Jack London – Gesammelte Werke

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Wie du willst«, er­klär­te Bil­ly. »Ha­zel und Hat­tie kom­men zu mir zu­rück, aber du musst mir Mie­te für die Zeit be­zah­len, die du sie ge­braucht hast.«

»Wenn du mich dazu zwingst, dann las­se ich dich für die Kost be­zah­len«, sag­te sie dro­hend.

»Wenn du mich für die Kost be­zah­len lässt, dann neh­me ich Zin­sen für das Geld, das ich in die Ge­schich­te hier ge­steckt habe.«

»Das kannst du nicht«, lach­te Sa­xon, »das ist ge­mein­sa­mes Ei­gen­tum.«

Er grunz­te, als hät­ten ihre letz­ten Wor­te ihn stumm ge­macht.

»Da hast du es mir or­dent­lich ge­ge­ben«, sag­te er, »und da kann ich dir nicht ant­wor­ten. Aber weißt du, es klingt doch hübsch, nicht wahr? – Ge­mein­sa­mes Ei­gen­tum.« Er wie­der­hol­te es und kos­te­te be­hag­lich die Wor­te aus. »Und als wir uns hei­ra­te­ten, war das höchs­te, wozu un­ser Ehr­geiz sich auf­schwin­gen konn­te, fes­te Ar­beit, ein paar Lum­pen und die paar Mö­bel, die halb ver­braucht wa­ren, ehe wir sie be­zahlt hat­ten. Ohne dich gäbe es nichts, was ge­mein­sa­mes Ei­gen­tum hie­ße.«

»Ach Un­sinn! Was hät­te ich auf ei­ge­ne Faust tun kön­nen? Du weißt sehr gut, dass du selbst all das Geld ver­dien­test, durch das wir hier in die Höhe ka­men. Du be­zahl­test Gow Yums, Chan Chis, Hug­hies und Frau Pauls Lohn – ge­wiss, du bist es, der al­les ge­macht hat.«

Sie ließ zärt­lich ihre Hän­de über sei­ne Schul­tern und die har­ten Mus­keln sei­nes Obe­r­ar­mes glei­ten.

»Das war es, was den Aus­schlag gab, Bil­ly!«

»Ach zum Teu­fel! Den Aus­schlag gab selbst­ver­ständ­lich dein Kopf. Was hät­ten mei­ne Mus­keln genützt, wenn nicht dein Kopf ge­we­sen wäre, der sie die rich­ti­ge Ar­beit tun ließ? – Streik­bre­cher ver­prü­geln, das konn­ten sie, Zim­mer­her­ren ver­prü­geln und die Ell­bo­gen auf einen Bar­tisch stem­men. Das ein­zi­ge Ver­nünf­ti­ge, was mein Kopf je ge­tan hat, war, dass ich auf dich an­biss. Bei Gott, Sa­xon, du bist es, die mich zu et­was ge­macht hat.«

»Ach zum Teu­fel«, mach­te sie ihn nach, was Bil­ly im­mer un­ge­heu­er amü­sier­te. »Wo wäre ich heu­te, Bil­ly, wenn du mir nicht von der Wä­sche­rei weg­ge­hol­fen hät­test? Ich konn­te mir ja nicht sel­ber weg­hel­fen. Ich war nur ein hilflo­ses Mäd­chen. Ich wür­de heu­te noch dort sein, wenn du nicht ge­kom­men wä­rest. Frau Mor­ti­mer hat­te fünf­tau­send Dol­lar, aber ich hat­te dich.«

»Eine Frau kann sich selbst­ver­ständ­lich nicht so hel­fen wie ein Mann«, sag­te er do­zie­rend. »Aber jetzt will ich dir et­was sa­gen! Zu der Ar­beit ge­hö­ren zwei. Wir sind wie zwei Pfer­de ge­we­sen, die in ei­nem Ge­spann mit­ein­an­der lie­fen. Wä­ren wir je­der für sich ge­lau­fen, so hät­test du heu­te noch in der Wä­sche­rei ste­hen kön­nen, und bei ei­ni­gem Glück wür­de ich im­mer noch tags­über mei­ne Pfer­de kut­schie­ren und abends in bil­li­ge Tanz­lo­ka­le ge­hen.«

*

Sa­xon stand un­ter dem Va­ter al­ler Ma­dron­jos und blick­te Ha­zel und Hat­tie nach, wie sie vor dem schwer be­la­de­nen Ge­mü­se­wa­gen hin­ter der Pfor­te ver­schwan­den. Dann sah sie Bil­ly, der auf den Hof ge­rit­ten kam. Am Zü­gel führ­te er eine rot­brau­ne Stu­te, auf de­ren sei­den­wei­cher Haut die Son­ne spiel­te.

»Vier Jah­re alt, feu­rig und wild, aber nicht bos­haft«, ju­bel­te Bil­ly, als er ne­ben Sa­xon an­hielt. »Eine Haut wie Sei­den­pa­pier, eine Haut wie Sei­de und doch stark ge­nug, um den Kampf mit der stärks­ten Stu­te auf­zu­neh­men, die je ein Fül­len ge­wor­fen hat. Sie heißt Ra­mo­na – das ist ein spa­ni­scher Name – und sie hat auch einen mäch­tig fei­nen spa­nisch-ame­ri­ka­ni­schen Stamm­baum.«

»Wol­len sie sie denn ver­kau­fen?« frag­te Sa­xon und press­te die Hän­de in wort­lo­ser Be­geis­te­rung zu­sam­men.

