Tasuta

Koste Es Was Es Wolle

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Autor:
Märgi loetuks
Koste Es Was Es Wolle
Koste Es Was Es Wolle
Tasuta audioraamat
Loeb Mike Nelson
Lisateave
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Sie starrten einander an, Luke hatte Gewissensbissen, wenn er an seine Frau dachte, obwohl nichts passiert war.

Er entzog sich der Situation, um Schlimmeres zu vermeiden und fragte sich, wie dieses Vorkommnis ihre Zusammenarbeit belasten würde.

Das Schlimmste jedoch war sich einzugestehen, dass er im tiefsten Inneren den Raum nicht verlassen wollte.

*

Swann saß an einem langen Tisch, auf dem sich drei Monitore aneinanderreihten. Mit seinem schütteren Haar und der Brille erinnerte er Luke an einen NASA-Physiker einer Weltraumflugkontrollstation. Luke stand mit Newsam und Trudy hinter ihm, alle drei schauten über Swanns schmale Schultern.

„Das hier ist Ken Bryants Bankkonto,“ sagte Swann und deutete mit dem Cursor auf etwas in der Mitte des Bildschirms. Luke speicherte die Details in seinem Kopf ab: Überweisungen, Abzüge, Gesamtsaldo, alles zwischen dem achtundzwanzigsten April und siebenundzwanzigsten Mai.

„Wie sicher ist diese Verbindung?“ fragte Luke. Er schaute sich im Raum und vor der Tür um. Der Hauptraum der Zentrale befand sich bereits am Ende des Gangs.

„Die hier?“ fragte Swann. Er zuckte mit den Schultern. „Sie steht in keiner Verbindung mit der Zentrale. Ich bin mit unserem eigenen Tower und unseren eigenen Satelliten verbunden. Verschlüsselt von unseren Leuten. Ich nehme stark an, dass CIA oder NSA jemanden finden könnten, der Zugang findet, aber warum sollte uns das stören? Wir spielen doch alle im selben Team oder? Ich würde mir darum keine Sorgen machen. Ich würde mich viel eher auf das Bankkonto hier konzentrieren. Fällt etwas auf?“

„Sein Saldo beträgt 24.000 Dollar,“ sagte Luke.

„Richtig,“ sagte Swann. „Eine Reinigungskraft mit einem beachtlichen Batzen Geld auf seinem Konto. Interessant. Nun lasst uns einen Monat zurückgehen. Achtundzwanzigster März bis siebenundzwanzigster April. Der Kontostand beträgt sogar 37.000 Dollar, einiges davon gibt er wohl aus. Es gibt Überweisungen von einem anonymen Konto, 5.000 Dollar, dann 4.000 Dollar, dann, oh okay, vergesst das IRS Problem… her mit den 20.000 Dollar.“

„Okay,“ sagte Luke.

„Geh noch einen Monat zurück. Ende Februar bis Ende März. Sein Anfangssaldo beträgt 1.129 Dollar. Am Ende des Monats sind es mehr als 9.000 Dollar. Geh noch einen zurück, Ende Januar bis Ende Februar, sein Kontostand betrug nie mehr als 2.000 Dollar. Wenn du noch drei weitere Jahre zurückgehst, wirst du sehen, dass sein Kontostand selten mehr als 1.500 Dollar betrug. Ein Typ, der von der Hand in den Mund lebte und der mit einem Mal im März riesige Beträge auf seinem Konto verbuchen kann.“

„Woher kommen die?“

Swann lächelte und hob den Finger. „Jetzt kommt der spaßige Teil. Die Überweisungen kommen von einer kleinen Offshore-Bank, die auf anonyme Nummernkonten spezialisiert ist. Sie heißt Royal Heritage Bank und liegt auf den Cayman Inseln.“

„Kommst du da rein?“, fragte Luke. Er schaute zu Trudy, die missbilligend dreinblickte.

