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Märgi loetuks
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IV

Ganz ohne Übergang, ganz plötzlich und stürmisch waren Ende April diese warmen Tage gekommen. In allen Gassen roch es nach Frühling und die jungen Blüten wiegten sich bedächtig hin und her und wußten ihr junges Leben noch nicht so recht zu genießen. Der Frühling hat uns überfallen, sagte Frau Agnes Vogelsang und sie lächelte dabei so, als ob von einem guten Freunde gesprochen würde.



Peter, der seit drei Tagen Ferien hatte, fühlte sich froh im Bewußtsein der freien Herrschaft über all die Stunden des Tages. Des Morgens saß er still im Zimmer und las. Er vertiefte sich in die Historien des alten babylonischen Reiches. Ja, diese asiatischen Völker in all ihrem satten Prunk, mit dem Geheimnisvollen und Düstern, das sie umgiebt, lockten ihn sehr. Wenn er die seltsame Geschichte des Sardanapal las, so ergriff ihn jedesmal eine fast dichterische Glut, und er sah die Feuer an den Wänden des Palastes lodern, und er hörte die schmerzlichen Schreie der Frauen, und er sah den König selbst, wie er inmitten seiner Getreuen stand und die Lanze gepackt hielt wie ein echter Held und wie er bleich wurde und wie dann die Flammen kamen und wie der Rauch kam und wie er lächelte und immer lächelte, wenn die andern sich vor Schmerz wanden. So sah er den Sardanapal. Und er erzählte das alles Haushammers Fritz, und sie unternahmen Heldenthaten von ähnlicher Bedeutung, zogen mit Holzschwertern in den Wald hinaus und suchten einsame Burgen und stille Höhlen und wilde Tiere und die Fußstapfen böswilliger Feinde. Und er träumte des Nachts von seltsamen Ländern, wo Blumen waren so groß wie bei uns die Bäume und wo ein ewiger Sonnenbrand herrscht oder eine ewige Dämmerung oder der süße Frieden des Waldes und wo die Menschen gute Augen haben und wo fromme und starke Könige die schönsten Knaben als Pagen in ihren Palast rufen lassen. So ging sein Tag in Träumen hin, und sein Auge suchte in dieser Welt der Zahlen nach Wundern. Und er las auch die Bibel (heimlich las er sie), und ein kühler Schreck erfaßte sein empfindliches Herz vor jenen blutigen Greueln und vor jenen übermenschlichen Gestalten der grauen Vorzeit. Und erst des Abends, wenn er oft mit Barbara am Herdfeuer der Küche saß, wenn die Sphinxe und die Nixen und die Nymphen sich erhoben aus düsteren Verstecken, wenn der Wald in seiner süßen und ziehenden Dunkelheit wie ein lebendiger Mensch erschien, wenn die flackernden Flammen des Herdfeuers als kleine, boshafte Kobolde ein spukhaftes Wesen trieben, wenn Drachen und Lindwürmer mit feurigen Glotzaugen vor dem Sims saßen und durch die Scheiben starrten, wenn jeder Kochtopf sich als ein Zauberwerkzeug und jeder Schemel sich als feige schleichendes Tier entpuppte, dann war das Leben eitel Abenteuer und Furchtbarkeit für Peter und es lockte und rief ihn hinaus auf Haide und Moor und Wald und Thal mit tausend wohlverständlichen Stimmen.



Frau Agnes liebte das alles nicht. Sie liebte die Träumereien nicht und sie liebte die Märchenbücher nicht für den Knaben. In dem melancholischen Ausdruck seiner Augen lagen ohnehin schmerzliche Garantieen die Fülle für sie. Sie wußte, daß er nur mit älteren Knaben verkehrte und daß er gegen jüngere einen gewissen Hochmut zur Schau trug oder eine fast väterliche Nachsicht. Es war ihr ja kein Rätsel, wie dies Düstre, gleichsam Schwerflüssige in das Kind gekommen war. Ihr selbst hatte das Leben nie viel Munterkeit und Glück gegeben, und trüb und finster und plump war diese Stadt. Streng und ernst und geradlinig war das Land. Wenn man draußen stand auf dem Feld und man sah die bleiernen Wolken des Himmels über sich, so mußte man träumen. Man verlor die Energie des Gedankens und mußte träumen. Das Haus da war nicht alt, sonst hätte gewiß nicht jene heimliche Poesie der alten fränkischen Häuser gefehlt, – nein, es war so neu und kahl wie die Fabrikschlöte, die gegen den Anger hinaus lagen. Und viel Werkthätigkeit und Hastigkeit war in allen Straßen der Nähe und spielende, schlecht gekleidete Kinder schrieen und lärmten in allen Höfen.



