Jack London – Gesammelte Werke

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»Sie sind aus Ei­sen, Daw«, sag­te er be­wun­dernd.

»Wer? Ich – Quatsch! Da sol­len Sie Rocky erst se­hen. Er ist aus Pla­tin ge­macht, eine Pan­zer­plat­te, das pure Gold und al­les, was es an Stär­ke und Kraft gibt. Ich bin Ge­birg­ler, aber er schlägt mich glatt knock­out. In Cur­ry Coun­ty pfleg­te ich die an­de­ren Bur­schen tot­zu­lau­fen, wenn wir auf die Bä­ren­jagd gin­gen. Und als ich Rocky auf un­se­re ers­te ge­mein­sa­me Jagd mit­nahm, dach­te ich mir wun­der, was ich ihm zei­gen wür­de. Ich ge­brauch­te mei­ne Bei­ne, kann ich Ih­nen sa­gen, und hielt mich fast die gan­ze Zeit ne­ben den Hun­den, aber Rocky war mir im­mer auf den Fer­sen. Ich wuss­te, dass er auf die­se Wei­se noch durch­hal­ten wür­de. Ich leg­te mich des­halb noch mehr ins Ge­schirr und tat mein Al­ler­bes­tes. Als aber eine wei­te­re Stun­de ver­gan­gen war, war er noch im­mer da und trat mir auf die Fer­sen. Es war zum Kno­chen­kot­zen! ›Vi­el­leicht willst du lie­ber vor­an­ge­hen und mir das Lau­fen bei­brin­gen‹, sag­te ich zu ihm. Und das tat er, so wahr ich hier ste­he. Ich konn­te na­tür­lich Schritt mit ihm hal­ten. Aber ich ge­ste­he Ih­nen gern, dass ich, als wir den Bä­ren schließ­lich ge­stellt hat­ten, ganz aus­ge­pumpt war.

Es gibt nichts, was den Mann hal­ten kann. Angst kennt er nicht. Letz­ten Herbst wa­ren wir bei­de nach dem La­ger un­ter­wegs. Es war um die Däm­me­rung vor Be­ginn der Schnee­schmel­ze. Ich hat­te alle mei­ne Pa­tro­nen ver­braucht – wir hat­ten Schneehüh­ner ge­schos­sen –, aber er hat­te noch eine in sei­ner Kam­mer. Und die Hun­de wit­ter­ten eine Bä­rin. Eine klei­ne frei­lich. Sie hat­te nur ein Ge­wicht von drei­hun­dert Pfund, aber Sie wis­sen ja, wie Grizz­ly­bä­ren sind. ›Tu es lie­ber nicht‹, sag­te ich, als er an­leg­te. ›Du hast nur den einen Schuss, und es ist zu dun­kel, um or­dent­lich zie­len zu kön­nen.‹

›Kannst ja auf einen Baum klet­tern‹, sag­te er. Das tat ich na­tür­lich nicht; als der Bär aber mit­ten in die Hun­de hin­ein­s­aus­te und mit den Vor­der­tat­zen her­um­fuch­tel­te, da – das kann ich Ih­nen sa­gen – guck­te ich mich doch nach ei­nem or­dent­li­chen Baum um. Es gab eine net­te Be­sche­rung! Es ging na­tür­lich gleich schief. Der Bär rutsch­te den Hang hin­un­ter bis zu ei­nem di­cken Baum­stumpf. Auf der Rück­sei­te war der viel­leicht vier Fuß hoch und ganz senk­recht. Von dort aus konn­ten die Hun­de nicht an den Bä­ren her­an. Vorn war ein schrof­fer Kie­sab­hang, und über den rutsch­ten die Hun­de dem Bä­ren di­rekt in die Arme. Zu­rück konn­ten sie nicht mehr, und das Biest hat­te da­her nichts an­de­res zu tun, als sie sich einen nach dem an­de­ren, so schnell sie ka­men, vor­zu­neh­men. Und da­bei war es im dich­ten Busch und be­gann schon ver­dammt dun­kel zu wer­den, und wir hat­ten kei­ne Pa­tro­nen …

Und was, glau­ben Sie, tat Rocky? Er ging von hin­ten her­an, hob die Hand mit dem Mes­ser über den Baum­stumpf und stach von dort auf das Tier los. Aber er konn­te ja nur den Rücken er­rei­chen, und in­zwi­schen wur­den die Hun­de eins, zwei, drei er­le­digt. Rocky wur­de wild. Es pass­te ihm nicht, dass sei­ne Hun­de so be­han­delt wur­den. Er sprang auf den Baum­stumpf, pack­te den Bä­ren am Pelz und zog das Biest nach hin­ten über den Stumpf … und dann rutsch­ten sie alle zu­sam­men, in ei­nem wüs­ten Hau­fen, den Hang hin­un­ter – Hun­de und Bär und Rocky, min­des­tens zwan­zig Fuß tief, rutsch­ten und glit­ten, plumps, in den Fluss, der zehn Fuß tief war. Je­der von ih­nen schwamm schleu­nigst sei­ner Wege. Na, den Bä­ren krieg­te er also nicht, aber er ret­te­te doch je­den­falls die Hun­de. So ist Rocky. Wenn der erst mal los­geht, ist er nicht zu hal­ten.«

Als sie das nächs­te Mal la­ger­ten, er­fuhr Dok­tor Lin­day, wie Rocky ver­wun­det wor­den war.

