»Ach, das ist ja so leicht wie gar nichts«, meinte Billy verächtlich. »Wenn so ein alter Knabe mit einem Pflug fertig werden kann, dann kann ich es mit zweien.«
»Geh hin und versuch es«, sagte Saxon eifrig.
»Was hat das für einen Zweck?«
»Fürchtest du dich?« neckte sie ihn, aber mit lächelndem Gesicht. »Du brauchst nichts zu tun als ihn zu fragen. Mehr als nein sagen kann er ja nicht. Und wenn er das tut? Du hieltest doch dem ›Schrecken von Chicago‹ zwanzig Runden stand, ohne zu blinzeln.«
»Ja, aber das ist etwas ganz anderes«, wandte er ein und sprang dann auf der anderen Seite hinunter. »Ich möchte zwei gegen eins wetten, dass der alte Idiot mich zum Teufel schickt.«
»Nein, das tut er nicht. Du brauchst ihm nur zu erzählen, dass du gern lernen willst, und ihn bitten, dass er dich den Pflug ein paarmal herumfahren lässt. Sag’ ihm, er brauchte nichts dafür zu bezahlen.«
»Hm! Wenn er großschnauzig wird, nehme ich ihm den verdammten Pflug einfach weg.«
Vom Zaun aus, in einer Entfernung, dass sie nichts hören konnte, beobachtete Saxon die Begegnung zwischen den beiden Männern. Nach einigen Minuten wurden Billy die Leinen um den Hals gelegt und der Griff in die Hand gesteckt. Dann setzte sich das Gespann in Bewegung, und der alte Mann ging neben Billy und gab ihm seine Anweisungen. Als sie ein paarmal um das Feld herumgekommen waren, schritt der Bauer über den gepflügten Streifen Erde auf Saxon zu.
»Er hat früher schon gepflügt, ein bisschen – nicht wahr?«
Saxon schüttelte den Kopf.
»Nie im Leben! Aber er versteht sich auf Pferde.«
»Ja, ich konnte doch sehen, dass er nicht ganz grün war, und er lernt schnell.« Der Bauer lachte und schnitt sich einen Priem. »Wenn ich hier sitze, kann er mich ja nicht gut müde machen!«
Das ungepflügte Stück wurde immer kleiner, aber Billy machte keine Miene, aufzuhören, und die Zuschauer am Zaun waren in ihr Gespräch vertieft. Saxons Fragen kamen mit rasender Schnelligkeit, und sie brauchte nicht lange, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass der alte Mann große Ähnlichkeit mit der Beschreibung hatte, die der junge Telefonarbeiter von seinem Vater gemacht hatte.
Billy hielt aus, bis das Feld fertig gepflügt war, und der alte Bauer forderte ihn und Saxon auf, die Nacht über bei ihm zu bleiben. Es gebe ein Nebengebäude, das nie benützt würde, wo sie einen kleinen Ofen finden würden, und er sagte auch, dass er ihnen frisch gemolkene Milch geben wollte. Und wenn Saxon gern ihrer Lust zu Bauernarbeit frönen wollte, so könnte sie ja versuchen, die Kuh zu melken.
Sie hatte mit dem Melken nicht so viel Glück wie Billy mit dem Pflügen, als er sich aber hinreichend über sie lustig gemacht hatte, forderte sie ihn auf, es zu versuchen, und es misslang ihm ebenso kläglich wie ihr. Saxon sah alles und fragte nach allem, und es dauerte nicht lange, bis ihnen klar wurde, dass es die Schattenseiten des Landlebens waren, mit denen sie hier Bekanntschaft gemacht hatten. Hof und Besitzer waren gleich veraltet. Hier war nicht die Rede davon, soviel wie möglich aus dem Boden herauszuholen. Es war allzu viel Boden, und er wurde nicht hinreichend bearbeitet. Alles war unsagbar zufällig. Haus und Scheune und Nebengebäude waren recht verfallen. Der Vordergarten war mit Unkraut überwuchert. Einen Gemüsegarten gab es nicht. Der kleine Obstgarten war alt, schlecht und vernachlässigt. Die Bäume waren verwachsen, dünn und mit grauem Moos überwuchert. Die Söhne und Töchter lebten rings in den Städten, wie Saxon erfuhr. Eine Tochter war mit einem Arzt verheiratet, eine andere war Lehrerin an der Staatsschule, ein Sohn war Lokomotivführer, ein anderer Architekt, ein dritter Polizeireporter in San Franzisko. Der Vater sagte, dass sie hin und wieder, wenn es not tat, den Eltern halfen.