Doch den Zimmern der Etage hatte Frau Agnes die Züge ihres Wesens aufgedrückt, und jene unauffällige, wohlthuende Harmonie lag darüber, von der Tante Regina meinte, daß man dabei an seine Kindheit denken müsse. Wie fremd und geheiligt erschien Peter stets der halbdunkle Salon mit seinen grünlichen Lichtern, mit dem scheuen Glanz seiner hohen Spiegel! Und wenn seine Mutter mit ihrem ein wenig schleppenden Gang durch die Flucht der Räume schritt und nachdenklich hier eine Decke glättete und dort den Staub von einer Platte wischte, so fühlte selbst der Knabe, wie vieler Enttäuschungen es bedurft hatte, um all ihre Wünsche auf dies winzige Königreich zu beschränken, und ein schmerzlich unbewußtes Begreifenwollen regte sich in ihm.



Heut soll Lizzi kommen, dachte Peter, der am Ofen saß, den Kopf in die Hand und den Ellbogen auf das Knie gestützt. Und er dachte darüber nach, welch ein ernstes und gemessenes Gesicht er machen wollte, wenn er ihr die Hand gab; er wollte sich verbeugen und wollte sagen: Ach, das ist schön, daß du gekommen bist. Nach dem Ach wollte er eine kleine Pause machen.



Von der Küche drangen Bratengerüche herein, und überdies roch es nach Kastaniengemüse. Peter lächelte begehrlich und dann runzelte er die Stirn, in Sorge, daß die Mutter zu wenig davon kochen würde wie neulich. Diese Sorge beunruhigte ihn so sehr, daß er beschloß, in die Küche zu gehen.



Aber als er den Fuß über die Schwelle der Küchenthür setzte, blieb er erschrocken stehen. Frau Agnes saß auf dem Kehrichtfaß, in der einen Hand den langen, hölzernen Kochlöffel, mit dem sie das Mus gerührt hatte, in der andern einen Brief. Sie sah über den Knaben hinweg, geradeaus ins Leere. Ihr Gesicht war fahl und ihre Lippen waren blau. Peter wagte nicht, sich zu rühren, während er lange Zeit mit zuckenden Mundwinkeln dastand und zuschaute, wie langsam stille Thränen über die Wangen seiner Mutter rannen und wie ihr Oberkörper sich vorbeugte und auf das Anricht zu fallen schien. Und dann erhob sie sich rasch und sie schämte sich, vor dem Kind so schwach gewesen zu sein; daher drückte sie das Taschentuch fest gegen die Augen, als sie hinausging.



Peter sann und sann. Doch inmitten der Erregung sah er das Kastaniengemüse schmoren und brodeln und damit das leckere Gericht nicht zu Grunde gehe, nahm er zaghaft den großen Löffel und rührte und rührte, während seine schwärmerischen Blicke gleichsam die Finsternis des Lebens zu durchdringen suchten und ein großes Mitleiden ihn erfaßte gegen ein Unbestimmtes, gegen ein leidendes und trauriges Geschöpf. Doch in seine männlichen Entschlüsse und altklugen Betrachtungen fuhr die fette Stimme der alten Barbara, die ihm den Löffel aus der Hand riß und mit entrüsteten Naturlauten den unbequemen Koch vor die Thüre setzte.



Aber dann lief sie ihm plötzlich nach, nahm ihn auf den Arm und setzte sich auf die Stufen im Flur. Auch sie hatte verweinte Augen, doch sah sie nichtsdestoweniger sehr grimmig aus. Und sie sagte zu Peter, daß sein Vater fort sei und daß sein Vater ein Taugenichts sei und daß sie ihm, Peter, die Rippen entzweischlagen werde, wenn er nicht dazuthue, ein ordentlicher und braver Mensch zu werden, der seiner Mutter eitel Freude bereitet. Und sie schien Lust zu haben, die angedrohte Strafe sogleich zu vollziehen.



