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Am Tage vor seinem Tode setzte er Telegin sehr in Erstaunen und Schrecken. Ganz bleich aber sehr ruhig trat er zu meinem Onkel ins Zimmer, machte ihm eine tiefe Verbeugung, dankte ihm zunächst für das Obdach und den Beistand, die er ihm gewährt, und bat ihn dann, den Geistlichen holen zu lassen; »denn der Tod ist zu mir gekommen; ich habe ihn gesehen, und ich muß allen verzeihen und meine Seele reinigen.«

»Du hast ihn gesehen?« stotterte Telegin, ganz erstaunt, ihn zum erstenmal einen vollständigen Satz sprechen zu hören. »Wie sah er aus? Hatte er eine Sense? Sprich!«

»Nein,« antwortete der Fürst; »es ist ein kleiner ganz einfacher Greis mit einem Wams; aber er hat nur ein Auge, mitten auf der Stirn, und dieses Auge – man sieht es, daß es ewig ist.«

In der That starb der Fürst am folgenden Tage, bei völlig klarem Verstände und zerknirschten Herzens, nachdem er zuvor alle seine religiösen Pflichten erfüllt und von allen Abschied genommen.

»Auch ich werde so sterben,« sagte Telegin manchmal.

Und wirklich widerfuhr ihm etwas Ähnliches, – doch davon später.

Telegin, sagte ich, unterhielt mit seinen Nachbarn keine Beziehungen; und diese ihrerseits mochten ihn nicht leiden. Sie nannten ihn einen Sonderling, einen stolzen Menschen, einen Spaßvogel, ja sogar einen »Martinisten«1 – natürlich ohne die Bedeutung dieses letztern Wortes zu kennen.

In einem gewissen Sinne hatten die Nachbarn recht: während der siebzig Jahre, die Telegin beinah vollständig auf seinem Gute Suchodol verlebt, hatte er fast niemals etwas mit der Obrigkeit und den Gerichten zu thun gehabt.

»Die Gerichte sind für die Spitzbuben da und das Kommando für die Soldaten«, sagte er: »und ich bin, Gott sei Dank, weder ein Spitzbube noch ein Soldat.«

Ein bißchen Sonderling war er, das läßt sich nicht bestreiten; aber er war durchaus nicht ein Mann von gewöhnlicher Denkungsart.

Niemals habe ich so recht erfahren können, was für politische Ansichten er hatte – wenn ein so moderner Ausdruck auf ihn angewendet werden darf —, aber in seiner Weise war er ein Aristokrat, weit mehr Aristokrat als »Barin«. Gar oft drückte er sein Bedauern darüber aus, daß Gott ihm keinen Sohn, keinen Erben geschenkt, »um die Ehre des Namens zu bewahren, um die Familie fortzupflanzen«. In seinem Kabinette hatte er in goldenem Nahmen einen sehr dichten Stammbaum der Telegins mit einer Menge apfelförmiger Kreise an der Wand hängen.

»Wir Telegins,« pflegte er zu sagen, »sind ein Geschlecht, das seit unvordenklichen Zeiten existirt. Keinem von uns, so zahlreich wir auch sind, hat man jemals in den Vorzimmern sich herumdrücken sehen, keiner hat seine Beine auf den Treppen der Zaren müde gestanden, keiner hat sich durch Ausübung der Gerechtigkeit2 gemästet, keiner hat einen Orden getragen, zu Moskau gebettelt oder zu Petersburg intriguirt; wir sind in unserm Winkel, aus unserm Flecken Land sitzen geblieben, liebten unser Nest und kümmerten uns um die Wirtschaft – ja, mein Junge, um die Wirtschaft! Auch ich that das, obgleich ich bei der Garde gedient habe – aber Gottlob nur kurze Zeit!«

Für die gute alte Zeit hatte Telegin eine besondere Vorliebe:

