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IV

Zu Hause angelangt, kleidete sich Weretjew nicht aus und hatte, als kaum der Morgen zu grauen begann, das Haus bereits wieder verlassen.

Auf dem halben Wege zwischen seinem Gute und Ipatowka befand sich oberhalb einer jähen Schlucht ein kleines Birkengehege. Die jungen Bäume standen sehr dicht bei einander, es hatte noch nie eine Axt die schlanken Stämme derselben berührt; ein, wenn auch nicht tiefer, doch gleichmäßiger Schatten fiel von den kleinen Blättern auf den weichen und feinen Rasen, der von goldigen Gauchseilblüthen, weißen Glockenblümchen und himbeerfarbenen Nelken ganz bunt gescheckt erschien. Die eben aufgegangene Sonne ergoß über das Gehölz ein volles, aber nicht grelles Licht; überall glitzerten Thautröpfchen, hie und da spielten in plötzlichem, blitzendem Feuerglanze größere Tropfen; Alles strömte über von Frische, Leben und jener Unschuldsvollen Feierlichkeit des neuen Morgenanbruchs, in der die Landschaft, schon von Licht umflossen, aber, noch in Schweigen versunken, rastet. Man hörte nur das vereinzelte Schmettern der Lerchen über den fernen Feldern und im Gehölze die Stimmen von zwei, drei Vögeln, die, ohne sich zu beeilen, ihre kurzen Lieder ertönen ließen und gleichsam dazu lauschten, wie ihr Gesang sich ausnähme. Von dem feuchten Boden stieg ein gesunder, kräftiger Duft empor und ein kühlender Hauch zog durch die reine, leichte Luft. Es athmete Alles den herrlichen Sommermorgen und strotzte und lächelte in Morgenklarheit, gleich dem rosenrothen, frisch gewaschenen Gesichtchen eines erwachten Kindes.

Nicht weit von der Schlucht, mitten auf einem Rasenplätzchen, saß Weretjew auf einem ausgebreiteten Mantel. Marja stand neben ihm, an eine Birke gelehnt, mit zurückgeschlagenen Armen.

Sie schwiegen Beide. Marja schaute starr in die Ferne; eine weiße Schärpe war von ihrem Kopfe auf die Schulter herabgeglitten, von Zeit zu Zeit bewegte und hob ein Windhauch die Enden ihres hastig geordneten Haares. Weretjew saß nach vorn gebückt und schlug mit einem Zweige auf den Rasen.

– Nun, begann er endlich, – Sie sind mir also böse?

Marja antwortete nicht.

Weretjew warf einen Blick auf sie.

– Mascha, sind Sie böse? wiederholte er.

Marja musterte ihn mit raschem Blicke, wandte sich etwas ab und sagte:

– Ja.

– Weshalb denn? fragte Weretjew und warf den Zweig fort.

Marja antwortete wiederum nicht.

– Sie haben übrigens in der That Ursache, böse auf mich zu sein, äußerte Weretjew nach einigem Schweigen. Sie müssen mich nicht nur für einen leichtfertigen, sondern auch . . .

– Sie verstehen mich nicht, unterbrach ihn Marja. – Ich bin durchaus nicht in Betreff meiner böse auf Sie.

– In Betreff wessen denn?

– Um Ihrer selbst willen.

Weretjew hob den Kopf in die Höhe und lächelte.

– Ah! ich verstehe! sagte er. – Schon wieder, wieder beunruhigt Sie der Gedanke: warum ich Nichts vor mich bringe? Wissen Sie wohl, Mascha, Sie sind ein wunderbares Wesen, bei Gott! Sie beschäftigen sich so Viel mit Anderen und so wenig mit sich selbst. Es ist keine Spur von Egoismus in Ihnen, wahrhaftig! Ein zweites Mädchen wie Sie giebt es nicht auf der Welt. Das Schlimmste dabei ist: ich bin Ihrer Theilnahme durchaus nicht werth; ich sage es ohne Scherz.

– Desto schlimmer ist es für Sie. Sie sehen es ein und thun doch nichts.

Weretjew lächelte wiederum.

– Mascha, ziehen Sie ihre Hand hervor, reichen Sie mir dieselbe! sagte er mit einschmeichelnd freundlicher Stimme.

Marja zuckte blos die Achseln.

– Geben Sie mir ihre schöne, biedere Hand, daß ich sie erfurchtsvoll und zärtlich küsse. So küßt ein leichtsinniger Zögling die Hand seines nachsichtsvollen Erziehers. Und Weretjew beugte sich zu Marja hin.

– Hören Sie doch auf damit! sagte sie. Sie lachen und treiben beständig Scherz. So werden Sie ihr Leben verscherzen.

