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Melusine: Ein Liebesroman

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa
26. März.

Wäre sie doch da. Ich könnte mit ihr reden. Aber sie ist auf der Jagd mit dem Oberst, schon seit acht Tagen. Und ich verbrenne hier in meinem Kummer. Sie schreibt mir:

„Ich weiß nicht, wie ich Dich anreden soll. Vidl ist so abscheulich, so dumm. Ich glaube Du sagtest einmal, es kommt von Vitus. Aber das ist viel schöner. Dein Wunsch, daß ich von Dir träume, ist in Erfüllung gegangen. Du warst in meinem Zimmer, ich wollte zu Dir, konnte aber nicht gehen, und Du gingst ganz langsam einen Schritt um den andern zurück; es war furchtbar, bis ich mit schrecklichem Herzklopfen aufgewacht bin. Es ist sehr einsam und ich habe recht Sehnsucht nach Dir. Ich kann keine Ruhe finden. Ich wünsche mir nichts, als die Zeit möchte doch bald kömmen, wo wir glücklich und zufrieden beisammen sein können. Ich weiß, es ist ein Unsinn, und doch, ich denke so gerne dran. Wenn Du nur hier sein könntest, ich fürchte mich hier so, die Ruhe ist unheimlich. Ich glaube, das betrübt mich so. Oder es ist die Luft zu weich für meine Nerven.“

Ich kann es nicht glauben. Mein Verdacht, der schon die Form der Gewißheit angenommen hatte, versinkt in Nichts. Ich bin ein lächerlicher Spürhund, weiter nichts. Ich werde aber doch mit Doktor Wendland noch einmal reden. Ich werde ihn bitten, – als Freund – – Der Arzt kann sich täuschen.

1. April.

Sektionen von Kauflustigen kommen um Frau Benders Meublement zu besichtigen. Es wird unwohnlich in diesem Haus. Am 15. April will die Familie schon reisen. Ich begreife nicht, wo die Mittel herkommen sollen.

Die Trauer weicht nicht von mir. Mir ist, wie einem, der ein Urteil erwartet, und ich verharre in Unthätigkeit.

2. April.

Mein Oheim ist in einer hiesigen Privatklinik gestorben und hat mich zum Universalerben eingesetzt. Ich bin reich. Dieser Mann, der sich im Leben nie um mich bekümmert, leert nun all sein Besitztum in meine Taschen, – seltsam. Ich bin erstaunt, wie mich die Änderung meiner Verhältnisse, die glückliche Wendung meines Geschicks verhältnismäßig so kühl läßt. Ich habe den Willen, mich himmelhoch zu freuen, aber das gelingt mir nicht. Nun wird es viel Arbeit geben und viel Ceremonieen.

XV

Vidl Falk hatte sich eine sehr elegante, bereits möblirte Wohnung in der Findlingstraße gemietet. In der vorletzten Nacht, die er noch in der Pension Bender zubrachte, hatte er einen Traum, über welchem er drei Mal erwachte, und der ihn hartnäckig stets wieder in den Schlaf verfolgte. Er träumte, daß er, reich wie er nun war, Mely geheiratet hätte. Und dann bestand der Traum in nichts weiter, als in dem Erblicken ihrer Gestalt. Sie hatte die Augen in stummer Klage auf ihn geheftet, darüber, daß er sie zu Boden geschlagen. Am Tage mußte er lange über den Traum nachdenken. Besonders verwunderte ihn der Umstand, daß er in der ganzen Zeit der Liebe noch nie mit einer Silbe an eine Heirat gedacht hatte. Und jetzt, da es möglich gewesen wäre, wurde er von einer beklemmenden Bangnis ergriffen, wenn er nur an ein Wiedersehen mit ihr dachte.

