Jack London – Gesammelte Werke

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Ach, das ist ja so leicht wie gar nichts«, mein­te Bil­ly ver­ächt­lich. »Wenn so ein al­ter Kna­be mit ei­nem Pflug fer­tig wer­den kann, dann kann ich es mit zwei­en.«

»Geh hin und ver­such es«, sag­te Sa­xon eif­rig.

»Was hat das für einen Zweck?«

»Fürch­test du dich?« neck­te sie ihn, aber mit lä­cheln­dem Ge­sicht. »Du brauchst nichts zu tun als ihn zu fra­gen. Mehr als nein sa­gen kann er ja nicht. Und wenn er das tut? Du hiel­test doch dem ›Schre­cken von Chi­ca­go‹ zwan­zig Run­den stand, ohne zu blin­zeln.«

»Ja, aber das ist et­was ganz an­de­res«, wand­te er ein und sprang dann auf der an­de­ren Sei­te hin­un­ter. »Ich möch­te zwei ge­gen eins wet­ten, dass der alte Idi­ot mich zum Teu­fel schickt.«

»Nein, das tut er nicht. Du brauchst ihm nur zu er­zäh­len, dass du gern ler­nen willst, und ihn bit­ten, dass er dich den Pflug ein paar­mal her­um­fah­ren lässt. Sag’ ihm, er brauch­te nichts da­für zu be­zah­len.«

»Hm! Wenn er groß­schnau­zig wird, neh­me ich ihm den ver­damm­ten Pflug ein­fach weg.«

Vom Zaun aus, in ei­ner Ent­fer­nung, dass sie nichts hö­ren konn­te, be­ob­ach­te­te Sa­xon die Be­geg­nung zwi­schen den bei­den Män­nern. Nach ei­ni­gen Mi­nu­ten wur­den Bil­ly die Lei­nen um den Hals ge­legt und der Griff in die Hand ge­steckt. Dann setz­te sich das Ge­spann in Be­we­gung, und der alte Mann ging ne­ben Bil­ly und gab ihm sei­ne An­wei­sun­gen. Als sie ein paar­mal um das Feld her­um­ge­kom­men wa­ren, schritt der Bau­er über den ge­pflüg­ten Strei­fen Erde auf Sa­xon zu.

»Er hat frü­her schon ge­pflügt, ein biss­chen – nicht wahr?«

Sa­xon schüt­tel­te den Kopf.

»Nie im Le­ben! Aber er ver­steht sich auf Pfer­de.«

»Ja, ich konn­te doch se­hen, dass er nicht ganz grün war, und er lernt schnell.« Der Bau­er lach­te und schnitt sich einen Priem. »Wenn ich hier sit­ze, kann er mich ja nicht gut müde ma­chen!«

Das un­ge­pflüg­te Stück wur­de im­mer klei­ner, aber Bil­ly mach­te kei­ne Mie­ne, auf­zu­hö­ren, und die Zuschau­er am Zaun wa­ren in ihr Ge­spräch ver­tieft. Sa­x­ons Fra­gen ka­men mit ra­sen­der Schnel­lig­keit, und sie brauch­te nicht lan­ge, um zu dem Er­geb­nis zu ge­lan­gen, dass der alte Mann große Ähn­lich­keit mit der Be­schrei­bung hat­te, die der jun­ge Te­le­fon­ar­bei­ter von sei­nem Va­ter ge­macht hat­te.

Bil­ly hielt aus, bis das Feld fer­tig ge­pflügt war, und der alte Bau­er for­der­te ihn und Sa­xon auf, die Nacht über bei ihm zu blei­ben. Es gebe ein Ne­ben­ge­bäu­de, das nie be­nützt wür­de, wo sie einen klei­nen Ofen fin­den wür­den, und er sag­te auch, dass er ih­nen frisch ge­mol­ke­ne Milch ge­ben woll­te. Und wenn Sa­xon gern ih­rer Lust zu Bau­er­n­ar­beit frö­nen woll­te, so könn­te sie ja ver­su­chen, die Kuh zu mel­ken.

Sie hat­te mit dem Mel­ken nicht so viel Glück wie Bil­ly mit dem Pflü­gen, als er sich aber hin­rei­chend über sie lus­tig ge­macht hat­te, for­der­te sie ihn auf, es zu ver­su­chen, und es miss­lang ihm eben­so kläg­lich wie ihr. Sa­xon sah al­les und frag­te nach al­lem, und es dau­er­te nicht lan­ge, bis ih­nen klar wur­de, dass es die Schat­ten­sei­ten des Land­le­bens wa­ren, mit de­nen sie hier Be­kannt­schaft ge­macht hat­ten. Hof und Be­sit­zer wa­ren gleich ver­al­tet. Hier war nicht die Rede da­von, so­viel wie mög­lich aus dem Bo­den her­aus­zu­ho­len. Es war all­zu viel Bo­den, und er wur­de nicht hin­rei­chend be­ar­bei­tet. Al­les war un­sag­bar zu­fäl­lig. Haus und Scheu­ne und Ne­ben­ge­bäu­de wa­ren recht ver­fal­len. Der Vor­der­gar­ten war mit Un­kraut über­wu­chert. Ei­nen Ge­mü­se­gar­ten gab es nicht. Der klei­ne Obst­gar­ten war alt, schlecht und ver­nach­läs­sigt. Die Bäu­me wa­ren ver­wach­sen, dünn und mit grau­em Moos über­wu­chert. Die Söh­ne und Töch­ter leb­ten rings in den Städ­ten, wie Sa­xon er­fuhr. Eine Toch­ter war mit ei­nem Arzt ver­hei­ra­tet, eine an­de­re war Leh­re­rin an der Staats­schu­le, ein Sohn war Lo­ko­mo­tiv­füh­rer, ein an­de­rer Archi­tekt, ein drit­ter Po­li­zei­re­por­ter in San Fran­zis­ko. Der Va­ter sag­te, dass sie hin und wie­der, wenn es not tat, den El­tern hal­fen.

