Jack London – Gesammelte Werke

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»Aber wenn das so wei­ter geht, was wird denn schließ­lich aus uns?« frag­te Sa­xon.

»Was es jetzt schon ist. Die von uns, die nichts ha­ben, ver­fau­len in den Städ­ten. Die von uns, die Bo­den ha­ben, ver­kau­fen ihn und ge­hen nach den Städ­ten. Ei­ni­ge wer­den grö­ße­re Ka­pi­ta­lis­ten, an­de­re ge­hen zum Hand­werk über, der Rest ver­braucht sein Geld und be­ginnt dann zu ver­fau­len, und wenn sie bei ih­rem Tode noch nicht ver­fault sind, so ver­fau­len eben ihre Kin­der.«

Die lan­ge Fahrt war jetzt zu Ende, und beim Ab­schied er­in­ner­te Ben­son Bil­ly an die fes­te Ar­beit, die sei­ner war­te­te, so­bald er sie ha­ben woll­te.

»Ich den­ke, wir gu­cken uns erst ein­mal den Staats­bo­den dort ein biss­chen an«, ant­wor­te­te Bil­ly. »Wir wis­sen noch nicht, was dar­aus wird, aber eins gibt es, wo­mit wir uns nicht ab­ge­ben – das ist si­cher.«

»Was denn?«

»Äp­fel zu drei­tau­send Dol­lar den Mor­gen zu pflan­zen.«

Bil­ly und Sa­xon mar­schier­ten ein Stück­chen, ihre Bün­del auf dem Rücken. Er war der ers­te, der das Schwei­gen brach.

»Und eins will ich dir sa­gen, Sa­xon! Das ma­chen wir nie, dass wir klei­ne Krü­mel Erde in Kör­ben einen Berg hin­auf­schlep­pen. Es gibt noch Platz ge­nug in den Ve­rei­nig­ten Staa­ten. Mir ist es ei­ner­lei, was Ben­son und die an­de­ren sa­gen – die Ve­rei­nig­ten Staa­ten ha­ben noch nicht aus­ge­spielt. Mil­lio­nen von Mor­gen, die noch nie­mand an­ge­rührt hat, war­ten auf uns, wir müs­sen sie nur fin­den.«

»Und ich will dir auch et­was sa­gen«, sag­te Sa­xon. »Wir ler­nen eine Mas­se. Tom ist auf ei­nem Bau­ern­hof auf­ge­wach­sen, aber er weiß von Land­wirt­schaft lan­ge nicht so viel, wie wir schon jetzt. Und ich will dir noch et­was sa­gen. Je mehr ich dar­über nach­den­ke, de­sto mehr glau­be ich, dass wir von dem Staats­bo­den ent­täuscht wer­den.«

»Man soll nicht al­les glau­ben, was die Leu­te sa­gen«, wand­te er ein.

»Ach, das ist es nicht. Ich rich­te mich nur nach mei­nem ei­ge­nen Ur­teil und möch­te dich fra­gen, ob du nicht fin­dest, dass ich recht habe. Wenn der Bo­den hier einen Wert von drei­tau­send den Mor­gen hat, wie kommt es dann, dass der Staats­bo­den, wenn er wirk­lich et­was taugt, nicht weit von hier liegt und nur dar­auf war­tet, dass die Leu­te ihn sich neh­men?«

Bil­ly dach­te eine Wei­le über die­se Fra­ge nach, kam aber zu kei­nem Er­geb­nis. Schließ­lich räus­per­te er sich und er­klär­te:

»Nun, wir kön­nen ja ab­war­ten und ihn uns erst ein­mal an­se­hen, nicht wahr?«

»Ja, das ist sehr rich­tig«, gab Sa­xon zu, »wir kön­nen ab­war­ten und ihn uns erst ein­mal an­se­hen.«

Sie wa­ren die ge­ra­de Land­stra­ße über die Ber­ge von Mon­te­rey ge­gan­gen, statt dem sieb­zehn Mei­len lan­gen Fahr­weg an der Küs­te zu fol­gen, und des­halb stan­den sie plötz­lich An­ge­sicht zu An­ge­sicht mit der Car­mel­bucht, ohne ge­ahnt zu ha­ben, wel­che Schön­heit ih­rer hier war­te­te. Sie gin­gen durch harz­duf­ten­de Kie­fern­wäl­der, vor­bei an wal­dum­kränz­ten, fan­tas­tisch und pri­mi­tiv ein­ge­rich­te­ten Vil­len, die Künst­lern und Schrift­stel­lern ge­hör­ten, und sie gin­gen wei­ter über win­dums­aus­te, wo­gen­de Dü­nen, wo der Sand durch har­te Lu­pi­nen fest­ge­hal­ten wur­de und der blas­se ka­li­for­ni­sche Mohn im Win­de nick­te. Sa­xon stieß vor Ver­wun­de­rung und Freu­de einen lau­ten Schrei aus, dann sah sie atem­los die wun­der­ba­re graublaue Far­be der Bran­dung schil­lernd von gol­de­nem Son­nen­licht, die sich mit Lärm und Ge­pol­ter weiß­schäu­mend an ei­nem halb­mond­för­mi­gen Stran­de brach, des­sen Sand kaum we­ni­ger weiß war.

