Jack London – Gesammelte Werke

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Bil­ly nick­te bei­fäl­lig. »Denk dar­an, was ich dir von Pfer­den er­zähl­te!« sag­te er wie­der zu Sa­xon.

Und auf An­trei­ben Frau Mor­ti­mers ent­wi­ckel­te er sehr ver­nünf­ti­ge An­schau­un­gen über Pfer­de und die Art, wie man rein ge­schäfts­mä­ßig das meis­te aus ih­nen her­aus­be­kom­men konn­te.

Als er hin­aus­ging, um eine Zi­ga­ret­te zu rau­chen, brach­te Frau Mor­ti­mer Sa­xon dazu, et­was über sich und Bil­ly zu er­zäh­len, und sie war nicht im ge­rings­ten em­pört, als sie von sei­nem Bo­xen und sei­ner Nei­gung, Streik­bre­cher zu ver­prü­geln, hör­te.

»Er ist ein pracht­vol­ler jun­ger Mann – und gut!« sag­te sie zu Sa­xon. »Das kann man sei­nem Ge­sicht an­se­hen. Und was das bes­te von al­lem ist – er liebt Sie und ist stolz auf Sie. Sie ah­nen nicht, wel­che Freu­de es mir macht, ihn zu be­ob­ach­ten, wenn er Sie an­sieht, na­ment­lich wenn Sie spre­chen. Er hat Ach­tung vor Ih­rer Ur­teils­kraft. Und das muss er na­tür­lich ha­ben, wenn er Ih­nen auf die­se Pil­ger­fahrt ge­folgt ist, die so ganz und gar Ihre Idee ist.« Frau Mor­ti­mer seufz­te. »Sie sind sehr glück­lich, mein lie­bes Kind, sehr glück­lich! Und da­bei wis­sen Sie noch nicht ein­mal, was der Kopf ei­nes Man­nes wert ist. War­ten Sie, bis er Feu­er und Flam­me für Ihren Plan ist! Sie wer­den ganz ver­blüfft sein, wie er sich die Din­ge an­eig­net. Sie wer­den sich an­stren­gen müs­sen, um Schritt mit ihm zu hal­ten. Bis da­hin müs­sen Sie ihn füh­ren. Ver­ges­sen sie nicht, dass er im­mer in der Stadt er­zo­gen ist. Es wird ein schwe­rer Kampf sein, ihm die ein­zi­ge Form des Da­seins, die er ge­kannt hat, ab­zu­ge­wöh­nen.«

»Aber er litt auch un­ter dem Le­ben in der Stadt«, be­gann Sa­xon.

»Aber nicht auf die­sel­be Art wie Sie. Lie­be ist nicht al­les für den Manu, wie sie es für die Frau ist. Das Le­ben in der Stadt quäl­te Sie mehr, als es ihn quäl­te. Sie wa­ren es, die das süße Kind ver­lo­ren. Sein In­ter­es­se für das Kind und sei­ne Ver­bin­dung mit ihm war zu­fäl­lig und lo­cker im Ver­gleich mit der Tie­fe und In­nig­keit Ih­rer Ge­füh­le.«

Frau Mor­ti­mer wand­te sich wie­der zu Bil­ly, der in die­sem Au­gen­blick in die Stu­be trat.

»Nun, sind Sie jetzt da­hin­ter ge­kom­men, was Sie stört?« frag­te sie.

»So ei­ni­ger­ma­ßen«, ant­wor­te­te er und setz­te sich auf ihre Auf­for­de­rung in den großen Ses­sel. »Es hängt so zu­sam­men –«

»War­ten Sie einen Au­gen­blick«, sag­te Frau Mor­ti­mer. »Das ist ein schö­ner, großer und star­ker Stuhl – und Sie sind eben­so – je­den­falls groß und stark, und Ihr klei­nes Frau­chen ist sehr müde – nein, nein, blei­ben Sie nur sit­zen; es sind Ihre Kräf­te, die sie braucht. Ja, es ist mein Ernst. Brei­ten Sie die Arme aus, Ver­ehr­tes­ter.«

Sie führ­te Sa­xon zu ihm hin und setz­te sie auf sei­nen Schoß. »Und jetzt – Sie se­hen rei­zend aus, Sie bei­den – jetzt rücken Sie her­aus mit Ihren Ein­wän­den ge­gen mei­ne Art und Wei­se, mir mein Brot zu ver­die­nen.«

»Es ist nicht Ihre Art und Wei­se«, wand­te Bil­ly has­tig ein. »Ihre Art und Wei­se ist sehr gut. Sie ist groß­ar­tig. Was ich sa­gen will, ist nur, dass Ihre Art und Wei­se nicht für uns passt. Für uns wür­de das so nicht ge­hen. Se­hen Sie, Sie ha­ben Ver­bin­dun­gen, wohl­ha­ben­de Be­kann­te, Leu­te, die wuss­ten, dass Sie Biblio­the­ka­rin ge­we­sen wa­ren und Ihr Mann Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor. Und Sie hat­ten« – er zö­ger­te einen Au­gen­blick, als woll­te er sei­ne Ge­dan­ken in eine fes­te Form zwin­gen. »Nun ja, Sie ha­ben et­was, was wir nicht be­kom­men kön­nen. Sie wa­ren eine ge­lehr­te Dame und – ja, ich weiß nicht recht, aber ich kann mir den­ken, dass Sie Be­scheid wuss­ten mit fei­nen Leu­ten und Ge­schäf­ten – auf eine Art und Wei­se, die wir nie ka­pie­ren wer­den.«

»Aber mein lie­ber jun­ger Freund, Sie kön­nen leicht ler­nen, was Sie brau­chen«, wand­te sie ein.