»Was meinst du?« frag­te Sa­xon, als Bil­ly nach dem Abendes­sen sei­ne Zi­ga­ret­te rauch­te.

Er zuck­te die Ach­seln.

»Hm! das ist doch ganz ein­fach. Der alte Idi­ot ist ge­nau wie sein Obst­gar­ten – be­moost! Nach dem, was wir in San Le­an­dro ge­se­hen ha­ben, ist es so klar, wie wir die Nase mit­ten im Ge­sicht ha­ben, dass er nicht das Ge­rings­te von Land­wirt­schaft ver­steht! Und die Pfer­de! Es wäre eine rei­ne Wohl­tat für sie, ja, und eine Er­spar­nis für ihn, wenn man bei­de tot­schös­se. Du kannst dar­auf wet­ten, dass man die Por­tu­gie­sen nicht mit sol­chen Pfer­den sieht. Und wenn man gute Pfer­de ha­ben will, so ist der Grund nicht, dass man sich da­mit di­cke tun will. Sie loh­nen sich. Das ge­hört mit zum Ge­schäft. Alte Pfer­de fres­sen mehr als jun­ge, wenn man sie in gu­ter Ver­fas­sung be­hal­ten will, und kön­nen da­bei nicht die­sel­be Ar­beit leis­ten. Aber du kannst dar­auf wet­ten, dass es ge­nau so viel kos­tet, sie zu be­schla­gen. Und sei­ne sind oben­drein ver­braucht. Jede Mi­nu­te, die er die Pfer­de be­hält, be­deu­tet Geld aus der Ta­sche für ihn. Du soll­test nur se­hen, wie sie in der Stadt mit den Pfer­den rech­nen.«

Sie schlie­fen in die­ser Nacht ru­hig, und nach dem Früh­stück mach­ten sie sich zum Auf­bruch be­reit.

»Ich möch­te euch gern für ein paar Tage Ar­beit ge­ben«, sag­te der alte Mann beim Ab­schied be­dau­ernd, »aber ich kann es mir nicht leis­ten. Der Hof kann jetzt, da die Kin­der weg sind, ge­ra­de mich und mei­ne alte Frau er­näh­ren. Und das nicht ein­mal im­mer. Die Zei­ten sind schlecht, und das sind sie im üb­ri­gen schon lan­ge. Nichts ist mehr, wie es frü­her war.«

Früh am Nach­mit­tage, als sie sich San José nä­her­ten, mach­te Sa­xon halt.

»Hier will ich hin­ein­ge­hen und mich ein biss­chen un­ter­hal­ten, wenn sie die Hun­de nicht auf mich het­zen. Das ist die schöns­te Stel­le, die wir bis­her ge­se­hen ha­ben, nicht wahr?«

Bil­ly, der sich be­stän­dig Hö­hen und große Fel­der vor­stell­te, wo sei­ne Pfer­de sich tum­meln konn­ten, gab mur­melnd, aber nicht ge­ra­de be­geis­tert, sei­ne Zu­stim­mung.

»Und das Ge­mü­se! Sieh das nur an! Und die Blu­men, die auf den Bee­ten wach­sen. Das ist noch fei­ner als To­ma­ten in Pack­pa­pier.«

»Ich kann nicht ein­se­hen, wozu das gut sein soll«, wand­te Bil­ly ein. »Was hat man von Blu­men, die nur den Platz weg­neh­men, wo gu­tes Ge­mü­se wach­sen könn­te?«

»Ja, das will ich eben her­aus­brin­gen.« Sie zeig­te auf eine Frau, die, über die Erde ge­bückt, mit ei­nem Spa­ten vor dem win­zi­gen Hau­se ar­bei­te­te. »Ich weiß nicht, wie sie ist, aber schlimms­ten­falls kann sie groß­schnau­zig sein. Schau! Jetzt sieht sie uns an. Leg dein Bün­del ne­ben mei­nes und lass uns hin­ein­ge­hen!«

Bil­ly leg­te sein Bün­del auf die Erde, zog aber vor zu blei­ben, wo er war. Als Sa­xon durch den schma­len Gar­ten­weg mit den Blu­men­bee­ten ging, sah sie zwei Män­ner, die mit dem Ge­mü­se be­schäf­tigt wa­ren – der eine war ein al­ter Chi­ne­se, der an­de­re war eben­falls alt und dun­kel­äu­gig und of­fen­bar auch Aus­län­der. Hier gab es Zier­lich­keit, Tüch­tig­keit und äu­ßers­te Aus­nut­zung des Bo­dens – das konn­te selbst ihr un­ge­üb­tes Auge se­hen. Die Frau er­hob sich von den Blu­men und wand­te sich der Ein­tre­ten­den zu, und Sa­xon sah, dass sie in mitt­le­ren Jah­ren, schlank und ein­fach, aber nett ge­klei­det war. Sie trug eine Bril­le, Sa­x­ons un­mit­tel­ba­rer Ein­druck von ih­rem Ge­sicht war, dass sie freund­lich, aber et­was ner­vös aus­sah.

»Ich brau­che heu­te nichts«, sag­te sie, ehe Sa­xon Zeit fand, et­was zu sa­gen, be­glei­te­te aber die Ab­leh­nung mit ei­nem freund­li­chen Lä­cheln. Sa­xon stöhn­te in­ner­lich bei dem Ge­dan­ken an den Ruck­sack. Die Frau hat­te of­fen­bar ge­se­hen, wie sie ihn nie­der­setz­te.

