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Zwei Freunde

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– Soprano, wollen Sie sagen?

– Ach ja, Somprano. Palinka dagegen hat eine Contraltstimme.

– Ach, ein Contralto! Das ist köstlich.

– Ich kann heute nicht singen – sagte auf einmal Palinka mit Anstrengung. – Ich bin heiser.

Ihre Stimme ähnelte in diesem Augenblicke auch wirklich mehr dem Baß, als dem Contralto.

– So? Nun, in diesem Falle singt uns Emerenzija ihre Arie vor – Du weißt schon, welche . . . Deine italienische Lieblingsarie. Palinka wird dich accompagniren.

– Jene Arie, – weißt du noch? – mit den Trillern, – ergänzte der Vater.

– Die Bravour-Arie kommandirte die Mutter.

Die Fräuleins gingen auf das Clavier zu. Palinka hob den Deckel in die Höhe, legte auf das Pult ein Heft geschriebener Noten und setzte sich nieder. Emerenzija nahm stehend neben ihr Platz, kaum merklich, aber mit Grazie unter den auf sie gerichteten Blicken der Gäste kokettirend. Endlich fing sie an zu singen – wie überhaupt solche junge Damen zu singen pflegen: weinerlich und tremulirend. Die Aussprache war höchst undeutlich; aber aus einigen Nasentönen konnte man entnehmen, daß sie italienisch sang. Gegen den Schluß löste sich die Arie wirklich in Triller auf zur großen Freude Kalimon Iwanitsch’s. Er richtete sich in seinem Sessel in die Höhe und rief aus: »Nur zu! Nur zu!« Sie aber wurde mit dem letzten Triller eher fertig, als sie sollte, so daß ihre Schwester einige Takte allein spielen mußte. Dies hinderte jedoch Boris Andrejitsch nicht, sein Entzücken zu äußern und Emerenzija Elogen zu machen. Peter Wassiljewitsch wiederholte zweimal hinter einander: Sehr gut!l Sehr gut! und fügte dann hinzu: »Nun sollten Sie uns aber auch etwas Russisches vortragen, so zum Beispiel »Solowei« oder »Saraphan« oder gar ein Zigeunerlied! Nicht wahr! Wir müssen doch wohl offen gestehen, daß diese fremdländischen Lieder eigentlich nicht für unser Einen geschrieben sind.«

– Ganz recht! äußerte sich Kalimon Iwanitsch.

– Chantez . . . le »Saraphan« – dictirte halblaut und mit der früheren Strenge die Mutter.

– Nein! Nicht »Saraphan« fiel Kalimon Iwanitsch ein – lieber »Wir zwei Zigeunerinnen« oder »Zieh’ die Mütze und bück dich tiefer« . . . Weißt schon, was ich meine!

– Papa! Sie machen es immer so – erwiederte Emerenzija und sang »Zieh die Mütze«. Und zwar trug sie es nicht übel vor. Kalimon Iwanitsch sang mit und schlug mit den Füßen den Takt, so daß Peter Wassiljewitsch außer sich vor Entzücken kam.

– Das ist ganz etwas Anderes! Das heißt ganz nach unserem Geschmack! – sagte er ohne Unterlaß. – Ergötzlich, Emerenzija Kalimonowna! . . . Jetzt erst sehe ich klar, daß Sie berechtigt sind, sich Liebhaberin der Kunst und Künstlerin zugleich zu nennen . . . Ja wohl! Liebhaberin und Künstlerin!

– Aber Sie erweisen mir zu viel Ehre – erwiederte Emerenzija, und wollte sich auf ihren Platz begeben. Doch: – à présent le »Saraphan!« – fing von neuem die Mutter an.

Emerenzija sang auch den »Saraphan«, jedoch nicht mit demselben Erfolg, den das frühere Lied errungen hatte, wenn auch der Applaus nicht ausblieb.

– Jetzt solltet Ihr noch Eure vierhändige Sonate spielen – ließ sich Frau Pelageja Iwanowna kurz darauf hören – Doch . . . wir sparen sie wohl besser für ein anderes Mal auf. Sonst wäre zu befürchten, daß wir Herrn Wjasownin langweilen

– Aber bitte . . . – fiel Boris Andrejitsch ein.

