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Märgi loetuks
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»Das verstehst du ja doch nicht!« Peter machte sich würdevoll daran, seinen Rock zuzuknöpfen.

»Bist du mir bös?« fragte die kleine Lizzi und zog verlegen an Peters Haaren. »Komm, sei lustig! Du mußt nicht immer so den Kopf hängen. Wenn du lustig bist, will ich dich auch küssen, – wahrhaftig!«

Und sie näherte ihre Wangen dem Gesicht des Knaben. Und sie sah ihn an mit jener seltsamen Koketterie kleiner Mädchen. Peter preßte die Lippen zusammen und sein Kopf ward ihm wahrlich schwer. Und mit zwei Fingern zog er an der Unterlippe und riß ein Stückchen Haut davon weg. Das alles begriff Lizzi nicht. Nicht, warum er so rot geworden, und auch sein Schweigen nicht. Doch plötzlich, während sie sinnend zum Himmel emporblickte, ergoß sich über ihre Wangen eine Flut von Scham. Sie wandte sich und lief ins Haus. Und Peter schüttelte betrübt den Kopf. Er fühlte sich erbittert und erregt und unzufrieden und wußte nicht warum. Gehässig und feindselig blickte er zu Boden.

V

Und gegen Abend gingen sie zusammen nach Hause, Hand in Hand.

Schon war die Sonne untergegangen und am westlichen Himmel lag die Röte wie ein großer, gleichmäßiger Farbenklex. Der Himmel war wolkenlos; er sah in seiner Klarheit wie poliert aus und die Bäume in den Gärten, die Sträucher und die Hecken waren mit ihrem blauvioletten Kolorit gleichsam hineingraviert in das stählerne Blau des Firmaments. Man sah gar keine eilfertigen Menschen; jeder schien müde zu sein wie nach einem Bad. Man vermochte an gar nichts anderes zu denken als nur daran, wie schön dieser Abend sei.

Und die zwei Kinder trotteten an den Häusermauern entlang. Sie blickten in die Abendröte und ihnen war, als müßten sie immer weitergehen, bis hinein in das Sonnenfeuer, um dort, wer weiß, vielleicht nur zu schlafen. Die Häuser, die mit der Front nach Westen standen, waren unten an der Straße ganz grau, ganz in Dämmerung begraben und nach oben hin wurde es immer heller, so daß der First in fahlem Licht erglänzte. Und den Kindern war es, als stünden da lauter Riesen, Leib an Leib, die mit bleichen Stirnen hinausguckten ins abendliche Land.

Dann standen sie daheim am Flurfenster, das gegen die Höfe hinausführte. Hier war es so ruhig wie zur Mitternachtszeit. Über den Mauern, über den Häusern war der Mond heraufgestiegen, rund und glühend wie eine Riesen-Orange. Man mußte ihn doch greifen können, den Mond. Ob man sich wohl die Hand verbrennen würde, wenn man seine guten Wangen streichelte? Ach sie wollten auf die Straße und auf das Feld hinaus und wollten wandern und wandern, bis sie den Mond erhascht hatten. Und wenn sie müde wurden, kam vielleicht eine Fee und trug sie hin bis zum Mond und die Fee würde ihnen Flügel geben, daß sie immer umherfliegen könnten auf der ganzen Welt.

Um acht Uhr fuhr eine Kutsche am Haus vor. Da brachten sie Frau Agnes. Der Buchhalter und der Reisende führten sie die Treppen herauf und legten sie im Wohnzimmer aufs Sofa. Sie war im Gewölbe ohnmächtig geworden.

Die Dunkelheit, die Nacht war schon hereingebrochen und die Sterne flimmerten am Himmel. Peter saß am Fenster, während Lizzi mit den beiden Kleinen spielte und scherzte. Er lauschte auf die Klänge eines Klaviers, das irgendwo in der Nachbarschaft gespielt wurde. Es war wohl eine klägliche Art Musik das, aber des Knaben Seele zitterte in andächtiger Sehnsucht den Tönen nach. Jede Musik, auch die ärmste, griff gleichsam mit Krallen in sein Gemüt, so daß er es im Innern wie eine Wunde empfand, die man ihm geschlagen. Er dachte dabei an die Mutter, die er liebte und der er niemals zeigen konnte, daß er sie liebte. Ja, weil er sie liebte, mußte er trotzig gegen sie sein und schweigsam und er konnte nur dann das ganze Herz in den Blick legen, mit dem er sie anschaute, wenn sie ihn nicht bemerkte. Es war, als ob ihm jetzt manches Zukünftige sichtbar würde, und seine Brust ward von einer lastenden Bitterkeit erfüllt. Furchtsam, mit weiten Augen sah er ins Ungemessene.