»Das ist wohl der Grund, dass ich sie mit­ge­bracht habe, da­mit du sie se­hen könn­test.«

»Aber wie viel for­dern sie denn?« lau­te­te Sa­x­ons nächs­te Fra­ge, so un­mög­lich kam es ihr vor, dass sie je ein so wun­der­ba­res Pferd be­sit­zen soll­ten.

»Das geht dich nichts an«, ant­wor­te­te Bil­ly kurz. »Die Zie­ge­lei be­zahlt da­für, nicht mehr der Ge­mü­se­gar­ten. Wenn du dir et­was aus ihr machst, ge­hört sie dir. Was meinst du?«

»Das sollst du gleich er­fah­ren.«

Sa­xon woll­te sich in den Sat­tel schwin­gen, aber das Pferd wur­de ner­vös und mach­te einen Sei­ten­sprung.

»Halt dich fest, bis ich sie an­ge­bun­den habe«, sag­te Bil­ly. »Sie ist kei­ne Rö­cke ge­wöhnt – das ist das gan­ze Un­glück.«

Sa­xon pack­te Zü­gel und Mäh­ne, setz­te ih­ren Fuß mit dem Sporn in Bil­lys Hand und schwang sich leicht in den Sat­tel.

»Spo­ren ist sie ge­wohnt«, rief Bil­ly ihr nach. »Aber sie ist auf spa­ni­sche Art ein­ge­rit­ten, du darfst sie nicht zu schnell brem­sen. Bleib ganz ru­hig und rede am liebs­ten ein biss­chen mit ihr. Sie ist ein vor­neh­mes Tier.«

Sa­xon nick­te, saus­te durch die Pfor­te und den Weg hin­ab, wink­te Kla­ra Has­tings zu, als sie an der Pfor­te von ›Tril­li­um Zuf­lucht‹ vor­bei­ritt, und spreng­te wei­ter durch den Ca­ny­on am Wild­was­ser.

Als sie wie­der­kam, war Ra­mo­na schweiß­be­deckt von dem schnel­len Ritt, und Sa­xon ritt um das Haus her­um, an den Hüh­ner­häu­sern und den blü­hen­den Obst­sträu­chern vor­bei zu Bil­ly, der mit sei­nem Pfer­de im Schat­ten oben auf dem Han­ge hielt und eine Zi­ga­ret­te rauch­te. Zu­sam­men blick­ten sie durch eine Öff­nung in den Bäu­men auf die Wie­se hin­ab, die kei­ne Wie­se mehr war. Sie war mit ma­the­ma­ti­scher Ge­nau­ig­keit in Qua­dra­te, Recht­e­cke und schma­le Strei­fen ein­ge­teilt, die deut­lich ver­schie­de­ne Nuan­cen von Grün auf­wie­sen, wie es für einen Ge­mü­se­gar­ten be­zeich­nend ist. Gow Yum und Chan Chi gin­gen mit mäch­ti­gen Stroh­hü­ten her­um und pflanz­ten grü­ne Zwie­beln. Der alte Hug­hie trab­te, die Ha­cke in der Hand, an der Haupt­ader des Rie­sel­sys­tems ent­lang, eif­rig be­schäf­tigt, ei­ni­ge Sei­ten­kanä­le zu öff­nen und an­de­re zu schlie­ßen. Aus dem Werk­zeugraum auf der an­de­ren Sei­te der Scheu­ne er­tön­ten Ham­mer­schlä­ge, die Sa­xon mel­de­ten, dass Carl­sen die Ge­mü­se­kis­ten mit Draht zu­band. Die hei­te­re, hohe Stim­me Frau Pauls er­hob sich in ei­nem Kir­chen­lied, das durch die Bäu­me zu ih­nen klang, be­glei­tet vom Schnur­ren ei­nes Schaum­peit­schers. Ein hys­te­ri­sches Bel­len ver­riet Pos­s­um, der ir­gend­wo sei­nen im­mer gleich hoff­nungs­lo­sen Kampf mit dem Eich­hörn­chen aus­focht. Bil­ly nahm einen tie­fen Zug aus sei­ner Zi­ga­ret­te, blies den Rauch aus und sah wei­ter auf die Wie­se hin­ab. Et­was in sei­ner Hal­tung sag­te, dass er nicht recht froh war, und Sa­x­ons freie Hand such­te sanft sei­ne Rech­te, die auf dem schwei­ßi­gen Pferd ruh­te, aber wie wenn sein Blick nicht auf dem Tie­re haf­ten woll­te, glitt er zu Sa­x­ons Ge­sicht em­por.

»Hm!« sag­te er aus­wei­chend, als sei er eben erst aus ei­ner Träu­me­rei er­wacht. »Die Por­tu­gie­sen in San Le­an­dro kön­nen uns bald nicht mehr viel leh­ren, was in­ten­si­ven Acker­bau be­trifft. Sieh das Was­ser, das dort un­ten fließt! Weißt du – manch­mal fin­de ich, es sieht so herr­lich aus, dass ich Lust be­kom­me, mich auf die Knie zu le­gen und es ein­zu­schlür­fen!«

»Ja, dass man in ei­nem sol­chen Kli­ma so viel Was­ser hat, wie man ha­ben will!« rief Sa­xon.

