Tasuta

Koste Es Was Es Wolle

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Autor:
Märgi loetuks
Koste Es Was Es Wolle
Koste Es Was Es Wolle
Tasuta audioraamat
Loeb Mike Nelson
Lisateave
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Kapitel 34

20.33 Uhr

Washington, DC

Der Mann würde ihn erst bei Einbruch der Nacht treffen.

Luke wartete alleine auf dem hölzernen Weg am Ufer des Potomac Rivers. Die Sonne war gerade erst untergegangen und hatte alles Licht mitgenommen. Ein dicker, kalter Nebel war kurz zuvor über das Meer herangerollt. Der Nebel hüllte ihn ein. Niemand hätte ihn sehen können. Er hätte auch sonst wer sein können. Er hätte tot sein können. Er hätte aufhören können zu existieren. Er hätte der letzte Mensch auf dieser Erde sein können. Das war ein gutes Gefühl.

Er war nach Washington zurückgerast, nur um hier zu warten. Er hatte die Müdigkeit hinter sich gelassen, soviel stand auf dem Spiel und das Warten störte ihn. Der Mann ließ ihn immer warten. Hatte er immer und würde er auch immer.

Luke hatte mit Ed Newsam vor zehn Minuten am Telefon gesprochen. Newsam war im Krankenhaus. Jacob und Rachel war es gelungen, den Helikopter in mitten eines leeren Baseball Feldes zu crashen. Newsams Hüfte war gebrochen und er hatte eine ganz schöne Ladung Kugel abbekommen, aber er würde wieder werden. Es bedurfte mehr als eines Maschinengewehrs, um einen Mann wie Newsam umzubringen.

Er war jetzt nicht mehr mit von der Partie, allerdings störte Luke diese Tatsache eher wenig. Es gab genug anderes, um das er sich sorgte.

„Da hast du ja einen Tag hinter dir“, sagte eine Stimme.

Luke blickte hoch. Ein großer alter Mann in einem langen Ledermantel stand neben ihm, er führte einen kleinen grau-braunen Hund bei sich. Das Haar des Mannes schien so weiß, dass man den Eindruck hatte, es würde in der sich gerade erst ausbreitenden Finsternis leuchten. Er blickte Luke nicht direkt ins Gesicht, aber kam nah zu ihm heran und setzte sich auf das weit entfernte andere Ende der Bank. Er setzte sich langsam und beschwerlich. Dann kraulte er den kleinen Hund mit seinen dünnen Fingern. Auf fast magische Art tauchte in einer der Hände ein Keks auf und der Mann verfütterte ihn an den Hund. Die Geschicklichkeit seiner Hand brachte ihn zum Lächeln.

„Schöner Hund“, sagte Luke. „Was für eine Rasse soll das sein?“

„Köter“, sagte er. „Ich denke, er muss halb Ratte sein. Ich habe ihn aus dem Tierheim. Vierundzwanzig Stunden später hätten sie ihn vergast. Wie könnte ich zu einem Hundezüchter gehen, wenn es so viele verlorene Seelen in den Todesreihen gibt? Das ist unverantwortbar.“

„Wie kann ich Sie nennen?“, fragte Luke.

„Paul ist gut“, sagte der Mann.

Das war seltsam. Paul, Wes, Steve dieser Mann entschied sich immer für einen nichtssagenden Namen. Als Luke jung war, waren das Henrys und Hanks gewesen. Er war der Mann ohne Namen, der Mann ohne Nationalität. Was kann man über jemanden sagen, der im Kalten Krieg die Staatsgeheimnisse des eigenen Landes an die Sowjets verkauft hatte und dann die Geheimnisse der Sowjets an die Briten und Israelis? Das war das wenige, das Luke wusste. Wahrscheinlich gab es da eine Menge mehr.