Bil­ly schüt­tel­te den Kopf.

»Nein, Sie ver­ste­hen mich nicht. Vi­el­leicht kann ich es Ih­nen durch ein Bei­spiel klar­ma­chen. Neh­men Sie an, ich wäre es, der das Ge­schäft mit dem Ein­ge­mach­ten ma­chen woll­te, und ich gin­ge ge­ra­des­wegs in die­ses vor­neh­me Re­stau­rant, wie Sie es ta­ten, um mit dem Al­ten zu re­den. Nun, so­bald ich in sein Kon­tor trä­te, wäre ich wie ein Fisch auf dem Trock­nen. Und noch schlim­mer – ich wür­de das sel­ber füh­len. Da­durch wür­de ich ge­reizt wer­den und ge­neigt sein; Krach zu schla­gen, was nicht ge­ra­de die bes­te Art ist, Ge­schäf­te zu ma­chen. Und da­bei hät­te ich das Ge­fühl, dass er mich für einen Ban­di­ten hiel­te, der ihm sein Ein­ge­mach­tes auf­drän­gen woll­te. Und wie wür­de es dann ge­hen? Ich wür­de groß­schnäu­zig wer­den – das ist so si­cher wie nur et­was. Und ich wür­de glau­ben, dass er mich für einen Esel hiel­te, und dann wür­de ich los­plat­zen und ihm er­zäh­len, dass er ein Esel sei. Ver­ste­hen Sie? Ich bin eben so er­zo­gen. Ich wür­de ihm zu ver­ste­hen ge­ben, dass er kau­fen könn­te oder nicht, wie es ihm pass­te, und auf die Art kann man kein Ein­ge­mach­tes ver­kau­fen.«

»Was Sie da sa­gen, ist sehr rich­tig«, sag­te Frau Mor­ti­mer hei­ter. »Aber Sie ha­ben doch Ihre Frau. Se­hen Sie sie nur an! Sie könn­te schon auf je­den Ge­schäfts­mann Ein­druck ma­chen. Er wür­de sie mehr als gern an­hö­ren.«

Bil­ly rich­te­te sich auf, und ein zor­ni­ger, fins­te­rer Aus­druck trat in sei­ne Au­gen.

»Was habe ich nun schon wie­der ge­tan«, lach­te Frau Mor­ti­mer.

»Ich bin noch nicht so tief ge­sun­ken, dass ich Ge­schäf­te auf das hüb­sche Ge­sicht mei­ner Frau hin ma­chen will«, brumm­te er grim­mig.

»Nein, das ist sehr rich­tig. Aber Sie bei­de sind eben fünf­zig Jah­re hin­ter Ih­rer Zeit zu­rück. Sie sind Ame­ri­ka­ner von der al­ten Schu­le. Wie es über­haupt un­ter mo­der­nen Le­bens­be­din­gun­gen Leu­te Ihres Schla­ges ge­ben kann, ist ein rei­nes Wun­der. Wer hat in die­ser de­ge­ne­rier­ten Zeit je von ei­nem jun­gen Mann und ei­ner jun­gen Frau ge­hört, die sich ihr Bett­zeug auf den Rücken lu­den und aus­wan­der­ten, um Bo­den zu su­chen? Das ist der Geist, der sei­ner­zeit die Ar­go­nau­ten be­seel­te. Sie sind ge­nau wie die, wel­che ih­ren Och­sen das Joch auf­leg­ten und west­wärts nach den Län­dern jen­seits des Son­nen­un­ter­gan­ges wan­der­ten. Ich wet­te, Ihre Vä­ter und Müt­ter, oder Ihre Groß­vä­ter und Groß­müt­ter ge­hör­ten dem Ge­schlecht an.«

Sa­x­ons Au­gen leuch­te­ten, und der zor­ni­ge Aus­druck ver­schwand aus Bil­lys Ge­sicht. Bei­de nick­ten.

»Ich ge­hö­re selbst ei­nem der al­ten Ge­schlech­ter an«, fuhr Frau Mor­ti­mer stolz fort. »Mei­ne Groß­mut­ter war eine der we­ni­gen Über­le­ben­den der Ve­r­un­glück­ten im Donn­er­zug. Mein Groß­va­ter, Ja­son Whit­ney, war ei­ner von de­nen, die die Bä­ren­flag­ge in So­no­ma hiß­ten. Er war in Mon­te­rey, als John Mar­schall in Sut­ters Mühl­bach Gold fand. Eine Stra­ße in San Fran­zis­ko ist nach ihm ge­nannt.«

»Die ken­ne ich«, warf Bil­ly ein. »Whit­ney Street. In der Nähe vom Rus­si­an Hill. Sa­x­ons Mut­ter ist auch über die Prä­rie hier­her ge­wan­dert.«

»Und Bil­lys Groß­va­ter und Groß­mut­ter wur­den von den In­dia­nern nie­der­ge­macht«, sag­te Sa­xon. »Sein Va­ter war ein klei­ner Jun­ge, der un­ter den In­dia­nern leb­te, bis die Wei­ßen ihn wie­der hol­ten. Er wuss­te nicht ein­mal, wie er hieß, und wur­de von ei­nem Mann na­mens Ro­berts ad­op­tiert.«