»Und du brauchst kei­ne Angst zu ha­ben, dass es ver­siegt. Wenn der Re­gen uns narrt, dann ha­ben wir ja im­mer noch den So­noma­bach. Wir brau­chen nichts zu tun, als eine Ga­so­lin­pum­pe zu in­stal­lie­ren.«

»Aber dazu wird es nie kom­men, Bil­ly. Ich habe neu­lich mit Red­wood Thomp­son ge­spro­chen. Er wohnt seit Drei­und­fünf­zig im Tal und sagt, dass es nicht eine ein­zi­ge Mis­sern­te we­gen Tro­cken­heit ge­ge­ben hat. Wir krie­gen im­mer Re­gen ge­nug.«

»Komm, lass uns ein biss­chen aus­rei­ten«, sag­te er plötz­lich. »Du hast doch Zeit?«

»Ja, ge­wiss, wenn du mir er­zäh­len willst, was dich be­drückt.«

Er sah sie has­tig an.

»Nichts«, grunz­te er. »Doch üb­ri­gens – doch et­was. Und es ist auch ei­ner­lei – frü­her oder spä­ter er­fährst du es ja doch. Du soll­test nur den al­ten Cha­von se­hen. Sein Ge­sicht ist so lang, dass er beim Ge­hen bald mit dem Kinn an die Knie stößt. Sei­ne Gold­mi­ne geht auf die Nei­ge.«

»Sei­ne Gold­mi­ne!?«

»Ja, sei­ne Lehm­gru­be, aber das kommt auf ei­nes hin­aus. Er kriegt zwan­zig Cent für den Me­ter von der Zie­ge­lei.«

»Das heißt also, dass dein Kon­trakt mit der Zie­ge­lei in die Brü­che geht!« sag­te Sa­xon, die gleich das Un­glück in sei­ner gan­zen Aus­deh­nung sah. »Was sa­gen die Leu­te von der Zie­ge­lei?«

»Sie wis­sen we­der ein noch aus, wenn sie auch hübsch den Mund hal­ten. Sie ha­ben rings auf den Hü­geln eine gan­ze Wo­che lang Lö­cher ge­gra­ben, und der ja­pa­ni­sche Che­mi­ker hat die gan­ze Nacht auf­ge­ses­sen und das Zeug, das sie ihm brin­gen, ana­ly­siert. Es ist eine be­son­de­re Art Lehm, die sie brau­chen, und den gibt es nicht über­all. Die Sach­ver­stän­di­gen, die über Cha­v­ons Lehm­gru­be be­rich­te­ten, ha­ben einen mäch­ti­gen Feh­ler ge­macht. Vi­el­leicht sind sie auch in ih­ren Boh­run­gen nach­läs­sig ge­we­sen, je­den­falls ha­ben sie sich in Be­zug auf den Wert des Lehms ver­rech­net. Aber mach dir nichts dar­aus. Es wird schon al­les wer­den. Du kannst nichts da­bei ma­chen.«

»Aber das kann ich doch«, sag­te Sa­xon eif­rig. »Wir brau­chen Ra­mo­na ja nicht zu kau­fen.«

»Da­mit hast du nichts zu tun«, ant­wor­te­te er. »Ich bin es, der sie kauft, und der Preis be­deu­tet nichts im Ver­gleich mit dem großen Spiel, das ich vor­ha­be. Selbst­ver­ständ­lich kann ich all mei­ne Pfer­de ver­kau­fen. Aber dann ver­die­ne ich kein Geld mehr mit ih­nen, und es war ein gu­ter Ver­trag mit der Zie­ge­lei.«

 

»Aber wenn du nun et­was von der kom­mu­na­len We­ge­ar­beit be­kom­men könn­test?« schlug sie vor.

»Ja, dar­an habe ich auch schon ge­dacht. Es be­steht auch eine Mög­lich­keit, dass der Stein­bruch wie­der in An­griff ge­nom­men wird, und der Mann, der dort fuhr, ist nach Pu­get Sound ge­zo­gen. Und was tut es schließ­lich, wenn ich auch die meis­ten von den Pfer­den ver­kau­fen muss? Ich habe ja dich, und du hast dein Ge­mü­se. Das ist eine si­che­re Sa­che. Wir kön­nen nur in der ers­ten Zeit nicht so schnell vor­wärts kom­men, das ist al­les. Das Land macht mir kei­ne Sor­gen. Ich habe al­les ge­prüft, wäh­rend wir da­hin­ras­sel­ten. Wir ha­ben nicht einen Stein un­ter­wegs ge­trof­fen, den wir uns nicht zu­nut­ze ma­chen konn­ten. Und nun sag, wo du nun hin­rei­ten willst.«

*

Sie rit­ten im Ga­lopp durch die Pfor­te, lärm­ten über die Brücke und pas­sier­ten »Tril­li­um Zuf­lucht«, ehe sie beim Han­ge nach dem Wild­was­ser-Ca­ny­on ab­bo­gen. Sa­xon hat­te sich ihr Feld auf dem großen Aus­läu­fer der So­noma­ber­ge als Ziel für ih­ren Ritt ge­wählt.

»Hör mal, mir fiel üb­ri­gens heu­te Mor­gen, als ich Ra­mo­na hol­te, eine große Sa­che ein«, sag­te Bil­ly, der für den Au­gen­blick alle Sor­gen mit der Lehm­gru­be ver­ges­sen hat­te. »Du weißt doch, die hun­dert­und­vier­zig Mor­gen! Ich kam ein Stück wei­ter­hin an dem jun­gen Cha­von vor­bei, und ich weiß sel­ber nicht, warum – wohl nur zum Spaß – frag­te ich ihn, ob er glaub­te, dass der Alte mir die hun­dert­und­vier­zig ver­pach­ten wür­de. Und was, glaubst du, ant­wor­te­te er? Er sag­te, dass sie dem Al­ten gar nicht ge­hör­ten. Er hät­te sie selbst nur ge­pach­tet. Des­halb lie­ße er im­mer sein Vieh dort wei­den. Es ist ein Loch in sei­ner ei­ge­nen Wirt­schaft, denn al­les Land auf drei Sei­ten ge­hört ihm.