Eine der wenigen Sachen, die man über ihn sagen konnte war, dass er Glück gehabt hatte noch am Leben zu sein. Außerdem war es verblüffend, dass er sich als Wohnort Washington, DC hatte aussuchen können, direkt unter der Nase der Leute, die ihn sehr gerne tot oder für immer hinter Gittern gesehen hätten. Aber vielleicht verjährt auch Betrug eines Tages. Nachdem einige Zeit ins Land gegangen war, kümmerte sich vielleicht einfach niemand mehr darum. Vielleicht waren auch all die Leute, die sich gekümmert hätten, längst tot.

Luke nickte. „Okay, Paul. Vielen Dank fürs Kommen. Ich habe mich heute Nachmittag mit einem Mann getroffen. Oben in New York.“

Der alte Mann lachte. „Ohje, ja. Ich habe davon gehört. Wenn ich richtig verstanden habe, dann hast du unangemeldet bei ihm vorbeigeschaut. Bist quasi aus dem heiterem Himmel gefallen.“

Luke starrte in den Nebel. Es war eine dicke Suppe.

„Er hat ein paar Dinge gesagt, die ich nicht verstanden habe.“

„Klug zu sein heißt nicht, unbedingt gleich alles zu durchdringen und zu verstehen“, sagte der Mann. „So mancher kluge Mensch ist schwer von Begriff.“

„Vielleicht habe ich auch verstanden, was er gesagt hat, aber kann es einfach nicht glauben.“

„Worum ging’s?“

„Operation Red Box“, sagte Luke. „Davon hat er erzählt.“

Der alte Mann schwieg. Er starrte geradeaus. Noch vor einem Moment hatten seine Hände den Hund gestreichelt. Jetzt hatten sie aufgehört.

Luke fuhr fort. „Er meinte, wir sollten den Direktor der CIA fragen. Naja, ich habe keinen Zugang zum Direktor der CIA. Aber ich habe Zugang zu Ihnen.“

Der Mund des Mannes öffnete sich, dann schloss er sich wieder.

„Erzählen Sie es mir“, sagte Luke.

Der Mann blickte Luke zum ersten Mal direkt an. Sein Gesicht sah wie zerknittertes Pergamentpapier aus. Seine Augen saßen tief in den Höhlen und waren blass blau. Es waren Augen, die Geheimnisse kannten. Es waren gnadenlose Augen.

„Ich habe diesen Namen lange Zeit nicht mehr gehört“, sagte er. „Ich würde dir empfehlen, ihn nicht noch einmal auszusprechen. Man weiß nie, wer gerade zuhört, sogar an einem Ort wie diesem.“

„In Ordnung.“

„Ich vermute, du hast ihn etwas gefragt, um ihm diesen Namen zu entlocken. Was hast du ihn gefragt?“

„Ich habe ihn gefragt“, sagte Luke, „für wen er arbeitete.“

Der Mann stieß einen langen Seufzer aus. Er klang wie ein Reifen, dem langsam die Luft ausging, bis zuletzt alle Luft entwichen war. Der Mann stand abrupt auf. Er bewegte sich schnell und ohne die zuvor zur Schau gestellte Gebrechlichkeit.

„Es war interessant, mit dir zu plaudern“, sagte der Mann. „Vielleicht treffen wir uns einmal wieder.“

Die Waffe war plötzlich in Lukes Hand, wie durch Zauberhand, ein besserer Trick als der Hundekuchen zuvor. Es war nicht die Waffe, die er früher am heutigen Tage gehabt hatte. Ein zwanzig Zentimeter langer silberner Schalldämpfer prangte am Ende des Waffenlaufs. Er war länger als die Waffe selbst. Luke zielte beiläufig mit der Waffe auf den Bauch des Mannes.