»Ich war ein Stück ge­gan­gen – un­ge­fähr eine Mei­le von un­se­rer Hüt­te, um mir eine Bir­ke aus­zu­su­chen, die ich für einen Axt­stiel ver­wen­den konn­te. Als ich zu­rück­kam, hör­te ich schon aus der Fer­ne einen wil­den Ra­dau von der Stel­le, wo wir eine Bä­ren­fal­le auf­ge­stellt hat­ten. Ir­gend­ein Jä­ger hat­te die Fal­le in ei­nem al­ten Ver­steck zu­rück­ge­las­sen, Rocky hat­te sie dort ge­fun­den und wie­der auf­ge­stellt. Aber einen Ra­dau mach­ten sie jetzt – es wa­ren Rocky und sein Bru­der Har­ry! Zu­erst hör­te ich den einen brül­len und la­chen und dann den an­de­ren, als sei es ein Spiel. Und worin, glau­ben Sie, be­stand das ver­rück­te Spiel? Ich habe vie­le ver­fluch­te Strei­che in Cur­ry Coun­ty er­lebt, aber das war doch das tolls­te Stück! Sie hat­ten einen rie­si­gen Pan­ther in der Fal­le ge­fan­gen, und jetzt schlu­gen sie dem Biest ab­wech­selnd mit ei­nem leich­ten Stock über die Schnau­ze. Aber das nicht al­lein! Ich kam ge­ra­de recht­zei­tig, um Har­ry schla­gen zu se­hen. Als er es ge­tan hat­te, schnitt er mit sei­nem Mes­ser sechs Zoll von dem Stock ab und gab ihn dann Rocky. Sie ver­ste­hen: Sie ver­kürz­ten den Stock nach je­dem Schla­ge. Das ist nicht ganz so ein­fach, wie Sie es sich viel­leicht den­ken. Der Pan­ther krümm­te sich, schnell­te dann vor, fauch­te und zisch­te und war mör­de­risch ge­wandt, wenn es galt, dem Stock zu ent­ge­hen. Er wur­de an dem einen Hin­ter­bein fest­ge­hal­ten, was ganz lä­cher­lich aus­sah, aber sich krüm­men und vor­wärts­schnel­len, das konn­te er, das kann ich Ih­nen sa­gen. Das Gan­ze war ja nur ein Spiel, um zu zei­gen, wie toll­kühn sie wa­ren. Und der Stock wur­de im­mer kür­zer und der Pan­ther im­mer wil­der. Schließ­lich war kein Stock mehr da, nur ein klei­nes Stäb­chen, kaum vier Zoll lang. Und jetzt war die Rei­he zu schla­gen an Rocky. ›Lass es lie­ber‹, sag­te Har­ry. ›Wa­rum denn?‹ frag­te Rocky. ›Weil kein Stock mehr für mich üb­rig­bleibt, wenn du ge­schla­gen hast‹, ant­wor­te­te Har­ry. ›Dann brauchst du ja nur auf­zu­ge­ben, und ich habe ge­won­nen‹, sag­te Rocky und lach­te und ging auf den Pan­ther los.

Und ich möch­te, beim le­ben­di­gen Gott, nicht zum zwei­ten Male so et­was mit an­se­hen. Die Kat­ze krümm­te sich und kau­er­te sich zu­sam­men, so­dass ihr sechs Fuß lan­ger Kör­per nur wie eine ein­zi­ge große Sch­lin­ge war. Und Rockys Stock war nur vier Zoll lang, ver­ges­sen Sie das nicht! Na­tür­lich krieg­te ihn die Kat­ze. Man konn­te die bei­den nicht tren­nen. Es war un­mög­lich zu schie­ßen, ohne bei­de zu tref­fen. Schließ­lich zer­schnitt Har­ry mit sei­nem Mes­ser dem Pan­ther die Hals­schlag­ader.«

»Wenn ich das ge­wusst hät­te, wäre ich nicht mit­ge­kom­men«, er­klär­te Dr. Lin­day.

Daw nick­te be­stä­ti­gend.

»Ja, das sag­te sie auch. Sie bat mich drin­gend, auf kei­nen Fall zu sa­gen, wie es zu­ge­gan­gen war.«

»Ist er ver­rückt?« frag­te Lin­day in sei­nem ge­rech­ten Zorn.

»Sie sind bei­de ver­rückt. Er und sein Bru­der het­zen sich ge­gen­sei­tig im­mer in die tolls­ten Ge­schich­ten hin­ein. Vor nichts schre­cken sie zu­rück. Und sie ist bei­na­he eben­so toll. Kennt kei­ne Furcht, wenn es sie sel­ber gilt. Sie tut al­les, wenn Rocky es ihr nur er­laubt. Aber er ist in die­ser Be­zie­hung mäch­tig vor­sich­tig und be­dacht­sam. Be­han­delt sie wie eine Kö­ni­gin. Sie darf nicht die ge­rings­te La­ger­ar­beit tun. Des­halb ha­ben sie mich und noch einen für gu­tes Geld en­ga­giert. Geld ha­ben sie über­haupt schef­fel­wei­se und schmei­ßen es bei­de mit vol­len Hän­den hin­aus. ›Sieht aus, als ob die Jagd hier gut sein wür­de‹, sag­te Rocky, als sie im letz­ten Herbst in die­se Ge­gend ka­men. ›Dann wol­len wir hier un­ser La­ger auf­schla­gen‹, er­klär­te Har­ry. Und ich hat­te im­mer ge­glaubt, dass sie Gold such­ten! Den gan­zen Win­ter ha­ben sie nicht ein ein­zi­ges Mal eine Gold­pfan­ne aus­ge­wa­schen.«

Lin­days Zorn wur­de noch grö­ßer durch die­sen Be­richt.