Wie lan­ge sie hier stan­den und auf den stol­zen Zug der mäch­ti­gen Wo­gen schau­ten, die sich von dem tie­fen, schaum­be­wip­fel­ten Meer er­ho­ben, um sich schließ­lich lär­mend auf dem San­de zu ih­ren Fü­ßen zu bre­chen, das wuss­te Sa­xon nicht. Sie wur­de erst da­durch wie­der in die Wirk­lich­keit zu­rück­ge­ru­fen, dass Bil­ly la­chend be­gann, ihr den Ruck­sack, den sie auf dem Rücken trug, ab­zu­schnal­len.

»Du siehst aus, als hät­test du Lust, ei­ni­ge Zeit hier­zu­blei­ben«, sag­te er, »da kön­nen wir es uns eben­so gut gleich be­quem ma­chen.«

»Das hab ich mir nie träu­men las­sen, das hab ich mir nie träu­men las­sen!« sag­te sie und press­te be­zau­bert die Hän­de ge­gen­ein­an­der. »Ich – ich fand die Bran­dung bei Cliff Hou­se herr­lich, aber sie gibt doch kei­ne Vor­stel­lung von dem hier. – Ach, sieh! Sieh! Hast du je eine so herr­li­che Far­be ge­se­hen? Und das Son­nen­licht spielt ge­ra­de hin­durch. Ach, Bil­ly!«

Es dau­er­te lan­ge, bis sie ih­ren Blick von der Bran­dung los­rei­ßen und über das Meer schwei­fen las­sen konn­te, das in tiefs­tem Pfau­blau un­ter mäch­ti­gen Wol­ken­mas­sen bis zum Ho­ri­zont, jen­seits der Bie­gung des Ufers süd­lich von der un­ebe­nen Klip­pen­spit­ze und bis zu der un­ebe­nen Li­nie von blau­en Ber­gen reich­te, die sich jen­seits der wei­chen, nied­ri­gen Dü­nen wei­ter oben im Car­mel­tal er­ho­ben.

»Wir kön­nen uns eben­so gut gleich set­zen und es uns be­quem ma­chen«, sag­te Bil­ly ent­ge­gen­kom­mend. »Es ist zu schön, als dass wir gleich wie­der weg­lau­fen kön­nen.«

Sa­xon wil­lig­te ein und be­gann sich so­fort die Schu­he auf­zu­schnü­ren.

»Willst du wirk­lich?« frag­te Bil­ly froh und über­rascht und be­gann sich auch die sei­nen auf­zu­schnü­ren. Ehe sie aber bar­fuß auf dem schma­len schaum­be­deck­ten San­de, wo Land und Meer sich tra­fen, lau­fen konn­ten, ge­sch­ah et­was Neu­es und Wun­der­ba­res, das sich ihre Auf­merk­sam­keit zu­zog. Aus dem dunklen Kie­fern­wald über den Dü­nen kam ein Mann ge­lau­fen, der nur eine klei­ne Schwimm­ho­se trug und sonst ganz nackt war. Sei­ne Haut war blass und ro­sig, sein Ge­sicht ein rich­ti­ges En­gel­ge­sicht, ein­ge­rahmt von mäch­ti­gem gel­ben, lo­cki­gen Haar, aber sein Kör­per war so mus­ku­lös wie der ei­nes Her­ku­les.

»Nanu – das muss San­dow sein!« sag­te Bil­ly lei­se zu Sa­xon. Aber sie dach­te an den Holz­schnitt im Poe­sie­al­bum ih­rer Mut­ter und an die Wi­kin­ger am feuch­ten Stran­de Eng­lands.

Der Frem­de lief in ei­ner Ent­fer­nung von we­ni­gen Me­tern an ih­nen vor­bei über den nas­sen Sand, ohne sich auf­zu­hal­ten, bis die Wel­len ihm bis ans Knie reich­ten, wäh­rend sich vor ihm eine Mau­er von Wo­gen auf­türm­te, die min­des­tens zehn Fuß hoch war. So ge­sund und stark, wie sein Kör­per zu­vor aus­ge­se­hen hat­te, so weiß und zer­brech­lich wirk­te er in die­sem Au­gen­blick, da das Meer sich an­schick­te, ihn in sei­nen mäch­ti­gen Ar­men auf­zu­fan­gen. Sa­xon war atem­los vor Angst, und als sie Bil­ly einen ver­stoh­le­nen Blick zu­warf, be­merk­te sie, dass sein Kör­per gleich­sam in ge­spann­ter Er­war­tung er­starr­te.