„Kennen Sie diesen Schalldämpfer?“, fragte er. „Er trägt den Namen Illusion. Er ist neu und Sie haben schon eine Weile lang nicht mehr mitgespielt, also kennen Sie ihn vielleicht noch nicht. Es genügt zu sagen, dass er wirklich sehr, sehr gut funktioniert. In einer Nacht wie dieser, mit all dem Nebel? Ein Schuss wird abgegeben und es würde sich so anhören, als hätte gerade jemand genießt. Kein lautes Niesen. Ein leises, wie jemand, der bei einer Ballettaufführung ist.“ Er grinste. „Für das Spezialeinsatzkommando nur das Beste.“

Ein geisterhaftes Lächeln huschte über das Gesicht des Mannes. „Ich habe unsere Treffen schon immer sehr genossen.“

„Erzählen Sie es mir“, sagte Luke.

Der Mann zuckte die Schultern. „Du solltest zu deiner zauberhaften Frau und deinem süßen Sohn nach Hause fahren. Das ist nichts, was dich angeht. Und selbst wenn, dann gäbe es nichts, was du ausrichten könntest.“

„Was ist die Operation Red Box?“

Der alte Mann schien beim Klang dieses Namens zusammenzuzucken.

Luke wartete ein paar Sekunden aber der Mann schien immer noch nicht gewillt zu sprechen. „Sag mir einen Grund, warum ich dich nicht erschießen sollte.“

Der Mann blinzelte. „Töte mich“, sagte er langsam, „und du wirst mich in Zukunft nicht mehr als Informationsquelle zur Verfügung haben.“

Luke schüttelte den Kopf. „Es wird keine zukünftigen Fälle geben“, sagte er. „Wenn dieser Fall nicht gelöst wird, dann wird es keine Zukunft geben.“

Luke blickte ihn düster an. „Was ist Operation Red Box?“

Der Mann schüttelte seinen Kopf. „Du steckst da zu tief drinnen. Du bringst dich selbst und andere in Gefahr und das Schlimmste ist, dass dir das nicht einmal bewusst ist. Ich werde den Namen nicht aussprechen. Aber die Operation, die du erwähnt hast, wurde extra dafür designt, einen Präsidentenwechsel vorzeitig herbeizuführen. Sie ist dazu da, einen Präsidenten aus dem Amt zu drängen, noch bevor die Legislaturperiode zu Ende ist.“

„Sie haben heute Morgen damit gedroht, den Präsidenten seines Amtes zu entheben“, sagte Luke. „Es war im Radio.“ Diese Aussage hörte sich seltsam an, sobald er sie ausgesprochen hatte. Den Präsidenten seines Amtes entheben und Terroristen, die das Weiße Haus in die Luft sprengten… diese zwei Tatbestände passten einfach nicht zusammen. Luke war zu müde. Es war schwer, aus all dem einen Zusammenhang herzustellen.

„Es ist schneller als ein Amtsenthebungsverfahren“, sagte Paul. „Und sicherer. Denk an einen klaren Bruch. Wie 1963. Es ist eine Operation, die dann zum Zuge kommt, wenn die Loyalität des Präsidenten nicht länger zweifelsfrei gegeben ist. Und eine Operation für den Fall, wenn Angelegenheiten zu wichtig oder sensibel für den Mann im Amt sind. Sie ist für Zeiten, in denen Einsatz gefragt ist.“

„Wer entscheidet darin?“, fragte Luke.

Paul zuckte die Schultern. Er lächelte wieder. „Die Leute, die eigentlich die Strippen ziehen.“

Luke starrte ihn an.

„Sag mir, dass du keinen Schimmer hast, wer die Strippen zieht“, sagte Paul, „und ich werde anfangen, mich über die Beziehung deiner Mutter mit dem Milchmann zu wundern.“

Der alte Mann starrte ihn an. Ein wildes Feuer zuckte in seinen Augen. Für Luke sah er wie ein Marktschreier aus oder wie ein Hochstapler, der seine medizinischen Künste in einer Show zum Besten gab.

Der Mann lächelte. Es lag jedoch kein Humor in diesem Lächeln.