– Hm! das Leben verscherzen! Ein neuer Ausdruck! Sie haben doch, Marja Pawlowna, wie ich hoffe, das Zeitwort: verscherzen – in activem Sinne gebraucht?

Marja runzelte die Stirn.

– Hören Sie auf, Weretjew! wiederholte sie.

– Das Leben verscherzen, fuhr Weretjew, sich erhebend, fort, – Sie aber werden es schlimmer machen als ich, Sie verernsten Ihr ganzes Leben. Wissen Sie, Mascha, Sie erinnern mich an eine Scene aus Puschkin’s Don Juan. Sie haben Puschkin’s Don Juan nicht gelesen?

– Nein.

– Ich habe ja ganz vergessen, daß Sie keine Gedichte lesen. Es kommen dort zu einer gewissen Laura Gäste, sie treibt dieselben alle fort und bleibt allein mit Karlos. Beide treten auf den Balkon, die Nacht ist entzückend, Laura schwelgt in Wonne, da beginnt auf einmal Karlos ihr zu beweisen, daß sie mit der Zeit altern werde – Was thut es, erwidert ihm Laura, vielleicht ist jetzt gerade in Paris Kälte und Regen, hier aber bei uns »erfüllt die Nacht Citronen- und Lorbeerduft«. Weshalb sollten wir uns um die Zukunft sorgen? Blicken Sie um sich, Mascha, ist es denn nicht auch hier schön? Betrachten Sie doch, wie sich Alles des Daseins freut, wie Alles in Jugend prangt. Und sind wir denn nicht auch jung?

Weretjew näherte sich Marja, sie wich ihm nicht aus, wandte ihm jedoch den Kopf nicht zu.

– So lächeln Sie doch, Mascha, fuhr er fort, – aber mit Ihrem guten, nicht mit Ihrem gewöhnlichen Lächeln. Ich liebe Ihr gutes Lächeln. Erheben Sie doch Ihre stolzen, strengen Augen. – Wie? Sie wenden sich ab? Reichen Sie mir wenigstens die Hand!

– Ach, Weretjew, begann Mascha, – Sie wissen, ich verstehe nicht zu reden. Sie haben mir von jener Laura erzählt. Das war ja aber ein Weib . . . Einem solchen Weibe ist es zu verzeihen, wenn es nicht an die Zukunft denkt.

– Wenn Sie sprechen, Mascha, entgegnete Weretjew, – werden Sie immer aus Eigenliebe und Schüchternheit roth, das Blut steigt wie eine rosige Fluth in Ihre Wangen, ich habe das so außerordentlich gern von Ihnen.

Marja blickte Weretjew gerade in die Augen.

– Leben Sie wohl, sagte sie und warf die Schärpe um ihren Kopf. Weretjew hielt sie zurück.

– Lassen Sie, lassen Sie doch, warten Sie! rief er. – Nun, was verlangen Sie? Befehlen Sie! Wollen Sie, daß ich in den Dienst trete, daß ich Landwirth werde? Wollen Sie, daß ich Romanzen herausgebe, mit Guitarre-begleitung, daß ich eine Sammlung von Gedichten drucken lasse, mich mit Zeichnen, mit Malerei beschäftige, mit Bildhauerei, Seiltänzerei? Alles, alles will ich thun, alles, was Sie befehlen werden, wenn Sie nur mit mir zufrieden sind. Nun, wirklich, Mascha, glauben Sie mir!

Marja warf wieder einen Blick auf ihn.

– Das sind Alles nur Worte, von denen Nichts zur That wird.

Sie versichern, daß Sie mir gehorchen . . .

– Freilich gehorche ich Ihnen.

– Gehorchen! und habe ich Sie nicht unzählige Mal gebeten . . .

– Was denn?

Marja stockte.

– Sie möchten keinen Wein trinken? brachte Sie endlich hervor.

Weretjew lachte auf.

– Ach, Mascha, Mascha! Auch Sie haben es darauf abgesehen! Meine Schwester nimmt es sich gleichfalls zu Herzen. Ich bin ja nun aber erstens kein Säufer, und zweitens wissen Sie denn auch, weshalb ich trinke? Sehen Sie doch jene Schwalbe dort . . . Wie keck dieselbe über ihren kleinen Körper verfügt! Wohin sie will, dahin schießt sie ihn auch ab! Schwenkt sich hinauf, stößt herab, ja, sie quiekt vor Luft, hören Sie es? Und deshalb nun trinke ich, um dieselben Eindrücke mir zu verschaffen, die jene Schwalbe empfindet . . . Schwenke mich, wohin ich will; laß mich treiben, wohin mir’s gefällt . . .

