Sonnenfeuer

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Kapitel 9

Lumos trieb sein Pferd voran. Hinter ihm hörte er die Hufe seiner Männer. Drei Tage lang hatten sie die Spuren verfolgt. Die Spuren der geflohenen Priesterin und ihrer Anhänger, die den Irrglauben in den Ländern seines Vaters verbreitet hatten. Ein Verbrechen, auf das es nur eine Strafe gab: den Tod. Er würde derjenige sein, der das Land von dieser Geißel befreien würde. Es säubern.

Lumos musste sich regelmäßig ducken. Der Weg führte sie durch ein dichtes Waldgebiet in den nördlichen Ausläufern des Dämmertan. Dennoch wusste er, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Es hatte Wochen gedauert sie zu finden. Eine Priesterin, die in den einstigen Kronlanden von Dorf zu Dorf zog. Die Leute hingen ihr an den Lippen. Selbst unter größter Folter hatte kaum jemand ihm erzählen wollen, wo er sie finden konnte. So überzeugt waren die Menschen von ihrem Glauben an diese Götter. Doch als er und seine Männer eine Fährte gefunden hatten, hatten sie sich festgebissen, wie Bluthunde. Egal wie viele Gläubige die Frau um sich scharen konnte, er hatte fast hundert Reiter hinter sich. Sie würde sich nicht mehr schützen können. Oder verstecken. Ihr Weg nach Westen, nach Fendron, war wohl die einzige Chance. Doch Lumos würde sie finden. Diesseits oder jenseits der Gronde.

Mit einem Ruck am Zügel führte er sein Pferd in schnellem Galopp um die letzte Wegbiegung, bevor der Wald sich lichtete. Vor ihm tat sich ein Fluss auf, jedoch führte der Weg direkt zu einer Furt. Dies war also die Gronde, Grenze des Reiches seines Vaters. Er hatte nicht gedacht, dass sie schon so weit gekommen waren. Lumos hielt sein Pferd an, und seine Männer sammelten sich hinter ihm. Denn sie waren nicht alleine am Fluss.

„Mein Herr, wir sollten umkehren.“, hörte Lumos die mahnende Stimme von Golbert neben sich. Auch er hatte die Soldaten auf der anderen Seite des Flusses gesehen. Ein großes Banner verriet, dass es herzogliche Truppen waren: Die Efeuranke und der blaue Stern auf weißem Grund bestand seit hunderten Jahren als Wappen der Familie von Forgat. Doch vor wenigen Jahren hatte er das Wappen erweitern lassen, um das goldene Dreieck der Trias, das zwischen den Spitzen des Efeus prangte. Jeder sollte sehen, dass Fendron von der Trias gesegnet und geschützt war.

„Wieso?“, fragte Lumos kalt und schaute auf die andere Flussseite. Die Soldaten Fendrons beobachteten sie, machten aber keine Anstalten, ihnen entgegen zumarschieren, oder gar einen Angriff zu provozieren.

„Euer Vater hat befohlen, unsere Aufgabe innerhalb der Grenzen Tandors zu vollenden. Wir haben diese Priesterin verjagt und ihre Jünger gefunden und bestraft. Es scheint mir, als könnten wir erfolgreich nach Taarl zurückkehren. Oder unser Land weiter absuchen.“, versuchte Golbert es positiv zu fassen. Das Argument, er wolle keinen unnötigen Kampf gegen Fendron vom Zaun brechen, ersparte er sich. Er glaubte nicht, dass dies bei Lumos auf offene Ohren stoßen würde.

„Das werden wir sehen.“, sagte Lumos und trieb sein Pferd langsam nach vorne in den Fluss hinein. Golbert schaute dem jungen Mann ungläubig nach, signalisierte dann aber den anderen Reitern, ihm zu folgen. Immerhin würde er seinen Kopf nicht lange behalten, wenn Lumos von fendronischen Soldaten gefangen genommen würde.

In dem Moment, als die Pferde in den Fluss ritten, bewegte sich auch etwas am anderen Ufer. Die Fußsoldaten öffneten eine Passage und mehrere Reiter preschten nach vorne in die Furt hinein. Ihnen folgten weitere Fußsoldaten, um sie zu flankieren.

