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Melusine: Ein Liebesroman

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

„Ach ja, wie dumm war das!“ rief Falk errötend und ärgerlich. „Aber das ist wahr, ich habe mich einmal gefürchtet vor der Liebe. Das glauben Sie nicht?“



Mely wandte sich ab, wie um eine Veränderung in ihren Zügen zu verbergen. „Was haben Sie?“ fragte Falk, zitternd vor Besorgnis, ihr wehe gethan zu haben. „Bitte, sehen Sie mich an!“ Und er ergriff ihre Hand und bedeckte die Finger mit Küssen. Sie seufzte lange, wie Jemand, von dessen Rücken eine gar schwere Last gehoben wird.



„Sagen Sie mir, wie ist das mit dem Oberst?“ fragte Falk. „Das müssen Sie mir genau erzählen. Wollen Sie?“



„Nicht jetzt,“ entgegnete Mely betrübt und enttäuscht. „Was ist da auch zu sagen. Ich hänge von ihm ab, denn ich bin arm. Deshalb muß ich nett und freundlich gegen ihn sein. Ich muß repräsentiren und das Haus in Ordnung halten, – aber jetzt ist ja das alles vorbei. Wir haben uns schon vor der Begegnung neulich ganz zerkriegt. Mehr war es nicht, das dürfen Sie mir glauben.“



„Mehr war es nicht,“ wiederholte Falk sehr langsam. Die Art, wie sie die Aufklärung gab, der Ton, in dem gleichsam die Bitte lag, ihr nicht zu mißtrauen, entfachte seinen Argwohn plötzlich und lebhaft. „Und was wollen Sie jetzt beginnen?“ fragte er.



Mely schwieg. Sie lächelte sonderbar kühl. Weshalb dann diese Furcht vor Jenem? grübelte Falk, gleichsam seinen Argwohn hätschelnd.



Es läutete draußen, und das junge Mädchen fuhr erschrocken zusammen und lauschte regungslos. Bald darauf wurden Stimmen laut: Begrüßungen, staunende Ausrufe des Wiedersehens. „Das sind Lottelotts,“ sagte Mely. „Die Frau ist schrecklich. Sie hat den Wahn, eine geistreiche Frau zu sein und ist, o! so ungebildet. Sie ist klein, dürr und frech: sie schreit beständig, und wenn sie lacht, hört man es bis auf die Straße. O, sie haßt mich. Mich hassen überhaupt alle Menschen. Auch Helene haßt mich.“



Falk beugte sich so weit zu ihr hinüber, daß ihre Wimpern sich fast berührten. Sie blickten sich Auge in Auge, und er stammelte mit dem Mut der Schüchternen: „Du – hast – mich.“ Verwirrt ließ Mely den Kopf sinken. Vor lauter Scham lachte sie, – lautlos. Sie öffnete den Mund, die Zähne schimmerten hindurch, und sie stieß den Atem aus, aber dies Lachen war nicht hörbar. Falk ließ sie nicht aus den Augen. Das that er aus Feigheit vor der Wirkung seiner Worte. Nur einer Bewegung des Halses hätte es bedurft, und er hätte sie küssen können, aber wie ungeheuerlich, wie vermessen erschien ihm jetzt ein solches Beginnen! „Wann werden Sie reden? wann endlich reden?“ flüsterte er völlig unmotivirt. „Wirst du denn immer schweigen?“



Mely war wie gelähmt. Ihr war, als müßte das Gewand über der Brust zerspringen. Wenn es eine Freude gibt, die zugleich die beklemmendste Angst ist, so war es diese. In einem Augenblick übersah sie ihr vergangenes Leben, und sie hatte dabei ein Gefühl wie Jemand, der ermüdet von einer großen Reise nach Hause kommt und rasten kann.



Wiederum läutete es. Beide achteten nicht darauf. Nach kurzer Zeit wurde an der Thür gepocht, und das Dienstmädchen kam herein. „Es ist Jemand da vom Herrn Oberst,“ sagte sie. „Das Fräulein Mirbeth möchte sofort hinüberkommen.“



Nachdem die Magd wieder hinausgegangen war, stand Mely auf und blickte verstört umher. Ist es denn möglich? dachte sie. Freilich, jetzt hat er Angst, mich ganz zu verlieren, da er mich mit einem Andern gesehen. Aber darf ich denn das thun, – hinübergehen? Was nützt es, ich muß. Ich kann ja nicht verhungern. Er kann machen mit mir, was er will. Ich bin arm. So überlegte sie in stummer Qual.