„Das brauche ich gar nicht“, sagte Swann. „Royal Heritage gehört einem CIA Agenten mit Namen Grigor Svetlana. Er ist Ukrainer, gehörte einst zur Roten Armee. Er hat es sich vor zwanzig Jahren mit den Russen verscherzt, nachdem alte Sowjet-Waffentechnik verschwunden war und dann auf dem Schwarzmarkt in Westafrika wieder aufgetaucht war. Ich spreche hier nicht von Waffen. Ich spreche hier von Flugabwehrgeschützen, Panzerabwehrraketen und tieffliegenden Lenkflugkörpern. Die Russen waren bereit ihn dafür zu hängen. Da er nicht wusste wohin, ist er zu uns gekommen. Ich habe einen Freund bei Langley. Die Konten der Royal Heritage Bank sind bei weitem kein Geheimnis, sondern für den amerikanischen Geheimdienst ein offenes Buch. Das ist den meisten Royal Heritage Bank Kontoinhabern natürlich nicht bewusst.“

„Also weißt du, auf wen das Konto läuft, das die Überweisungen getätigt hat.“ „Ganz genau.“ „Okay, Swann,“ sagte Luke. „Ich habe es kapiert. Du bist sehr intelligent. Jetzt komm zum Punkt.“ Swann fuchtelte vor den Computerbildschirmen herum. „Byrant selbst führte das Konto, von dem aus die Überweisungen kommen. Das ist das Konto hier auf meinem linken Bildschirm. Wie du sehen kannst, beläuft sich das Saldo derzeit auf 209.000 Dollar. Er hat hier und dort kleinere Beträge vom Nummernkonto auf sein Girokonto verschoben, wahrscheinlich um persönliche Besorgungen davon zu machen. Und wenn wir ein paar Monate zurückscrollen dann können wir sehen, dass Byrants Offshore-Konto am dritten März mit einem Anfangsbetrag von 250.000 Dollar eröffnet wurde, überwiesen von einem anderen Royal Heritage Konto, dem auf dem rechten Monitor.“

Luke schaute zu dem Konto auf der rechten Seite. Mehr als vierundvierzig Millionen Dollar waren dort verbucht. „Da hat sich Byrant wohl auf ein Tauschgeschäft eingelassen,“ sagte er. „Genau,“ sagte Swann. „Wer ist es?“

„Es handelt sich um diesen Mann.“ Auf dem Bildschirm tauchte ein Personalausweis auf. Er zeigte einen Mann mittleren Alters mit dunklen sich ins Weiße entfärbenden Haaren. „Das ist Ali Nassar. Siebenundfünfzig Jahre alt. Iraner. In Teheran in eine einflussreiche und wohlhabende Familie geboren. Hat erst an der London School of Economics studiert, dann an der Harvard Law School. Zurück in der Heimat hat er einen weiteren Jura-Abschluss an der Universität von Teheran gemacht. Folglich kann er sowohl in den USA als auch in Iran als Rechtsanwalt praktizieren. Er hatte den Großteil seiner Karriere mit internationalen Handelsvereinbarungen zu tun. Er lebt hier in New York und ist momentan iranischer Diplomat bei den Vereinten Nationen. Er hat volle diplomatische Immunität.“

Luke strich sich über das Kinn. Er konnte dort die kurzen Stoppeln spüren. Er fing an müde zu werden. „Nur um das noch einmal klarzustellen. Nassar hat Byrant bezahlt, vermutlich um Zugang zum Krankenhaus zu bekommen und um an Informationen über Sicherheitsmaßnahmen und wie man sie umgeht zu gelangen.“

„Wahrscheinlich war es so, ja.“

„Also führt er höchstwahrscheinlich eine Terrorzelle hier in New York an und fungierte bei dem Diebstahl des hochgefährlichen Materials und dem Mord von vier Menschen als Komplize und die Krönung ist, dass er unter amerikanischem Recht strafrechtlich nicht verfolgt werden kann.“

„So sieht es aus.“

„Okay. Du bist bereits in seinem Konto, richtig? Lass uns nachsehen, wohin er sonst noch Geld überwiesen hat.“

„Dafür werde ich ein bisschen Zeit brauchen.“ „In Ordnung. Ich muss kurz etwas erledigen.“ Luke blickte zu Ed Newsam. Newsams Gesicht war steinhart, seine Augen flach und leer. „Sag mal Ed, hast du Lust mit mir Herrn Ali Nassar einen kleinen Besuch abzustatten?“ Newsam lächelte, konnte die Finsternis seines Gesichts aber auch jetzt nicht überlisten. „Hört sich gut an.“

Kapitel 10

6.20 Uhr

Kongress Wellness Center – Washington, DC

Es war nicht gerade einfach zu finden.

Jeremy Spencer stand vor mehreren verschlossenen Stahltüren in einem Untergeschoss des Rayburn House Bürogebäudes.