Palinka beeilte sich indeß bereite das Clavir zu schließen, und auch Emerenzija erklärte sich müde. Boris Andrejitsch hielt es für feine Pflicht, seine Elogen zu wiederholen.

– Ach, Monsieur Wjasownin! – antwortete sie – Sie werden wohl schon bessere Sängerinnen gehört haben. Ich kann mir schon denken, was mein Singen für Sie für Werth haben mag. Freilich, Bomerius, als er unsere Stadt besuchte, sagte er zu mir – ich darf wohl annehmen, daß Sie von Bomerius gehört haben?

– Nein! Was ist das für ein Bomerius?

– Nein? Ein ausgezeichneter Violinspieler, der in Pariser Conservatorien studirt hat. Ein ganz wunderbarer Virtuos! . . . Also, er sagte zu mir: Wissen Sie, Mademoiselle, bei Ihrer Stimme – und wenn sich noch die Gelegenheit bieten sollte, dieselbe bei einem tüchtigen Lehrer auszubilden, können Sie es unzweifelhaft noch zu Bedeutendem bringen . . . Alle Finger hat er mir nach einander geküßt . . . Aber wo soll hier an Ausbildung zu denken sein!

Emerenzija begleitete die letzten Worte mit einem Seufzer.

– Freilich! – erwiederte Boris Andrejitsch. – Jedoch bei Ihrem Talent . . . Er stockte und schielte mit höflich auffordernden Augen nach der andern Seite.

– Emérence, demanez pourquoi que le diner – erhob Pelageja Iwanowna wiederum ihre Stimme.

Oui, maman – replicirte Emerenzija und verließ mit einem graziösen Hüpfer über die Schwelle, den sie wohl unterlassen hätte, wenn keine Gäste zugegen gewesen wären, das Zimmer.

Boris Andrejitsch ging indessen auf Palinka zu. »Wenn hier die Familie Larin realisirt wäre,« so dachte er bei sich, ,,sollte das Fräulein dann nicht die Tatjana sein?«

Er ging also aus sie zu, während sie selbst mit offenbarer Angst sein Nähertreten verfolgte.

– Sie haben Ihr Fräulein Schwester vortrefflich begleitet – sing er an – ganz vortrefflich!

Palinka gab keine Antwort, erröthete aber bis an die Ohren.

– Ich bedaure sehr, daß es mir nicht vergönnt war, das Duett zu hören . . . Aus welcher Oper ist das Duett, wenn ich fragen darf?

Die Augen Palinkas fingen an, sich Unruhig zu bewegen.

Wjasownin wartete ihre Antwort ab; die Antwort blieb aus.

Welche Musik ziehen Sie vor? – fragte er wieder nach einer kurzen Pause – die italienische oder die deutsche?

Palinka’s Augen suchten den Boden.

– Pélegie, répondez done! – flüsterte ihr aufgeregt Pelageja Iwanowna zu.

– Jedwede – antwortete Palinka hastig.

– Indessen – erwiederte Boris Andrejitsch – das wäre schwer zu verstehen! Zum Beispiel Beethoven – ein Genie ersten Ranges! Jedoch wird auch er nicht von Allen anerkannt.

– Ja wohl! versetzte Palinka.

– Die Kunst ist unendlich mannigfaltig – fuhr der unerschrockene Boris Andrejitsch fort.

– Ja wohl! – antwortete Palinka.

– Die Unterhaltung dauerte nicht lange.

– Nein – dachte sich Boris Andrejitsch, indem er ihr den Rücken wandte – keine Tatjana. Das ist ganz einfach die personificirte Angst.

