Sternenglanz

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Arthur deutete zwei Männern, zu der Tür zu gehen. Sie wusste nicht, ob die Treppe dahinter direkt in das Gemach des Priors führte, oder ob noch ein weiterer Gang dazwischen lag. Die anderen Schwarzen Pfeile sammelten sich im Raum der Wächter und legten Pfeile auf ihre Bögen. Arthur hielt entschlossen das Heft seines Ritterschwertes und blickte kurz zu Luna, bevor er den Befehl gab.

„Also. Los!“, sagte er leise und der Krieger an der Tür riss diese auf.

Luna blickte verwundert durch die Tür. Der Gang dahinter war nicht leer. Vollkommen ruhig stand dort ein alter Mann in einer Kutte und blickte auf, ihr direkt in die Augen. Es musste der Prior sein. Doch da war noch etwas. Ein Schatten kroch blitzschnell in ihren Raum, als hätte man eine Fackel vorbeigetragen. Dann ließen die Männer Arthurs ihre Pfeile fliegen.

Cleos spürte den Tod. Das Sterben. Das Leid. Den Schmerz. Es schmerzte in seiner Brust, als er aufwachte. Doch wusste er, dass es schon zu spät war. Laëa hatte sie verlassen. So hätte er wohl den Brüdern gesagt. Doch er kannte die Lüge dahinter. Er war der einzige, der den Grund ihrer Kraft kannte. Er und…

„Wenn sie sich nicht wehren konnten, waren sie es nicht wert.“ Die Stimme aus dem Schatten ließ Cleos vollends aufschrecken.

„Du.“, sagte er kalt und stand auf. „Ich habe jeden von ihnen gefunden und ausgebildet. Was wagst du es, ihr Leben herabzuwürdigen?“

„Ihr Leben ist nicht mehr. Es war so kurz und nutzlos, wie das der meisten Menschen.“

„Ich werde sie rächen.“, sagte Cleos kalt und ballte die Faust. „Wirst du mir beistehen oder nur hier sitzen und kluge Reden schwingen?“

Die Antwort war nur ein leises Lachen, als Cleos bereits die Stufen nach unten nahm. Er sammelte seine Kräfte, summte leise die Gebete an Laëa, die ihm doch halfen, die Magie zu fokussieren. Wer auch immer sie angriff: dies würde sein Tod sein. Dann würde er einen neuen Orden erbauen. Die Kraft des Kaisers und seine Kraft waren unendlich.

Als er die Tür erreichte, hörte er schon die Männer, die sich dahinter im Raum sammelten. Er spürte ihre lebenden Körper. Ihre Wärme. Ihre Energie. Doch dann spürte er noch etwas. Ein Schatten, der sich an seine Seite legte.

„Also doch.“, sagte er. Dann wurde die Tür aufgezogen.

Die Pfeile prallten an einer massiven Steinplatte ab. Luna konnte gerade noch ihr Schwert heben, als diese auf sie zuflog. Der Fels spaltete sich an der Klinge und flog rechts und links an ihr vorbei. Doch Luna nahm mehr als den Angriff von Cleos war. Sie spürte etwas, wie einen Windhauch, obwohl sich die Luft nicht rührte. Sie merkte, wie Schatten sich durch den Raum bewegten. Blitzschnell. Dann hörte sie die Schreie der Männer. Alles geschah so unglaublich schnell. Ein Schwarzer Pfeil nach dem anderen ging zu Boden. Der Klang von Stahl der Stahl traf erfüllte dann den Saal. Von Arthurs Klinge stoben Funken und der alte Ritter schrie auf, allerdings blieb er im Vergleich zu den anderen Männern stehen. Erst dann legte sich ein kurzer Moment der Ruhe über den Raum.

Luna orientierte sich. Die Männer um sie herum lagen tot auf dem Boden. Alle Krieger der Schwarzen Pfeile waren in Bruchteilen eines Momentes getötet worden. Sie erkannte sofort die vielen kleinen Schnitte, die sich über die Leiber der Männer ausbreiteten. Fein, sodass kaum Blut floss, aber an tödlichen Stellen. Sie blickte zu Arthur. Der Ritter stand noch, hatte aber mehrere Schnittwunden an Oberschenkel und Schulter. Nur seine guten Reflexe und Blutstein schienen ihn vor dem Tod bewahrt zu haben. Schnell schaute sie zu Yatane. Die Elfe stand dort mit gezogener Klinge, scheinbar unverletzt. Ihr Blick war in eine Ecke des Raumes gerichtet, ihre Augen weit aufgerissen. Luna folgte dem Blick.