Die Reiter wurden von einem Mann in einer glänzenden Rüstung angeführt: Forgat von Fendron. Er trug die braunen Haare lang, die trotz seines Alters noch dicht waren und nur vereinzelt von grauen Strähnen durchzogen waren. Sein Blick wirkte entschlossen, als er Lumos musterte. Im Vergleich zu den meisten anderen Kriegern hing an seinem Gürtel kein Schwert, sondern ein Streitkolben, dessen Schlagfläche das goldene Dreieck der Trias bildete. Neben ihm ritt eine Frau auf einem Schimmel. Ihr Gesicht verriet ihr vorangeschrittenes Alter. Doch die Haare waren ebenschwarz wie eh und je und ihr Körperbau wirkte noch jugendlich. Sie trug ein weites, weißes Kleid, das voll von goldenen Stickereien waren. Direkt hinter den beiden ritt ein Bannerträger mit einem prächtigen herzoglichen Wappen, flankiert wurden sie von schweren Reitern, die geschlossene Rüstungen trugen. Mit den Soldaten am Ufer standen Lumos bestimmt zweihundert Gegner entgegen.

In der Mitte des Flusses hielten die Reiter beider Seiten inne, sodass Lumos und Forgat nur noch wenige Schritte trennten. Der Thronfolger von Tandor ließ sein Pferd noch einige Schritte nach vorne traben, sodass er vor seinen Männern stand, und so tat es ihm auch Forgat nach, bis sich die Pferde fast berührten.

„Lumos!“, begrüßte Forgat den jüngeren Mann kalt.

„Forgat. Du versperrst mir den Weg.“, sagte Lumos ruhig.

„Ich glaube, dein Weg endet hier. Kehr um nach Taarl und sag deinem Vater, dass dieses Land unter dem heiligen Schutz der Trias steht und er es niemals sein Eigen nennen wird. Ich glaube, das kann Celan nicht oft genug hören.“

Lumos lächelte verächtlich und ließ dann seinen Blick zu der Priesterin wandern, die er musterte. „Ich habe diese Hexe gejagt, die an deiner Seite reitet. Wenn du sie uns gibst, befehle ich meinen Männern umzukehren.“

Forgat zog seine Augen zu Schlitzen zusammen. „Alisa ist nicht nur die Hohepriesterin der Trias in Fendron, sondern steht auch unter meinem persönlichen Schutz.“

„Dann sollte sie in Fendron bleiben.“

Forgat antwortete nicht direkt. Er verharrte auf der Stelle und hielt die Tandorer genau im Auge. Es war eine Pattsituation, wo jeder falsche Zug zu einer Katastrophe führen konnte. Aber er wusste mehr Männer hinter sich. Und die führende Kraft Thorians.

„Lumos. Verschwinde. Du wirst in Fendron nur Blut finden. Aber ich will keinen Kampf mit dir. Geh einfach.“

Noch immer machte Lumos keine Anstalten sich zu bewegen. Sein Blick blieb auf Alisa behaftet, als höre er Forgat gar nicht. Er spürte, wie der Herzog unruhiger wurde. Ob er wohl Angst hatte? Lumos wusste, dass er selbst ein guter Kämpfer war. Er war sich sicher, dass dies auch über die Grenzen Tandors hinaus bekannt war. Aus dem Augenwinkel erkannte er, wie Forgat langsam seine Hand zum Gürtel führte, um die Befestigung des Streitkolbens zu lösen.

„Euer Gnaden, wir sollten nun gehen.“, hörte Lumos auf einmal erneut Golberts Stimme. Der Freiherr hatte zu ihm aufgeschlossen. Lumos fluchte innerlich. Fast hätte er Forgat da gehabt, ihn anzugreifen. Ein Kampf, den der Herzog nur hätte verlieren können, dessen war er sich sicher. Doch das Eingreifen Golberts schien die Situation zu verändern, denn er spürte, wie Forgat sich entspannte.

Lumos schaute noch einmal zu der Priesterin und spuckte aus, dann wendete er sein Pferd. Er fokussierte mit seinen Augen noch den Herzog, bevor er den Blick abwandte und durch eine Gasse seiner Reiter ritt, die sich ihm öffnete. Wortlos.

Forgat blickte mit Sorgen zum anderen Ufer. Die Reiter Tandors waren in den Bäumen verschwunden, aber noch traute er der Sache nicht, dass Lumos sich einfach so zurückgezogen haben sollte.

„Was meinst du? Werden sie den Frieden halten?“, fragte Forgat. Alisa ließ ihren Blick über den Fluss wandern und blickte dann hoch zur Sonne, die ihre wärmenden Strahlen auf sie niederwarf.