»Was meinst du?« fragte Saxon, als Billy nach dem Abendessen seine Zigarette rauchte.
Er zuckte die Achseln.
»Hm! das ist doch ganz einfach. Der alte Idiot ist genau wie sein Obstgarten – bemoost! Nach dem, was wir in San Leandro gesehen haben, ist es so klar, wie wir die Nase mitten im Gesicht haben, dass er nicht das Geringste von Landwirtschaft versteht! Und die Pferde! Es wäre eine reine Wohltat für sie, ja, und eine Ersparnis für ihn, wenn man beide totschösse. Du kannst darauf wetten, dass man die Portugiesen nicht mit solchen Pferden sieht. Und wenn man gute Pferde haben will, so ist der Grund nicht, dass man sich damit dicke tun will. Sie lohnen sich. Das gehört mit zum Geschäft. Alte Pferde fressen mehr als junge, wenn man sie in guter Verfassung behalten will, und können dabei nicht dieselbe Arbeit leisten. Aber du kannst darauf wetten, dass es genau so viel kostet, sie zu beschlagen. Und seine sind obendrein verbraucht. Jede Minute, die er die Pferde behält, bedeutet Geld aus der Tasche für ihn. Du solltest nur sehen, wie sie in der Stadt mit den Pferden rechnen.«
Sie schliefen in dieser Nacht ruhig, und nach dem Frühstück machten sie sich zum Aufbruch bereit.
»Ich möchte euch gern für ein paar Tage Arbeit geben«, sagte der alte Mann beim Abschied bedauernd, »aber ich kann es mir nicht leisten. Der Hof kann jetzt, da die Kinder weg sind, gerade mich und meine alte Frau ernähren. Und das nicht einmal immer. Die Zeiten sind schlecht, und das sind sie im übrigen schon lange. Nichts ist mehr, wie es früher war.«
Früh am Nachmittage, als sie sich San José näherten, machte Saxon halt.
»Hier will ich hineingehen und mich ein bisschen unterhalten, wenn sie die Hunde nicht auf mich hetzen. Das ist die schönste Stelle, die wir bisher gesehen haben, nicht wahr?«
Billy, der sich beständig Höhen und große Felder vorstellte, wo seine Pferde sich tummeln konnten, gab murmelnd, aber nicht gerade begeistert, seine Zustimmung.
»Und das Gemüse! Sieh das nur an! Und die Blumen, die auf den Beeten wachsen. Das ist noch feiner als Tomaten in Packpapier.«
»Ich kann nicht einsehen, wozu das gut sein soll«, wandte Billy ein. »Was hat man von Blumen, die nur den Platz wegnehmen, wo gutes Gemüse wachsen könnte?«
»Ja, das will ich eben herausbringen.« Sie zeigte auf eine Frau, die, über die Erde gebückt, mit einem Spaten vor dem winzigen Hause arbeitete. »Ich weiß nicht, wie sie ist, aber schlimmstenfalls kann sie großschnauzig sein. Schau! Jetzt sieht sie uns an. Leg dein Bündel neben meines und lass uns hineingehen!«
Billy legte sein Bündel auf die Erde, zog aber vor zu bleiben, wo er war. Als Saxon durch den schmalen Gartenweg mit den Blumenbeeten ging, sah sie zwei Männer, die mit dem Gemüse beschäftigt waren – der eine war ein alter Chinese, der andere war ebenfalls alt und dunkeläugig und offenbar auch Ausländer. Hier gab es Zierlichkeit, Tüchtigkeit und äußerste Ausnutzung des Bodens – das konnte selbst ihr ungeübtes Auge sehen. Die Frau erhob sich von den Blumen und wandte sich der Eintretenden zu, und Saxon sah, dass sie in mittleren Jahren, schlank und einfach, aber nett gekleidet war. Sie trug eine Brille, Saxons unmittelbarer Eindruck von ihrem Gesicht war, dass sie freundlich, aber etwas nervös aussah.