»Aber Kin­der, da sind wir ja bei­na­he ver­wandt«, sag­te Frau Mor­ti­mer freu­de­strah­lend. »Das ist wie ein Hauch aus al­ten Ta­gen, den al­ten Ta­gen, die lei­der in un­se­rer ei­ge­nen Rast­lo­sig­keit so voll­kom­men ver­ges­sen sind. Ich in­ter­es­sie­re mich sehr für al­les der­ar­ti­ge, weil ich al­les, was mit der Pe­ri­ode zu tun hat­te, ka­ta­lo­gi­siert und ge­le­sen habe. Sie« – hier wand­te sie sich di­rekt zu Bil­ly – »sind eine his­to­ri­sche Per­sön­lich­keit, oder viel­mehr Ihr Va­ter war es. Ich er­in­ne­re mich der Sa­che gut. Sie steht in Ban­crofts Ge­schich­te. Es wa­ren Mo­doc-In­dia­ner. Es wa­ren acht­zehn Wa­gen. Ihr Va­ter war der ein­zi­ge, der nicht ge­tö­tet wur­de, aber er war ein ganz klei­nes Kind und wuss­te nicht das ge­rings­te von dem, was ge­sch­ah. Er wur­de spä­ter von dem An­füh­rer der Wei­ßen ad­op­tiert.«

»Das stimmt«, sag­te Bil­ly. »Es wa­ren Mo­doc-In­dia­ner. Der Zug, in dem er sich be­fand, muss nach Ore­gon be­stimmt ge­we­sen sein. Aber er wur­de voll­kom­men auf­ge­rie­ben. Ich möch­te wis­sen, ob Sie et­was über Sa­x­ons Mut­ter wis­sen. Sie schrieb da­mals Ge­dich­te.«

»Ist et­was da­von ge­druckt?«

»Ja«, ant­wor­te­te Sa­xon, »in den al­ten Zei­tun­gen von San José.«

»Erin­nern Sie sich ei­ni­ger da­von?«

»Ja, da ist ei­nes, das so an­fängt:

Süß wie die luf­ti­gen Wind­har­fen­sai­ten,

So konn­te dei­ne hol­de Muse sin­gen,

Und Ka­li­for­ni­ens end­lo­se Wei­ten,

Sie lie­ßen sanft das Echo wie­der­klin­gen.«

»Das kommt mir be­kannt vor«, sag­te Frau Mor­ti­mer sin­nend.

»Und ein andres Ge­dicht fängt so an:

Fort schlich ich von den an­de­ren in den Hain,

Wo nack­te Sta­tu­en un­ter küh­len Blät­tern stehn –

Es sind noch viel mehr von der­sel­ben Art. Ich ver­ste­he nicht al­les. Es ist an mei­nen Va­ter ge­rich­tet.«

»Ein Lie­bes­ge­dicht!« fiel Frau Mor­ti­mer ihr ins Wort. »Ja, jetzt er­in­ne­re ich mich«, rief sie, »war­ten Sie. – Da, da – dah, ja, jetzt hab’ ich es.

Im Ge­sprüh des Spring­brunns, des­sen Ame­thys­ten­saat

Ei­nen Au­gen­blick auf Brust und Hand er­zit­tern –

Den Vers mit der Ame­thys­ten­saat habe ich nie ver­ges­sen, aber an den Na­men Ih­rer Mut­ter kann ich mich nicht er­in­nern.«

»Sie hieß Dai­sy –« be­gann Sa­xon.

 

»Nein, Dayel­le«, be­rich­tig­te Frau Mor­ti­mer, de­ren schlum­mern­de Erin­ne­rung jetzt ge­weckt war.

»Aber nie­mand nann­te sie so.«

»Nein, aber es war der Name, den sie un­ter ihre Ge­dich­te setz­te. Wie wei­ter?«

»Dai­sy Wi­ley Brown.«

Frau Mor­ti­mer trat ans Bü­cher­re­gal und kehr­te gleich mit ei­nem großen dunklen Band zu­rück.

»Das ist ›Die Ge­schich­te der Rei­hen‹«, er­klär­te sie. »Un­ter an­de­rem ent­hält sie alle gu­ten Ver­se aus je­ner Zeit, aus al­ten Zei­tun­gen ge­sam­melt.« Ihr Blick durch­lief das In­halts­ver­zeich­nis und blieb plötz­lich haf­ten. »Ja, es stimmt! Dayel­le Wi­ley Brown. Hier ist es. Und hier sind oben­drein zehn Ge­dich­te von ihr: ›Die Su­che des Wi­kings‹, ›Ta­ge des Gol­des‹, ›Treu­e‹, ›Der Ca­bal­lero‹, ›Grä­ber am Litt­le Mea­dow‹ –«

»Dort schlu­gen wir die In­dia­ner«, fiel Sa­xon ihr eif­rig ins Wort. »Und Mut­ter, die da­mals erst ein klei­nes Mäd­chen war, ging und hol­te Was­ser für die Ver­wun­de­ten. Die In­dia­ner woll­ten nicht auf sie schie­ßen. Alle Men­schen sag­ten, dass es ein Wun­der war.« Sie riss sich von Bil­ly los, streck­te die Hän­de nach dem Buch aus und rief: »Ach, las­sen Sie mich se­hen! Las­sen Sie mich se­hen! Das ist et­was ganz Neu­es für mich. Ich ken­ne die Ge­dich­te nicht. Darf ich sie mir ab­schrei­ben? Ich will sie aus­wen­dig ler­nen. Den­ken Sie – mei­ne Mut­ter!«