„Kylael weißt uns den Weg, aber er ist verschlungen und das Ziel schwer zu sehen.“, antwortete sie erst kryptisch, wie sie es meist tat. Dann blickte sie aber wieder zu Forgat. „Nein, ich glaube nicht, dass sie noch angreifen werden. Dennoch würde ich Vorsicht walten lassen. Du solltest deine Männer hier stationiert lassen und Späher nach drüben schicken, wenn möglich.“

Forgat nickte. Obwohl es Alisa war, die letztendlich die Feinde an die Grenze seines Herzogtums gelockt hatte, war er ihr nicht böse oder Gram. Sie hatte in Tandor eine heilige Aufgabe erfüllt. Forgat war sich sicher, dass in diesen chaotischen Zeiten nur die Trias Valorien retten konnte. Die Entscheidung Gilberts die Kirche zu verbieten, getragen von all seinen Nachfahren, war falsch gewesen. Nun gab es keine Nachfahren mehr, nun galt es, den Weg zu berichtigen. Als er von einem Boten dann gehört hatte, dass Alisa verfolgt wurde, hatte er sich persönlich an die Spitze seiner Männer gesetzt, um sie an der Grenze in Sicherheit zu nehmen. Nur wenige Stunden nach ihr war Lumos mit seinen Reitern eingetroffen.

„In Ordnung. Ich selber werde nicht hier bleiben können.“

„Wohin führt dich dein Weg?“, fragte Alisa ihren Herzog, den sie aber schon lange nicht mehr mit einem Titel ansprach. Zu vertraut war die Priesterin mit ihrem eifrigsten Gläubigen.

„Ein Bote ist in Tjemin eingetroffen. Aus Elorath. Alois ruft die verbliebenden Ritter des Reiches in die Kronburg. Unter freiem Geleit.“

„Werden Herzog Celan und Herzog Helmbrecht auch dort sein?“, fragte die Priesterin, doch Forgat schüttelte den Kopf.

„Ich glaube nicht, dass Helmbrecht eine solche Reise noch antreten kann. Celan… ich weiß es nicht. Egal was er vorhat, ich bin bereit mein Reich zu verteidigen. Denn Thorian führt meine Hand.“

„Und Elonas Gnade ist Fendron sicher.“, fügte Alisa hinzu. „Was will der Reichsverweser?“

Forgat zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Doch ich werde hinreisen, um es herauszufinden. Wie jeden Tag werde ich beten, dass das Chaos in Valorien zurückgedrängt wird.“ Noch immer verharrte der Herzog und beobachtete das Ufer. Aber egal, wie lange er schaute, außer dem Rascheln der Blätter im Wind war weder etwas zu hören, noch zu sehen. Also wandte er sich wieder an die Priesterin.

„Alisa, wann wird dieses Land befreit? Wann kehren die Boten der Trias zurück, um das Licht zu schenken?“ Es war eine spontane Frage, die ihn doch schon seit Jahren beschäftigte. Ja, fast seit dem Moment, als er von Geron und dem heiligen Fürst Elian geschlagen worden war. Eine Weisung des Schicksals, wie sich herausstellen sollte. Stundenlang war er alleine im Regen verharrt, richtungslos, ausweglos, zweifelnd. Er hatte Dinge gesehen, die er nicht verstand, und es schien, als hätte er einen Weg eingeschlagen, der nur ins dunkelste Verderben führen konnte. Ziellos war er durch die Nacht geirrt, denn seine Männer und die Pferde hatten sich in alle Richtungen zerschlagen. Nach Liamtal hatte er sich nicht getraut, so blieb nur der Weg ins Ungewisse. Als ihn die Gedanken ob des Gesehenen zu übermannen schienen, in den Wahnsinn zu treiben, war sie dagewesen: Alisa. Wie einen Gestrandeten hatte sie ihn aufgenommen, ihm von der Trias erzählt, und ihrem Plan. Der Gnade Elonas, der Kraft Thorians, der Weisheit Kylaels. Wie die Trias ihn ausgewählt hatte, Zeuge ihrer Macht zu sein. Und wie er, als Diener der Trias, dieses Land ins Licht führen konnte. Gegen die Dunkelheit. Gegen Celan, der das Land unter sein Joch bringen wollte, der den König ermordet hatte und der jegliche Form des Triasglaubens auslöschen wollte. So war er als geläuterter Mann nach Tjemin zurückgekehrt und hatte sein Volk geeint, aufgerufen, sich gegen die Besatzung durch Tandor zu wehren, die bereits begann. Obwohl er nicht alle Ländereien hatte halten können, Fendron bestand weiter. Unter dem Licht der Trias.