Peter begriff nichts von alledem. Was sollte das heißen: der Vater ist fort? Wenn man einmal verheiratet ist, gehört man auch zusammen und dann hat man sich auch lieb. Was konnte der Vater ohne die Mutter anfangen? Wer würde ihm sein Essen kochen? Wer würde ihm die Strümpfe stricken? Peter schüttelte den Kopf und lächelte still und froh in sich hinein. Dann ging er mit übergroßen Schritten im Wohnzimmer auf und ab und dachte an Lizzi, die von all dem keine Ahnung hatte, und er freute sich darauf, sie unterrichten zu können, wie bitter und ernst das Leben ist, und daß die kleinen Kinder ganz wo anders herkommen als vom Storch, und daß es für ihn eine beschlossene Sache sei, Feldmarschall zu werden.



Und sein Blick glitt etwas trotzig zur Mutter hinüber, die am Fenster stand und die Stirn an den eisernen Quer-Riegel gedrückt hatte. Ihre Frisur hatte sich gelöst und das reiche, dunkelblonde Haar fiel wie eine Flut, wie ein Wasserfall bis hernieder auf die Erde und oben in den zitternden Löckchen spielten die Sonnenstrahlen. Und als der Knabe den bitteren und gequälten Ausdruck ihres Gesichts sah, wachte auf einmal eine heiße Begierde in ihm auf, recht schnell groß zu werden, und er fühlte es wie eine Schmach und es demütigte ihn förmlich, daß er noch so klein war und erst neun Jahre alt.



Gleich nach Tisch schlich er davon. Im Korridor hatten die beiden Geschwister aus einer Stiege und drei Stühlen ein Art Karosse erbaut und davor stand ein richtiges Holzpferd. Peter sollte den Kutscher machen wie sonst, doch Peter lächelte verächtlich und sagte: Ich bin überhaupt schon viel zu groß für das Zeugs da. Und er achtete den Protest der Bittsteller für nichts und schritt erhobenen Hauptes weiter. Doch er konnte es nicht unterlassen, trotz des fast männlichen Stolzes, der ihn jetzt erfüllte, rittlings am Stiegengeländer herabzugleiten, so daß er blitzschnell im Hausflur anlangte.



Hinaus gegen den Fronmüllerssteg und unter die Riesenbögen der Eisenbahnbrücke! Dort legte er sich ins warme Gras und blickte hinauf an die Wölbung und träumte von einem Zusammenstoß, wobei viele Menschen umkamen und wo er sich als ein hilfreicher und tapferer Mann zeigen könne. Und dann ging es quer durch die Wiesen zum Waldmannsweiher, wo braun und schwer und düster das Wasser lag. Und das Wasser war tief wie ein Meer und in seinem Grund gab es ungeheure Fische und böse Geister, die der König Salomon in Flaschen eingesperrt hatte. Und ringsherum gab es keinen Vogel und kein Mensch ging vorbei. Und die Bäume hatten dunkelrote Blätter, die ganz unbeweglich an den Zweigen hingen. Drüben rauschte der Fluß und hinauf und hinunter streckte sich die Ebene schier endlos. Die Stille war groß und der Frieden war eindringlich, und es kamen wieder die alten Träume der Macht über Peter, und er sah sich in samtenem Gewand vor dem Lehrer stehen und der zitterte vor Ehrfurcht und fragte: Was begehrt mein hoher Gebieter? Und dann zerfloß diese Fülle von Schönheit und Ruhm und eine weiche zerfließende Wehmut beherrschte dies Kind, und seine Augen blickten verlangend nach der Lösung eines Rätsels, obwohl es doch noch weit von jener Periode entfernt war, wo der jugendliche Geist sich mit schemenhaften Bildern zerquält und befleckt. Aber das Leben selbst erschien ihm als etwas ganz Erstaunliches und Fremdartiges: in seiner Seele schrie es förmlich nach Licht, wenn seine kindliche Phantasie vor jener Schranke Halt machen mußte, an welcher der Storch stand, ein Gegenstand der Verachtung und ehrfurchtgebietend zugleich. Es war auch etwas in ihm, das gleichsam nach Hilfe rief, nach Freundschaft. Es dürstete ihn danach, in die Arme genommen zu werden, in weiche, gute Arme, und daß man ihn dann küßte, auf die Stirn vielleicht oder auf den Mund, und daß man ihm sagte. Du bist brav, Peter, und ich hab’ dich gern und du hast so nette Augen und dein Haar ist so weich. So träumte Peter und seine Frische und die natürliche Kraft seines Wesens waren es, die ihn erschauern ließen, wenn eine schöne Frau seinen Weg kreuzte und wenn sie ihn anlächelte, daß er hätte vergehen mögen, oder daß er hätte weinen mögen in irgend einem süßen Schmerz.

 



Und als er gege