»Sie sind aus Eisen, Daw«, sagte er bewundernd.
»Wer? Ich – Quatsch! Da sollen Sie Rocky erst sehen. Er ist aus Platin gemacht, eine Panzerplatte, das pure Gold und alles, was es an Stärke und Kraft gibt. Ich bin Gebirgler, aber er schlägt mich glatt knockout. In Curry County pflegte ich die anderen Burschen totzulaufen, wenn wir auf die Bärenjagd gingen. Und als ich Rocky auf unsere erste gemeinsame Jagd mitnahm, dachte ich mir wunder, was ich ihm zeigen würde. Ich gebrauchte meine Beine, kann ich Ihnen sagen, und hielt mich fast die ganze Zeit neben den Hunden, aber Rocky war mir immer auf den Fersen. Ich wusste, dass er auf diese Weise noch durchhalten würde. Ich legte mich deshalb noch mehr ins Geschirr und tat mein Allerbestes. Als aber eine weitere Stunde vergangen war, war er noch immer da und trat mir auf die Fersen. Es war zum Knochenkotzen! ›Vielleicht willst du lieber vorangehen und mir das Laufen beibringen‹, sagte ich zu ihm. Und das tat er, so wahr ich hier stehe. Ich konnte natürlich Schritt mit ihm halten. Aber ich gestehe Ihnen gern, dass ich, als wir den Bären schließlich gestellt hatten, ganz ausgepumpt war.
Es gibt nichts, was den Mann halten kann. Angst kennt er nicht. Letzten Herbst waren wir beide nach dem Lager unterwegs. Es war um die Dämmerung vor Beginn der Schneeschmelze. Ich hatte alle meine Patronen verbraucht – wir hatten Schneehühner geschossen –, aber er hatte noch eine in seiner Kammer. Und die Hunde witterten eine Bärin. Eine kleine freilich. Sie hatte nur ein Gewicht von dreihundert Pfund, aber Sie wissen ja, wie Grizzlybären sind. ›Tu es lieber nicht‹, sagte ich, als er anlegte. ›Du hast nur den einen Schuss, und es ist zu dunkel, um ordentlich zielen zu können.‹
›Kannst ja auf einen Baum klettern‹, sagte er. Das tat ich natürlich nicht; als der Bär aber mitten in die Hunde hineinsauste und mit den Vordertatzen herumfuchtelte, da – das kann ich Ihnen sagen – guckte ich mich doch nach einem ordentlichen Baum um. Es gab eine nette Bescherung! Es ging natürlich gleich schief. Der Bär rutschte den Hang hinunter bis zu einem dicken Baumstumpf. Auf der Rückseite war der vielleicht vier Fuß hoch und ganz senkrecht. Von dort aus konnten die Hunde nicht an den Bären heran. Vorn war ein schroffer Kiesabhang, und über den rutschten die Hunde dem Bären direkt in die Arme. Zurück konnten sie nicht mehr, und das Biest hatte daher nichts anderes zu tun, als sie sich einen nach dem anderen, so schnell sie kamen, vorzunehmen. Und dabei war es im dichten Busch und begann schon verdammt dunkel zu werden, und wir hatten keine Patronen …
Und was, glauben Sie, tat Rocky? Er ging von hinten heran, hob die Hand mit dem Messer über den Baumstumpf und stach von dort auf das Tier los. Aber er konnte ja nur den Rücken erreichen, und inzwischen wurden die Hunde eins, zwei, drei erledigt. Rocky wurde wild. Es passte ihm nicht, dass seine Hunde so behandelt wurden. Er sprang auf den Baumstumpf, packte den Bären am Pelz und zog das Biest nach hinten über den Stumpf … und dann rutschten sie alle zusammen, in einem wüsten Haufen, den Hang hinunter – Hunde und Bär und Rocky, mindestens zwanzig Fuß tief, rutschten und glitten, plumps, in den Fluss, der zehn Fuß tief war. Jeder von ihnen schwamm schleunigst seiner Wege. Na, den Bären kriegte er also nicht, aber er rettete doch jedenfalls die Hunde. So ist Rocky. Wenn der erst mal losgeht, ist er nicht zu halten.«
Als sie das nächste Mal lagerten, erfuhr Doktor Linday, wie Rocky verwundet worden war.