Im Schatten, in einer Ecke, stand ein Mann. Er trug keine Rüstung, sondern dunkle Kleidung aus Stoff, die seinen Körper einhüllte. In den beiden Händen hielt er zwei silberne Klingen. Kurzschwerter ohne Parierstange. Leicht gebogen, die Griffe verziert. Es waren elfische Waffen. Auch die Figur und Körperhaltung erinnerte Luna an die eleganten Krieger der Elfen. In der Dunkelheit meinte sie nur die Augen zu erkennen, die sie musterten. Oder vielmehr ihr Schwert. Er hatte in kürzester Zeit ihren Trupp einfach so vernichtet. Wer war dieser Mann? Oder vielmehr, was?

Sie würde sterben. Es gab keinen Zweifel daran. Gegen solche Gegner konnten sie nun nur noch zu dritt nicht bestehen. Doch wenn dies ihr Schicksal war, wollte Luna zumindest ihre Aufgabe erfüllen. Sie rannte mit erhobener Klinge auf Cleos zu.

Wie schon vorher überbrückte sie die Entfernung in kleinster Zeit und ließ dann ihr Schwert niedersausen, um den Prior niederzustrecken. Doch so weit kam es nicht. Metall schlug auf Metall als Zeitensturm von den gekreuzten Klingen des mysteriösen Kriegers aufgehalten wurde. Luna blinzelte kurz, um zu verstehen, was passiert war. Gerade noch hatte der Feind in der anderen Ecke des Raumes gestanden, nun war er zwischen ihr und Cleos und hatte dem Prior das Leben gerettet. Doch zum Überlegen war keine Zeit.

Luna löste die Klinge und schlug weiter auf den Feind ein. Doch es fühlte sich nicht an, als würde sie das Schwert führen. Vielmehr suchte Zeitensturm Schwachstellen des Gegners, antizipierte Angriffe, und setzte gezielte Stiche. Der Klingenwechsel dauerte nur vier, fünf Schläge, dann streifte ihre Klinge über den Oberschenkel des Feindes und dieser wich zurück, drückte dabei Cleos zurück in den Gang.

Luna verharrte kurz und musterte den Mann. Noch nie hatte sie so schnell gefochten, und es schien ihr unwirklich, dass sie gegen einen solchen Fechter einen Treffer setzen konnte. Jetzt erst konnte sie sein Gesicht besser erkennen. Obwohl ein schwarzes Stirnband die Ohren abdeckte war sie sich nun fast sicher, dass ihr Gegenüber ein Elf sein musste.

„Gut gekämpft, Königin.“, sagte er mit kalter Stimme in der elfischen Sprache, womit doch eine gewisse Melodie mitschwang. Dann blickte er an Luna vorbei zu Yatane, die noch immer im Raum stand, ohne Gelegenheit, in den blitzschnellen Kampf einzusteigen. Kurz schien er ihr zuzuzwinkern, dann drehte er sich aber zu Cleos.

„Diesen Kampf führen wir später fort.“, sagte er und griff den verwirrten Prior an der Schulter.

„Nein!“, rief Luna noch und wollte ihm Nachsetzen, als beide Männer auf einmal erst tief dunkel wurden und dann im Schatten verschwanden. Erneut spürte sie eine Art Windhauch, obwohl sich die Luft kaum zu bewegen schien. Dann lag nur noch Stille im Raum.

Arthur ging langsam auf Luna zu. „Alles in Ordnung, Majestät?“, fragte er die Königin und musterte sie. Offensichtlich war sie nicht verletzt, während er nur mehr humpeln konnte.

Er bekam keine Antwort. Luna starrte noch immer mit einer Mischung aus Verwirrung und Wut auf die Stelle, wo gerade noch Cleos und der Elfenkrieger gewesen waren.

„Aaah!“ Sie schrie laut auf, schrie ihren Zorn von der Seele, und schlug ihr Schwert gegen die Wand. Während die Klinge unversehrt blieb, bröckelte Gestein aus der Kerbe. Dann blickte sie sich wieder im Raum um. Alle ihre Männer waren tot. Aber war da nicht was? Sie hörte das leise Stöhnen eines der Wächter, in dessen Brust ein Pfeil steckte. Mit zwei Schritten näherte sie sich dem älteren Mann, der dort im Sterben lag. Kurz musterte sie ihn abschätzig, dann rammte sie ihr Schwert mit Kraft in dessen Herz. Erst dann drehte sie sich zu Yatane, die Augen immer noch zu Schlitzen zusammengezogen.