Die Türen lagen versteckt in einer Ecke des Parkgebäudes im Untergeschoss. Nur wenige wussten, dass es überhaupt existierte. Noch wenigere wussten, wo es lag. Er kam sich seltsam vor, als er trotzdem an eine der Türen klopfte.

Die Tür summte. Er stieß sie auf und spürte wie sich ein Gefühl altvertrauter Unsicherheit in seinem Magen ausbreitete. Er wusste, dass dieses Fitnessstudio nur Mitglieder des amerikanischen Kongresses vorbehalten war. Dennoch war er trotz dieses verstaubten Protokolls eingeladen worden.

Heute war der wichtigste Tag in seinem jungen Leben. Er lebte seit drei Jahren in Washington und nun ging es endlich bergauf.

Noch vor sieben Jahren war er ein Landei aus dem Norden New Yorks gewesen, das in einer Wohnwagensiedlung lebte. Dann hatte er ein Vollzeitstipendium für die staatliche New Yorker Universität Binghamton bekommen. Doch anstatt abzuschalten und die Freikarte zu genießen, wurde er Präsident der Kampus-Republikaner und Kommentator der Universitätszeitung. Schon bald postete er für Breitbart und Drudge. Nur kurze Zeit darauf wurde er Sonderberichterstatter für das Kapitol.

Das Fitnessstudio war nichts Besonderes. Es gab ein paar Kardiotrainer, Spiegel und einige Hanteln auf einer Ablage. Ein alter Mann in Trainingshose und T-Shirt trug Kopfhörer und lief auf dem Laufband. Jeremy betrat die ruhige Umkleidekabine. Er bog um die Ecke und vor ihm stand der Mann, für den er gekommen war.

Der Mann war groß, Mitte fünfzig und hatte silbernes Haar. Er stand vor einem geöffneten Schließfach, sodass Jeremy ihn im Profil sehen konnte. Sein Rücken war gerade und sein großer Kiefer stand etwas nach vorne. Er trug ein T-Shirt und eine kurze Hose, beides war schweißnass. Seine Schultern, Arme, Beine und Brust, alles war durchtrainiert und definiert. Er sah wie ein Anführer aus.

Der Mann hieß William Ryan, er war Abgeordneter von North Carolina in seiner neunten Amtszeit und zudem Sprecher des Repräsentantenhauses. Jeremy wusste alles über ihn. Er kam aus einer alten wohlhabenden Familie. Ihnen hatten schon vor der Revolution Tabakplantagen gehört. Sein Ur-Ur-Großvater war Senator in der Zeit während und nach dem Sezessionskrieg gewesen. Er hatte als Jahrgangserster seinen Abschluss an der Militärhochschule von South Caroline erworben. Er war charmant und großzügig und er trat mit einem Selbstvertrauen und einer Selbstverständlichkeit auf, dass nur wenige in seiner Partei sich gegen ihn gestellt hätten.

„Herr Abgeordneter, Sir?“

Ryan drehte sich um, sah Jeremy dort stehen und setzte ein strahlendes Lächeln auf. Sein T-Shirt war dunkelblau, mit roten und weißen Lettern. STOLZER AMERIKANER prangte darauf. Er hielt ihm seine Hand entgegen. „Verzeihen Sie“, sagte er. „Ich bin noch etwas durchgeschwitzt.“

„Kein Problem, Sir.“

 

„Okay“, sagte Ryan. „Genug mit dem formalen Sir. Privat kannst du mich Bill nennen. Wenn sich das seltsam anfühlt, kannst du auch bei meiner offiziellen Bezeichnung bleiben. Aber ich will, dass du etwas weißt. Ich habe nach dir im Speziellen gebeten und ich werde dir exklusiv diese Informationen geben. Spätnachmittags werde ich vielleicht eine Pressekonferenz geben. Darüber bin ich mir noch nicht ganz klar. Bis dahin, also im Prinzip den Großteil des Tages, werden meine Gedanken zu der Krise dir vorbehalten sein. Wie fühlt sich das an?“

„Großartig“, sagte Jeremy. „Das ist eine Ehre. Aber warum ich?“

Ryan dämpfte seine Stimme. „Du bist ein guter Kerl. Ich verfolge schon eine Weile deine Artikel. Und ich will dir einen Rat geben. Unter uns gesagt: Nach dem heutigen Tag wirst du kein Kampfhund mehr sein, sondern ein anerkannter Journalist. Ich will, dass du von morgen an Wort für Wort das druckst, was ich vorhabe zu sagen, allerdings etwas, wie soll ich sagen… nuancierter. Newsmax ist eine großartige Sache, aber in spätestens einem Jahr sehe ich dich bei der Washington Post. Wir brauchen dich dort, deshalb wird es genau so kommen. Aber zuerst müssen die Leute sehen, dass du dich zu einem gemäßigten Mainstream Reporter entwickelt hast. Ob das tatsächlich der Fall ist, spielt keine Rolle. Es muss nur so wirken. Weißt du, wovon ich spreche?“

„Ich denke schon“, sagte Jeremy. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Diese Worte waren ebenso aufregend wie erschreckend.

