnen geborgt?

– Hören Sie, Afrikan Semenitsch! begann Leschnew, und sein Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an: – hören Sie: Sie wissen und meine Frau weiß es auch, daß ich in der letzten Zeit keine besondere Zuneigung zu Rudin gefühlt und oft sogar hart über ihn geurtheilt habe. Bei allem Dem Leschnew goß Champagner in die Gläser will ich Ihnen folgenden Vorschlag machen: wir haben soeben auf die Gesundheit unseres theuern Bruders und seiner Braut getrunken; ich fordere Sie jetzt auf, auf die Gesundheit Dmitri Rudins zu trinken!

Alexandra Pawlowna und Pigassow sahen Leschnew mit Verwunderung an, während Bassistow das Herz im Leibe hüpfte und er vor Freude roth wurde und die Augen aufriß.

– Ich kenne ihn gut, fuhr Leschnew fort: – von seinen Fehlern weiß ich nur zu viel. Sie fallen um so mehr in die Augen, weil er selbst kein Alltagsmensch ist.

– Rudin – ist eine geniale Natur! warf Bassistow ein.

– An Genialität fehlt es ihm nicht, erwiederte Leschnew: – aber Natur – das ist eben das Schlimme – Natur hat er nicht . . . Doch nicht davon, von dem Guten, Seltenen in ihm wollte ich sprechen. Er ist voll Begeisterung; das ist aber in unseren Tagen, sie können es mir, dem Phlegmatiker, glauben, die allerkostbarste Eigenschaft. Wir sind Alle unausstehlich überlegt, gleichgültig und träge geworden; wir sind schläfrig, erkaltet, und müssen es Demjenigen Dank wissen, der uns, wenn auch nur auf einen Augenblick, aufrüttelt und erwärmt! Es ist ja die höchste Zeit! Erinnerst Du Dich, Sascha, ich sprach ein Mal mit Dir von ihm und beschuldigte ihn der Kälte. Ich hatte damals Recht und Unrecht zugleich. Diese Kälte steckt bei ihm im Blute – daran ist er nicht schuld – nicht aber im Kopfe. Er ist kein Mime, wie ich ihn nannte, kein Betrüger, kein Schurke; er lebt auf fremde Kosten nicht wie ein Schleicher, sondern wie ein Kind . . . Ja gewiß, er wird irgendwo in Elend und Armuth sterben; sollte man aber deßhalb einen Stein aus ihn werfen? Er selbst wird nie Etwas vollenden, ausführen, weil ihm eben Natur und Blut fehlen; wer hat aber das Recht, zu behaupten, daß er keinen Nutzen bringen werde, nicht bereits Nutzen gebracht habe? daß seine Worte nicht schon viel guten Samen in junge Herzen gestreut haben, denen die Natur nicht, wie ihm, Thatkraft und Verständniß zum Vollbringen des Gedachten versagt hat? Habe ich ja doch, ich vor Allem, alles dieses an mir selbst erfahren . . . Sascha weiß, was Rudin in meinen jungen Jahren mir gewesen ist. Ich entsinne mich ferner, behauptet zu haben, daß Rudin’s Worte keine Wirkung auf die Menschen auszuüben vermöchten; ich redete aber damals von Menschen, die mir, meinem jetzigen Alter nach, gleich standen, von Menschen, die das Leben bereits gekostet haben, und die vom Leben etwas zerzaust sind. Ein falscher Ton in der Rede – und sie verliert für uns jede Harmonie; beim Jüngling ist aber glücklicherweise das Gehör noch nicht so ausgebildet, noch nicht so verwöhnt. Wenn nur der Inhalt des Gehörten ihm schön dünkt, was kümmert ihn da der Ton! Den wird er schon in sich selbst finden.

– Bravo! Bravo! rief Bassistow: – wie wahr ist das gesprochen! Was jedoch Rudin’s Einfluß betrifft, da schwöre ich Ihnen, daß er nicht bloß einen Menschen aufzurütteln im Stande war, sondern ihn auch weiter schob, ihm die Zeit nicht ließ, stehen zu bleiben, ihn um und um kehrte, ihn entflammte, begeisterte!