An demselben Tage beklagte sich vor dem Schlafen gehen mit Thränen in den Augen die arme Palinka bei ihrem Stubenmädchen, wie der Gast sie heute mit der Musik gequält habe und wie sie ihm nicht habe antworten können; und daß sie sich immer unglücklich fühle, wenn Gäste vorfahre: die Mutter schimpft nur nachher – das ist alle Freude, die man davon hat!«

Bei Tisch wurde Boris Andrejitsch ein Platz zwischen Kalimon Iwanitsch und Emerenzija angewiesen. Das Mittagessen war ganz russisch, ohne Künsteleien und sättigend, weshalb es auch Peter Wassiljewitsch besser schmeckte, als die erkünstelten Gerichte bei Sofia Kirillowna. Neben ihm saß Palinka, die endlich ihre Schüchternheit insoweit bewältigt hatte, daß sie seine Fragen beantworten konnte. Dagegen unterhielt Emerenzija ihren Nachbar mit so viel Eifer, daß er es zuletzt kaum aushalten konnte. Sie hatte die Gewohnheit, den Kopf nach rechts zu beugen, um den Bissen von der linken Seite aus dem Munde zuzuführen – es nahm sich so allerliebst aus! Doch dicke Gewohnheit war es, die Boris Andrejitsch besonders mißfiel. Ferner wollte es ihm nicht behagen, daß sie nur von sich sprach, und nicht anstand ihm gefühlvoll die geringsten Details aus ihrer Lebensgeschichte anzuvertrauen. Jedoch als höflicher Mann ließ er seine Empfindungen nicht merken, so daß Peter Wassiljewitsch, der ihn die ganze Zeit beobachtete, sich keine Rechenschaft geben konnte, welchen Eindruck Emerenzija auf seinen Freund gemacht hatte.

Nach Tisch versank Kalimon Iwanitsch plötzlich in ein tiefes Nachsinnen, oder, richtiger gesagt, in eine Art Betäubung. Er war gewöhnt, zu dieser Zeit ein Schläfchen zu halten, und obwohl er, als er bemerkte, daß die Gäste die Absicht hatten sich zu verabschieden, einige Male bemerkte: »Aber nicht doch, meine Herren! Weshalb diese Eile? Wir konnten doch noch eine Partie miteinander spielen . . . «, war er im Grunde seiner Seele zufrieden, als er sah, daß sie endlich nach ihren Mützen griffen. Pelageja Iwanowna dagegen lebte jetzt erst eigentlich auf und suchte die Gäste mit einer besonderen Beharrlichkeit zurückzuhalten. Emerenzija war ihr dabei eifrig behilflich und gab sich jegliche Mühe, sie zum Bleiben zu bereden. Sogar Palinka ermannte sich zu einem: »Mais messieurs!« Peter Wassiljewitsch antwortete weder bejahend noch verneinend; er schaute jedesmal auf seinen Freund Boris Andrejitsch. Dieser bestand jedoch höflich und zugleich kategorisch auf dem Entschlusse, nach Hause zurückzukehren. Mit einem Worte, es spielte sich hier grade das Gegentheil von dem ab, was sich bei dem Abschiede von Sofia Kirillowna ereignet hatte. Nachdem die Gäste ihr Versprechen gegeben hatten, ihren Besuch bald zu wiederholen, entfernten sie sich endlich. Die liebenswürdigsten Blicke Emerenzija’s begleiteten sie bis zum Speisezimmer. Kalimon Iwanitsch folgte ihnen sogar dies in das Vorzimmer, und nachdem er dort zugesehen hatte, wie der hurtige Diener Boris Andrejitsch’s die Herren in ihre Pelze einhüllte, ihnen die Shawls umwarf und die Füße mit warmen Stiefeln bekleidete, kehrte er in sein Kabinet zurück. Inzwischen hatte Palinka von ihrer Mutter eine Strafpredigt anhören müssen und sich in ihr Zimmer entfernt, während die beiden, bisher in Schweigen versunken gewesenen Frauenzimmer – die Eine mit der Haube, die Andere im dunkeln Tüchelchen – Emerenzija zu ihrer neuen Eroberung gratulirten.

Die Freunde schwiegen anfangs auf ihrem Wege. Boris Andrejitsch lächelte, durch den aufgeschlagenen Kragen seines Pelzes vor Peter Wassiljewitsch verborgen, still vor sich hin, und wartete ab, bis ihn Letzterer anreden würde.

 

– Wieder fehlgeschlagen! – rief Peter Wassiljewitsch aus .