Aber der Frem­de mach­te, als das Meer ihm ent­ge­gen­schlug, einen Sprung, und im sel­ben Au­gen­blick, als er schon zer­schmet­tert zu wer­den schi­en, tauch­te er in die Bran­dung und ver­schwand. Die mäch­ti­gen Was­ser­mas­sen fie­len mit Lärm und Ge­pol­ter auf den Strand, aber da­hin­ter tauch­te ein gold­haa­ri­ger Kopf auf, ein Arm er­schi­en und ein Stück Schul­ter. Er konn­te nur we­ni­ge Schwimm­zü­ge ma­chen, als er auch schon ge­zwun­gen war, sich in ei­nem neu­en Bre­cher zu du­cken. Das war es, um was er kämpf­te – das Meer zu er­rei­chen, die Wo­gen, durch die Wel­len hin­durch, die mit Ge­tö­se zur Küs­te has­te­ten. Je­des Mal, wenn er tauch­te und ih­ren Au­gen ent­schwand, press­te Sa­xon die Hän­de ge­gen­ein­an­der. Zu­wei­len, wenn eine der mäch­ti­gen Wo­gen vor­bei ge­zo­gen war, konn­ten sie ihn gar nicht fin­den, und wenn sie ihn schließ­lich sa­hen, war er weit fort ge­schleu­dert wie ein Schiff in der to­sen­den Bran­dung. Oft sah es aus, als müss­te er es auf­ge­ben und wür­de an den Strand ge­wor­fen, als aber eine hal­be Stun­de ver­gan­gen war, hat­te er den äu­ßers­ten Rand der Bran­dung hin­ter sich und schwamm mit star­ken Zü­gen, ohne zu tau­chen, und be­stän­dig auf dem Gip­fel der Wo­gen. Bald war er so weit fort, dass sie ihn nur hin und wie­der als einen Punkt in der Fer­ne se­hen konn­ten. Aber auch die­ser Punkt ver­schwand, und Sa­xon und Bil­ly sa­hen sich an, ganz er­füllt von Er­stau­nen über die Tap­fer­keit des Schwim­mers, Bil­ly mit leuch­ten­den Au­gen.

»Der kann schwim­men, der Jun­ge, der kann schwim­men«, sag­te er be­wun­dernd. »Der hat kei­ne Angst – nein! Weißt du, ich kann im Bas­sin schwim­men und in klei­nen Wel­len, aber jetzt will ich im großen Mee­re schwim­men ler­nen. Könn­te ich das, so wür­de ich so stolz sein, dass du mir gar nicht nahe kom­men dürf­test! Ja, Sa­xon, das sage ich dir – das wür­de ich lie­ber tun, als tau­send Bau­ern­hö­fe be­sit­zen. Oh, ich kann auch schwim­men, sage ich dir, aber ich habe noch nie je­mand schwim­men se­hen wie den Bur­schen dort. Ich gehe nicht weg vom Stran­de, ehe er wie­der­kommt – ganz al­lein drau­ßen in berg­ho­hen Seen – denk dir nur! Der hat Mut, Don­ner­wet­ter!«

Sa­xon und Bil­ly lie­fen bar­fuß am Stran­de auf und ab, ver­folg­ten sich mit Peit­schen aus Tang, die sie durch die Luft schwan­gen, und spiel­ten wie zwei Kin­der. Das dau­er­te eine gan­ze Stun­de, und erst als sie sich die Schu­he wie­der an­zo­gen, er­blick­ten sie den gel­ben Kopf, der sich jetzt auf das Land zu be­weg­te. Bil­ly stand dicht vor der Bran­dung, um ihn zu emp­fan­gen, und als er kam, war er nicht weiß­häu­tig wie in dem Au­gen­blick, als er sich in die Wel­len ge­stürzt hat­te, son­dern kup­fer­rot von den vie­len Schlä­gen, die das Meer ihm er­teilt hat­te.

»Das war groß­ar­tig, sage ich Ih­nen!« be­grüß­te Bil­ly ihn mit ehr­li­cher Be­wun­de­rung.

»Ja, die Bran­dung war heu­te schlimm«, ant­wor­te­te der jun­ge Mann, an­er­ken­nend ni­ckend.

 

»Sie sind doch wohl nicht ein Bo­xer, von dem ich nie et­was ge­hört habe?« frag­te Bil­ly, der gern ge­wusst hät­te, wer die­ses phy­si­sche Wun­der sein könn­te.

Der an­de­re lach­te und schüt­tel­te den Kopf, und Bil­ly ahn­te nicht, dass er den An­füh­rer ei­ner be­kann­ten Uni­ver­si­täts­fuß­ball­mann­schaft und im üb­ri­gen einen Fa­mi­li­en­va­ter und Ver­fas­ser vie­ler Bü­cher vor sich hat­te. Der Schwim­mer maß Bil­ly mit ei­nem for­schen­den Blick, wie einen jun­gen Stu­den­ten, der sich zum Fuß­ball­klub mel­de­te.

»Sie sind selbst ein gan­zer Kerl«, sag­te er an­er­ken­nend. »Am bes­ten se­hen Sie si­cher ohne Klei­der aus. Irre ich mich, wenn ich sage, dass Sie si­cher et­was von Bo­xen ver­ste­hen?«

Bil­ly nick­te. »Mein Name ist Ro­berts.«

Der Schwim­mer run­zel­te die Stirn, als ver­such­te er ver­ge­bens, sich des Na­mens zu er­in­nern.

»Bill – Bill Ro­berts!« füg­te Bil­ly hin­zu.

»Oho! – Doch nicht der Gro­ße Bill Ro­berts? Dann habe ich Sie vor dem Erd­be­ben bo­xen se­hen. Es war im Hand­wer­ker­pa­vil­lon, und ge­ra­de vor Eddi Han­lon und ei­nem an­de­ren Bo­xer. Sie box­ten mit bei­den Fäus­ten, und Sie ha­ben furcht­ba­re Fäus­te, sind aber sehr lang­sam. Ja, ich er­in­ne­re mich – Sie wa­ren an dem Abend lang­sam, aber Sie schlu­gen Ihren Geg­ner.« Er streck­te ihm eine nas­se Hand ent­ge­gen. »Mein Name ist Ha­zard – Jim Ha­zard.«

»Und wenn Sie der große Fuß­ball­spie­ler sind, von dem vor ein paar Jah­ren so viel die Rede war, so habe ich in der Zei­tung von Ih­nen ge­le­sen. Hab’ ich recht?«

Sie drück­ten sich die Hän­de mit großer Herz­lich­keit, und dann wur­de Sa­xon vor­ge­stellt. Sie fühl­te sich un­sag­bar klein ne­ben den bei­den jun­gen Rie­sen, gleich­zei­tig aber war sie sehr stolz, ei­ner Ras­se an­zu­ge­hö­ren, de­ren Frau­en Män­ner wie die­se ge­bo­ren hat­ten. Sie konn­te nur zu­hö­ren, wenn die bei­den spra­chen.