„Weißt du wer das war?“

Die Elfe stand noch immer wie angewurzelt an der Stelle, an der sie verharrt war, seit sie die Tür aufgestoßen hatten. Ihre Gedanken kreisten. Wie konnte das nur möglich sein? Wie konnte er hier sein? Auf der Seite dieser Menschen? Hatte die Herrin von Alydan ihr nicht erzählt, welche finsteren Kräfte diese Menschen anriefen? Was sie mit Anuriel getan hatten? Wie konnte er nur? Gerade er?

„Yatane?“, fragte Luna nach. Ihre Stimme klang gereizt.

„Bei Elonas Gnade.“ Rogards Ausruf hallte durch den Raum, als er die Treppe oben erreichte. „Was ist hier passiert?“, fragte er ungläubig an Arthur gerichtet, als er die ganzen Toten erkannte. Statt Arthur, der immer noch Luna anschaute, drehte sich allerdings Yatane zu dem jüngeren Rethaner, als hätte er etwas Seltsames gesagt.

„Wieso Elona?“, fragte sie überrascht.

„Weil…“, wollte Rogard fast erklären, erkannte aber, dass das im Moment wohl recht egal war. „Arthur, was ist passiert.“

Erst jetzt antwortete der Ritter. „Dunkle Kräfte. Wir wurden geschlagen. Der Prior ist geflohen, mit einem seltsamen Krieger.“

„Wer war er?“, wiederholte Luna die Frage an Yatane.

„Ich bin mir nicht sicher.“, antwortete schließlich die Elfe. Es entsprach wohl auch der Wahrheit. Denn sie konnte nicht glauben, dass es der Mann gewesen war, den sie vermutete. „Seine Kräfte waren unglaublich. Aber, Luna, die Macht deines Schwertes ist größer. Wir haben Verluste erlitten, aber du hast ihn geschlagen.“

„Dennoch ist der Prior geflohen.“, sagte Luna verbittert und schaute dann zu Rogard.

„Was machst du hier?“

„Majestät, Arthur, ihr solltet mitkommen. Da ist etwas, dass ihr sehen solltet.“, sagte er. Dann schaute er noch einmal zu Arthur. „Was machen wir mit den Toten?“

Doch der Ritter schüttelte nur den Kopf. Selbst ohne die Flucht von Cleos würde der Angriff bald entdeckt werden, spätestens im Morgengrauen. Wenn die kaiserlichen Soldaten dann erstmal da waren, gab es kaum ein Entkommen. So sehr es ihn schmerzte: es war keine Zeit für einen würdevollen Abschied. Rogard nickte verständnisvoll und wandte sich dann zum Gehen.

„Yatane.“, sagte Luna, nun etwas leiser, weniger aufgebracht. Sie nickte Arthur zu, schon einmal vorzugehen.

 

„Was ist?“, fragte die Elfe und trat näher zur Königin, als diese gerade ihr Schwert wegsteckte. Sofort wirkte Luna weniger entschlossen und mächtig.

„Was sind das für Mächte?“, fragte sie die Elfe. Obwohl Elian und Siliva ihr über die Kraft des Weltenbaums erzählt hatten, konnte sie diese Magie noch immer nicht einordnen. Auch nicht jene Kraft, die in ihrem Schwert ruhte. Doch diese Macht war erschreckend. All die toten Schwarzen Pfeile waren Zeugnis dessen. Vielleicht erhoffte sie von Yatane eine bessere Antwort, hatte die Elfe ihr doch schon als Kind mit Geschichten Antworten auf große Fragen gegeben.

Yatane trat näher und legte der Königin ihre Hand auf den Schwertarm. „Es sind die Kräfte des Weltenbaums. Die Kräfte des Lebens. Der Natur selbst.“, sagte sie. Sie selbst hatte die Kräfte oft in ihrem langen Leben gesehen. Von Elian. Von Siliva. Von Issilia. Oder einem anderen der Elfenfürsten. Doch so wie die Natur immer wieder faszinierend sein konnte, konnte man sich auch an die Magie nicht gewöhnen. „Aber die Natur ist nicht immer gut. Sie kann zornig sein. Unbarmherzig. Kalt. Die Kräfte können viel Gutes schaffen, aber im Innersten sind sie chaotisch und zerstörerisch. Die Natur erneuert sich immer wieder. Doch Erneuerung erfordert auch Zerstörung. In deinem Schwert wohnen Teile dieser Kräfte. Am Ende kommt es darauf an, wie der Anwender seine Kräfte beherrscht und anwendet. Sie sind wie eine Klinge. Die Kaiserlichen nutzen ihre Macht, um andere Völker zu unterjochen. Doch du kannst deine Kraft dafür verwenden, dich ihnen in den Weg zu stellen.“