»Man lebte damals viel freier und angenehmer – ja auf Ehre! Aber seit dem Jahr eintausendachthundert – (warum gerade seit diesem Jahr, hat er nie gesagt) – hat die Soldateska die Oberhand gewonnen. Die Herren Militärs haben sich einen Federbusch aus Hahnenschwänzen auf den Kopf gesetzt, und sie selbst gebärden sich wie Hähne; sie pressen derart ihren Hals, daß sie nur noch unter Röcheln zu sprechen vermögen und die Augen ihnen aus dem Kopfe treten . . . Kommt da eines Tags ein Polizeikorporal zu mir und redet mich mit »Euer Wohlgeboren« an – er hatte sich das ersonnen, um mich in Erstaunen zu setzen! . . . Als ob ich selbst nicht wüßte, daß ich wohl geboren bin! Aber ich antwortete ihm: »Mein hochgeehrter Herr, mache mir zunächst das Vergnügen und nimm dir die Spangen da vom Halse. Denn wenn du das Unglück haben solltest, zu niesen – Herr mein Gott, weißt du, was dir dann passiert? Weißt du's? Du wirst platzen wie eine Granate . . . Und über mich wird's dann hergehen!« . . . Und wie sie trinken, diese Herren Militärs – o, o! Ich lasse ihnen immer schäumenden Krätzer vorsetzen, denn Krätzer oder echter Wein – ihnen ist alles gleich: das fließt nur so durch die Gurgel – wie sollten sie da den Unterschied kennen! Und dann haben sie ein neues Zechmittel erfunden – die Pfeife! So ein Herr Soldat thut dieses Zechmittel unter seinen häßlichen Schnurrbart, in seinen häßlichen Mund; er läßt den Dampf durch die Nase, durch den Mund, ja sogar durch die Ohren herauskommen und dünkt sich einen Helden! Na, selbst meine Schwiegersöhne saugen – obgleich der eine Senator, und der andre so etwas wie Kurator ist – ebenfalls an diesem Ding, dieser Pfeife, und dennoch halten sie sich für vernünftige Menschen!« . . .

Außer seiner Abneigung gegen das Tabakrauchen hatte Telegin noch eine andre Eigenheit: er mochte keine Hunde leiden, namentlich keine kleinen.

»Daß ein Franzose so einen Pudel besitzt,« sagte er, »ist ganz in der Ordnung: Der springt und hüpft hierhin und dorthin, und sein Hund macht ihm dies Hüpfen und Springen nach, mit dem Schwanz als Federbusch . . . Aber wir Russen, was haben wir mit so einem Tier zu schaffen?« Er war eben sehr empfindlich gegen jede Art von Unsauberkeit.

Von der Kaiserin Katharina sprach er nur mit Begeisterung, in erhabenen, ein wenig an die Büchersprache erinnernden Wendungen:

»Das war ein Halbgott und nicht ein menschlich Wesen. Schau, mein Junge, betrachte mir dieses lächeln,« fügte er hinzu, ehrfurchtsvoll auf Lampis Porträt deutend, »und du wirst mir Recht geben, daß sie ein Halbgott war! Ich habe in meinem Leben einmal das große Glück gehabt, die Ehre zu genießen, dieses Lächeln betrachten zu dürfen, und nimmermehr wird es aus meinem Herzen ausgelöscht werden!«

Und dann begann er aus dem Leben Katharinas Anekdoten zu erzählen, welche ich anderweitig nie gehört oder gelesen habe. Hier ist eine derselben.

Telegin gestattete nicht, daß man sich auch nur die leiseste Anspielung auf die Schwächen der großen Herrscherin erlaubte.

»Man hat gar nicht das Recht,« behauptete er, »sie wie die übrigen Menschen zu beurteilen! Einst während der Morgentoilette erteilt sie, eingehüllt in ihren Pudermantel, den Befehl, ihr das Haar zu kämmen . . . Und was geschieht? Die Kammerzofe beginnt zu kämmen: von allen Seiten sprühen elektrische Funken! Da läßt die Kaiserin ihren diensthabenden Leibmedikus Rogerson rufen und sagt zu ihm: »Ich weiß, man tadelt mich wegen gewisser Handlungen; aber siehst du diese Elektrizität? . . . Nun wohl, angesichts einer solchen Natur und einer solchen Haut wirst du als Arzt selbst erkennen, daß man mich mit Unrecht tadelt, – man sollte mich zu begreifen suchen!«

Folgender Vorfall war Telegin unauslöschlich in der Erinnerung geblieben:

Als er eines Tages im Innern des Palastes auf Wache stand – er zählte damals erst sechzehn Jahre – geht zufällig die Kaiserin ganz nahe an ihm vorüber: er macht die Honneurs, und »sie« – hier nahm Telegin einen gerührten Ton an – »sie lächelte über meine Jugend und meinen Eifer, geruhte mir ihre Hand zum Kuß zu reichen, mir die Wange zu klopfen und mich zu fragen, wer ich wäre, woher ich käme und welches meine Familie sei, und dann . . .«

Hier brach dem Greise in der Regel die Stimme.

». . . und dann befahl sie, meine Mutter von ihr zu grüßen und ihr zu danken, daß sie ihre Kinder so wohl erzogen. Und ob ich während dieses Momentes im Himmel oder auf Erden war, und wie und wohin sie zu verschwinden geruhte: ob sie durch die Lüfte entflog, ob sie in andre Gemächer schritt – das weiß ich bis auf den heutigen Tag noch nicht!«

Ich machte zuweilen den Versuch, ihn über diese schon ferne Zeit und über die Personen aus der Umgebung der Kaiserin auszufragen . . .

