Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 4: Lucretia L'Incarto

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Trügerisches Gold

Es gibt neben der gewussten Erkenntnis eben auch eine gefühlte Gewissheit, und diese wird nie eine Erklärung abgeben. Sie wird dich immer nur wissen lassen, dass etwas richtig oder falsch ist. Das „Warum“ wird sie dir nicht beantworten. Das „Warum“ musst du dir hart erkämpfen. Und erst wenn du am Ende deines Wegs angekommen bist, wirst du sagen können: „Darum.“

(Aus den privaten Aufzeichnungen von Chara Pasiphae-Opoulos, 350 nGF)

Die Allianzflotte quälte sich über den tiefblauen Ozean – immer weiter der Weltgrenze entgegen. An der Spitze segelte die Aphrodia-Flotte unter Vizeadmiral Alwin Hjellgard. Danach kamen Flotte Zwei, Marie-Louise, und Vier, die Seeperle-Flotte auf gleicher Höhe. Knapp dahinter und flankiert von Flotte Zwei und Vier segelte die dritte und damit die Kommandoflotte mit ihrem Flaggschiff, der Meerjungfrau. Ihr folgten in größerem Abstand die Horous und die Königin der Meere, bevor die Stern des Nordens, die Meerkatze und die Wellenspalter durch das Wasser glitten. Den Abschluss bildete Flotte Acht, die Morgentau.

Aschran lag weit hinter ihnen und stetig rückte das Unbekannte näher. Es wurde getuschelt. Einige der Leute schürten die Angst, andere schwangen große Reden. Niemand konnte mehr leugnen, dass die Allianzflotte geradewegs auf den Großen Abgrund zuhielt, jedenfalls, wenn sie den Südkurs beibehielten. Zwar gab es einige besonders verwegene Piraten, die es kaum erwarten konnten, die Weltgrenze mit eigenen Augen zu sehen, doch der Argwohn saß tief bei den meisten Mitgliedern der Expedition und täglich kursierten neue Gerüchte in der Flotte. Allein unter den Gelehrten blieb es ruhig. Die Damen und Herren der Wissenschaft hatten bis jetzt auch nicht viel zu tun gehabt.

„Die haben doch keine Ahnung, worauf wir uns da zubewegen …“, murrten die Seeleute. „Die wissen nicht viel mehr als wir. Und falls doch, dann sagen sie uns nichts. Machen auf geheimnisvoll. Habt ihr schon das Neueste gehört? Die Flok hat den Magiern gedroht und einen von ihnen umgebracht. Hat mir Sanders verraten. Die im Kommando gehen sich gegenseitig an die Gurgel. Die bringen sich noch um, bevor wir überhaupt unbekanntes Gewässer erreichen.“

So und so ähnlich ging das Getratsche über die Planken, sprang von Schiff zu Schiff, von Flotte zu Flotte. Tauron ließ sich einmal pro Trideade von den Vizeadmirälen Bericht erstatten, und die holten sich ihre Berichte von den Kapitänen ihrer Flotte. Noch hatte ihn Chara nicht darum gebeten, Einsicht in seine Protokolle nehmen zu dürfen. Sie war im Augenblick mit der Auflösung des Rätsels um den Verräter beschäftigt. Die Interne Sicherheit hielt sich bedeckt. Es war Magus Primus Kasai gewesen, der ihm anvertraut hatte, dass sowohl die Zauberkundigen als auch die Assassinen an der Untersuchung irgendwelcher ominöser Nachrichten arbeiteten, die offenbar über Schattenboten übermittelt worden waren. An wen die Nachrichten gingen oder was ein Schattenbote überhaupt war, darüber hatte man ihn nicht aufgeklärt. Im Grunde konnte er die Arschkriecherei Kasais nicht leiden, aber der Magier bezog ihn wenigstens mit ein und klärte ihn über die Arbeit der Zauberkundigen auf, was man von Chara und den Assassinen nicht behaupten konnte.

In den letzten Tagen hatte sich ein neues Problem ergeben. Die Zauberkundigen fingen damit an, die Vizeadmiräle auf ihren Schiffen zu überwachen. Und wenn es irgendwo Überwachung hieß, konnte nur Chara dahinterstecken. Erst veranlasste sie eine Überwachung durch die Assassinen, die sie, Lexora sei Dank, wieder eingestellt hatte, und nun versuchte sie es über die Zauberkundigen. Aber da hatte sie sich geschnitten. Eine weitere Überwachung würde er auf keinen Fall dulden.