»Ich war ein Stück gegangen – ungefähr eine Meile von unserer Hütte, um mir eine Birke auszusuchen, die ich für einen Axtstiel verwenden konnte. Als ich zurückkam, hörte ich schon aus der Ferne einen wilden Radau von der Stelle, wo wir eine Bärenfalle aufgestellt hatten. Irgendein Jäger hatte die Falle in einem alten Versteck zurückgelassen, Rocky hatte sie dort gefunden und wieder aufgestellt. Aber einen Radau machten sie jetzt – es waren Rocky und sein Bruder Harry! Zuerst hörte ich den einen brüllen und lachen und dann den anderen, als sei es ein Spiel. Und worin, glauben Sie, bestand das verrückte Spiel? Ich habe viele verfluchte Streiche in Curry County erlebt, aber das war doch das tollste Stück! Sie hatten einen riesigen Panther in der Falle gefangen, und jetzt schlugen sie dem Biest abwechselnd mit einem leichten Stock über die Schnauze. Aber das nicht allein! Ich kam gerade rechtzeitig, um Harry schlagen zu sehen. Als er es getan hatte, schnitt er mit seinem Messer sechs Zoll von dem Stock ab und gab ihn dann Rocky. Sie verstehen: Sie verkürzten den Stock nach jedem Schlage. Das ist nicht ganz so einfach, wie Sie es sich vielleicht denken. Der Panther krümmte sich, schnellte dann vor, fauchte und zischte und war mörderisch gewandt, wenn es galt, dem Stock zu entgehen. Er wurde an dem einen Hinterbein festgehalten, was ganz lächerlich aussah, aber sich krümmen und vorwärtsschnellen, das konnte er, das kann ich Ihnen sagen. Das Ganze war ja nur ein Spiel, um zu zeigen, wie tollkühn sie waren. Und der Stock wurde immer kürzer und der Panther immer wilder. Schließlich war kein Stock mehr da, nur ein kleines Stäbchen, kaum vier Zoll lang. Und jetzt war die Reihe zu schlagen an Rocky. ›Lass es lieber‹, sagte Harry. ›Warum denn?‹ fragte Rocky. ›Weil kein Stock mehr für mich übrigbleibt, wenn du geschlagen hast‹, antwortete Harry. ›Dann brauchst du ja nur aufzugeben, und ich habe gewonnen‹, sagte Rocky und lachte und ging auf den Panther los.
Und ich möchte, beim lebendigen Gott, nicht zum zweiten Male so etwas mit ansehen. Die Katze krümmte sich und kauerte sich zusammen, sodass ihr sechs Fuß langer Körper nur wie eine einzige große Schlinge war. Und Rockys Stock war nur vier Zoll lang, vergessen Sie das nicht! Natürlich kriegte ihn die Katze. Man konnte die beiden nicht trennen. Es war unmöglich zu schießen, ohne beide zu treffen. Schließlich zerschnitt Harry mit seinem Messer dem Panther die Halsschlagader.«
»Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich nicht mitgekommen«, erklärte Dr. Linday.
Daw nickte bestätigend.
»Ja, das sagte sie auch. Sie bat mich dringend, auf keinen Fall zu sagen, wie es zugegangen war.«
»Ist er verrückt?« fragte Linday in seinem gerechten Zorn.
»Sie sind beide verrückt. Er und sein Bruder hetzen sich gegenseitig immer in die tollsten Geschichten hinein. Vor nichts schrecken sie zurück. Und sie ist beinahe ebenso toll. Kennt keine Furcht, wenn es sie selber gilt. Sie tut alles, wenn Rocky es ihr nur erlaubt. Aber er ist in dieser Beziehung mächtig vorsichtig und bedachtsam. Behandelt sie wie eine Königin. Sie darf nicht die geringste Lagerarbeit tun. Deshalb haben sie mich und noch einen für gutes Geld engagiert. Geld haben sie überhaupt scheffelweise und schmeißen es beide mit vollen Händen hinaus. ›Sieht aus, als ob die Jagd hier gut sein würde‹, sagte Rocky, als sie im letzten Herbst in diese Gegend kamen. ›Dann wollen wir hier unser Lager aufschlagen‹, erklärte Harry. Und ich hatte immer geglaubt, dass sie Gold suchten! Den ganzen Winter haben sie nicht ein einziges Mal eine Goldpfanne ausgewaschen.«
Lindays Zorn wurde noch größer durch diesen Bericht.