Diesmal jedoch konnte man in seiner Stimme eine gewisse Unentschlossenheit wahrnehmen. Indem er sich anstrengte, Boris Andrejitsch durch seinen Pelzkragen anzusehen, fügte er fragend hinzu:

– Nicht wahr, fehlgeschlagen?

» Richtig! – erwiederte lachend Boris Andrejitsch.

– Ich habe es mir gedacht – erwiederte Peter Wassiljewitsch. Nach einer Pause begann er wieder: – Indessen, ich möchte doch hören, inwiefern denn eigentlich die Geschichte fehlgeschlagen ist. Was geht denn eigentlich diesem Fräulein ab?

– Es geht ihr Nichts ab. Im Gegentheil, es ist von Allem etwas zu viel an ihr.

– Was wollen Sie damit jagen: zu viel?

– Nun ja! Zu viel.

– Erlauben Sie, Boris Andrejitsch, ich verstehe Sie nicht. Wenn Sie von ihrer Bildung sprechen, wäre denn das zu rügen? Was hingegen den Charakter, das Benehmen . . .

– Ei was, Peter Wassiljewitsch! – erwiederte Boris Andrejitsch – Eines wundert mich nur: daß Sie mit Ihrem klaren Blick diese plappernde Emerenzija nicht durch und durch erkannt haben. Diese erheuchelte Liebenswürdigkeit, diese unaufhörliche Selbstvergötterung, diese bescheidenthuende Selbstüberschätzung, diese Nachsicht eines Engels, der von den Höhen des Himmels auf die bedauernswerthen Erdbewohner heruntersieht – aber wozu noch weiter reden! Doch da wir schon so weit sind, so muß ich gestehen, daß ich, wenn es darauf ankäme, mich zwanzig Mal eher entschließen würde, ihre Schwester zu heirathen. Sie versteht wenigstens zu schweigen.

– Nun ja, Sie haben Recht! – erwiederte kaum hörbar der enttäuschte Peter Wassiljewitsch. Dieses ungewohnte Betragen von Seiten Boris Andrejitsch’s machte ihn betroffen.

– Nein, – sagte er zu sich, und zwar zum ersten Male seit seiner Bekanntschaft mit Wjasownin – wir passen nicht für einander . . . Er ist zu gelehrt für mich.

Wjasownin seinerseits ließ auch, indem er den Mond betrachtete der tief am weißgezeichneten Horizonte stand, seinen Gedanken freien Lauf: Wiederum ganz und gar wie in Puschkins »Onjegin« . . .

Rund und roth von Angesicht . . .

– Lensky nimmt sich über die Maßen hübsch aus – und ich selbst, als Onjegin, nicht minder.

– Vorwärts, vorwärts, Larjuschka! – fügte er laut hinzu.

Und Larjuschka, sein graubärtiger Kutscher, trieb die Pferde zu rascherem Trabe an.

– Also nicht nach Wunsch? – fragte Boris Andrejitsch in scherzhaftem Tone seinen Freund, indem er mit Hilfe seines Dieners vom Schlitten stieg und sich anschickte, die Treppe seines Hauses hinanzuschreiten. – Nun, Peter Wassiljewitsch, habe ich Recht?

Aber Peter Wassiljewitsch blieb ihm die Antwort schuldig. Er ging nach Hause, um zu schlafen.

Emerenzija, die eine ausgedehnte und lebhafte Correspondenz unterhielt, schrieb am anderen Tage ihrer Freundin:

– Gestern besuchte uns ein neuer Gast, unser Nachbar Wjasownin. Er ist ein netter, liebenswürdiger Mann, dem man bald ansieht, daß er sehr gebildet ist. Soll ich es Dir in’s Ohr sagen? . . . Ich vermuthe, auf ihn einen tiefen Eindruck gemacht zu haben. Aber beruhige Dich, man amie: mein Herz blieb ungerührt, und Valentin hat Nichts zu fürchten. —

Der betreffende Valentin war Lehrer am Gymnasium des Gouvernements. In der Stadt hielt er in seiner Lebensweise keine Schranken inne, auf dem Dorfe aber seufzte er nur platonisch und mit dem Ausdruck der Hoffnungslosigkeit nach seiner Emerenzija.