»Ich brauche heute nichts«, sagte sie, ehe Saxon Zeit fand, etwas zu sagen, begleitete aber die Ablehnung mit einem freundlichen Lächeln. Saxon stöhnte innerlich bei dem Gedanken an den Rucksack. Die Frau hatte offenbar gesehen, wie sie ihn niedersetzte.
»Wir sind keine Hausierer«, erklärte sie hastig.
»Ja, da müssen Sie wirklich meinen Irrtum entschuldigen.«
Diesmal war das Lächeln der Frau noch freundlicher, und sie wartete ruhig, dass Saxon sagen sollte, was sie wünschte.
Das kam Saxon zupass, und sie begann dann auch ohne weitere Einleitung:
»Wir suchen Ackerboden. Wir wollen Landwirtschaft betreiben, wissen Sie, und ehe wir Boden kaufen, müssen wir uns klar darüber werden, was wir haben wollen. Und als ich Ihren hübschen Hof sah, musste ich etwas von Ihnen hören. Denn sehen Sie, wir verstehen nichts von Landwirtschaft. Wir haben unser ganzes Leben in der Stadt verbracht, und jetzt haben wir uns entschlossen, auf dem Lande zu wohnen und froh und glücklich zu sein.« Sie hielt inne. Ein seltsamer Ausdruck trat in das Gesicht der Frau, aber ihre Liebenswürdigkeit wurde nicht geringer.
»Aber woher wissen Sie denn, dass Sie auf dem Lande glücklich werden?« fragte sie.
»Das weiß ich gar nicht. Ich weiß nur, dass arme Leute in der Stadt nicht glücklich sein können, wo es immer Streiks und dergleichen gibt. Wenn Sie auch auf dem Lande nicht glücklich sein können, dann gibt es nirgends Glück, und das finde ich nicht gerecht, was meinen Sie?«
»Das ist sehr vernünftig gedacht, mein Kind. Aber vergessen Sie nicht, dass es viele arme Leute auf dem Lande gibt und auch viele unglückliche.«
»Aber Sie sehen doch weder arm noch unglücklich aus«, sagte Saxon schnell. »Sie sind wirklich reizend.«
Saxon sah, wie die andere vor Freude errötete, und die Röte färbte ihr Gesicht noch, als sie fortfuhr:
»Aber ich eigne mich vielleicht auch besonders dazu, auf dem Lande zu leben und etwas von meiner Arbeit zu haben. Wie Sie selbst sagen, haben Sie Ihr ganzes Leben in der Stadt verbracht. Sie wissen nichts vom Land. Es würde Sie ganz entmutigen.«
Saxons Gedanken kehrten zurück zu den furchtbaren Monaten in dem kleinen Haus in der Pine Street.
»Ich weiß jedenfalls, dass das Leben in der Stadt mich ganz entmutigt. Vielleicht wird es auf dem Lande ebenso sein, aber deshalb ist es doch meine einzige Möglichkeit, verstehen Sie? Das oder nichts. Außerdem ist meine Familie vom Lande. Es ist gleichsam eine natürlichere Lebensweise. Und was noch besser ist – hier stehe ich, und das beweist doch, dass ich mich innerlich nach dem Lande sehne und, wie Sie es nennen, mich besonders für das Land eignen muss – sonst wäre ich ja gar nicht hier.«
Die andere nickte beifällig und sah Saxon mit steigendem Interesse an.
»Der junge Mann –«, begann sie.
»Das ist mein Mann. Er war Kutscher, bis der große Streik ausbrach. Ich heiße Roberts, Saxon Roberts, und mein Mann heißt William Roberts.«
»Und ich heiße Frau Mortimer«, sagte die andere und neigte höflich den Kopf. »Ich bin Witwe. Und wenn Sie Ihren Mann bitten wollen einzutreten, so werde ich versuchen, einige Ihrer vielen Fragen zu beantworten. Sagen Sie ihm, dass er sein Bündel in den Garten legen soll. – Also was für eine Menge Fragen ist es, die Sie an mich richten wollen?«
»Ach, alles mögliche. Wie machen Sie es, dass es sich lohnt? Wie haben Sie das Ganze eingerichtet? Was hat der Boden gekostet? Haben Sie selbst das schöne Haus gebaut? Wie viel bezahlen Sie den Leuten? Wo haben Sie alles gelernt – was wächst am besten, und was lohnt sich am meisten? Wie kann man es am besten verkaufen? Wie machen Sie es mit dem Verkauf?« Saxon hielt inne und lachte. »Ach, ich habe noch kaum angefangen. Warum haben Sie überall Blumen an den Beeten? Ich habe die portugiesischen Gehöfte in der Nähe von San Leandro gesehen, aber dort sind nie Blumen und Gemüse durcheinander.«
Frau Mortimer hob die Hand. »Lassen Sie mich zuerst die letzte Frage beantworten. Das ist gewissermaßen der Schlüssel zu allem anderen.«
Aber jetzt trat Billy hinzu, und die Erklärung musste aufgeschoben werden, bis er vorgestellt war.
