Tasuta

Väter und Söhne

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Bazaroff drehte sich auf dem Diwan, wo er lag, plötzlich um, sah seinen Vater starr an und verlangte zu trinken.

Wassili Iwanowitsch gab ihm Wasser und benützte diesen Augenblick, um ihm die Hand auf die Stirne zu legen: sie war brennend heiß.

»Alter,« sagte Bazaroff langsam und mit rauher Stimme, »das nimmt eine böse Wendung. Ich habe das Gift im Leibe, und in wenigen Tagen wirst du mich in die Erde legen.«

Wassili Iwanowitsch schwankte, als ob er einen heftigen Schlag in die Beine bekommen hätte.

»Eugen,« stammelte er, »was sagst du da! Es ist eine einfache Erkältung.«

»Geh doch,« versetzte Bazaroff, »ein Arzt darf so was nicht sagen. Ich habe alle Symptome einer Ansteckung, du weißt es wohl.«

»Symptome … einer Ansteckung? … o nein … Eugen!«

»Was ist denn das?« sagte Bazaroff und zeigte, den Ärmel seines Hemdes zurückstreifend, seinem Vater die unheilverkündenden rötlichen Flecken, welche seine Haut bedeckten.

Wassili Iwanowitsch erbleichte vor Schrecken.

»Gesetzt … wenn auch … das wäre … etwas … wie eine … epidemische Ansteckung.«

»Es ist eine Pyohämie,« sagte sein Sohn.

»Ja … eine epidemische Ansteckung.«

»Eine Pyohämie,« wiederholte Bazaroff bestimmt und in rauhem Ton; »hast du deine Kollegienhefte vergessen?«

»Nun ja, ich gebs zu … ich gebs zu … aber gleichwohl werden wir dich kurieren.«

»Alles Redensarten! laß uns vernünftig reden; ich dachte nicht, so früh zu sterben, das ist ein Unfall, der, ich gestehe es, mir ziemlich unangenehm scheint. Meine Mutter und du, ihr werdet wohl tun, eure Zuflucht zu eurem religiösen Glauben zu nehmen, es ist eine schöne Gelegenheit, ihn auf die Probe zu stellen.« – Er trank einen Schluck Wasser. – »Ich muß dich um etwas bitten, solang mein Kopf noch klar ist. Morgen oder übermorgen wird, wie du schon weißt, mein Gehirn seine Entlassung gegeben haben. Es ist sogar möglich, daß ich mich jetzt schon nicht mehr ganz deutlich ausdrücke. Eben noch glaubte ich mich von roten Hunden verfolgt, und du lauertest auf mich auf dem Anstand, wie man auf einen Birkhahn paßt. Ich komme mir vor wie betrunken. Verstehst du mich recht?«

»Gewiß, Eugen, du sprichst ganz vernünftig, wie gewöhnlich.«

»Um so besser, du hast mir gesagt, daß du nach einem Arzt geschickt hast … ich habe dich nicht abgehalten, dir diese Beruhigung zu verschaffen … verschaff mir deinerseits auch eine, schicke einen Expressen …«

»An Arkad Nikolajewitsch,« fiel der Greis rasch ein.

»Wer ist dieser Arkad Nikolajewitsch?« entgegnete Bazaroff wie in einem Augenblick von Geistesabwesenheit … »ach ja … dieser Zeisig! Nein, laß den in Ruhe, er hat sich jetzt in einen Raben verwandelt. Mach keine so großen Augen, das ist noch nicht das Delirium. Schick einen Expressen an Anna Sergejewna Odinzoff; es ist eine Gutsbesitzerin in der Umgegend. (Wassili machte ein Zeichen mit dem Kopf, daß er sie kenne.) Laß ihr sagen: Eugen Bazaroff grüßt Sie und läßt Ihnen melden, daß er stirbt. Verstehst du mich?«

»Es soll geschehen … aber wie kannst du sterben? Du, Eugen! Urteile selber! … Wo wäre da noch eine Gerechtigkeit auf der Welt?«

»Das verstehe ich nicht; aber schick den Expressen fort.«

»Auf der Stelle, und ich will ihm einen Brief mitgeben.«

»Nein; das ist unnötig. Laß sie von mir grüßen, dies genügt. Und jetzt will ich wieder zu meinen roten Hunden zurückkehren. Das ist sonderbar! ich wollte meine Gedanken auf den Tod richten, aber es will mir nicht gelingen, ich sehe eine Art Flecken … und weiter nichts.«

Er kehrte sich mühsam gegen die Wand, und Wassili Iwanowitsch verließ das Kabinett. Im Zimmer seiner Frau angekommen, fiel er vor den Heiligenbildern auf die Knie.

