»Was hat Jim Hanford im Sinn? Welches Programm haben seine Leute mit meinen zusammen aufgestellt? Sie wissen, dass ich ihn besiegen werde; und er selbst weiß es auch. Ich kann ihn in einem einzigen Kampf abtun. Aber er ist Weltmeister. Wenn ich nicht auf das Programm eingehe, geben sie mir nie Gelegenheit, mit ihm zu kämpfen.
Das Programm sieht drei Kämpfe vor. Den ersten soll ich gewinnen. Er findet in Nevada statt, falls San Franzisko ihn nicht zulässt. Wir werden einen schönen Kampf vorführen. Damit es gut aussieht, wird jeder von uns zwanzigtausend gegen den anderen setzen. Das ist ein anständiges Geld, aber die Wette ist nicht anständig. Jeder bekommt seinen eigenen Einsatz wieder. Und mit der Börse wird es ebenso gemacht. Wir kriegen jeder die Hälfte, aber das Publikum glaubt, dass sie fünfunddreißig zu fünfundsechzig geteilt wird.
Die Börse, die Tantieme von den Filmen, die Reklame und alle anderen Einnahmen werden nicht einen Cent weniger als zweihundertfünfzigtausend ausmachen. Die teilen wir, und dann kommt der Revanchekampf, den Hanford gewinnen wird, und dann teilen wir wieder.
Dann kommt der dritte Kampf. Den gewinne ich, was mein gutes Recht ist, und damit ziehen wir dem Publikum dreiviertel Millionen aus der Tasche.
Das ist das Programm, aber das Geld stinkt. Und das ist der Grund, weshalb ich heute Schluss mache –« In diesem Augenblick puffte Jim Hanford eine Gruppe Polizisten zwischen die Sitzreihen, hob seinen riesigen Körper zwischen die Seile und brüllte:
»Das ist Lüge!«
Wie ein wütender Stier stürzte er sich auf Glendon, der zurücksprang und auswich, statt dem Angriff zu begegnen. Außerstande, sich zurückzuhalten, prallte der große Mann gegen die Seile, die ihn federnd zurückschleuderten.
Wieder ging er auf Glendon los, der ihm aber diesmal entgegentrat. Kaltblütig und mit sicherer Berechnung schoss seine Faust vor und traf mit einem Schlage, in den er zum ersten Mal in seiner Boxerlaufbahn seine volle Kraft legte, das Kinn Hanfords. Alle Kraft, über die er verfügte, lag in dieser zerschmetternden Muskelexplosion.
Hanford war schon in der Luft tot, wenn man Bewusstlosigkeit Tod nennen will. In dem Augenblick, als die Faust Glendons ihn berührte, hörte das Leben für ihn auf. Seine Füße hoben sich vom Boden, und er schwebte frei in der Luft, bis er auf das oberste Seil fiel. Einen Augenblick hing er da, dann gab das Seil nach, und er stürzte den Pressevertretern auf die Köpfe.
Das Publikum tobte. Es hatte jetzt schon mehr gesehen, als es für sein Geld verlangen konnte, denn der große Jim Hanford, der Weltmeister, war besiegt worden.
Allerdings war es inoffiziell, aber es war durch einen einzigen Schlag geschehen.
Noch nie in der Geschichte des Boxsports hatte man so etwas erlebt.
Glendon betrachtete bedauernd seine zerschundenen Knöchel, warf einen Blick über die Seile hinweg auf Hanford, der gerade wieder zu sich kam, und hob die Hand. Im Publikum trat wieder Stille ein.
»Als ich mit Boxen anfing«, sagte er, »nannte man mich den ›Ein-Schlag-Glendon‹. Ihr habt den Schlag eben gesehen. Dieser Schlag stand mir stets zur Verfügung. Ich kämpfte mit meinen Gegnern und besiegte sie, nahm mich aber stets in acht, dass ich nicht aus voller Kraft schlug.
Dann sollte ich belehrt werden. Mein Manager sagte, es sei unrecht gegen das Publikum. Er riet mir, die Kämpfe in die Länge zu ziehen, damit die Leute etwas für ihr Geld zu sehen bekämen.