Frau Mor­ti­mer merk­te plötz­lich, dass ihre Bril­le ge­putzt wer­den muss­te, und eine hal­be Stun­de sa­ßen sie und Bil­ly schwei­gend da, wäh­rend Sa­xon sich eif­rig mit den Ge­dich­ten ih­rer Mut­ter be­schäf­tig­te. Zu­letzt stand sie da und starr­te das Buch an, das sie über dem Fin­ger ge­schlos­sen hat­te, und in Ver­wun­de­rung und Ehr­furcht konn­te sie nur wie­der­ho­len:

»Und das habe ich nie ge­wusst! Das habe ich nie ge­wusst!«

Aber Frau Mor­ti­mers Ge­hirn war in die­ser hal­b­en Stun­de nicht un­tä­tig ge­we­sen, und kurz dar­auf leg­te sie ih­nen ih­ren Plan dar. Sie glaub­te an wis­sen­schaft­li­chen Meie­rei­be­trieb so gut wie an wis­sen­schaft­li­che Land­wirt­schaft, und es war ihre Ab­sicht, gleich nach Ablauf des Pacht­ver­tra­ges auf den an­de­ren zehn Mor­gen eine der­ar­ti­ge Meie­rei ein­zu­rich­ten. Wie al­les, was sie an­fing, soll­te auch die nach al­len Re­geln der Kunst be­trie­ben wer­den, und das hieß, dass sie mehr Hil­fe brauch­te. Bil­ly und Sa­xon wa­ren für die­se Ar­beit wie ge­schaf­fen. Noch vor dem nächs­ten Som­mer konn­te sie sie in dem klei­nen Hau­se, das sie zu bau­en ge­dach­te, un­ter­brin­gen, bis da­hin muss­te sie ir­gend­wie ver­su­chen, Bil­ly Ar­beit zu ver­schaf­fen. Sie woll­te ih­nen gern für den gan­zen Win­ter Ar­beit ga­ran­tie­ren, und sie wuss­te, dass am Ende der Stra­ßen­bahn­li­nie ein Häu­schen zu ver­mie­ten war. Un­ter ih­rer Auf­sicht konn­te Bil­ly den Bau von An­fang an über­wa­chen. Auf die Wei­se konn­ten sie Geld ver­die­nen und sich auf den selbst­stän­di­gen Be­trieb ei­nes Ge­höfts vor­be­rei­ten, wäh­rend sie sich gleich­zei­tig um­se­hen konn­ten.

Aber ihre Über­re­dungs­küns­te wa­ren frucht­los. Zu­nächst er­klär­te Sa­xon kurz und bün­dig, was sie dazu mein­te.

»Wir kön­nen nicht an der ers­ten Stel­le blei­ben, wo wir hin­kom­men, wenn auch Ihr Haus und die­ses Tal noch so schön und gut sind. Wir wis­sen ja nicht ein­mal, was wir sel­ber wol­len. Wir müs­sen wei­ter wan­dern und uns alle mög­li­chen Orte und Metho­den an­se­hen, um her­aus­zu­fin­den, wie al­les zu­sam­men­hängt. Wir ha­ben gar kei­ne Eile. Wir wol­len un­se­rer Sa­che si­cher sein – ja, ganz si­cher! Und au­ßer­dem –«, sie be­dach­te sich ein we­nig, »– au­ßer­dem ma­chen wir uns nichts aus Flach­land. Bil­ly will am liebs­ten et­was Ber­ge. Und ich auch.«

Als sie sich ver­ab­schie­de­ten, woll­te Frau Mor­ti­mer ihr Exem­plar von der »Ge­schich­te der Rei­hen« Sa­xon schen­ken, aber Sa­xon schüt­tel­te den Kopf und bat Bil­ly um zwei Dol­lar.

»Hier steht, dass es zwei Dol­lar kos­tet«, sag­te sie. »Wol­len Sie ein Exem­plar für mich kau­fen und auf­be­wah­ren, bis wir eine Stel­le fin­den, wo wir woh­nen kön­nen? Dann schrei­be ich Ih­nen, dass Sie es mir schi­cken kön­nen.«

»Ach, ihr Ame­ri­ka­ner!« schalt Frau Mor­ti­mer und steck­te das Geld ein. »Aber ihr müsst mir ver­spre­chen, mir, ehe ihr einen Ent­schluss fasst, hin und wie­der zu schrei­ben.«

Sie brach­te sie bis auf die Land­stra­ße.

»Ihr seid zwei mu­ti­ge jun­ge See­len!« sag­te sie beim Ab­schied. »Ich wünsch­te nur, ich könn­te mit euch in die Welt hin­aus wan­dern, mein Ge­päck auf dem Rücken. Ihr seid pracht­voll, ihr bei­den! Wenn ich je et­was für euch tun kann, so lasst es mich nur wis­sen. Ihr wer­det si­cher Glück ha­ben, und ich möch­te mei­nen An­teil an eu­erm Er­folg ha­ben. Lasst mich wis­sen, wie es mit dem Staats­bo­den geht, wenn ich auch nicht sehr dar­an glau­be. Der liegt si­cher viel zu weit vom Markt ab.« Sie drück­te Bil­ly die Hand, schloss aber Sa­xon in ihre Arme und küss­te sie.