So weit, so unerfreulich. Vor drei Tagen hatte Admiral Schroeder die Nachricht geschickt, dass er seinen Begleitschutz nun abbrechen würde. Bis jetzt die beste aller Neuigkeiten.

Schroeders Bericht fiel recht knapp aus: „Keine Chaosschiffe mehr gesichtet, was nicht bedeutet, dass sie nicht mehr da sind. Heute ziehe ich meine Flotte ab. Danach seid ihr auf euch gestellt. Viel Erfolg.“

Das waren seine genauen Worte und sie sorgten bei Tauron für ein erleichtertes Aufatmen. So sehr er Schroeder auch respektierte und bewunderte, so sehr war ihm die ständige Gegenwart des berühmten Freibeuters zuwider.

Kurz nach seiner Nachricht hatten sich Schroeders Schiffe abgesetzt. Nun trieben vierzigtausend Seelen unaufhaltsam jener Sturmwand entgegen, von der Chara und Lucretia ihm berichtet hatten. Eine statische Wand aus Wind, Wolken, Blitzen und Wasser. Wahrscheinlich malten sich die meisten eine tiefe Schlucht aus, in die sich der Ozean wie ein Wasserfall ergoss. Ha!

Sein eigenes derbes Lachen riss ihn aus seinen Grübeleien. Ein Blick übers Hauptdeck und er stellte fest, dass Siralen aufgetaucht war, um sich ihrem ganz entzückenden Schwerttanz zu widmen. Sie war heute reichlich spät dran, machte ihre Übungen aber um nichts weniger elegant als zu morgendlichem Glas. Die Sonne stand schon tief und konnte sich einer eindrucksvollen Farbpracht rühmen. Blutrot hing sie über dem Wasser, trieb ihre Strahlen auch jetzt noch wärmend über das Deck der Meerjungfrau und hüllte Siralens schlanke Gestalt in ein sanftes Licht. Ihre Schwerter in beiden Händen tanzte die Elfenkriegerin anbetungswürdig über das Hauptdeck – ihre zarten Füße schienen den Boden zu küssen, ganz so wie die einer geschulten Tänzerin in den Bordellen … nur eben viel eleganter.

Tauron hatte ein, zwei Mal versucht, an sie ranzukommen. Bis jetzt ohne Erfolg. Es war an der Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen. Gerade jetzt sah Siralen aus, als könnte sie ein wenig Abwechslung gebrauchen.

Eine Braut zu gewinnen, ist wie eine Galeere zu bändigen. Man muss sich hart in die Riemen legen.

Tauron fuhr sich durch sein zerzaustes Haar, sprang die Treppe vom Vordeck hinunter, überquerte das Hauptdeck und schlenderte die Treppe zum Achterdeck hoch.

„Na, Frau Kommandantin“, begann er, lehnte sich gegen den Besanmast und verschränkte die Arme vor der Brust. „Denkt Ihr nicht, es würde Euch guttun, mal ’n wenig auszuspannen?“

Siralen ließ sich nicht aus dem Konzept bringen und vollendete in aller Ruhe den Bewegungsablauf, den sie gerade begonnen hatte.

„Ich bin ganz und gar entspannt, Admiral“, erklärte sie und ließ ihre Klingen in die Lederscheide gleiten.

„’n wenig mehr vielleicht?“, bot er an.

„Was könnte mir Eurer Meinung nach mehr Entspannung bringen als der Schwerttanz?“, fragte sie kühl.

Die aus Albion konnten schon verdammt begriffsstutzig sein. Oder war das etwa gerade eine Herausforderung? Ne nich’, oder?

„Naja …“

„Ach das“, sagte Siralen unerwartet unbetroffen. „Wisst Ihr – selbst wenn Ihr ein Mann elfischen Bluts wärt, wärt Ihr kein Mann meines Geschmacks.“

Danke. Der hat gesessen. Aber damit konnte er umgehen, schon, weil er ihr den Spruch nicht abnahm.

„Jep, verstehe. Ihr wisst nur leider nicht, was Euch da entgeht.“ Er deutete seinen Körper hinab und musste sich dazu zwingen, auf Höhe seiner Männlichkeit keine demonstrative Pause einzulegen.

Die blauen Augen folgten seiner Bewegung und tatsächlich, jetzt lächelte sie. Ganz eindeutig.