»Für Verrückte hab’ ich nichts übrig«, sagte er. »Ich würde glatt umkehren, und wenn man mir nur zwei Cent gäbe.«
»Nein, das würden Sie nicht tun«, versicherte Daw ihm vertraulich. »Sie haben nicht Lebensmittel genug, um umzukehren, und morgen sind wir schon da. Wir brauchen nur noch die letzte Wasserscheide zu überqueren und rutschen dann direkt in die Hütte hinein. Und außerdem gibt’s noch einen besseren Grund. Sie sind viel zu weit von Hause weg, und ich würde Sie auch gar nicht umkehren lassen.«
So erschöpft Linday auch war, zeigte das Funkeln der schwarzen Augen Daw dennoch, dass er zu weit gegangen war. Er streckte die Hand aus.
»Es war dumm von mir, Doktor. Vergessen Sie es, bitte. Ich glaube, der Verlust der Hunde hat mir die Laune verdorben.«
Nicht am nächsten, sondern erst am vierten Tage schritten die beiden Männer, die auf den Bergen von einem Schneesturm überfallen worden waren, zur Hütte hinab, die in einem fruchtbaren Tal am Ufer des brüllenden Kleinen Peco stand. Als sie aus dem grellen Sonnenschein in den dunklen Raum traten, konnte Linday zunächst nur wenig von ihren Bewohnern sehen. Das einzige, was er erkannte, war, dass zwei Männer und eine Frau drinnen waren. Er interessierte sich nicht für sie. Er trat sofort an das Bett, in dem der Verwundete untergebracht war. Er lag auf dem Rücken, und seine Augen waren geschlossen. Aber Linday bemerkte gleich den feinen Schwung der Augenbrauen und den seidigen Glanz des leicht gewellten braunen Haares. Das Gesicht war eingefallen und fahl und schien zu klein für den muskulösen Hals, aber trotz dem elenden Zustand, in dem der Mann sich befand, sah man, dass die feinen Züge fest und energisch waren.
»Womit haben Sie desinfiziert?« fragte Linday die Frau.
»Mit Sublimat, normale Lösung«, lautete die Antwort.
Er warf ihr einen schnellen Blick zu. Dann einen noch schnelleren auf den Verwundeten. Er blieb stehen, ohne sich zu rühren. Die Frau atmete schwer, nahm sich aber dann mit einer starken Willensanspannung zusammen und hielt den Atem an. Linday wandte sich zu den Männern.
»Geht hinaus – schlagt Holz, oder tut, was ihr sonst wollt! Verschwindet!«
Einer von ihnen murrte.
»Es ist ein ernster Fall«, fuhr Linday fort. »Ich wünsche mit seiner Frau allein zu sprechen.«
»Ich bin aber sein Bruder«, sagte der, welcher gemurrt hatte. Die Frau warf ihm einen bittenden Blick zu. Er nickte unwillig und ging zur Tür.
»Ich auch?« fragte Daw von der Bank, wo er sich soeben hingeworfen hatte.
»Sie auch.«
Um sich, während die anderen den Raum verließen, zu beschäftigen, unterwarf Linday den Verwundeten einer oberflächlichen Untersuchung.
»Nun«, sagte er, »das ist also dein Rex Strang …« Sie senkte den Blick und sah den Mann im Bett an, als ob sie sich noch einmal seiner Identität vergewissern wollte. Dann blickte sie Linday stumm in die Augen.
»Warum sagst du nichts?«
Sie zuckte die Achseln. »Warum soll ich etwas sagen? Du weißt ja, dass es Rex Strang ist.«
»Ich danke. Im übrigen muss ich dich wohl daran erinnern, dass ich Rex Strang heute zum ersten Mal sehe. Setz dich.« Er wies auf einen Stuhl, während er selbst auf der Bank am Fenster Platz nahm.
»Ich bin wirklich ein bisschen lange unterwegs gewesen, weißt du. Es ist eben kein Sonntagsspaziergang vom Yukon hierher.«
Er nahm sein Federmesser heraus und begann sich einen Dorn aus dem Daumen zu ziehen.