Gleich dar­auf traf ich Ping. Er sag­te, dass sie Hi­lyard ge­hör­ten, und dass er be­reit sei zu ver­kau­fen – nur, dass Cha­von nicht das Geld dazu hät­te. Dann bin ich auf dem Rück­weg bei Pay­ne vor­ge­fah­ren. Er hat sei­ne Schmie­de auf­ge­ge­ben – ein Pferd hat ihm einen Tritt in den Rücken ver­setzt, und er kann sich nicht wie­der er­ho­len – und jetzt hat er ge­ra­de an­ge­fan­gen, mit Grund­stücken zu han­deln. Ja, es habe sei­ne Rich­tig­keit, sag­te er. Hi­lyard wol­le gern ver­kau­fen und habe ihn schon ge­be­ten zu tun, was er kön­ne. Cha­von habe es nur als Wei­de be­nutzt, und Hi­lyard wol­le die Pacht nicht er­neu­ern.«

Als sie den Wild­was­ser-Ca­ny­on ver­las­sen hat­ten, wand­ten sie die Pfer­de und mach­ten an ei­ner Stel­le, wo sie die drei be­wal­de­ten Hü­gel se­hen konn­ten, mit­ten auf den er­wähn­ten hun­dert­und­vier­zig Mor­gen, halt.

»Es wird schon ein­mal uns ge­hö­ren«, sag­te Sa­xon.

»Das soll es«, sag­te Bil­ly in ei­nem Ton, als hege er kei­nen Zwei­fel. »Ich habe mir wie­der die Zie­gel­stein­scheu­ne an­ge­se­hen. Sie ist wie ge­schaf­fen für eine gan­ze Schar von Pfer­den, und ein Dach wird bil­li­ger sein, als ich ge­dacht hat­te. Aber jetzt, da es mit dem Lehm schief geht, kön­nen we­der Cha­von noch ich an einen Kauf den­ken.«

Als sie zu Sa­x­ons Feld ka­men, das, wie sie jetzt wuss­ten, Red­wood Thomp­son ge­hör­te, ban­den sie ihre Pfer­de an und gin­gen zu Fuß hin­auf. Das Gras wur­de ge­ra­de ge­mäht, und Thomp­son, der es zu­sam­men­hark­te, rief ih­nen einen Gruß zu. Es war ein stil­ler, kla­rer Tag ohne einen Wind­hauch, und sie such­ten im Wal­de hin­ter dem Feld Schutz vor der Son­ne. Hier ka­men sie auf einen halb­ver­wisch­ten Pfad.

»Es ist ein Vieh­steig«, er­klär­te Bil­ly. »Ich möch­te wet­ten, dass ir­gend­wo zwi­schen den Bäu­men eine win­zi­ge Wei­de ver­steckt liegt. Lass uns hier ge­hen.«

Eine Vier­tel­stun­de spä­ter ka­men sie, ei­ni­ge hun­dert Fuß wei­ter den Hang hin­an, auf eine of­fe­ne Wie­se. Tief un­ter ih­nen la­gen die hun­dert­und­vier­zig Mor­gen, und sie be­fan­den sich in glei­cher Höhe mit den drei Hü­geln. Bil­ly blieb ste­hen, um das so er­sehn­te Land zu be­trach­ten, und Sa­xon trat zu ihm.

»Was ist das?« frag­te sie und zeig­te auf die Hü­gel. »Dort oben, links von dem klei­nen Ca­ny­on, auf dem Hü­gel gleich un­ter der Tan­ne, die sich ein we­nig vorn­über­neigt?«

Was Bil­ly sah, war ein wei­ßer Ein­schnitt an der Sei­te des Ca­ny­ons.

»Das ver­ste­he ich nicht«, sag­te er und sah for­schend nach dem Ein­schnitt. »Ich hat­te ge­dacht, je­den Zoll von dem Bo­den hier zu ken­nen, aber den Ein­schnitt habe ich noch nie ge­se­hen. Erst An­fang des Win­ters war ich am Ende des Ca­ny­ons. Dort ist es schreck­lich wild. Die Sei­ten des Ca­ny­ons sind so steil wie ein Kirch­turm und dicht be­wal­det.«

»Was ist das?« frag­te sie. »Ein Erd­rutsch?«

»Das muss es sein – von dem hef­ti­gen Re­gen. Wenn ich mich nicht sehr irre« – Bil­ly ver­gaß die Fort­set­zung, so eif­rig be­schäf­tig­te ihn der An­blick des Ein­schnitts.

»Hi­lyard will für drei­ßig den Mor­gen ver­kau­fen«, be­gann er wie­der, schein­bar ohne Zu­sam­men­hang mit dem Vor­her­ge­gan­ge­nen. »Gu­tes Land, schlech­tes Land, wie es sich trifft, drei­ßig für den Mor­gen. Das macht zwei­tau­send­zwei­hun­dert. Pay­ne ist neu in dem Ge­schäft, ich wer­de ihn dazu brin­gen, auf die Hälf­te sei­ner Pro­vi­si­on zu ver­zich­ten, und ich wer­de schon güns­ti­ge Be­din­gun­gen er­zie­len. Wir kön­nen im­mer die vier­hun­dert von Gow Yum noch ein­mal lei­hen, und ich kann Geld auf mei­ne Pfer­de und Wa­gen auf­neh­men –«

»Willst du heu­te kau­fen?« neck­te Sa­xon ihn.

