Akte Null

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Loe katkendit
Märgi loetuks
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Kapitel sechs

Maya zog die Jalousien des Fensters neben der Eingangstür vermutlich schon zum zwanzigsten Mal auseinander, seit ihr Vater gegangen war. Die Straße vor ihr war frei. Gelegentlich fuhr ein Auto vorbei, doch sie fuhren nicht langsamer oder hielten an.

Sie hatte wirklich Angst davor, auch nur darüber nachzudenken, worin ihr Vater wohl dieses Mal verwickelt war.

Nur zur Sicherheit ging sie durch die Eingangshalle in die Küche und schaute erneut auf das Telefon ihres Vaters. Er hatte sein persönliches Handy dagelassen. Es war zwar auf lautlos gestellt, doch auf dem Bildschirm konnte sie sehen, dass er drei verpasste Anrufe hatte, seitdem Maya das letzte Mal mit ihm gesprochen hatte.

Scheinbar versuchte Maria verzweifelt, ihn zu kontaktieren. Maya wollte sie anrufen, ihr sagen, dass da etwas vor sich ging, doch sie hielt sich zurück. Wenn ihr Vater wollte, dass Maria Bescheid wüsste, dann kontaktierte er sie selbst.

Sie sah, dass Sara seit einer halben Stunde in derselben Position im Wohnzimmer saß, die Beine unter sich eingezogen. Im Fernsehen lief eine Komödie, doch die Lautstärke war so gering, dass man sie kaum vernehmen konnte und Sara schaute auch nicht wirklich hin.

Maya wusste, dass ihre Schwester still litt, seitdem sie von Rais und den slawischen Menschenhändlern entführt wurden. Doch Sara wollte sich nicht öffnen, nicht darüber sprechen.

“Hey Mäuschen, wie wär’s mit was zu essen?” schlug Maya vor. “Ich könnte gegrillten Käse machen. Mit Tomaten. Und Schinken…” Sie schnalzte mit den Lippen und hoffte, ihre kleine Schwester aufzuheitern.

Doch Sara schüttelte nur den Kopf. “Keinen Hunger.”

“OK. Willst du über irgendwas reden?”

“Nein.”

Frust überkam sie, doch Maya schluckte ihn hinunter. Sie musste geduldig sein. Auch sie fühlte sich von den Ereignissen, die sie erlebt hatten, betroffen, doch ihre Reaktion war Wut und ein Verlangen nach Vergeltung. Sie hatte ihrem Vater gesagt, dass sie selbst eine CIA Agentin werden wollte, und das war nicht nur jugendlicher Unfug. Es war ihr sehr ernst damit.

“Ich bin für dich da”, beruhigte sie ihre Schwester. “Wenn du jemals Lust hast, zu reden. Du weißt das, oder?”

Sara blickte zu ihr hinüber. Es stand ihr fast ein Lächeln auf den Lippen – doch dann öffneten sich ihre Augen und sie setzte sich plötzlich auf. “Hast du das gehört?”

Maya horchte aufmerksam. Sie hörte es, das Geräusch eines kräftigen Motors, der in der Nähe brummte. Dann hörte es abrupt auf.

“Bleib hier.” Sie eilte zurück in die Eingangshalle und zog erneut die Jalousien auseinander. Ein silberner Geländewagen war auf ihre Auffahrt gefahren. Ihr Puls schnellte hoch, als vier Männer ausstiegen. Zwei von ihnen trugen Anzüge, die anderen zwei waren ganz schwarz gekleidet, mit schusssicheren Westen und Springerstiefeln.

Selbst aus dieser Entfernung konnte Maya die Abzeichen erkennen, die auf ihren Ärmeln angenäht waren. Die zwei schwarzgekleideten Männer waren von derselben Organisation, die versucht hatte, sie in der Schweiz zu entführen. Watson hatte sie die Division genannt.

Maya eilte in die Küche, rutsche auf ihren Socken und zog ein Steakmesser aus dem Bambusblock auf der Theke. Sara war von der Couch aufgestanden und eilte zu ihr.

“Geh runter.” Maya hielt das Griff des Messers ihrer Schwester hin. “Geh in den Panikraum. Ich komme gleich nach.”

Die Klingel schellte.

“Geh nicht hin”, bettelte Sara. “Komm einfach mit mir.”

“Ich mache die Tür nicht auf”, versprach Maya. “Ich will nur wissen, was sie wollen. Geh. Schließe die Tür. Warte nicht auf mich.”

Sara nahm das Messer und eilte die Kellertreppe hinunter. Maya schlich sich vorsichtig an die Eingangstür und blinzelte durch den Türspion. Die beiden Männer im Anzug standen direkt vor der Tür.