„Sie gehen ja doch nicht hinüber,“ sagte Falk, indem er sie gespannt anblickte.



„Ich muß,“ wiederholte sie laut. „Was nützt es, wenn ich dableibe? Frau Bender kann mich nicht ernähren. Niemand fragt nach mir. Bald komm’ ich wieder, sobald es geht.“ Und sie wollte fort. Aber Falk vertrat ihr behend den Weg. Er schaute sie an, – lange Zeit. Seine Lippen zitterten, als ob er reden wollte. Mely hielt seinem Blick Stand. Sie ließ die Arme schlaff herunterhängen, und eine herzliche, tiefe Betrübnis lag in ihrem Gesicht. Dann nickte sie flüchtig und ging.



Falk warf sich aufs Bett, bedeckte die Augen mit den Händen, und verblieb so fast eine halbe Stunde lang. –



Als er ins Wohnzimmer kam, stellte man ihm Herrn und Frau Lottelott vor. Frau Bender war etwas kühl, doch er bemerkte es nicht. Sehend und doch nicht sehend, ging er umher. Er hörte wohl, daß die Leute um ihn herum sprachen, aber was sie sprachen, verstand er nicht. Eine weiche Rührung hatte ihn überfallen, eine milde, gleichsam opferfreudige Stimmung. Wenn er an die Zukunft dachte, geschah es so: es wird nicht lange währen, dies alles. Flüchtig wird es sein, wie der Winterschnee, gewiß. Aber es ist schön. Es ist ein schöner, schöner Traum.



„Wo ist denn Fräulein Mirbeth heute?“ fragte Frau Lottelott ein wenig schnippisch und rümpfte die Nase. Falk wurde aufmerksam.



„Der Herr Oberst hat sie rufen lassen,“ erwiderte Frau Bender mit einem vielsagenden Blick.



„So, – der Herr Oberst!“ –



Dies kurze Zwiegespräch versetzte Falk in wilde Aufregung. Er sah, wie Herr Lottelott geheimnisvoll grinste und wie sein rotes Biergesicht einen Ausdruck gutmütigen Bedauerns annahm. Die Worte, die gefallen, waren harmlos, aber es lag alles darin, was ihn bedrückte mit schwerer Wucht.



Er setzte sich ans Klavier und spielte: einen Marsch, einen Walzer, eine Schubertsche Sonate … er spielte polternd, ungraziös und viel zu schnell.



XI

Als Mely zurückkam vom Oberst – das war gegen zehn Uhr – fiel Falk zunächst die große Blässe ihres Gesichts auf. Sodann war ihr Blick so unstät, so unsicher flackernd, so verdüstert, wie er es noch nicht an ihr beobachtet hatte. Oder suchte er all das blos und war es in Wahrheit gar nicht vorhanden? Auch verletzte ihn die übertrieben liebenswürdige Art, mit der sie Frau Lottelott anredete, und er sagte sich: das thut sie aus Furcht. Sie fürchtet offenbar die böse Zunge dieser Frau und will sich nun durch Zuvorkommenheit bei ihr einschmeicheln. Es erregte ihn, daß er sie mit solchen Augen beobachtete, die auch den kleinsten Umstand nicht übersahen. Selbst wenn er mit Andern sprach, achtete er nur auf sie. Immerfort hörte er, was sie sprach, und er fühlte es schmerzlich, daß sie sich heute gesucht lustig gab. Sie wollte unbekümmert scheinen und unterhaltend sein. Er hatte das Gefühl, als hätte sie Wein getrunken, um sich zu betäuben. Er witterte etwas Dunkles, etwas Lichtscheues hinter dieser Heuchelei. Oft blickte sie nach ihm, aber er wich ihrem Blick aus und sie, die es bemerkte, schloß dann jedesmal für zwei, drei Sekunden die Augen.