„Wir alle brauchen Vitamin B“, sagte der Sprecher des Repräsentantenhauses. „Auch ich. Also lass uns loslegen.“

Jeremy holte sein Handy heraus. „Aufnahme läuft. Sir, haben Sie von dem ungeheuren Diebstahl radioaktiven Materials heute Nacht in New York City gehört?“

„Das habe ich“, sagte Ryan. „So wie alle Amerikaner mache ich mir größte Sorgen. Meine Berater haben mich heute Morgen um vier mit diesen Nachrichten aus dem Schlaf gerissen. Wir stehen mit den Geheimdiensten in engem Kontakt und wir beobachten die Situation aus nächster Nähe. Wie Sie sicherlich wissen, arbeite ich schon seit längerem an einer Kriegserklärung des Kongresses an den Iran, die der Präsident und seine Partei eisern ablehnen. Wir befinden uns in einer Situation, in der Iran Gebiete unseres Verbündeten Irak besetzt und selbst unser Personal muss die irakische Sicherheitsüberprüfung über sich ergehen lassen, um unsere Botschaft dort zu betreten oder zu verlassen. Ich bezweifle, dass es seit der iranischen Geiselnahme 1979 ähnlich demütigende Ereignisse gegeben hat.“

„Glauben Sie, dass dieser Diebstahl von Iran ausgeht und durchgeführt wurde?“

„Lassen Sie es uns zuallererst beim Namen nennen. Ob eine Bombe in einer U-Bahn-Station hochgeht oder nicht, wir sprechen hier von einer Terrorattacke auf amerikanischem Boden. Wenigstens Wächter des Sicherheitspersonals wurden ermordet und die Großstadt New York befindet sich in einem Zustand der Angst. Zweitens haben wir noch immer nicht genug Informationen, um Genaueres über die Täter sagen zu können. Aber wir wissen, dass das Chaos auf globaler Ebene diese Art von Angriffen begünstigt. Wir müssen wahre Stärke zeigen und wir müssen als Land zusammenstehen, überparteilich, nur so werden wir uns verteidigen können. Ich lade auch den Präsidenten ein sich uns anzuschließen.“

„Was glauben Sie sollte der Präsident tun?“

„Allermindestens muss er den nationalen Notstand ausrufen. Er sollte vorübergehend spezielle Vollmachten ausstellen, die für die Einhaltung der Gesetze sorgen, solange bis wir diese Leute gefunden haben. Diese Vollmachten sollten den Zugang zu Überwachungsmaterial ohne Genehmigung erlauben sowie die Suche und Festnahme an allen Bahnhöfen, Busstationen, Flughäfen, Schulen, öffentlichen Plätzen, Einkaufszentren und anderen Knotenpunkten möglich machen. Außerdem sollte er veranlassen, dass alle anderen Vorräte an radioaktivem Material in den USA sichergestellt werden.“

Jeremy sah die glühende Entschlossenheit in Ryans Augen. Dieser Blick war fast genug, um die Sache auf sich beruhen zu lassen.

„Und schließlich das Wichtigste. Wenn es sich herausstellt, dass die Angreifer tatsächlich aus dem Iran stammen, oder auf dessen Auftrag handeln, dann muss er dem Land entweder den Krieg erklären oder uns den Weg frei machen, dass wir das erledigen können. Wenn es sich hier tatsächlich um einen iranischen Angriff handelt und der Präsident weiterhin Versuche, unser Land und unsere Verbündeten im Nahen Osten zu schützen, blockiert, dann… welche Wahl lässt er mir dann noch? Ich selbst werde mich um ein Amtsenthebungsverfahren bemühen.“

Kapitel 11

6.43 Uhr

Fünfundsechzigste Straße in der Nähe der Park Avenue – Manhattan

Luke und Ed Newsam saßen auf der Rückbank einer der Geländewagen des Spezialeinsatzkommandos. Sie befanden sich gegenüber einer ruhigen von Bäumen gesäumten Straße. Dahinter erstrahlte ein hohes modernes Wohnhaus mit gläsernen Doppeltüren und weißbehandschuhten Türwächtern davor. Gerade hielt einer der Türmänner einer dürren blonden Frau in einem weißen Kostüm, die zusammen mit ihrem Hund kam, die Tür auf. Er hasste diese Art von Gebäuden.