»Laß uns beten, Arina, laß uns zu Gott beten!« schrie er schluchzend, »unser Sohn stirbt!«

Der Distriktsarzt, derselbe, der keinen Höllenstein hatte, kam und riet, nachdem er den Kranken untersucht, zu einem zuwartenden Verfahren und fügte einige Phrasen bei, die geeignet waren, Hoffnung auf Genesung zu erwecken.

»Sie haben also Leute gesehen, die in meinem Zustande waren und nicht ins Elysium gereist sind?« fragte Bazaroff und stieß gleichzeitig mit dem Fuß an einen schweren Tisch neben dem Bett, daß er wankte und von der Stelle wich.

»Die Kraft,« sagte er, »die ganze Kraft ist noch da, und doch muß ich sterben; ein Greis hat wenigstens volle Zeit gehabt, sich des Lebens zu entwöhnen, aber ich: verneinen … verneinen … Ja, verneine einer einmal den Tod! Er verneint euch; damit ist alles gesagt. Ich höre da unten weinen!« fügte er nach kurzem Schweigen hinzu, »es ist meine Mutter. Arme Frau, wem soll sie jetzt ihren trefflichen ›Bastch‹ vorsetzen? Und auch du, Wassili Iwanowitsch, bist dem Weinen nahe. Wenn dein Christentum nicht ausreichen will, so versuchs mit der Philosophie, denk an die Stoiker! Du rühmtest dich, glaube ich, Philosoph zu sein?«

»Ich Philosoph!« rief Wassili Iwanowitsch aus, und Tränen rannen über seine Wangen.

Bazaroffs Zustand verschlimmerte sich stündlich; die Krankheit machte reißende Fortschritte, wie dies bei derartigen Blutvergiftungen der Fall ist. Er war noch bei voller Besinnung und verstand alles, was man mit ihm sprach; er kämpfte noch. – »Ich will nicht delirieren,« murmelte er, die Fäuste ballend, vor sich hin, »das ist zu dumm!« und gleich darauf fügte er hinzu: »zehn von acht, wieviel bleibt?« Wassili Iwanowitsch ging wie ein Toller im Zimmer auf und ab, schlug alle erdenklichen Mittel vor und deckte alle Augenblicke die Füße seines Sohnes zu.

»Man sollte ihn in nasse Tücher wickeln … ein Brechmittel und Senfpflaster auf den Magen … einen Aderlaß!« stammelte er mit Anstrengung.

Der Arzt, den er gebeten hatte, dazubleiben, stimmte ihm bei, gab dem Kranken Limonade und verlangte für sich selber bald eine Pfeife, bald etwas Stärkendes und Erwärmendes, das heißt einen Schnaps. Arina Vlassiewna blieb auf einer kleinen Bank neben der Tür sitzen und verließ diesen Platz nur auf Augenblicke, um zu beten. Wenige Tage zuvor hatte sie ihren Toilettenspiegel fallen lassen, und er war zerbrochen, was sie immer für eine der schlimmsten Vorbedeutungen angesehen hatte; Anfisuschka sogar wußte ihr nichts zu sagen. Timofeitsch war mit der Botschaft des Sterbenden zu Frau Odinzoff geeilt.

Die Nacht war schlecht … Bazaroff lag im Fieber, von der Glut verzehrt. Sein Zustand besserte sich mit Tagesanbruch ein wenig; er bat Arina Vlassiewna, ihm das Haar zu kämmen, küßte ihr die Hand und schluckte zwei oder drei Löffel Tee; Wassili Iwanowitsch faßte wieder etwas Hoffnung.

»Gott sei gelobt!« sagte er wiederholt, »die Krise ist eingetreten … die Krise ist vorüber …«

»Da seht,« sagte Bazaroff, »was ein Wort vermag! Das Wort Krise ist ihm in den Sinn gekommen, und er fühlt sich dadurch ganz getröstet. Es ist was Sonderbares um den Einfluß, den die Worte auf die Menschen haben! Nenne einer einen Menschen Dummkopf, ohne ihn zu schlagen, und er ist ganz betrübt! Man beglückwünsche ihn wegen seines Geistes, ohne ihm Geld zu geben, und er fühlt sich glücklich.« Dieses kurze Gespräch rief Wassili Iwanowitsch die Ausfälle zurück, deren sich Bazaroff in gesunden Tagen bedient hatte, und er schien davon entzückt.

»Bravo! das ist sehr wahr und gut gesagt. Bravo!« rief er aus und tat, als ob er in die Hände klatschte.

Bazaroff lächelte traurig.