Luna nickte. Yatane lächelte aufmunternd. „Du musst den Verlust nun hinter dir lassen und wieder entschlossen sein. Egal was Rogard gefunden hat, es wird eine Entscheidung einer Königin bedürfen, sonst wäre er nicht gekommen.“

Luna schaute Yatane an. „Danke.“, sagte sie nur und blickte dann noch einmal auf all die Männer, die auch sie in den Tod geführt hatte. „Ich danke euch allen für eure treuen Dienste. Möget ihr im nächsten Leben Frieden finden.“, sagte sie an die Toten gerichtet. Dann lief sie zur Treppe, um Rogard und Arthur zu folgen.

Noch während sie auf dem Weg waren, hatte Luna erneut ihre Klinge gezogen. Ohne Zeitensturm wurde sie schwächer. Doch der Auftrag forderte Stärke. Yatane beobachtete die Königin fasziniert, während sie durch die Gänge des Klosters nach unten liefen, Rogard folgend. Sie hatte schon damals gewusst, dass aus Luna eine Königin der Menschen werden würde. Jene Menschen, die seit jeher nur den Krieg kannten. Es war unabdingbar gewesen, dass auch Luna diesen Weg einschlug. Doch dies in dieser Situation des brutalen Angriffs zu sehen, bildete einen Kontrapunkt zu ihren Erinnerungen an das fröhliche Mädchen. Natürlich, auch Yatane war Kriegerin, aber Luna, die sie als Kind kennen gelernt hatte, so zu sehen, löste etwas in ihr aus. Es erinnerte sie an den Krieg, den sie erlebt hatte, als sie klein gewesen war. Doch sie war glücklich, von nun an Lunas Seite sein zu können. Vielleicht konnte sie ihr ein bisschen einen Weg zeigen.

„Hier hinein.“, sagte Rogard und deutete auf eine Tür, die in einen weiteren Schlafsaal zu führen schien. Einer der beiden Schwarzen Pfeile wartete bereits davor. Arthur ging als erstes in den Raum, gefolgt von Yatane und dann Luna. Zur Überraschung der Elfe waren allerdings keine Mönche in dem nächsten Zimmer. Gedrängt in eine Ecke standen Kinder. Auf den ersten Blick erkannte sie acht Jungen, die in teilweise zu großen, braunen Kutten dort standen, und verängstigt schauten. Der zweite Krieger, der Rogard begleitet hatte, stand mit erhobener Klinge vor den Jungen und hielt diese im Schach. Yatane schätzte, dass die Kinder vielleicht acht, neun Jahre alt waren. Fast so alt wie Luna damals.

„Das sind Kinder.“, stellte die Elfe das Offensichtliche verwundert fest.

„Ja. Junge Novizen. Die anderen Räume haben wir alle gesäubert. Das hier sind die einzigen Überlebenden.“, sagte Rogard.

„Nicht ganz die Einzigen…“, sagte Luna grimmig und dachte an die Flucht des Priors.

„Was sollen wir machen? Wir können ja nicht…“, fragte Rogard an Arthur gerichtet, vollendete aber den Satz nicht.

„Luna, wir sollten…“, wollte Yatane gerade sprechen, wurde aber von der Königin mit einer Handbewegung unterbrochen. Diese ging auf die Jungen zu, musterte sie ernst, das Schwert noch immer in der Hand.

„Wer seid ihr?“, fragte sie den ältesten Jungen, der vielleicht schon elf, zwölf Jahre alt war. Dieser schwieg erstmal, schaute die Königin mit großen Augen verängstigt an.

„Was macht ihr hier?“, folgte die nächste Frage, diesmal nachdrücklicher. „Antworte mir!“, sagte sie bedrohlich.

„Wir sind Novizen der Laëa, Diener des Kaiserreiches, und lassen uns durch eure Mächte der Finsternis nicht einschüchtern. Das Licht der Sonne wird alle Dunkelheit durchbrechen.“, sagte er dann recht entschlossen, gegeben der Situation. Die Worte wirkten einstudiert, dennoch trotzig.

Luna nickte und drehte sich zu Arthur. „Sie werden Mönche wie jene, die Valorien fast zerstört haben. Tötet sie.“, befahl sie kalt.