»Ich hät­te Lust, je­den Tag eine hal­be Stun­de mit Ih­nen zu bo­xen«, sag­te Ha­zard. »Sie könn­ten mich viel leh­ren. Blei­ben Sie lan­ge hier?«

»Nein, wir müs­sen wei­ter die Küs­te ent­lang – wir se­hen uns nach Grund und Bo­den um. Aber des­halb könn­te ich Sie doch dies oder je­nes leh­ren, und ei­nes kön­nen Sie mich leh­ren – näm­lich Schwim­men in der Bran­dung.«

»Ich will gern je­der­zeit den Un­ter­richt mit Ih­nen tau­schen«, sag­te Ha­zard. Dann wand­te er sich zu Sa­xon. »Wa­rum blei­ben Sie nicht ei­ni­ge Zeit hier in Car­mel? Hier ist es wirk­lich schön.«

»Hier ist es herr­lich«, gab sie mit ei­nem dank­ba­ren Lä­cheln zu. »Aber –« sie wand­te sich um und zeig­te auf ihre Bün­del, die am Ran­de der Lu­pi­nen la­gen, »wir sind auf der Wan­de­rung und auf der Um­schau nach Staats­bo­den.«

»Wenn Sie dazu nach Sur wol­len, er läuft er Ih­nen nicht weg«, lach­te er. »Nun, jetzt muss ich aber zu­erst se­hen, in die Klei­der zu kom­men. Wenn Sie die­sen Weg zu­rück­kom­men, müs­sen Sie mich ja be­su­chen. Alle Men­schen kön­nen Ih­nen sa­gen, wo ich woh­ne. Auf Wie­der­se­hen!«

Und er ver­schwand, wie er ge­kom­men war, im Lauf über die Dü­nen.

Bil­ly sah ihm be­wun­dernd nach.

»Ein tüch­ti­ger Kerl! Ein tüch­ti­ger Kerl!« mur­mel­te er. »Weißt du, Sa­xon – er ist ein be­rühm­ter Mann. Ich habe sein Ge­sicht in den Zei­tun­gen ge­se­hen, ach, min­des­tens tau­send­mal, und da­bei tut er sich nicht im ge­rings­ten di­cke. Er sprach mit mir wie mit sei­nes­glei­chen. Weißt du – ich be­kom­me di­rekt wie­der Glau­ben an den al­ten Stamm.«

Dann gin­gen sie vom Stran­de fort und kauf­ten in der win­zi­gen Haupt­stra­ße Fleisch, Ge­mü­se und ein Dut­zend Eier. Bil­ly muss­te Sa­xon von ei­nem höchst an­zie­hen­den Schau­fens­ter di­rekt weg­zie­hen, wo es vie­le Aba­lo­nen­per­len mit und ohne Fas­sung gab, die in al­len Far­ben des Re­gen­bo­gens spiel­ten.

»Die gan­ze Küs­te ent­lang gibt es Aba­lo­nen«, sag­te Bil­ly, »du kannst so vie­le ha­ben, wie du willst. Man fin­det sie bei Ebbe.«

»Mein Va­ter hat­te Man­schet­ten­knöp­fe aus Aba­lo­nen­scha­len, in rei­nes wei­ßes Gold ge­fasst. Ich habe vie­le Jah­re nicht dar­an ge­dacht und möch­te wohl wis­sen, wer sie jetzt hat?«

Sie mach­ten kehrt und gin­gen nach Sü­den. Über­all guck­ten zwi­schen den Kie­fern schö­ne ei­gen­ar­ti­ge Häu­ser her­vor, Häu­ser, die ver­schie­de­nen Künst­lern ge­hör­ten, und als der Weg plötz­lich nach dem Car­mel­fluss ab­bog, wa­ren sie nicht vor­be­rei­tet auf das Ge­bäu­de, das sich hier ih­ren Bli­cken dar­bot.

»Ich weiß gut, was das ist«, flüs­ter­te Sa­xon. »Ei­nes von den al­ten spa­ni­schen Mis­si­ons­ge­bäu­den. Es ist selbst­ver­ständ­lich die Car­mel­mis­si­on! Ja, so war es, als die Spa­nier aus Me­xi­ko her­ka­men – sie bau­ten über­all Mis­si­ons­häu­ser und be­kehr­ten die In­dia­ner –«

»Bis wir sie ver­jag­ten, Spa­nier und In­dia­ner und die gan­ze Ban­de«, sag­te Bil­ly mit ru­hi­ger Zufrie­den­heit.