Ihre Wor­te dran­gen gar nicht bis zu sei­nem Be­wusst­sein. Er sah sie an, als hät­te er ge­hört, was sie sag­te, ver­gaß es aber im nächs­ten Au­gen­blick wie­der.

»Kopf­ar­beit«, mur­mel­te er. »Kopf­ar­beit – wenn ich nicht ein gu­tes Ge­schäft ma­che –«

Er eil­te auf dem Vieh­steig zu­rück, dann aber fiel ihm Sa­xon ein, und er rief ihr über die Schul­ter zu:

»Komm. Mach schnell! Ich muss hin­über und es mir an­se­hen.«

Er lief so schnell den Weg ent­lang und über das Feld, dass Sa­xon kei­ne Zeit zu fra­gen hat­te. Sie war ganz atem­los, so hat­te sie sich an­stren­gen müs­sen, mit­zu­kom­men.

»Was ist es?« frag­te sie eif­rig, als er sie in den Sat­tel hob.

»Vi­el­leicht nur Un­sinn – ich er­zäh­le es dir spä­ter«, ant­wor­te­te er aus­wei­chend.

Sie ga­lop­pier­ten über die Ebe­ne, trab­ten die Hän­ge hin­ab, und erst, als sie die stei­le Bö­schung am Wild­was­ser er­reich­ten, hiel­ten sie die Pfer­de wie­der an und lie­ßen sie im Schritt ge­hen. Bil­lys Zer­streut­heit war jetzt ver­schwun­den, und Sa­xon be­nutz­te die Ge­le­gen­heit, um ein The­ma an­zu­schnei­den, das sie seit ei­ni­ger Zeit be­drück­te.

»Kla­ra Has­tings er­zähl­te mir heu­te, dass sie Be­such be­kämen. Jim Ha­zard und Mark Hall kom­men mit ih­ren Frau­en und Roy Blan­chard –«

Sie sah Bil­ly be­sorgt an. Als sie Blan­chard nann­te, hat­te er den Kopf wie beim Klang ei­ner Trom­pe­te ge­ho­ben, dann aber zuck­te das La­chen in sei­nen blau­en Au­gen, wo die Wet­ter­wol­ken wie ge­wöhn­lich ka­men und schwan­den.

»Es ist lan­ge her, dass du ei­nem Man­ne ge­sagt hast, er sol­le sich ver­zie­hen«, sag­te sie vor­sich­tig.

Bil­ly grins­te dumm.

»Ach, mach dir nichts draus«, sag­te er halb scher­zend und halb über­legt. »Roy Blan­chard darf ger­ne kom­men. Ich er­lau­be es. Das ist al­les schon so lan­ge her. Üb­ri­gens habe ich auch zu viel zu tun, um mich mit sol­chen Din­gen ab­zu­ge­ben.«

Dann sporn­te er sein Pferd zu schnel­ler­er Gan­gart an, und als der Hang we­ni­ger steil wur­de, ließ er es tra­ben. Als sie »Tril­li­um Zuf­lucht« er­reich­ten, rit­ten sie in vol­lem Ga­lopp.

»Du willst doch zu­erst zu Mit­tag es­sen?« frag­te Sa­xon, als sie sich dem Gat­ter der Ma­dron­jo­ranch nä­her­ten.

»Iss du nur«, ant­wor­te­te er. »Ich brau­che nichts.«

»Aber du musst mich mit­neh­men«, bat sie. »Was ist es?«

»Das darf ich dir nicht er­zäh­len«, sag­te er. »Aber geh hin­ein und iss.«

»Jetzt nicht mehr«, sag­te sie. »Jetzt will ich mit­kom­men – dass du es weißt!«

Eine hal­be Mei­le wei­ter­hin ver­lie­ßen sie die Land­stra­ße, rit­ten durch eine of­fen­ste­hen­de Pfor­te, die Bil­ly an­ge­fer­tigt hat­te, und wei­ter über die Fel­der auf ei­nem von ei­ner di­cken Schicht Kalk­staub be­deck­ten Wege. Es war der Weg, der nach Cha­v­ons Lehm­gru­be führ­te. Die hun­dert­und­vier­zig Mor­gen la­gen im Wes­ten. Zwei in eine Staub­wol­ke gehüll­te Wa­gen tauch­ten in der Fer­ne auf.

»Das sind dei­ne Pfer­de«, rief Sa­xon. »Ja, denk nur! Al­lein, weil du dei­nen Kopf ge­braucht hast, ver­dienst du Geld, wäh­rend du mit mir her­um­rei­test.«

»Es macht mich ganz ver­le­gen, wenn ich dar­an den­ke, wie viel Bar­geld die­se Ge­span­ne mir täg­lich ein­brin­gen«, gab er zu.

Sie woll­ten ge­ra­de vom Wege auf die hun­dert­und­vier­zig Mor­gen ab­bie­gen, als der Kut­scher, der den ers­ten Wa­gen fuhr, wink­te. Sie hiel­ten ihre Pfer­de an und war­te­ten.