»Für Ver­rück­te hab’ ich nichts üb­rig«, sag­te er. »Ich wür­de glatt um­keh­ren, und wenn man mir nur zwei Cent gäbe.«

»Nein, das wür­den Sie nicht tun«, ver­si­cher­te Daw ihm ver­trau­lich. »Sie ha­ben nicht Le­bens­mit­tel ge­nug, um um­zu­keh­ren, und mor­gen sind wir schon da. Wir brau­chen nur noch die letz­te Was­ser­schei­de zu über­que­ren und rut­schen dann di­rekt in die Hüt­te hin­ein. Und au­ßer­dem gib­t’s noch einen bes­se­ren Grund. Sie sind viel zu weit von Hau­se weg, und ich wür­de Sie auch gar nicht um­keh­ren las­sen.«

So er­schöpft Lin­day auch war, zeig­te das Fun­keln der schwar­zen Au­gen Daw den­noch, dass er zu weit ge­gan­gen war. Er streck­te die Hand aus.

»Es war dumm von mir, Dok­tor. Ver­ges­sen Sie es, bit­te. Ich glau­be, der Ver­lust der Hun­de hat mir die Lau­ne ver­dor­ben.«

Nicht am nächs­ten, son­dern erst am vier­ten Tage schrit­ten die bei­den Män­ner, die auf den Ber­gen von ei­nem Schnee­sturm über­fal­len wor­den wa­ren, zur Hüt­te hin­ab, die in ei­nem frucht­ba­ren Tal am Ufer des brül­len­den Klei­nen Peco stand. Als sie aus dem grel­len Son­nen­schein in den dunklen Raum tra­ten, konn­te Lin­day zu­nächst nur we­nig von ih­ren Be­woh­nern se­hen. Das ein­zi­ge, was er er­kann­te, war, dass zwei Män­ner und eine Frau drin­nen wa­ren. Er in­ter­es­sier­te sich nicht für sie. Er trat so­fort an das Bett, in dem der Ver­wun­de­te un­ter­ge­bracht war. Er lag auf dem Rücken, und sei­ne Au­gen wa­ren ge­schlos­sen. Aber Lin­day be­merk­te gleich den fei­nen Schwung der Au­gen­brau­en und den sei­di­gen Glanz des leicht ge­well­ten brau­nen Haa­res. Das Ge­sicht war ein­ge­fal­len und fahl und schi­en zu klein für den mus­ku­lö­sen Hals, aber trotz dem elen­den Zu­stand, in dem der Mann sich be­fand, sah man, dass die fei­nen Züge fest und ener­gisch wa­ren.

»Wo­mit ha­ben Sie des­in­fi­ziert?« frag­te Lin­day die Frau.

»Mit Sub­li­mat, nor­ma­le Lö­sung«, lau­te­te die Ant­wort.

Er warf ihr einen schnel­len Blick zu. Dann einen noch schnel­le­ren auf den Ver­wun­de­ten. Er blieb ste­hen, ohne sich zu rüh­ren. Die Frau at­me­te schwer, nahm sich aber dann mit ei­ner star­ken Wil­lens­an­span­nung zu­sam­men und hielt den Atem an. Lin­day wand­te sich zu den Män­nern.

 

»Geht hin­aus – schlagt Holz, oder tut, was ihr sonst wollt! Ver­schwin­det!«

Ei­ner von ih­nen murr­te.

»Es ist ein erns­ter Fall«, fuhr Lin­day fort. »Ich wün­sche mit sei­ner Frau al­lein zu spre­chen.«

»Ich bin aber sein Bru­der«, sag­te der, wel­cher ge­murrt hat­te. Die Frau warf ihm einen bit­ten­den Blick zu. Er nick­te un­wil­lig und ging zur Tür.

»Ich auch?« frag­te Daw von der Bank, wo er sich so­eben hin­ge­wor­fen hat­te.

»Sie auch.«

Um sich, wäh­rend die an­de­ren den Raum ver­lie­ßen, zu be­schäf­ti­gen, un­ter­warf Lin­day den Ver­wun­de­ten ei­ner ober­fläch­li­chen Un­ter­su­chung.

»Nun«, sag­te er, »das ist also dein Rex Strang …« Sie senk­te den Blick und sah den Mann im Bett an, als ob sie sich noch ein­mal sei­ner Iden­ti­tät ver­ge­wis­sern woll­te. Dann blick­te sie Lin­day stumm in die Au­gen.

»Wa­rum sagst du nichts?«

Sie zuck­te die Ach­seln. »Wa­rum soll ich et­was sa­gen? Du weißt ja, dass es Rex Strang ist.«

»Ich dan­ke. Im üb­ri­gen muss ich dich wohl dar­an er­in­nern, dass ich Rex Strang heu­te zum ers­ten Mal sehe. Setz dich.« Er wies auf einen Stuhl, wäh­rend er selbst auf der Bank am Fens­ter Platz nahm.

»Ich bin wirk­lich ein biss­chen lan­ge un­ter­wegs ge­we­sen, weißt du. Es ist eben kein Sonn­tags­spa­zier­gang vom Yu­kon hier­her.«

Er nahm sein Fe­der­mes­ser her­aus und be­gann sich einen Dorn aus dem Dau­men zu zie­hen.