– Und wozu denn das ? Unterbrach ihn Mascha.

– Wie, wozu? wozu wäre denn das Leben?

– Und läßt sich das nicht ohne Wein machen?

– Das geht nicht, wir sind Alle etwas verdorben, zerknittert. Nun, Leidenschaft . . . die hat dieselbe Wirkung. Darum liebe ich Sie auch.

– Wie den Wein . . . Sehr verbunden.

– Nein, Mascha, ich liebe Sie, nicht wie den Wein. Warten Sie nur, ich werde es Ihnen schon ein Mal beweisen, wenn wir erst verheirathet sein werden und zusammen in’s Ausland reisen. Wissen Sie, ich denke schon jetzt daran, wie ich Sie vor die Venus von Milo führen werde. Dann wird man erst recht sagen können:

 
Und stellt sie nun mit stolzem Blick
Vor Kypris Bild sich hin —
Sind’s ihrer Zwei, doch wird durch sie
Der Marmor übertroffen.
 

Was rede ich denn aber heute in Versen? Das ist der Morgen, der diese Wirkung auf mich ausübt. Welche Luft! Es ist, als schlürfe man Wein ein.

– Wieder der Wein, bemerkte Marja.

– Was ist denn dabei! Solch’ ein Morgen und Sie neben mir, und man sollte sich nicht trunken wähnen! »Und stellt sie nun mit stolzem Blick« . . . Ja, fuhr Weretjew fort, indem er Marja fest anblickte, – so ist es. . . Und doch habe ich, ich erinnere mich, selten zwar, aber doch habe ich in diesen prachtvollen dunklen Augen Zärtlichkeit gesehen! Und wie schön sind sie da! Nun, wenden Sie sich doch nicht ab, Mascha, und dann, lachen Sie doch! . . . Lassen Sie mich wenigstens einen heiteren Blick schauen, wenn mir ein zärtlicher nun einmal nicht vergönnt werden soll.

– Hören Sie auf, Weretjew, äußerte Marja. Lassen Sie mich, es ist Zeit, daß ich nach Hause gehe.

– Ich will Sie aber doch zum Lachen bringen, warf Weretjew hin, – bei Gott, ich will es. He, sehen Sie doch, da läuft ein Hase . . .

– Wo? fragte Marja.

– Dort, jenseits der Schlucht, im Haferfelde. Es muß ihn Jemand aufgescheucht haben; sie pflegen sonst Morgens nicht zu laufen. Wollen Sie, daß er stehen bleibt?

– Und Weretjew stieß einen lauten Pfiff aus. Der Hase hockte sogleich nieder, schwenkte die Ohren, schlug die Vorderbeine unter, richtete sich in die Höhe, kauete, kauete, witterte in der Luft umher und begann wieder zu kauen. Hurtig hockte Weretjew nach Art des Hasen nieder, begann mit der Nase umherzuschnuppern, zu wittern und zu kauen, gleich jenem. Der Hase fuhr ein paar Mal mit den Pfötchen über das Schnäuzchen, schüttelte sich, – gewiß waren Sie von Thau getränkt, – spitzte die Ohren und setzte seinen Lauf fort. Weretjew rieb sich gleichfalls die Wangen mit den Händen und schüttelte sich . . . Marja konnte sich des Lachens nicht enthalten.

 

– Bravo! rief Weretjew aufspringend, – bravo! da haben wir’s, Sie sind nicht coquett. Wissen Sie wohl, wenn irgend ein Weltfräulein solche Zähne hätte wie Sie, es würde beständig lachen. Darum aber liebe ich Sie, Mascha, weil Sie kein Fräulein von Welt sind, nicht ohne Grund lachen, keine Handschuhe auf Ihren Händen tragen, die zu küssen eine wahre Lust ist, eben weil sie gebräunt und kraftvoll sind . . . Ich liebe Sie, weil Sie nicht klügeln, weil Sie stolz, schweigsam sind, nicht Bücher lesen, Gedichte nicht mögen . . .

– Und wenn ich Ihnen nun ein Gedicht declamiren wollte? unterbrach ihn Marja mit einem eigenthümlichen Ausdrucke im Gesichte.

– Ein Gedicht? fragte verwundert Weretjew.

– Ja, ein Gedicht; dasselbe, das gestern der Herr aus Petersburg declamirte.

– Wieder den Antschar? . . . Sie haben das Ding also doch bei Nacht im Garten declamirt? Das paßt für Sie . . . Gefällt es Ihnen denn so sehr?

– Ja, es gefällt mir.

– Nun, lassen Sie hören.