Wohin sind die anderen beiden? fragte sie sich. Hintertür, vermutlich.

Maya schrak ein wenig auf, als einer der beiden Männer fest an die Tür klopfte. Dann sprach er laut genug, damit sie ihn hören konnte. “Maya Lawson?” Er hielt einen Ausweis in einem Lederetui hoch, den sie durch den Türspion sah. “Agent Coulter, FBI. Wir müssen dir einige Fragen über deinen Vater stellen.”

Ihr Gedanken rasten. Sie war sich sicher, dass sie nicht die Tür für sie öffnen würde. Doch versuchten sie, sich gewaltsam Eintritt zu verschaffen? Sollte sie etwas sagen oder vorgeben, sie wären nicht zu Hause?

“Ms. Lawson?” sagte der Agent erneut. “Wir würden es wirklich bevorzugen, dies auf die leichte Art zu erledigen.

Lange Schatten tanzten auf dem Boden der Eingangshalle in der untergehenden Sonne. Sie blickte schnell auf und erkannte zwei Formen, die am Hintereingang vorbeigingen, eine Glasschiebetür, die zu einer kleinen Terrasse und einem Hinterhof führte. Es waren die beiden anderen Männer, jene von der Division, die hinter dem Haus schlichen.

“Ms. Lawson”, rief der Mann erneut. “Dies ist Ihre letzte Warnung. Bitte öffnen Sie die Tür.”

Maya atmete tief ein. “Mein Vater ist nicht hier”, rief sie zurück. “Und ich bin minderjährig. Sie müssen später wiederkommen.”

Sie blickte erneut durch den Türspion, um zu sehen, wie der FBI Agent grinste. “Ms. Lawson. Ich glaube, sie schätzen die Situation falsch ein.” Er wandte sich an seinen Partner, einen größeren und stämmigeren Mann. “Tritt sie ein.”

Maya atmete scharf ein und ging mehrere Schritte zurück. Der Türrahmen krachte, Holzsplitter segelten durch die Luft und die Eingangstür flog auf.

Die zwei Agenten traten einen Schritt voran in die Eingangshalle. Maya fühlte sich wie angewurzelt. Sie wunderte sich, ob sie es rechtzeitig bis in den Keller und in den Panikraum schaffte. Doch wenn Sara das getan hatte, worum ihre Schwester sie bat und die Tür verschlossen hatte, dann schafften sie es niemals, sie wieder zu verschließen, bis die Agenten sie eingeholt hätten.

Er ihr Blick musste zur Kellertür geschweift sein, denn der ihr näherstehende der zwei Agenten grinste. “Wie wär’s, wenn du da einfach stehen bleibst, mein Fräulein?” Der Agent, der durch die Tür sprach, hatte aschblondes Haar und ein Gesicht, das möglicherweise freundlich und jungenhaft wäre, hätten sie nicht gerade die Haustür eingetreten. Er hielt seine leeren Hände hoch. “Wir sind nicht bewaffnet. Wir wollen dir oder deiner Schwester nicht wehtun.”

“Ich glaube euch nicht”, antwortete Maya. Sie blickte schnell über ihre Schulter, nur eine halbe Sekunde, und sah die Schatten der zwei schwarzgekleideten Männer immer noch auf der Terrasse lungern.

WUUUPP! WUUUPP! WUUUPP! Plötzlich plärrte eine Sirene durch das Haus, ein ohrenbetäubender Hupton, der alle drei verwirrt um sich sehen ließ. Maya brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass es ihr Alarmsystem war, das aktiviert wurde, falls die Tür eingetreten wurde und nach sechzig Sekunden losging, wenn der Code nicht eingegeben wurde.

Die Polizei, dachte sie hoffnungsvoll. Die Polizei wird kommen.

“Mach es aus!” brüllte der Agent sie an. Doch sie bewegte sich nicht.

Dann – Glas zersprang hinter ihr. Maya sprang und drehte sich instinktiv um, als sie hörte, wie die Glasschiebetür zum Hinterhof nach innen explodierte. Einer der schwarzgekleideten Männer trat durch sie ein.

Sie hielt nicht an, um nachzudenken, doch eine Erinnerung blitzte sofort durch ihr Gedächtnis: Das Hotel in Engelberg in der Schweiz. Der Mann von der Division, der sich als CIA ausgab, der gewaltsam in ihr Zimmer drang, sie angriff.