»Die Blumen fingen Ihren Blick, nicht wahr, mein Kind?« begann Frau Mortimer wieder. »Und die Blumen veranlassten Sie, einzutreten und zu mir zu kommen. Ja, und deshalb sind eben die Blumen mit dem Gemüse zusammengepflanzt, um die Aufmerksamkeit der Leute anzuziehen. Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Menschen auf diese Weise in meinen Garten gelockt wurden. Es ist ein guter Weg, der viel von Leuten aus der Stadt befahren wird. Nein, mit Automobilen habe ich kein Glück gehabt. Die können vor Staub nicht sehen. Aber ich fing an, als alle Menschen noch mit Pferden fuhren. Leute aus der Stadt kamen beständig vorbeigefahren. Ihre Aufmerksamkeit wurde angezogen, erst von meinen Blumen und dann von meinem Haus. Dann sagten sie zu dem Kutscher, dass er halten sollte. Und, nun ja, ich richtete es eben so ein, dass ich meistens im Vordergarten war, sodass sie ein Gespräch mit mir anfingen. Und es endete denn auch meistens damit, dass ich sie einlud, meine Blumen anzusehen – und selbstverständlich mein Gemüse. Alles war frisch, rein und nett. Es tat alles seine Wirkung. Und« – Frau Mortimer zuckte die Achseln – »es ist eine alte Geschichte, dass der Magen durch die Augen sieht. Der Gedanke an Gemüse, das zwischen den Blumen wuchs, gefiel ihnen. Sie wollten mein Gemüse haben. Sie mussten es haben. Und sie bekamen es zum doppelten Marktpreis und bezahlten gern.
Sehen Sie, ich kam, wenn ich so sagen darf, in Mode. Niemand verlor dabei. Das Gemüse war wirklich ausgezeichnet, so gutes Gemüse, wie es nur je auf dem Markt zu haben war, und oft auch frischer. Und zudem schlugen meine Kunden zwei Fliegen mit einer Klappe; denn sie konnten sich gleichzeitig einbilden, etwas Gutes zu tun. Sie bekamen nicht nur das beste und frischeste Gemüse, das zu haben war, sondern sie hatten auch gleichzeitig die Befriedigung, zu wissen, dass sie einer würdigen, bedürftigen Witwe helfen. Ja, und es verlieh ihrem Hause ein gewisses vornehmes Gepräge, wenn sie sagen konnten, dass sie ihr Gemüse bei Frau Mortimer kauften. Die andere Seite der Sache Ihnen zu erklären, wäre zu umständlich. Kurz, mein kleines Haus wurde eine Art Ausstellungsobjekt – ein Ausflugsort, wenn man die Zeit totschlagen wollte. Und dann begann es herauszukommen, wer ich war, wer mein Mann und was ich selbst gewesen war. Einige Damen in der Stadt hatte ich persönlich in alten Tagen gekannt, und sie taten das ihre dazu, um mir meinen Erfolg zu sichern. Und dann begann ich, auch Tee zu geben. Ich gebe immer noch Tee, wenn sie mit ihren Freundinnen herausgefahren kommen, um mich zu zeigen. Und da sehen Sie selbst, dass die Blumen dazu beitrugen, meinen Erfolg zu schaffen.«
Saxons Wangen waren ganz heiß vor Begeisterung geworden, als Frau Mortimer jetzt aber Billy ansah, bemerkte sie, dass er nicht recht zufrieden aussah, und dass ein düsterer Ausdruck in seine blauen Augen getreten war.