Marja wurde verlegen . . .

– Declamiren Sie es doch, wiederholte Weretjew.

Marja begann. Weretjew stellte sich ihr gegenüber, kreuzte die Arme über die Brust und schickte sich an, ihr zuzuhören. Beim ersten Verse hob Marja langsam die Augen gen Himmel, sie wollte nicht den Blicken Weretjews begegnen. Sie sagte das Gedicht mit der ihr eigenen weichen, ruhigen Stimme her, die an die Töne des Violoncells mahnten; doch als sie zu den Worten gekommen war:

 
Der Arme – zu des Herrschers Füßen,
Des ruhmgekrönten, starb der Sclave.
 

wurde ihre Stimme bebend, die unbeweglichen, stolzen Augenbrauen zogen sich naiv, wie die eines kleinen Mädchens, hinauf und der Blick blieb mit unwillkürlicher Hingebung auf Weretjew ruhen . . .

Er stürzte ihr plötzlich zu Füßen und umfing ihre Kniee.

– Ich bin Dein Sclave! rief er, – ich liege zu Deinen Füßen, Du bist mein Herrscher, mein Gebieter, meine Göttin, meine großäugige Hera, meine Medea! . . .

Marja wollte ihn abwehren; ihre Hände blieben jedoch kraftlos in seinem dichten Haare haften und mit verlegenem Lächeln senkte sie den Kopf auf die Brust . . .

V

Gawrila Stepanitsch Akilin, bei welchem der Ball stattfinden sollte, gehörte zu der Classe von Gutsbesitzern, die durch ihre Kunst, mit wenigen Mitteln gut und gastfrei zu leben, die Bewunderung ihrer Nachbarn erregen. Mit einem Besitzthum, das vierhundert Seelen nicht überstieg, empfing er bei sich das ganze Gouvernement in seinem großen, von ihm selbst erbauten steinernen Hause mit Säulen, einem Thurme und Flaggen auf demselben. Das Gut hatte er von seinem Vater geerbt, es war nie in ordentlichem Stande gewesen. Gawrila Stepanitsch war lange Zeit Dienstes halber in Petersburg gewesen, – endlich, vor fünfzehn Jahren, war er in seine Heimath zurückgekehrt, mit dem Range eines Collegien-Assessors, einer Frau und drei Töchtern, und hatte sofort Reformen und Bauten in Angriff genommen, ein Orchester gebildet und offene Tafel gehalten. Anfangs ward ihm von Jedermann baldiger und unvermeidlicher Ruin prophezeit; mehr als ein Mal war das Gerücht in Umlauf, das Gut Akilin’s werde versteigert werden; es vergingen indessen Jahre auf Jahre, die Bewirthungen, Bälle, Schmausereien, Concerte gingen ihren gewohnten Gang, neue Gebäude wuchsen wie Pilze aus dem Boden und Akilin’s Gut kam immer noch nicht zur Versteigerung. Er selbst führte nach wie vor dasselbe Leben, wurde sogar in der letzten Zeit noch wohlbeleibter. Da schlugen die Gerüchte eine andere Richtung ein; es wurden Anspielungen auf gewisse beträchtliche, so zu sagen unterschlagene Summen gemacht, man sprach von einem Schatze . . . »Und wenn er dabei noch ein tüchtiger Landwirth wäre, – so urtheilten unter sich die Edelleute, – »damit ist es aber nichts! durchaus nichts! Das eben ist das Merkwürdige und Unbegreifliche.« Wie dem nun auch gewesen sein mag, genug, Jedermann besuchte gern Gawrila Stepanitsch: er nahm die Gäste herzlich auf und spielte Karten, so hoch man wollte. Akilin war ein kleines, graues Männchen, mit spitzem Kopfe, gelblichem Gesichte und eben solchen Augen, immer sauber rasirt und mit kölnischem Wasser parfümirt. An Wochen- wie an Feiertagen trug er einen bequemen blauen Frack, bis oben zugeknöpft, eine hohe Halsbinde, in welcher er das Kinn zu verbergen pflegte, und machte Staat mit seiner Leibwäsche. Wenn er Tabak schnupfte, kniff er die Augen zusammen und zog die Lippen in die Quere. Seine Rede war beständig zuvorkommend, weich und höflich. Dem Aeußeren nach zeichnete sich Gawrila Stepanitsch nicht durch Distinction ans und verrieth überhaupt keinen klugen Kopf, obgleich zu Zeiten Verschmitzheit ans seinen Augen leuchtete. Seine beiden ältesten Töchter waren gut verheirathet; die jüngste, bereits mannbar, befand sich noch im elterlichen Hause. Auch lebte noch Gawrila Stepanitsch’s Frau, ein unbedeutendes und einfaches Geschöpf.