Aber in der Regel wich er meiner Frage geschickt aus.

»Wozu von alten Zeiten reden?« sagte er . . . »das führt nur dazu, daß man sich schmerzlichen Gedanken hingibt und sich wieder daran erinnert, daß man einst jung und tapfer war und heute keinen einzigen Zahn mehr im Munde hat. Soviel kann ich dir sagen: es war eine gute Zeit – aber reden wir nicht mehr davon! Was jene Leute betrifft – ich glaube, du willst von den Günstlingen reden, du Taugenichts! . . . Höre:, Hast du bisweilen auf dem Wasser eine Blase beobachtet? So lang sie vorhanden und ganz ist – welch schöne Farben sieht man darin glänzen! Blau und gelb und rot . . . wie ein Regenbogen oder Diamant! Aber gar bald platzt die Blase und nicht die geringste Spur bleibt zurück. Nun wohl, solche Blasen waren auch diese Leute.«

»Und Potemkin?« fragte ich einst.

 

Telegin nahm eine sehr ernste Miene an.

»Gregor Alexandrowitsch Potemtin war ein Staatsmann, ein Theologe, der Zögling Katharinas, – ja ihr Kind, möcht' ich sagen . . . Aber genug davon, du kleines Bürschchen!«

Telegin war sehr gottesfürchtig und besuchte, obgleich es ihm große Muhe machte, regelmäßig die Kirche. Abergläubisch jedoch war er nicht; über den Glauben an Vorbedeutungen, das böse Auge und ähnliche »Ungereimtheiten« machte er sich lustig. Dennoch hatte er nicht gern, daß ein Hase vor ihm über den Weg lief, und die Begegnung eines Popen war ihm höchst unangenehm. Das hinderte ihn übrigens nicht, den Geistlichen eine große Achtung zu erweisen und während des Gottesdienstes trat er heran, um ihren Segen zu empfangen, ja er küßte ihnen sogar jedesmal die Hand: aber er unterhielt sich nicht gern mit ihnen.

»Sie verbreiten einen etwas starten Geruch,« erklärte er; »und ich sündiger Mensch bin zartfühlend geworden, mehr als es eigentlich recht ist. Ihre Haare sind so lang, als wollten sie gar kein Ende nehmen, und dabei ganz mit Oel getränkt; sie kämmen sie nach allen Seiten – sie bilden sich ein, sie könnten mir dadurch ihre Hochachtung ausdrücken; und während der Unterhaltung stöhnen sie so entsetzlich: geschieht es aus Schüchternheit oder ist es eine neue Manier mir eine Freude zu machen? Und dann erinnern sie mich an meine letzte Stunde. Und so gebrechlich ich bin, ich möchte noch gern am Leben bleiben! Uebrigens, kleines Bürschchen, erzähl' das nicht weiter, respektiere die Geistlichkeit; nur die Dummköpfe respektieren sie nicht; und was mich betrifft – es ist sehr unrecht von mir, in meinem Alter solch albernes Zeug zu reden.«

Wie alle Edelleute jener Zeit hatte er eine sehr mittelmäßige Erziehung genossen; aber bis zu einem gewissen Grade hatte er diesen Mangel durch Lektüre wieder gut gemacht. Uebrigens las er nur russische Bücher aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts; die neuern Schriftsteller fand er süßlich und ihren Stil schwach . . . Während des Lesens ließ er auf ein rundes Tischchen neben sich eine silberne Kanne mit einem eigentümlichen schäumenden Pfefferminzthee stellen, dessen angenehmer Duft sich durch sämtliche Zimmer verbreitete. Vorn auf die Nase schob er sich eine große runde Brille; aber in der letzten Zeit las er fast gar nicht mehr, sondern beschränkte sich darauf, über die Brille hinweg das Buch träumerisch anzusehen, wobei er die Augenbrauen in die Höhe zog, die Lippen zusammenkniff und von Zeit zu Zeit seufzte. Eines Tages fand ich ihn mit dem Buche auf den Knieen und weinend, was, ich muß es gestehen, mich sehr überraschte. Er hatte sich folgender Verse erinnert:

1So wurden am Ende des vorigen Jahrhunderts die russischen Freimaurer genannt. Es wurden, namentlich von den Machthabern, die schlimmsten Gerüchte über sie verbreitet.
2Wenn in der »guten alten Zeit« ein ruinirter russischer Edelmann das Bedürfnis empfand, seine Vermögensverhältnisse wieder zu ordnen, so bewarb er sich beim Zaren um die Verwaltung eines Gouvernements. Seine nur ganz allgemein angedeuteten Pflichten, deren hauptsächlichste darin bestand, »Gerechtigkeit zu üben«, gestatteten ihm, in sehr kurzer Zeit sein Vermögen wiederherzustellen.