„Was haben Sie denn heute Schönes erlebt, Mely?“ fragte Helene, indem sie sich vor Frau Lottelott den Anschein zu geben versuchte, als stehe sie den Interessen dieser jungen Dame völlig fern.



„Ja, Sie sind so übermütig; das ist man an Ihnen gar nicht gewohnt,“ setzte Frau Bender hinzu, und ein Leuchten aufrichtiger Freude ging über ihre seltsam verschwommenen Züge.



„Bin ich auch!“ antwortete Mely burschikos. Sie lachte. Dies Lachen schien aus ihrem Magen zu kommen. Sie bog sich dabei etwas vor und zog die Schultern in die Höhe. Warum herrscht nun diese feindselige Stimmung zwischen uns? dachte sie im gleichen Augenblick mit Beziehung auf Falk. Wir haben ja noch kein Wort miteinander gesprochen. Das Herz wurde ihr schwer und zitterte gleichsam in ihrer Brust. Wieder schloß sie die Augen und als sie sich von Frau Lottelott beobachtet sah, gähnte sie.



„Sie haben Schlaf, gnädiges Fräulein,“ sagte der Mann der Frau Lottelott – er war in der That sonst nichts – „Sie sehen auch schlecht aus. Ich habe eine vorzügliche Idee für Sie. Wie wäre es, wenn sie Kephirmilch trinken würden?“ Herr Lottelott hatte zwei Schwächen; die eine, daß er das Familienoberhaupt, die andre, daß er den Arzt spielen wollte.



Seine Frau verhöhnte ihn erbarmungslos. Sie liebte es, ihn vor Andern zu blamiren, damit alles Licht auf sie, als auf die kluge Frau eines dummen Mannes falle. Dabei war sie noch wie ein junges Mädchen in ihn verliebt.



Mely lächelte dankbar. „Warum kümmern Sie sich eigentlich um mich?“ fragte sie so traurig, daß Falk erstaunt aufhorchte. Was mochte in ihr vorgegangen sein? Er erschien sich roh und verständnislos, und er machte eine Geste der Selbstverachtung, wobei ihn Helene ironisch anschielte. Ohnmächtig sah er zu, wie sich die Empfindungen in seiner Seele kreuzten, wie sie stritten, wie es aufkochte in seinem Innern und wie es stürmte. Bis zu dieser Stunde hatte er sich treiben lassen von einer ihm verborgenen Macht. Er hatte das süße Bewußtsein, daß er Mely teuer sei, gleichsam nur geduldet in sich, weil es wohlthuend für ihn gewesen war. Nun aber wurde er mit Schrecken gewahr, wie der Gedanke an dies Weib Besitz genommen hatte von seinem ganzen Körper, von seiner ganzen Seele. Nichts Anderes hatte Raum daneben.



Er bekam Kopfschmerz und verließ das Zimmer. Das fortwährende Gelächter der Frau Lottelott that ihm weher als Keulenschläge. Es war kein Lachen, sondern glich einer Folge von schrillen Schreien, einem epileptischen Krampf.



Er ging durch die Küche auf den Balkon und blickte in die besternte Winternacht. Auf der Theresienstraße rollten Pferdebahnwagen.



Er hörte ein Rauschen von Kleidern hinter sich und wandte sich um. Mely war es, die in der finsteren Küche stand und zu ihm hinblickte. Er sah nur einen dunklen Schatten, und auch sie gewahrte nur Umrisse. – ‚Warum bist du eigentlich herausgegangen? Ich konnte es nicht mehr aushalten und mußte dir folgen.‘ – ‚Nur an dich denk ich hier; drinnen bin ich gestört. Dich lieb ich, dich lieb ich.‘ – ‚Ich weiß, daß du mich liebst, und noch tausendmal mehr lieb ich dich: aber sagen kann ich es nicht.‘



So redeten sie zu einander, aber ohne Worte. Es war ein stummes Zwiegespräch in der Finsternis.