 

„Eine Frage, auf die es keine Antwort gibt. Wenn ich sie kennen würde, wäre ich wohl nicht mehr an diesem Ort.“, sagte Alisa nachdenklich. Sie legte Forgat eine Hand auf die Schulter und schaute ihm in die Augen. „Doch du wirst diesen Tag erleben, dessen bin ich mir sicher. Du wandelst unter ihrem Licht. Nun reite nach Elorath, wie du es vorhattest. Du bist eine Hoffnung für Valorien. So lange du deine Hoffnung und deinen Glauben an die Trias behältst, kannst auch du ihr Bote sein.“

Forgat nickte, antwortete aber nicht. Es war eine Antwort, wie sie nur Alisa hatte finden können.

„Möge Elona dich schützen.“, sagte Alisa also noch, bevor sich der Herzog abwandte und zu seinem Pferd ging.

Die Sonne war untergegangen, Wolken aufgezogen und so lag die Nacht dunkel über Lumos. Sein Blick war gen Westen gewandt. Gen Fendron. Über die Gronde, hin zu Forgat, und dieser Priesterin, die ihre Lügen in Tandor verbreitet hatte. Er war sich sicher, dass die Einflüsterungen von Priesterinnen wie ihr verhinderten, dass Valorien noch nicht vereint war. Obwohl sich nur Forgat offen zu der Religion bekannte, verfolgte auch Alois in den Kronlanden deren Gläubige nicht wirklich. Wenn Fendron sich vor Jahren wie von seinem Vater beschrieben unterworfen hätte, um Celan als König zu krönen, hätte Alois Elorath niemals halten können. Doch es war alles anders gekommen. Nun galt es, dieses Gift auszumerzen, um dem Chaos ein Ende zu bereiten. Um Celan zu krönen, auf dass Lumos ihm eines Tages folgen konnte. Vielleicht war dieser Tag ja gar nicht so fern, wie manche dachten…

„Golbert.“, sagte Lumos, als er erkannte, dass sich der Freiherr näherte. Der Thronfolger Tandors stand auf einer leichten Erhebung außerhalb des Lagers und schaute über die Spitzen der Bäume hinweg. „Befiehl den Männern sich für den Kampf vorzubereiten.“ Er sprach es wie eine Selbstverständlichkeit aus. Als wäre der Angriff auf Forgat schon immer der logische nächste Schritt gewesen, den es nun umzusetzen galt.

„Wie bitte?“, fragte Golbert offensichtlich verwundert. „Gegen wen?“

„Ist das nicht offensichtlich? Wir hatten es doch schon mal mit dem Ausführen von Befehlen…“, antwortete Lumos scharf, sein Blick immer noch nach Westen gewandt.

„Mein Herr, ich glaube nicht, dass wir uns einen Angriff auf Fendron erlauben können. Euer Vater würde dies nicht gutheißen, außerdem…“

„Mein Vater ist nicht da.“, unterbrach Lumos den Freiherrn.

„Nein, aber er herrscht über das Land, und unsere Befehle waren eindeutig.“

„Außerdem?“, fragte Lumos dann nach.

„Wie meinen, mein Herr?“

„Du wolltest noch etwas sagen…“

„Ja, ich wollte euch berichten, dass weitere Reiter eingetroffen sind.“

„Sehr gut. Das wird das Schlachtenglück für uns entscheiden.“, sagte Lumos zuversichtlich und ließ sich selbst von den Widerworten Golberts nicht aus der Ruhe bringen.

„Ich glaube kaum, Lumos.“, hörte er dann jedoch eine andere Stimme und drehte sich um.

„Narthas.“, stellte er kalt fest und betrachtete den Urben. Was machte dieser dreckige Steppenkrieger nur hier? Und was wollte er ihm befehlen? Ihm, dem Nachfolger Herzog Celans und damit in gewisser Weise auch Befehlshaber des Kriegers?

„Golbert, lass die Männer sich sammeln. Sie sollen nach Taarl zurückkehren, einige werden mich nach Nordend begleiten.“, sagte Narthas entschieden. Es war unklar ob er einfach dem Befehl des Urben folgte oder den Ausweg aus der Situation gerne annahm: Golbert drehte sich auf der Stelle um und lief auf das Lager zu.

„Ich dachte nicht, dass du mir oder meinen Männern Befehle gibst, Narthas.“, sagte Lumos und schaute den Urben hasserfüllt an.