Frau Bender und Helene nahmen an der glücklichen Veränderung seines Schicksals frohen Anteil. Was Helene anlangt, so betrachtete sie ihn jetzt mit ganz andren Augen. Obwohl noch immer spöttisch, ging eine gewisse Ehrfurcht durch ihr Benehmen, als ob sie die hohe Kunst, durch Erbschaft zu Geld zu gelangen, vollkommen anzuerkennen vermöchte. Frau Bender hoffte, daß der beneidenswerte Emporkömmling ihre schwere Not etwas lindern würde, und sie täuschte sich darin nicht. Nur konnte sie ihr Erstaunen darüber gar nicht beherrschen, daß an Falk selbst so wenig von dem Glück zu bemerken war, das ihm zugestoßen. Die Farbe seines Gesichts war bleich, und um seinen Mund lag stets ein bittrer und verbitterter Zug.

In der Nacht vor seinem Umzug, als schon alles schlief, schlich er in Strümpfen nach Melys Zimmer. Lange stand er in der Finsternis vor dem unberührten Bett und in Gedanken küßte er sie und sandte seinen Kuß in die Ferne. Er zweifelte daran, daß sie ihn hintergangen haben könne, so wie er vordem an ihrer Offenheit gezweifelt hatte. Warum stehe ich eigentlich hier im finstern Zimmer? dachte er. Wie sehr muß die Liebe in meinem Innern brennen, wenn sie mich zu so unvernünftigen Schritten treibt. Aber er konnte sich nicht losreißen von diesem Raum, der einst all sein Glück beherbergt hatte.

Er zündete eine Kerze an und setzte sich an den Tisch. Hier sah er die Gegenstände, die sie im Gebrauch hatte. Ihre Photographie lag da, aber er stellte sie so gegen einen Aufsatz, daß er nur die bedruckte Rückseite sehen konnte. Er legte die schmerzende Stirn auf die Tischplatte und sah lange regungslos auf den Boden, wo die zitternden Schatten der Möbel hin und her huschten. Dann öffnete er den mit Leder überzognen Handschuhkasten und fuhr träumerisch mit den Fingerspitzen über die blaue Atlasfütterung. Obenauf lag ein Paar ganz neuer beigefarbner Glacés. Dann kamen ältere, zerrissne Handschuhe, zwischen denen ein zerknittertes Stück Papier lag. Er nahm es heraus und strich es gleichgültig glatt. Er wollte es schon wieder beiseite legen, in der Meinung, es sei eine Handschuh-Rechnung, als er die ihm bekannte Schrift des Oberst gewahrte. Es war das Fragment eines Briefes und er las:

„… Ich bin ja so verliebt in Dich, daß ich Dir keinen Blick eines andern Mannes vergönne. Vergiß nicht, daß ich mit Dir machen kann, was ich will. Wenn Du Dich widersetzlich zeigst, wenn Du mich in Zorn bringst, laß ich Dich einfach in ein Irrenhaus stecken. Du hast nur an mich zu denken, nur an mich zu glauben. Ich bemerke eine so große Zerstreutheit, einen finstern Unwillen an Dir. Was hilft mir Deine Liebe, wenn nicht Dein Herz dabei ist. Sei gnädig, Mely. Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch sollst Du mein Eigentum sein.“

Mit den Zähnen zerfetzte Falk dies Papier. Dann stieß er einen Schrei aus, der dem eines Gefolterten glich. Plötzlich blutete er an der Lippe, ohne daß er wußte, wie das gekommen war. Er stand auf und ging ans Fenster. Auf seinem Gesicht war kein Ausdruck des Schmerzes zu sehen. Er löschte das Licht und ging. In seinem Zimmer hob er die Hände, wie Einer, der einen Stockhieb abwenden will. „Mein Herz ist ganz kalt,“ sagte er einmal laut und fügte nach langer Pause hinzu: „Alles, was ich sage, ist Unsinn, alles was ich denke.“

Er fürchtete sich, Licht anzuzünden. Aber bald schritt er ächzend umher; denn die Wände schienen auf ihn einzustürzen. „Es ist eine Flut,“ flüsterte er, „eine Flut von Elend.“

Er nahm Mantel und Hut und ging fort, – mitten in der Nacht. Er begriff nichts von dem, was er that, er wußte nicht, wohin er gehen wollte. Die Nacht war kühl und hell. Das Licht des verschleierten Mondes lag überall, und zerrissene Wolkenballen sahen aus den Regenpfützen. In langen Pausen fuhren Windstöße einher.