»Was ist deine wirkliche Meinung,« fragte er seinen Vater, »ist die Krise vorüber oder tritt sie erst ein?«

»Es geht besser, das sehe ich, und das freut mich,« versetzte Wassili Iwanowitsch.

»Herrlich! Es ist immer gut, sich zu freuen. Aber hat man dort hingeschickt? Du weißt schon …«

»Gewiß.«

Die Besserung war nicht von langer Dauer. Die Anfälle erneuerten sich. Wassili Iwanowitsch wich nicht vom Bett seines Sohnes. Eine ganz absonderliche Angst schien den alten Mann zu quälen. Umsonst versuchte er mehrmals zu reden.

»Eugen!« rief er endlich, »mein Kind, mein lieber, guter Sohn!«

Dieser unerwartete Ruf machte Eindruck auf Bazaroff. Er wandte den Kopf ein wenig, versuchte es sichtlich, den Druck, der auf seinem Geiste lastete, abzuwälzen, und sagte: »Was, mein Vater?«

»Eugen,« fuhr Wassili Iwanowitsch fort und sank neben Bazaroff in die Knie, obgleich dieser die Augen geschlossen hatte und ihn nicht sehen konnte. »Eugen, du fühlst dich besser und wirst mit Gottes Hilfe genesen. Aber benütze diesen Augenblick, tue, was deiner armen Mutter und mir die größte Beruhigung gewähren würde. Erfülle deine Christenpflicht! Es ist mir schwer angekommen, dir den Vorschlag zu machen. Aber es wäre noch schrecklicher … Es handelt sich um die Ewigkeit, Eugen! bedenke es wohl …« Die Stimme versagte dem Alten, und ein sonderbares Zucken glitt langsam über das ganze Gesicht seines Sohnes hin, der fortwährend mit geschlossenen Augen dalag.

»Wenn euch das Vergnügen machen kann, so habe ich nichts dagegen,« sagte er endlich; »es scheint mir aber keine Eile zu haben. Du hast soeben gesagt, daß es besser mit mir geht.«

»Besser allerdings, Eugen, aber man kann für nichts stehen. Alles hängt vom Willen Gottes ab, und um eine Pflicht zu erfüllen …«

»Ich will noch warten,« entgegnete Bazaroff, »du sagst ja selber, daß die Krise eben begonnen habe. Wenn wir uns täuschen, was liegt daran! Man gibt ja den Kranken die Absolution, auch wenn sie bewußtlos sind.«

»Ums Himmels willen, Eugen …«

»Ich will vorerst warten! ich möchte gern schlafen; laß mich …«

Und er legte den Kopf wieder aufs Kissen. Der Greis erhob sich, setzte sich in seinen Lehnstuhl, stützte das Kinn in die Hand und zernagte sich die Finger.

Das Geräusch eines Wagens in Federn, dies Geräusch, welches man in der ländlichen Stille so deutlich unterscheidet, schlug plötzlich an das Ohr des Alten. Das Rollen leichter Räder kam immer näher; man konnte schon das Schnauben der Pferde hören … Wassili Iwanowitsch sprang aus dem Lehnstuhl auf und lief ans Fenster. Ein zweisitziger Reisewagen mit vier nebeneinandergespannten Pferden fuhr in den Hof seines kleinen Hauses ein. Ohne sich Rechenschaft zu geben, was dies bedeute, und unwillkürlich von einem freudigen Gefühl durchzuckt, lief er vor die Tür. Ein Livreebedienter öffnete den Wagen, und eine verschleierte Frau in schwarzer Mantille stieg aus.

 

»Ich bin Frau Odinzoff,« sagte sie. »Lebt Eugen Wassiliewitsch noch? Sie sind sein Vater? Ich habe einen Arzt mitgebracht.«

»Gottes Segen über Sie!« rief Wassili Iwanowitsch aus, ergriff ihre Hand und drückte sie krampfhaft an seine Lippen, während der Arzt, von dem Frau Odinzoff gesprochen, ein kleiner Mann mit Brille und einer deutschen Physiognomie, langsam den Wagen verließ. – »Er lebt noch, mein Eugen, und wird jetzt gerettet werden! Frau! Frau! es ist ein Engel vom Himmel zu uns gekommen …«

»Was gibts! großer Gott!« stammelte Arina Vlassiewna, welche aus dem Wohnzimmer gelaufen kam und, gleich im Vorzimmer zu den Füßen Anna Sergejewnas sinkend, wie eine Wahnsinnige den Saum ihres Kleides küßte.

»Was machen Sie, was machen Sie!« sagte Frau Odinzoff zu ihr; aber Arina Vlassiewna hörte sie nicht, und Wassili Iwanowitsch wiederholte fortwährend: »Ein Engel! ein Engel vom Himmel!«

»Wo ist der Kranke?« fragte endlich auf deutsch der Arzt mit ungeduldiger Miene.

