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* * *

Telegin starb im achtundachtzigsten Jahre seines Lebens, im Jahr 1848, dessen Ereignisse allem Anschein nach sogar ihn in Aufregung versetzten. Sein Tod erfolgte unter ziemlich eigentümlichen Umständen. Am Morgen fühlte er sich noch ganz wohl, obschon er seit längerer Zeit seinen Sessel niemals mehr verlassen hatte. Plötzlich ruft er seine Frau zu sich:

»Liebe Melanie, komm doch einmal her.«

»Was gibt es, Alexis?«

»Meine Todesstunde ist gekommen, mein Täubchen – das gibt es.«

»Der liebe Gott beschütze dich, Alexis! Aber warum denn?«

»Warum? Zunächst und vor allem muß man vom lieben Gott nicht zu viel verlangen; und dann: seit heute früh betrachte ich mir meine Füße . . . das sind ganz fremde Füße! Dann meine Hände – ebenfalls ganz fremde Hände! Darauf beseh' ich mir die Brust – auch die Brust ist nicht mein! . . . Das bedeutet: es ist nicht mehr mein Leib. Laß den Popen holen; vorläufig aber lege mich in mein Bettchen, von welchem ich nicht mehr aufstehen werde.«

So erschreckt Melanie Pawlowna auch war, brachte sie den Greis doch zu Bett und schickte dann nach dem Popen.

Telegin beichtete, empfing das Abendmahl, nahm von allen im Hause Abschied und schlummerte ein. Melanie Pawlowna saß au seinem Bett.

»Alexis,« rief sie plötzlich, »erschrecke mich nicht, mache die Augen nicht zu! Wo thut dirs weh?«

Der Greis richtete die Augen auf seine Frau.

»Es thut mir nirgends weh . . '. nur wirds mir schwer . . . sehr schwer . . . zu atmen. . . .« Und dann fuhr er nach einigem Schweigen fort:

»Melanchen, meine letzte Stunde ist gekommen . . . erinnerst du dich . . . als wir getraut wurden . . . welch hübsches Pärchen wir waren?«

»Ja, mein liebster Alexis, mein Schatz!«

Wiederum schwieg der Greis einen Augenblick.

»Melanchen . . . nicht wahr, in der andern Welt sehen wir uns wieder?«

»Ich werde den lieben Gott darum bitten, Alexis.«

Und die alte arme Frau brach in Thränen aus.

»Weine nicht, du dummes liebes Weibchen; der liebe Gott wird uns dort sicherlich verjüngen . . . und wir werden dann wieder ein Liebespärchen!«

»Gewiß, er wird uns wieder jung machen, Alexis!«

»Dem lieben Gott ist nichts unmöglich,« bemerkte Telegin, »Er vermag Wunder zu wirken . . . vielleicht gibt er dir auch etwas Verstand . . . nun, nun, mein Herzchen, ich scherzte nur; reich' mir dein Händchen, damit ichs küsse.«

»Und gib du mir die deine.«

Und die beiden guten Alten küßten sich gegenseitig die Hand.

Telegin beruhigte sich und schlummerte wieder ein. Melanie Pawlowna betrachtete ihn zärtlich und wischte sich mit der Fingerspitze die Thränen fort, welche an den Wimpern hängen geblieben waren. So vergingen zwei Stunden.

»Schläft er?« flüsterte plötzlich eine Stimme.

Es war die alte Küsterswitwe, welche so gut zu beten verstand. Bisher hatte sie sich hinter Irinarch versteckt, der unbeweglich wie eine Säule an der Thür stand und unverwandt die Augen auf seinen sterbenden Herrn gerichtet hielt.

»Er schläft,« murmelte Melanie Pawlowna.

Aber plötzlich schlug Telegin die Augen auf.

»Meine treue Lebensgefährtin,« stammelte er, »meine verehrte Gattin, auf den Knieen möchte ich dir für all deine Liebe und Treue danken . . . aber wie soll ich aufstehen? Laß mich dich wenigstens segnen!«

Melanie Pawlownba näherte sich und neigte das Haupt . . . Aber die bereits erhobene Hand fiel kraftlos auf die Decke zurück und nach einigen Augenblicken war Telegin verschieden . . .