Eben schlug es zwei Uhr. Falk ging ganz langsam, denn sein heftig schmerzender Kopf erlaubte ihm keine rasche Bewegung.

An der Anlage der neuen Pinakothek saßen zwei Betrunkene. Der eine war jung und hatte ein kleines, rundes Hütchen auf dem Kopf, der andere war alt, mit weißen Bartstoppeln. Der Junge hielt einen dicken Bambusrohrstock krampfhaft in der Achselhöhe fest, der Alte betrachtete fortwährend das Innere einer Tabaksdose. Sie waren so maßlos betrunken, daß sie nicht mehr sprechen konnten. Der Junge sagte zum Alten nur: „Gäck, gäk, gehrump.“ Der Alte aber sprach zum Jungen: „Gock, goch …“ Sie schienen sich aber durch dies bedeutsame Zwiegespräch doch geeinigt zu haben, denn Beide erhoben sich mühsam vom Boden und wankten der nächsten Wirtschaft zu. Falk folgte ihnen und beobachtete mit Interesse, wie sie trotz des ausschweifenden Zickzacks ihrer Bahn dem Ziel doch immer näher kamen. Dann stand er vor dem Gasthaus und sah zu, wie der Alte dem Jungen unter großen Mühsalen dazu verhalf, die vier Steinstufen zu ersteigen. Aber das war erfolglos, denn als er oben war, taumelte er wieder zurück. Nun half der Junge dem Alten, aber es ging nicht besser.

Dies dauerte eine Viertelstunde, bis es den Beiden endlich durch Zufall geglückt war, die Thürklinke zu erhaschen und niederzudrücken. Falk überlegte, ob er ihnen noch weiter folgen sollte. Er hatte das Bedürfnis zu trinken und das nicht etwa an einem Marmortisch und vor blanken, goldgerahmten Wandspiegeln, sondern in diese ganz elende Spelunke zog es ihn hinein. Plötzlich aber kamen die zwei Durstigen mit einer Raschheit, die ihn verblüffte, wieder zum Vorschein und im Handumdrehen hockten sie in der Gosse. Jetzt bemerkte Falk, daß der Jüngere eine Samthose hatte, die er ohne Bedauern dem Kot der Gasse preisgab. Krampfhaft hielt er noch seinen Bambusstock fest, während das Hütchen mit der Hahnenfeder lustig gegen die Barerstraße rollte, wobei die Feder eine Art Windfang bildete.

Falk ging weiter. Er lächelte. Aber dies erschien ihm so sonderbar, daß er die Hand an die Stirn legte und grübelnd stehen blieb.

Wohin will ich? dachte er, und er entschloß sich, am Haus des Oberst Thewalt vorbeizugehen. Unterwegs mußte er wieder an die zwei Betrunkenen denken, die man herausgeworfen hatte, und er lachte laut.

In der Wohnung des Obersts gewahrte er zu seinem Erstaunen Licht. Vier Fenster waren beleuchtet. Offenbar war man heute Abend zurückgekehrt und die Jagdgesellschaft wurde bewirtet. Er stellte sich unter eine Laterne, so daß es um ihn hell war, er selbst jedoch im Schatten des Pfahls stand.

Er sah hinauf. Silhouetten glitten hin und her. Bald nickten sie mit den Köpfen, bald erhoben sie die Hände. Zwei schienen sich zu umarmen und dann wieder voneinanderzugehen. Zwei schienen sich zu streiten und der Eine zählte etwas an den Fingern ab.

 

Er wußte nicht, wie lange er gestanden, als die Hausthüre geöffnet wurde und Mely in Begleitung von drei Herren heraustrat.

„Gnädiges Fräulein erleichtern uns den Heimweg, indem Sie uns das Vergnügen verschaffen, Sie zur Ruhe zu geleiten,“ sagte der eine Herr, der die Stimme eines dicken Kommerzienrats hatte.