„Aber Majestät…“, wollte Arthur protestieren. Vollkommen unvermittelt stieß Luna ihr Schwert nach vorne in die Brust des ältesten Jungen, der ihr geantwortet hatte. Dieser blickte sie erst verwundert an, dann entsetzt, als ihm Blut aus dem Mundwinkel lief. Als Luna ihr Schwert zurück zog sackte er tot zu Boden. Die anderen Jungen schrien teilweise auf, drückten sich nach hinten an die Wand.

„Ich habe einen Befehl gegeben, als eure Königin.“, sagte Luna kalt. „Also führt ihn aus.“, sagte sie und wandte sich dann ab, um aus dem Raum zu gehen. Yatane drehte sich sofort um, um ihr zu folgen. Von innen hörte sie noch die Todesschreie der Jungen, die schnell verstummten.

Luna rannte nach draußen in den Schnee. Der Sturm hatte sich etwas gelegt. Sie steckte ihre noch blutige Klinge in die Scheide. Sofort spürte sie, wie ihre Kraft wich. Sie musste sich an der Mauer des Klosters abstützen. Was hatte sie nur getan? Sie hatte nicht nur den Tod all dieser Männer befohlen, sondern auch von Kindern. Kinder, die von dem Prior auf einen dunklen Pfad geleitet worden war, die aber doch selbst unschuldig waren. Oder? Aber sie hatte Entscheidungen treffen müssen. Für die Sicherheit Valoriens. Geron hatte ihr schon früh beigebracht, dass die Stärke einer Königin darin lag, schwerste Entscheidungen zu treffen, die andere nicht treffen konnten. Letztendlich war ihr Vater auch deshalb gestorben, weil er nicht entschieden genug gegen seine Feinde vorgegangen war. Sie wollte, sie konnte nicht die gleichen Fehler machen. Dennoch… sie sah noch all das Blut vor ihrem inneren Auge. Es klebte an ihren Händen. Es würde immer an ihren Händen kleben.

Ihr Magen zog sich zusammen. Sie spürte noch, wie ihr der Magensaft hochstieg und dann beugte sie sich schon nach vorne, um sich zu übergeben. Geschwächt ging sie in die Hocke und atmete tief durch, sog die kalte Luft in ihre Lungen.

„Geht es dir gut?“ Sie spürte die Hand von Yatane auf ihrem Rücken, hörte ihre liebliche Stimme. Wortlos nickte sie.

„Komm, lass uns dort drüben kurz hinsetzen.“, sagte Yatane und deutete auf eine Bank im Hof. Sie half Luna auf die Beine und stützte sie, um sie zu der Bank zu geleiten. Dort zog sie sich schnell ihren Mantel von den Schultern, um Luna eine Unterlage zum Sitzen zu geben.

„Wird dir nicht kalt?“, fragte Luna als die Elfe ihr half, sich hinzusetzen.

„Es geht schon“, antwortete Yatane. Kälte war ähnlich wie Hunger oder Durst für Elfen weniger gravierend als für Menschen. Es war nicht angenehm, aber es störte sie weniger als der Gedanke, dass Luna womöglich krank werden konnte.

Yatane strich Luna über das Haar, als wäre sie wieder das kleine Mädchen. Sie erkannte den Ausdruck in Lunas Gesicht, als ihr Bauch anscheinend wieder verkrampfte. Dann drehte sich die Königin erneut weg und erbrach sich, während die Elfe ihre Haare zurückhielt. Erst dann drehte sich Luna wieder zurück und lehnte sich an die Elfe an. Erschöpft, aber irgendwie auch befreit.

„Hier, trink.“, sagte Yatane und bot Luna ihren Wasserschlauch an, den sie am Gürtel getragen hatte.

Luna nippte vorsichtig und trank einige kleine Schlucke. Nebeneinander saßen sie so schweigend in der Kälte. Außer dem Wind, der über Sonnfels strich, war es absolut still. Von drinnen hörte man nichts mehr. Keine Schreie. Keine Schritte. Keine Rufe. Als würde das Kloster noch immer schlafen. Doch Luna wusste, dass es nie wieder aufwachen würde.

„Ich musste so entscheiden.“, sagte Luna leise, entkräftet. „Aber gerade war ich mir noch viel sicherer. Nun fühle ich mich so… schwach. Als wäre ich den Aufgaben nicht gewachsen.“

Yatane strich ihr leicht die Haare aus dem Gesicht, die der Wind hineingeweht hatte. „Du bist die Königin Valoriens, und die Erbin des stärksten Menschen, den es je gab. Du führst auch die Klinge St. Gilberts. Sie gibt dir Stärke.“ Ja, Yatane wusste ob der Stärke des einstigen Königs. Sie lag in seinem Blut, das auch durch Lunas Adern floss. Luna nickte, antwortete aber nicht. So saßen sie einige Momente weiter still da.