»Was willst du machen?« fragte sie, nachdem sie eine Minute vergebens gewartet hatte.
»Essen und mich ausruhen, bevor ich zurückgehe.«
»Und was willst du mit …« Sie zeigte mit dem Kopf nach dem bewusstlosen Mann im Bett.
»Gar nichts.«
Sie trat an das Bett und legte ihre Hand leise auf das lockige Haar.
»Du willst ihn also töten«, sagte sie langsam. »Ihn töten, indem du nichts tust – denn du kannst ihn retten, wenn du willst.«
»Meinetwegen kannst du es so auffassen.« Er überlegte einen Augenblick und bekräftigte dann seinen Gedanken durch ein barsches Lächeln. »Seit undenklichen Zeiten war es in dieser bösen alten Welt Brauch, Männer so zu behandeln, die anderen ihre Frauen stehlen.«
»Du bist ungerecht, Grant«, antwortete sie sanft. »Du vergisst ganz, dass ich ihm freiwillig folgte, dass ich selbst den Wunsch hatte zu gehen. Ich handelte selbstständig. Rex hat mich nie gestohlen. Du hattest mich verloren. Ich ging mit ihm, freiwillig und freudig, ein Lied auf den Lippen. Ebenso gut kannst du mich anklagen, ihn gestohlen zu haben. Wir gingen zusammen.«
»Eine originelle und bequeme Art, die Sache zu betrachten«, räumte Linday ein. »Ich sehe, du denkst noch ebenso scharfsinnig wie früher, Madge. Das muss ihm manchmal ein bisschen unbequem sein.«
»Wer gut denkt, kann auch gut lieben …«
»Jedenfalls nicht so töricht«, unterbrach er sie.
»Dann räumst du also ein, dass ich klug gehandelt habe.«
Er hob entrüstet die Hände. »Das ist ja eben das Verfluchte, dass man mit gescheiten Frauen nicht reden kann. Ein Mann vergisst sich stets und geht in seine eigene Falle. Ich würde mich nicht wundern, wenn du ihn durch eine logische Schlussfolgerung erobert hättest.«
Die einzige Antwort, die er bekam, war eine Andeutung von Lächeln in den klaren, offen blickenden blauen Augen. Ihr ganzes Wesen schien den Stolz ihres Geschlechtes zu atmen.
»Nein – das nehme ich gern zurück, Magde. Selbst wenn du ganz unbegabt gewesen wärest, hättest du ihn oder jeden x-beliebigen anderen auch erobert – allein durch dein Wesen und durch deine Blicke und dein Auftreten. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich bin durch diese ganz spezielle Mühle gegangen – und, hol mich der Teufel, ich bin noch immer nicht ganz hindurch.«
Er redete schnell und nervös und ein wenig gereizt, wie er es immer zu tun pflegte. Und sie wusste auch, dass er ganz aufrichtig war.
Sein letztes Geständnis diente ihr als Stichwort. »Denkst du noch an den Genfer See?«
»Wie sollte ich nicht? Ich war fast übermenschlich glücklich.«
Sie nickte, und ihre Augen leuchteten.
»Es gibt so etwas wie alte Erinnerungen. Willst du nicht einmal daran zurückdenken, Grant … ein kleines bisschen, oh, nur ein ganz klein wenig … was wir damals einander waren … nicht?«
»Jetzt verschaffst du dir inkorrekte Vorteile«, lächelte er und begann wieder an seinem Daumen zu arbeiten. Er zog den Dorn heraus und untersuchte ihn kritisch. Dann sagte er: »Nein, ich danke schön. Ich empfinde nicht das Bedürfnis, hier den barmherzigen Samariter zu spielen.«
»Und doch hast du diese schwere Reise gemacht, um einem Unbekannten zu helfen«, meinte sie.
Er gab sich nicht die Mühe, seine Ungeduld zu verbergen. »Glaubst du vielleicht, dass ich die Reise gemacht haben würde, wenn ich geahnt hätte, dass es sich um den Liebhaber meiner Frau handelte?«
»Aber jetzt bist du einmal hier. Und dort liegt er. Was willst du jetzt tun?«
»Nichts, sage ich ja. Ich bin nicht der Angestellte dieses Herrn. Er hat mich bestohlen.«
Sie wollte etwas sagen, als an der Tür geklopft wurde.