»Wir sind kei­ne Hau­sie­rer«, er­klär­te sie has­tig.

»Ja, da müs­sen Sie wirk­lich mei­nen Irr­tum ent­schul­di­gen.«

Dies­mal war das Lä­cheln der Frau noch freund­li­cher, und sie war­te­te ru­hig, dass Sa­xon sa­gen soll­te, was sie wünsch­te.

Das kam Sa­xon zu­pass, und sie be­gann dann auch ohne wei­te­re Ein­lei­tung:

»Wir su­chen Acker­bo­den. Wir wol­len Land­wirt­schaft be­trei­ben, wis­sen Sie, und ehe wir Bo­den kau­fen, müs­sen wir uns klar dar­über wer­den, was wir ha­ben wol­len. Und als ich Ihren hüb­schen Hof sah, muss­te ich et­was von Ih­nen hö­ren. Denn se­hen Sie, wir ver­ste­hen nichts von Land­wirt­schaft. Wir ha­ben un­ser gan­zes Le­ben in der Stadt ver­bracht, und jetzt ha­ben wir uns ent­schlos­sen, auf dem Lan­de zu woh­nen und froh und glück­lich zu sein.« Sie hielt inne. Ein selt­sa­mer Aus­druck trat in das Ge­sicht der Frau, aber ihre Lie­bens­wür­dig­keit wur­de nicht ge­rin­ger.

»Aber wo­her wis­sen Sie denn, dass Sie auf dem Lan­de glück­lich wer­den?« frag­te sie.

»Das weiß ich gar nicht. Ich weiß nur, dass arme Leu­te in der Stadt nicht glück­lich sein kön­nen, wo es im­mer Streiks und der­glei­chen gibt. Wenn Sie auch auf dem Lan­de nicht glück­lich sein kön­nen, dann gibt es nir­gends Glück, und das fin­de ich nicht ge­recht, was mei­nen Sie?«

»Das ist sehr ver­nünf­tig ge­dacht, mein Kind. Aber ver­ges­sen Sie nicht, dass es vie­le arme Leu­te auf dem Lan­de gibt und auch vie­le un­glück­li­che.«

»Aber Sie se­hen doch we­der arm noch un­glück­lich aus«, sag­te Sa­xon schnell. »Sie sind wirk­lich rei­zend.«

Sa­xon sah, wie die an­de­re vor Freu­de er­rö­te­te, und die Röte färb­te ihr Ge­sicht noch, als sie fort­fuhr:

»Aber ich eig­ne mich viel­leicht auch be­son­ders dazu, auf dem Lan­de zu le­ben und et­was von mei­ner Ar­beit zu ha­ben. Wie Sie selbst sa­gen, ha­ben Sie Ihr gan­zes Le­ben in der Stadt ver­bracht. Sie wis­sen nichts vom Land. Es wür­de Sie ganz ent­mu­ti­gen.«

 

Sa­x­ons Ge­dan­ken kehr­ten zu­rück zu den furcht­ba­ren Mo­na­ten in dem klei­nen Haus in der Pine Street.

»Ich weiß je­den­falls, dass das Le­ben in der Stadt mich ganz ent­mu­tigt. Vi­el­leicht wird es auf dem Lan­de eben­so sein, aber des­halb ist es doch mei­ne ein­zi­ge Mög­lich­keit, ver­ste­hen Sie? Das oder nichts. Au­ßer­dem ist mei­ne Fa­mi­lie vom Lan­de. Es ist gleich­sam eine na­tür­li­che­re Le­bens­wei­se. Und was noch bes­ser ist – hier ste­he ich, und das be­weist doch, dass ich mich in­ner­lich nach dem Lan­de seh­ne und, wie Sie es nen­nen, mich be­son­ders für das Land eig­nen muss – sonst wäre ich ja gar nicht hier.«

Die an­de­re nick­te bei­fäl­lig und sah Sa­xon mit stei­gen­dem In­ter­es­se an.

»Der jun­ge Mann –«, be­gann sie.

»Das ist mein Mann. Er war Kut­scher, bis der große Streik aus­brach. Ich hei­ße Ro­berts, Sa­xon Ro­berts, und mein Mann heißt Wil­liam Ro­berts.«

»Und ich hei­ße Frau Mor­ti­mer«, sag­te die an­de­re und neig­te höf­lich den Kopf. »Ich bin Wit­we. Und wenn Sie Ihren Mann bit­ten wol­len ein­zu­tre­ten, so wer­de ich ver­su­chen, ei­ni­ge Ih­rer vie­len Fra­gen zu be­ant­wor­ten. Sa­gen Sie ihm, dass er sein Bün­del in den Gar­ten le­gen soll. – Also was für eine Men­ge Fra­gen ist es, die Sie an mich rich­ten wol­len?«

»Ach, al­les mög­li­che. Wie ma­chen Sie es, dass es sich lohnt? Wie ha­ben Sie das Gan­ze ein­ge­rich­tet? Was hat der Bo­den ge­kos­tet? Ha­ben Sie selbst das schö­ne Haus ge­baut? Wie viel be­zah­len Sie den Leu­ten? Wo ha­ben Sie al­les ge­lernt – was wächst am bes­ten, und was lohnt sich am meis­ten? Wie kann man es am bes­ten ver­kau­fen? Wie ma­chen Sie es mit dem Ver­kauf?« Sa­xon hielt inne und lach­te. »Ach, ich habe noch kaum an­ge­fan­gen. Wa­rum ha­ben Sie über­all Blu­men an den Bee­ten? Ich habe die por­tu­gie­si­schen Ge­höf­te in der Nähe von San Le­an­dro ge­se­hen, aber dort sind nie Blu­men und Ge­mü­se durch­ein­an­der.«

Frau Mor­ti­mer hob die Hand. »Las­sen Sie mich zu­erst die letz­te Fra­ge be­ant­wor­ten. Das ist ge­wis­ser­ma­ßen der Schlüs­sel zu al­lem an­de­ren.«

Aber jetzt trat Bil­ly hin­zu, und die Er­klä­rung muss­te auf­ge­scho­ben wer­den, bis er vor­ge­stellt war.