„Es war nicht nur der Kampf, oder? Wieso dir schlecht geworden ist?“, fragte Yatane schließlich. Luna schüttelte den Kopf. Dann strich sie sich leicht über den Bauch.

Kapitel 4

Narthas sprang aus dem Sattel und landete sanft auf dem trockenen Boden der Steppe. Der Untergrund war fest, tief vereist, und Raureif hatte sich auf die verbleibenden Gräser gelegt, dennoch lag kein Schnee. Zu lange war es her, seit es hier Niederschlag gegeben hatte. Ein eisiger Wind wehte über die Ebenen und schlug dem Khan ins Gesicht. Dennoch fühlte er sich wohler als in den warmen Hallen Taarls. Denn dies war seine Heimat.

„Wir lagern hier!“, gab er den Befehl auf urbisch und sofort machten sich die Reiter daran, ein Lager aufzubauen. Narthas verharrte. Er blickte gen Horizont, an dem doch nichts zu sehen war. Nur die leere der Steppe. Die unendliche Weite. Freiheit. Es war das Gefühl von Freiheit, dass die Heimat der Urben so besonders machte. Und das er, zumindest unbewusst, in Valorien all die Jahre vermisst hatte. Doch nun war er zurück.

Als zwei seiner Söhne zu ihm traten, winkte er sie herbei. Auch Zirgas, sein alter Weggefährte und Freund, trat zum Khan, nachdem er einigen Männern Befehle gegeben hatte. Narthas ging in die Hocke. Trotz des Frostes im Boden konnte der Khan eine Hand voll Steppensand aufheben. Langsam ließ er den Sand durch seine Hand rieseln, der Wind trug ihn seitwärts.

„In jedem Sandkorn der Steppe wohnen die Geister.“, sagte Narthas leise. „Sie sprechen durch den Wind mit uns und tragen die Weisheit der Unendlichkeit und all unserer Ahnen.“ Der Khan erhob sich und blickte über die weite der Ebenen. „Wir sind ein Teil dieser Steppe. Jeder Urbe spürt es in sich. Die Geister schicken uns in dieses Leben, um uns zu beweisen. Und wenn wir sterben, werden wir wieder eins mit der Steppe. Nur die erlesensten unserer Krieger dürfen mit den Geistern in der Unendlichkeit reiten.“

Er blickte zu Lokran und Kirgesh, seinen beiden ältesten Söhnen. „Mein Vater sprach einst diese Worte zu mir, vor einer großen Schlacht. Und sein Vater vorher zu ihm. Ihr kehrt nun das erste Mal heim. Aber egal wohin ihr reitet, ihr tragt die Steppe in eurem Herzen, und die Geister werden euch immer begleiten.“ Die beiden Angesprochenen schauten Narthas ehrfürchtig an, wussten aber nichts zu erwidern. Also schlug Zirgas den beiden Männern auf die Schulter, um die Stimmung zu lockern.

„Leider, meine jungen Freunde, wird es noch dauern, bis wir unsere Speere in den Leib des Feindes stoßen werden. Außer ein paar rauflustige Stämme reiten in unseren Weg. Oder der Erzherzog der Peltamark ist dumm.“, sagte er grinsend und blickte dann zu Narthas. „Ich habe gerade Nachricht der letzten Krieger erhalten. Das Heer ist vollständig gesammelt. Wir warten auf deine Befehle, Khan.“

Narthas nickte ihm zu und ließ dann seinen Blick zu dem einen Reiter wandern, der hier nicht ins Bild passte. Anders als die Urben trug er eine Plattenrüstung, obwohl diese etwas mitgenommen wirkte. Von anderer Qualität war das feine Langschwert, das er am Gürtel trug. In einer silbernen Scheide, die von Flammenrunen und Feueropalen verziert war, trug Wanfried von Tulheim das Schwert Flammendorn. Mit seinen hellblonden Haaren und fast bleichem Teint hob er sich auch deutlich von den dunkleren Urben ab.

Narthas erinnerte sich nur zu gut, als er die Klinge das erste Mal gesehen hatte. In Taarl, am Gürtel des Reichsverwesers Heinrich von Goldheim, der seinen damals neuen Herrn in Geiselhaft genommen hatte. Doch dies war lange her, und der alte Ritter war nun Teil der Geschichte geworden. Wanfried war die Gegenwart.