»Seid nur gu­ten Mu­tes«, sag­te sie lei­se und mit tie­fem Ernst in der Stim­me. »Ihr wer­det schon durch­kom­men. Ihr fangt die Sa­che rich­tig an. Und ihr habt recht, dass ihr nicht auf mei­nen Vor­schlag ein­ge­hen wollt. Aber ver­ge­sst nicht, dass dies – oder et­was Bes­se­res – euch im­mer of­fen­steht. Ihr seid noch so jung, alle bei­de. Übe­reilt euch nur nicht. So­bald ihr euch ir­gend­wo für eine Wei­le nie­der­lasst, gebt mir Be­scheid, dann schi­cke ich euch eine Men­ge Bü­cher über Land­wirt­schaft und der­glei­chen. Auf Wie­der­se­hen! Glück­li­che Rei­se! Glück­li­che Rei­se!«

*

An die­sem Abend saß Bil­ly eine Zeit lang un­be­weg­lich auf dem Bett­rand in dem klei­nen Zim­mer, das sie in San José ge­mie­tet hat­ten, und Sa­xon be­merk­te einen grü­beln­den Aus­druck in sei­nen Au­gen.

»Ja«, sag­te er schließ­lich und schöpf­te tief Atem, »ich kann nur sa­gen, dass es doch wirk­lich noch bra­ve Men­schen auf der Welt gibt. Zum Bei­spiel Frau Mor­ti­mer. Sieh, die ist vom rich­ti­gen Schla­ge – von dem der gu­ten al­ten Ame­ri­ka­ner!«

»Eine fei­ne, ge­lehr­te Dame«, sag­te Sa­xon, »und sie schämt sich nicht im min­des­ten, Land­wirt­schaft zu be­trei­ben. Und sie ver­dient so­gar da­bei!«

»Ja, mit zwan­zig Mor­gen – nein, mit zehn – und hat den Bo­den und alle Ver­bes­se­run­gen be­zahlt und er­nährt sich sel­ber, vier Ta­ge­löh­ner und eine schwe­di­sche Frau mit Toch­ter, so­wie ih­ren ei­ge­nen Nef­fen. Nein, das ver­ste­he ich nicht! Mein Va­ter sprach nie von we­ni­ger als hun­dert­und­sech­zig Mor­gen. Selbst dein Bru­der Tom spricht nur von den großen Hö­fen – und da­bei ist sie doch nur eine Frau. Es war gut, dass wir sie tra­fen.«

»Ja, es war das rei­ne Mär­chen«, rief Sa­xon. »Sieh, das hat man vom Rei­sen. Man weiß nie, was ge­sche­hen kann. Und es fiel uns di­rekt in den Schoß, als wir schon müde wer­den woll­ten und dar­an dach­ten, wie weit es wohl noch bis San José wäre. Und sie be­han­del­te uns nicht wie Va­ga­bun­den. Das Haus – wie rein und schön es war! Ich habe mir nie träu­men las­sen, dass et­was so Fei­nes und Schö­nes exis­tie­ren könn­te wie das In­ne­re die­ses Hau­ses.«

»Ja, es roch so gut«, er­klär­te Bil­ly.

»Das ist es eben. Das ist, was sie in den Frau­en­zeit­schrif­ten At­mo­sphä­re nen­nen. Ich habe nie ge­wusst, was das be­deu­te­te. Das Haus hat so eine fei­ne, schö­ne At­mo­sphä­re –«

»Genau wie all dei­ne hüb­sche Wä­sche«, sag­te Bil­ly.

»Und das ist das nächs­te, wenn man sich selbst rein und hübsch hält: Sein Heim nett und sau­ber und schön hal­ten.«

»Aber das kann man nicht mit ei­nem Miets­hau­se. Man muss es selbst be­sit­zen. Sol­che Häu­ser bau­en Haus­wir­te über­haupt nicht. Und doch – das konn­te je­des Kind se­hen – das Haus war nicht teu­er. Es kommt nicht dar­auf an, was es ge­kos­tet hat. Es ist die Art, wie es ge­macht ist. Das Holz war ge­wöhn­li­ches Holz, wie man es auf je­dem Holz­platz kau­fen kann. – Das Haus in der Pine Street war aus dem­sel­ben Holz ge­baut! Aber die Art und Wei­se, wie es ge­macht ist, ist an­ders. Ich kann nicht er­klä­ren, was ich mei­ne, aber du ver­stehst mich wohl.«

Sa­xon, die in Ge­dan­ken ver­lo­ren da­saß und sich die klei­ne Vil­la, die sie so­eben ver­las­sen hat­ten, ins Ge­dächt­nis zu­rück­rief, wie­der­hol­te geis­tes­ab­we­send: »Das ist es eben – die Art und Wei­se.«

Am nächs­ten Mor­gen wa­ren sie früh auf den Bei­nen und such­ten durch die Vor­städ­te San Josés den Weg nach San Juan und Mon­te­rey. Sa­xon hin­k­te noch mehr als am vo­ri­gen Tage. Sie hat­te eine Bla­se be­kom­men, die sich durch­ge­rie­ben hat­te, und jetzt woll­te die Haut an der gan­zen Fer­se ab­ge­hen. Bil­ly er­in­ner­te sich, was sein Va­ter ihm über Fuß­pfle­ge er­zählt hat­te, und er blieb bei ei­nem Schlach­ter­la­den ste­hen, um für fünf Cent Schaftalg zu kau­fen.