»Was willst du ma­chen?« frag­te sie, nach­dem sie eine Mi­nu­te ver­ge­bens ge­war­tet hat­te.

»Es­sen und mich aus­ru­hen, be­vor ich zu­rück­ge­he.«

»Und was willst du mit …« Sie zeig­te mit dem Kopf nach dem be­wusst­lo­sen Mann im Bett.

»Gar nichts.«

Sie trat an das Bett und leg­te ihre Hand lei­se auf das lo­cki­ge Haar.

»Du willst ihn also tö­ten«, sag­te sie lang­sam. »Ihn tö­ten, in­dem du nichts tust – denn du kannst ihn ret­ten, wenn du willst.«

»Mei­net­we­gen kannst du es so auf­fas­sen.« Er über­leg­te einen Au­gen­blick und be­kräf­tig­te dann sei­nen Ge­dan­ken durch ein bar­sches Lä­cheln. »Seit un­denk­li­chen Zei­ten war es in die­ser bö­sen al­ten Welt Brauch, Män­ner so zu be­han­deln, die an­de­ren ihre Frau­en steh­len.«

»Du bist un­ge­recht, Grant«, ant­wor­te­te sie sanft. »Du ver­gisst ganz, dass ich ihm frei­wil­lig folg­te, dass ich selbst den Wunsch hat­te zu ge­hen. Ich han­del­te selbst­stän­dig. Rex hat mich nie ge­stoh­len. Du hat­test mich ver­lo­ren. Ich ging mit ihm, frei­wil­lig und freu­dig, ein Lied auf den Lip­pen. Eben­so gut kannst du mich an­kla­gen, ihn ge­stoh­len zu ha­ben. Wir gin­gen zu­sam­men.«

»Eine ori­gi­nel­le und be­que­me Art, die Sa­che zu be­trach­ten«, räum­te Lin­day ein. »Ich sehe, du denkst noch eben­so scharf­sin­nig wie frü­her, Mad­ge. Das muss ihm manch­mal ein biss­chen un­be­quem sein.«

»Wer gut denkt, kann auch gut lie­ben …«

»Je­den­falls nicht so tö­richt«, un­ter­brach er sie.

»Dann räumst du also ein, dass ich klug ge­han­delt habe.«

Er hob ent­rüs­tet die Hän­de. »Das ist ja eben das Ver­fluch­te, dass man mit ge­schei­ten Frau­en nicht re­den kann. Ein Mann ver­gisst sich stets und geht in sei­ne ei­ge­ne Fal­le. Ich wür­de mich nicht wun­dern, wenn du ihn durch eine lo­gi­sche Schluss­fol­ge­rung er­obert hät­test.«

Die ein­zi­ge Ant­wort, die er be­kam, war eine An­deu­tung von Lä­cheln in den kla­ren, of­fen bli­cken­den blau­en Au­gen. Ihr gan­zes We­sen schi­en den Stolz ih­res Ge­schlech­tes zu at­men.

»Nein – das neh­me ich gern zu­rück, Mag­de. Selbst wenn du ganz un­be­gabt ge­we­sen wä­rest, hät­test du ihn oder je­den x-be­lie­bi­gen an­de­ren auch er­obert – al­lein durch dein We­sen und durch dei­ne Bli­cke und dein Auf­tre­ten. Ich hät­te es bes­ser wis­sen müs­sen. Ich bin durch die­se ganz spe­zi­el­le Müh­le ge­gan­gen – und, hol mich der Teu­fel, ich bin noch im­mer nicht ganz hin­durch.«

Er re­de­te schnell und ner­vös und ein we­nig ge­reizt, wie er es im­mer zu tun pfleg­te. Und sie wuss­te auch, dass er ganz auf­rich­tig war.

Sein letz­tes Ge­ständ­nis diente ihr als Stich­wort. »Denkst du noch an den Gen­fer See?«

»Wie soll­te ich nicht? Ich war fast über­mensch­lich glück­lich.«

Sie nick­te, und ihre Au­gen leuch­te­ten.

»Es gibt so et­was wie alte Erin­ne­run­gen. Willst du nicht ein­mal dar­an zu­rück­den­ken, Grant … ein klei­nes biss­chen, oh, nur ein ganz klein we­nig … was wir da­mals ein­an­der wa­ren … nicht?«

»Jetzt ver­schaffst du dir in­kor­rek­te Vor­tei­le«, lä­chel­te er und be­gann wie­der an sei­nem Dau­men zu ar­bei­ten. Er zog den Dorn her­aus und un­ter­such­te ihn kri­tisch. Dann sag­te er: »Nein, ich dan­ke schön. Ich emp­fin­de nicht das Be­dürf­nis, hier den barm­her­zi­gen Sa­ma­ri­ter zu spie­len.«

»Und doch hast du die­se schwe­re Rei­se ge­macht, um ei­nem Un­be­kann­ten zu hel­fen«, mein­te sie.

Er gab sich nicht die Mühe, sei­ne Un­ge­duld zu ver­ber­gen. »Glaubst du viel­leicht, dass ich die Rei­se ge­macht ha­ben wür­de, wenn ich ge­ahnt hät­te, dass es sich um den Lieb­ha­ber mei­ner Frau han­del­te?«

»Aber jetzt bist du ein­mal hier. Und dort liegt er. Was willst du jetzt tun?«

»Nichts, sage ich ja. Ich bin nicht der An­ge­stell­te die­ses Herrn. Er hat mich be­stoh­len.«

Sie woll­te et­was sa­gen, als an der Tür ge­klopft wur­de.