„Wenigstens eine Person in dieser Stadt, die sich nicht um eventuelle Terrorattacken schert“, sagte Luke.

Ed fiel zurück in seinen Sitz. Er schien nur halb wach zu sein. Mit seiner beigen Cargo-Hose und dem weißen T-Shirt, durch das sich seine gemeißelte Brust abzeichnete, seinem Ballonkopf und seinem kurzgeschorenen Bart sah Ed wie der Gegenentwurf eines Polizeibeamten aus. Mit Sicherheit sah er nicht wie jemand aus, der jemals Zugang zu diesem Gebäude erhalten würde.

Luke dachte entnervt an Ali Nassars diplomatische Immunität. Er hoffe, dass Nassar kein großes Problem daraus machen würde. Luke würde keine Geduld haben, mit ihm zu verhandeln.

Lukes Handy klingelte. Er blickte auf den Display und drückte auf Abnehmen. „Trudy“, sagte er. „Wie kann ich dir helfen?“ „Luke wir haben gerade Informationen vom Geheimdienst hereinbekommen“, sagte sie. „Die Leiche, die du und Don im Krankenhaus gefunden haben.“ „Na sag schon.“ „Es handelt sich um den einunddreißigjährigen Ibrahim Abdulraman. Libyer, in Tripolis geboren, aus armem Elternhaus. So gut wie keine Schulausbildung. Ist mit achtzehn der Armee beigetreten. Innerhalb kürzester Zeit wurde er zum Abu Salim Gefängnis delegiert, wo er mehrere Jahre gearbeitet hat. Dort soll es zu Verstößen gegen die Menschenrechte, Folter und Mord von politischen Oppositionellen miteingeschlossen, gekommen sein, in die er wohl verwickelt war. Als im März 2011 das Regime zusammenzubrechen drohte, ist er außer Landes geflohen. Er muss die Zeichen der Zeit richtig gedeutet haben. Ein Jahr später ist er wieder in London aufgetaucht, wo er als Bodyguard für einen jungen Saudi-Prinz gearbeitet hat.“

Lukes Schultern sackten nach unten. „Mmhh. Ein libyscher Henker, der für einen Saudi-Prinz arbeitet? Warum würde so jemand sein Leben bei einem Diebstahl von radioaktivem Material in New York verlieren? Wer war dieser Typ wirklich?“

„Es gibt keine Hinweise auf extremistische Verbindungen und er hatte wohl auch keine starken politischen Einstellungen. Er war kein Elite-Soldat in irgendwelchen militärischen Verbänden, noch hat er irgendwelche Trainingslager besucht. Für mich sieht das nach einem Opportunisten aus, einem Handlanger. Er ist vor zehn Monaten aus London verschwunden.“

„Okay, gib mir nochmal seinen Namen.“ „Ibrahim Abdulraman. Und, Luke? Du solltest noch etwas anderes wissen.“ „Schieß los.“ „Nicht ich habe das herausgefunden. Ich habe die Infos aus dem Hauptraum. Dieser Myerson vom NYPD hat mir die Identifikationsmerkmale vorenthalten und sie haben ihre eigenen Nachforschungen angestellt. Sie haben die Informationen an alle außer uns rausgegeben. Sie versuchen uns auszuschließen.“

Luke schaute zu Ed und verdrehte die Augen. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war ein Hahnenkampf unter den verschiedenen Behörden. „Alles klar, tja…“

„Hör zu, Luke. Ich mache mir um dich ein klein wenig Sorgen. Dir scheinen hier die Freunde wegzurennen und ich bezweifle, dass ein internationales Ereignis das ändern könnte. Warum geben wir die Bankdetails nicht frei und lassen den Verfassungsschutz diesen Anruf machen? Wir könnten uns für die kleine Hacking-Aktion entschuldigen und sagen, dass wir überambitioniert waren. Wenn du jetzt diesen Diplomaten triffst, läufst du Gefahr, letztendlich ohne Rückendeckung dazustehen.“.