Maya drehte sich schnell wieder zu den FBI Agenten um. Einer von ihnen war in der Nähe der Steuerung des Alarmsystems, doch er blickte sie an, als der Alarm weiter laut tönte. Die Augen des anderen Agenten, mit dem jugendlichen Gesichtsausdruck, waren weit geöffnet und seine Hände leicht in die Luft gehoben. Sein Mund bewegte sich, doch seine Worte wurden von dem dröhnenden Alarm übertönt.

Starke Arme ergriffen sie von hinten und sie schrie auf. Sie kämpfte gegen ihren Angreifer, doch er war stark. Sie roch seinen sauren Atem, als der Mann sich um sie schlang und sie immobilisierte.

Er riss sie von den Füßen und hielt sie fest, ihre Bein traten um sich und ihre Arme waren in einem schmerzhaften Winkel hochgezogen. Sie war nicht stark genug, um sich loszukämpfen.

Entspanne dich, wies sie ihr Gehirn an. Kämpfe nicht. Sie hatte an der Universität Selbstverteidigungsunterricht mit einem ehemaligen Marinesoldaten genommen, der sie genau in dieses Szenario gebracht hatte – ein größerer, schwerer Angreifer, der sie von hinten festhält.

Maya zog ihr Kinn ein, berührte fast ihr Schlüsselbein damit.

Dann warf sie ihren Kopf so fest wie sie konnte nach hinten.

Der Mann von der Division, der sie festhielt, schrie vor Schmerz auf, als ihr Hinterkopf auf seine Nase traf. Sein Griff wurde lose und ihre Füße berührten erneut den Boden. So bald dies geschehen war, drehte sie ihren Körper, zog den Kopf ein, um aus seinen Armen zu kommen und ließ sich in die Hocke fallen.

Sie wog ganze fünfzig Kilo. Doch als sie sich fallen ließ, während der Arm des Mannes noch weiter in ihrem Ellenbogen verhakt war, wurde er plötzlich fünfzig Kilo schwerer und er kam durch den scharfen Schlag ins Gesicht aus dem Gleichgewicht.

Er taumelte und fiel auf den gefliesten Boden der Eingangshalle. Maya sprang zurück, von ihm weg, als er fiel. Sie blickte über ihre Schulter und sah, dass der zweite Mann der Division in der kaputten Tür stand. Scheinbar zögerte er, einzutreten, nachdem sie seinen Kumpel zu Fall gebracht hatte.

Sie war nur einen Meter von der Kellertür entfernt. Sie könnte losrennen und den Panikraum erreichen, bis die Polizei ankam…

Der Söldner in der Tür griff hinter sich und zog eine schwarze Pistole heraus. Mayas Atem blieb ihr im Hals stecken, als sie die Waffe sah.

KRACK! Selbst mit dem heulenden Alarm hörten sie beide das scharfe Geräusch. Maya und der Söldner drehten sich beide wieder um.

 

Es war der FBI Agent, der die Tür eingetreten hatte, jener, der am nächsten an der Steuerung des Alarmsystems stand. Sein Kopf steckte in der Trockenbauwand des Eingangsbereiches. Sein Körper hing schlaff.

Eine Figur schlenderte voran und schwang den Reifenmontierhebel erneut, platzierte damit einen ordentlichen Schlag in den Kiefer des zweiten Agenten. Das Geräusch ließ Maya die Zähne aufeinanderbeißen und der Agent ging wie eine welke Nudel zu Boden.

Als der Söldner der Division seine Waffe gegen die neue Bedrohung erhob, holte der stämmige Mann aus und warf den Reifenmontierhebel durch die Luft. Er wirbelte knapp an Maya vorbei und traf den Söldner direkt in die Stirn. Er gab kaum ein Geräusch von sich, als sein Körper rückwärts durch die kaputte Tür fiel.

Der große Mann trug eine Fernfahrermütze über einem buschigen Bart. Seine Augen blitzten blau. Er nickte ihr einmal zu und zeigte auf die Steuerung des Alarmsystems.

Mayas Beine fühlten sie wie Pudding an, als sie herüberrannte und den Code eingab. Der Alarm war endlich stillgelegt.

“Mitch?” fragte sie atemlos.

“Hm”, brummelte der Mann. Auf dem Boden des Eingangs lag das Divisionsmitglied, das Maya festgehalten hatte. Er versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, hielt sich immer noch seine blutige Nase. “Ich kümmere mich um ihn. Ruf du die Polizei an. Sag ihnen, dass es kein Problem gibt.”

Das tat Maya. Sie eilte zur Küche, ergriff das Handy ihres Vaters und rief die Notfallnummer an. Sie schaute Mitch dabei zu, wie er herüber zu dem Söldner der Division schritt und einen schweren, braunen Stiefel anhob.

Sie schaute weg, bevor er mit ihm in das Gesicht des Mannes trat.