»Die Blu­men fin­gen Ihren Blick, nicht wahr, mein Kind?« be­gann Frau Mor­ti­mer wie­der. »Und die Blu­men ver­an­lass­ten Sie, ein­zu­tre­ten und zu mir zu kom­men. Ja, und des­halb sind eben die Blu­men mit dem Ge­mü­se zu­sam­men­ge­pflanzt, um die Auf­merk­sam­keit der Leu­te an­zu­zie­hen. Sie kön­nen sich nicht vor­stel­len, wie vie­le Men­schen auf die­se Wei­se in mei­nen Gar­ten ge­lockt wur­den. Es ist ein gu­ter Weg, der viel von Leu­ten aus der Stadt be­fah­ren wird. Nein, mit Au­to­mo­bi­len habe ich kein Glück ge­habt. Die kön­nen vor Staub nicht se­hen. Aber ich fing an, als alle Men­schen noch mit Pfer­den fuh­ren. Leu­te aus der Stadt ka­men be­stän­dig vor­bei­ge­fah­ren. Ihre Auf­merk­sam­keit wur­de an­ge­zo­gen, erst von mei­nen Blu­men und dann von mei­nem Haus. Dann sag­ten sie zu dem Kut­scher, dass er hal­ten soll­te. Und, nun ja, ich rich­te­te es eben so ein, dass ich meis­tens im Vor­der­gar­ten war, so­dass sie ein Ge­spräch mit mir an­fin­gen. Und es en­de­te denn auch meis­tens da­mit, dass ich sie ein­lud, mei­ne Blu­men an­zu­se­hen – und selbst­ver­ständ­lich mein Ge­mü­se. Al­les war frisch, rein und nett. Es tat al­les sei­ne Wir­kung. Und« – Frau Mor­ti­mer zuck­te die Ach­seln – »es ist eine alte Ge­schich­te, dass der Ma­gen durch die Au­gen sieht. Der Ge­dan­ke an Ge­mü­se, das zwi­schen den Blu­men wuchs, ge­fiel ih­nen. Sie woll­ten mein Ge­mü­se ha­ben. Sie muss­ten es ha­ben. Und sie be­ka­men es zum dop­pel­ten Markt­preis und be­zahl­ten gern.

Se­hen Sie, ich kam, wenn ich so sa­gen darf, in Mode. Nie­mand ver­lor da­bei. Das Ge­mü­se war wirk­lich aus­ge­zeich­net, so gu­tes Ge­mü­se, wie es nur je auf dem Markt zu ha­ben war, und oft auch fri­scher. Und zu­dem schlu­gen mei­ne Kun­den zwei Flie­gen mit ei­ner Klap­pe; denn sie konn­ten sich gleich­zei­tig ein­bil­den, et­was Gu­tes zu tun. Sie be­ka­men nicht nur das bes­te und fri­sche­s­te Ge­mü­se, das zu ha­ben war, son­dern sie hat­ten auch gleich­zei­tig die Be­frie­di­gung, zu wis­sen, dass sie ei­ner wür­di­gen, be­dürf­ti­gen Wit­we hel­fen. Ja, und es ver­lieh ih­rem Hau­se ein ge­wis­ses vor­neh­mes Ge­prä­ge, wenn sie sa­gen konn­ten, dass sie ihr Ge­mü­se bei Frau Mor­ti­mer kauf­ten. Die an­de­re Sei­te der Sa­che Ih­nen zu er­klä­ren, wäre zu um­ständ­lich. Kurz, mein klei­nes Haus wur­de eine Art Aus­s­tel­lungs­ob­jekt – ein Aus­flugs­ort, wenn man die Zeit tot­schla­gen woll­te. Und dann be­gann es her­aus­zu­kom­men, wer ich war, wer mein Mann und was ich selbst ge­we­sen war. Ei­ni­ge Da­men in der Stadt hat­te ich per­sön­lich in al­ten Ta­gen ge­kannt, und sie ta­ten das ihre dazu, um mir mei­nen Er­folg zu si­chern. Und dann be­gann ich, auch Tee zu ge­ben. Ich gebe im­mer noch Tee, wenn sie mit ih­ren Freun­din­nen her­aus­ge­fah­ren kom­men, um mich zu zei­gen. Und da se­hen Sie selbst, dass die Blu­men dazu bei­tru­gen, mei­nen Er­folg zu schaf­fen.«

Sa­x­ons Wan­gen wa­ren ganz heiß vor Be­geis­te­rung ge­wor­den, als Frau Mor­ti­mer jetzt aber Bil­ly an­sah, be­merk­te sie, dass er nicht recht zu­frie­den aus­sah, und dass ein düs­te­rer Aus­druck in sei­ne blau­en Au­gen ge­tre­ten war.

»Nun, her­aus mit der Spra­che!« sag­te sie er­mun­ternd. »Woran den­ken Sie?«

Zu Sa­x­ons großem Er­stau­nen ant­wor­te­te er gleich, und zu ih­rem noch grö­ße­ren Er­stau­nen galt sei­ne Kri­tik ei­nem Punkt, an den sie gar nicht dach­te.