Ihr erinnert euch an meinem Kampf mit Nat Powers. Ich habe ihn gar nicht besiegt. Ich hatte Verdacht geschöpft. Da vereinbarte es die Bande mit ihm.
Ich wusste nichts davon. Ich hatte die Absicht, ihn noch ein paar Runden über die sechzehnte hinaus hinzuhalten. Aber er täuschte doch einen Knockout vor und betrog euch alle.«
»Wie ist es denn heute?« rief einer. »Ist es auch verabredet?«
»Jawohl«, lautete die Antwort Glendons. »Und worauf hat das Syndikat gewettet? Dass Cannam bis zur vierzehnten Runde durchhält.«
Heulen und Pfeifen folgte diesen Worten. Zum letzten Male hob Glendon die Hand, um Schweigen zu gebieten.
»Ich bin gleich fertig. Aber erst möchte ich euch noch eines sagen. Das Syndikat wird sich heute schneiden. Es soll ein ehrlicher Kampf werden. Tom Cannam wird nicht bis zur vierzehnten Runde durchhalten. Er wird nicht die erste überstehen.«
Cannam sprang in seiner Ecke auf und rief wütend: »Das kannst du nicht. Der Mann ist noch nicht geboren, der mich in einer Runde erledigen kann!«
Glendon beachtete ihn nicht und fuhr fort: »Gerade jetzt habe ich zum ersten Mal in meinem Leben mit voller Kraft zugeschlagen. Ihr saht das vor einem Augenblick, als ich Hanford traf.
Heute werde ich ein zweites Mal meine ganze Kraft anwenden – das heißt, wenn Cannam nicht schleunigst durch die Seile springt und verschwindet. So, und jetzt bin ich fertig.«
Er ging in seine Ecke und hielt seinen Sekundanten die Hände hin, um sich die Handschuhe anziehen zu lassen. In der gegenüberliegenden Ecke tobte Cannam, den seine Sekundanten vergebens zu beruhigen versuchten.
Schließlich glückte es Billy Morgan, seine letzte Ankündigung zu machen.
»Dies wird ein Kampf auf fünfundvierzig Runden«, rief, er laut. »Und möge der beste Mann siegen! Los!« Der Gong ertönte.
Die beiden Männer rückten vor.
Glendon streckte die Rechte aus, um mit seinem Gegner den üblichen Handschlag zu wechseln, aber Cannam warf zornig den Kopf in den Nacken und weigerte sich, sie zu nehmen.
Zur allgemeinen Überraschung stürzte er sich nicht auf seinen Gegner. Trotz seiner Wut kämpfte er sehr vorsichtig. Sein gekränkter Stolz sagte ihm, dass er alle Kraft sparen müsse, um über die erste Runde hinauszukommen. Er machte zwar mehrere Ausfälle, aber sehr vorsichtig und ohne auch nur einen Augenblick seine Verteidigung außer acht zu lassen.
Glendon jagte ihn durch den Ring, immer weiter mit dem unbarmherzigen Tapp-Tapp seines linken Fußes vorrückend.
Aber nicht ein einziges Mal schlug er nach seinem Gegner, ja, er ließ sogar die Hände sinken und folgte ihm, scheinbar ungeschützt, um ihn zu einem Angriff zu verlocken.
Cannam lachte trotzig, weigerte sich aber, den ihm gebotenen Vorteil auszunutzen.
Zwei Minuten vergingen, dann erfolgte plötzlich eine Veränderung mit Glendon. Jeder Muskel, jede Linie seines Gesichts zeigte, dass jetzt der Augenblick gekommen war, da er seinen Gegner erledigen wollte. Es war Spiel, und er spielte gut. Er schien zu Stahl geworden zu sein, zu hartem, unbarmherzigem Stahl. Und die Wirkung zeigte sich bei Cannam, der seine Achtsamkeit verdoppelte.
Glendon trieb ihn jedoch schnell in eine Ecke und hielt ihn dort fest.