Um sieben Uhr Abends stellte sich Astachow im Frack und weißen Handschuhen bei Ipatow’s ein. Jedermann war bereits ballfertig. Die kleinen Mädchen saßen sittsam da, um ihre weißen, gestärkten Kleidchen nicht zu zerdrücken. Als der alte Ipatow Astachow im Frack erblickte, machte er ihm freundlich Vorwürfe und deutete auf seinen Ueberrock. Marja hatte ein dunkelrosafarbenes Mousselins Kleid an, das ihr sehr gut stand. Astachow sagte ihr einige Verbindlichkeiten. Marja’s Liebreiz zog ihn an, obgleich sie sichtlich scheu vor ihm that; Nadeschda gefiel ihm auch, doch die Ungezwungenheit ihres Benehmens machte ihn etwas verwirrt. Dann zuckte auch in ihren Reden, Blicken, ja selbst in ihrem Lächeln zu oft Spottlust auf, und das beunruhigte seine großstädtische und wohlerzogene Seele. Er wäre nicht abgeneigt gewesen, sich mit ihr über Andere lustig zu machen, doch war ihm der Gedanke störend, daß sie, wenn es darauf ankäme, im Stande wäre, auch ihn bei Gelegenheit aufzuziehen.

Der Tanz hatte schon begonnen – es hatten sich ziemlich viele Gäste eingefunden und das hausbackene Orchester geigte, blies und flötete auf dem Chore, als Ipatow nebst Familie und Astachow den Saal des Akilinschen Hauses betrat. Der Wirth empfing die Gäste an der Thür, dankte Astachow für die verbindlichstsfreudige Ueberraschung, – wie er sich ausdrückte, – die ihm derselbe verschafft habe, nahm darauf Ipatow unter den Arm und führte ihn in’s Gastzimmer an die Kartentische. Gawrila Stepanitsch hatte eine sehr mittelmäßige Erziehung genossen und Alles in seinem Hause, Musik, Möbel, Speisen und Weine waren durchaus nicht von erster, ja nicht einmal zweiter Sorte. Dafür aber war Alles reichlich vorhanden und der Hausherr selbst brüstete sich nicht und war nicht stolz . . . mehr verlangten die Edelleute auch nicht von ihm und waren mit der Bewirthung vollkommen zufrieden. Beim Abendessen zum Beispiel wurde gepreßter Kaviar, in Scheibchen geschnitten und stark gesalzen, aufgetragen, doch durfte Jedermann ungestört mit den Fingern zugreifen; und um Etwas auf denselben nachzutrinken, standen Weine da, wenn auch billige, doch nicht etwa andere, schlechtere Getränke. Die Sprungfedern in Akilin’s Sitzmöbeln waren in der That durch ihre Härte und Unbiegsamkeit etwas unbequem; aber, abgesehen davon, daß viele Divans und Armstühle gar keine Federn hatten, konnte ja Jeder sich ein Kissen aus Wollenzeug unterlegen und solcher Kissen, eigenhändig von Gawrila Stepanitsch’s Gattin genäht, lag überall eine große Menge umher – und somit blieb weiter Nichts zu wünschen übrig.

Mit einem Worte, Akilin’s Haus entsprach vollkommen den geselligen, anspruchslosen Anforderungen der Bewohner des . . . schen Bezirkes, und nur der Bescheidenheit des Herrn Akilin war es beizumessen, daß auf den Adelsversammlungen nicht er zum Marschall gewählt worden war, sondern der verabschiedete Major Podpötin, auch ein sehr achtungswerther und würdiger Mann, obgleich er sich das Haar von der Hinterseite des linken Ohres zur rechten Schläfe hinüberzukämmen pflegte, den Schnurrbart violett färbte, und da er an Engbrüstigkeit litt, Nachmittags in Melancholie verfiel.

Der Ball hatte also begonnen. Es wurde eine Quadrille zu zehn Paaren getanzt. Die Cavaliere waren Offiziere eines in der Nachbarschaft stehenden Regiments, dann junge und nicht mehr ganz junge Gutsbesitzer und zwei, drei Beamte aus der Stadt. Alles war nach Wunsch und in gutem Gange.