»Es ist ja nur ein Trick«, er­klär­te Bil­ly. »Das mein­te ich –«

»Aber ein Trick, der sich lohnt«, un­ter­brach Frau Mor­ti­mer ihn, und ihre Au­gen fun­kel­ten leb­haft hin­ter der Bril­le.

»Ja und nein!« sag­te Bil­ly ei­gen­sin­nig auf sei­ne ge­wöhn­li­che, lang­sa­me Art. »Wenn je­der Bau­er Blu­men und Ge­mü­se misch­te, wür­de kein dop­pel­ter Markt­preis da­für be­zahlt wer­den. Al­les wür­de sein, wie es zu­vor war.«

»Sie füh­ren eine Theo­rie ins Feld ge­gen Tat­sa­chen«, er­klär­te Frau Mor­ti­mer. »Es ist Tat­sa­che, dass nicht alle Bau­ern das tun. Es ist Tat­sa­che, dass ich den dop­pel­ten Preis er­hal­te. Das kön­nen Sie nicht be­strei­ten.«

Bil­ly war nicht über­zeugt, wenn er auch kei­ne Ant­wort wuss­te.

»Ja«, mur­mel­te er und schüt­tel­te be­son­nen den Kopf. »Ich ver­ste­he es nun doch nicht. Et­was stimmt nicht da­bei, wenn wir es von un­serm Stand­punkt aus be­trach­ten, ich mei­ne von mei­nem und dem mei­ner Frau. Aber viel­leicht wer­de ich noch da­hin­ter­kom­men.«

»Und un­ter­des­sen wol­len wir uns um­se­hen«, schlug Frau Mor­ti­mer vor. »Ich will Ih­nen gern al­les zei­gen und Ih­nen er­zäh­len, wie ich es ma­che. Spä­ter wol­len wir uns set­zen und über die Sa­che re­den, und dann wer­de ich Ih­nen von der ers­ten Zeit er­zäh­len. Se­hen Sie« – sie wand­te sich zu Sa­xon – »Sie sol­len wis­sen, dass man auf dem Lan­de vor­wärts kom­men kann, wenn man die Sa­che nur rich­tig an­packt. Auch ich ver­stand nicht das ge­rings­te von der Sa­che, und ich hat­te kei­nen großen hüb­schen Mann, der mir half, wie Sie. Ich war ganz al­lein. Aber das wer­de ich Ih­nen spä­ter er­zäh­len.«

*

Die nächs­te Stun­de ver­brach­ten sie zwi­schen Ge­mü­se, Obst, Obst­sträu­chern und Bäu­men, und Sa­xon füll­te ihr Ge­hirn mit ei­ner un­ge­heu­ren Men­ge von Wis­sen, das sie ge­le­gent­lich ver­dau­en konn­te. Auch Bil­ly hat­te In­ter­es­se, über­ließ es aber Sa­xon, zu sa­gen, was zu sa­gen war, und frag­te nur hin und wie­der ein­mal. Hin­ter dem Hau­se, wo al­les eben­so hübsch und or­dent­lich wie im Vor­der­gar­ten war, lag der Hüh­ner­hof. Hier wa­ren in ver­schie­de­nen Ab­tei­lun­gen meh­re­re hun­dert klei­ne schnee­wei­ße Hüh­ner.

»Das sind wei­ße Ita­lie­ner«, sag­te Frau Mor­ti­mer. »Sie ma­chen sich kei­ne Vor­stel­lung, was die mir ein­ge­bracht ha­ben. Ich be­hal­te kein Huhn auch nur einen ein­zi­gen Tag über die bes­te Zeit hin­aus –«

»Genau das, Sa­xon, was ich von Pfer­den sage«, un­ter­brach Bil­ly sie.

»Und weil ich ganz ein­fach da­für sor­ge, dass sie zur rech­ten Zeit aus­ge­brü­tet wer­den – und dar­an denkt nicht ein Bau­er von tau­send – so be­kom­me ich sie dazu, dass sie im Win­ter le­gen, wenn die meis­ten Hüh­ner es nicht mehr tun und die Eier am teu­ers­ten sind. Und noch ei­nes: Ich habe mei­ne spe­zi­el­len Kun­den. Die be­zah­len mir zehn Cents das Dut­zend über die höchs­te No­tie­rung, weil mei­ne Spe­zia­li­tät Eier sind, die nur einen Tag alt sind.« Hier sah sie zu­fäl­lig Bil­ly an und er­riet, dass er sich mit dem­sel­ben Pro­blem be­schäf­tig­te.

»Im­mer noch der­sel­be Ein­wand?« frag­te sie.

Er nick­te. »Im­mer noch der­sel­be Ein­wand. Wenn alle Bau­ern Eier lie­fer­ten, die einen Tag alt wä­ren, so wür­de es kei­ne zehn Cents über den Höchst­preis ge­ben. Sie wür­den nicht bes­ser da­ste­hen als zu An­fang.«

»Aber die Eier wür­den nur einen Tag alt sein, alle Eier wür­den nur einen Tag alt sein; das dür­fen Sie nicht ver­ges­sen«, sag­te Frau Mor­ti­mer.