»Der große Rote hat sich los­ge­ris­sen«, sag­te der Kut­scher, als er bei ih­nen hielt. »Ganz durch­ge­dreht – beißt und wie­hert, schlägt aus und tritt. Er zer­riss sein Ge­schirr, als wäre es Pa­pier. Dann biss er Baldy ein Stück Fleisch, so groß wie eine Un­ter­tas­se, her­aus und brach sich schließ­lich ein Hin­ter­bein. Es war die schlimms­te Vier­tel­stun­de, die ich je er­lebt habe.«

»Ist es si­cher, dass das Bein ge­bro­chen ist?« frag­te Bil­ly scharf.

»Ganz si­cher.«

»Nun ja, so­bald Sie den Wa­gen ab­ge­la­den ha­ben, müs­sen Sie nach der an­de­ren Scheu­ne fah­ren und Ben ho­len. Er ist auf dem Hofe. Sa­gen Sie Matt­hews, dass er vor­sich­tig sein soll. Und brin­gen Sie eine Büch­se mit – Sam­my hat eine. Ich habe jetzt kei­ne Zeit. Wa­rum konn­te Matt­hews nicht mit Ih­nen fah­ren, dann hät­te er jetzt Ben ho­len kön­nen? Da­mit wür­den Sie Zeit ge­spart ha­ben.«

»Ach, der war­tet nur auf mich«, ant­wor­te­te der Kut­scher. »Er mein­te wohl, dass ich Ben schon fin­den wür­de.«

»Und Zeit ver­geu­den – nicht wahr? Nun, ma­chen Sie ein biss­chen schnell!«

»So geht es im­mer!« sag­te Bil­ly brum­mend zu Sa­xon, als sie wei­ter rit­ten. »Kei­ne Grüt­ze im Kopf. Ein Mann setzt sich hin und hält sich selbst an der Hand, und der an­de­re fährt los; um die Ar­beit zu ver­rich­ten, die er hät­te tun sol­len. Das sind die Män­ner, die für zwei Dol­lar den Tag ar­bei­ten.«

»Aber Köp­fe zu zwei Dol­lar den Tag«, warf Sa­xon has­tig ein. »Was für Köp­fe kann man für zwei Dol­lar ver­lan­gen?«

»Das ist schon rich­tig«, gab Bil­ly zu. »Wenn sie bes­se­re Köp­fe hät­ten, wä­ren sie wohl wie alle an­de­ren tüch­ti­gen Leu­te in der Stadt, und die tüch­ti­gen Leu­te sind auch Idio­ten. Sie wis­sen nichts von den großen Mög­lich­kei­ten auf dem Lan­de – sonst könn­te man sie gar nicht weg­hal­ten.«

Bil­ly stieg ab, ent­fern­te die drei Bal­ken, die das Gat­ter zu den hun­dert­und­vier­zig Mor­gen bil­de­ten, führ­te sein Pferd hin­durch und leg­te die Bal­ken wie­der zu­recht.

»Wenn mir die Ge­schich­te erst ge­hört, dann kommt eine Pfor­te her«, er­klär­te er. »Das ha­ben wir in we­ni­gen Wo­chen da­bei her­aus. Das sind die tau­send­und­ein Klei­nig­kei­ten, die zu ei­ner gan­zen Men­ge wer­den, wenn man sie zu­sam­men­legt.« Er seufz­te zu­frie­den. »Ich habe noch nie über sol­che Din­ge nach­ge­dacht, aber als wir Oa­k­land ver­lie­ßen, be­gann ich zu­sam­men­zu­le­gen. Es wa­ren die Por­tu­gie­sen in San Le­an­dro, die mir zu­erst die Au­gen öff­ne­ten. Bis zu dem Au­gen­blick hat­te ich di­rekt ge­schla­fen.«

Sie rit­ten am un­ters­ten der drei Fel­der ent­lang, wo das rei­fe Korn noch nicht ge­mäht war. Bil­ly zeig­te mit ei­nem Aus­druck von Ab­scheu auf ein schlecht aus­ge­bes­ser­tes Loch in der He­cke und auf das Korn, das vom Vieh arg zer­tre­ten war.

»So et­was mei­ne ich«, kri­ti­sier­te er. »Veral­te­te Metho­den. Und sieh, wie dünn die Saat steht und wie schlecht die Erde ge­pflügt ist. Elen­des Vieh, elen­de Saat, elen­de Wirt­schaft. Cha­von hat den Bo­den acht Jah­re lang aus­ge­so­gen und ihm nie einen Au­gen­blick Ruhe ge­gönnt und nie das Ge­rings­te hin­ein­ge­steckt, au­ßer dass er das Vieh auf die Stop­peln jag­te, so­bald das Stroh weg war.«

Et­was wei­ter­hin ka­men sie zu ei­ner klei­nen Vieh­her­de.

»Sieh den Stier, Sa­xon! Räu­de, sag ich dir. Es müss­te ein Ge­setz ge­ben, das ver­bö­te, sol­che Tie­re am Le­ben zu las­sen. Kein Wun­der, dass Cha­von so ver­armt ist, und dass er je­den Gro­schen, den er an sei­ner Lehm­gru­be ver­dient, für Ab­zah­lun­gen und Zin­sen braucht. Grund­be­sitz al­lein tut es nicht. Sieh die­se hun­dert­und­vier­zig! Je­der Mensch mit ein biss­chen Grüt­ze im Kopf kann blan­ke Ta­ler her­aus­har­ken. Das wer­de ich ihm schon zei­gen.«

 

Dann tauch­te die große Zie­gel­scheu­ne in der Fer­ne auf.