 



„Ich finde kein Licht,“ sagte endlich Mely leise und mühsam, als müsse dies Hinträumen nun beendet werden. „Ich möchte ein Glas, um Wasser zu trinken.“



„Kommen Sie, ich will Ihnen meine Kerze geben,“ versetzte Falk ebenfalls leise, wie wenn er ein Geheimnis verriete. Und Mely folgte ihm willig. Er zündete Licht an in seinem Zimmer und schloß dann die Thüre. Sie ließ es geschehen.



„Wann kommst du wieder, wann werden wir wieder allein sein?“ stammelte Falk, wie trunken von diesem Du.



„Nie mehr!“ erwiderte sie heftig.



Bestürzt und unwillig trat er zurück.



„Ach, es ist ja nicht möglich!“ stieß sie jammernd und leidenschaftlich hervor.



„Wenn du nicht kommst – – dann –!“ Er stand an der Thür und breitete die Arme aus, wie um zu verhüten, daß sie ging. In der Rechten hielt er das Licht. Wie groß sind seine Augen und wie leuchten sie, dachte Mely.



„Sehen Sie, Frau Bender hat mir heute Abend schon Vorwürfe gemacht, daß ich so lang allein bei Ihnen war. Ich kann ja nicht und darf es nicht!“



Er blickte sie fassungslos an, und sie flehte: „Bitte, lassen Sie mich hinaus jetzt.“



Falk ließ die Arme sinken und öffnete die Thüre. Finster blickte er zu Boden, und Mely eilte hastig zum Wohnzimmer, wo man lustig plauderte. Ihr Körper war kalt wie Stein, und ihre Wangen glühten wie Kohlen. Sie saß taub unter den Gesprächen der Leute. Sie sah nur immer Falk an, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, und sie sah sein finsteres Gesicht und wie er die Augen nicht erhob vom Boden. Da regte sich Angst in ihr. Sie suchte einen Beschluß zu fassen und einen Ausweg zu finden, und die Unfähigkeit dazu verursachte ihr große Qual. Ich muß mit ihm reden, das ist klar, dachte sie. Alles muß ich ihm sagen, wie mir zu Mut ist. An diesen Gedanken klammerte sie sich mit aller Kraft.



Unter den Lottelotts entstand ein Streit. Sie wollte noch Bier trinken, und er wollte heim. Er schalt sie eine Säuferin, und sie schalt ihn Esel. „Ich weiß, wie du heimgehst,“ sagte sie wütend. „Unterwegs nimmst du alle Wirtshäuser mit, die an der Straße liegen. Sumpf und Stumpfsinn ist dein Vergnügen.“ Lottelott lächelte Frau Bender entschuldigend an und hörte nicht auf, sich mit beschäftigter Miene den Kopf zu kratzen.



Helene beendete den Streit mit der ihr eigenen Entschiedenheit. Sie erbot sich, Bier zu holen, und stand gleich auf, um das Glas in der Küche mitzunehmen. Falk fühlte die Verpflichtung, sie zu begleiten, und folgte stillschweigend. Draußen ließ ihn Helene hochmütig an. „Nun, – Sie bemühen sich gar zu mir herab – o!“ Baß erstaunt thuend, hob sie die Hände. Sie trug ein knallrotes Kleid, das Falk wie abgestimmt erschien zu ihrem ganzen Wesen. Er wußte ihr nicht zu antworten. Für ihn war sie halb Kind, halb Greisin, und nie wußte er sich ihr gegenüber zu benehmen.



Sie hatten schon die Korridorthüre geöffnet, als Mely nachkam. „Ich will mitgehen,“ sagte sie mit müder Stimme. „Es ist mir zu heiß im Zimmer.“ Sie schritt mit Helene die Stufen hinab, und Falk, der seinen Mantel um die Schultern geworfen hatte, tappte mit der Kerze hinterdrein. Aber bald stand Mely still und drückte die Hand aufs Herz. Falk blieb neben ihr stehen, und Helene ging, ohne auf sie zu achten, weiter.



Nur mechanisch hatte Falk Halt gemacht. Er blickte Mely nicht an, sondern sah die Stufen hinab ins Dunkle. Da haschte Mely nach seiner Hand und flüsterte beklommen: „Herr Falk, – sei’n Sie nimmer böse! Ich will kommen. Ich will heute Nacht kommen, wenn alles schläft. Auf einen Augenblick.“ Dann ging sie weiter.