»Ja, aber das bringt mei­ner Frau und mir kein Geld«, wand­te er ein. »Das ist es, wor­über ich mir klar wer­den woll­te, und jetzt bin ich es. Sie spre­chen von Theo­rie und von Tat­sa­chen. Zehn Cents über den Höchst­preis, das ist für Sa­xon und mich nur Theo­rie. Die Sa­che ist näm­lich, dass wir kei­ne Eier, kei­ne Kücken und kei­nen Bo­den ha­ben, wo die Hüh­ner lau­fen und le­gen kön­nen.«

»Und da ist noch et­was, wor­aus ich nicht klug wer­den kann«, fuhr er fort. »Ich kann nicht sa­gen, was ich mei­ne, aber et­was ist da, so­viel ist si­cher.«

Dann zeig­te Frau Mor­ti­mer ih­nen ihre Kat­zen, ihre Schwei­ne, ihre Mol­ke­rei und ihre Hun­de. Es war nir­gends viel, aber sie ver­si­cher­te ih­nen, dass sie gut an al­lem ver­dien­te, und er­zähl­te mit großer Zun­gen­fer­tig­keit, was je­des ein­brach­te. Sie ver­blüff­te sie ganz, als sie ih­nen die Prei­se nann­te, die für per­si­sche Kat­zen mit Stamm­bäu­men, für Che­s­ter-Schwei­ne von der ver­bes­ser­te Ohio­ras­se, für schot­ti­sche Col­lies mit Stamm­bäu­men und für Jer­sey-Kühe ver­langt und be­zahlt wur­den. Für die Milch ih­rer Jer­sey-Kühe hat­te sie auch einen be­son­de­ren Pri­vat­markt, und sie er­hielt fünf Cents den Li­ter mehr, als für die bes­te Milch aus den Meie­rei­en be­zahlt wur­de. Bil­ly be­merk­te bald, dass ein großer Un­ter­schied zwi­schen ih­rem Obst­gar­ten und dem, wel­chen sie am vo­ri­gen Nach­mit­tag be­sich­tigt hat­ten, be­stand, und Frau Mor­ti­mer zeig­te ih­nen Dut­zen­de an­de­rer Un­ter­schie­de, die er als Tat­sa­che hin­neh­men muss­te.

Dann er­zähl­te sie ih­nen von ei­ner an­de­ren In­dus­trie, von selbst ein­ge­mach­tem Kom­pott und Gelée, das im vor­aus zu Prei­sen ver­kauft wur­de, die schwin­delnd hoch über den üb­li­chen Markt­prei­sen stan­den. Sie sa­ßen in be­que­men Korb­stüh­len auf der Ve­ran­da, wäh­rend sie er­zähl­te, wie sie auf ihre Spe­zia­li­tät mit Ein­ge­mach­tem ge­kom­men war, und wie sie mit dem ein­zi­gen Re­stau­rant ers­ten Ran­ges und dem ein­zi­gen Klub ers­ten Ran­ges in San José han­del­te. Sie war mit den Pro­ben zum Ho­tel­be­sit­zer und zum Öko­nom ge­gan­gen, hat­te nach lan­ger Dis­kus­si­on alle Ein­wän­de be­siegt, hat­te ihre Gleich­gül­tig­keit über­wun­den und den Wirt über­re­det, aus ih­ren Wa­ren eine »Spe­zia­li­tät« zu ma­chen, sie im stil­len sei­nen Kun­den an­zu­prei­sen und vor al­lem für die Ge­rich­te, zu de­nen sie ver­wandt wur­den, einen ho­hen Preis zu neh­men.

Bil­ly hör­te al­les mit ei­nem ver­dros­se­nen, un­zu­frie­de­nen Aus­druck in den Au­gen an. Frau Mor­ti­mer sah es und war­te­te.

»Und jetzt müs­sen Sie uns den An­fang er­zäh­len«, bat Sa­xon.

Aber Frau Mor­ti­mer wei­ger­te sich, wenn sie nicht we­nigs­tens ver­sprä­chen, über Abend zu blei­ben. Bil­ly hat­te nicht viel Lust, aber Sa­xon warf ihm einen stren­gen Blick zu und sag­te für bei­de zu.

»Nun ja denn«, fuhr Frau Mor­ti­mer in ih­rem Be­richt fort, »an­fangs wuss­te ich eben­so we­nig wie alle, die in ei­ner Stadt ge­bo­ren und er­zo­gen sind. Al­les, was ich vom Land wuss­te, war, dass man in den Fe­ri­en hin­ging, und ich reis­te stets in Bä­der und Bergs­a­na­to­ri­en. Ich hat­te fast mein gan­zes Le­ben zwi­schen Bü­chern ver­bracht. Ich war vie­le Jah­re lang Ober­bi­blio­the­ka­rin an der Don­cas­ter Biblio­thek. Dann hei­ra­te­te ich Pro­fes­sor Mor­ti­mer von der San-Mi­guel-Uni­ver­si­tät – er war ein Bü­cher­mensch wie ich. Aber dann wur­de er krank und lag lan­ge, und als er starb, war nichts mehr üb­rig. Selbst sei­ne Le­bens­ver­si­che­rung war fast ganz drauf­ge­gan­gen, als ich alle Schul­den be­zahlt hat­te. Was mich be­traf, so war ich von der Ner­vo­si­tät voll­kom­men rui­niert und taug­te zu nichts. Aber ich hat­te noch fünf­tau­send Dol­lar, und ohne nä­her auf die Ein­zel­hei­ten ein­zu­ge­hen, be­schloss ich, einen Hof zu kau­fen. Ich fand das Grund­stück hier. Das Kli­ma ist herr­lich, und es liegt nahe bei San José – es sind nur zehn Mi­nu­ten zu Fuß bis zur End­sta­ti­on der elek­tri­schen Stra­ßen­bahn – und ich kauf­te es. Ich be­zahl­te Zwei­tau­send in bar und nahm eine Hy­po­thek von Zwei­tau­send auf. Der Bo­den kos­te­te näm­lich zwei­hun­dert Dol­lar den Mor­gen.«

 

»Zwan­zig Mor­gen also!« rief Sa­xon.