„Du hast heute gesehen, wie das Weiße Haus in die Luft gesprengt wurde, oder?“

Luke nickte. „Ich war dort.“

„Natürlich warst du das. Wo würdest du sonst zu solch einem Zeitpunkt sein? Sah es für dich nach einem Drohnenangriff aus? Oder sah es nach etwas anderem aus? Denk nach! Sah es vielleicht eher wie eine Detonationsserie aus, Bomben, die im Gebäude platziert worden waren vielleicht Tage oder Wochen zuvor?“

 

Luke spielte die Geschehnisse nochmals in seinem Kopf durch, er sah die Explosionen, eine ganze Reihe, die sich vom Westflügel entlang des Säulengangs bis zur Residenz zogen. Eine gigantische Explosion sprengte die Residenz in Tausende von Einzelteilen, ein riesiger Brocken wurde in die Luft geschleudert. Er spürte die Druckwelle, die ihren Helikopter fast zum Fall gebracht hatte.

Aber wie hätte jemand Bomben ins Weiße Haus schmuggeln können?

Alle, die dort arbeiteten waren auf Herz und Nieren geprüft worden, angefangen bei den Dienstmädchen und Hausmeistern, über die Tellerwäscher und Zwiebelschäler bis hin zu den Pressesprechern und dem Stabschef des Präsidenten. Alles waren sie gründlich geprüft worden. Wenn dort Bomben installiert worden waren, dann hieße das…

Ein Insider-Job. In das Herz, in das Innere des Sicherheitsapparats, in das Innere der Geheimdienste, so weit drinnen, dass sie eine Gruppe von Bombenexperten einschleusen, ihnen neue Identitäten verpassen und eine Anstellung im Weißen Haus beschaffen konnten. Jobs, die ohne großartige Überwachung getan wurden, Jobs, die ihnen die Freiheit verschafften, sich frei in den Gängen des Weißen Hauses zu bewegen, vor allem nachts, wenn niemand sonst dort war.

Ganz neue Überlegungen verschafften sich Raum in Lukes Gedanken. Den ganzen Tag lang war er davon ausgegangen, es mit einem Pack von Terroristen zu tun zu haben. Sie waren schlecht ausgebildet, aber sie waren gewaltbereit und clever. Sie versteckten sich, sie liefen davon, sie wendeten unerwartete Taktiken an und nutzten ihre Geringfügigkeit als Waffe gegen einen übermächtigen Feind. Vielleicht glauben diese Männer sogar, dass sie genau das taten. Sie hätten das radioaktive Material gestohlen. Sie hätten die Drohnen geflogen und sogar einen Teil des Weißen Hauses in die Luft gesprengt. Und doch blieben sie ein kleines Zahnrad im Getriebe. Sie wurden von etwas viel Größerem benutzt, etwas viel Ausgeklügelterem.

Was Ali Nassar gesagt hatte, war die Wahrheit gewesen. Es war die amerikanische Regierung gewesen.

Ein seltsames Hitzegefühl lief Luke den Rücken hinauf. Es erreichte seinen Kopf und lief zurück über seine Schultern und Arme. Er blickte zu seinen Händen und erwartete fast, sie in Flammen stehen zu finden. Übelkeit überkam ihn. Für eine Sekunde glaubte er, sich gleich übergeben zu müssen. Das wollte er nicht, nicht hier, nicht vor Paul.

„Wie kann ich es aufhalten?“, fragte Luke.

Paul schüttelte den Kopf. „Mein Freund, man kann Operation Red Box nicht aufhalten. Man geht ihr am besten aus dem Weg. Das ist nicht dein Kampf, Luke. Wenn du es versuchst, dann wirst du versagen. Du wirst auf eine Art und Weise versagen, die sich im ersten Moment vielleicht heldenhaft anfühlt sich aber letztlich als erbärmlich herausstellt.“

„Dann gib mir wenigstens genug Anhaltspunkte, damit ich wenigstens das versuchen kann.“

Paul gluckste und dann lachte er: „Du bist ein Dummkopf. Du scherst dich einen feuchten Kehricht um dich selbst. Du bist wie einer dieser japanischen Kamikaze Piloten aus dem Zweiten Weltkrieg, mit einem Flugzeug voller Bomben in einen Flugzeugträger fliegen. Nur leider handelt es sich in deinem Fall um Wasserspielzeug.“

Der alte Mann machte eine Pause und dachte einen Moment nach, er sah, dass Luke nicht nachgeben würde.