 

Als der Ritter Narthas erkannte ritt er auf diesen zu und schwang sich einige Schritte entfernt ebenfalls aus dem Sattel, um auf den Khan zuzugehen.

„Du hast ein beeindruckendes Heer gesammelt.“

„Reiter des Herzogs ebenso wie freie Reiter auf der Suche nach ehrenvollem Kampf und reicher Beute.“, antwortete Narthas. In der Tat hatte er schon vor Monaten Boten in die Steppe geschickt, um weitere Kämpfer anzuwerben. Trotz der Niederlage wog der Namen seines Vaters noch schwer, und so hatten sie einige Stämme gewinnen können, sich ihrer Sache anzuschließen.

„Werden wir nun gesammelt in die Peltamark reiten?“, fragte Wanfried. Die Peltamark lag zwischen den Steppen und dem Königreich Kargat. Wenn man die Alrinnen umging kam man unausweichlich in dieses Reich. Narthas wusste darüber nicht viel. Er hatte einige Berichte von Urben erhalten, die das Land bereits geplündert hatten. Die Burgen waren anscheinend mächtig und die Adeligen starke Krieger. Dennoch war das Land eher ärmlich. Also insgesamt kein lohnendes Ziel. Doch nun mussten sie eben durch die Peltamark, um dann Kargat von Osten anzugreifen. Im Idealfall zur gleichen Zeit, wenn die valorischen Truppen nach Süden stießen. Narthas hoffte, dass sie ohne Kampf durch die Peltamark ziehen konnten. Entweder weil man sich mit den Adeligen einigen konnte oder weil das Heer so groß war, dass diese sich vor Angst in ihre Burgen verkrochen.

„Nein, wir reiten getrennt.“, sagte Narthas. Er zeigte auf die Weiten, die sich vor ihnen ausbreiteten. „Hier, mein valorischer Freund, hier in der Steppe ist der Tisch nicht so reich gedeckt, wie in deiner Heimat. Wir müssen mit Wasser und Vorräten haushalten. Ein großes Heer würde hier über die Zeit kläglich zu Grunde gehen. Hast du dich mal gefragt, wieso kein Kriegsherr die Schlachten in unsere Länder getragen hat? Dies ist der Grund.“

Wanfried nickte verständnisvoll. „Ja, das ergibt Sinn.“

„Die Stämme werden separat reiten, aber wir werden uns am Grenzfluss zur Peltamark wieder vereinen. Am oberen Lauf des Calas. Einige meiner Brüder berichteten mir, dass es dort eine Furt geben soll. Diese müssen wir finden.“

„Ich werde an deiner Seite bleiben.“, stellte Wanfried fest. Narthas wusste, dass der Ritter offiziell mit ihm ritt, um die Krone Valoriens in jedweden Verhandlungen zu repräsentieren. Insgeheim hatte man ihm den Rethaner aber wohl auch als Wachhund zur Seite gestellt. Eine recht undankbare Aufgabe. Selbst wenn Narthas vorhätte, den Herzog von Tandor oder die Königin zu hintergehen, würde dieser eine Mann ihn davon nicht abhalten.

„Ich werde dich nicht aufhalten.“, sagte der Khan und ging dann mit seinen Söhnen weiter ins Lager hinein, dass die Urben gerade aufbauten. Wanfried blieb allein zurück.

Narthas erkannte den Staub am Horizont. Er wusste die Zeichen eines Urbenstammes zu deuten. So viel hatte ihm sein Vater in der Zeit in der Steppe noch gelehrt. Dennoch war es eine Genugtuung zu erkennen, dass er richtig lag, als sie sich den anderen Reitern näherten.

Es waren mittlerweile fast zwei Wochen vergangen, seit sie Taarl verlassen hatten. Der Trupp kam nur langsam voran. Der Winter hatte die Steppe noch fest im Griff, so brauchten sie jeden Tag viel Zeit, um Nahrung und Wasser zu besorgen, um ihre Vorräte nicht unnötig zu strapazieren. Doch Narthas war es recht, eher vorsichtig vorzurücken. Sie hatten ausreichend Zeit eingeplant, selbst wenn sie länger in der Peltamark aufgehalten werden sollten. Oder eben hier in der Steppe.