»Ver­schwin­den Sie«, rief er.

»Wenn Sie Hil­fe brau­chen …«

»Ge­hen Sie, zum Teu­fel. Ho­len Sie einen Ei­mer Was­ser. Stel­len Sie ihn vor die Tür.«

»Du willst also doch …«, be­gann sie mit zit­tern­der Stim­me.

»Mir die Hän­de wa­schen.«

Sie zuck­te zu­rück, als sie sei­ne bru­ta­le Ant­wort hör­te, und ihre Lip­pen schlos­sen sich fest und hart. Dann sag­te sie trot­zig: »Jetzt höre, Grant. Ich wer­de sei­nem Bru­der er­zäh­len, was du tust. Ich ken­ne die Strangs. Kannst du die Ver­gan­gen­heit ver­ges­sen, so kann ich es auch. Wenn du nichts tun willst, wird er dich tö­ten. Selbst Tom Daw wür­de es tun, wenn ich ihn dar­um bäte.«

»Du soll­test mich zu gut ken­nen, um mir zu dro­hen«, rüg­te er ernst. Dann füg­te er spöt­tisch hin­zu: »Au­ßer­dem sehe ich nicht ein, was es Rex Strang hel­fen soll­te, wenn ich er­mor­det wür­de.«

Sie ließ ein lei­ses Stöh­nen hö­ren und schloss ih­ren Mund fest. Sie merk­te, dass sei­ne scharf­bli­cken­den Au­gen schon ent­deckt hat­ten, wie sie am gan­zen Kör­per zit­ter­te. »Es ist kei­ne Hys­te­rie, Grant«, rief sie schnell und vol­ler Angst, miss­ver­stan­den zu wer­den. Ihre Zäh­ne klap­per­ten beim Spre­chen. »Du hast mich nie hys­te­risch ge­se­hen. Ich bin es nie ge­we­sen. Ich weiß nicht, was mit mir ist, aber ich wer­de mich be­herr­schen. Ich bin nur so ganz an­ders als sonst. Zum Teil ist es Zorn … Zorn auf dich. Und es ist Un­ru­he und Angst. Ich möch­te ihn nicht ver­lie­ren. Ich lie­be ihn, Grant! Er ist mein Herr und mein Ge­bie­ter! Und ich habe so vie­le furcht­ba­re Tage und Näch­te hier ne­ben ihm ge­wacht. Oh, Grant, ich bit­te dich … bit­te dich …«

»Na­tür­lich sind es dei­ne Ner­ven«, er­klär­te er tro­cken. »Du musst dich be­herr­schen. Du kannst dich schon zu­sam­men­neh­men. Wärst du ein Mann, so wür­de ich dir den Rat ge­ben, eine Pfei­fe zu rau­chen.«

Sie trat un­ru­hig wie­der an den Stuhl und be­ob­ach­te­te ihn von dort aus. Sie tat, was sie konn­te, um sich zu be­herr­schen. Von dem roh er­bau­ten Herd hör­te man das Zir­pen ei­ner Gril­le. Drau­ßen keif­ten die Wolfs­hun­de. Die Brust des Ver­wun­de­ten hob und senk­te sich sicht­bar trotz der Pelz­de­cken. Sie sah, dass ein nicht all­zu lie­bens­wür­di­ges Lä­cheln sei­ne Lip­pen kräu­sel­te.

»Wie sehr liebst du ihn?« frag­te er. Sie reck­te sich, und ihre Au­gen be­gan­nen von un­ver­hoh­le­ner und stol­zer Lie­be zu leuch­ten. Er nick­te zum Zei­chen, dass er die Ant­wort ver­stan­den hat­te.

»Hast du et­was da­ge­gen, wenn ich ein we­nig weit aus­ho­le?« Er schwieg, wäh­rend er nach­dach­te, wie er be­gin­nen soll­te. »Mir fällt eine Ge­schich­te ein, die ich ein­mal ge­le­sen habe. Her­bert Shaw hat sie ge­schrie­ben, glau­be ich. Ich will dir den In­halt er­zäh­len. Es war ein­mal eine Frau. Sie war jung und schön. Und es war ein Mann, ein pracht­vol­ler Mann, ein Lieb­ha­ber der Schön­heit und ein un­s­te­ter Wan­de­rer. Ich weiß nicht, ob er Rex Strang sehr ähn­lich sah, aber ich den­ke mir, dass sie ei­ni­ge Ähn­lich­keit mit­ein­an­der hat­ten. Nun, die­ser Mann war ein Ma­ler, ein Bo­he­mi­en, ein Va­ga­bund. Er küss­te – oh, mehr­mals und auch meh­re­re Wo­chen hin­durch … und ver­schwand dann wie­der. Sie fühl­te für ihn, was du, wie ich glaub­te, für mich fühl­test – dort am Gen­fer See. Zehn Jah­re wein­te sie ihm nach. Dann hat­ten die Trä­nen ihre Schön­heit ver­dor­ben. Du weißt, es gibt Frau­en, die gelb wer­den, wenn die Trau­er ihre na­tür­li­chen Säf­te ver­braucht hat.