Unsere Freunde kamen am nächsten Tage nach alter Gewohnheit wieder zusammen. Ihre Lebensweise war nach wie vor die alte.

Es verstrichen zwei Wochen. Boris Andrejitsch erwartete jeden Tag eine neue Einladung; aber Peter Wassiljewitsch schien sein Vorhaben ganz aufgegeben zu haben. Boris Andrejitsch fing nun selbst an, das Gespräch auf die Wittwe, auf die Tichodujeff’sche Familie zu lenken, und machte endlich Andeutungen, daß jede Sache doch wenigstens dreimal versucht werden müsse. Aber Peter Wassiljewitsch ließ in keiner Weise vermuthen, daß er die Andeutungen seines Freundes verstehe. Eines Tages nun hielt Boris Andrejitsch nicht länger mit seinen Worten zurück und begann:

– Wie soll ich das eigentlich deuten, Peter Wassiljewitsch? Es hat den Anschein als ob ich Sie jetzt an Ihr Versprechen erinnern sollte?

– Welches Versprechen?

– Erinnern Sie sich nicht mehr, daß Sie die Absicht hatten, mich zu verheirathen? Ich warte darauf.

Peter Wassiljewitsch beschrieb auf seinem Sessel eine Drehung.

– Aber Sie sind ja so wählerisch! Mit Ihnen läßt sich Nichts anfangen. Weiß der liebe Himmel, was Sie für Ansprüche machen. Es sieht so aus, als ob hier gar keine Braut nach Ihrem Geschmack vorhanden wäre.

– Das ist nicht schön von Ihnen, Peter Wassiljewitsch. Sie sollten nicht so leicht verzweifeln. Die ersten paar Male ging es nicht – nun was macht es denn aus? Uebrigens hat mir ja die Wittwe gefallen. Sobald Sie mich im Stiche lassen, fahre ich zu ihr.

– Nun, fahren Sie in Gottes Namen!

– Aber, Peter Wassiljewitsch, ich versichere Ihnen, daß ich es mit dem Heirathen ernst nehme. Führen Sie mich doch noch irgend wohin!

– Aber ich wüßte sonst Niemand mehr; in der ganzen Umgegend nicht!

– Das ist nicht möglich, Peter Wassiljewitsch. Als ob hier in der Nachbarschaft schon gar kein hübsches Frauenzimmer mehr aufzufinden wäre!

– Es giebt deren schon . . . aber die würden nicht für Sie passen.

– Aber, nennen Sie mir doch wenigstens irgend Eine!

Peter Wassiljewitsch preßte den Bernstein seiner Pfeifenspitze zwischen den Zähnen zusammen.

– Nehmen wir zum Beispiel Wjerotschka Barssukowa – sagte er endlich – wer könnte besser sein als sie? Aber nicht für Sie ist dieses Mädchen.

– Warum nicht?

– Sie ist zu einfach.

– Um so besser, Peter Wassiljewitsch! Um so besser!

– Und der Vater ist ein zu komischer Kauz.

– Das hat auch nichts zu sagen. Freundchen, machen Sie mich bekannt mit . . . wie haben Sie sie genannt?

– Barssukowa.

– Mit Fräulein Barssukowa! . . . Ich bitte Sie. Boris Andrejitsch ließ Peter Wassiljewitsch keine Ruhe, bis er ihm das Versprechen abgenommen, diese Bekanntschaft anzubahnen.

Zwei Tage später fuhren sie auch wirklich hin.