„Okay. Du suchst nach einem Weg dich umzubringen? Kontaktiere einen Mann namens David Delliger. Er ist Verteidigungsminister, falls du ihn nicht kennst. Er hat in Yale mit dem Präsidenten ein Zimmer geteilt. Er wird nicht an dem Plot beteiligt gewesen sein, aber er wird sehr, sehr nah an den jeweiligen Leuten dran sein, vielleicht ohne es zu wissen. Die Einzelteile werden ihm erst jetzt nach den Geschehnissen einleuchten, aber er wird sie verstehen und einen Zusammenhang herstellen. Vielleicht schert er sich genauso wenig um sich selbst. Dann wäret ihr beide ein interessantes Gespann.“

„Was ist mit dem Präsidenten?“, fragte Luke.

Paul zuckte die Schultern. „Was soll mit ihm sein?“

„Er ist jetzt in Sicherheit, oder?“, hakte Luke nach. „Er befindet sich zehn Geschosse unter der Erde.“

Paul lächelte. „Ich muss los. Es ist spät für einen alten Mann wie mich hier draußen rumzulaufen. Diese Parks können bei Nacht gefährlich sein.“

„Der Präsident ist in Sicherheit“, insistierte Luke und griff ihn krampfhaft bei seinem Arm ihn bedrängend, ihm diesen Satz zu bestätigen.

Paul bewegte langsam seinen Kopf und schüttelte Lukes Hand ab.

„Du verstehst es nicht“, antwortete er mit heiserer Stimme, bevor er sich umdrehte und in den silber-grauen Nebel davonschwebte. „Wenn das wirklich Operation Red Box ist, dann ist der Präsident bereits tot.“

Kapitel 35

20.53 Uhr

Mount Weather Notfalleinsatzzentrum – Bluemont, Virginia

Ein ernster junger Mann steckte seinen Kopf in den Raum.

„Herr Präsident? Wir sind in sieben Minuten auf Sendung. Es wäre schön, wenn Sie zwei Minuten vorher schon da sein könnten.“

Thomas Hayes saß in einem ledernen Frisierstuhl in einer Art Ankleidezimmer. Der Raum hatte eine ovale Form. Die Wände waren kahl bis auf einen langen Ankleidetisch und einen Spiegel, der vor ihm an der Wand hing. Er konnte sehen, wie sein Stabschef David Halstram sich versuchte in der Couch zu entspannen.

David schien nur zwei Geschwindigkeiten zu kennen – schnell und schneller. Er konnte sich nicht entspannen, selbst wenn die Umstände es zugelassen hätten. Der heutige Tag war alles andere als ruhig gewesen. Er war viel umhergesprungen. Einer seiner Schuhe wippte maschinengewehrartig auf dem Betonboden.

Der Präsident hielt die erste Fassung seiner Rede in den Händen. Ganz altmodisch auf Papier für Präsident Hayes – er hatte sich nie vollkommen der digitalen Revolution beugen wollen. David hatte die selbe Rede auf einem iPad.

Zwei junge Frauen legten letzte Hand an Hayes an. Eine verblendete sein Makeup auf eine Weise, in der man es nicht mehr wahrnahm. Die andere kämmte sein Haar, so dass es ordentlich und vorzeigbar war, so dass es fast perfekt war. Er war heute fast umgebracht worden. Er sollte zumindest auch ein wenig so aussehen.

„Was soll das heißen?“, sagte er zu dem jungen Mann, der ihn gerade angesprochen hatte. „Ist das ein mathematisches Problem?“

„Es heißt in fünf Minuten, Sir.“

„Alles klar wir werden da sein.“

Als der Mann verschwunden war, sah Präsident Hayes wieder durch den Spiegel zu David.