„Ihr habt in der Tat einen sehr anregenden Körper, Admiral, aber es ist nicht Euer Körper, der mir nicht gefällt.“ Ihr Blick kehrte in sein Gesicht zurück. „Soll ich weiterreden?“

„Nur zu, tut Euch keinen Zwang an.“ Wenn’s unbedingt sein muss.

„Es ist Eure Arroganz – diese Überheblichkeit, mit der Ihr Frauen gegenübertretet, die Euch Eurer Meinung nach zu Füßen liegen müssten, es vermutlich aber nicht tun. Zumindest nicht jene, die mit ausreichend Verstand gesegnet sind, um zu erkennen, dass Ihr ein Scharlatan seid. Ihr lockt die Mädchen in Euer Bett, vergnügt Euch mit ihnen und würdigt dabei nicht einen Herzschlag lang, was sie, abgesehen von einem begehrenswerten Körper, sonst noch sind.“ Mit einer eleganten Handbewegung strich sie sich die Silbersträhne aus dem Gesicht, die ihr aus dem Zopf gerutscht war.

„Und dabei ist es nicht einmal das, was mich dazu bewegt, Euer Angebot auszuschlagen. Viele von uns Elfen sehen es als eine Bereicherung, bei verschiedenen Männern oder Frauen zu liegen und die Vorzüge körperlicher Liebe zu genießen, doch bleiben wir dabei meist unter unseresgleichen. Es verträgt sich nicht gut, wenn sich Menschen und Elfen lieben. Wir sind zu verschieden. Darum zweifle ich auch daran, dass ein Mann wie Ihr meine Bedürfnisse erkennen und stillen könnte.“

Irgendwie hatte Tauron den Faden verloren, aber er war sich ziemlich sicher, dass das da gerade keine Liebeserklärung gewesen war. Wäre er nicht so verdammt hartnäckig, würde es ihm jetzt zu dumm werden. An dieser Frau konnte man sich echt die Zähne ausbeißen. Aber irgendwie … er glaubte ihr nicht. Noch immer nicht. Da war ein winziger Funke in diesen kalten, klaren Augen. Irgendetwas darin schien ihm zuzuflüstern, dass noch nicht aller Tage Abend war.

„Eure Entscheidung“, entschied er sich fürs Erste zu einem taktischen Rückzug und drückte sich vom Mast ab. Schließlich musste er sein Gesicht wahren und außerdem hatte er noch ein hartes Wortgefecht mit Chara auszutragen.

„Ich hoffe, ich habe Euch mit meiner Erklärung nicht in Verlegenheit gebracht“, bemerkte Siralen.

Nein, gaaar nicht. „Nop. Jeder wie er will. Und vielleicht wollt Ihr ja noch.“ Er schnalzte mit der Zunge und sprang pfeifend die Treppe zum Hauptdeck hinab.

Roella hatte ihn gewarnt. Sie hatte ihm mehr als einmal gesagt, er solle sich lieber eine der Piratinnen als Betthäschen suchen. Die wussten, worum es ging. Aber Roella hatte nicht viel für Elfen übrig. Dafür war sie kaum zu halten, wenn ihr ein hübscher Männerarsch ins Gehege kam. Tauron war sich sicher, würde der Vizeadmirälin eines der Spitzohren gefallen, würde sie sich ebenso wenig zurückhalten wie er. Also nahm er ihre Ratschläge diesbezüglich nicht ganz so ernst.

 

„Hol mir mal einer die Flok hoch!“, brüllte er etwas ungehalten durch die Luke ins Unterdeck. „Ich erwarte sie in meiner Kajüte.“

„Aye, Admiral!“, drang es dumpf aus den Mannschaftsunterkünften, und Tauron machte, dass er in die Kapitänskajüte kam. Dabei ignorierte er beharrlich, dass Siralen ihm hinterherblickte.

Siralen starrte auf die verschlossene Tür der Steuermannskajüte, durch die Tauron gerade zu seinem Quartier verschwunden war. Sie hätte gerne die schützenden vier Wände ihrer Kajüte aufgesucht und das Landeprotokoll fertiggestellt. Sie musste es dem Brigadier der Landstreitkräfte so bald wie möglich aushändigen, damit sich die Truppen bei einer möglichen Entdeckung von Neuland auf den geplanten Ablauf vorbereiten konnten. Doch eine seltsame innere Regung hielt sie am Hauptdeck fest.