»Ein paar Dol­lar zur rech­ten Zeit hät­ten hun­der­te für das Dach ge­spart«, mein­te Bil­ly. »Na, wenn ich kau­fe, brau­che ich je­den­falls nichts für Ver­bes­se­run­gen aus­zu­ge­ben. Und ei­nes will ich dir sa­gen. Hier ist Was­ser im Über­fluss, und wenn Glen El­len je­mals tro­cken­ge­legt wird, dann kom­men sie zu mir, um Was­ser zu krie­gen.«

Bil­ly kann­te den Grund und Bo­den aus und ein, und er ritt auf halb­ver­wisch­ten Vieh­stei­gen durch den Wald. Ein­mal griff er has­tig in die Zü­gel, und bei­de hiel­ten an. Gera­de ge­gen­über, ein Dut­zend Schritt von ih­nen, stand ein halb­aus­ge­wach­se­ner ro­ter Fuchs. Das wil­de Ge­schöpf be­ob­ach­te­te sie etwa eine hal­be Mi­nu­te mit sei­nen klei­nen schim­mern­den Au­gen, und es zuck­te in den emp­find­li­chen Nüs­tern, als sie die Bot­schaft auf­fin­gen, wel­che die Luft ih­nen brach­te. Dann sprang es auf sam­met­wei­chen Pfo­ten bei­sei­te und war im nächs­ten Au­gen­blick zwi­schen den Bäu­men ver­schwun­den.

»Das ver­fluch­te Biest!« rief Bil­ly.

Als sie sich dem Wild­was­ser nä­her­ten, ka­men sie auf eine lan­ge schma­le Wie­se. In der Mit­te war ein Teich. »Na­tür­li­ches Was­ser­re­ser­voir, wenn Glen El­len ein­mal Was­ser kau­fen muss«, sag­te Bil­ly. »Sieh dort am un­te­ren Ende – es wür­de fast nichts kos­ten, einen Deich quer hin­durch zu zie­hen. Und ich kann auch eine Lei­tung an­le­gen und al­les, was von den Hü­geln her­abrie­selt, auf­fan­gen. Und Was­ser wird Geld hier im Tal und das, ehe tau­send Jah­re ver­gan­gen sind. Und all die Schwach­köp­fe, die nicht se­hen, was kom­men wird, na ja, und die In­spek­to­ren, die das Tal mit ei­ner elek­tri­schen Bahn von Sau­sa­li­to mit ei­ner Sei­ten­bahn durch das Na­pa­tal be­glücken wol­len!«

Sie er­reich­ten den Rand des Wild­was­ser-Ca­ny­ons, und, sich im Sat­tel zu­rück­leh­nend, lie­ßen sie die Pfer­de eine stei­le Bö­schung hin­ab­glei­ten und ge­lang­ten durch große Kie­fern­wäl­der auf einen al­ten, ganz ver­wisch­ten Pfad.

»Die­ser Weg ist in den Fünf­zi­gern an­ge­legt«, er­klär­te Bil­ly. »Es war der rei­ne Zu­fall, dass ich ihn fand. Ich frag­te ges­tern Pop­pe da­nach – er ist hier im Tal ge­bo­ren. Er sag­te, das war da­mals, als die Gold­grä­ber von Pe­ta­lu­ma her­über­ka­men. – Aber das wa­ren die rei­nen Wil­den. Es wa­ren Spie­ler, die ihn an­leg­ten, und sie müs­sen eine Men­ge Idio­ten mit­ge­bracht ha­ben. Kannst du die Ebe­ne dort und die al­ten Baum­stümp­fe se­hen? Dort hat­ten sie ihr La­ger, und un­ter den Bäu­men er­rich­te­ten sie ihre Spiel­bu­den. Da­mals war die Ebe­ne grö­ßer, aber der Bach hat ein gut Teil da­von weg­ge­fres­sen. Pop­pe sag­te, ein paar Mann wä­ren tot­ge­schla­gen und ei­ner ge­lyncht wor­den.«

Über den Hals der Pfer­de ge­beugt, ar­bei­te­ten sie sich einen schma­len Vieh­steig zum Ca­ny­on hin­an und rit­ten dann über un­ebe­nes Ge­län­de auf die Hü­gel zu.

»Weißt du, Sa­xon, du hast dich im­mer nach al­lem Schö­nen um­ge­schaut. Aber jetzt will ich dir et­was zei­gen, das dich sprach­los ma­chen wird – war­te nur, bis wir durch die­se Man­za­ni­tas hin­durch sind.«