»War das nicht et­was we­nig?« mein­te Bil­ly vor­sich­tig.

»Es war zu viel – viel zu viel. Des­halb ver­pach­te­te ich denn auch gleich zehn da­von, und die sind im­mer noch ver­pach­tet. Selbst die zehn, die ich be­hielt, er­wie­sen sich lan­ge als zu viel. Erst jetzt wird der Platz ein klein we­nig zu eng.«

»Und mit zehn Mor­gen kön­nen Sie sich und zwei Ar­bei­ter er­näh­ren?« frag­te Bil­ly er­staunt.

Frau Mor­ti­mer schlug ver­gnügt die Hän­de zu­sam­men. »Hö­ren Sie! Ich bin Biblio­the­ka­rin ge­we­sen, und ich wuss­te, wie viel man aus Bü­chern ler­nen kann. Zu­erst las ich al­les, was über die Fra­ge ge­schrie­ben steht, und abon­nier­te auf ei­ni­ge der bes­ten land­wirt­schaft­li­chen Zeit­schrif­ten. Und Sie fra­gen mich, ob mei­ne zehn Mor­gen ge­nügt hät­ten, um mich und zwei Ar­bei­ter zu er­näh­ren! Ich will Ih­nen et­was er­zäh­len. Ich be­schäf­ti­ge vier Ar­bei­ter. Die zehn Mor­gen müs­sen sie er­näh­ren, und au­ßer­dem noch Han­na, die Wit­we ei­nes Schwe­den, die das Haus ver­sorgt, und sie ist ein wah­rer Ty­rann, so­lan­ge die Ein­mach­zeit dau­ert; und dazu Han­nas Toch­ter, die zur Schu­le geht und hin und wie­der mit zu­packt, und end­lich mei­nen Nef­fen, den ich zu mir ge­nom­men habe und er­zie­he. Ja, und es fehlt nicht viel, dass die zehn Mor­gen den Ver­dienst für alle zwan­zig brin­gen und für das Haus hier und alle Ne­ben­ge­bäu­de und den gan­zen Vieh­be­stand.«

Sa­xon muss­te dar­an den­ken, was der jun­ge Te­le­fon­ar­bei­ter von den Por­tu­gie­sen ge­sagt hat­te.

»Aber die zehn Mor­gen ga­ben nicht den Aus­schlag«, rief sie. »Den gab Ihr ei­ge­ner Ver­stand, und das wis­sen Sie auch gut.«

»Ja, das ist es eben, mein Kind! Das zeigt, dass alle, die vom rich­ti­gen Schla­ge sind, sich auf dem Lan­de durch­schla­gen kön­nen. Ver­ges­sen Sie nicht, dass der Bo­den frei­ge­big ist. Aber man muss auch selbst frei­ge­big zu ihm sein, und das ist et­was, das der Ame­ri­ka­ner von der al­ten Schu­le nicht in den Kopf krie­gen kann. Und des­halb ist es auch der Kopf, der zählt. Selbst wenn sei­ne aus­ge­hun­ger­ten Äcker ihn end­lich über­zeugt ha­ben, dass sie Dung brau­chen, so sieht er nicht ein, dass bil­li­ger Dung und gu­ter Dung zwei­er­lei ist.«

»Dar­über möch­te ich auch gern et­was wis­sen«, rief Sa­xon.

»Ja, ich will Ih­nen auch al­les er­zäh­len, was ich weiß, aber Sie müs­sen sehr müde sein. Ich be­merk­te, dass Sie hin­k­ten. Kom­men Sie mit hin­ein – küm­mern Sie sich nicht um Ihre Bün­del, die kann Chang ho­len.«

Für Sa­xon, die eine an­ge­bo­re­ne Lie­be für Schön­heit und Ele­ganz in al­lem, was das rein Per­sön­li­che be­traf, be­saß, war das In­ne­re der Vil­la die rei­ne Of­fen­ba­rung. Sie war noch nie in ei­nem Bür­ger­heim ge­we­sen, und was sie sah, über­traf nicht al­lein ihre kühns­ten Er­war­tun­gen, son­dern war auch ganz an­ders, als sie sich vor­ge­stellt hat­te. Frau Mor­ti­mer be­merk­te, wie ihre Au­gen, die of­fen­bar al­les sa­hen, bei dem An­blick strahl­ten, und sie mach­te sich die Mühe, ih­nen das Haus zu zei­gen, tat es je­doch in ei­ner Form, als sei sie stolz und froh, dass sie ih­nen ihre Ar­beit zei­gen konn­te, er­zähl­te, was das Ma­te­ri­al für die ein­zel­nen Ge­gen­stän­de ge­kos­tet hat­te, er­klär­te, wie sie ein ganz Teil da­von mit ei­ge­nen Hän­den ver­fer­tigt, die Fuß­bö­den la­ckiert, die Bü­cher­schrän­ke ge­beizt und den großen Lehn­stuhl zu­sam­men­ge­setzt hat­te. Bil­ly ging vor­sich­tig hin­ter ih­nen her, und wenn es ihm auch nicht ein­fiel, die fei­nen Leu­te, die er ge­se­hen hat­te, nach­ah­men zu wol­len, so glück­te es ihm doch zu ver­mei­den, dass er sich be­son­ders auf­fal­len­der Un­ge­schick­lich­kei­ten schul­dig mach­te, selbst bei Tisch, wo er und Sa­xon et­was so ein­zig Da­ste­hen­des er­leb­ten, dass ih­nen in ei­nem Pri­vat­hau­se von Die­ner­schaft auf­ge­war­tet wur­de.