Äußerlich war sie so ruhig wie Baum und Tier in der Stille des nächtlichen Waldes. Innerlich brachte das Bild des Admirals ihr Herz dazu, lauter zu schlagen und ihr Blut, schneller zu fließen. Gewiss war es dieser Druck, der seit Beginn dieser Mission auf ihr lastete – diese Verantwortung. So viel stand auf dem Spiel, so vieles lag im Argen, weil es nahezu unmöglich schien, die Kontrolle über vierzigtausend Männer und Frauen zu wahren, denen man im Grunde nichts Genaues über ihr weiteres Schicksal anvertrauen konnte.

Lucretia wurde zusehends krank, schien innerlich zu verfallen. Am Morgen nach Stowokors Bestattung war die Magierin zum Frühstück in der Messe erschienen und hatte zusammenhanglos dahergeredet. Sie hätte eine Stimme in ihren Träumen gehört, deren Botschaft sich stetig wiederholte – irgendetwas im Sinne von er wäre verloren. Danach hatte sie sich in ihrer Kajüte verkrochen. Chara hatte auf diese Tatsache unerwartet gelassen reagiert. Beinahe schien es, als hätte die Assassinin mit der Akademiemagierin abgeschlossen. Es passte zu Chara. Sie hatte ihre Ziele, und wer auf dem Weg dorthin nicht mithielt, war eben draußen. Ein kleiner Teil in Siralen konnte diese Haltung sogar nachvollziehen. Nur wenn man eine gewisse Härte an den Tag legte, würde man hier vorankommen. Ein anderer Teil verurteilte Charas rigoroses Vorgehen aufs Schärfste. Das konnte früher oder später dem gesamten Expeditionskommando zum Verhängnis werden. Ahrsa Kasai hatte nicht ganz unrecht, wenn er Chara kritisierte. Und Lucretia? Bei allem Verständnis für ihren Kummer … dass sich die Magierin derart gehen ließ, nahm selbst Siralen ihr übel.

Chara hatte ihr mitgeteilt, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach mehr als nur einen Verräter in der Flotte gab. Wieso sie das annahm, darüber hatte sie nicht gesprochen. Überhaupt sprach sie so gut wie nie über die Quellen ihrer Informationen. Nun hatten sie also das Problem mit den Verrätern, ein nicht einsatzfähiges Kommandomitglied und ein stetes Näherrücken des Großen Abgrundes, von dem niemand wusste, wie man ihn überwinden konnte. All das machte Siralen müde und … ja, es machte sie auch einsam. Wäre Darcean nicht hier, sie hätte wohl längst die Nerven verloren.

Hier war sie nun und fühlte sich verloren. Und wäre es in ihren Augen nicht denkbar undenkbar, dann hätte sie Taurons Einladung angenommen und kurzerhand all ihre Hüllen fallen gelassen – nur, um ihre Sorgen für einen Augenblick zu vergessen. Aber er war ein Mensch!

Sie wollte sich gerade zurückziehen, da tauchte Chara auf und betrat mit ihrem tätowierten Anhang das Hauptdeck. Mit einem knappen Nicken nahm sie Siralens Gegenwart zur Kenntnis, bevor sie rasanten Schritts auf das Steuermannsquartier zuhielt.

Sie riss die Tür auf, querte das Quartier, riss die nächste Tür auf und war auch schon drauf und dran, die Kapitänskajüte zu betreten.

„He!“, vernahm Siralen Taurons verärgerte Stimme. „Hast wohl noch nie was von Anklopfen gehört, Schätzchen?“

„Wieso soll ich klopfen, wenn du sowieso mit mir rechnest?“

Es krachte, als Chara schwungvoll die Tür zuschlug und in der Kapitänskajüte verschwand.

Die Sonne trieb blutrot in die Tiefen des Ozeans und verschwand. Es wurde dämmrig am Hauptdeck. „Du hast den Zauberkundigen aufgetragen, meine Leute zu überwachen, verflucht noch eins!“, drang Taurons verärgerte Stimme nach draußen. „Denkst du, die lassen das mit sich machen?“

Leider verstand Siralen Chara nicht, die in normaler Lautstärke sprach.