»Nun, heraus mit der Sprache!« sagte sie ermunternd. »Woran denken Sie?«
Zu Saxons großem Erstaunen antwortete er gleich, und zu ihrem noch größeren Erstaunen galt seine Kritik einem Punkt, an den sie gar nicht dachte.
»Es ist ja nur ein Trick«, erklärte Billy. »Das meinte ich –«
»Aber ein Trick, der sich lohnt«, unterbrach Frau Mortimer ihn, und ihre Augen funkelten lebhaft hinter der Brille.
»Ja und nein!« sagte Billy eigensinnig auf seine gewöhnliche, langsame Art. »Wenn jeder Bauer Blumen und Gemüse mischte, würde kein doppelter Marktpreis dafür bezahlt werden. Alles würde sein, wie es zuvor war.«
»Sie führen eine Theorie ins Feld gegen Tatsachen«, erklärte Frau Mortimer. »Es ist Tatsache, dass nicht alle Bauern das tun. Es ist Tatsache, dass ich den doppelten Preis erhalte. Das können Sie nicht bestreiten.«
Billy war nicht überzeugt, wenn er auch keine Antwort wusste.
»Ja«, murmelte er und schüttelte besonnen den Kopf. »Ich verstehe es nun doch nicht. Etwas stimmt nicht dabei, wenn wir es von unserm Standpunkt aus betrachten, ich meine von meinem und dem meiner Frau. Aber vielleicht werde ich noch dahinterkommen.«
»Und unterdessen wollen wir uns umsehen«, schlug Frau Mortimer vor. »Ich will Ihnen gern alles zeigen und Ihnen erzählen, wie ich es mache. Später wollen wir uns setzen und über die Sache reden, und dann werde ich Ihnen von der ersten Zeit erzählen. Sehen Sie« – sie wandte sich zu Saxon – »Sie sollen wissen, dass man auf dem Lande vorwärts kommen kann, wenn man die Sache nur richtig anpackt. Auch ich verstand nicht das geringste von der Sache, und ich hatte keinen großen hübschen Mann, der mir half, wie Sie. Ich war ganz allein. Aber das werde ich Ihnen später erzählen.«
*
Die nächste Stunde verbrachten sie zwischen Gemüse, Obst, Obststräuchern und Bäumen, und Saxon füllte ihr Gehirn mit einer ungeheuren Menge von Wissen, das sie gelegentlich verdauen konnte. Auch Billy hatte Interesse, überließ es aber Saxon, zu sagen, was zu sagen war, und fragte nur hin und wieder einmal. Hinter dem Hause, wo alles ebenso hübsch und ordentlich wie im Vordergarten war, lag der Hühnerhof. Hier waren in verschiedenen Abteilungen mehrere hundert kleine schneeweiße Hühner.
»Das sind weiße Italiener«, sagte Frau Mortimer. »Sie machen sich keine Vorstellung, was die mir eingebracht haben. Ich behalte kein Huhn auch nur einen einzigen Tag über die beste Zeit hinaus –«
»Genau das, Saxon, was ich von Pferden sage«, unterbrach Billy sie.
»Und weil ich ganz einfach dafür sorge, dass sie zur rechten Zeit ausgebrütet werden – und daran denkt nicht ein Bauer von tausend – so bekomme ich sie dazu, dass sie im Winter legen, wenn die meisten Hühner es nicht mehr tun und die Eier am teuersten sind. Und noch eines: Ich habe meine speziellen Kunden. Die bezahlen mir zehn Cents das Dutzend über die höchste Notierung, weil meine Spezialität Eier sind, die nur einen Tag alt sind.« Hier sah sie zufällig Billy an und erriet, dass er sich mit demselben Problem beschäftigte.
»Immer noch derselbe Einwand?« fragte sie.
Er nickte. »Immer noch derselbe Einwand. Wenn alle Bauern Eier lieferten, die einen Tag alt wären, so würde es keine zehn Cents über den Höchstpreis geben. Sie würden nicht besser dastehen als zu Anfang.«
»Aber die Eier würden nur einen Tag alt sein, alle Eier würden nur einen Tag alt sein; das dürfen Sie nicht vergessen«, sagte Frau Mortimer.