“Notfallzentrale, was ist der Grund Ihres Anrufs?”

“Mein Name ist Maya Lawson. Ich lebe in der Spruce Street 814 in Alexandria. Unser Alarmsystem wurde versehentlich ausgelöst. Ich habe die Tür offenstehen lassen. Es gibt keinen Notfall.”

“Bitte bleiben Sie einen Moment dran, Ms. Lawson.” Sie hörte, wie eine Tastatur einen Augenblick klackerte und dann sagte ihr die Stimme: “Ein Streifenwagen befindet sich auf dem Weg, etwa drei Minuten von Ihnen entfernt. Selbst wenn Sie sagen, dass es keinen Notfall gibt, dann würden wir dennoch gerne jemanden vorbeischicken. Unser Protokoll schreibt es vor.”

“Es ist aber wirklich alles in Ordnung.” Sie blickte verzweifelt hinüber zu Mitch. Sie könnten keine Polizei im Haus gebrauchen, während da vier Körper lagen. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie tot oder nur bewusstlos waren.

“Trotzdem, Ms. Lawson, ein Polizist wird wenigstens kurz vorbeikommen. Wenn es keinen Notfall gibt, dann ist das kein Problem.”

Mitch griff in die Tasche seiner ölverschmierten Jeans und zog ein faltbares Handy heraus, das etwa fünfzehn Jahre alt sein musste. Er wählte eine Nummer und grummelte dann leise etwas in das Gerät.

“Äh…” die Stimme zögerte. “Ms. Lawson, sind Sie sich sicher, dass es keinen Notfall gibt?”

“Ja, da bin ich mir sicher.”

“In Ordnung. Schönen Tag noch.” Der Anruf wurde abrupt beendet. Hinter der zerbrochenen Glastür konnte Maya plötzlich Sirenen aus der Ferne hören – die schnell verblassten.

“Was hast du getan?” fragte sie Mitch.

“Hab einen größeren Notfall gemeldet.”

“Sind die… am Leben?”

Mitch blickte um sich und zuckte dann mit einer Schulter. “Er nicht”, grummelte er und zeigte auf den Agenten mit dem Kopf in der Wand. Mayas Magen drehte sich, als sie den dünnen Blutstrom bemerkte, der die Trockenbauwand hinunterlief, in welcher der Kopf des Agenten steckte.

Wie viel Leute werden in diesem Haus sterben? Wunderte sie sich.

“Hol deine Schwester. Und eure Telefone. Wir hauen ab.” Mitch schritt über die Körper des Söldners und seines Freundes. Er ergriff den Mann an den Fußknöcheln, zog ihn ins Haus und hob danach die schwarze Pistole auf.

Maya eilte die Treppen in den Keller hinunter. Sie stellte sich vor die Kamera, die direkt über der Tür des Panikraumes angebracht war. “Ich bin’s, Sara. Du kannst die Tür öffnen.”

Die dicke Stahlsicherheitstür wurde von innen aufgedrückt und das schüchterne Gesicht ihrer Schwester erschien. “Alles in Ordnung?”

“Im Moment schon. Los, wir hauen ab.”

Als sie wieder im Erdgeschoss waren, bemerkte Sara das Blutbad mit weitgeöffneten Augen, doch sagte nichts. Mitch wühlte nach etwas in der Küche. “Habt ihr einen Erste-Hilfe-Kasten?”

“Ja, hier.” Maya zog eine Schublade auf und nahm eine kleine, weiße Metallkiste mit einem Klappdeckel und einem roten Kreuz darauf hinaus.

“Danke.” Mitch zog ein antiseptisches Tuch heraus und ließ dann ein rasierklingenscharfes Messer aufklappen. Maya tat bei seinem Anblick einen Schritt zurück. “Tut mir echt leid”, erklärte der Mechaniker, “doch der nächste Schritt wird ein wenig unangenehm. Ihr habt beide Ortungsgeräte in eurem rechten Arm. Die müssen raus. Sie liegen subkutan; unter der Haut, doch über dem Muskel. Das bedeutet, dass es wie die Hölle brennt für eine Minute, aber ich verspreche euch, dass es nicht zu schlimm wird.”

Maya biss sich nervös auf die Lippe. Sie hatte das Ortungsimplantat fast vergessen. Doch dann war sie sehr überrascht, zu sehen, wie Sara einen Schritt vortrat und ihren rechten Ärmel hochzog. Sie griff nach Mayas Hand und hielt sie fest. “Mach schon.”