„Trudy, ich bin bereits hier.“ „Luke –“ „Trudy, ich lege jetzt auf.“ „Ich versuche nur.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            dir zu helfen“, sagte sie. Nachdem er aufgelegt hatte, schaute er zu Ed. „Fertig?“

Ed bewegte sich kaum. Er deutete auf das Gebäude. „Ich wurde genau dafür geboren.“

*

“Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?”, fragte der Mann als sie das Gebäude betraten.

Ein schillernder Kronleuchter hing von der Decke der Eingangslobby. Rechts standen ein Sofa und einige Designerstühle. Ein langer Empfangstisch, hinter dem ein weiterer Aufpasser stand, zog sich entlang der Wand auf der linken Seite. Er hatte ein Telefon, einen Computer und eine ganze Reihe Bildschirme. Ein kleiner Fernseher zeigte die Nachrichten.

Der Mann schien um die fünfzig zu sein. Seine Augen waren rot und adrig, aber nicht blutunterlaufen. Sein Haar hatte er zurückgekämmt. Er sah aus als wäre er gerade aus der Dusche gestiegen. Luke vermutete, dass er hier schon sehr lange arbeitete und selbst, wenn er die Nacht durchgetrunken hätte, seinen Job im Schlaf bewältigen konnte. Er kannte wahrscheinlich vom Sehen jede einzelne Person, die hier jemals herein- oder herausspaziert war. Und er wusste, dass Luke und Ed nicht hierher gehörten.

„Ali Nassar“, sagte Luke.

Der Mann nahm den Hörer in die Hand. „Herr Nassar. Die Penthouse Suite. Wen soll ich bitte anmelden?“

Wortlos glitt Ed hinter den Empfangstisch und umgriff den Hörer so, dass das andere Ende ihn nur schwer hätte hören können. Ed war groß und stark wie ein Löwe, aber er bewegte sich geschmeidig wie eine Gazelle.

„Wir brauchen keine Anmeldung,“ sagte Luke. Er zeigte dem Wächter seine Polizeimarke. Ed tat das gleiche. „Bundespolizei. Wir müssen Herrn Nassar ein paar Fragen stellen.“

„Ich fürchte, dass dies im Moment nicht möglich sein wird. Herr Nassar empfängt niemanden vor acht Uhr.“

„Warum haben Sie dann versucht ihn anzurufen?“ fragte Newsam.

Luke blickte zu Ed hinüber. Das war eine schnippische Antwort. Ed wirkte nicht so, als wäre er einmal Mitglied eines Debattierclubs gewesen, aber er hätte sich dort sicherlich gut geschlagen.

„Haben Sie die Nachrichten heute gesehen?“ fragte Luke. „Sie haben bestimmt von dem radioaktiven Material gehört, das gestohlen wurde? Wir haben Grund zu der Annahme, dass Herr Nassar etwas darüber weiß.“

Der Mann starrte ins Leere. Luke grinste. Er hatte soeben Nassars weiße Weste beschmutzt. Dieser Wächter war eine wahre Goldgrube. Spätestens morgen würde das gesamte Personal dieses Gebäudes wissen, dass die Polizei hier gewesen war, um Nassar zu seinen Verstrickungen im Terrornetzwerk zu befragen.

„Es tut mir leid, Sir“, fing er an.

„Es muss Ihnen nicht leid tun,“ sagte Luke. „Alles was Sie tun müssen, ist uns Zugang zur Penthouse Suite zu verschaffen. Wenn Sie das nicht tun, muss ich Sie leider wegen Behinderung von polizeilichen Ermittlungen festnehmen lassen und ich werde Sie in Handschellen aus diesem Gebäude führen. Ich bin mir sicher, dass Sie das genauso wenig wollen wie ich. Also geben Sie uns den Schlüssel oder Code oder was auch immer wir brauchen und dann machen Sie mit Ihrer Arbeit weiter. Sollten Sie zudem versuchen,, den Fahrstuhl in irgendeiner Weise zu manipulieren, dann werde ich Sie nicht nur wegen Behinderung von polizeilichen Ermittlungen festnehmen, sondern auch wegen Mittäterschaft in vier Mordfällen und Diebstahls gefährlichen Materials. Der Richter wird eine Kaution von zehn Millionen Dollar veranschlagen und Sie werden auf Rikers Island dahinvegetieren, während Sie in den nächsten zwölf Monaten auf Ihren Prozess warten. Klingt das irgendwie verlockend…“ Luke schaute auf das Namensschild des Mannes.