Aber er schlug immer noch nicht, versuchte es auch gar nicht, und Cannams Unruhe wurde immer schlimmer. Vergebens versuchte er aus der Ecke hinauszugelangen, konnte sich jedoch nicht zu einem Angriff auf seinen Gegner entschließen und versuchte statt dessen, durch einen Clinch Zeit zu gewinnen.
Dann kam es – eine schnelle Serie von Finten, blitzhafte Muskelbewegungen. Cannam war verwirrt. Das Publikum ebenfalls. Nicht zwei von den Zuschauern konnten später angeben, was vorgegangen war. Cannam duckte sich vor einer Finte und deckte sich gleichzeitig das Gesicht, um eine andere, gegen sein Kinn gerichtete Finte abzuwehren. Er versuchte dabei auch seine Beinstellung zu ändern.
Die Zuschauer, die nahe am Ring saßen, schworen darauf, gesehen zu haben, dass Glendon den Schlag, der jetzt folgte, von der Hüfte aus führte und dabei wie ein Tiger vorsprang, um sein ganzes Körpergewicht in den Schlag zu legen.
Wie dem auch war, jedenfalls traf er Cannam gerade in dem Augenblick, als er die Stellung wechselte, gegen das Kinn. Und wie Hanford war auch er schon in der Luft, ehe er die Seile berührte, bewusstlos und fiel den Reportern auf die Köpfe.
Von dem, was an diesem Abend in der Golden-Gate-Arena geschah, vermochten selbst spaltenlange Berichte in den Zeitungen keine auch nur annähernd richtige Schilderung zu geben.
Die Polizei vermochte gerade noch den Ring zu verteidigen, konnte die Arena aber nicht retten. Es war kein Aufruhr. Es war eine Orgie. Nicht ein Sitzplatz blieb übrig. In der ganzen großen Halle wurden mit Händen und Füßen, durch Püffe und Stöße Balken und Bretter weggerissen, umgestürzt und niedergetreten.
Die Boxer mussten Schutz bei der Polizei suchen, aber es waren nicht Polizisten genug da, und Boxer, Manager und Unternehmer wurden windelweich geprügelt.
Nur Jim Hanford wurde verschont. Sein furchtbar geschwollenes Kinn erregte Mitleid.
Als die Menge endlich zum Gebäude hinausgetrieben war, stürzte sie sich auf ein neues Auto im Werte von siebentausend Dollar, das einem bekannten Boxkampfunternehmer gehörte, und verwandelte es im Nu in altes Eisen und Brennholz.
Glendon, der sich nicht in den Trümmern des Ankleideraumes umziehen konnte, erreichte in Boxhosen und Bademantel sein Auto, aber es gelang ihm nicht, zu entkommen. Die Menge umringte seinen Wagen und hielt ihn dank der Überzahl fest. Die Polizei eilte zu seinem Schutz herbei, und schließlich schloss man einen Kompromiss: Der Wagen durfte weiterfahren, begleitet von fünftausend hurraschreienden tollen Menschen.
Es war Mitternacht, als dieser Sturm über die Union Square und durch die St. Francis Street fegte. Rufe nach einer Rede wurden laut, und obwohl sie schon vor dem Hotel hielten, wurde Glendon doch in freundschaftlicherweise am Entkommen verhindert. Er versuchte sogar, seinen begeisterten Anhängern auf die Köpfe zu springen, aber seine Füße erreichten nicht das Pflaster. Von Köpfen und Schultern getragen, von jeder Hand, die ihn erreichen konnte, ergriffen, kehrte er durch die Luft zu seinem Wagen zurück.
Da redete er denn, und Maud Sangster, die oben von einem Fenster auf ihren jungen Herkules hinabsah, der aufgereckt auf dem Sitz des Autos stand, wusste, was sie immer gewusst hatte, dass es sein Ernst gewesen war, als er ihr wiederum versichert hatte, dass er seinen letzten Kampf gekämpft und den Ring für immer verlassen hatte.