– Sie hören es! fuhr Leschnew fort, sich an Pigassow wendend: – welchen Beweis brauchen Sie noch? Sie machen die Philosophie herunter; wenn Sie von ihr reden, finden Sie nicht genug verächtliche Ausdrücke. Ich bin ihr auch nicht besonders hold und begreife sie schlecht; doch nicht von der Philosophie rühren unsere Hauptgebrechen her! Philosophische Spitzfindigkeiten und Träumereien werden an den Russen nie haften; dazu besitzt er zu viel gesunden Menschenverstand; man darf aber auch nicht die Philosophie als Vormund benutzen, um jedes ehrliche Streben nach Wahrheit und Erkenntnis anzufechten. Es ist Rudin’s Unglück, daß er Rußland nicht kennt, und in der That ist das ein großes Unglück. Das Vaterland kann einen Jeden von uns entbehren, aber Keiner von uns das Vaterland. Wehe dem, der da meint, daß er’s könne; doppelt wehe über Den, der es in der That entbehrt! Kosmopolitismus – ist ein Unding, der Kosmopolit – eine Null, arger als eine Null; außerhalb der Nationalität giebt es weder Kunst, noch Wahrheit, noch Leben, giebt es Nichts. Ohne Physiognomie ist nicht einmal das ideale Gesicht; nur das gemeine braucht keine zu haben. Ich muß aber wieder daraus zurückkommen, Rudin’s Schuld ist es nicht: sein Verhängniß; ist es, ein bitteres, schweres Verhängniß, das wir ihm doch gewiß nicht vorwerfen werden. Es würde uns zu weit führen, wollten wir untersuchen, warum Leute, wie Rudin, verkommen. Wir wollen ihm dagegen für das Gute, das in ihn ist, dankbar sein. Dies ist leichter, als ungerecht gegen ihn zu sein, und wir sind ungerecht gegen ihn gewesen. Eine Strafe über ihn zu verhängen, steht uns nicht zu, es wäre auch unnütz: er hat sich selbst viel strenger bestraft, als er es verdiente . . . Und gebe Gott, daß das Unglück alles Schlechte aus ihm ausscheide und nur das Schöne in ihm zurücklasse! Ich trinke auf Rudin’s Gesundheit! Ich trinke auf die Gesundheit des Kameraden meiner besten Jahre, ich trinke auf das Wohl der Jugend, ihrer Hoffnungen, ihres Strebens, ihres Vertrauens und ihrer Ehrlichkeit, aus das Wohl von Allem, was unsere zwanzigjährigen Herzen schon klopfen machte und was im späteren Leben nichts Besseres aus unserem Gedächtniß verdrängen konnte, verdrängen wird . . . Ich trinke auf dein Andenken, goldene Zeit, ich trinke auf Rudin’s Wohl!

Alle stießen mit Leschnew an. Bassistow hätte im Eifer beinahe sein Glas zerschlagen und stürzte dessen Inhalt in einem Zuge hinunter, Alexandra Pawlowna drückte Leschnew die Hand.

– Ich hatte gar nicht vermuthet, Michail Michailitsch, daß Sie so beredt wären, bemerkte Pigassow: – das war eines Rudin würdig! Ich muß gestehen, das hat sogar mich gepackt.

– Ich bin durchaus nicht beredt, erwiederte Leschnew nicht ohne Unwillen: – Sie aber zu packen, glaub’ ich, ist keine leichte Sache. Doch genug von Rudin; sprechen wir von Etwas Anderem . . .

– Sagen Sie doch . . . jener, wie heißt er gleich? . . . Pandalewski! lebt der immer noch bei Darja Michailowna? fragte er, sich an Bassistow wendend.

– Gewiß, er ist immer noch bei ihr! Sie hat ihm eine einträgliche Stelle ausgewirkt.

Leschnew lächelte.

– Der wird nicht im Elende umkommen, dafür ließe sich bürgen.

Das Abendessen war beendet. Die Gäste gingen auseinander. Als Alexandra Pawlowna mit ihrem Manne allein geblieben war, blickte sie ihm zärtlich in’s Gesicht.

– Wie warst Du heute schön, Mischa! sagte sie, seine Stirn sanft mit der Hand streichelnd: – wie klug und edel Du gesprochen hast! Gestehe aber, Du hast Dich heute ein wenig zum Vortheile Rudin’s hinreißen lassen, wie ehemals zu dessen Nachtheile . . .

– Den am Boden Liegenden schlägt man nicht8 überdies befürchtete ich damals, daß er Dir irgendwie den Kopf verdrehen könnte, fügte er lächelnd hinzu.