»Aber des­halb ist es doch wun­der­bar!« sag­te Sa­xon nach­denk­lich und starr­te auf das große, halb­ver­fal­le­ne Ge­bäu­de aus un­ge­brann­ten Zie­geln. »In San Fran­zis­ko ist die Do­lo­res-Mis­si­on, aber sie ist klei­ner als die­se und nicht so alt.«

Ge­gen das Meer durch nied­ri­ge Fel­sen ge­schützt, von den Men­schen ver­las­sen, stand die­se Kir­che aus in der Son­ne ge­trock­ne­tem Lehm und Stroh und Krei­de­stein so still und fried­lich in­mit­ten der Zie­gel­rui­nen, die einst Tau­sen­den von An­däch­ti­gen Schutz ge­währt hat­ten. Der Geist, der über der Stät­te ruh­te, senk­te sich auf Sa­x­ons und Bil­lys Ge­müt her­ab, und sie gin­gen vor­sich­tig und spra­chen flüs­ternd, als fürch­te­ten sie sich, durch die of­fe­ne Tür hin­ein­zu­ge­hen. Hier gab es we­der Pries­ter noch An­däch­ti­ge, aber sie fan­den alle An­zei­chen, dass die Stät­te von ei­ner Ge­mein­de be­nutzt wur­de.

Spä­ter er­klet­ter­ten sie den Glock­en­turm, der beim Erd­be­ben ge­bors­ten war, und sa­ßen auf dem Holz­werk, das mit der Hand zu­ge­hau­en war; und auf der Ga­le­rie, wo sie be­merk­ten, dass ihre Stim­men be­son­ders rein und klar klan­gen, sang Sa­xon, über ihre eig­ne Kühn­heit zit­ternd, die ers­ten Ver­se ei­nes Hir­ten­lie­des. Und be­geis­tert über das Er­geb­nis lehn­te sie sich über das Ge­län­der, und ihre Stim­me er­lang­te all­mäh­lich ihre vol­le Kraft.

Bil­ly lehn­te sich an die alte Mau­er und be­trach­te­te sie mit der war­men Glut der Lie­be in den Au­gen, und als sie fer­tig war, mur­mel­te er, fast flüs­ternd:

»Das war schön – ach so schön! Und du hät­test nur dein Ge­sicht se­hen sol­len, als du sangst. Es war eben­so schön wie dei­ne Stim­me. Ist es nicht ko­misch – ich den­ke nie an Re­li­gi­on, ohne gleich­zei­tig an dich zu den­ken.«

Sie lie­ßen sich un­ter den Wei­den nie­der, be­rei­te­ten ihr Mit­ta­ges­sen und ver­brach­ten den Nach­mit­tag auf dem nied­ri­gen Fels­vor­sprung nörd­lich von der Fluss­mün­dung. Es war nicht ihre Ab­sicht ge­we­sen, den Nach­mit­tag hier zu blei­ben, aber sie wa­ren zu be­zau­bert, um die Bran­dung, die an die Fel­sen schlug, und die vie­ler­lei far­ben­präch­ti­gen Le­be­we­sen ver­las­sen zu kön­nen, die sie im Mee­re fan­den – Stern­fi­sche, Krab­ben, Mu­scheln, See­a­ne­mo­nen und ein­mal in ei­nem klei­nen Bin­nen­see zwi­schen den Fel­sen einen klei­nen Teu­fels­fisch, der es ih­nen kalt über den Rücken lau­fen ließ, wenn er sein Netz nach den klei­nen Krab­ben aus­warf, die sie ihm hin­war­fen. Als das Was­ser zu sin­ken be­gann, sam­mel­ten sie Mu­scheln zu ei­ner Mahl­zeit – mäch­ti­ge Ker­le, fünf bis sechs Zoll lang und bär­tig wie Pa­tri­ar­chen. Und wäh­rend Bil­ly ver­ge­bens nach Aba­lo­nen such­te, plät­scher­te Sa­xon in dem kris­tall­kla­ren Was­ser ei­nes klei­nen Bin­nen­sees mit­ten im Fel­sen und wir­bel­te gan­ze Hän­de voll fun­keln­der Ju­we­len hoch – Stücke von Mu­schel­scha­len und Stei­ne in leuch­tend Rosa und Blau und Grün und Vio­lett. Bil­ly kam wie­der und leg­te sich ne­ben sie, und da la­gen sie nun in dem see­fri­schen Son­nen­schein, wäh­rend sie zu­sam­men die Son­ne hin­ter dem Ho­ri­zont ver­sin­ken sa­hen, wo das Meer am tiefs­ten pfau­blau war.

Sie reich­te Bil­ly die Hand und seufz­te in­nig zu­frie­den. Es kam ihr vor, als hät­te sie nie einen so wun­der­ba­ren Tag er­lebt. Es war, als woll­ten alle al­ten Träu­me in Er­fül­lung ge­hen. Sie hat­te sich nie ge­dacht, dass die Welt so herr­lich sein könn­te, nicht ein­mal in ih­ren schöns­ten Träu­men. Bil­ly drück­te ihr zärt­lich die Hand. »Woran denkst du?« frag­te er, als sie sich schließ­lich er­hob, um zu ge­hen.

»Ach, das weiß ich nicht recht, Bil­ly. Vi­el­leicht dach­te ich dar­an, dass ein Tag wie der heu­ti­ge viel schö­ner war als zehn­tau­send Jah­re in Oa­k­land.«

*

Sie ver­lie­ßen den Car­mel­fluss und Car­mel, und im Son­nen­auf­gang wan­der­ten sie nach Sü­den über die Hü­gel zwi­schen den ho­hen Ber­gen und dem Mee­re. Der Weg war arg über­schwemmt und vol­ler Was­ser­läu­fe und sah nicht nach star­kem Ver­kehr aus.