Die Familie Barssukow bestand ans zwei Personen: aus dem Herrn, einem Fünfziger, und seiner Tochter, einem neunzehnjährigen Mädchen. Peter Wassiljewitsch nannte den Vater nicht umsonst einen komischen Kauz; er war es wirklich, und in hohem Maße. Nachdem er seine Studien in einer Kronsanstalt glänzend absolvirt hatte, war er in den Marinedienst eingetreten und hatte bald die Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten auf sich gelenkt. Nichts destoweniger hatte er plötzlich den Dienst quittirt, sich verheirathet, seinen Wohnsitz auf dem Lande genommen, und hier wurde er von Tag zu Tag träger, sodaß es schließlich dahin mit ihm kam, daß er nicht nur niemals ausfuhr, sondern sogar nicht aus seinem Zimmer heraus kam. In seinem kurzen, mit Hasenfell gefütterten Rocke und den Pantoffeln ohne Hacken, pflegte er den ganzen Tag, die Hände in den Taschen seiner weiten Hose, bald singend, bald pfeifend, in sich versenkt von einer Zimmerecke zu der andern zu spazieren. Und was man ihm auch sagen mochte, auf Alles antwortete er lächelnd: » Brau, brau!« Das sollte soviel heißen, als: »Bravo, bravo!«

– Wissen Sie, Stepan Petrowitsch – sagte zu ihm zum Beispiel ein vorgefahrener Nachbar (und die Nachbarn besuchten ihn gern, denn einen zweiten, so gastfreundlichen und zuvorkommenden Mann gab es schwerlich) – wissen Sie, man sagt, daß in Betreff die Roggenpreise bis auf 13 Banko-Rubel gestiegen sind?

– Brau, brau! – antwortete ruhig Barssukow, obwohl er erst vor Kurzem dieselbe Waare mit 7½ Rubel verkauft hatte.

– Haben Sie schon gehört, daß Ihr Nachbar Pawel Fomitsch 20000 Rubel verspielt hat?

– Brau, brau! – antwortete mit derselben Ruhe Barssukow.

– In Schlikoff soll eine Seuche ausgebrochen sein – bemerkte ein anderer, neben ihm sitzender Herr.

– Brau, brau!

– Fräulein Lapin ist mit dem Verwalter auf und davon . . .

– Brau, brau, brau!

Und so ging es bis in’s Unendliche. Meldete man ihm, daß sein Pferd erkrankt, der Jude mit Waaren eingetroffen, daß die Uhr von der Wand verschwunden sei, daß der Dienstbursche seine Stiefel verlegt habe – auf Alles gab er nur eine Antwort: »Brau, brau!« Und nichtsdestoweniger war bei ihm keine besondere Unordnung zu bemerken. Seine Bauern waren wohlhabend, und er selbst machte nie Schulden. – Sein Aeußeres war sehr einnehmend. Sein rundes Gesicht mit den großen braunen Augen, der feinen, regelmäßigen Nase und den quellenden Lippen erregte Aller Verwunderung. Diese jugendliche Frische wurde noch auffallender durch sein schneeweißes Haar. Ein kaum merkliches Lächeln lagerte oft beständig um seine Lippen, und noch mehr als um die Lippen, in den Grübchen seiner Wangen. Er lachte für gewöhnlich nicht, aber mitunter – übrigens sehr selten – wandelte ihn ein convulsivisches Lachen an, nach dem er sich jedes Mal unwohl fühlte. Außer seiner üblichen Ausrufung pflegte er sehr wenig zu sprechen; und war er dazu genöthigt so sprach er nur das Allernothwendigste mit den gelungensten Abkürzungen.

Seine Tochter Wjerotschka hatte große Aehnlichkeit mit ihm,, sowohl im Antlitz und dem Ausdruck ihrer dunkeln Augen, die durch die zarte Farbe ihres blonden Haares nach dunkler erschienen, als auch in ihrem Lächeln. Sie war von mittlerem Wuchs und zart gebaut. Sie bot nichts besonders Anziehendes dar, aber man durfte sie nur ansehen oder ihre Stimme hören, um sich sagen zu müssen: »das ist ein seelenvolles Wesen.« Vater und Tochter hingen sehr aneinander. Die ganze Hauswirthschaft lag auf ihren Schultern, und sie gab sich gern mit ihr ab. – Von anderen Beschäftigungen wußte sie nichts. Peter Wassiljewitsch hatte sich ganz richtig geäußert, daß sie ein »einfaches Mädchen« sei.