– Nein, erwiederte treuherzig Alexandra Pawlowna: er ist mir von jeher zu gelehrt vorgekommen, ich fürchtete mich vor ihm und wußte nicht, wie ich in seiner Gegenwart sprechen sollte. Pigassow hat sich aber doch heute ziemlich boshaft über ihn lustig gemacht, scheint Dir’s nicht?

– Pigassow? sagte Leschnew. – Darum namentlich nahm ich mit solcher Wärme Rudin in Schutz, weil Pigassow da war. Er wagt es, ihn einen Tellerlecker zu nennen! Meiner Ansicht nach ist aber die Rolle, die er, Pigassow, spielt, hundertmal ärger. Er besitzt ein unabhängiges Vermögen, macht sich über Alles lustig und schwänzelt bei Vornehmen und Reichen herum! Weißt Du aber auch, daß dieser Pigassow, der mit solcher Erbitterung auf Alle und Alles schimpft und über Philosophie und Weiber herfällt, – weißt Du wohl, daß er, als er sich noch im Amte befand, ein Sportelreißer war, und noch dazu ein arger!

– Wäre es möglich? rief Alexandra Pawlowna. – Das hätte ich nicht erwartet! . . . Höre, Mischa, setzte sie nach einigem Schweigen hinzu: – was ich Dich fragen will . . .

– Nun? – Wie denkst Du, wird der Bruder wohl mit Natalia glücklich sein?

– Wie soll ich Dir darauf antworten . . . allem Anscheine nach, ja . . . die Oberhand wird sie behalten – unter uns brauchen wir kein Geheimniß daraus zu machen – sie ist klüger als er; er ist aber ein herrlicher Mensch und liebt sie von ganzer Seele. Was willst Du mehr? Lieben wir Beide einander doch und sind glücklich, nicht wahr?

Alexandra Pawlowna lächelte und drückte Michael Michailitsch die Hand.

* * *

An demselben Tage, als das soeben Erzählte im Hause Alexandra Pawlowna’s vorging – schleppte sich in einem der entlegensten Gouvernements Rußlands, in der drückendsten Hitze, auf der Landstraße eine schlechte, mit Mitten bezogene Kibitka, vor welche drei Gutspferde gespannt waren, mühsam dahin. Auf dem Vorderrande hielt sieh, die Füße schräg auf das Strängeholz gestemmt, ein grauhaariger Bauer in durchlöchertem Wamms, zog unaufhörlich an den Strickleinen und schwenkte dazu eine kleine Peitsche; im Innern der Kibitka saß auf einem kärglich gefüllten Mantelsack ein Mann von hohem Wuchse in Mütze und altem, staubigem Mantel. Es war Rudin. Er saß gesenkten Hauptes da und hatte den Schirm seiner: Mütze über die Augen heruntergezogen. Ungleichmäßige Stöße des Fuhrwerks warfen ihn von einer Seite auf die andere, er schien nichts zu empfinden, als wäre er in Halbschlaf verfallen. Endlich richtete er sich auf.

– Wann werden wir denn endlich zur Station kommen? fragte er den vorn sitzenden Bauer.

– Wart, Väterchen, gab dieser zur Antwort und zog noch eifriger an den Leinen: – sind wir erst den Hügel da hinaufgekommen, dann bleiben nur noch zwei Werst, nicht mehr . . . Na, Du! schläfst Du . . . Ich will Dich lehren, setzte er fistelnd hinzu und begann, das rechte Seitenpferd mit der Peitsche anzutreiben.

 

– Du fährst aber sehr schlecht, wie mir scheint, bemerkte Rudin: – wir schleppen uns schon seit dem Morgen und können nicht ankommen Singe mir wenigstens Etwas vor.

– Was soll man machen, Väterchen! Die Pferde, Sie sehen ja selbst, sind ganz verhungert . . . und dazu noch die Hitze. Was nun das Singen betrifft . . . das versteht Unsereiner nicht: wir sind keine Fuhrleute . . . Heda, he! rief auf einmal der Bauer einem vorübergehenden Wanderer in braunem, schlechtem Kittel und abgetretenen Bastschuhen zu: – heda, mache uns Platz, Freundchen!

– Seht mir den Kutscher, brummte der Wanderer ihm nach und blieb stehen. – Moskauer Blut! setzte er mit dem Tone des Vorwurfs hinzu, schüttelte den Kopf und ging des Weges langsam weiter.