»So muss es sein«, sag­te er zu Sa­xon. »Rei­nes Schuh­zeug und die Füße gut ein­ge­schmiert. Wir wol­len et­was dar­auf schmie­ren, so­bald wir vor die Stadt kom­men. Und die ers­ten Tage wol­len wir lie­ber et­was lang­sa­mer ge­hen. Wenn ich et­was Ar­beit be­käme, dass du dich ein paar Tage aus­ru­hen könn­test, das wäre groß­ar­tig. Ich muss doch auf dich ach­ten.«

Gleich vor der Stadt ließ er Sa­xon auf der Land­stra­ße zu­rück und ging selbst einen lan­gen Fahr­weg ent­lang bis zu et­was, das wie ein großer Bau­ern­hof aus­sah. Freu­de­strah­lend kam er wie­der.

»Al­les in Ord­nung!« rief er, sich nä­hernd. »Und jetzt ge­hen wir nur zu der Baum­grup­pe am Bach und schla­gen un­ser La­ger dort auf. Mor­gen fan­ge ich mit der Ar­beit an – zwei Dol­lar täg­lich bei Selbst­be­kö­s­ti­gung. Wenn er mich be­kö­s­tigt hät­te, wür­de er an­dert­halb Dol­lar ge­ge­ben ha­ben. Ich sag­te, ich woll­te es lie­ber so, ich hät­te mei­ne ei­ge­nen Sa­chen mit­ge­bracht. Das Wet­ter ist gut, und wir kön­nen ein paar Tage blei­ben, bis dein Fuß wie­der ge­sund ist. Komm! Wir wol­len ein or­dent­li­ches La­ger auf­schla­gen.«

»Wie hast du die Ar­beit be­kom­men?« frag­te Sa­xon, als sie sich um­sa­hen, wo sie das La­ger auf­schla­gen soll­ten.

»War­te, bis wir al­les in Ord­nung ha­ben, dann wer­de ich es dir er­zäh­len. Es war der rei­ne Traum, so glatt ging es.«

Erst als sie die De­cken aus­ge­brei­tet, das Feu­er an­ge­zün­det und einen Topf mit Boh­nen auf­ge­setzt hat­ten, warf Bil­ly den letz­ten Arm voll Brenn­holz auf die Erde und be­gann:

»Zu­nächst ist Ben­son kein un­mo­der­ner Esel. Man soll­te nicht glau­ben, dass er Bau­er ist, wenn man ihn sieht. Er denkt so scharf wie ein Ra­sier­mes­ser und re­det und han­delt wie ein rich­ti­ger Ge­schäfts­mann. Ich wuss­te es, so­bald ich sei­nen Hof sah – noch ehe ich ihn selbst ge­se­hen hat­te. In etwa fünf­zehn Se­kun­den war al­les ab­ge­macht.

›Kön­nen Sie pflü­gen?‹ sagt er.

›Das kann ich!‹ sage ich.

›P­fer­de­ver­stand?‹ fragt er.

›Ich habe mein gan­zes Le­ben im Stall ver­bracht‹, sage ich.

Und ge­ra­de in dem Au­gen­blick – er­in­nerst du dich der Wa­gen­la­dung Ma­schi­nen mit vier Pfer­den da­vor, die gleich hin­ter mir ka­men – ge­ra­de in dem Au­gen­blick kom­men sie an.

›Was mei­nen Sie zu vier Pfer­den?‹ fragt er, wie zu­fäl­lig.

›Das ist mei­ne ge­rings­te Kunst. Ich kann sie vor ei­nem Pflug, ei­ner Näh­ma­schi­ne oder ei­nem Ka­rus­sell fah­ren.‹

›Sprin­gen Sie auf und neh­men Sie die Lei­ne‹, sagt er schnell und ent­schlos­sen, denn er ver­liert nicht eine Se­kun­de. ›Se­hen Sie den Schup­pen da! Fah­ren Sie rechts um die Scheu­ne her­um und wie­der zu­rück, dass ab­ge­la­den wer­den kann.‹

Und ich sage dir, es war ein fei­nes Stück Fuhr­ar­beit, das er von mir ver­lang­te. An den Glei­sen konn­te ich se­hen, dass alle Wa­gen links um die Scheu­ne her­um ge­fah­ren wa­ren. Was er ver­lang­te, war nicht ge­ra­de schön – ein dop­pel­ter Schwung wie ein S, zwi­schen ei­ner Hau­se­cke und um die Scheu­ne her­um bis zum letz­ten Schwung. Und das biss­chen Platz, das da war, wur­de noch klei­ner, weil ein Hau­fen Mist ge­ra­de vor die Scheu­ne ge­wor­fen und noch nicht weg­ge­fah­ren war. Aber ich ließ mir na­tür­lich nichts mer­ken. Der Kut­scher gab mir die Lei­nen, und ich konn­te se­hen, dass er grins­te, denn er war si­cher, dass ich her­ein­fiel. Ich möch­te wet­ten, dass er es selbst nicht ge­konnt hät­te. Aber ich ließ mir im­mer noch nichts mer­ken, und wir ras­sel­ten ab, und da­bei kann­te ich nicht ein­mal die Pfer­de – ja, du hät­test mich se­hen sol­len, wie ich die zwei vor­de­ren Pfer­de di­rekt auf den Mist zu­lenk­te, so­dass das eine die Scheu­ne be­rühr­te und das Hand­pferd nur sechs Zoll vom Eck­pfos­ten des Hau­ses ent­fernt war. Das war die ein­zi­ge Mög­lich­keit, es zu ma­chen – aber es wa­ren auch pracht­vol­le Pfer­de, und sie ta­ten ge­nau, was ich woll­te.