Der Adelsmarschall spielte Karten mit einem verabschiedeten Wirklichen Staatsrathe und einem reichen Edelmanne, Besitzer von dreitausend Seelen. Der Wirkliche Staatsrath trug am Zeigefinger einen Brillantring, sprach sehr leise, hielt beständig die Absätze seiner Stiefel dicht an einander, in der Positur eines Tänzers früherer Zeiten und wendete nicht den Kopf , den ein überaus feiner Sammetkragen zur Hälfte bedeckte. Der reiche Edelmann hingegen lachte beständig über Etwas, zog die Brauen in die Höhe und ließ das Weiße der Augen sehen. Der Poet Bodräkow, ein Mensch von unbeholfenem und wüstem Aeußern, unterhielt sich in einer Ecke mit dem Historiker Jemstukow: Beide hielten einander an den Rockknöpfen. Neben ihnen setzte ein Edelmann mit ungewöhnlich langer Taille einem anderen Edelmann, der ihm schüchtern auf die Stirn sah, gewisse kühne Ansichten auseinander. Längs den Wänden saßen die lieben Mütter in bunten Hauben, an der Thüre standen in Haufen gedrängt Herren geringerer Herkunft; die jüngeren mit befangenem Gesichte, die älteren mit gesetzter Miene. Doch es läßt sich nicht Alles wiedererzählen. Nochmals also: es war Alles, wie es sein mußte.

Nadeschda war noch vor Ipatows angekommen. Astachow wurde sie gewahr, als sie gerade mit einem jungen Herrn in elegantem Frack, von hübschem Aeußern, mit ausdrucksvollen Augen, feinem, schwarzem Schnurrbärtchen und blendend weißen Zähnen tanzte; über die Brust hing ihm im Halbkreise eine goldene Kette. Nadeschda hatte ein hellblaues Kleid mit weißen Blumen an; ein leichter Kranz von denselben Blumen umfaßte ihr Lockenköpfchen. Sie lächelte, spielte mit dem Fächer und blickte heiter umher; sie fühlte sich Königin des Balles. Astachow trat auf sie zu, grüßte sie und fragte, indem er ihr freundlich in’s Gesicht blickte, ob sie ihres gestrigen Versprechens eingedenk wäre?

– Welches Versprechens?

– Sie tanzen doch mit mir die Mazurka?

– Freilich, mit Ihnen.

Der junge Mann, welcher neben Nadeschda stand, ward plötzlich roth.

– Sie haben vermuthlich vergessen, Mademoiselle, begann er, – daß Sie mir schon früher die heutige Mazurka zugesagt hatten?

Nadeschda wurde verwirrt.

– Ach, mein Gott, wie machen wir das? sagte sie, – Sie müssen mir’s verzeihen, ich bitte Sie, Monsieur Steltschinsky, ich bin doch gar zu zerstreut. Wirklich, es macht mich verlegen . . .

Monsieur Steltschinsky erwiderte Nichts und senkte nur den Blick; Astachow warf sich etwas in die Brust.

– Sie sind gewiß so freundlich, Monsieur Steltschinsky, fuhr Nadeschda fort, – wir sind ja doch alte Bekannte, Monsieur Astachow ist hier fremd. Bringen Sie mich nicht in Verlegenheit, erlauben Sie mir mit ihm zu tanzen.

– Ganz nach Ihrem Wunsch, entgegnete der junge Mann. – Es ist aber jetzt die Reihe an Ihnen.

– Danke, sagte Nadeschda und flatterte daraus ihrem Vis-à-vis entgegen.

Steltschinsky folgte ihr mit den Augen und warf dann einen Blick auf Astachow. Astachow seinerseits blickte ihn gleichfalls an und trat auf die Seite.

Die Quadrille war bald zu Ende. Astachow ging einige Male durch den Saal, dann in’s Gastzimmer und blieb bei einem der Kartentische stehen. Auf einmal fühlte er, daß Jemand von hinten seine Hand berührte; er drehte sich um – vor ihm stand Steltschinsky.

– Ich muß Sie auf ein paar Worte in’s andere Zimmer bitten, wenn Sie erlauben, sagte er französisch in sehr höflichem Tone und ohne russischen Accent.

Astachow folgte ihm.

Steltschinsky blieb am Fenster stehen.

– In Gegenwart einer Dame, begann er in derselben Sprache, – durfte ich nichts Anderes sagen, als was ich gesagt habe; Sie glauben aber doch, hoffe ich, nicht, daß ich willens sei, Ihnen mein Recht auf die Mazurka mit Mademoiselle Weretjew abzutreten?

Astachow war betroffen.

– Wie so denn? fragte er.

– Nun so, erwiderte gelassen Steltschinsky, indem er die Hand in den Rock schob und die Nasenflügel blähete.

– Ich will es nicht und damit genug, Astachow steckte gleichfalls die Hand in den Busen, blies jedoch nicht die Nase auf.