»Verschwinden Sie«, rief er.
»Wenn Sie Hilfe brauchen …«
»Gehen Sie, zum Teufel. Holen Sie einen Eimer Wasser. Stellen Sie ihn vor die Tür.«
»Du willst also doch …«, begann sie mit zitternder Stimme.
»Mir die Hände waschen.«
Sie zuckte zurück, als sie seine brutale Antwort hörte, und ihre Lippen schlossen sich fest und hart. Dann sagte sie trotzig: »Jetzt höre, Grant. Ich werde seinem Bruder erzählen, was du tust. Ich kenne die Strangs. Kannst du die Vergangenheit vergessen, so kann ich es auch. Wenn du nichts tun willst, wird er dich töten. Selbst Tom Daw würde es tun, wenn ich ihn darum bäte.«
»Du solltest mich zu gut kennen, um mir zu drohen«, rügte er ernst. Dann fügte er spöttisch hinzu: »Außerdem sehe ich nicht ein, was es Rex Strang helfen sollte, wenn ich ermordet würde.«
Sie ließ ein leises Stöhnen hören und schloss ihren Mund fest. Sie merkte, dass seine scharfblickenden Augen schon entdeckt hatten, wie sie am ganzen Körper zitterte. »Es ist keine Hysterie, Grant«, rief sie schnell und voller Angst, missverstanden zu werden. Ihre Zähne klapperten beim Sprechen. »Du hast mich nie hysterisch gesehen. Ich bin es nie gewesen. Ich weiß nicht, was mit mir ist, aber ich werde mich beherrschen. Ich bin nur so ganz anders als sonst. Zum Teil ist es Zorn … Zorn auf dich. Und es ist Unruhe und Angst. Ich möchte ihn nicht verlieren. Ich liebe ihn, Grant! Er ist mein Herr und mein Gebieter! Und ich habe so viele furchtbare Tage und Nächte hier neben ihm gewacht. Oh, Grant, ich bitte dich … bitte dich …«
»Natürlich sind es deine Nerven«, erklärte er trocken. »Du musst dich beherrschen. Du kannst dich schon zusammennehmen. Wärst du ein Mann, so würde ich dir den Rat geben, eine Pfeife zu rauchen.«
Sie trat unruhig wieder an den Stuhl und beobachtete ihn von dort aus. Sie tat, was sie konnte, um sich zu beherrschen. Von dem roh erbauten Herd hörte man das Zirpen einer Grille. Draußen keiften die Wolfshunde. Die Brust des Verwundeten hob und senkte sich sichtbar trotz der Pelzdecken. Sie sah, dass ein nicht allzu liebenswürdiges Lächeln seine Lippen kräuselte.
»Wie sehr liebst du ihn?« fragte er. Sie reckte sich, und ihre Augen begannen von unverhohlener und stolzer Liebe zu leuchten. Er nickte zum Zeichen, dass er die Antwort verstanden hatte.
»Hast du etwas dagegen, wenn ich ein wenig weit aushole?« Er schwieg, während er nachdachte, wie er beginnen sollte. »Mir fällt eine Geschichte ein, die ich einmal gelesen habe. Herbert Shaw hat sie geschrieben, glaube ich. Ich will dir den Inhalt erzählen. Es war einmal eine Frau. Sie war jung und schön. Und es war ein Mann, ein prachtvoller Mann, ein Liebhaber der Schönheit und ein unsteter Wanderer. Ich weiß nicht, ob er Rex Strang sehr ähnlich sah, aber ich denke mir, dass sie einige Ähnlichkeit miteinander hatten. Nun, dieser Mann war ein Maler, ein Bohemien, ein Vagabund. Er küsste – oh, mehrmals und auch mehrere Wochen hindurch … und verschwand dann wieder. Sie fühlte für ihn, was du, wie ich glaubte, für mich fühltest – dort am Genfer See. Zehn Jahre weinte sie ihm nach. Dann hatten die Tränen ihre Schönheit verdorben. Du weißt, es gibt Frauen, die gelb werden, wenn die Trauer ihre natürlichen Säfte verbraucht hat.