„Gnädiges Fräulein, ich kann Sie versichern, – haben heute entzückend Wirtin gespielt,“ sagte ein Zweiter.

„Aber meine Herren, es ist doch viel zu spät für so süße Komplimente,“ hörte Falk das junge Mädchen lustig erwidern.

Im Geiste sah er sie lächeln: gütig, verführerisch, schwermütig, und er dachte: Diese Lippen habe ich geküßt! – Seltsam.

Mit geschlossenen Augen schlenderte er weiter. Es kam, daß ihn der Klang seiner eignen Schritte schmerzte.

XVI

Melys Herz pochte vor Freude, als sie die finstern Treppen zur Benderschen Pension erstieg. Sie dachte nur an Falk, und zum ersten Mal ward sie sich des ganzen Umfangs ihrer Liebe bewußt. Aber schon im Korridor überfiel sie eine heimliche Angst, und sie konnte sich von zudringlichen Ahnungen nicht befreien. Rasch entkleidete sie sich in ihrem Zimmer und schlüpfte in den grauen Schlafrock. Sie sah auf die Uhr: es war halb vier. Aber sie hatte noch kein Bedürfnis zu schlafen. Sie dachte daran, daß er jetzt reich sei, und diese Vorstellung erfüllte sie mehr und mehr mit einem quälenden Schmerz. Weshalb waren seine letzten Briefe so ironisch, grübelte sie; der rätselhafte Ton, den er darin angeschlagen, hat mich völlig unglücklich gemacht.

Sie saß auf dem Bettrand, die Arme rückwärts gestemmt, und ihre Augen erweiterten sich. Ihre Freude verging und ein bitteres, nagendes Gefühl nahm statt dessen in ihrem Herzen Platz. Die schwarze Wolke, die über ihrem Leben hing, war jetzt nahe gekommen, und alles rings herum war finster geworden. Sie begriff nicht, wohin sie gegangen; sie begriff nicht, daß Gott ihr all das Glück der Liebe und der Sehnsucht hatte schenken mögen. Und sie dachte: Gott ist barmherzig; er ist wie ein Vater und hat mir in seiner Güte noch das Herz beseligen wollen. Und Dankbarkeit gegen Gott erfüllte sie. Hier an diesem Fleck hatte sie gesessen vor Monaten – wie lang und inhaltvoll waren diese Monate gewesen! – und sie hatte an den Geliebten gedacht und von ihm geträumt und hatte seine Worte nachgeflüstert: „Haben Sie große Schmerzen? ich kann sie lindern“ … Es war vorbei.

Jetzt sah sie ein zerfetztes Blatt Papier am Boden liegen. Noch ehe sie es aufhob, wußte sie alles, was sich zugetragen hatte, und als sie den Zettel angesehen, wurde sie von so unerträglichem Gram ergriffen, daß sie laut aufschluchzend auf das Bett fiel.

Der Morgen kam und fand sie noch wach. Sie sperrte sich ein bis zum Mittag, dann wurde ihr das Alleinsein entsetzlich. Sie erschien im Wohnzimmer zum Erstaunen von Frau Bender und Helene, die um ihre Ankunft noch nicht wußten. Auch Doktor Brosam war da und das Gespräch lenkte sich bald auf Vidl Falk und den überraschenden Wechsel seines Geschicks. Mely war nicht fähig zu reden, aber sie fühlte wohl die Tendenz dieser Konversation. Sie beobachtete auch, daß Helene und der Doktor von der Erklärung gegenseitiger Liebe nicht mehr weit entfernt waren, und dies machte sie neidisch und verbittert. Jetzt war sie verurteilt, fremdes Glück zu sehen; und wenn sie in das heitere, belebte, strahlende Gesicht Helenes schaute, ward ihre Brust voll von einem niederdrückenden Schmerz.