Diese Worte brachten Wassili Iwanowitsch wieder zur Vernunft.

»Hier! hier! wollen Sie mir gefälligst folgen, ›wertester Herr Kollega‹,« fügte er gleichfalls auf deutsch und in Gedanken an seinen früheren Rang hinzu.

»Ah!« sagte der Deutsche mit bitterem Lächeln.

Wassili Iwanowitsch führte ihn in sein Arbeitszimmer.

»Da ist ein Arzt, den Anna Sergejewna Odinzoff schickt,« sagte er, indem er sich zum Ohr seines Sohnes niederbeugte, »und sie selbst ist gleichfalls hier.«

Bazaroff öffnete sogleich die Augen.

»Was sagst du?«

»Ich habe dir die Nachricht gebracht, daß Anna Sergejewna Odinzoff hier ist und dir diesen ehrenwerten Doktor hier mitgebracht hat.«

Bazaroff ließ die Augen durchs Zimmer laufen.

»Sie ist hier? … ich will sie sehen …«

»Du sollst sie sehen, Eugen … zuvor aber müssen wir ein wenig mit dem Herrn Doktor reden. Ich will ihm deine ganze Krankheitsgeschichte erzählen, weil Sidor Sidoritsch (so hieß der Distriktsarzt) weggegangen ist; dann können wir eine kleine Konsultation halten.«

Bazaroff blickte den Arzt an.

»Gut, machs so schnell wie möglich mit ihm ab, aber sprecht nicht Lateinisch, denn ich verstehe, was es heißt: iam moritur.«

»Der Herr scheint des Deutschen mächtig zu sein,« sagte der Schüler Äskulaps wieder auf deutsch, zu dem Alten gewandt.

»Ick … abe … sprechen Sie Russisch, das wird besser sein,« antwortete Wassili Iwanowitsch.

»Aha, so stehts … gut!« Und die Konsultation begann.

Eine Viertelstunde später trat Anna Sergejewna in Begleitung Wassili Iwanowitschs in das Zimmer. Der Doktor hatte Zeit gefunden, ihr ins Ohr zu flüstern, daß der Zustand des Kranken hoffnungslos sei.

Sie richtete ihre Augen auf Bazaroff und blieb an der Tür stehen, einen solch schrecklichen Eindruck machte auf sie das gerötete, obgleich schon sterbende Gesicht, diese irren Augen, die sie starr ansahen. Sie fühlte sich von einer eisigen Kälte und von einer erdrückenden Angst ergriffen; der Gedanke, daß sie etwas ganz anderes fühlen würde, wenn sie ihn wirklich geliebt hätte, durchzuckte sie.

»Danke!« sagte er mit Anstrengung, »ich hoffte es nicht. Das ist eine gute Handlung. Wir sehen uns noch einmal wieder, wie Sie es mir vorhergesagt haben.«

»Anna Sergejewna hat die Güte gehabt …«

»Mein Vater, laß uns allein … Anna Sergejewna, Sie erlauben es? ich glaube, daß jetzt …«

Sie nickte mit dem Kopfe, als ob sie sagen wollte, daß sie von einem Sterbenden nichts zu fürchten habe.

Wassili Iwanowitsch verließ das Zimmer.

»Nun! ich danke!« wiederholte Bazaroff, »das ist wahrhaft königlich. Man sagt, die Könige begeben sich so an das Lager der Sterbenden.«

»Eugen Wassiliewitsch, ich hoffe …«

»Nein, Anna Sergejewna, wir wollen uns nicht täuschen; für mich ist alles aus. Ich bin unter das Rad gefallen. Sehen Sie wohl, daß ich recht hatte, mich nicht im voraus mit der Zukunft zu beschäftigen. Das Sterben ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu für jeden. Bis jetzt habe ich keine Angst … Dann werde ich das Bewußtsein verlieren, und ft (dabei machte er ein leichtes Zeichen mit der Hand). – Aber was könnte ich Ihnen noch sagen? … daß ich Sie geliebt habe? Das hatte früher keinen Sinn, und jetzt weniger als je. Die Liebe ist eine Form, und meine eigene Form ist in der Auflösung begriffen. Ich will Ihnen lieber sagen … wie schön Sie sind! So, wie ich Sie da vor mir sehe …«

Anna Sergejewna zitterte unwillkürlich.

»Es ist nichts, beunruhigen Sie sich nicht … nehmen Sie da unten Platz … nähern Sie sich mir nicht; die Krankheit, die ich habe, ist ansteckend.«

Anna Sergejewna durchschritt das Zimmer rasch, um sich ihm zu nähern, und setzte sich in einen Lehnstuhl neben dem Ruhebett.