Nun geschah es, dass dieser Mann blind wurde und nach zehn Jahren, wie ein Kind an der Hand geführt, zu ihr zurückkehrte. Es war ihm nichts geblieben. Er konnte nicht mehr malen. Aber sie war sehr glücklich, und namentlich war sie glücklich, weil er ihr Gesicht nicht mehr sehen konnte. Vergiss nicht, dass er alles Schöne anbetete. Und er hielt sie wieder in seinen Armen und glaubte, dass sie schön wäre. Die Erinnerung an ihre Schönheit lebte immer noch in seinem Herzen. Er sprach auch stets davon und klagte, dass er sie nicht mehr sehen könnte.
Eines Tages erzählte er ihr von fünf großen Bildern, die er malen wollte. Wenn es nur möglich wäre, dass er seine Sehkraft wiederbekäme – dann könnte er zufrieden den Pinsel niederlegen. Da kam ihr – gleichgültig wie – ein Elixier in die Hände. Wenn seine Augen damit bestrichen wurden, erhielt er seine volle Sehkraft zurück.« Linday zuckte die Achseln. »Du verstehst, worin der Konflikt bestand und wie sie kämpfte. Sah er wieder, so konnte er seine fünf Bilder malen. Aber dann verließ er sie auch. Schönheit war seine Religion. Es war ganz ausgeschlossen, dass er ihr Gesicht ertragen könnte. Fünf Tage kämpfte sie diesen Kampf mit sich. Dann bestrich sie ihm die Augen mit dem Elixier.«
Linday unterbrach seine Erzählung und suchte die Frau mit seinen Blicken. In den glänzend schwarzen Pupillen leuchtete es scharf und stechend auf.
»Die Frage ist jetzt, ob du Rex Strang ebenso liebst, wie jene Frau ihren Liebhaber liebte?«
»Und wenn ich es tue?« gab sie zurück.
»Tust du es?«
»Ja.«
»Und du kannst Opfer bringen? Kannst ihn aufgeben?«
Ihr Ja kam langsam und zögernd.
»Und du wirst mit mir zurückkehren?«
»Ja.« Diesmal flüsterte sie ihr Ja. »Wenn er wieder ganz gesund ist … ja.«
»Du hast mich voll und ganz verstanden? Es muss wieder werden wie am Genfer See. Du musst meine Frau sein.«
Es sah aus, als ob sie zusammenschrumpfte und zerbräche. Aber sie nickte.
»Gut.« Er stand rasch auf, schritt zu seinem Bündel und begann es auszupacken. »Ich werde Hilfe brauchen. Rufe seinen Bruder. Lass alle kommen. Kochendes Wasser ich brauche viel. Ich habe Bandagen mitgebracht … aber lass mich sehen, was du dergleichen hast … Hier, Daw, machen Sie so schnell wie möglich Feuer und kochen Sie Wasser. Und Sie da …«, sagte er zu dem anderen Mann, »Sie tragen den Tisch hinaus, stellen ihn vor das Fenster und säubern ihn, schrubben ihn, brühen ihn ab. Sauber, Mensch, sauber, wie Sie noch nie in Ihrem Leben etwas sauber gemacht haben. Und Sie, meine Gnädigste, werden mir helfen. Laken haben Sie wohl nicht, vermute ich? Nun, ich werde es schon irgendwie schaffen. Sie sind sein Bruder? Ich werde ihn selbst betäuben, aber Sie müssen mir nachher helfen … Und hören Sie jetzt genau zu, wenn ich Ihnen die nötigen Instruktionen gebe! Zunächst … aber sagen Sie mir zunächst, ob Sie wissen, wie man den Puls fühlt?«
Linday hatte längst einen Ruf als kühner und erfolgreicher Chirurg, aber in den Tagen und Wochen, die jetzt folgten, übertraf er sich selbst in jeder Beziehung. Die furchtbare Verstümmelung sowie die lange Verzögerung der Operation durch die lange Reise machten es zum schlimmsten Fall, den er je erlebt hatte. Andererseits hatte er auch nie ein so gesundes Exemplar der menschlichen Rasse unter seinem Messer gehabt. Und doch hätte er auch jetzt noch Misserfolg haben können, wäre sein Patient nicht von einer katzenhaften Vitalität und einem fast unheimlichen physischen wie geistigen Lebenswillen gewesen.