„John?“

*

„Hättest du ihn wirklich festgenommen?“, fragte Ed.

Der gläserne Fahrstuhl, der in einer Glas-Röhre durch die einzelnen Stockwerke schwebte, befand sich in einer Ecke im Südwesten des Gebäudes. Als sie nach oben fuhren, erhielten sie eine erst atemberaubende dann schwindelerregende Ansicht der Stadt. Ein Blick auf die Riesenhaftigkeit der Stadt wurde freigegeben und sie fanden sich gegenüber des Empire State Buildings und zur Rechten  des Gebäudes der Vereinten Nationen wieder. In der Ferne schimmerten einige Flugzeuge im Landeanflug auf den LaGuardia Flughafen in der Morgensonne.

 

Luke grinste. „Für was hätte ich ihn denn festnehmen sollen?“ Ed gluckste. Der Fahrstuhl fuhr immer höher. „Ich bin echt müde. Ich war gerade dabei ins Bett zu gehen als Don mich anrief.“ „ich weiß“, sagte Luke. „Ich auch.“ Ed schüttelte den Kopf. „Ich habe diese rund um die Uhr Dinger lange nicht gemacht. Ich habe sie nicht vermisst.“ Der Fahrstuhl erreichte das Obergeschoss. Ein warmer Ton kündigte das an und die Türen glitten auseinander. Sie traten in eine große Halle. Der polierte Boden reflektierte das Licht. Direkt vor ihnen in etwa zehn Meter Entfernung standen zwei Männer. Sie waren groß und trugen Anzüge, dunkle Haut, vielleicht Perser, vielleicht anderer Ethnizität. Sie versperrten den Zugang zu einer Flügeltür. Luke war das egal.

„Sieht so aus als hätte unser Wächter bereits durchgerufen.“ Einer der Männer in der Halle winkte mit der Hand. „Nein! Sie müssen wieder runterfahren. Sie können hier nicht rein.“ „Bundespolizei“, sagte Luke. Er und Ed liefen auf die Männer zu. „Nein! Sie haben hier keine Hoheitsgewalt. Wir werden Ihnen keinen Zugang gewähren.“ „Ich vermute mal, dass ich es mir sparen kann, ihnen meine Marke zu zeigen,“ sagte Luke. „Ja“, sagte Ed. „Überflüssig.“ „Auf mein Signal, okay?“ „Klar.“ Luke wartete eine Sekunde. „Los.“ Sie waren anderthalb Meter von den Männern entfernt. Luke erreichte einen der Männer als erster und schlug ihm seine Faust ins Gesicht. Er war überrascht, wie langsam seine Faust sich zu bewegen schien. Der Mann war gute zehn Zentimeter größer als er. Er hatte ein Kreuz so groß wie das eines Greifvogels. Er wehrte den Schlag mit Leichtigkeit ab und griff Lukes Handgelenk. Er war stark und zog Luke zu sich.

Luke holte mit dem Knie in Richtung Leistengegend aus, aber der Mann wehrte auch das mit seinem Bein ab. Der Mann schlang seine Pranke um Lukes Hals. Seine Finger gruben sich wie die Greifer eines Adlers in das empfindliche Fleisch.

Mit seiner linken Hand, die noch frei war, langte Luke ihm in die Augen. Zeigefinder und Mittelfinger in jeweils ein Auge. Es war kein überraschender Zug, aber er war wirkungsvoll. Der Mann ließ von Luke ab und trat einen Schritt zurück. Seine Augen tränten. Er blinzelte und schüttelte den Kopf. Dann grinste er.

Dann tauchte Newsam aus dem Nichts auf, wie ein Geist. Er nahm den Kopf des Mannes in beide Hände und schlug ihn hart gegen die Wand. Die Gewalttätigkeit dieser Geste war enorm. Manche Leute schlugen den Kopf ihres Gegners gegen die Wand. Was Newsam hier versuchte, war mit dem Kopf des Mannes die Wand zu durchbrechen.

Krach! Das Gesicht des Mannes zuckte. Krach! Sein Kiefer stand offen. Krach! Seine Augen verdrehten sich. Luke hob die Hand. „Ed! Okay. Ich glaube das reicht. Er hat genug. Lass ihn los. Diese Wände sehen aus wie Marmor.“ Luke sah zu dem anderen Wächter. Er lag bereits erledigt auf dem Boden, seine Augen waren geschlossen, sein Mund stand offen und sein Kopf lehnte an der Wand. Ed hatte kurzen Prozess mit ihnen gemacht. Luke hatte nicht eine kleine Schramme an ihnen hinterlassen.