„Und ich habe nichts von einem Befehl Herzog Celans gehört, der einen Angriff auf Fendron beinhaltet hat.“

„Ich bin beauftragt, die Krankheit des Triasglaubens zu heilen.“

„Und das hast du großartig gemacht. Aber hier ist die Grenze. Kehr zurück nach Taarl, und melde dich bei deinem Vater, wenn er aus Elorath zurück ist.“

„Was macht er in Elorath?“, fragte Lumos nun offen interessiert.

„Das wird er dir bestimmt berichten.“, sagte Narthas, wandte sich dann aber auch ab, um wieder zum Lager zurückzukehren, und ließ Lumos alleine in der Nacht stehen. Dieser schaute dem Urben hinterher. Hass sprach aus seinen Augen. Doch er wusste, dass er die Situation nicht mehr ändern konnte. Noch nicht.

Kapitel 10

Die Sonne senkte sich bereits über Kargat, als die kleine Truppe aus Reitern die ersten Palisaden und Barrieren erreichten, die das große Räuberlager umgaben. Aus der Ferne waren diese unscheinbar gewesen, meist hatte man Büsche oder Bäume wahrgenommen. Aber als sie sich Dornat näherten, bemerkte Taskor die verborgenen aber wohl effektiven Verteidigungsringe. Überall waren kleine Fallen und andere Verteidigungsanlagen aufgebaut. Falls eine Reihe überwunden war, konnten sich die Verteidiger zur nächsten zurückziehen. Genauso wurden die weitauslaufenden Ruinen der einst mächtigen Feste genutzt und in das Konzept integriert. Im Falle eines Angriffs würde es dem Nachtrudel nicht schwer fallen, die Ruinen zu verteidigen. Ein Angreifer müsste mit großen Verlusten rechnen. Doch gerade aufgrund dieser Anlagen war es Taskor schleierhaft, wie sie all die Jahre das Hauptlager der Räuber hatten übersehen können. Der Blick des Königs war in andere Richtungen gegangen. Nun, da diese nicht mehr der Hauptfeind waren, fand sich Taskor im Lager des Nachtrudels wieder. Was für eine Ironie des Schicksals.

„Sagt, königliche Majestät, was haltet Ihr von unserer kleinen Festung?“, hörte Taskor Rufus‘ Stimme und schaute zu dem Anführer, der die Königin angesprochen hatte. Gerade wollte er sich zwischen ihn und Hega schieben, als diese antwortete.

„Es ist sehr beeindruckend, Rufus. Obwohl ihr gegen meinen Mann und die Krone Kargats in den Kampf gezogen seid, bin ich ergriffen, was ihr aus den alten Ruinen des Königreiches gemacht habt. Es erfordert Mut sich dem Fluch Dornats zu stellen, und hier zu übernachten. Und es erfordert Geschick, Können, und militärischen Verstand, eine solche Anlage anzulegen. Zumindest erkenne ich deren Wert, wenn ich den Blick meines Generals richtig deute. Nicht wahr, Taskor?“, erwiderte die Königin mit einem aufrichtigen Lächeln. Taskor war kurz verwirrt von der Freundlichkeit Hegas, erkannte darin aber einen klugen Schachzug. Es gab kaum etwas zu verlieren. Grobheit und Arroganz würde sie kaum weiterbringen. Und da das Kaiserreich der eigentliche Feind war, gab es keinen Grund, auch noch diese Räuber zu verärgern.

„Ich kann nicht sagen, dass ich gerne in Fesseln in euer Lager einreite. Aber ich bin froh, dass ich nicht versuche, es mit erhobenem Schwert zu betreten.“, antwortete Taskor diplomatisch, als sie gerade den letzten Ring der Mauern erreichten.

Die Feste von Dornat lag auf einem erhöhten Plateau, dessen vordere, flache Seite sie gerade hochgeritten waren. Im Rücken der Burg erhob sich der mächtige Kal Dor. Obwohl der Berg an sich nicht so hoch war wie andere Gebirge, erschien er dadurch mächtig, dass er scheinbar einsam in weiten Ebenen stand. So war seine Spitze schon aus großer Entfernung zu sehen. Die Festung war einst direkt an den Berg gebaut worden, doch wie der große Teil waren auch die Türme, die am Berg gestanden waren, zu Ruinen von geschwärztem Stein verfallen. Man sagte, dass die alten Könige Kargats einst den Berg untergraben hätten, um ein riesiges System aus Gängen und Hallen anzulegen. Doch mit der Zerstörung der Festung waren auch die Eingänge zu diesen Stollen verschlossen worden, wenn es sie überhaupt gab.