* * *

Es gab eine Menge Blut, doch nicht besonders viel Schmerz, da Mitch die beiden Ortungsgeräte schnell herausnahm. Das Implantat war kaum so groß wie ein Reiskorn. Maya bewunderte es, während Mitch den Schnitt von einem Zentimeter Länge versorgte und eine Mullbinde darauflegte.

“Jetzt können wir los.” Mitch nahm den Erste-Hilfe-Kasten, die Waffe des Söldners, beide Telefone der Mädchen und die beiden winzigen Implantate. Sie folgten ihm nach draußen und sahen dabei zu, wie er die Telefone und die Implantate in den Geländewagen der Agenten legte. Dann tätigte er einen weiteren Anruf auf seinem Klapptelefon.

“Ich brauche eine Säuberung”, grummelte er. “Nulls Haus in der Spruce Street. Vier. Ein Auto. Bringt es in den Westen und lasst es dort verschwinden.” Er legte auf.

Die drei stiegen in die Fahrerkabine eines alten Lieferwagen, auf dessen Seite “Third Street Garage” stand. Der Motor brummte zu Leben und sie fuhren ab.

Keine der beiden Mädchen blickte zurück.

Maya saß in der Mitte zwischen Mitch und Sara. Sie bemerkte die dicken Fingerknöchel des Mechanikers, seine Fingerspitzen, die sowohl mit Öl als auch Blut verschmiert waren. “Wo fahren wir hin?” frage sie.

Mitch grummelte, ohne dabei die Augen von der Straße zu nehmen. “Nebraska.”

Kapitel sieben

Null parkte das Auto direkt auf dem verlassenen Rollfeld von Meadow Field. Er hatte eine etwas umständlichere Route genommen, sich auf kleineren Straßen fortbewegt und die Highways aus Angst vermieden, dass die CIA sein Auto meldete – was sie sicherlich getan hatten.

Meadow Field bestand nur aus einer Landebahn. Das Gebäude und die Flugzeughalle waren in den fünfzehn Jahren, seitdem es nicht mehr benutzt wurde, schon lange abgerissen worden. Unkraut und Blumen sprossen durch die Risse des Asphalts und das ignorierte Gras auf beiden Seiten der Landebahn wuchs hoch.

Doch trotz seines Erscheinungsbildes war es ein erfreulicher und willkommener Anblick für Null. In etwa dreißig Metern Entfernung stand ein alter Lieferwagen, auf dessen Seite mit einer Schablone die Aufschrift “Third Street Garage” gemalt war. Der stämmige Mechaniker lehnte sich gegen die Tür der Fahrerseite, seine Fernfahrermütze tief in die Stirn gezogen.

Als Null zum Lieferwagen eilte, stiegen seine Töchter aus der Fahrerkabine und rannten auf ihn zu. Er nahm jede in einen Arm, ignorierte den Schmerz seiner gebrochenen Hand und drückte sie beide fest an sich.

“Geht’s euch gut?” fragte er.

“Es gab ein paar Probleme”, gab Maya zu, während auch sie ihn umarmte. “Doch wir hatten Hilfe.”

Null nickte und ließ sie los, doch blieb auf einem Knie, so dass er Sara gerade in die Augen blickte. “In Ordnung, hört mir zu. Ich werde ehrlich mit euch sein.” Er hatte die ganze Fahrt über nachgedacht, was er ihnen sagen würde und hatte sich dazu entschlossen, ihnen einfach alles zu erklären. Ihre Leben waren so oder so bedroht und sie hatten das Recht, zu erfahren, warum. “Es gibt da ein paar mächtige Leute, die einen Krieg anfangen wollen. Die planen das schon seit einer langen Zeit und es geht dabei nur um ihren persönlichen Gewinn. Wenn sie das schaffen, dann bedeutet es, dass eine Menge unschuldiger Menschen sterben. Ich werde direkt mit dem Präsidenten sprechen und ihm zu verstehen geben, was da vor sich geht, doch ich kann mich nicht darauf verlassen, dass er sein Vertrauen in die falschen Hände legt. Dies könnte zu einem neuen Weltkrieg führen.”

“Und das kannst du nicht geschehen lassen”, sagte Sara leise.

Maya nickte ernst.

“Das stimmt. Und…” Null seufzte schwer. “Es bedeutet, dass es für eine kleine Weile ganz schön hart werden könnte. Sie wissen, dass ihr Zwei der einfachste Weg seid, um an mich zu kommen. Deshalb müsst ihr eine Weile verschwinden und euch verstecken, bis das alles vorbei ist. Ich weiß nicht, wie lange es dauert. Ich weiß nicht…” Er unterbrach sich selbst. Er wollte ihnen sagen: ich weiß nicht, ob ich das hier überleben werde. Doch er schaffte es nicht, diese Worte auszusprechen.