Falk glaubte sie nicht recht verstanden zu haben. Wie ein Träumender kam er im Hausflur an. Ihre Worte hatten einen dumpfen Schrecken in ihm erregt. Das erste, was er dachte, war: sollte ich mich in ihr getäuscht haben? Doch dieser Gedanke verlor sich gleichsam in die Finsternis. Er fühlte etwas in sich zerfließen, etwas Kaltes und Drückendes, das ihm sein Leben schwer gemacht hatte und nüchtern. Wäre er jetzt gezwungen worden, zu reden, er hätte nur zu lallen vermocht. Verwunderung und Scheu und ein beglücktes Nachsinnen erfüllten ihn. Und dann die Furcht, daß sie sich in seiner Achtung geschadet haben könne, oder daß sie ahnungslos wie ein Kind sich einer großen Gefahr hingab.



Helene hatte schon das Thor aufgesperrt, und hüpfte nun über die Straße. Mely stand unterm Thor, und jetzt sah sie Falk an mit einem vollen, funkelnden und fast triumphirenden Blick. Schüchtern begegnete er ihren Augen. Er gewahrte, daß sie zusammenschauerte im Frost, und legte seinen Mantel um ihren Körper. Sie ließ es geschehen, doch sagte sie: „Innerlich ist mir heiß. Eigentlich friert mich gar nicht.“ Ihr Gesicht war sehr bleich. Doch dies Triumphirende und zugleich Verträumte wich nicht von ihren Zügen. Bisweilen huschte ein fast wahnsinniges Lächeln um ihre Lippen. „Ich bin nicht so ruhig, als es scheint,“ sagte sie ein wenig bekümmert und seufzte. Falk nickte. „Ich kenne ein Gedicht von Stauffer-Bern,“ erwiderte er. „Der Mann hat es im Irrsinn geschrieben. Die erste Strophe heißt: Hinter des Kerkers Gitter singt traurig ein Vögelein: O Lieb, wie bist du bitter, o Schatz, wie bist du fein.“



Sie sahen sich an, und Beider Lippen bewegten sich, gleichsam Worte des Glücks suchend. Jetzt kam Helene zurück.



Erst um halb zwölf Uhr gingen die Lottelotts nach Hause. In seinem Zimmer warf sich Falk in den Fauteuil und regte sich nicht mehr. Bald war alles still im Hause. Die nachgelegten Kohlen prasselten im Ofen. Ich könnte jetzt ein bischen lesen, dachte Falk, doch er war unfähig, sich zu erheben. Und er sinnirte: Was hat es auch für einen Zweck, wenn ich jetzt lese? Was kann mich noch interessiren von den Dingen der Welt? Ihm war wie einem Menschen, der am Vorabend einer großen Reise steht, ohne daß er weiß, wohin das Schiff steuern wird. Er dürstete danach, den schwarzen Schleier der Zukunft zu lüften, nur für eine Stunde. Was wird in einer Stunde sein? fragte er sich, und er vermochte sich durchaus nicht vorzustellen, welche Ideen, welche Empfindungen ihn nach Ablauf dieser Zeit beherrschen würden. Wenn nun die Thüre aufging und sie kam herein, mußte da nicht ein neues Zeitalter beginnen –? So dachte er, solche Wichtigkeit besaß dieser Vorgang in seinen Augen. Geheimnisvoll und zugleich schmerzlich war dies. Er glaubte, sein Herz sei versengt. Wer ist sie? grübelte er. Warum hat sie das gesagt? Und sein Argwohn erfüllte ihn mit Zagen und Beklommenheit.



Draußen wurde eine Thüre geöffnet und wieder zugeschlagen. Die Katze miaute. Bald war es wieder still, und es blieb auch still. Aber je länger er wartete, je mehr nahm seine Erregung zu, und er seufzte, gequält von diesem inneren Brand.