»Wei­ter un­ten ver­schwin­det er ganz«, sag­te Bil­ly. »Dort gibt es nur Vieh­stei­ge. Aber es sieht nicht da­nach aus, dass es dort Wald gäbe, und die­ser Bo­den ist nicht be­son­ders gut. Er ist nur als Wei­de zu ge­brau­chen – nichts für Land­wirt­schaft.«

Die Hü­gel wa­ren kahl und mit Gras be­wach­sen. Nur in den Ca­ny­ons gab es Wäl­der, wäh­rend die hö­he­ren und fer­ne­ren Ber­ge ganz zot­tig von Cha­par­ral wa­ren. Ein­mal sa­hen sie einen Co­yo­ten in den Busch schlüp­fen, und ein­mal hät­te Bil­ly gern ein Ge­wehr ge­habt, da eine große Wild­kat­ze sie bos­haft an­starr­te und erst flüch­te­te, als sie mit ei­nem Klum­pen Erde ver­trie­ben wur­de, der wie eine Gra­na­te um ihre Ohren ex­plo­dier­te.

Sa­xon klag­te über Durst, und an ei­ner Stel­le, wo der Weg fast in glei­cher Höhe mit dem Mee­res­s­pie­gel ging und über eine klei­ne Berg­schlucht führ­te, sah Bil­ly sich nach Was­ser um. Die Fels­schlucht war feucht von dem Was­ser, das von den Hü­geln her­ab­si­cker­te, und er ließ sie sich nie­der­set­zen und sich aus­ru­hen, wäh­rend er nach ei­ner Quel­le such­te.

»Hör mal«, rief er ein paar Mi­nu­ten spä­ter, »komm her­un­ter. Das musst du wirk­lich se­hen. Wenn du das siehst, wirst du ganz wild.«

Sa­xon folg­te dem halb­ver­wisch­ten Pfad, der über den stei­len Hang durch das Dickicht hin­ab­führ­te. Un­ge­fähr in der Mit­te, wo ein von großen Stei­nen be­schwer­ter Sta­chel­draht­zaun hoch über die Mün­dung der Schlucht hin­weg­führ­te, sah sie den ers­ten Schim­mer des win­zi­gen Stran­des. Nur vom Mee­re aus konn­te man die Exis­tenz die­ser Schlucht er­ra­ten, so völ­lig war sie zwi­schen den drei Sei­ten nach dem Land zu mit Busch­werk be­deckt. Aber vom Stran­de ging eine schma­le Bucht in das Land hin­ein, und durch die­se hin­durch brüll­te das Meer, um sich schließ­lich wie­der in der ganz schwach pul­sie­ren­den Bran­dung zu ver­lie­ren. Vor die­ser Bucht be­fan­den sich vie­le frei­ste­hen­de Klip­pen, ge­gen die die Bran­dung in all ih­rer Ge­walt wü­te­te, wo­bei sie Schaum und Sprit­zer hoch in die Luft sand­te. Der Fuß die­ser Klip­pen, der sich aus den Wo­gen er­hob, war schwarz von Mu­scheln. Oben­drauf la­gen mäch­ti­ge See­lö­wen, glän­zend von Was­ser und die Son­ne an­brül­lend, wäh­rend hoch oben in der Luft eine Men­ge See­vö­gel flo­gen, die hin und her wir­bel­ten, kreisch­ten und lau­te Schreie aus­stie­ßen.

Das letz­te Stück des We­ges bis zum Sta­chel­draht­zaun hin­ab war eine Rutsch­bahn von ei­ni­gen Me­tern, und Sa­xon lan­de­te sit­zend auf dem wei­chen, trock­nen Sand.

»Ach, ich sage dir – das ist groß­ar­tig!« sag­te Bil­ly mit über­strö­men­der Freu­de. »Sieh, das ist noch eine Stel­le, wo es sich lohnt zu ras­ten. Un­ter den Bäu­men ist die rei­zends­te Quel­le, die du dir den­ken kannst. Und sieh all das gute Brenn­holz und« – sein Blick schweif­te über das Meer hin­aus, und sei­ne Au­gen sa­hen, was er nicht mit Wor­ten aus­drücken konn­te – »und das al­les. Sieh die Mu­scheln dort. Ich möch­te wet­ten, dass wir Fi­sche fan­gen könn­ten. Was meinst du dazu, wenn wir ein paar Tage hier­blei­ben? – Wir ha­ben doch Fe­ri­en – und ich könn­te nach Car­mel zu­rück­ge­hen, um An­gel­schnü­re und Ha­ken zu ho­len.«

Sa­xon, die ganz da­von in An­spruch ge­nom­men war, sei­ne freu­de­strah­len­de Mie­ne zu be­trach­ten, ver­stand, dass er jetzt im Ernst das Le­ben in der Stadt ver­ges­sen woll­te.

»Und es ist kein Wind hier«, sag­te er über­re­dend. »Nicht ein Hauch. Und sieh, wie un­be­rührt es ist – ganz, als wä­ren wir vie­le Mei­len von al­len Men­schen ent­fernt.«

 

Der Wind, der auf den Hü­geln kalt und scharf ge­we­sen war, konn­te nicht in die Bucht her­ein­drin­gen, und die Luft am Stran­de war warm und bal­sa­misch, von ei­nem wür­zi­gen, durch­drin­gen­den Duft aus dem Ge­büsch er­füllt. Hie und da, mit­ten im Ge­büsch, stan­den klei­ne Ei­chen und an­de­re klei­ne Bäu­me, de­ren Na­men Sa­xon nicht kann­te. Ihre Be­geis­te­rung war jetzt min­des­tens eben­so groß wie die Bil­lys, und Hand in Hand gin­gen sie, um die Um­ge­gend zu er­for­schen.