Als sich die beiden Reiterhorden bereits gut erkennen konnten, hielten beide inne. Narthas gab das Signal, den Ritt zu unterbrechen, und drehte sich zu seinen Söhnen und Anführern. „Lokran, Zirgas, ihr kommt mit mir. Kirgesh, bleib mit Wanfried zurück. Wenn uns etwas passiert, tötet diese Bastarde. Und lasst sie den Tod spüren, wenn möglich.“

Der ältere Sohn ritt wie geheißen nach vorne, während Kirgesh, der jüngere, ruhige Sohn nur schweigend nickte und dann zu Wanfried ritt, der erst mit den letzten Reitern aufschloss. Bevor der Ritter Narthas erreichte, hatte der Khan schon sein Pferd nach vorne getrieben. Er erkannte, wie sich auch aus der gegenüberliegenden Truppe drei Reiter lösten.

Etwa zehn Schritte vor den anderen Urben stoppte Narthas sein Pferd. Er musterte seine Gegenüber. Es waren drei junge Männer, vielleicht in Lokrans Alter. Sie alle trugen die übliche Stammeskleidung der Urben, doch der Mittlere, wohl Älteste, zeichnete sich durch aufwändigeren Schmuck und Waffen aus. Der Khan des anderen Stammes.

„Ihr steht im Weg.“, stellte Narthas kalt fest.

„Ihr reitet durch das Land der Tarkach Urboi. Als deren Khan befehle ich euch: Kehrt um, wenn euch etwas an eurem Leben liegt. Du und deine Männer finden hier nur den Tod.“

Narthas lächelte den Mann an. Dann erhob er seine Stimme, dass auch die Reiter hinter ihrem Anführer ihn hören und verstehen konnten: „Ich bin Narthas Khan, Sohn von Ikran, und Anführer der westlichen Urbenstämme. Wir ziehen in den Krieg, gegen das große Kaiserreich der Sonne im Süden. Für Ehre und Beute. Jeder Urbe, der eines Tages mit den Geistern der Steppe reiten will, soll sich uns anschließen, um Ruhm, Ehre, und Reichtum zu erlangen.“ Dann blickte er zu dem jungen Anführer des Stammes. „Und du, Junge, hütest deine Zunge, wenn du mit mir sprichst. Ein paar Reiter, die dir folgen, machen dich noch nicht zu einem Khan.“, antwortete er kalt. Narthas kannte den Stamm der Tarkach. Einst waren sie von Roxesh, einem Waffenbruder seines Vaters geführt worden, und auch in die großen Kriege mitgeritten. Doch anscheinend hatten einige Männer fliehen können, um den Stamm in Freiheit neu zu beleben. Vielleicht sogar Söhne des damaligen Khans.

Der Angesprochene grinste Narthas an. Er trieb sein Pferd leicht mit den Hacken an und ritt auf Narthas zu. Sein Blick blieb auf dem Khan gehaftet, er fixierte ihn mit seinen dunklen Augen. Langsam umrundete er Narthas, der vollkommen ruhig blieb, und dem jungen Mann nur mit den Augen folgte.

„Du bist also der Feigling und Verräter, alter Mann. Wir haben einen Boten von dir erhalten. An seinem Fleisch laben sich nun die Wölfe.“, antwortete der junge Mann, als er Narthas umrundet hatte.

„Wie heißt der Mann, der mich beleidigt?“, antwortete Narthas ruhig.

„Altan Khan, Sohn des Roxesh.“, antworte er, und hielt sein Pferd so nah an Narthas an, dass sich die Tiere fast berührten. Er blickte dem älteren Mann in die Augen. „Du bist Abschaum. An dem Tag, an dem du dich unterworfen und unser Volk in die Sklaverei geführt hast, hast du jegliche Chance vertan, mit den Geistern in die Unendlichkeit zu reiten. Also spare dir deine Reden, und verziehe dich zurück hinter die Steinmauern deines valorischen Herrn und Meisters.“ Mit den letzten Worten spuckte er auf Narthas und traf diesen an der Rüstung.

Narthas blieb ruhig. Er blickte an sich hinunter, dann wieder hoch, und dem jungen Mann in die Augen. Doch dann ging es schnell. In einer schnellen Bewegung zog er seinen Säbel und führte einen seitlichen Hieb aus.

Der Mann hatte den Angriff offensichtlich erwartet. Blitzschnell duckte er sich unter der Klinge hinweg und zog sein Pferd am Zügel, um eine bessere Position gegenüber Narthas zu gewinnen. Nun zog auch er seine Waffe aus der Scheide und führte einen kräftigen Hieb gegen Narthas aus. Als er den Hieb parierte, spürte Narthas die Kraft seines Gegners. Und sein eigenes Alter, das langsam begann, Tribut zu fordern. Doch für diesen Heißsporn würde es noch reichen. Denn seine Arroganz und Übermut waren die Schwächen des Feindes.