„Glaub mir Taskor: Du bist nun genau auf der richtigen Seite. Außerdem trägst du doch gar keine Fesseln, schließlich seid ihr unsere Gäste.“, sagte Rufus mit einem falschen Lächeln, als sie nach oben in den Hof einbogen, der einst das Zentrum der Burg gebildet hatte. Die Größe des Innenhofes war beeindruckend. Doch Taskors Aufmerksamkeit richtete sich viel mehr auf das, was sich im Innenhof befand. Dieser war gefüllt von Zelten, provisorischen Hütten, Feuerstellen, Handwerkertischen und sogar einem kleinen Trainingsplatz. Es wirkte wie ein kleines Heerlager. Der General hatte nie realisiert, wie viele Männer dem Nachtrudel angehören mochten. Dafür hatte seine Aufmerksamkeit zu sehr auf den äußeren Feinden Kargats gelegen. Aber sein Eindruck bestätigte sich immer mehr: Es war keine wilde Räuberbande, der sie hier entgegenstanden. Die Truppe schien von Männern mit militärischer Erfahrung, wie Rufus, geführt zu werden.

„Als Gäste wünschen wir mit deinem Anführer zu sprechen, Rufus.", antwortete dann die Königin vor ihm, nun in etwas schärferem Ton.

„Wie königliche Majestät wünschen“, antwortete der Angesprochene mit einer angedeuteten Verbeugung und zeigte dann auf das Gebäude, das wohl einst die Haupthalle gewesen war. Obwohl auch hier die Wände zum Teil eingestürzt und verbrannt waren, erinnerte diese noch am ehesten an ein intaktes Gebäude. Aus verschiedenen Materialien war das Dach provisorisch wieder aufgebaut und die eingestürzte Westwand teilweise neu errichtet worden.

„Nach euch!“, sagte Rufus, als sie aus den Sätteln gestiegen waren, und deutete auf den offenen Eingang, dem eine Tür fehlte. Taskor erkannte, wie ihre weiteren Begleiter unsicher schauten: Florenzo, Sinja und Gilmar wirkten noch verlorener, als er selber. Obwohl die drei doch am ehesten zu dieser Räuberbande passten. Andererseits hatten sich die drei, und insbesondere der gefallene Eggbert, als verlässlich erwiesen.

„Dann wollen wir mal“, sagte Taskor und deutete der Gruppe, ihm zu folgen.

Das Innere der Halle war nur spärlich von einigen Fackeln beleuchtet. Sonya musste sich kurz orientieren, bevor sie die Gestalten am Ende des Raumes sah. Obwohl die Prinzessin nur die Umrisse sehen konnte, machte sie drei Männer aus, die an einem Tisch saßen.

„Hauptmann, wir haben wahrlich hohe Gäste in der Wildnis angetroffen.“, rief Rufus zur Begrüßung. Die Männer erhoben sich von ihren Plätzen und traten in das Licht der Fackeln. Sonya musterte diese. An der linken Seite stand ein kleiner Mann, vielleicht sogar nur ein Junge, der kurze, schwarze Haare hatten, die wild zu allen Seiten wegstanden, und am Gürtel eine kleine Axt trug. Der Mann auf der rechten Seite schien deutlich älter. Wie bei Rufus war sein Haar bereits von grauen Strähnen durchzogen. Trotz des schlechten Lichtes erkannte Sonya, dass sein linkes Auge vollständig bleich und somit wohl blind war. Doch beide Gestalten wurden von der Statur des Hauptmanns vollkommen überragt. Dieser war bestimmt über zwei Schritte groß und hatte mächtige Schultern und Oberarme. Sein ebenfalls ergrautes Haar war kurz, soldatisch geschnitten, der Bart zu kurzen Stoppeln geschoren. Der Blick hatte etwas Herrschaftliches und dennoch Kaltes. Doch am auffälligsten war seine linke Hand. Oder eben das Fehlen jener, denn wo die Hand sein sollte, endete der Arm stattdessen in einem eisernen Haken, der den sowieso schon beeindruckenden Mann wahrlich furchteinflößend machte.