„Wie findest du diesen Satz, den er am Ende benutzt, Fantastisches erwartet uns? Das hat er drei Mal drinnen. Das klingt wie die Image-Kampagne eines gebührenfreien Kontos. Ich meine, was soll ich mit diesem Satz?“

Hayes war nervös, so wie es sein sollte. In wenigen Minuten würde er sich an das amerikanische Volk wenden und über die derzeitige Krise sprechen. Er konnte davon ausgehen, dass so gut wie jeder einzelne Erwachsene in diesem Land, und hunderte Millionen mehr im Ausland, ihn sehen oder zumindest seinen Stimme hören würde. Alle Fernsehsender würden es übertragen. Fast alle Radionetze. YouTube würde es live streamen.

Es war die größte Rede, die er wahrscheinlich jemals halten würde und sie war heute Nachmittag und Abend von einem Redenschreiber zusammengeschrieben worden, den Hayes schon vor Wochen rausgeschmissen hätte, wenn er nicht anderes im Sinn gehabt hätte.

„Thomas“, sagte David, „ich kenne niemanden, der öffentlich besser reden würde als du. Ich bin zwar zu jung, um John F. Kennedy oder Martin Luther King erlebt zu haben, aber das ist egal. Kein Lebender kann dir das Wasser reichen. Jemand hat heute versucht dich umzubringen. Sie haben das Weiße Haus zerstört und fast zwei dutzend Leute getötet. Das amerikanische Volk braucht dich jetzt. Sprich zu ihnen. Sprich mit deinem Herzen. Rühr sie an und führe sie. Nutze diese Rede einfach nur als Leitfaden oder schmeiß das Ding weg und improvisiere. Ich habe gesehen, wie du aus dem Stegreif Reden gehalten hast, die Leute zu Tränen gerührt haben.“

Hayes nickte. Er mochte die Idee zu improvisieren. Er mochte die Idee die Führung zu übernehmen. Und als er über das Führen nachdachte, realisierte er was eigentlich fehlte. Die Furcht, die Erschütterung, das Gefühl auseinandergerissen zu werden. Es war verschwunden. Er hatte seinen Fokus zurückgewonnen. Er fühlte sich selbstbewusst. Er fühlte, dass er bereit war wieder die Führung zu übernehmen. Es war ihm egal, was das Repräsentantenhaus dachte oder Leute wie Bill Ryan.

Thomas Hayes war von den Menschen der Vereinigten Staaten gewählt worden, um sie zu führen. Und das war es, was er vorhatte.

„Meinst du Susan wird auftauchen?“

David nickte. „Ich weiß, dass sie das wird. Ich habe mit ihr heute am späten Nachmittag gesprochen. Sie mag dich im Moment nicht besonders, aber das ist einerlei. Darum kümmern wir uns später. In der Zwischenzeit wird sie ihren Job machen. Wenn deine Rede vorbei ist und du die mächtigsten Leute Amerikas triffst, du dich mit ihnen unterhältst und ihr alle ein Bild der Einheit für die Kameras mimt, dann wird sie in der ersten Reihe stehen und sehr, sehr sichtbar sein.“

„Okay, David. Ich fühle mich schlecht wegen der Sache heute. Ich will es wirklich in Ordnung bringen.“

David nickte. „Das wirst du.“

Als die Zeit herangerückt war, erhob sich Hayes aus seinem Stuhl, schlüpfte in seine Anzugsjacke und marschierte aus dem Raum. David war bei ihm, einen halben Schritt hinter ihm. Hayes betrat das unterirdische Fernsehstudio. Sein Podium mit dem Siegel des Präsidenten stand dreißig Zentimeter erhöht auf blauem Teppich. Es war von Kameras und Lichtern umgeben.

Hayes fühlte sich gut, er fühlte sich energetisch und mächtig. Er spürte diese elektrische Spannung in seinem Körper, die er immer vor Ruderwettkämpfen als Kapitän eines auf nationaler Ebene antretenden Teams bekommen hatte.