Niemand kannte seine Geschichte – seine Mitverschworenen am allerwenigsten. Er war ihr »kleines Geheimnis«, ihr »großer Patriot«, und auf seine Weise arbeitete er ebensosehr an der kommenden mexikanischen Revolution wie sie. Es dauerte lange, bis sie das erkannten; denn nicht einer in der Junta konnte ihn leiden. An dem Tage, als er zum ersten Mal ihre von geschäftigen Menschen überfüllten Räume betrat, hatten ihn alle im Verdacht, ein Spion – ein Spitzel im Geheimdienst des Diaz zu sein. Zu viele von seinen Kameraden saßen rings in den Vereinigten Staaten in Zivil- und Militärgefängnissen, und andere wieder waren gerade in dieser Zeit in Ketten über die Grenze geschafft und an die Wand gestellt worden.
Auf den ersten Blick machte der junge Bursche keinen guten Eindruck auf sie. Er war nicht mehr als achtzehn Jahre alt, nicht besonders groß und erklärte, Felipe Rivera zu heißen und für die Revolution arbeiten zu wollen. Das war alles – kein Wort mehr. Er blieb aber wartend stehen. Kein Lächeln war um seinen Mund, keine Liebenswürdigkeit in seinen Augen. Den großen schneidigen Paulino Vera schauderte es innerlich. Hier war etwas Abstoßendes, Furchtbares, Unergründliches. Etwas Giftiges, Schlangenartiges war in den schwarzen Augen des Knaben. Sie brannten wie kaltes Feuer und gleichsam in einer ungeheuren, geschliffenen Erbitterung. Von den Gesichtern der Verschworenen ließ er den Blick zu der Schreibmaschine schweifen, an der die kleine Frau Sethby, eifrig arbeitend, saß. Seine Augen suchten die ihren, aber nur für eine Sekunde – sie blickte zufällig auf –, und auch sie hatte ein unbestimmbares seltsames Gefühl, das sie ihre Arbeit unterbrechen ließ. Sie musste das Geschriebene noch einmal durchlesen, um den Brief, an dem sie arbeitete, fertigtippen zu können.
Paulino Vera sah Arrellano und Ramos fragend an, und sie sahen sich gegenseitig ratlos an. In ihrem Blick war Unsicherheit und Zweifel. Dieser schmächtige Besucher war der Unbekannte, und alles drohende Unbehagen des Unbekannten umgab ihn. Man konnte aus ihm nicht klug werden, er war so ganz jenseits des Horizontes dieser ehrenwerten, schlichten Verschwörer. Ihr wilder Hass gegen Diaz und seine Tyrannei war der Hass ehrenwerter, schlichter Patrioten.
Hier aber war etwas anderes und Stärkeres, sie wussten freilich nicht recht, was. Aber Vera, der stets der Entschlossenste und Tatkräftigste war, packte den Stier bei den Hörnern.
»Schön«, sagte er kühl. »Sie sagen, dass Sie für die Revolution arbeiten wollen. Ziehen Sie sich den Rock aus! Hängen Sie ihn dorthin. Ich werde Ihnen zeigen – kommen Sie –, wo die Eimer und Wischlappen sind. Der Fußboden ist schmutzig. Sie können gleich anfangen, ihn hier und in den anderen Zimmern aufzuwischen. Auch die Spucknäpfe müssen gereinigt werden. Und außerdem die Fenster.«
»Ist es für die Revolution?« fragte der Bursche.
»Für die Revolution!« antwortete Vera.
Rivera sah sie alle kalt und misstrauisch an und zog sich dann den Rock aus.
»Es ist gut«, sagte er.
Weiter nichts. Tag für Tag kam er zu seiner Arbeit fegte, schrubbte und machte rein. Er nahm die Asche aus dem Ofen, holte Kohlen und Holz und machte Feuer und war der erste im Büro.
»Kann ich hier schlafen?« fragte er einmal.