»Ja, aber das bringt meiner Frau und mir kein Geld«, wandte er ein. »Das ist es, worüber ich mir klar werden wollte, und jetzt bin ich es. Sie sprechen von Theorie und von Tatsachen. Zehn Cents über den Höchstpreis, das ist für Saxon und mich nur Theorie. Die Sache ist nämlich, dass wir keine Eier, keine Kücken und keinen Boden haben, wo die Hühner laufen und legen können.«
»Und da ist noch etwas, woraus ich nicht klug werden kann«, fuhr er fort. »Ich kann nicht sagen, was ich meine, aber etwas ist da, soviel ist sicher.«
Dann zeigte Frau Mortimer ihnen ihre Katzen, ihre Schweine, ihre Molkerei und ihre Hunde. Es war nirgends viel, aber sie versicherte ihnen, dass sie gut an allem verdiente, und erzählte mit großer Zungenfertigkeit, was jedes einbrachte. Sie verblüffte sie ganz, als sie ihnen die Preise nannte, die für persische Katzen mit Stammbäumen, für Chester-Schweine von der verbesserte Ohiorasse, für schottische Collies mit Stammbäumen und für Jersey-Kühe verlangt und bezahlt wurden. Für die Milch ihrer Jersey-Kühe hatte sie auch einen besonderen Privatmarkt, und sie erhielt fünf Cents den Liter mehr, als für die beste Milch aus den Meiereien bezahlt wurde. Billy bemerkte bald, dass ein großer Unterschied zwischen ihrem Obstgarten und dem, welchen sie am vorigen Nachmittag besichtigt hatten, bestand, und Frau Mortimer zeigte ihnen Dutzende anderer Unterschiede, die er als Tatsache hinnehmen musste.
Dann erzählte sie ihnen von einer anderen Industrie, von selbst eingemachtem Kompott und Gelée, das im voraus zu Preisen verkauft wurde, die schwindelnd hoch über den üblichen Marktpreisen standen. Sie saßen in bequemen Korbstühlen auf der Veranda, während sie erzählte, wie sie auf ihre Spezialität mit Eingemachtem gekommen war, und wie sie mit dem einzigen Restaurant ersten Ranges und dem einzigen Klub ersten Ranges in San José handelte. Sie war mit den Proben zum Hotelbesitzer und zum Ökonom gegangen, hatte nach langer Diskussion alle Einwände besiegt, hatte ihre Gleichgültigkeit überwunden und den Wirt überredet, aus ihren Waren eine »Spezialität« zu machen, sie im stillen seinen Kunden anzupreisen und vor allem für die Gerichte, zu denen sie verwandt wurden, einen hohen Preis zu nehmen.
Billy hörte alles mit einem verdrossenen, unzufriedenen Ausdruck in den Augen an. Frau Mortimer sah es und wartete.
»Und jetzt müssen Sie uns den Anfang erzählen«, bat Saxon.
Aber Frau Mortimer weigerte sich, wenn sie nicht wenigstens versprächen, über Abend zu bleiben. Billy hatte nicht viel Lust, aber Saxon warf ihm einen strengen Blick zu und sagte für beide zu.
»Nun ja denn«, fuhr Frau Mortimer in ihrem Bericht fort, »anfangs wusste ich ebenso wenig wie alle, die in einer Stadt geboren und erzogen sind. Alles, was ich vom Land wusste, war, dass man in den Ferien hinging, und ich reiste stets in Bäder und Bergsanatorien. Ich hatte fast mein ganzes Leben zwischen Büchern verbracht. Ich war viele Jahre lang Oberbibliothekarin an der Doncaster Bibliothek. Dann heiratete ich Professor Mortimer von der San-Miguel-Universität – er war ein Büchermensch wie ich. Aber dann wurde er krank und lag lange, und als er starb, war nichts mehr übrig. Selbst seine Lebensversicherung war fast ganz draufgegangen, als ich alle Schulden bezahlt hatte. Was mich betraf, so war ich von der Nervosität vollkommen ruiniert und taugte zu nichts. Aber ich hatte noch fünftausend Dollar, und ohne näher auf die Einzelheiten einzugehen, beschloss ich, einen Hof zu kaufen. Ich fand das Grundstück hier. Das Klima ist herrlich, und es liegt nahe bei San José – es sind nur zehn Minuten zu Fuß bis zur Endstation der elektrischen Straßenbahn – und ich kaufte es. Ich bezahlte Zweitausend in bar und nahm eine Hypothek von Zweitausend auf. Der Boden kostete nämlich zweihundert Dollar den Morgen.«
»Zwanzig Morgen also!« rief Saxon.