Der Doktor erzählte, daß Fräulein von Erdmann gänzlich heruntergekommen sei. „Sie treibt jetzt feinere Bettelei,“ sagte er. „Auch bei mir war sie und besang meine Genieaugen. Um sie los zu werden, gab ich ihr ein Goldstück.“

Er hat sich noch nicht abgewöhnt zu prahlen, dachte Mely und sah ihn voll Haß an.

Nachmittags kam ein Brief für sie. Es war ein wirres Schriftstück ohne Unterschrift und lautete:

„Du hast mich betrogen. Also doch. Man hätte mir sagen dürfen, der Himmel stürzt ein, man hätte mir weiß machen können, die Sonne ist ein Aschenhaufen – ich hätte es eher geglaubt. O, was für ein Vieh bin ich. Ich bin ganz krank, daß ich so blind in den Tag hinein voll Vertrauen war. Wer hält das für möglich? Du bist Schuld, wenn ich zu Grund gehe. Ich sehe nichts mehr, ich höre nichts mehr. Meinetwegen geht die Welt unter. Je eher, je lieber. Wer hätte das geglaubt. Ich meine, ich muß verrückt werden.“

Findlingstraße 3b, II.

Am Abend ging sie hin. Sie wurde mehr von einer innern, unerbittlichen Macht getrieben, als daß sie freiwillig diesen Schritt that. Was um sie her auf den Straßen vorging, gewahrte sie nicht. Sie hatte nur Augen um das Unglück zu sehen, von dem sie heimgesucht wurde und das ihr immer größer und größer erschien.

Er öffnete auf ihr Läuten selbst die Korridorthüre. „Ach, ich habe gewußt, daß du kommst,“ murmelte er erbleichend und gab ihr die Hand.

Er führte sie in einen mit dumpfer, schwüler Pracht ausgestatteten Salon. In einer Art von altdeutschem Kamin flackerte das Feuer und der Duft von Tannenharz herrschte. Es brannte noch kein Licht: die züngelnden Flammen allein warfen gespenstige, ruhlose purpurne Lichtflecke in den Raum.

Mely setzte sich ermattet auf das untere Ende einer großen Ottomane. Falk trat zu ihr und zog die beiden langen Nadeln aus ihrem Hut, löste den Knoten des Schleiers, knüpfte das Jacquet auf und legte dann alles beiseite. Sie saß da, die gefalteten Hände in den Schoß gelegt und ließ ihn lautlos gewähren. Furchtsam, mit heißer Liebe und heißer Sehnsucht, sah sie zu ihm auf, bereit, ihm alles hinzugeben, was sie besaß. Aber ihre Gedanken waren nicht mehr traurig und beklommen. Sie dachte: Hier ist es schön wie in einem Schloß. So habe ich mir das Schwarzwaldschloß geträumt … Aber plötzlich übermannte sie wieder die Bitterkeit in ihrer Brust. Ihr war, wie wenn eine starke Faust das Herz zusammenpreßte. Sie beugte sich nieder und legte den Kopf auf die verschränkten Arme.

„Ist es denn wirklich wahr?“ hörte sie jetzt seine Stimme und es fiel ihr auf, daß er so leise sprach und daß seine Stimme gütig klang.

Als sie nicht antwortete, ging er zu ihr und setzte sich neben sie. Er strich mit der Hand über ihr Haar und fragte noch ein Mal. Ein Schluchzen, das ihren Körper zusammenkrümmte, entrang sich ihr. Sie mußte die Kniee an den Leib ziehen, ihre Schultern preßten sich zusammen und dumpfe, ächzende, von dem weichen Stoff der Ottomane gedämpfte Laute wurden hörbar.

„So ist es also wahr? Mely? – Mely?“

„Nein, nein,“ flüsterte sie, und das klang wie aus weiter Ferne.

Er lächelte wie im Traum, verließ den Platz an ihrer Seite und kauerte sich in eine Chaiselongue vor dem Kamin. Er starrte ins Feuer, bis ihm die Augen übergingen. Dann vergrub er den Kopf in die Hände und langsam fiel eine Thräne nach der andern auf den Teppich.

So verging die Zeit.