Aha! Das war es – die Hand Diaz’ kam zum Vorschein. Wenn er in den Räumen der Junta schlief, bedeutete das, dass er Zutritt zu ihren Geheimnissen, zu den Namenslisten, zu den Adressen der Kameraden in Mexiko erlangte. Die Bitte wurde abgeschlagen, und Rivera kam nie mehr darauf zu sprechen. Er schlief, sie wussten nicht wo, und aß, sie wussten nicht wo und was. Einmal bot Arrellano ihm ein paar Dollars an. Rivera lehnte das Geld jedoch ab. Als Vera dann hinzutrat und es ihm aufzunötigen versuchte, sagte er: »Ich arbeite für die Revolution.«
Eine Revolution vorzubereiten kostet Geld, und die Junta befand sich stets in Geldverlegenheit. Die Mitglieder hungerten und rackerten sich ab, der längste Arbeitstag war ihnen nicht lang genug, und doch sah es zuweilen so aus, als stünde und fiele alles mit der Frage, wie sie sich nur einige Dollars verschaffen könnten.
Einmal – es war das erste Mal, dass sie zwei Monate mit der Miete im Rückstand waren und der Wirt sie hinauszusetzen drohte – war es Felipe Rivera, der Reinemachejunge in der schäbigen, abgetragenen Kleidung, der sechzig Dollar in Gold auf May Sethbys Pult legte. Und ebenso bei anderen Gelegenheiten. Dreihundert auf den geschäftigen Schreibmaschinen geklapperte Briefe (Bitten um Unterstützung, um Anerkennung befreundeter Gruppen, Ersuchen an Schriftleiter um wohlwollende Erwähnung und so weiter) blieben liegen und warteten auf die Frankierung. Veras Uhr verschwand – die alte goldene Repetieruhr, die er von seinem Vater geerbt hatte. Der glatte goldene Ring an May Sethbys Ringfinger verschwand ebenfalls. Es war zum Verzweifeln. Ramos und Arrellano zerrten wütend an ihren langen Schnurrbärten. Die Briefe mussten abgehen, und auf der Post gab es keinen Kredit beim Kauf von Briefmarken. Da setzte Rivera den Hut auf und ging fort. Als er wiederkam, legte er tausend Briefmarken zu zwei Cent auf May Sethbys Pult.
»Ich möchte wissen, ob das verfluchte Geld von Diaz ist?« sagte Vera zu den Kameraden.
Sie zogen die Brauen hoch, wagten aber nicht, die Frage zu beantworten. Und immer war es Felipe Rivera, der, wenn es erforderlich war, der Junta Gold und Silber verschaffte.
Aber sie liebten ihn nicht, und sie kannten ihn nicht. Er ging seine eigenen Wege, schenkte ihnen kein Vertrauen und wies alle Annäherungsversuche zurück. Und trotz seiner Jugend brachte keiner den Mut auf, ihn auszufragen.
»Er ist überhaupt kein Mensch«, sagte Ramos.
»Seine Seele ist ausgedörrt«, sagte May Sethby. »Er kann nicht lachen. Er gleicht einem Toten und ist doch furchtbar lebendig.«
»Er ist durch die Hölle gegangen«, sagte Vera. »So sieht man nur aus, wenn man durch die Hölle gegangen ist – und dabei ist er noch so jung.«
Felipe sprach nie, fragte nie, schlug nie etwas vor. Er lauschte ausdruckslos wie ein toter Gegenstand, aber seine Augen leuchteten in kaltem Glanz, wenn die anderen laut und leidenschaftlich von Mexiko sprachen. Dann glitten seine Augen von Gesicht zu Gesicht, von Redner zu Redner, bohrend und forschend und mit einem Schimmer wie funkelndes Eis, das sie störte und aus der Fassung brachte.
»Er ist kein Spion«, vertraute Vera May Sethby an. »Er ist Patriot – glaub mir, der größte Patriot von uns allen. Ich weiß es, ich fühle es, mit meinem Herzen und meinem Verstand fühle ich es. Aber von ihm selber weiß ich nicht das geringste.«
»Er hat ein gefährliches Temperament«, sagte May Sethby.