»War das nicht etwas wenig?« meinte Billy vorsichtig.
»Es war zu viel – viel zu viel. Deshalb verpachtete ich denn auch gleich zehn davon, und die sind immer noch verpachtet. Selbst die zehn, die ich behielt, erwiesen sich lange als zu viel. Erst jetzt wird der Platz ein klein wenig zu eng.«
»Und mit zehn Morgen können Sie sich und zwei Arbeiter ernähren?« fragte Billy erstaunt.
Frau Mortimer schlug vergnügt die Hände zusammen. »Hören Sie! Ich bin Bibliothekarin gewesen, und ich wusste, wie viel man aus Büchern lernen kann. Zuerst las ich alles, was über die Frage geschrieben steht, und abonnierte auf einige der besten landwirtschaftlichen Zeitschriften. Und Sie fragen mich, ob meine zehn Morgen genügt hätten, um mich und zwei Arbeiter zu ernähren! Ich will Ihnen etwas erzählen. Ich beschäftige vier Arbeiter. Die zehn Morgen müssen sie ernähren, und außerdem noch Hanna, die Witwe eines Schweden, die das Haus versorgt, und sie ist ein wahrer Tyrann, solange die Einmachzeit dauert; und dazu Hannas Tochter, die zur Schule geht und hin und wieder mit zupackt, und endlich meinen Neffen, den ich zu mir genommen habe und erziehe. Ja, und es fehlt nicht viel, dass die zehn Morgen den Verdienst für alle zwanzig bringen und für das Haus hier und alle Nebengebäude und den ganzen Viehbestand.«
Saxon musste daran denken, was der junge Telefonarbeiter von den Portugiesen gesagt hatte.
»Aber die zehn Morgen gaben nicht den Ausschlag«, rief sie. »Den gab Ihr eigener Verstand, und das wissen Sie auch gut.«
»Ja, das ist es eben, mein Kind! Das zeigt, dass alle, die vom richtigen Schlage sind, sich auf dem Lande durchschlagen können. Vergessen Sie nicht, dass der Boden freigebig ist. Aber man muss auch selbst freigebig zu ihm sein, und das ist etwas, das der Amerikaner von der alten Schule nicht in den Kopf kriegen kann. Und deshalb ist es auch der Kopf, der zählt. Selbst wenn seine ausgehungerten Äcker ihn endlich überzeugt haben, dass sie Dung brauchen, so sieht er nicht ein, dass billiger Dung und guter Dung zweierlei ist.«
»Darüber möchte ich auch gern etwas wissen«, rief Saxon.
»Ja, ich will Ihnen auch alles erzählen, was ich weiß, aber Sie müssen sehr müde sein. Ich bemerkte, dass Sie hinkten. Kommen Sie mit hinein – kümmern Sie sich nicht um Ihre Bündel, die kann Chang holen.«
Für Saxon, die eine angeborene Liebe für Schönheit und Eleganz in allem, was das rein Persönliche betraf, besaß, war das Innere der Villa die reine Offenbarung. Sie war noch nie in einem Bürgerheim gewesen, und was sie sah, übertraf nicht allein ihre kühnsten Erwartungen, sondern war auch ganz anders, als sie sich vorgestellt hatte. Frau Mortimer bemerkte, wie ihre Augen, die offenbar alles sahen, bei dem Anblick strahlten, und sie machte sich die Mühe, ihnen das Haus zu zeigen, tat es jedoch in einer Form, als sei sie stolz und froh, dass sie ihnen ihre Arbeit zeigen konnte, erzählte, was das Material für die einzelnen Gegenstände gekostet hatte, erklärte, wie sie ein ganz Teil davon mit eigenen Händen verfertigt, die Fußböden lackiert, die Bücherschränke gebeizt und den großen Lehnstuhl zusammengesetzt hatte. Billy ging vorsichtig hinter ihnen her, und wenn es ihm auch nicht einfiel, die feinen Leute, die er gesehen hatte, nachahmen zu wollen, so glückte es ihm doch zu vermeiden, dass er sich besonders auffallender Ungeschicklichkeiten schuldig machte, selbst bei Tisch, wo er und Saxon etwas so einzig Dastehendes erlebten, dass ihnen in einem Privathause von Dienerschaft aufgewartet wurde.