 

„Hauptmann“, sprach Rufus ihn dann weiter an und machte eine Verbeugung mit einem schelmischen Lächeln, die offenbar mehr Ironie denn echter Respekt war. „Darf ich vorstellen: Königin Hega von Kargat, ihre Tochter Prinzessin Sonya von Kargat und der legendäre Schwarze General, Taskor Graufels. Naja, und ein paar mehr, die wir nicht vor der Halle hatten stehen lassen wollen.“, fügte er mit einem Grinsen hinzu.

Der Hauptmann machte keine Anstalten, Sonya oder Hega Respekt zu erweisen. Die Prinzessin spürte, wie sich Benno erneut halb vor sie stellte. Immerhin Mut baute der Junge langsam auf, wenn man den Mann ansah, der dort auf sie hinabschaute. Doch es war Taskor, der das Wort ergriff.

„Nun kennst du unsere Namen. Wie dürfen wir denn den Hauptmann des Nachtrudels ansprechen?“, sagte er und blickte fest zu dem Hünen. Dieser blieb erst regungslos, lächelte dann aber.

„Dann will ich meine Gäste in Dornat begrüßen. Willkommen in den verfluchten Hallen, die ihr Adeligen so gerne meidet. Ein Glück für uns, fürwahr. Nun, was kann ich für meine Gäste tun, bevor ich euch der Gnade des Kaiserreiches überlasse?“ Die Stimme des Mannes war trotz seines Alters stark und tief und hallte durch den Raum.

„Ein Name, für den Anfang.“, erwiderte Taskor kalt.

„Berlan.“, antwortete der Hauptmann ohne Zögern. Taskor stockte, bevor er antwortete. Er musterte den Hauptmann näher, bevor sich dann seine Augen weiteten.

„Berlan? Berlan von Fendron aus Valorien?“, sagte er fragend.

„Der war ich einst. Nun bin ich Berlan, Hauptmann des Nachtrudels und Beschützer des Volkes von Kargat.“

„Beschützer des Volkes? Das ist wohl ein schlechter Scherz.“, antwortete Taskor, der nun deutlich aufgebracht wirkte. Doch bevor er weitere Worte sprechen konnte, bewegte sich Sonya nach vorne und legte dem General die Hand auf den Unterarm. „Danke, General Taskor.“, sagte sie und ging dann weiter auf Berlan zu.

„Sonya!“, sagte noch Hega, die auch deutlich überrascht schien, um die Prinzessin zurück zu halten, doch Sonya ließ sich nicht beirren. Sie ging auf Berlan zu, bis sie nur noch zwei Schritte von ihm entfernt war und knickste dann vor dem Hünen leicht.

„Mein Herr von Fendron. Im Namen meiner Mutter, der Königin von Kargat und des Volkes von Kargat bitte ich um Euren Schutz in den Mauern Dornats. Lange hörte ich von den Taten Eurer Männer. Während große Teile unseres Landes in euch nur Räuber und Vagabunden sahen, habe ich immer öfter vernommen, dass es nur die Reichen und Mächtigen waren, die eure Opfer wurden. Und das selten Gewalt gebraucht wurde, wenn es nicht notwendig war. Wenn ihr euch in der Tat als Beschützer unseres Volkes seht, dann bitte ich Euch darum, uns hier in Dornat aufzunehmen. Doch ich bitte Euch um mehr: Dieses Land ist noch nicht verloren. Es brennt unter dem Banner der Sonne, doch so lange es Männer und Frauen gibt, die an Kargat glauben, besteht unser Land. Helft uns, diesen Krieg zu führen, auf dass unser Volk nicht unter dem Joch des Kaisers leiden muss. Wenn wir obsiegen, soll die Herrschaft des Adels nicht mehr die Gleiche sein, wie vorher. Auf dass sich Banden wie das Nachtrudel nicht bilden müssen.“

Die sanfte Stimme der Prinzessin schwang durch die Halle und zog absolute Stille nach sich. Von den Worten Sonyas waren wohl sowohl die anwesenden Räuber, als auch Taskor, Hega und ihre Begleiter sowohl überrascht, wie auch beeindruckt. Doch es war die Königin, die als nächstes reagierte und nach vorne ging, um sich neben ihre Tochter zu stellen. Vielleicht war es eine Nachwirkung der Worte Sonyas, vielleicht auch das sichere Auftreten Hegas, aber als sie sich vor Berlan stellte, neigte dieser den Kopf und verbeugte sich vor ihr.