Als Peter Wassiljewitsch und Boris Andrejitsch bei Barssukow ankamen, fanden sie ihn, wie gewöhnlich in seinem Kabinet auf und ab spazierend. Dieses Kabinet, das man auch Gast- oder Speisezimmer zu nennen berechtigt war, da in ihm Gäste empfangen und der Tisch gedeckt wurde, nahm mehr als die Hälfte von dem kleinen Häuschen Barssukow’s ein. Die Möbel waren nicht schön, aber bequem. Längs der einen Wand stand ein breites, weiches Sopha, mit einer ganzen Anzahl von Kissen ausgestattet – ein Sopha, das alten Gutsbesitzern in der Umgegend gut bekannt war: es saß sich sehr angenehm auf ihm. In den übrigen Zimmern standen nur Stühle, hier und da ein Tischchen oder Schrank. Alle diese Räume waren Durchgangszimmer und wurden von Niemand bewohnt. Das kleine Schlafgemach Wjerotschka’s lag gegen den Garten, und außer ihrem sauberen Bett, einem Waschtischchen mit einem kleinen Spiegel und einem einzigen Sessel fand sich auch dort kein Möbel vor. Dafür aber standen in jedem Winkel Flaschen mit Fruchtliqueuren und Büchsen mit Confitüren, Alles mit Aufschriften von Wjerotschka’s Hand versehen.

Nachdem Peter Wassiljewitsch das Vorzimmer betreten, wollte er sich und Boris Andrejitsch auch sofort anmelden lassen; aber ein Junge in einem langschötzigen Rocke, den sie im Zimmer antrafen, sah ihn bei seinem Auftrag nur an, um ihm hurtig den Pelz abzunehmen und die Herren zum Eintritt aufzufordern. Die Freunde betreten also das Kabinet Stepan Petrowitsch’s. Peter Wassiljewitsch stellte Boris Andrejitsch vor.

Stepan Petrowitsch drückte letzterem die Hand und fügte hinzu:

– Freut mich sehr . . . Kalt, nicht wahr? . . . Ein Schnäpschen? – Mit dem Kopfe nach dem Tische winkend, auf dem schon Alles bereit stand, setzte er sein Auf- und Abgehen im Zimmer fort.

Boris Andrejitsch leerte ein Gläschen; seinem Beispiele folgte auch Peter Wassiljewitsch, und Beide nahmen auf dem mit den vielen Kissen ausgestatteten Sopha Platz. Boris Andrejitsch fühlte sich bald so behaglich, daß er die Empfindung hatte, als ob er sein ganzes Leben auf diesem Sopha gesessen hätte und seit jeher mit dem Hauswirth bekannt gewesen wäre. Dasselbe Gefühl empfunden auch alle Anderen, die bei Barssukow verkehrten.

Er war an diesem Tage nicht allein; man fand ihn überhaupt selten allein. Diesmal saß ein Beamter von der Sorte der stillen Wasser bei ihm, ein Mann mit zusammengeschrumpftem Altweibergesicht, mit einer Habichtsnase und unruhigen Augen – ein ganz verwelktes Männchen, das noch vor nicht langer Zeit einen warmen Posten bekleidet hatte, gegenwärtig aber unter Gericht stand. Mit der einen Hand sich an’s Halstuch klammernd, mit der andern den Brustlatz seines Frackes fassend, verfolgte er Stepan Petrowitsch unausgesetzt mit den Augen. Er wartete, bis die Gäste ihre Plätze eingenommen, und sagte dann mit einem tiefen Seufzer:

 

– Nein, Stepan Petrowitsch! Einen Menschen zu verdammen ist nicht schwer. Aber Sie kennen doch wohl das Sprichwort: »Es sündigt der ehrliche Mann, es sündigt der Dieb – Alle leben nur durch die Sünde, und wir thun es auch so.«

– Brau . . . – begann schon Stepan Petrowitsch, hielt aber inne und fügte hinzu: – ein schlechtes Sprichwort das!

– Wer könnte es leugnen? Freilich ein schlechtes – erwiederte das verdorrte Männchen. – Aber was ist zu machen? Die Noth ist ja kein Freund: sie frißt Deine Ehrlichkeit auf. Ich wäre bereit, mich diesen edeln Herren anzuvertrauen, wenn sie nur bereit wären, meine Angelegenheit entgegenzunehmen.