»Hier kön­nen wir ja Ro­bin­son Cru­soe spie­len«, rief Bil­ly, als sie von der Hoch­was­ser­mar­ke über den har­ten Sand bis ans Was­ser gin­gen. »Komm, Ro­bin­son. Lass uns ein Weil­chen hier­blei­ben. Ja, ich bin na­tür­lich nur dein Die­ner Frei­tag, und al­les wird ge­sche­hen, wie du es wünschst.«

»Aber was sol­len wir denn mit Herrn Sonn­abend ma­chen?« Sie zeig­te mit gut ge­spiel­ter Be­stür­zung auf einen fri­schen Fuß­ab­druck im San­de. »Er kann ja zum Bei­spiel ein bö­ser Men­schen­fres­ser sein.«

»Dies nicht, das ist kein nack­ter Fuß son­dern ein Ten­nis­schuh.«

»Aber ein Wil­der hät­te doch gut einen Ten­nis­schuh von ei­nem er­trun­ke­nen See­mann be­kom­men kön­nen, den er ge­fres­sen hat«, wand­te sie ein.

»Aber See­leu­te tra­gen auch kei­ne Ten­nis­schu­he«, ant­wor­te­te Bill rasch.

»Du bist zu klug, um Frei­tag zu sein«, schalt sie. »Aber des­halb kön­nen wir uns doch hier nie­der­las­sen, wenn du die Bün­del ho­len willst. Au­ßer­dem braucht es ja kein See­mann zu sein, der ge­fres­sen wur­de. Es kann auch ein Pas­sa­gier ge­we­sen sein.«

Ehe eine Stun­de ver­gan­gen war, hat­ten sie sich ein war­mes, ge­müt­li­ches La­ger be­rei­tet. Die De­cken wa­ren aus­ge­brei­tet; tro­ckenes Treib­holz wur­de ge­holt, zu Brenn­holz ge­hackt und die Kaf­fee­kan­ne über das an­ge­zün­de­te Feu­er ge­hängt, wo sie bald zu schnur­ren be­gann. Sa­xon rief Bil­ly, der da­bei war, aus ei­ner von den Wel­len stark ver­wa­sche­nen Plan­ke einen im­pro­vi­sier­ten Tisch zu ver­fer­ti­gen. Auf dem Fels­vor­sprung in der Fer­ne stand ein nack­ter, nur mit Schwimm­ho­sen be­klei­de­ter Mann. Er starr­te zu ih­nen her­über, und sie konn­ten se­hen, wie der Wind sein lan­ges schwar­zes Haar pack­te. Als er die Dü­nen nach dem Lan­de zu er­klomm, mach­te Bil­ly Sa­xon dar­auf auf­merk­sam, dass der Frem­de Ten­nis­schu­he trug. We­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter hat­te er sich von dem Fel­sen an den Strand ge­schwun­gen und kam jetzt auf sie zu. »Gro­ßer Gott«, flüs­ter­te Bil­ly Sa­xon zu. »Er ist ja ma­ger ge­nug, aber sieh sei­ne Mus­keln! Hier schei­nen ja alle Men­schen rich­ti­ge Sports­leu­te zu sein.«

Als der Frem­de nä­her kam, sah Sa­xon sein Ge­sicht, und sie muss­te an die ers­ten An­sied­ler und an ge­wis­se Ge­sich­ter den­ken, die man häu­fig un­ter Sol­da­ten aus je­ner Zeit sieht. Ob­wohl die­ser Mann jung war – nicht über drei­ßig, wie sie sich sag­te –, hat­te er doch das­sel­be lan­ge, schma­le Ge­sicht mit den star­ken Ba­cken­kno­chen, der ho­hen, schma­len Stirn und der stark­ge­bo­ge­nen Nase, die fast wie ein Ad­ler­sehna­bel war. Die Lip­pen wa­ren dünn und sehr be­weg­lich; aber die Au­gen wa­ren ganz an­ders als die Au­gen ei­nes Pio­niers oder ei­nes Ve­te­ra­nen, oder über­haupt ir­gend­ei­nes Man­nes, den sie je ge­se­hen hat­te. Sie wa­ren so dun­kel­grau, dass sie fast braun wirk­ten, und ihr Blick ging in die Fer­ne und war wach­sam wie ein kla­res Licht, das un­end­li­che Tie­fen er­forscht. Sa­xon hat­te eine un­kla­re Vor­stel­lung, dass sie ihn frü­her schon ein­mal ge­se­hen hat­te.

»Gu­ten Tag«, sag­te er. »Hier scheint es ja recht ge­müt­lich zu sein.« Er warf einen halb mit Mu­scheln ge­füll­ten Sack auf den Bo­den. »Das ist al­les, was ich fan­gen konn­te. Das Was­ser stand noch nicht nied­rig ge­nug.«

Sa­xon hör­te Bil­ly einen lei­sen Ruf aus­sto­ßen, und sie sah, wie sich die höchs­te Über­ra­schung in sei­nem Ge­sicht mal­te.