»Welche Großmut!« sagte Bazaroff halblaut; »wie nah sie ist! so jung, so frisch, so rein in diesem garstigen Zimmer! … Nun, leben Sie wohl, leben Sie lange, es ist das beste, was man tun kann, und genießen Sie das Leben, solang es nicht zu spät ist. Sehen Sie, welch häßliches Schauspiel: ein halbzertretener Wurm, der sich noch krümmt! Ich glaubte sicher, noch vieles zu leisten; sterben, ich? ah! bah! ich habe eine Mission, ich bin ein Riese! Und zu dieser Stunde besteht die ganze Mission des Riesen darin, mit Anstand zu sterben, obgleich das keinen Menschen interessiert … Was liegt daran, ich will nicht kuschen wie ein Hund.«

Bazaroff schwieg und suchte mit der Hand nach seinem Glas. Anna Sergejewna gab ihm zu trinken, ohne die Handschuhe abzuziehen, und mit verhaltenem Atem.

»Sie werden mich vergessen,« fuhr er fort; »die Toten sind nichts mehr für die Lebenden. Mein Vater wird Ihnen sagen, daß Rußland einen Mann verliert, der sehr kostbar für dasselbe war! … Das sind Prahlereien, doch lassen Sie dem Greise diese Illusionen … Sie wissen … für ein Kind ist jeder Zeitvertreib recht … Trösten Sie ihn und auch meine Mutter. In Ihrer großen Welt werden Sie dergleichen Leute nicht finden, und wenn Sie mit der Laterne in der Hand suchten … Ich für Rußland notwendig! … Nein, es scheint nicht! Wer ist ihm denn notwendig? Ein Schuster ist ein notwendiger Mensch, ein Schneider ist notwendig, ein Metzger … er verkauft Fleisch … ein Metzger … Halt! ich verwirre mich … Hier ist ein Brett …« Bazaroff legte die Hand auf die Stirn.

Frau Odinzoff neigte sich zu ihm herab.

»Eugen Wassiliewitsch, ich bin noch immer da …«

Er zog die Hand zurück und richtete sich mit einmal auf.

»Leben Sie wohl!« sagte er mit plötzlichem Nachdruck, und seine Augen glänzten zum letztenmal. »Leben Sie wohl! … hören Sie … ich habe Sie an jenem Tage nicht geküßt … blasen Sie die sterbende Lampe aus, und sie erlösche …«

Frau Odinzoff drückte ihre Lippen auf die Stirn des Sterbenden.

»Genug!« hauchte er, und sein Haupt sank zurück … »jetzt die Finsternis ....« Frau Odinzoff verließ das Zimmer lautlos.

»Nun? …« fragte sie Wassili Iwanowitsch mit gedämpfter Stimme.

»Er ist eingeschlafen,« antwortete sie noch leiser.

Bazaroff sollte nicht wieder erwachen. Er wurde gegen Abend gänzlich bewußtlos und starb am andern Morgen. Der Pater Alexis übte an ihm die letzten Pflichten. Als man ihm die Letzte Ölung gab, und das geweihte Öl auf seine Brust träufelte, öffnete sich eins seiner Augen, und es war, als ob beim Anblick dieses Priesters in seinem geistlichen Ornat, des rauchenden Weihgefäßes und der vor den Heiligenbildern brennenden Kerzen etwas wie ein schauerndes Entsetzen über das entstellte Gesicht hinging … das dauerte aber nur einen Augenblick. Als er den letzten Seufzer ausgehaucht hatte, und das Haus von Wehklagen ertönte, wurde Wassili Iwanowitsch von plötzlichem Wahnsinn ergriffen. – »Ich habe gelobt, mich zu empören,« schrie er mit heiserer Stimme, mit erhitztem, verstörtem Gesicht und mit geballten Fäusten, als ob er jemand drohte; »und ich werde mich empören! ich werde mich empören!«

Aber Arina Vlassiewna hing sich, in Tränen aufgelöst, an seinen Hals, und sie fielen zusammen mit dem Gesicht auf den Boden, »ganz wie zwei Lämmer«, erzählte nachher Anfisuschka im Vorzimmer, »wie zwei Lämmer in der ärgsten Hitze«; zu gleicher Zeit und nebeneinander sanken sie nieder.