– Ist es gestattet, zu rauchen? – fragte Boris Andrejitsch den Wirth.

Letzterer nickte bejahend.

– Freilich – fuhr der seines Dienstes entsetzte Beamte fort – auch ich war mehr als einmal gegen mich selbst unwillig und empfand gegen die ganze Welt eine gewissermaßen edle Entrüstung . . .

– Von Spitzbuben ersonnen! – unterbrach ihn Stepan Petrowitsch.

Der Beamte erzitterte.

– Was wollen Sie damit sagen, Stepan Petrowtisch? Doch nicht etwa daß die edle Entrüstung von Spitzbuben ersonnen sei?

Stepan Petrowitsch nickte zustimmend mit dem Kopfe.

Der Gemaßregelte schwieg und brach dann plötzlich in ein klangloses Lachen aus, bei welcher Gelegenheit zum Vorschein kam, daß er keinen einzigen Zahn mehr im Munde hatte, obwohl er sonst eine ziemlich reine Sprache führte.

Ha ha, ha, Stepan Petrowitsch! Sie bringen immer etwas Originelles zustande. Unser Anwalt sagt nicht umsonst von Ihnen, daß Sie sich auf echte Caembours verstehen.

– Brau, Brau! – erwiederte Barssukow.

In diesem Augenblick that sich die Thür auf und Wjerotschka trat ein. Festen, doch leichten Schrittes trug sie in beiden Händen eine grüne, runde Tablette, auf der zwei gefüllte Tassen und eine Sahnekanne standen. Ein dunkelgraues Kleid Umschloß leicht angeschmiegt ihre feine Taille. Boris Andrejitsch und Peter Wassiljewitsch erhoben sich beide vom Sopha. Sie antwortete mit einem Knix, ohne die Tablette aus den Händen zu lassen, und indem sie sie dann auf den Tisch schob, sagte sie:

– Da ist auch Kaffee für Sie!

– Brau! – erwiederte der Vater. – Noch zwei – fügte er hinzu, auf die Gäste deutend. – Boris Andrejitsch . . . meine Tochter.

Boris Andrejitsch machte zum zweiten Male eine Verbeugung.

– Ist Kaffee gefällig? – fragte sie, ihn mit Ruhe ansehend – Bis Mittag sind es noch anderthalb Stunden.

– Mit Vergnügen! – antwortete Boris Andrejitsch.

Wjerotschka wandte sich an Krupitzin.

– Und Sie, Peter Wassiljewitsch?

– Auch ich werde bitten.

– Sogleich. Ich habe Sie schon lange nicht gesehen, Peter Wassiljewitsch.

Sie entfernte sich.

Boris Andrejitsch sah ihr nach und beugte sich flüsternd zu seinem Freunde:

– Aber sie ist ja sehr nett . . . Und dabei – was für ein ungezwungenes Benehmen!

– Das macht die Gewohnheit – erwiederte Peter Wassiljewitsch. – Hier im Hause ist es wie in einer Schenke: der Eine tritt aus, der Andere tritt ein.

Wie zur Bestätigung dieser letzten Worte trat ein neuer Gast ein. Es war ein breitschultriger Mann oder, wie sich in unserer Gegend die Alten ausdrücken: ein kugelrudes Männchen, mit großem Kopfe, großen Augen und ebensolchen Lippen, und mit zausigem Haar. Ueber seinen Zügen lagerte beständige Unzufriedenheit – es war ein saures Gesicht. Er stak in einem bequemen Rock und wackelte im Gehen mit dem ganzen Körper. Erst nachdem er schwerfällig auf das Sopha niedergesunken, sagte er ein: »Grüß’ Gott!« wobei er sich übrigens an keinen besonders wendete.

– Ein Schnäpschen? – fragte ihn Stepan Petrowitsch.

– Nein! Was Schnäpschen! – antwortete der neue Gast. – Wer denkt an Schnäpschen! . . . Guten Morgen, Peter Wassiljewitsch – setzte er hinzu. nachdem er sich umgesehen.

– Guten Morgen, Michej Michejitsch! – antwortete Peter Wassiljewitsch. – Woher?