„Kasai sagt, dass die Magier die Vizeadmiräle unterstützen wollen. Das ist ein Witz.“ Wieder Tauron. „Als würden die Piraten irgendeine Unterstützung brauchen. Wenn du mich fragst, riecht das verdammt nach einem deiner Assassinen-Spielchen.“

Charas Stimme ging dazwischen. Kurz darauf redete wieder der Admiral.

„Dann kam der Befehl nicht von dir?“

Die Tür ging auf und Chara und ihr Anhang traten aufs Hauptdeck.

„Nein, Tauron, ich weiß nichts von irgendeiner Überwachung.“

Taurons Gestalt schälte sich hinter ihr aus der Kajüte. „Wir hätten auf jeden Fall ein Problem, wenn doch.“

„Sieht ganz danach aus, als hätte Kasai genau das beabsichtigt. Er zielt darauf ab, die Seefahrer gegen mich aufzubringen.“ Sie fuhr sich durch ihr Haar. „Verfluchter, magischer Arschkriecher. Wird Zeit, dass ich Klartext mit ihm rede.“

Siralen zog die Stirn in Falten. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass Kasai Chara auf diese Weise zu diskreditieren versuchte. Es sei denn, er empfand sie tatsächlich als Fehlbesetzung für den Posten der Flottenoberkommandantin. Dann waren seine Methoden, sie vom Kommandostuhl zu stürzen, allerdings sehr fragwürdig. Oder war es Chara, die hier ein falsches Spiel spielte?

„Admiral!“, kam es von der Luke und Siralen drehte sich um. Es war der Kapitänsanwärter Gardwain Arkos und er klang eindeutig besorgt.

„Warte!“, hielt Tauron Chara davon ab, einfach zu verschwinden. „Was gibt’s, Gardwain?“

Der Kapitänsanwärter blieb stehen und kratzte sich das Kinn. „Die Magier melden, dass Flotte Eins etwas sehr Seltsames gesichtet hat. Hjellgard behauptet, seine Schiffe segeln direkt auf … sie segeln auf … auf goldenes Wasser zu.“

„Soll das ein Scherz sein?“

„Kein Scherz, Admiral. Wahrscheinlich sind sie mittlerweile schon innerhalb dieses sonderbaren Gewässers.“

Tauron rieb sich angespannt die Stirn und bedachte Chara mit einem fragenden Blick. „Kurs halten?“

„Moment!“, ging Siralen dazwischen. „Überleg dir das gut, Chara. Wir wissen nichts über dieses Wasser. Es könnte eine Gefahr für die gesamte Flotte sein.“

Chara verfiel ins Grübeln. „Wir halten Kontakt mit Hjellgard“, entschied sie. „Solange in der Aphrodia-Flotte nichts Besorgniserregendes passiert, behalten wir unseren Kurs bei.“

Tauron nickte. „Gib das an die Magier weiter, Gardwain. Die sollen Hjellgard den Befehl übermitteln und eine Nachricht an die anderen Vizeadmiräle rausgeben, damit alle Bescheid wissen.“

Er schüttelte den Kopf. „Goldenes Wasser. So was hab ich ja noch nie gehört.“

Als Lucretia die Augen aufschlug, war ihr, als wäre sie nicht allein. Als wäre da ein Schatten, der allerdings sofort verschwand, sobald sie ihren Blick darauf lenkte. Sie wollte sich aufsetzen, aber wie schon tags zuvor hatte sie das Gefühl, als würde nicht Blut, sondern Sand durch ihre Venen laufen. Jede noch so winzige Bewegung war eine Qual, jeder Gedanke, sich aufzusetzen die reinste Folter. Alles war anstrengend geworden, jeder Gedanke zäh wie Leder, jeder Schritt in Richtung einer Entscheidung oder Handlung lahm und schwerfällig. Alles in ihr wand sich, sträubte sich.

Da war das Gefühl, nie ganz allein zu sein. So wie jetzt. So, wie es gestern war und so, wie es auch morgen sein würde, und übermorgen, und überübermorgen …

Was wollt Ihr? Wir können Euch helfen.

Wenige Worte, die alles verändern könnten, alles heil machen könnten. Einen Neuanfang versprechend, ein anderes Leben. Vergessen, was passiert war, vergessen, dass er tot war … vergessen, dass sie es war, die ihm den Todesstoß verpasst hatte.

Oh Stowokor. Was ist nur mit uns geschehen?