Er musste es nicht tun. Sie wussten, was er meinte. Tränen stiegen in Mayas Augen und sie blickte weg. Sara umarmte ihn noch einmal und er hielt sie fest.

“Ihr geht mit Mitch und macht, was immer er euch anweist, OK?”

Null hörte das Zittern in seiner eigenen Stimme. Er war sich jetzt mehr als sonst bewusst, dass dies das letzte Mal sein könnte, dass er seine Töchter sähe. “Bei ihm seid ihr in Sicherheit. Und ihr passt gegenseitig auf euch auf.”

“Das machen wir”, flüsterte Sara in sein Ohr.

“Gut. Jetzt wartet hier einen Moment, während ich mit Mitch spreche. Ich komme gleich wieder.” Er ließ Sara los und schritt auf den Lieferwagen zu, wo der Mechaniker ruhig wartete.

“Danke”, sagte ihm Null. “Du bist mir nichts schuldig. Ich weiß dies alles sehr zu schätzen und wenn es vorbei ist, dann zahle ich es dir auf jede mir mögliche Art zurück.”

“Nicht notwendig”, grummelte der Mechaniker. Seine Fernfahrermütze war immer noch tief in sein Gesicht gezogen und verdunkelte seine Augen. Sein dicker Bart bedeckte den Rest seines Gesichtes.

“Wo bringst du sie hin?”

“Es gibt da ein altes WITSEC Haus auf dem Land in Nebraska”, antwortete Mitch. “Ein kleines Häuschen direkt vor einer Kleinstadt, praktisch im Nirgendwo. Wird seit Jahren nicht benutzt, doch es ist immer noch von der Regierung registriert. Dort bringe ich sie hin. Da sind sie in Sicherheit.”

“Danke”, wiederholte sich Null. Er wusste nicht, was er sonst sagen könnte. Er war sich nicht mal sicher, warum er diesem Mann die beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben so einfach anvertrauen konnte. Es war ein Gefühl, ein Instinkt, der Logik überschritt. Doch er hatte vor langem gelernt – und erst vor Stunden wiedergelernt – seinen Instinkten zu vertrauen.

“Also”, grummelte Mitch. “Jetzt geht es doch los, was?”

Null blinzelte ihn überrascht an. “Ja”, sagte er vorsichtig. “Du weißt davon Bescheid?”

“Ja.”

Er schnaubte fast verächtlich. “Wer bist du wirklich?”

“Ein Freund.” Mitch blickte auf seine Armbanduhr. “Helikopter sollte gleich ankommen. Der bringt uns zu einer privaten Landebahn, wo wir in ein Flugzeug in Richtung Westen einsteigen.”

Null gab es auf. Es schien nicht, als bekäme er weitere Antworten von dem mysteriösen Mechaniker. “Danke”, murmelte er erneut. Dann drehte er sich, um von seinen Töchtern Abschied zu nehmen.

“Du bist zurück”, sagte der Mechaniker hinter ihm. “Stimmt’s?”

Null drehte sich um. “Ja. Ich bin zurück.”

“Wann?”

Er lachte auf. “Heute, falls du mir das glaubst. Es ist ein ganz schön seltsamer Nachmittag.”

“Na”, antwortete Mitch. “Ich möchte dich nicht enttäuschen wollen.”

Null erstarrte. Ein elektrisches Kribbeln rann ihm über den Rücken. Mitchs Stimme hatte sich plötzlich verändert, sie war nicht länger das bassige Grummeln, das er nur Sekunden zuvor von sich gegeben hatte. Sie war sanft und gleichmäßig und kam ihm so komisch bekannt vor, dass Null plötzlich die Division, seine Situation und sogar seine wartenden Töchter für einen Moment vergaß.

Mitch griff unter den Schirm seiner Fernfahrermütze und rieb sich die Augen. Zumindest sah es so aus, als ob er dies täte, doch dann fiel seine Hand hinab und es lagen zwei winzige konkave, kristallblaue Scheiben auf seinen Fingerspitzen.

 

Kontaktlinsen. Er trug farbige Kontaktlinsen.

Dann nahm Mitch die Fernfahrermütze vom Kopf, strich sich über das Haar und blickte Null an. Seine braunen Augen sahen einsam aus, fast verschämt, und augenblicklich wusste Null genau, warum dem so war.

“Oh Gott.” Seine Stimme klang wie ein heiseres Flüstern, als er ihm in die Augen blickte.

Er kannte diese Augen. Er würde sie überall erkennen. Doch es konnte nicht sein. Es war nicht möglich.

“Verdammt. Du… du warst tot.”