Es gab Tage, an denen er mit hohem Fieber lag und fantasierte. Tage voller Hoffnungslosigkeit, an denen sein Puls kaum zu spüren war. Andere Tage, an denen er bei vollem Bewusstsein und mit müden Augen, den Schweiß der Qual auf dem verzerrten Gesicht, dalag. Linday war unermüdlich tätig – bis zur Grausamkeit, verwegen und erfolgreich. Immer wieder wagte er Unglaubliches und siegte. Er begnügte sich nicht damit, das Leben dieses Mannes zu retten. Er widmete sich dem gefährlichen und schwierigen Problem, ihn wieder vollkommen heil und kräftig zu machen.
»Wird er ein Krüppel bleiben?« fragte Madge.
»Er soll nicht nur reden und gehen und eine humpelnde Karikatur seines früheren Ichs werden«, erklärte ihr Linday. »Er soll springen und laufen, im Strudel schwimmen, Bären jagen, mit Panthern kämpfen und alles tun können, was er in seiner Verrücktheit zu tun wünscht. Und er wird – ich warne dich –, er wird Frauen bezaubern. Ganz wie in früheren Tagen. Wünschest du das wirklich? Bist du zufrieden damit? Vergiss nicht, dass du nicht bei ihm sein wirst!«
»Mach nur weiter«, stöhnte sie. »Mach ihn heil. Mach ihn zu dem, was er war.«
Mehr als einmal geschah es, dass Linday, wenn Strangs Zustand es erlaubte, ihn wieder betäubte und Furchtbares mit ihm vornahm, schnitt und nähte, Teile von dem zerrissenen Organismus auseinandernahm und wieder zusammenfügte. Später zeigte es sich, dass der eine Arm steif geblieben war. Linday vertiefte sich in dieses Problem. Wieder waren Versuche nötig, eingeschrumpfte Sehnen wurden gedehnt, Glieder auseinandergenommen, und dann wurde abermals genäht, zusammengefügt und gereckt. Und das, was Strang rettete, waren seine unerhörte Gesundheit und die Sauberkeit seines Fleisches und Blutes.
»Sie werden ihn noch töten«, klagte der Bruder. »Lassen Sie ihn. Um Gottes willen, lassen Sie ihn in Ruhe. Ein Krüppel, der lebt, ist immerhin besser als ein heiler Mann, der tot ist.«
Linday wurde wild vor Zorn. »Hinaus mit Ihnen, aus der Hütte mit Ihnen, bis Sie wiederkommen und einsehen, dass ich ihn lebendig mache. Bei Gott im Himmel, Mensch, nehmen Sie sich zusammen, so weit Sie können. Das Leben Ihres Bruders steht in diesem Augenblick auf der Messerschneide. Verstehen Sie denn nicht? Ein Gedanke kann ihn erschlagen. Und jetzt hinaus, und kommen Sie ganz sanft und ruhig wieder, vollkommen überzeugt, dass er am Leben bleiben und wieder werden wird, wie er war, bevor Sie und er wie die Idioten miteinander spielten. Hinaus, sage ich!«
Mit geballten Fäusten und drohenden Augen stand der Bruder da und fragte Madge mit Blicken um Rat.
»Bitte geh«, bettelte sie. »Er hat recht. Ich weiß, dass er recht hat.«
Als aber der Zustand Strangs ein andermal zu Hoffnungen Anlass gab, sagte der Bruder:
»Doktor, Sie sind ein Wundertäter. Und die ganze Zeit habe ich doch vergessen, nach Ihrem Namen zu fragen.«
»Der geht Sie auch gar nichts an, zum Teufel. Ärgern Sie mich nicht. Hinaus mit Ihnen!«
Der zerrissene rechte Arm wollte plötzlich nicht weiterheilen, sondern wurde eine einzige grässliche Wunde.
»Brand«, sagte Linday.
»Jetzt ist es genug«, knurrte der Bruder.
»Halten Sie den Mund!« fauchte Linday. »Gehen Sie hinaus. Nehmen Sie Daw mit. Bill ebenfalls. Bringen Sie Kaninchen … aber lebendige! Gesunde! Fangen Sie die Tiere in Fallen. Stellen Sie überall Fallen auf.«
»Wie viele?« fragte der Bruder.