Er widerstand der Versuchung auf die Bühne zu rennen wie der Moderator einer Gameshow.

Hinter ihm begann Davids Telefon zu klingeln. Er drehte sich nach seinem Stabschef um. David blickte auf den Namen des Anrufers. Er schaute auf.

„Es ist Luke Stone.“

Der Präsident zuckte die Schultern. „Nimm ab. Wir haben noch ein paar Minuten. Das hier ist kein Problem mehr für mich. Hab ich schon eine Million Male gemacht.“

Er stieg auf das Podium und blickte in die hellen Lichter.

*

Luke stand am Ufer. Er hatte sich genau fünf Schritte von der Bank entfernt, wo sein Vater ihn hatte sitzen lassen. Er konnte kaum sehen. Der Nebel war so dicht, dass er froh war, dass der Anruf überhaupt durchgekommen war.

Das Telefon klingelte und klingelte.

„Halstram“, sagte eine Stimme.

„David, ich muss mit Präsident Hayes sprechen.“

„Luke, es tut mir leid. Sie und dein Partner haben hervorragende Arbeit geleistet. Aber der Präsident wird in zwei Minuten auf Sendung gehen. Wenn Sie wollen kann ich ihre Nachricht an den Präsidenten später weiterleiten, wenn er fertig ist, also wahrscheinlich in einer Stunde. Hören Sie, Sie sollten in die Nähe eines Fernsehers gehen und die Sendung sehen. Ich erwarte eine fulminante Rede. Sie haben uns einen Schlag verpasst, aber der Kampf ist noch nicht vorbei.“

„David, es ist alles viel schlimmer.“

„Ich weiß. Ich war dabei, erinnern Sie sich? Wir werden hart daran arbeiten und einen Weg hinaus finden. Und Sie werden dabei eine nicht unbedeutende Rolle spielen, glauben Sie mir.“

Luke wusste nicht, wie er mit Leuten wie David Halstram umgehen sollte, nicht über das Telefon. David tendierte dazu ohne Punkt und Komma zu reden, Luft zu holen und dann weiterzureden. Er hatte Energie, zu viel Energie und er wahrscheinlich sehr klug. Auf jeden Fall war er von seinen Fähigkeiten überzeugt, und er war davon überzeugt, dass die Leute ihm zuhören und tun sollten, was er ihnen sagte. Es war schwer, ihn auszubremsen und ihn zum Zuhören zu bringen.

Wenn Luke dort gewesen wäre, dann hätte er David vielleicht seine Waffe an den Kopf gehalten und ihn bei seinem ausgedünnten Haar gegriffen. Oder wenn er relaxt gewesen wäre, dann hätte er ihm einen Karatekick auf das Schlüsselbein versetzt. Beides hätte wahrscheinlich seine Aufmerksamkeit erregt. Aber über das Telefon? Das war schwer.

Er sprach langsam, wie mit einem Volltrottel. „David, Sie müssen mir zuhören. Das Leben des Präsidenten ist in Gefahr.“

„Deswegen sind wir jetzt hier unten.“

„David…“

„Luke, hören Sie zu, ich muss hier weiter. Wenn Sie keine spezielle Nachricht haben, die ich dem Präsidenten übermitteln soll, dann muss ich Sie bitten mich später zurückzurufen… in sagen wir neunzig Minuten, okay? Wenn Sie mich nicht erwischen, dann noch mal dreißig Minuten später.“

 

„Sie müssen da raus.“

„Okay, Luke, wir reden später darüber. Es geht los. Ich muss gehen.“

Das Gespräch war beendet. Luke starrte auf das Telefon. Er kämpfte mit dem Drang, es in den Fluss zu schmeißen. Anstatt dessen lief er zu seinem Auto. Eine Minute später begann er zu rennen. Würde er wirklich nach Mount Weather fahren, jetzt, nachdem er vierzig Stunden nicht geschlafen hatte?

Ja.