Nun ge­sch­ah es, dass die­ser Mann blind wur­de und nach zehn Jah­ren, wie ein Kind an der Hand ge­führt, zu ihr zu­rück­kehr­te. Es war ihm nichts ge­blie­ben. Er konn­te nicht mehr ma­len. Aber sie war sehr glück­lich, und na­ment­lich war sie glück­lich, weil er ihr Ge­sicht nicht mehr se­hen konn­te. Ver­giss nicht, dass er al­les Schö­ne an­be­te­te. Und er hielt sie wie­der in sei­nen Ar­men und glaub­te, dass sie schön wäre. Die Erin­ne­rung an ihre Schön­heit leb­te im­mer noch in sei­nem Her­zen. Er sprach auch stets da­von und klag­te, dass er sie nicht mehr se­hen könn­te.

Ei­nes Ta­ges er­zähl­te er ihr von fünf großen Bil­dern, die er ma­len woll­te. Wenn es nur mög­lich wäre, dass er sei­ne Seh­kraft wie­der­be­käme – dann könn­te er zu­frie­den den Pin­sel nie­der­le­gen. Da kam ihr – gleich­gül­tig wie – ein Eli­xier in die Hän­de. Wenn sei­ne Au­gen da­mit be­stri­chen wur­den, er­hielt er sei­ne vol­le Seh­kraft zu­rück.« Lin­day zuck­te die Ach­seln. »Du ver­stehst, worin der Kon­flikt be­stand und wie sie kämpf­te. Sah er wie­der, so konn­te er sei­ne fünf Bil­der ma­len. Aber dann ver­ließ er sie auch. Schön­heit war sei­ne Re­li­gi­on. Es war ganz aus­ge­schlos­sen, dass er ihr Ge­sicht er­tra­gen könn­te. Fünf Tage kämpf­te sie die­sen Kampf mit sich. Dann be­strich sie ihm die Au­gen mit dem Eli­xier.«

Lin­day un­ter­brach sei­ne Er­zäh­lung und such­te die Frau mit sei­nen Bli­cken. In den glän­zend schwar­zen Pu­pil­len leuch­te­te es scharf und ste­chend auf.

»Die Fra­ge ist jetzt, ob du Rex Strang eben­so liebst, wie jene Frau ih­ren Lieb­ha­ber lieb­te?«

»Und wenn ich es tue?« gab sie zu­rück.

»Tust du es?«

»Ja.«

»Und du kannst Op­fer brin­gen? Kannst ihn auf­ge­ben?«

Ihr Ja kam lang­sam und zö­gernd.

»Und du wirst mit mir zu­rück­keh­ren?«

»Ja.« Dies­mal flüs­ter­te sie ihr Ja. »Wenn er wie­der ganz ge­sund ist … ja.«

»Du hast mich voll und ganz ver­stan­den? Es muss wie­der wer­den wie am Gen­fer See. Du musst mei­ne Frau sein.«

Es sah aus, als ob sie zu­sam­men­schrumpf­te und zer­brä­che. Aber sie nick­te.

»Gut.« Er stand rasch auf, schritt zu sei­nem Bün­del und be­gann es aus­zu­pa­cken. »Ich wer­de Hil­fe brau­chen. Rufe sei­nen Bru­der. Lass alle kom­men. Ko­chen­des Was­ser ich brau­che viel. Ich habe Ban­da­gen mit­ge­bracht … aber lass mich se­hen, was du der­glei­chen hast … Hier, Daw, ma­chen Sie so schnell wie mög­lich Feu­er und ko­chen Sie Was­ser. Und Sie da …«, sag­te er zu dem an­de­ren Mann, »Sie tra­gen den Tisch hin­aus, stel­len ihn vor das Fens­ter und säu­bern ihn, schrub­ben ihn, brü­hen ihn ab. Sau­ber, Mensch, sau­ber, wie Sie noch nie in Ihrem Le­ben et­was sau­ber ge­macht ha­ben. Und Sie, mei­ne Gnä­digs­te, wer­den mir hel­fen. La­ken ha­ben Sie wohl nicht, ver­mu­te ich? Nun, ich wer­de es schon ir­gend­wie schaf­fen. Sie sind sein Bru­der? Ich wer­de ihn selbst be­täu­ben, aber Sie müs­sen mir nach­her hel­fen … Und hö­ren Sie jetzt ge­nau zu, wenn ich Ih­nen die nö­ti­gen In­struk­tio­nen gebe! Zu­nächst … aber sa­gen Sie mir zu­nächst, ob Sie wis­sen, wie man den Puls fühlt?«

Lin­day hat­te längst einen Ruf als küh­ner und er­folg­rei­cher Chir­urg, aber in den Ta­gen und Wo­chen, die jetzt folg­ten, über­traf er sich selbst in je­der Be­zie­hung. Die furcht­ba­re Ver­stüm­me­lung so­wie die lan­ge Ver­zö­ge­rung der Ope­ra­ti­on durch die lan­ge Rei­se mach­ten es zum schlimms­ten Fall, den er je er­lebt hat­te. An­de­rer­seits hat­te er auch nie ein so ge­sun­des Exem­plar der mensch­li­chen Ras­se un­ter sei­nem Mes­ser ge­habt. Und doch hät­te er auch jetzt noch Mis­ser­folg ha­ben kön­nen, wäre sein Pa­ti­ent nicht von ei­ner kat­zen­haf­ten Vi­ta­li­tät und ei­nem fast un­heim­li­chen phy­si­schen wie geis­ti­gen Le­bens­wil­len ge­we­sen.