»Weiß Gott, ich bin stolz und froh, Sie zu tref­fen!« brach es aus ihm her­aus. »Darf ich Ihre Hand drücken? Ich habe im­mer ge­sagt, wenn ich Sie je vor Au­gen sehe, woll­te ich Ihre Hand drücken. – Wis­sen Sie!«

Aber hier wur­de Bil­ly von sei­nen Ge­füh­len über­wäl­tigt, und das hal­b­er­stick­te Ki­chern, wo­mit er be­gann, wur­de bald zu ei­nem schal­len­den Ge­läch­ter.

Der Frem­de sah ihn neu­gie­rig an und warf Sa­xon einen fra­gen­den Blick zu.

»Sie müs­sen ent­schul­di­gen«, sag­te Bil­ly mit ei­nem gur­geln­den Geräusch, wäh­rend er dem an­de­ren im­mer wie­der die Hand schüt­tel­te. »Aber ich muss wirk­lich la­chen. Ich sage Ih­nen, dass ich nachts auf­ge­wacht bin und ge­lacht habe, weiß Gott! Kennst du ihn nicht, Sa­xon? Das ist doch der – sa­gen Sie, Freund, Sie sind ein tüch­ti­ger Kerl im Hun­dert­me­ter­lauf, nicht wahr?«

Und im sel­ben Au­gen­blick wuss­te Sa­xon, wo sie den Frem­den schon ge­se­hen hat­te. Es war der, wel­cher mit Roy Blan­chard bei dem Auto ge­stan­den hat­te, als sie krank und be­wusst­los in einen frem­den Stadt­teil ge­ra­ten war. Und an dem Tage hat­te sie ihn auch nicht zum ers­ten Mal ge­se­hen.

»Erin­nern Sie sich noch an das Fest der Mau­rer im Wea­sel Park?« frag­te Bil­ly. »Und an das Ren­nen? Ich hät­te Ihre Nase aus Mil­lio­nen her­aus­ge­kannt. Sie wa­ren es, der Ti­mo­thy McMa­nus den Stock zwi­schen die Bei­ne steck­te und den schlimms­ten Kra­wall ver­an­lass­te, den Wea­sel Park oder ir­gend­ein an­de­rer Sport­platz je ge­se­hen hat.«

Jetzt muss­te auch der Frem­de la­chen. Er stand bald auf ei­nem Bein, bald auf dem an­de­ren, je nach­dem ihn das La­chen zu über­wäl­ti­gen droh­te, und schließ­lich setz­te er sich auf ein Stück Treib­holz.

»So, Sie wa­ren auch dort!« stam­mel­te er schließ­lich. »Na, ha­ben Sie es ge­se­hen? Ha­ben Sie es ge­se­hen?« Er wand­te sich zu Sa­xon. – »Und Sie?«

Sie nick­te.

»Sa­gen Sie«, be­gann Bil­ly wie­der, als das La­chen sich et­was ge­legt hat­te, »ich möch­te gern wis­sen, warum Sie das ta­ten. Sa­gen Sie, warum ta­ten Sie das nur? Das habe ich mich seit­her im­mer wie­der ge­fragt.«

»Ich mich auch!« lau­te­te die Ant­wort.

»Sie hat­ten Ti­mo­thy McMa­nus nie zu­vor ge­se­hen, nicht wahr?«

»Nein, ich hat­te ihn nie zu­vor ge­se­hen, und ich habe ihn auch seit­her nicht wie­der­ge­se­hen.«

»Aber warum ta­ten Sie es dann?« frag­te Bil­ly ein­dring­lich.

Der jun­ge Mann lach­te wei­ter, be­zwang sich aber schließ­lich und ant­wor­te­te:

»Und wenn es mein Le­ben kos­ten soll­te, ich weiß es nicht! Ich habe einen Freund, einen sehr in­tel­li­gen­ten Bur­schen, der erns­te wis­sen­schaft­li­che Bü­cher schreibt, und der sagt, dass es ihm im­mer in den Fin­gern juckt, ein Ei in einen elek­tri­schen Ven­ti­la­tor zu wer­fen, um zu se­hen, was ge­sche­hen wird. Vi­el­leicht war es mit mir ge­nau das­sel­be – und es war nur das, was ich tat. Als ich die Bei­ne her­an­kom­men sah, steck­te ich ein­fach den Stock da­zwi­schen. Ich wuss­te sel­ber gar nicht, dass ich es tun woll­te. Ich tat es eben. Ti­mo­thy McMa­nus konn­te nicht er­staun­ter sein, als ich es war.«

»Hat man Sie ge­kriegt?« frag­te Bil­ly.

»Sehe ich aus, als ob ich mich krie­gen lie­ße? Ich bin nie in mei­nem Le­ben so er­schro­cken ge­we­sen. An dem Tag hät­te selbst Ti­mo­thy McMa­nus mich nicht fan­gen kön­nen. Aber was ge­sch­ah hin­ter­her? Ich habe ge­hört, dass es einen furcht­ba­ren Krach gab, aber ich konn­te es nicht ab­war­ten.«

Erst nach ei­ner Vier­tel­stun­de, als Bil­ly die Prü­ge­lei be­schrie­ben hat­te, stell­te der Frem­de sich vor und er­fuhr ih­ren Na­men. Er hieß Mark Hall und wohn­te in ei­ner klei­nen Vil­la zwi­schen den Kie­fern bei Car­mel.