Da klirrte die Thürklinke. Die Thüre wurde gar vorsichtig geöffnet, und Mely trat auf den Zehen ein. Vorsichtig schloß sie die Thüre wieder, wandte sich um und schaute sekundenlang wie geblendet ins Licht. Sie war die ganze Zeit hindurch im Finstern gesessen, dachte Falk, und diese Vorstellung erfüllte ihn mit Zärtlichkeit und mit Sorge für sie. All seine trüben Gedanken waren verschwunden, und Freude und Stolz ergriffen ihn. Er wußte nichts zu sagen, als: „Du bist gekommen –“ Und er wollte auf sie zugehen.



Aber sie machte eine heftige und kummervolle Geste mit den Armen und rief flehend aus: „Herr Falk, Sie dürfen nicht du zu mir sagen.“ Rasch eilte sie dem Fauteuil zu und ließ sich darin nieder. Sie drückte die Hände vor das Gesicht und begann zu weinen, – unaufhaltsam.



Falk setzte sich auf die Lehne des Sessels, dicht neben sie. Er schlang seinen Arm um ihren Hals, und er preßte ihren Kopf fest und heftig an seine Brust. Vor tiefer Erschütterung konnte er nicht sprechen, und er ließ sie weinen und fragte nicht warum. Sie löste die Hände von ihren Wangen und preßte das Antlitz ganz und gar an seinen Körper, und der Geruch ihrer Haare berauschte ihn. Und es machte ihn völlig verstört, ihren Leib so nahe neben sich zu wissen, der so warm war, so jung und so schön. Er beugte sich nieder, – tief, so daß seine Lippen bald die ihren berühren konnten, und nun drückte er seinen Mund auf ihren Mund. Ihr Mund war schwellend und so weich wie Sammet, und so heiß wie der Mund eines Fieberkranken. Langsam, den Genuß der Näherung bis zur Neige kostend, geschah dies Aufeinanderdrücken. Und wie angeschmiedet hafteten die Lippen zusammen, und ihre Herzen preßten sich eines dem andern entgegen, und sie wollten die dünne Decke des Körpers zerbrechen in freudiger, glücklicher Qual. Minuten vergingen und reihten sich zu Viertelstunden, aber ihre Lippen trennten sich nicht. Das große Vergessen war gekommen für beide, die lange und einzige Stunde, die den Entgelt bietet für die Leiden des Lebens. Mit geschlossenen Augen küßten sie diesen langen Kuß, und Falk saugte die bitteren Thränen ein, die von ihren Lidern niederflossen.



Warum weint sie? dachte er dann. O, wenn ich das nur wüßte. Was kann der Grund sein? Ist es ein Schuldbewußtsein in ihr? Oder ist es nur, weil jetzt ein liebloses Dasein aufhört für sie? Nein, nein, sie fühlt sich schuldig, das allein ist es! Könnt ich doch lesen in ihrer Seele! Aber sie ist ein Rätsel, ein Geheimnis. Nicht umsonst heißt sie Melusine.



Aber er wollte diese Gedanken ersticken, darum küßte er sie auf die Augenbrauen, in das Haar, auf den Hals, auf die Stirn, auf die Lider, auf die Wangen, küßte ihre Thränen fort und dann wieder auf die Lippen, daß sie sich öffneten wie Kelche und er die Zähne küßte. Als ob sie sich hätte wehren wollen, hielt sie sein Handgelenk fest und bäumte sich bisweilen auf, bevor sie sich seinen Küssen ganz hingab. Dann umarmte sie ihn, und aufschluchzend und immerfort weinend, klammerte sie sich fest an ihn. „Warum weinst du?“ fragte Falk fassungslos. Aber sie schwieg. „Warum weinst du? Warum weinst du?“ drängte er. Sie schüttelte den Kopf und preßte sich wie schutzsuchend an ihn. „Ist es meinetwegen?“ fuhr er zu fragen fort. Sie verneinte. „Deinetwegen? Ist es wegen des Obersts? Ach warum? warum? So sprich doch!“ – „Ach, ich weiß es ja nicht,“ flüsterte sie schmerzlich. – „Liebst du mich denn? Liebst du mich? Sag Schatz, küßt dich der Oberst auch?“ – Sie nickte, und als er sich abwandte, legte sie schüchtern den Arm um seinen Hals und sagte hastig, ihn zu sich herziehend: „Aber nicht so wie wir.“ Und sie lächelte sanft und aufrichtig. Alles hatte sich erfüllt, was sie zusammengeträumt, all das Glück und die bittere Schönheit dieser heimlichen Liebe.