Als die Sonne aufging, war das goldene Wasser schwarz geworden – schwarz wie die Nacht, die mit dem Anbruch des Tages erneut über sie zu kommen schien. Und es stellte sich heraus, dass der unnatürliche Wasserteppich kein Ende nahm. Zu Anfang trieben tote Fische in den seltsamen Gewässern. Doch nun herrschte dort nicht einmal mehr der Tod. Als hätte der Ozean beschlossen, alles Leben aus sich herauszuschwemmen, sich das goldene Laken abzustreifen und selbst zu sterben.

Wie zur Bestätigung dieser trüben Vision erreichten Berichte über Tote und Verletzte aus Flotte Eins, Zwei und Vier das Flaggschiff. Kurz darauf erging das allgemeine Verbot, das Wasser zu berühren. Es gab doch tatsächlich Leute, deren Neugier umfassender war als die Vernunft, und diese unerfreuliche Tatsache führte dazu, dass am Ende neunzehn Matrosen ihr Leben lassen mussten. Die Zahl der Verletzten war zehnmal so groß. Die betroffenen Leute wiesen Wunden auf, die Verätzungen ähnelten. Siralen hätte laut geflucht, wenn es ihr auch nur annähernd zu Gesicht stünde, derart unbeherrscht zu sein. Trugen diese Menschen etwa keinen Funken Vorsicht in ihrem Leib?

Am zweiten Tag, an welchem sie nachts in goldenen und tagsüber in schwarzen Wassern gesegelt waren, wurden zudem Meldungen laut, dass sich das Wasser in das Holz der Schiffe zu fressen begann. Die Schiffskörper saugten sich wie Schwämme voll. Noch wusste niemand, was man dagegen tun konnte, und was passieren würde, wenn sie in absehbarer Zeit die schwarz-goldenen Wasser nicht verließen und das Meer wieder wurde, was es seiner Natur nach war.

Furcht begann Menschen und Zwerge gleichermaßen heimzusuchen. Nur um die Elfen und Kentauren blieb es still. Die anderen verlangten danach umzukehren.

„Wenn wir waitersegeln, werden unsere Schiffe sinken“, warnte El’Muluk von der Seeperle-Flotte.

„Die Götter bestrafen uns, wail wir die von ihnen geschaffenen Grenżen missachten. Es ist unsere göttergegebene Pflicht umżukehren“, gab Achmed Al’Badwih seine Einschätzung der Lage zum Besten.

Ähnlich lauteten auch die Urteile der anderen Vizeadmiräle. Nur Alwin Hjellgard aus Flotte Eins und Roella Kalladan aus Flotte Sieben verhielten sich ruhig. Sie fragten lediglich nach weiteren Befehlen und führten diese klaglos aus.

Die Zauberkundigen, die sich um den Informationsfluss zwischen den einzelnen Flotten kümmerten, hatten alle Hände voll zu tun und mussten ohne Pause auf ihren Posten an den dafür vorgesehenen Artefakten bleiben. Dasselbe galt für die Versetzkreise, über die man von einem zum anderen Kommandoschiff wechseln konnte. Sie wurden in diesen Tagen mehr in Anspruch genommen als üblich.

Chara setzte die Gelehrten und Alchimisten darauf an, Wasserproben zu nehmen und zu analysieren. Ahrsa Kasai und eine Handvoll seiner besten Zauberkundigen versuchten indes zu eruieren, ob die Ursache des seltsamen Phänomens magisch war und kamen zu einem negativen Ergebnis. Telos Malakin schickte eine Nachricht, dass die Priester keinen göttlichen Einfluss spürten, dieser aber nicht auszuschließen sei, da ein Gott sein Wirken nicht immer erkennen ließ. Wiederholt hörte man, wie der Götter Namen über die Decks geflüstert wurden. Auch auf der Meerjungfrau gab es einige unter den Matrosen, die in den schwarz-goldenen Gewässern eine Strafe der Götter sahen. Tauron hielt eine Rede vor versammelter Mannschaft, und Siralen stellte erneut fest, dass er für den Posten des Admirals besser geeignet war, als man es bei jemandem wie ihm hätte erwarten können. Er blieb ruhig und überlegt, und selbst Chara hörte seinen Worten aufmerksam zu.

Rasch war gewiss, dass eine neuerliche Lagebesprechung stattfinden musste. Es musste etwas getan werden und zwar schnell. Ansonsten war nicht nur das Sinken ihrer Schiffe zu befürchten, sondern auch eine Meuterei.