 

– Erlauben Sie mir, mein Herr, die Bemerkung, begann er, – Sie können dadurch Mademoiselle Weretjew Unannehmlichkeiten bereiten, und ich glaube . . .

– Mir selbst würde das sehr unangenehm sein, es hindert Sie aber Nichts, sich zurückzuziehen, sich krank zu melden und davon zu fahren . . .

– Das werde ich nicht thun. Für wen halten Sie mich?

– In solchem Falle sehe ich mich gezwungen, Genugthuung von Ihnen zu fordern.

– Das heißt, in welchem Sinne? . . . Genugthuung?

– Das ist ja bekannt, in welchem Sinne.

– Sie fordern mich also?

– Ganz recht, wenn Sie auf die Mazurka nicht verzichten.

Steltschinsky hatte diese Worte möglichst kaltblütig vorgebracht. Das Herz erbebte in Astachow’s Brust. Er blickte seinem ungeahnten – unerwarteten Gegner in’s Gesicht. »Ach, du lieber Himmel, dachte er, welch’ eine Dummheit !

– Sie machen keinen Scherz? fragte er laut.

– Es ist überhaupt nicht meine Gewohnheit, zu scherzen, entgegnete mit wichtiger Miene Steltschinsky, – am wenigsten mit Leuten, die ich nicht kenne. Sie verzichten nicht auf die Mazurka2 setzte er nach einigem Schweigen hinzu.

– Nein, das thue ich nicht, erwiderte Astachow, nachdenklich geworden.

– Schön! Morgen schlagen wir uns.

– Sehr wohl.

– Morgen früh wird mein Secundant bei Ihnen sein.

Und sich höflich verneigend entfernte sich Steltschinsky, sichtbar mit sich selbst zufrieden.

Astachow blieb noch einige Augenblicke am Fenster stehen.

»Da haben wir’s! – dachte er – da haben wir sie, die neue Bekanntschaft! Es war sehr nöthig, daß ich her kam! Schön! Vortrefflich!«

Endlich kam er wieder zu sich und begab sich in den Saal.

Im Saale wurde soeben eine Polka getanzt. Vor Astachow’s Auge schwebten Marja und Peter Alexeitsch vorüber; bis dahin hatte er letzteren nicht bemerkt. Sie schien bleich und sogar niedergeschlagen. Darauf flatterte Nadeschda, strahlend und heiter, mit einem kleinen, krummbeinigen, aber feurigen Artilleristen vorbei; die zweite Tour tanzte sie mit Steltschinsky. Dieser warf beim Tanzen heftig mit den Haaren um sich.

– Nun, mein Bester, ließ sieh plötzlich hinter Astachow Ipatow’s Stimme hören, – Sie machen blos den Zuschauer, tanzen selbst aber nicht? Nun, Sie werden es doch zugeben müssen, leben wir hier auch, so zu sagen, in einem abgelegenen Winkel, so ist es doch nicht ganz schlecht bei uns, wie?

»Hol’ der Teufel den abgelegenen Winkel,« dachte Astachow, und nachdem er Etwas als Antwort auf Ipatow’s Frage vor sich hingebrummt hatte, begab er sich an das andere Ende des Saales.

»Ich muß mir einen Secundanten verschaffen, – fuhr er in seinen Betrachtungen fort, – wo aber, zum Teufel, soll ich ihn finden? Weretjew kann ich nicht auffordern, Andere kenne ich nicht, ist das eine Dummheit!«

Wenn Astachow ärgerlich war, mischte er gern den Teufel ein.

In diesem Augenblick fiel Astachow’s Blick auf »Klappseele« Iwan Iljitsch, der müßig am Fenster stand.

»Wenn ich den nähme?« dachte er, und setzte, die Achsel zuckend, fast mit lauter Stimme hinzu: »es bleibt s nichts Anderes übrig.«

Astachow näherte sich ihm.

– Es hat sich soeben mit mir ein sonderbarer Vorfall ereignet, begann unser Held mit erzwungenem Lächeln, – denken Sie sich, es hat mich ein unbekannter junger Mann gefordert, ich kann unmöglich absagen, brauche einen Sekundanten – würden Sie der wohl sein wollen?

Obgleich sich, wie wir wissen, Iwan Iljitsch durch unerschütterlichen Gleichmuth auszeichnete, wurde er durch einen so unerwarteten Vorschlag betroffen. Mit bedenklicher Miene blickte er Astachow an.

– Ja, wiederholte Astachow, – ich würde Ihnen sehr verbunden sein, ich bin hier mit Niemandem bekannt. Sie allein . . .

– Ich kann nicht, äußerte, wie aus einem Traume erwachend, Iwan Iljitsch, – ich kann durchaus nicht.