 

Es gab Tage, an de­nen er mit ho­hem Fie­ber lag und fan­ta­sier­te. Tage vol­ler Hoff­nungs­lo­sig­keit, an de­nen sein Puls kaum zu spü­ren war. An­de­re Tage, an de­nen er bei vol­lem Be­wusst­sein und mit mü­den Au­gen, den Schweiß der Qual auf dem ver­zerr­ten Ge­sicht, dalag. Lin­day war un­er­müd­lich tä­tig – bis zur Grau­sam­keit, ver­we­gen und er­folg­reich. Im­mer wie­der wag­te er Un­glaub­li­ches und sieg­te. Er be­gnüg­te sich nicht da­mit, das Le­ben die­ses Man­nes zu ret­ten. Er wid­me­te sich dem ge­fähr­li­chen und schwie­ri­gen Pro­blem, ihn wie­der voll­kom­men heil und kräf­tig zu ma­chen.

»Wird er ein Krüp­pel blei­ben?« frag­te Mad­ge.

»Er soll nicht nur re­den und ge­hen und eine hum­peln­de Ka­ri­ka­tur sei­nes frü­he­ren Ichs wer­den«, er­klär­te ihr Lin­day. »Er soll sprin­gen und lau­fen, im Stru­del schwim­men, Bä­ren ja­gen, mit Pan­thern kämp­fen und al­les tun kön­nen, was er in sei­ner Ver­rückt­heit zu tun wünscht. Und er wird – ich war­ne dich –, er wird Frau­en be­zau­bern. Ganz wie in frü­he­ren Ta­gen. Wün­schest du das wirk­lich? Bist du zu­frie­den da­mit? Ver­giss nicht, dass du nicht bei ihm sein wirst!«

»Mach nur wei­ter«, stöhn­te sie. »Mach ihn heil. Mach ihn zu dem, was er war.«

Mehr als ein­mal ge­sch­ah es, dass Lin­day, wenn Strangs Zu­stand es er­laub­te, ihn wie­der be­täub­te und Furcht­ba­res mit ihm vor­nahm, schnitt und näh­te, Tei­le von dem zer­ris­se­nen Or­ga­nis­mus aus­ein­an­der­nahm und wie­der zu­sam­men­füg­te. Spä­ter zeig­te es sich, dass der eine Arm steif ge­blie­ben war. Lin­day ver­tief­te sich in die­ses Pro­blem. Wie­der wa­ren Ver­su­che nö­tig, ein­ge­schrumpf­te Seh­nen wur­den ge­dehnt, Glie­der aus­ein­an­der­ge­nom­men, und dann wur­de aber­mals ge­näht, zu­sam­men­ge­fügt und ge­r­eckt. Und das, was Strang ret­te­te, wa­ren sei­ne un­er­hör­te Ge­sund­heit und die Sau­ber­keit sei­nes Flei­sches und Blu­tes.

»Sie wer­den ihn noch tö­ten«, klag­te der Bru­der. »Las­sen Sie ihn. Um Got­tes wil­len, las­sen Sie ihn in Ruhe. Ein Krüp­pel, der lebt, ist im­mer­hin bes­ser als ein hei­ler Mann, der tot ist.«

Lin­day wur­de wild vor Zorn. »Hin­aus mit Ih­nen, aus der Hüt­te mit Ih­nen, bis Sie wie­der­kom­men und ein­se­hen, dass ich ihn le­ben­dig ma­che. Bei Gott im Him­mel, Mensch, neh­men Sie sich zu­sam­men, so weit Sie kön­nen. Das Le­ben Ihres Bru­ders steht in die­sem Au­gen­blick auf der Mes­ser­schnei­de. Ver­ste­hen Sie denn nicht? Ein Ge­dan­ke kann ihn er­schla­gen. Und jetzt hin­aus, und kom­men Sie ganz sanft und ru­hig wie­der, voll­kom­men über­zeugt, dass er am Le­ben blei­ben und wie­der wer­den wird, wie er war, be­vor Sie und er wie die Idio­ten mit­ein­an­der spiel­ten. Hin­aus, sage ich!«

Mit ge­ball­ten Fäus­ten und dro­hen­den Au­gen stand der Bru­der da und frag­te Mad­ge mit Bli­cken um Rat.

»Bit­te geh«, bet­tel­te sie. »Er hat recht. Ich weiß, dass er recht hat.«

Als aber der Zu­stand Strangs ein an­der­mal zu Hoff­nun­gen An­lass gab, sag­te der Bru­der:

»Dok­tor, Sie sind ein Wun­der­tä­ter. Und die gan­ze Zeit habe ich doch ver­ges­sen, nach Ihrem Na­men zu fra­gen.«

»Der geht Sie auch gar nichts an, zum Teu­fel. Är­gern Sie mich nicht. Hin­aus mit Ih­nen!«

Der zer­ris­se­ne rech­te Arm woll­te plötz­lich nicht wei­ter­hei­len, son­dern wur­de eine ein­zi­ge gräss­li­che Wun­de.

»Brand«, sag­te Lin­day.

»Jetzt ist es ge­nug«, knurr­te der Bru­der.

»Hal­ten Sie den Mund!« fauch­te Lin­day. »Ge­hen Sie hin­aus. Neh­men Sie Daw mit. Bill eben­falls. Brin­gen Sie Ka­nin­chen … aber le­ben­di­ge! Ge­sun­de! Fan­gen Sie die Tie­re in Fal­len. Stel­len Sie über­all Fal­len auf.«

»Wie vie­le?« frag­te der Bru­der.