 

›Gut!‹ sagt Ben­son. ›Das war ein schö­nes Stück Ar­beit.‹

›Was zum Teu­fel!‹ sage ich so gleich­gül­tig, wie ich nur kann. ›Ge­ben Sie mir et­was wirk­lich Schwe­res zu tun.‹ Er lä­chelt, denn er ver­steht gleich, was ich mei­ne. ›Sie ha­ben das gut ge­macht‹, sagt er. ›Und ich neh­me es sonst sehr ge­nau mit je­dem, der mit mei­nen Pfer­den zu tun hat. Sie sind zu gut für die Land­stra­ße. Sie müs­sen ein gu­ter Mann sein, dem es schlecht ge­gan­gen ist. Aber des­halb kön­nen Sie doch mit mei­nen Pfer­den pflü­gen, und mor­gen kön­nen Sie an­fan­gen.‹ Und das zeigt, dass er doch nicht so klug war. Ich hat­te ihm ja nicht ge­zeigt, dass ich pflü­gen konn­te.«

Als Sa­xon die Boh­nen auf­ge­tan und Bil­ly den Kaf­fee fer­tig hat­te, blieb er einen Au­gen­blick ste­hen und sah alle die Din­ge an, die auf den De­cken um sie her stan­den – die Zucker­do­se, kon­den­sier­te Milch in ei­ner Blech­do­se, die dün­nen Schei­ben gepö­kel­ten Och­sen­fleischs, der Salat mit den To­ma­ten­schei­ben, das fri­sche Weiß­brot, die damp­fen­den Boh­nen und die Kaf­fee­kan­ne.

»Welch ein Un­ter­schied ge­gen ges­tern Abend«, rief Sa­xon und klatsch­te in die Hän­de. »Es ist ein Mär­chen, wie man es in den Bü­chern liest. Ach, ich muss an den Jun­gen den­ken, der fi­schen ging. Denk an den schö­nen Tisch und das schö­ne Haus ges­tern, und sieh jetzt das hier. Wir hät­ten gan­ze tau­send Jah­re in Oa­k­land le­ben kön­nen, ohne je eine Dame wie Frau Mor­ti­mer zu tref­fen oder uns träu­men zu las­sen, dass ein Haus wie das ihre exis­tier­te. Und Bil­ly, denk nur, da­bei ha­ben wir eben erst an­ge­fan­gen.«

Bil­ly ar­bei­te­te drei Tage lang, und wenn er auch be­haup­te­te, gut fer­tig zu wer­den, so gab er doch zu, dass das Pflü­gen schwe­rer war, als er sich ge­dacht hat­te. Sa­xon war still­ver­gnügt, als sie hör­te, dass es ihm Spaß mach­te.

»Ich hät­te nie ge­dacht, dass ich mir et­was aus Pflü­gen ma­chen wür­de – nein«, mein­te er. »Aber es ist groß­ar­tig. Es ist auch gut für die Bein­mus­keln. Die übt man nicht ge­nug, wenn man fährt. Wenn ich je wie­der für einen neu­en Box­kampf trai­nie­ren soll­te, so kannst du drauf schwö­ren, dass ich auch pflü­gen wür­de. Und die Erde duf­tet so herr­lich, wenn man sie wen­det, und im­mer wie­der wen­det. Sie ist di­rekt zum es­sen, so riecht sie. Und wenn man sie den gan­zen Tag wen­det – so frisch und fett und gut. Auch die Pfer­de – die sind ein paar Pracht­ex­em­pla­re! Die wis­sen so gut wie ein Mensch, was sie zu tun ha­ben. Das muss man sa­gen – Ben­son hat nicht eine ein­zi­ge Schind­mä­re auf sei­nem Be­trieb.«

Am letz­ten Tage, den Bil­ly für Ben­son ar­bei­te­te, über­zog sich der Him­mel, die Luft war feucht, es be­gann stark aus Süd­west zu we­hen, und al­les deu­te­te dar­auf­hin, dass dies der An­fang des Win­ter­re­gens war. Bil­ly kam am Abend mit ei­nem klei­nen Bün­del al­ter Sack­lein­wand zu­rück, die er sich ge­lie­hen hat­te, und wor­aus er eine Art Dach über ih­rem Zel­te mach­te, um den Re­gen fern­zu­hal­ten. Er klag­te mehr­mals über den klei­nen Fin­ger sei­ner lin­ken Hand. Er hat­te ihn den gan­zen Tag ge­stört, wie er zu Sa­xon sag­te, ja, er stör­te ihn ei­gent­lich schon meh­re­re Tage und war so emp­find­lich wie eine Beu­le – ver­mut­lich hat­te er sich einen Sp­lit­ter ein­ge­ris­sen, aber er konn­te ihn nicht fin­den.

Er mach­te sich an die Vor­be­rei­tun­gen für die Nacht, hob das Bett auf ein paar alte Bret­ter, die er aus ei­ner ver­las­se­nen und ver­fal­le­nen Scheu­ne auf der an­de­ren Sei­te des Ba­ches hol­te. Auf die Bret­ter schich­te­te er tro­ckene Blät­ter, dass sie eine Art Ma­trat­ze bil­de­ten. Zu­letzt be­fes­tig­te er das Sack­lei­nen noch bes­ser mit ge­fun­de­nen Bind­fä­den und Bän­dern.

Als die ers­ten Re­gen­trop­fen auf das Sack­lei­nen schlu­gen, war Sa­xon be­geis­tert. Bil­ly in­ter­es­sier­te sich sehr we­nig für das Gan­ze. Sein Fin­ger schmerz­te ihn all­zu sehr, sag­te er. We­der Sa­xon noch er konn­ten be­grei­fen, was es war.