»Wenn Sie doch nur nächstes Jahr gekommen wären«, klagte Frau Mortimer, »dann hätte ich das Fremdenzimmer gehabt, an das ich schon so lange denke.«
»Machen Sie sich nichts daraus!« ergriff Billy das Wort. »Deshalb ist es doch nett von Ihnen. Wir fahren mit der Straßenbahn nach San José und sehen, dort ein Zimmer zu bekommen.«
Frau Mortimer tat es immer noch sehr leid, dass sie sie nicht über Nacht beherbergen konnte, und Saxon brachte das Gespräch auf ein neues Gleis, indem sie sie bat, ihnen mehr zu erzählen.
»Sie erinnern sich, dass ich sagte, ich hätte nur Zweitausend bar für den Hof gegeben«, fuhr Frau Mortimer fort. »Auf diese Weise blieben noch Dreitausend zum Experimentieren. Selbstverständlich prophezeiten mir alle Freunde und Verwandten, dass es schief gehen würde, und selbstverständlich machte ich Dummheiten, massenhaft Dummheiten, aber mir wurde noch mehr erspart, weil ich die Frage so gründlich studiert hatte und es immer weiter tat.« Sie zeigte auf die Bücherregale an den Wänden mit ihrer landwirtschaftlichen Literatur und langen Reihen von landwirtschaftlichen Zeitungen. »Und ich studierte weiter. Ich war entschlossen, mitzukommen, und ich ließ mir alle Berichte von der Versuchsstation kommen. In fast allen Punkten ging ich davon aus, dass das, was die Bauern der alten Schule getan hatten, falsch war, und wissen Sie – es war dabei gar nicht so falsch! Es ist fast unglaublich, wie dumm die Bauern von der alten Schule sind. – Oh, ich beriet mich mit ihnen, stritt mich über die verschiedensten Fragen mit ihnen, griff ihre stereotypen Methoden an, verlangte, dass sie die Richtigkeit ihrer Behauptungen und Vorurteile beweisen sollten, und erreichte schließlich, alle wie einen davon zu überzeugen, dass ich ein Dummkopf war, und dass es mir noch schlecht in der Welt gehen würde.«
»Aber das tat es nicht. Das tat es nicht.«
Frau Mortimer lächelte, und es war ein dankbares Lächeln.
»Zuweilen bin ich freilich selbst erstaunt, dass es nicht schief ging. Aber ich stamme von einem Geschlecht mit einem ganz Teil gesunden Menschenverstand, und wir waren so lange vom Lande weggewesen, dass wir uns neue und freiere Anschauungen über alles angeeignet hatten. Wenn ich überzeugt war, dass etwas vernünftig war, so tat ich es gleich und ganz, wenn es auch noch so verschwenderisch aussah. Zum Beispiel der alte Obstgarten. Wertlos! Schlimmer als wertlos! Der alte Calkins wollte sich ein Herzleiden anärgern, als er sah, wie ich ihn verheerte. Und seht, wie er jetzt aussieht! Wo das Haus jetzt liegt, stand eine elende verfallene Bude. Ich fand mich hinein, ließ aber gleich den Kuhstall, den Schweinekoben, die Hühnerhäuser, die ganze Geschichte abreißen – rottete alles mit Stumpf und Stiel aus. Sie schüttelten den Kopf und jammerten, als sie eine so rücksichtslose Verschwendung bei einer Witwe sahen, die selbst fürs tägliche Brot arbeiten musste. Aber es wurde noch schlimmer, und als ich erzählte, was ich für drei feine Chester-Ferkel bezahlt hatte – ich hatte sie für sechzig Dollar gekauft, obwohl sie eben erst entwöhnt waren – waren sie vollkommen gelähmt. Dann beeilte ich mich, all die alten Hühner von verschiedenen Rassen zu verkaufen und ersetzte sie durch weiße Italiener. Die beiden elenden Kühe, die ich mit übernahm, verkaufte ich für dreißig Dollar das Stück an den Schlachter und bezahlte zweihundertundfünfzig für zwei feine Jersey-Kühe und verdiente noch an dem Tausch; während Calkins und alle anderen ihre alten Tiere behielten, die nicht Milch genug gaben, um Futter und Stall zu bezahlen.«