„Berlan. Wir kennen uns nicht. Dennoch erkenne ich einen Mann der Ehre in dir, trotz deiner Taten gegen meinen Mann und das Reich. Doch wie du schon sagtest: der Feind ist nun ein anderer. Ich schließe mich den Worten meiner Tochter an. Wenn du und deine Männer uns zur Seite stehen, sollen alle eure Verbrechen vergessen sein. Denn es gilt Kargat zu befreien, egal wie gering unsere Hoffnung auch sein mag.“

Berlan schaute auf und wollte anscheinend etwas antworten, als auch Taskor an die Seite der beiden Frauen trat.

„Wenn du der Kopf hinter dieser Anlage bist, dann gilt dir meine Hochachtung. Gegen jemand, der seine Männer so führt, will ich nicht gerne kämpfen. An dessen Seite sehe ich aber noch Hoffnung für Kargat.“

Berlan richtete sich auf und streckte seinen Rücken durch. Sein Blick wanderte über die drei, blieb aber schließlich bei Hega stehen.

„Königliche Majestät, ich habe mit voller Überzeugung gegen Euch und Euren Mann gekämpft, da das Volk unter der Gier und der Macht des Adels gelitten hat. Und um Fehler aus meinem vorherigen Leben wieder gut zu machen. Doch ich werde mir Eure Worte zu Herzen nehmen. Ich muss darüber nachdenken.“, antwortete er. Dann wandte er sich an den Jungen neben ihn.

„Sivert, bitte führe unsere Gäste in die alte Schmiede. Dort sollte man ein gutes Lager für sie einrichten können. Rufus, darum wirst du dich kümmern.“, befahl Berlan. Der Junge nickte nur und quittierte die Anweisung mit einem kurzen „Ja, Vater!“ Dann wandte sich der Hauptmann an den alten Mann neben ihn.

„Felbart. Lass die Männer wissen, dass diese Leute meine Gäste sind, und nicht unsere Gefangenen. Sie sollen entsprechend behandeln werden.“ Der Räuber nickte wortlos, bevor sich Berlan wieder an Hega wandte.

„Königliche Majestät, Ihr werdet hier Schutz und Unterschlupf finden. Gebt mir eine Nacht, dann werden wir wieder sprechen.“

Hega nickte mit einem Lächeln. „Ich danke dir, Berlan, für die Gastfreundschaft.“

Berlan schaute auf seine rechte Hand hinunter. Es hatte die gesamte Nacht geregnet, und so lag Dornat in Schlamm und Wasser unter ihm, die Feuer waren erloschen. Trotz des aufkeimenden Frühlings war es ein kühler Morgen, und er hatte sich seinen Fellumhang umgelegt, bevor er auf die alte Mauer gestiegen war. Oft hatte er hier oben gestanden, auf das Lager geschaut, das er geschaffen hatte, und an all seine Taten gedacht. Gute wie Schlechte.

Er meinte das Blut an seiner Hand kleben zu sehen. Zu viel Blut, das er vergossen hatte, aus Hass, Neid und Eitelkeit. Leid, das er über seine Heimat gebracht hatte. Valorien und Fendron. Dennoch hatten diese falschen Taten ihn zu dem Mann gemacht, der er heute war. Die Taten, und Elsa. Wie oft hatte er hier schon gestanden und überlegt, was sie nun über ihn denken würde. Ob sie ihn von irgendwo her beobachtete. Ihre gemeinsame Zeit war zu kurz gewesen, und dennoch hatte sie ihn für immer geprägt.

Er schaute auf und blickte zum Horizont nach Norden. Fern der weiten Ebenen vor Dornat, über dem Horizont hinaus lag Valorien. Mit jedem Jahr hatte er weniger an die alte Heimat denken müssen, und dennoch verließ ihn das Gefühl auch nicht, eines Tages doch zurück zu kehren. Gleichzeitig dachte er an den Abschied aus dem Reich seines Vaters. Der König hatte es als Gnade verstanden ihm das Leben zu schenken. Doch für ihn war es die größte Strafe gewesen, die er sich vorstellen konnte. Verbannt, alleine, ohne Macht, ohne Männer, zurückgelassen. Ohne Ziel und Richtung. So war er durch das benachbarte Kargat geirrt, hatte sich durchgeschlagen, irgendwie. Erst als er Elsa getroffen hatte, hatte sich alles geändert. Sie hatte ihn geändert. Er dachte, er hätte Frieden gefunden. Mit ihr und Sivert. Es schien so unwirklich, bei all dem, was er erlebt hatte. Wer er war. Dennoch war dieses bisschen Frieden und einfaches Leben vielleicht ein gnädiges Ende. Doch das Schicksal hatte andere Pläne.

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