Aber die Hitze des Tages vergeht, und der Abend kommt, und dann die Nacht, die Nacht, welche alle Hartgeprüften und Müden in ein stilles Asyl geleitet …

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Sechs Monate waren vergangen, und der Winter war gekommen; der starre Winter mit dem grausamen Schweigen seines Frostes, wo der dichte Schnee knistert, die Zweige der Bäume leis angehaucht sind von rosig schimmerndem Reif, wo Kuppeln dicken Rauchs über den Schornsteinen vom blaßblauen, wolkenlosen Himmel sich abheben, Wirbel warmer Luft aus den geöffneten Haustüren hervorbrechen, die roten Gesichter der Vorübergehenden wie gezwickt erscheinen und die vor Kälte zitternden Pferde in raschem Lauf dahintraben. Ein Tag des Monats Januar neigte sich zu Ende; die Abendkälte verdichtete die unbewegliche Luft noch mehr, und die blutrote Dämmerung erlosch mit reißender Schnelle. Die Fenster des Herrenhauses zu Marino erhellten sich nacheinander; Prokofitsch in schwarzem Frack und weißen Handschuhen legte mit besonderer Würde fünf Gedecke auf die Tafel im Speisesaal. Acht Tage zuvor hatten in der kleinen Kirche des Sprengels zwei Hochzeiten stattgefunden, still und beinahe ohne Zeugen; Arkad hatte sich mit Katia, Kirsanoff mit Fenitschka verbunden, und Kirsanoff gab seinem Bruder, der in Geschäften nach Moskau ging, einen Abschiedsschmaus. Anna Sergejewna war gleichfalls nach jener Stadt gereist, nachdem sie den Neuvermählten reiche Geschenke gemacht hatte.

Man setzte sich Punkt drei Uhr zu Tische; Mitia war unter den Gästen; er hatte bereits ein Kindermädchen mit einem ›Kokosschnik‹ von goldgestickter Seide; Paul Petrowitsch hatte seinen Platz zwischen Katia und Fenitschka; die jungen Ehemänner saßen neben ihren Frauen. Unsere alten Freunde hatten sich in letzter Zeit etwas verändert; sie waren hübscher oder doch wenigstens stärker geworden, nur Paul Petrowitsch war magerer, was aber das Vornehme seiner Züge noch erhöhte. Auch Fenitschka war nicht mehr dieselbe. Im schwarzseidenen Kleid, eine breite Samtschleife in den Haaren, eine goldene Kette um den Hals, saß sie mit achtunggebietender Unbeweglichkeit da, nicht weniger achtunggebietend für sich selber als für ihre ganze Umgebung, und lächelte, als ob sie sagen wollte: »Entschuldigen Sie, ich bin nicht umsonst hier.« Übrigens hatten die andern Gäste alle ein Lächeln auf den Lippen, als ob sie ebenfalls um Entschuldigung bitten wollten; alle fühlten sich ein wenig befangen, ein wenig traurig, und doch vollkommen glücklich. Jedes war gegen seinen Nachbar von der freundlichsten Zuvorkommenheit, man schien sich das Wort gegeben zu haben, eine Art Komödie voll gutmütigen Wohlwollens miteinander zu spielen. Katia war die Ruhigste von allen; sie blickte zuversichtlich umher, und man konnte leicht bemerken, daß Kirsanoff schon ganz in sie vernarrt war. Er erhob sich gegen das Ende der Tafel, ein Glas Champagner in der Hand, und sprach zu Paul Petrowitsch gewendet:

»Du verläßt uns … du verläßt uns, lieber Bruder; hoffentlich für kurze Zeit, doch kann ich dem Wunsche nicht widerstehen, dir auszudrücken, was … ich … was wir … wie sehr ich … wie sehr wir … das Unglück ist, daß wir Russen keinen ›Speech‹ zu halten verstehen. Arkad, rede du an meiner Stelle.«

»Nein, Papa, ich bin nicht darauf vorbereitet.«

»Du bist immer noch besser vorbereitet als ich! Kurz, lieber Bruder, erlaube mir, dich einfach zu umarmen und dir alles denkbare Glück zu wünschen; komm so bald als möglich wieder zu uns zurück.«

Paul Petrowitsch umarmte sämtliche Mitglieder der Gesellschaft, ohne, wohlverstanden, Mitia auszunehmen; er küßte zudem Fenitschka die Hand, die sie ihm ziemlich linkisch darreichte; dann trank er ein zweites Glas Champagner aus und rief mit einem tiefen Seufzer:

»Seid glücklich, Freunde! Farewell!«

Dieses englische Wort blieb unbeachtet, die Gäste waren alle zu bewegt.

»Dem Andenken Bazaroffs!« flüsterte Katia ihrem Manne ins Ohr und stieß mit ihm an. Arkad drückte ihr die Hand, wagte aber nicht, den Toast auszubringen.