»Ich weiß«, sagte Vera schaudernd. »Er hat mich mit diesen Augen angesehen. Die sprechen nicht von Liebe, sie drohen und sind wild wie die eines Tigers. Wenn ich unsere Sache im Stich lasse, dann würde er mich töten, das weiß ich. Er hat kein Herz. Er ist unbarmherzig wie Stahl, scharf und kalt wie Frost. Ich fürchte weder Diaz noch all seine Mörder, aber vor diesem Rivera habe ich Angst. Es ist wahr. Ich habe Angst.«
Dennoch war es Vera, der die anderen überredete, Rivera die erste, Vertrauen erheischende Aufgabe zu stellen. Die Verbindung zwischen Los Angeles und Niederkalifornien war unterbrochen. Drei von den Kameraden hatten ihre eigenen Gräber graben müssen und waren dann erschossen worden. Zwei weitere saßen als Gefangene der Vereinigten Staaten in Los Angeles. Juan Alvarado, der Bundesgeneral, durchkreuzte all ihre Pläne. Sie konnten nicht mehr mit den aktiven Revolutionären und mit den erwachenden Kameraden in Niederkalifornien in Verbindung kommen.
Der junge Rivera erhielt seine Anweisungen und wurde nach dem Süden geschickt. Als er wiederkam, war die Verbindung wiederhergestellt und Juan Alvarado tot. Er war mit einem Dolch in der Brust in seinem Bett gefunden worden. Das ging über die Rivera erteilten Anweisungen hinaus, aber man fragte ihn nicht, und er sagte nichts. Aber sie sahen sich an und dachten sich ihr Teil.
»Ich habe es euch gesagt«, meinte Vera. »Diaz hat von diesem jungen Mann mehr zu fürchten als von irgendeinem sonst. Er ist unversöhnlich.«
Das gefährliche Temperament, von dem May Sethby gesprochen, und das jeder von ihnen bemerkt hatte, offenbarte sich auch in anderer Beziehung. Bald erschien er mit zerrissener Lippe, bald mit einer blau und braun geschlagenen Backe, bald mit einem geschwollenen Ohr. Es war klar, dass er irgendwo in der Welt, wo er aß und schlief und sich Geld verschaffte und ein Leben führte, von dem sie nichts wussten, dass er in jener Welt oft Streit hatte. Nach einiger Zeit wurde er Setzer an dem revolutionären Wochenblättchen, das sie herausgaben. Gelegentlich war es ihm nicht möglich, zu setzen, weil seine Knöchel abgeschürft und zerschlagen, seine Daumen zerquetscht und hilflos waren oder weil seine Arme schlaff herabhingen, während sein Gesicht sich in stummem Schmerz verzerrte.
»Ein Straßenjunge«, sagte Arrellano.
»Ein Säufer und Raufbold«, sagte Ramos.
»Aber wo kriegt er das Geld her?« fragte Vera. »Ich habe gerade eben erfahren, dass er die Papierrechnung bezahlt hat – hundertundvierzig Dollar.«
»Er ist ja oft weg«, sagte May Sethby, »und gibt nie eine Erklärung dafür.«
»Wir sollten ihn beobachten«, schlug Ramos vor.
»Der Spion möchte ich nicht sein«, sagte Vera. »Ich fürchte, ihr würdet mich nie wiedersehen, außer bei meiner Beerdigung.«
»Ich komme mir ihm gegenüber immer wie ein Kind vor«, gestand Ramos.
»Für mich ist er eine Macht – der wilde Wolf –, die zustoßende Klapperschlange«, sagte Arrellano.
»Er kennt niemand«, sagte May Sethby. »Er hasst alle. Er ist allein … einsam.«
Riveras Tun und Treiben war wirklich ein Geheimnis. Es gab Zeiten, in denen sie ihn eine ganze Woche lang nicht sahen. Einmal blieb er einen ganzen Monat verschwunden. Das war umso rätselhafter, als er bei seiner Heimkehr stets still und ohne ein Wort zu sagen Goldstücke auf May Sethbys Pult legte. Dann verbrachte er wieder Tage und Wochen seine ganze Zeit bei der Junta. Und dann konnte er wieder auf ungewisse Zeit vom frühen Morgen bis zum Abend verschwinden. In solchen Zeiten kam er spät und blieb lange. Arrellano hatte ihn um Mitternacht gesehen, wie er mit geschwollenen Knöcheln und einer zerrissenen, noch blutenden Lippe am Setzkasten stand.