“Du doch auch für ein paar Jahre”, sagte der Mechaniker in seinem sanften, fast gesungenen Tonfall.

“Ich habe deine Leiche gesehen”, würgte Null hervor. Das kann nicht wahr sein.

“Du hast einen Körper gesehen, der wie meiner aussah.” Der stämmige Mann zuckte mit einer Schulter. “Jetzt tu bloß nicht so, als wäre ich nicht schon immer klüger als du gewesen, Null.”

“Du liebes Bisschen.” Null blickte ihn von oben bis unten an. Er hatte etwa fünfzehn Kilo zugenommen, vielleicht auch mehr. Sich einen Bart wachsen lassen. Trug die Fernfahrermütze und gefärbte Kontaktlinsen. Hatte seine Stimme verändert.

Doch er war es. Er war am Leben.

“Ich glaube es nicht.” Er trat zwei Schritte vorwärts und umarmte Alan fest.

Sein bester Freund, derjenige, der ihm auf so vielen Einsätzen Rückendeckung gegeben hatte, derjenige, der ihm geholfen hatte, den Gedächtnishemmer eingepflanzt zu bekommen, anstatt ihn auf der Hohenzollernbrücke zu töten, derjenige, den Null tot aufgefunden hatte, zu Tode erstochen in einer Wohnung in Zürich… er war hier. Er war am Leben.

Er dachte daran zurück, wie er ihn in Zürich entdeckt hatte. Das Gesicht des toten Mannes war aufgedunsen und geschwollen und sein Gehirn hatte den Doppelgänger direkt mit Reidigger verbunden. Dein Gehirn füllt die Leerstellen aus, hatte Maria ihm einst gesagt.

Reidigger hatte seinen eigenen Tod vorgetäuscht, genauso wie er Kent Steele geholfen hatte, den seinen vorzutäuschen. Und er hatte unter dem Deckmantel eines Mechanikers mit guten Verbindungen gelebt, nur zwanzig Minuten entfernt.

“Die ganze Zeit?” fragte Null. Seine Stimme war heiser und er sah alles etwas verschwommen, während eine Flut von Gefühlen an die Oberfläche drängte. “Du hast auf uns aufgepasst?”

“So gut, wie ich konnte. Watson half.”

Das stimmt. Watson weiß Bescheid. John Watson hatte Reid Lawson Mitch den Mechaniker vorgestellt – doch er hatte es erst getan, nachdem Reids Töchter entführt worden waren, als das Risiko zu hoch war und die CIA kaum helfen konnte.

“Weiß es sonst noch jemand?” fragte Null.

Alan schüttelte seinen Kopf. “Nein. Das geht nicht. Falls die Agentur es herausfindet, bin ich tot.”

“Du hättest es mir früher sagen können.”

“Nein, hätte ich nicht.” Alan lächelte. “Hättest du mich ohne dein Gedächtnis erkannt? Hättest du mir geglaubt, wenn ich es dir einfach erzählt hätte?”

Null musste zugeben, dass das ein gutes Argument war.

“War es Dr. Guyer? Hast du ihn gesehen?”

“Ja”, antwortete Null. “Es hat zu dem Zeitpunkt nicht funktioniert. Es geschah später, durch ein Stichwort. Und jetzt…” Er schüttelte seinen Kopf. “Jetzt weiß ich Bescheid. Ich erinnere mich. Ich muss es aufhalten, Alan.”

“Ich weiß. Und du weißt, dass mir nichts lieber wäre, als an deiner Seite zu stehen, während du es aufhältst.”

“Doch das geht nicht.” Null verstand es komplett. Außerdem hatte Alan eine Aufgabe, die in Nulls Augen wenigstens genauso wichtig war, wie einen Krieg aufzuhalten. “Du musst sie in Sicherheit bringen.”

“Das tue ich. Ich verspreche es dir.” Alans Augen leuchteten plötzlich auf. “Da fällt mir grade ein, dass ich etwas für dich habe.” Er griff durch das offene Fenster seines Lieferwagens und zog eine Sig Sauer Pistole heraus. “Hier. Schöne Grüße von dem Söldner der Division, der dein Haus angriff.”

Null nahm die Pistole ungläubig. “Die Division war bei mir zu Hause? Was ist geschehen?”

“Nichts, mit dem wir nicht umgehen konnten. Die zwei sind ganz sicher deine Kinder.” Alan grinste, doch das Lächeln verschwand schnell. “Du brauchst auch Hilfe, weißt du. Ruf Watson an. Oder deinen neuen Kumpel, den Ranger.”

“Nein”, erwiderte Null standhaft. Er weigerte sich, Watson oder Strickland da noch tiefer mit hineinzuziehen. “Ich arbeite besser allein.”