»Wenn Sie doch nur nächs­tes Jahr ge­kom­men wä­ren«, klag­te Frau Mor­ti­mer, »dann hät­te ich das Frem­den­zim­mer ge­habt, an das ich schon so lan­ge den­ke.«

»Ma­chen Sie sich nichts dar­aus!« er­griff Bil­ly das Wort. »Des­halb ist es doch nett von Ih­nen. Wir fah­ren mit der Stra­ßen­bahn nach San José und se­hen, dort ein Zim­mer zu be­kom­men.«

Frau Mor­ti­mer tat es im­mer noch sehr leid, dass sie sie nicht über Nacht be­her­ber­gen konn­te, und Sa­xon brach­te das Ge­spräch auf ein neu­es Gleis, in­dem sie sie bat, ih­nen mehr zu er­zäh­len.

»Sie er­in­nern sich, dass ich sag­te, ich hät­te nur Zwei­tau­send bar für den Hof ge­ge­ben«, fuhr Frau Mor­ti­mer fort. »Auf die­se Wei­se blie­ben noch Drei­tau­send zum Ex­pe­ri­men­tie­ren. Selbst­ver­ständ­lich pro­phe­zei­ten mir alle Freun­de und Ver­wand­ten, dass es schief ge­hen wür­de, und selbst­ver­ständ­lich mach­te ich Dumm­hei­ten, mas­sen­haft Dumm­hei­ten, aber mir wur­de noch mehr er­spart, weil ich die Fra­ge so gründ­lich stu­diert hat­te und es im­mer wei­ter tat.« Sie zeig­te auf die Bü­cher­re­ga­le an den Wän­den mit ih­rer land­wirt­schaft­li­chen Li­te­ra­tur und lan­gen Rei­hen von land­wirt­schaft­li­chen Zei­tun­gen. »Und ich stu­dier­te wei­ter. Ich war ent­schlos­sen, mit­zu­kom­men, und ich ließ mir alle Be­rich­te von der Ver­suchs­sta­ti­on kom­men. In fast al­len Punk­ten ging ich da­von aus, dass das, was die Bau­ern der al­ten Schu­le ge­tan hat­ten, falsch war, und wis­sen Sie – es war da­bei gar nicht so falsch! Es ist fast un­glaub­lich, wie dumm die Bau­ern von der al­ten Schu­le sind. – Oh, ich be­riet mich mit ih­nen, stritt mich über die ver­schie­dens­ten Fra­gen mit ih­nen, griff ihre ste­reo­ty­pen Metho­den an, ver­lang­te, dass sie die Rich­tig­keit ih­rer Be­haup­tun­gen und Vor­ur­tei­le be­wei­sen soll­ten, und er­reich­te schließ­lich, alle wie einen da­von zu über­zeu­gen, dass ich ein Dumm­kopf war, und dass es mir noch schlecht in der Welt ge­hen wür­de.«

»Aber das tat es nicht. Das tat es nicht.«

Frau Mor­ti­mer lä­chel­te, und es war ein dank­ba­res Lä­cheln.

»Zu­wei­len bin ich frei­lich selbst er­staunt, dass es nicht schief ging. Aber ich stam­me von ei­nem Ge­schlecht mit ei­nem ganz Teil ge­sun­den Men­schen­ver­stand, und wir wa­ren so lan­ge vom Lan­de weg­ge­we­sen, dass wir uns neue und freie­re An­schau­un­gen über al­les an­ge­eig­net hat­ten. Wenn ich über­zeugt war, dass et­was ver­nünf­tig war, so tat ich es gleich und ganz, wenn es auch noch so ver­schwen­de­risch aus­sah. Zum Bei­spiel der alte Obst­gar­ten. Wert­los! Schlim­mer als wert­los! Der alte Cal­kins woll­te sich ein Herz­lei­den an­är­gern, als er sah, wie ich ihn ver­heer­te. Und seht, wie er jetzt aus­sieht! Wo das Haus jetzt liegt, stand eine elen­de ver­fal­le­ne Bude. Ich fand mich hin­ein, ließ aber gleich den Kuh­stall, den Schwei­ne­ko­ben, die Hüh­ner­häu­ser, die gan­ze Ge­schich­te ab­rei­ßen – rot­te­te al­les mit Stumpf und Stiel aus. Sie schüt­tel­ten den Kopf und jam­mer­ten, als sie eine so rück­sichts­lo­se Ver­schwen­dung bei ei­ner Wit­we sa­hen, die selbst fürs täg­li­che Brot ar­bei­ten muss­te. Aber es wur­de noch schlim­mer, und als ich er­zähl­te, was ich für drei fei­ne Che­s­ter-Fer­kel be­zahlt hat­te – ich hat­te sie für sech­zig Dol­lar ge­kauft, ob­wohl sie eben erst ent­wöhnt wa­ren – wa­ren sie voll­kom­men ge­lähmt. Dann be­eil­te ich mich, all die al­ten Hüh­ner von ver­schie­de­nen Ras­sen zu ver­kau­fen und er­setz­te sie durch wei­ße Ita­lie­ner. Die bei­den elen­den Kühe, die ich mit über­nahm, ver­kauf­te ich für drei­ßig Dol­lar das Stück an den Schlach­ter und be­zahl­te zwei­hun­dert­und­fünf­zig für zwei fei­ne Jer­sey-Kühe und ver­dien­te noch an dem Tausch; wäh­rend Cal­kins und alle an­de­ren ihre al­ten Tie­re be­hiel­ten, die nicht Milch ge­nug ga­ben, um Fut­ter und Stall zu be­zah­len.«