»Ich er­in­ne­re mich, dass Ca­dys Frau ein­mal et­was ähn­li­ches hat­te – auch im klei­nen Fin­ger. Ich glaub­te, sie leg­te einen Grütz­beu­tel dar­auf. Und ich er­in­ne­re mich, dass sie Sal­be dar­auf schmier­te. Er wur­de sehr schlimm, und schließ­lich ging der Na­gel ab. Dann wur­de es schnell wie­der bes­ser, und ein neu­er Na­gel wuchs. Soll ich dir nicht einen war­men Um­schlag ma­chen?«

Aber da­von woll­te Bil­ly nichts wis­sen, er mein­te, es wür­de am nächs­ten Tage schon bes­ser wer­den. Sa­xon war be­sorgt, und als sie end­lich ein­schlum­mer­te, wuss­te sie, dass er un­ru­hig dalag und of­fen­bar arge Schmer­zen hat­te. Ei­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter wur­de sie durch einen hef­ti­gen Wind­stoß ge­weckt, der den Re­gen ge­gen das Sack­lei­nen peitsch­te, und sie hör­te Bil­ly lei­se stöh­nen. Sie er­hob sich auf den Ell­bo­gen und strich ihm mit der frei­en Hand über Stirn und Au­gen, wie sie es sich an­ge­wöhnt hat­te, und da­durch be­ru­hig­te sie ihn schließ­lich, so­dass er ein­sch­lief.

Dann schlief auch sie wie­der. Und wie­der wur­de sie ge­weckt, dies­mal je­doch nicht vom Sturm, son­dern von Bil­ly. Sie konn­te ihn nicht se­hen, als sie aber nach ihm tas­te­te, merk­te sie, dass er eine höchst merk­wür­di­ge Stel­lung ein­nahm. Er knie­te vor den De­cken und sei­ne Stirn ruh­te auf den Bret­tern, wäh­rend sei­ne Schul­tern in un­ter­drück­tem Schmerz zuck­ten.

»Es klopft dar­in, dass ich ganz ver­rückt wer­de«, sag­te er, als sie zu ihm sprach. »Das ist schlim­mer als tau­send Zahn­schmer­zen. Aber es ist nichts – wenn nur das Sack­lei­nen nicht weg­weht. Denk dar­an, was un­se­re Vor­fah­ren durch­ma­chen muss­ten –« mur­mel­te er mit zu­sam­men­ge­bis­se­nen Zäh­nen. »Sieh, mein Va­ter war ein­mal in den Ber­gen, und der Mann, der mit ihm war, wur­de von ei­nem Bä­ren an­ge­fal­len – das Fleisch wur­de ihm bis auf die Kno­chen her­un­ter­ge­ris­sen. Sie hat­ten kei­nen Pro­vi­ant, so­dass sie ge­zwun­gen wa­ren, wei­ter zu wan­dern. Zwei­mal von den drei­en, die Va­ter ihn aufs Pferd setz­te, wur­de er ihm un­ter den Hän­den ohn­mäch­tig, ja, er muss­te ihn fest­bin­den. Und es dau­er­te fünf Wo­chen, aber sie ka­men durch. Und die Ge­schich­te von Jack Qu­igley. Sei­ne gan­ze rech­te Hand wur­de ihm ab­ge­ris­sen, als sein Ge­wehr ex­plo­dier­te, und das Hünd­chen, das er bei sich hat­te, fraß drei Fin­ger. Und er war ganz al­lein im Sumpf und –«

Aber Sa­xon soll­te nichts mehr von den aben­teu­er­li­chen Er­leb­nis­sen Jack Qu­igleys hö­ren. Ein furcht­ba­rer Wind­stoß riss das Sack­lei­nen los und stürz­te die Bret­ter um, so­dass sie einen Au­gen­blick lang un­ter dem Sack­lei­nen be­gra­ben wa­ren. Und im nächs­ten Au­gen­blick wur­de al­les in der Dun­kel­heit fort­ge­wir­belt, und Bil­ly und Sa­xon wur­den vom Re­gen voll­kom­men durch­nässt.

»Da ist nur eins zu ma­chen«, brüll­te er ihr ins Ohr, »al­les zu neh­men und zu ver­su­chen, in die alte Scheu­ne zu kom­men.«

Das ta­ten sie in Dun­kel­heit und trie­fen­dem Re­gen, aber sie muss­ten zwei­mal auf Stei­nen durch den Bach wa­ten und wur­den bis zu den Kni­en durch­nässt. Die alte Scheu­ne leck­te wie ein Sieb, aber es glück­te ih­nen, eine tro­ckene Stel­le zu fin­den, wo sie ihr al­les eher als tro­ckenes Bett­zeug aus­brei­ten konn­ten. Sa­xon war ganz ver­zwei­felt, wie furcht­bar Bil­ly lei­den muss­te. Sie brauch­te eine gan­ze Stun­de, um ihn zum Schla­fen zu brin­gen, und nur, in­dem sie be­stän­dig über sei­ne Stirn strich, konn­te sie ihn am Auf­wa­chen ver­hin­dern. Sie fror und war sehr elend, aber sie hät­te sich mit Freu­den dar­ein ge­fun­den, eine gan­ze Nacht lang wach zu lie­gen, wenn sie nur ge­wusst hät­te, dass es ihn von der schlimms­ten Qual be­frei­te.