»Vier­zig … vier­tau­send … vier­zig­tau­send … so­viel Sie krie­gen kön­nen. Sie hel­fen mir, gnä­di­ge Frau. Ich muss den Arm auf­schnei­den und den Scha­den wie­der gut­ma­chen. Also los, Bur­schen! Ihr müsst die Kar­ni­ckel be­schaf­fen.«

Und er schnitt in den Arm, schnell und si­cher, säu­ber­te den an­ge­grif­fe­nen Kno­chen und stell­te die Aus­brei­tung des Her­des fest.

»Das wäre nie ge­sche­hen«, sag­te er zu Mad­ge, »wenn nicht so viel an­de­res ge­we­sen wäre, das sei­ne Le­bens­kraft an­ge­grif­fen hat. Nicht ein­mal er hat Le­bens­kraft ge­nug ge­habt, dass al­les gleich­zei­tig hei­len konn­te. Ich habe es kom­men se­hen, aber ich muss­te ab­war­ten, bis es so weit war. Wir müs­sen das kran­ke Stück her­aus­schnei­den. Er könn­te es frei­lich ent­beh­ren, aber ein Kar­ni­ckel­kno­chen wird ihn zu dem ma­chen, was er war.«

Un­ter den Hun­der­ten von Ka­nin­chen, die sie mit heim­brach­ten, mach­te er eine Aus­le­se, ver­warf, wähl­te, prüf­te, wähl­te wie­der und prüf­te aufs neue, bis er sich end­lich ent­schied. Dann ver­wand­te er sein letz­tes Chlo­ro­form und mach­te die Kno­chen­pfrop­fung … füg­te einen le­ben­den Kno­chen an einen an­de­ren le­ben­den Kno­chen, ver­band den le­ben­den Mann mit dem le­ben­den Ka­nin­chen, un­be­weg­lich und un­lös­bar wur­den sie mit­ein­an­der ver­bun­den und zu­sam­men­ge­fes­selt, wäh­rend ihre ge­mein­sa­men Le­ben­spro­zes­se einen voll­kom­me­nen Arm her­stell­ten.

Und wäh­rend die­ser gan­zen Ver­su­che und na­ment­lich, als Strang sich zu er­ho­len be­gann, ka­men im­mer wie­der Au­gen­bli­cke, in de­nen Lin­day und Mad­ge auf­ein­an­der an­ge­wie­sen wa­ren und sich mit­ein­an­der un­ter­hiel­ten. Er war durch­aus nicht freund­lich. Sie war aber nie auf­rüh­re­risch.

»Es ist na­tür­lich sehr lang­wei­lig«, sag­te er zu ihr. »Aber Ge­setz ist nun mal Ge­setz, und du wirst dich des­halb wie­der schei­den las­sen müs­sen, ehe wir zum zwei­ten Mal hei­ra­ten. Was meinst du dazu? Wol­len wir auch dies­mal eine Hoch­zeits­rei­se nach dem Gen­fer See ma­chen?«

»Ganz wie du willst«, sag­te sie.

Und bei ei­ner an­de­ren Ge­le­gen­heit sag­te er zu ihr: »Was, zum Teu­fel, hast du denn ei­gent­lich für einen Nar­ren an ihm ge­fres­sen? Ich weiß schon, dass er Geld hat. Aber du und ich wa­ren auf dem bes­ten Wege. Mei­ne Pra­xis brach­te doch im­mer­hin durch­schnitt­lich vier­zig­tau­send im Jahr – ich habe nach­her die Bü­cher durch­ge­se­hen. Pa­läs­te und Dampf­jach­ten wa­ren das ein­zi­ge, was du dir nicht er­lau­ben konn­test.«

»Vi­el­leicht liegt in dem, was du jetzt sagst, die gan­ze Er­klä­rung un­se­res Schiff­bruchs«, ant­wor­te­te sie. »Näm­lich dar­in, dass du all­zu­sehr für dei­ne Pra­xis leb­test. Vi­el­leicht ver­ga­ßest du über ihr, dass ich da war.«

»Hm«, mein­te er spöt­tisch. »Und fürch­te­test du denn nicht, dass dein Rex sich all­zu­sehr für Pan­ther und kur­ze Stö­cke in­ter­es­sier­te?«

Er such­te sie stets zu rei­zen, da­mit sie ihm er­klär­te, warum sie sich – wie er sich aus­drück­te – in die­sen an­de­ren »ver­gafft« hat­te.

»Es gibt kei­ne Er­klä­rung«, lau­te­te ihre Ant­wort. Aber schließ­lich füg­te sie hin­zu: »Kein Mensch kann Lie­be er­klä­ren, ich am al­ler­we­nigs­ten. Ich lie­be ein­fach, ich ken­ne nur die gött­li­che und un­zer­stör­ba­re Tat­sa­che der Lie­be, das ist al­les, was ich sa­gen kann. Da war ein­mal in Fort Van­cou­ver ein Baron von der Hud­son-Bay-Com­pa­ny, der den Pfar­rer der eng­li­schen Kir­che rüg­te, weil er nach Hau­se ge­schrie­ben und sich be­klagt hat­te, dass alle An­ge­stell­ten der Com­pa­ny vom Chef bis zum kleins­ten Be­am­ten sich In­dianer­frau­en nah­men. ›Wa­rum ha­ben Sie denn nicht die mil­dern­den Um­stän­de an­ge­führt?‹ frag­te der Baron. Und der Pfar­rer gab zur Ant­wort: ›Der Schwanz ei­ner Kuh wächst nach un­ten. Ich ver­su­che erst gar nicht zu er­klä­ren, warum der Schwanz der Kuh nach un­ten wächst. Ich stel­le nur die Tat­sa­che fest.‹«