„Küsse mich,“ bat Falk, aber sie schüttelte den Kopf, halb neckend, halb betrübt. Er schloß sie so fest in die Arme, daß sie seufzte, und über eine Stunde lang sprachen sie kein Wort. Sie dachten beide dasselbe: wunderbar und überaus erstaunlich kam ihnen das Geschehene vor, und wenn sie in die Vergangenheit blickten, so erschien alles, was sie erlebt, nur deswegen vorhanden, um sie zusammenzuführen.



Aber immer mehr erwachten Unruhe und Mißtrauen in Falk. Er schaute finster in die abnehmende Kohlenglut; dann erhob er sich und schraubte die Lampe etwas niederer. Ist es denn möglich, daß sie ahnungslos in aller Reinheit zu mir kam? dachte er. Weshalb hat sie dann geweint? Und er stand in tödlicher Furcht vor einer Thatsache, die viele Andre ausgenützt hätten auf jeden Fall und um jeden Preis. Er ging wieder zu ihr und küßte sie bedachtsam und zärtlich. Dann nahm er ihre beiden Hände und blickte sie unverwandt an. Er studirte die Linien ihres Gesichts in diesem bläulichen Dämmerlichte, und er fand Manches daran auszusetzen. Weshalb hat sie diese Falte von den Nasenflügeln aus abwärts? grübelte er. Auch ihre Stirn hat Falten, kaum sichtbar, aber sie sind da. Und diese Züge, im Ganzen ihm so teuer, wurden ihm in ihren Einzelheiten eine Minute lang förmlich verhaßt. So wird es sein, so lange die Welt steht: Haß und Liebe werden nebeneinander einhergehen, eng verschwistert.



Er ließ sich auf die Kniee nieder und spielte ein wenig Komödie. „Immer wirst du bei mir bleiben, ich laß dich gar nimmer fort.“ Und er zog ihren Kopf herab, wo es völlig Nacht war. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie verstand ihn nicht. Er sah sie an: erklärend und forschend. Diesen Blick verstand sie. Schreck und Enttäuschung erfüllten sie plötzlich, und sie vermochte kaum zu reden. „Nein, ach nein,“ preßte sie hervor, außer sich vor Jammer. „Nicht das, – niemals, wenn du mich nicht töten willst.“



Schuldbewußt legte er den Kopf in ihren Schooß. Und Melys Finger krampften sich in seine Haare, immer fester und fester. „Sag, hat der Oberst noch niemals etwas von dir verlangt, was – verstehst du mich denn nicht?“ Mühsam brachte Falk das hervor, und er hob den Kopf nicht dabei. „Nur das Eine sag: hat er es gewollt?“ drängte er und umklammerte ihre Hand.



„Ja, aber ich bin gegangen. Das ist wahr.“



Warum habe ich ‚das ist wahr‘ gesagt? dachte Mely. Atemlos wartete sie auf seine Antwort. Aber er entgegnete lange nichts. Sie blickte verzagt und beschwörend zu ihm nieder, aber er sah sie nicht an, sondern drückte den Kopf tiefer in ihren Schooß. „Schatz, süßer, süßer Schatz,“ stammelte er dumpf und leidenschaftlich. Dann löste er ihre Frisur, indem er die beiden Nadeln in dem griechischen Knoten entfernte, und streifte das lange dunkle Haar über seinen Kopf. Drohend und immer drohender stieg das Bild des Andern vor ihm auf, und alles was sie sagte, diente nur dazu, seinen Argwohn zu schüren. Rätselhaft war sie ihm in allem, was sie sagte, und deshalb stieg seine Liebe zu ihr mit jeder Minute. „Wie still ist die Nacht,“ flüsterte er. „Wirst du je diese Nacht vergessen? Mely sprich, wirst du mich je vergessen? Wirst du nie aufhören, mich zu lieben? Bin ich es auch wirklich allein, den du liebst? Ach, wer hätte das gedacht noch vor kaum zwei Tagen. Und jetzt diese stille Nacht dazu. Sieh, die Lampe flackert nur noch, bald wird sie aus sein, und es wird finster werden. Schau mich an, Schatz, – o, warum wendest du dich denn ab? Fürchtest du dich vor mir?“