Die Töchter und deren Gatten konnten nur noch zum Begräbnis kommen. Sie hatten alle beide keine Kinder. Telegin hatte sie in seinem Testament nicht vergessen, wenngleich er ihrer auf seinem Sterbelager nicht gedacht hatte. »Mein Herz hat sich ihnen verschlossen,« hatte er mir eines Tages gesagt; und da ich seine Gute kannte, hatte ich mich über seine Worte sehr gewundert. Es ist schwer, sich zwischen Eltern und Kindern zum Richter aufzuwerfen. »Eine große Schlucht beginnt mit einem kleinen Spalt,« hatte mir Telegin mit einer Anspielung auf dieses Verhältnis ein anderes Mal gesagt; »eine zwei Fuß lange Wunde vernarbt, aber reiß dir auch nur einen Nagel aus – er wächst nicht wieder.«

Ich glaube, daß die Töchter sich ihrer alten Eltern, die sie ein wenig wunderlich finden mochten, geschämt hatten.

Vier Wochen später war Melanie Pawlowna ebenfalls gestorben. Seit dem Todestage ihres Mannes hatte sie sich so zu sagen nicht wieder erhoben und niemals wieder Toilette gemacht. Aber als man sie für den Friedhof schmückte, zogen sie ihr das blaue Leibchen an und hingen ihr das Medaillon des Grafen Orloff um den Hals – allerdings ohne die Brillanten. Die Töchter hatten dieselben unter dem Vorwande, den Rahmen eines Bildes damit schmücken zu wollen, an sich genommen; in Wirklichkeit jedoch schmückten sie nur ihre eigene Person damit.

Die beiden guten Alten stehen mir noch jetzt wie lebende Wesen vor Augen, und ich habe ihnen stets ein warmes Andenken bewahrt.

III.
Iwan Suchich

Während meines letzten Besuches – ich war bereits Student – ereignete sich ein Vorfall, der eine gewisse Dissonanz in den patriarchalisch-harmonischen Eindruck brachte, den Telegins Haus auf mich gemacht hatte.

Unter dem Hofgesinde befand sich ein gewisser Iwan mit dem Beinamen »Suchich«. Es war ein ganz kleiner lebhafter Mann mit kurzer Nase, lockigem Haar, einem ewig lächelnden Kindergesicht und Mäuseaugen. Er war ein großer Schwätzer und Spaßmacher; er verstand alle möglichen Kunststücke, verfertigte Raketen und Papierdrachen, spielte alle Spiele, konnte auf einem galoppierenden Pferde aufrecht stehen, schwang sich mit der Schaukel höher als alle andern, ja er konnte sogar chinesische Schatten darstellen. Niemand verstand so wie er die Kinder zu ergötzen, und er hätte gern ganze Tage mit ihnen zugebracht. Wenn ihn die Lachlust ankam, ward es im ganzen Hause lebendig: bald hier bald dort erklang dann wie ein Echo fröhliches Gelächter; er steckte alle mit seiner Lustigkeit an. Man schimpfte auf ihn, aber man lachte.

Ganz wunderbar konnte Iwan tanzen, namentlich den »kleinen Fischtanz«. Sobald der Chor die Tanzweise anstimmte, stellte sich der kleine Bursch mitten in den Kreis und begann sich zu drehen, zu springen und mit den Füßen zu stampfen; dann warf er sich plötzlich zur Erde und ahmte die Zuckungen eines aufs Trockene geworfenen Fisches nach, wobei er sich derart krümmte, daß die Hacken sich mit dem Nacken berührten; dann sprang er mit einem Mal wieder auf – es war, als ob die Erde unter ihm erbebte!

Wie bereits erwähnt, war Telegin ein großer Freund von Tänzen. Manchmal geschah es, daß er plötzlich ausrief:

»Heda, Iwan! Komm mal her! Tanze uns einmal schleunigst den Kleinen Fisch! – munter, lebhaft!« Und nach einer Minute murmelte er bereits ganz begeistert: »Ach, ist das ein lustiger Bursch!«

Und da kommt während meines letzten Besuches dieser selbe Iwan plötzlich zu mir ins Zimmer und fällt ohne ein Wort zu sagen vor mir auf die Kniee.

»Aber, Iwan, was hast du denn?«

»Retten Sie mich, Herr!«

»Dich retten! Was soll das bedeuten?«

Und nun erzählte mir Iwan sein Leid.