– Warum das? Fürchten Sie Ungelegenheiten? Ich hoffe indessen, es bleibt Alles geheim . . .

Als Astachow diese Worte sprach, fühlte er selbst, daß er roth und verwirrt wurde.

»Wie dumm! wie entsetzlich dumm ist das Alles!« wiederholte er zu gleicher Zeit in Gedanken.

– Entschuldigen Sie mich, ich kann durchaus nicht, wiederholte Iwan Iljitsch mit Kopfschütteln und zog sich zurück, wobei er auch diesmal einen Stuhl umwarf.

Es war das erste Mal in seinem Leben, daß er eine Bitte abschlagen mußte, diese Bitte war aber auch ganz ungewöhnlich!

– Ich ersuche Sie jedoch, fuhr Astachow, indem er ihn am Arme faßte, in demselben aufgeregten Tone fort, – sagen Sie Niemandem Etwas von dem, was Sie von mir erfahren haben, ich bitte Sie recht sehr darum.

– Das kann ich, das kann ich, entgegnete hastig Iwan Iljitsch, – das Andere aber, was Sie wollen, kann ich nicht, ist mir durchaus unmöglich.

– Schon gut, schon gut, erwiderte Astachow, – vergessen Sie aber nicht, ich rechne auf Ihre Verschwiegenheit! . . . Morgen will ich diesem Herrn erklären, brummte er ärgerlich vor sich hin, – daß ich keinen Secundanten habe finden können, mag er selbst seine Anstalten treffen, wie er es versteht, mich geht es nichts an. Nun hat mich noch der Teufel getrieben, mich an dieses Subject zu wenden! Was blieb mir denn aber sonst übrig?

Astachow war gar nicht« durchaus nicht wohl zu Muthe.

Unterdessen dauerte der Ball fort. Astachow wäre gern auf der Stelle davon gefahren, aber vor dem Ende der Mazurka war an keine Rückfahrt zu denken. Wer hätte dem Gegner den Triumph gönnen mögen? Zu Astachows Unglück dirigirte die Tänze ein junger, flinker Herr mit langem Haare und eingefallener Brust, über welche sich, einem kleinen Wasserfalle ähnlich, eine schwarze Atlas-Halsbinde mit großer, durchgesteckter, goldener Busennadel herabschlängelte. Dieser junge Mann galt in dem ganzen Gouvernement für den perfectesten Kenner aller Feinheiten der Sitten und Gesetze der höheren Welt, obgleich er in Petersburg nur sechs Monate zugebracht hatte, und es ihm in keine höheren Kreise, als den des Collegienrathes Sandaracki und den von dessen Schwager, des Staatsrathes Kostandaracki einzudringen gelungen war. Auf allen Bällen dirigirte er die Tänze, gab durch Klatschen mit den Händen den Musikanten Zeichen, ließ im Trompetengeschmetter und Geigengekreische seine Stimme erschallen: ›En avant deux!‹ oder ›Grande chaine!‹ oder ›à vous, mademoiselle!‹ und flog beständig im Saale umher, ungestüm gleitend und scharrend, bleich und mit Schweiß bedeckt. Die Mazurka ließ er niemals vor Mitternacht beginnen. »Und das ist noch eine Vergünstigung, sagte er, in Petersburg würde ich Euch bis zwei Uhr Morgens hinhalten.« Für Astachow wollte dieser Ball kein Ende nehmen. Wie ein Schatten wandelte er aus dem Saale in’s Gastzimmer, von Zeit zu Zeit tauschte er kühle Blicke mit seinem Gegner, der keinen Tanz vorübergehen ließ und auch Marja zu einer Quadrille engagirte; doch war dieselbe bereits versagt; – auch sprach Astachow ein paar Worte mit dem zuvorkommenden Hausherrn, dem der Ausdruck von Langeweile, die im Gesichte des neuen Gastes zu lesen war, Sorge zu machen schien. Endlich erschallten die Töne der ersehnten Mazurka. Astachow suchte seine Dame auf, holte zwei Stühle herbei und setzte sich mit ihr in die letzte Reihe der Tänzer, Steltschinsky fast gegenüber.

Der Herr des ersten Paares war, wie zu erwarten stand, der junge Tanzvorsteher. Mit welchem Gesichte er die Mazurka eröffnete, und wie er dann seine Dame mit sich fortriß, dabei mit den Absätzen aneinanderstieß und den Kopf zurückwarf – Alles dies kann kaum eine menschliche Feder beschreiben.

– Sie scheinen sich zu langweilen, Monsieur Astachow? begann Nadeschda, sich plötzlich an Astachow wendend.