»Vierzig … viertausend … vierzigtausend … soviel Sie kriegen können. Sie helfen mir, gnädige Frau. Ich muss den Arm aufschneiden und den Schaden wieder gutmachen. Also los, Burschen! Ihr müsst die Karnickel beschaffen.«
Und er schnitt in den Arm, schnell und sicher, säuberte den angegriffenen Knochen und stellte die Ausbreitung des Herdes fest.
»Das wäre nie geschehen«, sagte er zu Madge, »wenn nicht so viel anderes gewesen wäre, das seine Lebenskraft angegriffen hat. Nicht einmal er hat Lebenskraft genug gehabt, dass alles gleichzeitig heilen konnte. Ich habe es kommen sehen, aber ich musste abwarten, bis es so weit war. Wir müssen das kranke Stück herausschneiden. Er könnte es freilich entbehren, aber ein Karnickelknochen wird ihn zu dem machen, was er war.«
Unter den Hunderten von Kaninchen, die sie mit heimbrachten, machte er eine Auslese, verwarf, wählte, prüfte, wählte wieder und prüfte aufs neue, bis er sich endlich entschied. Dann verwandte er sein letztes Chloroform und machte die Knochenpfropfung … fügte einen lebenden Knochen an einen anderen lebenden Knochen, verband den lebenden Mann mit dem lebenden Kaninchen, unbeweglich und unlösbar wurden sie miteinander verbunden und zusammengefesselt, während ihre gemeinsamen Lebensprozesse einen vollkommenen Arm herstellten.
Und während dieser ganzen Versuche und namentlich, als Strang sich zu erholen begann, kamen immer wieder Augenblicke, in denen Linday und Madge aufeinander angewiesen waren und sich miteinander unterhielten. Er war durchaus nicht freundlich. Sie war aber nie aufrührerisch.
»Es ist natürlich sehr langweilig«, sagte er zu ihr. »Aber Gesetz ist nun mal Gesetz, und du wirst dich deshalb wieder scheiden lassen müssen, ehe wir zum zweiten Mal heiraten. Was meinst du dazu? Wollen wir auch diesmal eine Hochzeitsreise nach dem Genfer See machen?«
»Ganz wie du willst«, sagte sie.
Und bei einer anderen Gelegenheit sagte er zu ihr: »Was, zum Teufel, hast du denn eigentlich für einen Narren an ihm gefressen? Ich weiß schon, dass er Geld hat. Aber du und ich waren auf dem besten Wege. Meine Praxis brachte doch immerhin durchschnittlich vierzigtausend im Jahr – ich habe nachher die Bücher durchgesehen. Paläste und Dampfjachten waren das einzige, was du dir nicht erlauben konntest.«
»Vielleicht liegt in dem, was du jetzt sagst, die ganze Erklärung unseres Schiffbruchs«, antwortete sie. »Nämlich darin, dass du allzusehr für deine Praxis lebtest. Vielleicht vergaßest du über ihr, dass ich da war.«
»Hm«, meinte er spöttisch. »Und fürchtetest du denn nicht, dass dein Rex sich allzusehr für Panther und kurze Stöcke interessierte?«
Er suchte sie stets zu reizen, damit sie ihm erklärte, warum sie sich – wie er sich ausdrückte – in diesen anderen »vergafft« hatte.
»Es gibt keine Erklärung«, lautete ihre Antwort. Aber schließlich fügte sie hinzu: »Kein Mensch kann Liebe erklären, ich am allerwenigsten. Ich liebe einfach, ich kenne nur die göttliche und unzerstörbare Tatsache der Liebe, das ist alles, was ich sagen kann. Da war einmal in Fort Vancouver ein Baron von der Hudson-Bay-Company, der den Pfarrer der englischen Kirche rügte, weil er nach Hause geschrieben und sich beklagt hatte, dass alle Angestellten der Company vom Chef bis zum kleinsten Beamten sich Indianerfrauen nahmen. ›Warum haben Sie denn nicht die mildernden Umstände angeführt?‹ fragte der Baron. Und der Pfarrer gab zur Antwort: ›Der Schwanz einer Kuh wächst nach unten. Ich versuche erst gar nicht zu erklären, warum der Schwanz der Kuh nach unten wächst. Ich stelle nur die Tatsache fest.‹«