– Wohin! schrie der Bauer: jetzt dem Mittelpferde zu und zog wieder ruckweise an den Leinen; – ach du verdammtes! – ver—damm—tes! . . .

So gut es ging, erreichten die ermüdeten Pferde endlich den Posthof. Rudin stieg aus der Kibitka, bezahlte den Bauer, der ihm nicht dafür dankte und das Geld lange in der hohlen Hand herumwarf – er hatte vermuthlich ein größeres Trinkgeld erwartet – und trug seinen Mantelsack selbst in das Postzimmer.

Einer meiner Bekannten, der in seinem Leben viel in Rußland umhergereist war, hat die Beobachtung gemacht, daß, wenn in einem Stationszimmer Bilder hängen, welche Scenen aus Puschkin’s »Gefangenen im Kaukasus,« oder russische Generale vorstellen, man bald Pferde bekommen kann; wenn dagegen die Bilder das Leben des berüchtigten Spielers Georges de Germany darstellen, der Reisende auf baldige Beförderung nicht rechnen darf: er wird Zeit genug haben, sich satt zu sehen an dem emporgestrichenen Hahnenkamm, der weißen Weste mit breiten Aufschlägen und den außerordentlich engen und kurzen Beinkleidern des Spielers in seiner Jugend und an seiner rasenden Physiognomie, als er, schon ergraut, mit hoch ausgehobenem Stuhle, in einer Hütte mit schrägem; Dache, seinen Sohn erschlägt. In dem Zimmer, in welches Rudin trat, hingen gerade diese Bilder aus den »dreißig Jahren aus dem Leben eines Spielers.« Auf seinen Ruf erschien der Stationshalter mit verschlafenem Gesichte (ich möchte wissen – ob wohl Jemand einen Stationshalter mit einem nicht verschlafenen Gesichte gesehen hat?) und ohne Rudin’s Frage abzuwarten, erklärte er mit träger Stimme, es seien keine Pferde da.

– Wie können Sie sagen, es seien keine Pferde da, erwiederte Rudin: – wenn Sie nicht einmal wissen, wohin ich fahre? Ich bin mit Privatpferden hierhergekommen.

– Für keinen der Wege sind Pferde da, erwiederte der Posthalter. Wohin wollen Sie denn?

– Nach . . . sk.

– Es sind keine Pferde da, wiederholte der Stationshalter und ging hinaus.

Rudin trat ärgerlich an’s Fenster und warf seine Mütze auf den Tisch. Er hatte sich in diesen zwei Jahren nicht sehr verändert, war aber gelber geworden; hin und wieder schillerten silberne Faden in dem Haare und die Augen, immer noch schön, schienen etwas matter geworden zu sein; leichte Runzeln, Spuren bitteren und unruhvollen Denkens, zeigten sich an den Lippen, den Wangen und den Schläfen.

Seine Kleidung war abgetragen und alt, von Wäsche war nirgends etwas zu sehen. Die Zeit seiner Blüthe war offenbar vergangen, er war, wie der Gärtner zu sagen pflegt: in die Saat geschossen.

Er begann die Kritzeleien an den Wänden zu lesen . . . ein beliebter Zeitvertreib sich langweilender Reisenden . . . plötzlich knarrte die Thür und der Stationshalter trat herein.

– Pferde nach . . . sk sind keine da und werden noch lange nicht da sein, aber nach . . . ow sind Retourpferde zu haben.

– Nach . . . ow? wiederholte Rudin. – Aber ich bitte Sie! das liegt ja gar nicht an meinem Wege. Ich reife nach Pensa, . . .ow liegt, wie mir däucht, in der Richtung nach Tambow.

– Was thut es? Sie können dann aus Tambow weiter, oder wenn es Ihnen beliebt, werden Sie von . . .ow aus wieder hierher zurückkehren können.

Rudin überlegte.

– Nun, meinethalben, sagte er endlich: – lassen Sie einspannen. Mir ist es ganz gleich; ich fahre nach Tambow.

Die Pferde wurden bald vorgeführt. Rudin trug seinen Mantelsack hinaus, stieg in den Postkarren, setzte sich, und ließ wie vorhin den Kopf hängen.

Es lag etwas Hilfloses und trauervoll-Ergebenes in seiner gebeugten Gestalt . . . Und das Dreigespann schleppte sich in kurzem Trabe unter dem einförmigen Geklingel der Schellen dahin.

8Russisches Sprichwort. D. Übersetzer.