Damit, dünkt mich, ist die Geschichte zu Ende. Vielleicht aber wünschen einige unserer Leser zu wissen, wie sich die verschiedenen Personen unserer Erzählung augenblicklich befinden. Es macht uns Vergnügen, diesem Wunsche zu entsprechen.

 

Anna Sergejewna hat sich ganz kürzlich verheiratet; sie hat eine Vernunftheirat geschlossen. Der, den sie zum Gemahl genommen, ist einer unserer zukünftigen Aktionsmänner, ein bedeutender Rechtsgelehrter, von ausgesprochen praktischem Sinn, mit starkem Willen und großer Redegewandtheit begabt; übrigens noch ziemlich jung, brav, aber von eisiger Kälte. Sie führen eine musterhafte Ehe und werden es schließlich zu häuslichem Glück, vielleicht gar bis zur Liebe bringen. – Die Fürstin X ist tot und seit dem Tage ihres Hinscheidens vergessen. Vater und Sohn Kirsanoff haben sich in Marino eingerichtet; ihre Geschäfte fangen an, etwas besser zu gehen; Arkad ist ein tüchtiger Landwirt geworden, und das Gut wirft bereits eine ziemlich beträchtliche Rente ab. Nikolaus Petrowitsch wurde zum Friedensrichter erwählt und erfüllt seine Amtspflichten mit dem größten Eifer, er durchreist unaufhörlich den ihm angewiesenen Bezirk, hält lange Reden, denn er ist der Ansicht, daß dem Bauern »Vernunft beigebracht«, das heißt, ihm dieselbe Sache bis zum Überdruß wiederholt werden müsse; indessen, um die Wahrheit zu gestehen, gelingt es ihm weder die aufgeklärten Herren Edelleute, welche über die »mancipation« bald geziert, bald schwermutsvoll diskutieren, noch die ungebildeten gnädigen Herren vollständig zu befriedigen, welche diese unglückselige »mouncipation« offen verfluchen; die einen wie die andern finden ihn zu lau. Katharina Sergejewna hat einen Sohn bekommen, und Mitia ist schon ein kleiner drolliger Kerl, welcher artig genug läuft und schwatzt. Fenitschka, jetzt Fedosia Nikolajewna, liebt nach ihrem Gatten und Sohn niemand auf der Welt so sehr wie ihre Schwiegertochter, und wenn sich diese ans Pianino setzt, würde sie gern den ganzen Tag an ihrer Seite bleiben. Noch dürfen wir Peter nicht vergessen; er ist ganz stupid und von Wichtigkeit aufgeblasener als je geworden; das hat ihn aber nicht verhindert, eine ziemlich vorteilhafte Heirat zu schließen; er hat die Tochter eines Gärtners aus der Stadt geheiratet, die ihn zwei anderen Verlobten vorgezogen hat, weil diese keine Uhr hatten, während er nicht nur eine Uhr, sondern auch lackierte Halbstiefel besaß!

Auf der Brühlschen Terrasse in Dresden kann man zwischen zwei und drei Uhr, der fashionabelsten Promenadenzeit, einem ganz weißköpfigen Mann in den Fünfzigen begegnen, der an der Gicht zu leiden scheint, aber noch schön ist, elegant gekleidet, und von jenem besonderen Stempel, den die Gewohnheit der großen Welt aufprägt. Dieser Spaziergänger ist kein anderer als Paul Petrowitsch Kirsanoff. Er hat Moskau aus Gesundheitsrücksichten verlassen und sich in Dresden angesiedelt, wo er vornehmlich mit den englischen und russischen Fremden umgeht. Ersteren gegenüber beobachtet er ein einfaches, beinahe bescheidenes, aber immer würdiges Benehmen; sie finden ihn ein wenig langweilig, halten ihn aber für »a perfect gentleman«. Im Umgang mit den Russen fühlt er sich behaglicher, läßt seinem galligen Humor die Zügel schießen, verspottet sich selbst und schont die andern nicht; er tut aber dies alles mit liebenswürdigem Sichgehenlassen und ohne jemals die gute Lebensart zu verletzen. Er bekennt sich überdies zu den Ansichten der Slawophilen, und bekanntlich gilt diese Anschauungsweise in der hohen russischen Welt für besonders vornehm. Er liest kein russisches Buch, aber man sieht auf seinem Schreibtisch einen silbernen Aschenbecher in der Form eines bäuerlichen »Lapot«. Von unseren Touristen wird er häufig aufgesucht. Matthias Ilitsch Koliazin, der augenblicklich in die Reihen der »Opposition« getreten ist, hat ihm auf einer Reise in die böhmischen Bäder seine Aufwartung gemacht, und die Bewohner Dresdens, mit denen er übrigens keinen näheren Verkehr hat, scheinen eine Art Verehrung für ihn zu haben. Niemand kann so leicht wie der »Herr Baron von Kirsanoff« eine Eintrittskarte in die Hofkapelle, eine Theaterloge usw. erhalten. Er tut Gutes, soviel er kann, und immer etwas geräuschvoll; nicht umsonst ist er einst ein »Löwe« gewesen, aber das Leben ist ihm zur Last, mehr als er selber ahnt. Es genügt, ihn in der russischen Kirche zu sehen, wenn er, zur Seite an die Mauer gelehnt und den Ausdruck der Bitterkeit auf den festgeschlossenen Lippen, unbeweglich dasteht und träumt, dann plötzlich den Kopf schüttelt und sich fast unmerklich bekreuzt.