 



„Ja –“ hauchte Mely, und sie zitterte vor Erregung. Dies Zittern ging durch ihren ganzen Körper, auch innerlich. Seine Stimme war so weich, so einschmeichelnd, wenn er leise sprach, und es lag eine kindliche Güte darin. Alles war ein wenig phantastisch, was er sagte, aber das gerade, das Märchenhafte beseligte sie, und seine Güte zog sie zu ihm hin. Noch immer war das Scheue und Bewundernde in ihren Blicken, wenn sie ihn ansah, und seine wilden Küsse durchdrangen sie bis ins Mark.



„Was hast du für herrliche Augen,“ begann er nun wieder, und lehnte seine Wange an die ihre. „Sie sind wie Meere. Wenn du so rasch die Lider aufschlägst und verwundert und erschreckt dreinschaust wie ein ganz kleines Kind, – o, das ist herrlich!“



Wenn Jemand, durchnäßt vom Regen, heimkommt und in wärmende Kleider geschlüpft, lächelnd am Herdfeuer sitzt und auf den Sturm horcht, so empfindet er ungefähr das wohlthuende Behagen, das Mely bei diesen fast wehmütig hingesprochenen Worten Falks empfand. Sie fühlte sich klein und förmlich bußbereit; sie mußte die Augen schließen, und in den Minuten, in denen er nicht sprach, suchte sie sich schöner, verheißungsvoller Träume zu entsinnen, um das Märchengleiche dieser Minuten nicht zu verletzen.



„Sieh, jetzt wird das Licht aus sein,“ fuhr er fort, indem er immer leiser sprach, wie eingeschüchtert durch die größere Dunkelheit. „Sag, wirst du nie aufhören, mich zu lieben? Ich will nicht schwören,“ – seine Stimme zitterte – „aber ich lege zwei Finger in deine Herzgrube, das bedeutet mehr, wie schwören: nie, nie will ich aufhören, dich zu lieben.“ Er hatte ihr das Gewand aufgeknöpft, und hatte seine Hand wirklich auf ihre bloße Brust gelegt, in der das Herz hämmerte, wie gejagt.



Trunken starrte Mely in das winzige blaue Flämmchen, das noch übrig war. Dann füllten ihre Augen sich mit Thränen, und sie konnte sich nicht enthalten, zu schluchzen. „Was hast du, Schatz?“ flüsterte er, sie stürmisch umfassend. „Bitte, sag doch blos, was hast du? Antworte, du bringst mich ja zur Verzweiflung.“



Aber sie blieb stumm. Sie vermochte nicht zu reden. Sie empfand selbst, wie seltsam das alles war, wie die dunkle, späte Stunde und das enge Beieinandersein die Gefühle krankhaft verfeinerte und übertrieb. Wie hätte sie ihm sagen können, daß schon der Gedanke an ein Aufhören seiner Liebe sie mit Gram und Beklommenheit erfüllte … Vieles hätte sie ihm noch mitteilen mögen, aber sie fand die Form nicht. Sie konnte es nicht übers Herz bringen, Du zu sagen, trotzdem sie wußte, wie kindisch und blöde diese Scheu war. Sie erwiderte schüchtern seine Küsse, als bäte sie ihn dafür um Verzeihung. Aber in ihm erwachte das dunkle und drückende Bewußtsein, daß in diesem Weib noch ein ganz andres Wesen stecke, als jenes, das sich ihm jetzt hingab mit aller Macht. Dies eine, gegenwärtige, war ein mädchenhaftes, liebevolles Geschöpf, rein und gut und frevellos. Aber das andere war ein gefährliches, wetterwendisches und unberechenbares Wesen, sphinxhaft und unfaßbar. Ganz plötzlich, wie durch Ahnung, wurde er sich dessen bewußt. Aber er küßte sie, und je mehr er sie küßte, desto unersättlicher wurde er. Traumhaft und voll von unbegreiflichem Zauber waren diese Stunden für ihn. Sie sta