Alan seufzte. “Genauso stur wie immer.” Aus der Ferne erklangen die Rotoren eines Helikopters, der sich annäherte. “Da kommt unser Gefährt. Pass gut auf dich auf, Null.”

“Das mache ich.” Er umarmte Reidigger noch einmal. “Danke für alles. Wenn das hier vorbei ist, dann setzen wir zwei uns zusammen und haben eine lange Unterhaltung bei mehreren Bieren.”

“Abgemacht”, stimmte Reidigger zu. Doch in seiner Stimme klang ein melancholischer Unterton, einer, der verriet, dass er gerade dasselbe wie Null dachte – das einer oder beide von ihnen dieses Unterfangen vielleicht nicht überlebten. “Vertraue ihnen bis dahin nicht.”

Er runzelte die Stirn. “Wem?”

“Niemandem in der Agentur”, antwortete Alan. “Die waren schon mal bereit dazu, dich zu töten, und sie setzten mich darauf an. Die machen denselben Fehler nicht nochmal. Dieses Mal schicken sie jemanden, der keine Minute Schlaf darüber verliert, eine Kugel in deinen Hinterkopf zu schießen.”

“Ich weiß.” Null schüttelte seinen Kopf. “Ich habe darüber nachgedacht, mich wenigstens bei Cartwright zu melden. Ich glaube, der hat nichts damit zu tun —”

“Verdammt, was habe ich gerade gesagt? Niemand, verstehst du?” Alans Blick drang in ihn.

“Ganz besonders nicht Cartwright. Null… vor zwei Jahren hat Cartwright mich und Morris dir auf den Hals gehetzt, auf der Brücke.”

“Was?” ein Schauder lief Null über den Rücken.

“Ja. Er schickte nicht die Division. Er schickte keinen angeheuerten Killer. Die Anordnung für deine Ermordung kam von oben und Cartwright hat sich nicht dagegen gewehrt. Er schickte uns.”

Zorn stieg heiß in seiner Brust auf. Shawn Cartwright hatte vorgegeben, ein Freund zu sein, ein Verbündeter und hatte Null sogar gewarnt, nicht den anderen, wie Riker, zu vertrauen.

Die Rotoren des Helikopters lärmten über ihnen, als er über Meadow Field schwebte.

Alan lehnte sich nach vorn und sagte ihm “Auf Wiedersehen, Null” ins Ohr. Er schlug ihn auf die Schulter und schritt auf den Helikopter zu, der im hohen Gras landete.

Null eilte zu seinen wartenden Mädchen und umarmte sie beide noch einmal fest. “Ich liebe euch beide”, sage er ihnen ins Ohr. “Seid brav und passt aufeinander auf.”

“Ich liebe dich auch”, erwiderte Sara und umarmte ihn fest.

“Das machen wir”, versprach Maya und rieb sich die Augen.

“Los jetzt.” Er ließ sie los und sie eilten zu dem schwarzen Helikopter herüber. Beide blickten noch einmal zu ihm zurück, bevor sie mit Alans Hilfe in die Kabine kletterten. Dann schloss sich die Schiebetür und der Helikopter hob erneut ab. Null stand einen langen Moment da und sah zu, wie er am Himmel immer kleiner wurde. Alles drehte sich noch in seinem Kopf von dem Wissen, dass Alan Reidigger irgendwie noch am Leben war. Doch zu wissen, dass seine Töchter in seinen Händen waren, gab ihm Hoffnung – und um so mehr Entschlossenheit, dies hier zu überleben.

Endlich riss er seinem Blick von dem, was jetzt nur noch ein Fleckchen am Horizont war und ging zurück zum Auto. Für einen Augenblick saß er hinter dem Steuer und fragte sich, ob dies das letzte Mal wäre, dass er seine Töchter sähe. Das Blut, das durch sein Ohren rauschte, dröhnte betäubend.

Er griff hinüber und schaltete das Radio an, nur um eine Geräuschkulisse zu erzeugen. Die Stimme eines männlichen Sprechers füllte sofort den Raum.

“Unsere heutige Schlagzeile ist weiterhin die sich entwickelnde Situation im Persischen Golf”, sagte der Moderator ernst. “Vor nur ein paar Stunden schoss ein iranisches Kriegsschiff Raketen auf die USS Constitution, einen amerikanischen Zerstörer, der mit der Fünften Flotte der Navy das Gebiet patrouilliert. Als Gegenmaßnahme erwiderte die Constitution das Feuer, zerstörte dabei das iranische Schiff und damit die Leben aller sechsundsiebzig Mitglieder der Mannschaft an Bord.”

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