Frau Kukschin hat schließlich auch das Land verlassen. Sie ist gegenwärtig in Heidelberg, und studiert nicht mehr die Naturwissenschaften, sondern die Architektur, und hat da, wie sie sagt, neue Gesetze entdeckt. Wie ehemals verkehrt sie mit den Studenten, und besonders mit den jungen russischen Physikern und Chemikern, von denen Heidelberg wimmelt und die, wenn sie die naiven deutschen Professoren in der ersten Zeit ihres Aufenthalts durch die Richtigkeit ihres Urteils in nicht geringes Erstaunen gesetzt haben, dieselben kurz darauf durch ihren vollständigen Müßiggang und ihre beispiellose Faulheit in noch viel größeres Erstaunen setzen. Mit zwei oder drei Chemikern dieser Gattung, welche den Unterschied zwischen Sauerstoff und Stickstoff nicht kennen, aber alles kritisieren und sehr zufrieden mit sich selber sind, treibt sich Sitnikoff in Petersburg umher und setzt in Begleitung des »großen« Eliewitsch und mit dem Bestreben, diesen Ehrentitel gleichfalls zu verdienen, Bazaroffs »Werk«, wie er sich ausdrückt, fort. Man versichert, daß er kürzlich geprügelt wurde, jedoch nicht, ohne sich Genugtuung zu verschaffen; er hat in einem obskuren Artikel, der in einem obskuren Blatt erschien, zu verstehen gegeben, daß sein Gegner eine feige Memme sei. Er nennt das Ironie. Sein Vater läßt ihn laufen wie gewöhnlich; seine Frau heißt ihn einen Schwachkopf und Literaten.

In einem der fernsten Winkel Rußlands liegt ein kleiner Kirchhof. Wie beinahe alle Kirchhöfe unseres Landes bietet er einen höchst traurigen Anblick dar; die Gräben, welche ihn einhegen, sind seit lange vom Unkraut überwuchert und ausgefüllt, die hölzernen Kreuze liegen auf der Erde oder halten sich kaum noch, geneigt unter den einst bemalt gewesenen kleinen Dächern, welche über ihnen angebracht sind; die Leichensteine sind von der Stelle gerückt, als ob sie jemand von unten weggestoßen hätte; zwei oder drei fast blätterlose Bäume geben kaum ein wenig Schatten; Schafe weiden zwischen den Grabhügeln. Einer jedoch ist da, den die Hand des Menschen verschont und die Tiere nicht mit Füßen treten; die Vögel allein kommen und setzen sich auf ihn nieder, und singen da jeden Morgen beim ersten Tageslicht. Ein Eisengitter umgibt ihn, und an den Enden stehen zwei junge Tannen. Es ist das Grab Eugen Bazaroffs. Zwei Leute, ein Mann und eine Frau, gebeugt von der Last der Jahre, kommen oft dahin aus einem Dörfchen der Nachbarschaft; eins aufs andere gestützt, nähern sie sich langsamen Schritts dem Gitter, sinken auf die Knie und weinen lang und bitterlich, die Augen auf den stummen Stein geheftet, der ihren Sohn deckt; sie wechseln einige Worte, wischen den Staub ab, der auf der Platte liegt, richten einen Tannenzweig auf, fangen wieder an zu beten und können sich nicht entschließen, diesen Ort zu verlassen, wo sie ihrem Sohn, wo sie seinem Andenken näher zu sein glauben. Ist es möglich, daß ihre Gebete, ihre Tränen vergeblich wären? Ists möglich, daß reine, hingebende Liebe nicht allmächtig sei? O nein! Wie leidenschaftlich, wie rebellisch das Herz auch war, das in einem Grabe ruht, die Blumen, die darauf erblühen, sehen uns freundlich mit ihren unschuldigen Augen an; sie erzählen uns nicht allein von der ewigen Ruhe, von der Ruhe der »gleichgültigen« Natur; sie erzählen uns auch von der ewigen Versöhnung und von einem Leben, das kein Ende haben soll.