Nie auf ih­rer lan­gen Rei­se hat­te Sa­xon eine so herr­li­che Aus­sicht ge­se­hen wie die, wel­che sich ih­rem Bli­cke zeig­te, als sie aus dem Ge­büsch her­aus­ka­men. Der halb­ver­wisch­te Pfad glich ei­nem un­re­gel­mä­ßi­gen ro­ten Schat­ten, den die großen Rie­sen­tan­nen und breitäs­ti­gen Ei­chen auf den wei­chen Wald­bo­den ge­wor­fen hat­ten. Es war, als hät­ten all die ver­schie­de­nen Baumar­ten und Wein­ran­ken, die die Ve­ge­ta­ti­on aus­mach­ten, sich ver­schwo­ren, das laubrei­che Dach zu flech­ten. Ahorn, große Ma­dron­jos und Lor­beer­bäu­me, hohe Ei­chen mit braun­gel­ber Rin­de, ab­ge­schält und ver­floch­ten mit wil­dem Wein und flam­men­den Gif­tei­chen. Sa­xon lenk­te Bil­lys Auf­merk­sam­keit auf eine mit Far­nen be­deck­te Moos­bank. Es war, als ob alle Hän­ge sich tra­fen, um die­se mäch­ti­ge Höh­le und Laub­hüt­te in der Tie­fe des Wal­des zu bil­den. Der Bo­den zu ih­ren Fü­ßen war feucht wie ein Schwamm. Ein un­sicht­ba­rer Was­ser­lauf rie­sel­te un­ter breit­blätt­ri­gen Far­nen. Zu al­len Sei­ten wa­ren be­zau­bern­de Durch­bli­cke, wo jun­ge Rie­sen­tan­nen schwei­gend und statt­lich um ge­fal­le­ne Hü­nen stan­den, die den Pfer­den bis zur Schul­ter reich­ten und mit Moos be­deckt wa­ren, wäh­rend ihre Stäm­me und Wur­zeln sich lang­sam mit der wei­chen Erde misch­ten.

Schließ­lich, nach noch ei­ner Vier­tel­stun­de, ban­den sie die Pfer­de am Ran­de des schma­len Ca­ny­ons an, der sich durch die Wild­nis bis zu den Hü­geln wand. Durch eine Öff­nung zwi­schen den Bäu­men wies Bil­ly auf die Wip­fel der sich nei­gen­den Kie­fern.

»Gera­de dar­un­ter ist es«, sag­te er. »Wir müs­sen dem Bach­bett fol­gen. Ein Weg exis­tiert nicht, aber du kannst se­hen, dass es vie­le Stel­len gibt, wo die Tie­re über den Bach set­zen. Du musst dich auf nas­se Füße ge­fasst ma­chen.«

Sa­xon lach­te ver­gnügt und hielt sich dicht hin­ter ihm, wäh­rend sie durch klei­ne Was­ser­pfüt­zen plät­scher­ten und auf Hän­den und Fü­ßen die glat­ten Sei­ten des Fel­sens er­klom­men, wo das Was­ser sein ver­hee­ren­des Werk ver­rich­tet hat­te. Vor­sich­tig gin­gen sie un­ter den Stäm­men al­ter, ge­stürz­ter Bäu­me hin­durch.

»Der Berg hat kei­nen rich­ti­gen Fels­kern«, sag­te Bil­ly be­leh­rend. »Das Was­ser schnei­det im­mer tiefer ein, und des­halb stür­zen die Sei­ten zu­sam­men. Sie sind so steil, dass sie ge­ra­de noch ste­hen kön­nen, ohne ganz ein­zu­stür­zen. Et­was hö­her hin­auf ist der Ca­ny­on kaum et­was an­de­res als ein Spalt im Bo­den, aber ein mäch­tig tiefer Spalt, das kannst du sa­gen, wenn dich ei­ner fra­gen soll­te. Man kann hin­über spu­cken, man kann sich aber auch den Hals dar­in bre­chen.«

Ihr Vor­wärts­kom­men wur­de im­mer schwie­ri­ger und schließ­lich wur­den sie von ei­ner en­gen Schlucht auf­ge­hal­ten, wo eine Men­ge Treib­holz sich auf ih­rem Wege auf­ge­häuft hat­te.

»Bleib du hier«, sag­te Bil­ly. Dann leg­te er sich flach auf den Bo­den und kroch durch das Ge­büsch, das un­ter ihm krach­te und knis­ter­te.

Sa­xon war­te­te, bis das letz­te Geräusch ver­schwun­den war. Sie war­te­te noch zehn Mi­nu­ten, und dann folg­te sie Bil­ly auf dem Wege, den er ge­bahnt hat­te. An der Stel­le, wo das Fluss­bett ganz un­weg­bar wur­de, ge­lang­ten sie zu ei­nem Hir­sch­wech­sel. Er lief den stei­len Fels hin­auf und bil­de­te einen Tun­nel in dem dich­ten Grün. Dann sa­hen sie einen Schim­mer der sich nei­gen­den Kie­fer, ge­ra­de über ih­ren Köp­fen, und ka­men zu ei­nem klei­nen kla­ren Wald­see, der sich auf dem Grun­de ei­ner aus Lehm­bo­den be­ste­hen­den Sen­kung be­fand. Die­se Sen­kung war in jün­ge­rer Zeit ent­stan­den, of­fen­bar da­durch, dass der Bo­den und die Bäu­me ab­ge­rutscht wa­ren. Auf der an­de­ren Sei­te des Wald­sees er­hob sich eine fast senk­rech­te Wand. Sie wuss­te gleich, was es war, und sah sich nach Bil­ly um. Da hör­te sie ihn pfei­fen und sah auf. Zwei­hun­dert Fuß über ihr ein der wei­ßen Wand, dicht un­ter dem Gip­fel stand er und hielt sich an ei­nem Baum fest. Der Ab­grund war nur we­ni­ge Schritt von ihm ent­fernt.

»Ich kann die klei­ne Wie­se hin­ter dei­nem Feld se­hen«, rief er ihr zu. »Kein Wun­der, dass dies nie je­mand auf­ge­stö­bert hat. Die ein­zi­ge Stel­le, von wo man es se­hen kann, ist das biss­chen Wie­se. Und du warst es, die es zu­erst sah. War­te, bis ich her­un­ter­kom­me – dann will ich dir al­les er­zäh­len. Ich habe es nicht frü­her ge­wagt.«