Dann nahte sich ihm Mely und kniete bei ihm nieder. Sie schlang die Arme um seinen Hals und suchte mit den Lippen seinen Mund. Aber er schob sie weg. Und nur wenige Schritte vor ihm blieb sie dann auf den Knieen liegen. Das Feuer war schon zur Glut geworden. Falk sah in den Kohlen die gestaltgewordenen Träume seiner Vergangenheit. Wiederum stand das lockende Schloß im Schwarzwald da mit seinen Parktannen. Festungsartige Zinken thronten an seinem First und darauf stand ein Wächter und blies das Horn. Dieser Wächter hatte die Gabe, zu weissagen und in die Zukunft zu sehen, ja er sah in ferne Jahrhunderte hinein und erblickte den Fall der Nationen und die Geburt eines neuen Heilands. Er sah die Sterne rollen in ihrer Bahn und die Kometen zu den Tiefen der Unermeßlichkeit ziehen und er lachte über die Kleinheit der menschlichen Schmerzen. Er griff an den Himmel und steckte sich den Sirius als Orden an die Brust und mit den Plejaden spielte er, wie ein Akrobat mit seinen Bällen.

Felsmassen lagen in der Glut und Gemsen sprangen darüber hinweg. Dann erschien plötzlich ein Berggeist in einer Mönchskutte und kündigte den Untergang dieser glühenden Kohlenwelt an.

Es war tiefe, stille Nacht, als Falk den regungslos knieenden Körper des jungen Mädchens vom Boden erhob. Ihre Hände waren eiskalt. „Wie hab ich dich geliebt,“ flüsterte er und streichelte ihre Wangen.

Ihr Haupt fiel auf seine Schulter. Und sie umarmten sich immer fester und dann fanden sich die Lippen zum Kuß. Ein seltsamer Frieden zog in Melys Herz und wie mit einem undurchsichtigen Schleier war all das Vergangene verhängt. Er zog sie zur Ottomane und drückte sie darauf nieder. Dann legte er sich neben sie und schloß sie weinend in die Arme.

In dieser Nacht empfing er von ihr den letzten Zoll der Liebe. Der junge Tag beschien mit seinem blassen Licht die beiden Schläfer, die bisweilen im Schlafe seufzten, wie Kinder, wenn sie lange geweint haben.

Als Mely am Vormittag ging, reichte sie ihm stumm die Hand. Sie sah zu Boden und lächelte verstört. Dies verstörte Lächeln war ihm wohl bekannt aus vergangenen Tagen. „Auf Wiedersehen,“ sagte sie.

Schluß

Aber es gab kein Wiedersehen für sie, das wußten sie Beide. –

In anderthalb Jahren hatte Falk sein Vermögen von zweimalhunderttausend Mark verpraßt. Dann heiratete er die Tochter eines jüdischen Bankiers und gründete sich eine Landpraxis im Osten Bayerns.

Niemals hörte er wieder von Melusine Mirbeth. Und niemals erzählte er von ihr. Langsam erlosch mit den Jahren die Liebe. Und sie wohnte noch in seinem Herzen, als er selten mehr ihrer gedachte. So frißt sich die Flamme noch im Innern eines abgebrannten Gebäudes fort, wenn die Mauern auch schon längst erkaltet sind.

Ob Mely ihrem Leben ein Ende gemacht, ob sie in den wechselvollen Stürmen des Lebens ein heimisches, schützendes Dach gefunden, er wußte es nicht. Aber er suchte es auch nicht zu erfahren. Er glich darin dem Mann, der mit einer langsam heilenden Wunde umhergeht und jede Berührung fürchtet.

Aber ist die Liebe eine Wunde? Oder was ist sie sonst? Wer kann es wissen. Wer kann ermessen, wie tief sie ist, wer kann begreifen, wie sie entsteht? Hier hat Gott eine große Mauer aufgerichtet.

Mancher glaubt, er hätte sich ein stilles Glück am Herd gesichert. Aber der rauhe Wind bläst durch den Schlot und fort ist es.

Juli – Oktober 1895.