Vor zwanzig Jahren war er von seinem Herrn, einem gewissen Suchich, gegen einen Leibeigenen Telegins eingetauscht worden. Der Handel ward in freundschaftlicher Weise abgeschlossen, ohne alle Formalitäten und Papiere. Der Bauer, den man statt seiner hingegeben, starb, und die Suchichs hatten Iwan vollständig vergessen; er blieb als Leibeigener in Telegins Hause; nur der Beiname Suchich erinnerte noch an seine Herkunft. Aber da starben seine früheren Herren ebenfalls; ihr Gut fiel in fremde Hände, und der neue Besitzer, der im Rufe eines grausamen tyrannischen Menschen stand, forderte, als er erfuhr, daß einer seiner Leibeigenen sich ohne jeden formalen Rechtsgrund bei Telegin befinde, den Iwan zurück. Für den Fall einer Weigerung drohte er mit dem Gericht und einer Entschädigungsklage. Es war dies keine leere Drohung, denn er war Geheimrat und hatte als solcher einen bedeutenden Einfluß im Gouvernement. Iwan, von großem Schrecken ergriffen, wandte sich an Telegin. Der Greis hatte herzliches Mitleid mit seinem Tänzer, er machte dem Geheimrat den Vorschlag, ihm Iwan für eine bedeutende Summe abzukaufen; aber der Geheimrat wollte sich auf nichts einlassen; er war ein Kleinrusse und hartnäckig wie der Teufel. Es blieb nichts anderes übrig, als den armen Burschen herauszugeben.

»Hier bin ich festgewachsen, an dies Gut habe ich mich gewöhnt, hier habe ich gedient, hier habe ich mein Brot gegessen und hier möchte ich auch sterben,« sagte Iwan zu mir.

Sein Gesicht hatte gar nichts Lächerliches mehr; im Gegenteil, es war wie versteinert.

»Und nun soll ich zu diesem Bösewicht gehen! . . . Bin ich denn ein Hund, daß man mich mit dem Strick um den Hals von einem Hundestall zum andern bringen kann?. . ,. ›Da hast du das!‹ Retten Sie mich, Herr; verwenden Sie sich bei Ihrem Oheim für mich – bedenken Sie, wie ich Euch alle immer belustigt habe . . . Sonst wird es schlimm; sonst nimmt es ein böses Ende!«

»Was meinst du damit, Iwan?«

»Ich werde jenen Barin ermorden. Ich werde hingehen und so zu ihm sagen: Barin, lassen Sie mich zurückkehren; wenn nicht, so hüten Sie sich – dann ermord' ich Sie!«

Wenn ein Fink oder Zeisig plötzlich zu reden angefangen hätte, um mich zu versichern, er würde einen andern Vogel mit dem Schnabel ermorden – ich würde nicht in größeres Erstaunen geraten sein! . . . Wie, der kleine Iwan, dieser Tänzer und Lustigmacher und fröhliche Gesell, dieser Liebling der Kinder – und selbst ein Kind – dieses gutmütige harmlose Geschöpf konnte ein Mörder werden! Welch Abgeschmacktheit! Ich glaubte nicht einen Augenblick, daß er im Ernst redete; es erschien mir schon im höchsten Grade seltsam, daß er ein solches Wort auch nur über die Lippen bringen konnte!

 

Indes wandte ich mich doch an Telegin. Ich teilte ihm nicht mit, was mir Iwan gesagt hatte, bat ihn jedoch dringend, irgend ein Mittel zu finden, um diese Sache in der Güte zu ordnen.

»Mein lieber Junge,« antwortete mir der Greis, »ich thäte es mit der größten Freude, – aber wie? Ich habe diesem Chochol4 eine bedeutende Summe angeboten, dreihundert Rubel – ja, ja, auf meine Ehre: ganze dreihundert Rubel! Aber er wollte von nichts wissen. Was soll ich nun machen? Wir hatten die Sache ohne die gesetzlichen Formalitäten abgemacht, nach gutem altem Brauch, auf Treu und Glauben. . . und so ists uns bekommen! Dieser nichtswürdige Mensch wird Iwan mit Gewalt an sich reißen – er hat einen langen Arm, der Gouverneur ist mit ihm ein Herz und eine Seele – er wird uns Soldaten auf den Hals schicken! Und Soldaten – davor habe ich Angst! Früher, ha früher, als ich noch jung war, da hätt' ich Iwan bis aufs äußerste verteidigt: aber jetzt – schau, welch eine Ruine ich bin! Wahrlich, ein schöner Krieger!«

4Zu deutsch Haarschopf: Spitzname der Kleinrussen.