Luke zog einige Kabelbinder aus Plastik aus seiner Tasche und kniete sich vor seinen Mann. Er band die Knöchel des Mannes zusammen. Er zurrte sie fest, wie die eines preisgekürten Schweines. Irgendwann würde jemand kommen und ihn davon befreien. Wenn der Moment gekommen war, würde der Mann wahrscheinlich für eine Stunde kein Gefühl in seinen Füßen mehr haben.

Ed tat das gleiche mit seinem Mann. „Du bist ein wenig eingerostet, Luke“, sagte er. „Ich? Nicht doch. Ich soll ja nicht einmal kämpfen. Sie haben mich wegen meines Verstands dazu geholt.“ Er konnte noch immer die Stelle an seinem Hals spüren, an der der Mann ihn zuvor gepackt hatte. Morgen würden sie sich zurückmelden. Ed schüttelte den Kopf. „ Ich war bei der Delta Force, genau wie du. Ich kam zwei Jahre nach dem Stanley Außenposteneinsatz in Nuristan. Damals haben die Leute noch viel davon gesprochen. Wie sie euch dort oben abgesetzt haben und ihr wurdet förmlich überrollt. Am Morgen waren nur noch drei Männer übrig, die kämpften. Du warst einer von diesen, stimmt’s?“

Luke grummelte. „Ich habe keine Ahnung von…“ „Hör mit dem Mist auf“, sagte Ed. „Geheim oder nicht, ich kenn die Geschichte.“ Luke hatte gelernt sein Leben in luftdichten Räumen zu leben. Er sprach nur selten über diesen Zwischenfall. Das schien in einem anderen Leben stattgefunden zu haben, in einer Ecke im Osten Afghanistans so weit entfernt dass dort ein paar Truppen aufzustellen schon viel geheißen hatte. Es war ewig her. Nicht einmal seine Frau wusste davon.

Aber Ed war bei der Delta gewesen, also… na gut.

„Ja“, sagte er. „Ich war dort. Schlechte Geheimdienstinformationen haben uns dorthin verschlagen und es wurde so zu dem schlimmsten Kampf meines Lebens.“ Er deutete auf die zwei Männer auf dem Boden.

„Im Vergleich dazu sieht das hier aus wie eine Folge aus Happy Days. Wir haben damals neun gute Leute verloren. Noch vor Sonnenaufgang ging uns die Munition aus.“ Luke schüttelte den Kopf. „Es wurde ziemlich hässlich. Die meisten unserer Männer waren da schon tot. Und wir drei, die noch lebten… ich weiß nicht, ob wir jemals wirklich zurückkamen. Martinez war hüftabwärts gelähmt. Das Letzte, was ich von Murphy gehört habe, war, dass er obdachlos ist und aus der Veteranen Psychiatrie rein- und rausspaziert.“

„Und du?“ „Ich habe bis heute Alpträume.“ Ed schnürte die Hände seines Mannes zusammen. „Ich kannte einen Typen aus dem Aufräumtrupp, der das Gebiet danach inspizierte. Er sagte, dass sie hundertsiebenundsechzig Leichen auf dem Hügel gefunden hatten, unsere Leute nicht miteingeschlossen. Es hatte einundzwanzig Tote aus Nahkämpfen mit dem Feind innerhalb dieses Parameters gegeben.“

Luke schaute zu ihm. „Warum erzählst du mir das?“

Ed zuckte die Schultern. „Du bist ein klein wenig eingerostet. Kein Ehrverlust das einzugestehen. Und du bist wahrscheinlich nicht auf den Kopf gefallen. Aber du hast auch dieses Kampfgen, genau wie ich.“

Luke lachte schallend. „Okay. Ich bin eingerostet. Aber wieso nur ein klein wenig?“ Er lachte und blickte zu Eds enormer Statur auf.

Ed lachte. Er durchsuchte die Taschen des Mannes auf dem Boden. Nach wenigen Sekunden hatte er gefunden, wonach er gesucht hatte. Die elektronische Karte würde das digitale Schloss, das an der Wand neben der Flügeltür angebracht war, entriegeln.

„Sollen wir rein?“ „Bitte nach dir,“ sagte Ed.