Am andern Tag kam Tante Regina. Mürrisch, mit fast drohendem Gesicht ging sie im Haus umher. Sie war groß und hager. Ihr Gesicht war gänzlich verknöchert, und ihr Mund war eingekniffen, und wenn sie mit Jemandem sprach, so schaute sie ihn ununterbrochen, fast ohne mit den Lidern zu zucken an, so daß es Vielen völlig unmöglich war, zu lügen, wenn sie mit ihr redeten. Wenn der Abend kam, setzte sie sich ans Bett der Schwester und legte ihre Hand auf die Stirn der Kranken, und es lag etwas so Beruhigendes und Liebevolles in dieser Berührung, daß Frau Agnes oft mit einem Lächeln im Gesicht, langsam einschlummerte. Es war beständig dasselbe Lächeln bei ihr; ein Lächeln mit diesen Worten: o ich habe meine Ideale schon lange begraben.

Peter saß lesend im Wohnzimmer, und das Licht der Lampe war durch einen Crepeschirm so sehr gedämpft, daß rings alles in einer warmen, roten Dämmerung lag. Und wenn er die Augen vom Buch erhob, konnte er die Mutter sehen, wie sie in der weißen Nachtjacke auf den weißen Kissen lag. Auch das Gesicht erschien ihm wie ein weißer Fleck, und die blonden Haare erschienen fast schwarz und umrahmten ihren Körper, der bewegungslos hingestreckt war in der Dunkelheit drinnen.

Und dann kam Lizzi hergeschlichen und legte ihren Arm um des Knaben Hals und sie sahen zusammen auf ein Buch nieder, und Peter that so, als ob er weiterläse, während sein Herz in ungestümer Bangnis klopfte. Sie gingen auch wohl an den Nachmittagen zusammen spazieren und spielten Vater und Mutter, wobei Peter gar zu sehr mit Kenntnissen prahlte, während Lizzi das Kleid raffte, als ob die Schleppe den Boden streife und schmutzig würde. Das ärgerte dann den Knaben, und er nannte sie eine Prahlerin und klopfte mit seinem Stock auf die Pflastersteine los. Darauf hielt sich Lizzi die Ohren zu und rief, das könne sie nicht aushalten, der Lärm mache sie »nervös«. »Das hast du von deiner Mutter gehört«, meinte Peter triumphierend wie ein Ethymologe, der einen Wortstamm entdeckt hat; dann begann Lizzi zu heulen, und dies erschütterte nun Peter gar sehr, so daß er um Verzeihung bat und wie ein Hündchen zu Kreuze kroch.

Sie hatten bald keine Geheimnisse mehr, und das Leben war ihnen wie ein großer Blütengarten und die Sonne schien hell, bis sie ahnten, was im Hause vorging und der schwüle Hauch des Unglücks ihre unschuldige Stirn streifte.

Von Tag zu Tag wurde Frau Agnes kränker. Erst war der Doktor jeden zweiten und dritten Tag gekommen, nach einer Woche schon kam er täglich. Und Tag und Nacht saß Tante Regina an ihrem Bett, oder sie sah in der Küche nach, schaffte Ruhe und Ordnung im Haus, und dabei wurde sie immer wortkarger und mürrischer. Zu Ende des Mai wurde nach einem Professor von der Universität telegraphiert. Als Peter dies hörte, berichtete er es atemlos, jedoch ohne Arg, seiner kleinen Kameradin und die beiden freuten sich, einmal einen Professor mit eigenen Augen sehen zu können.

Kein Laut durfte im Haus hörbar werden. Jetzt begann es auch zu regnen, und es regnete unaufhörlich, den ganzen Tag und die ganze Nacht. Da gingen Peter und Lizzi in den Flur, setzten sich ans Fenster und lasen Märchen. Und es war sehr still. Die beiden kleineren Geschwister waren schon gestern zu einer entfernten Verwandten geschafft worden, da sie immer großen Lärm verübten.

»Du, ich möchte eigentlich wissen, wie das ist, wenn man tot ist,« unterbrach plötzlich die kleine Lizzi die Lektüre.

»Da hat man kein Herz und kein Gehirn mehr«, erwiderte Peter. »Ja, eigentlich möcht ich auch wissen, wie das ist,« fügte er nach einer Weile träumerisch hinzu. »Tot .... tot .... was für ein dummes Wort: t, o, t …«

»Was ist mehr: tot oder maustot?« fragte Lizzi. »Du, – glaubst du das vom Himmel und von der Hölle?«

»Von der Hölle, – nein! aber einen Himmel muß es doch geben.«

»Ja, aber die Räuber und die, –?«

Lizzi nagte beklommen an ihrer Unterlippe.

»Ich habe schon einmal geträumt, ich wäre tot,« erzählte Peter, der seiner Kameradin imponieren wollte. »Aber da bin ich wieder aufgewacht. Möchtest du sterben?«

Das Mädchen schüttelte langsam den Kopf, und sie flüsterte geheimnisvoll: »Weißt du, wo der liebe Gott wohnt? Ich weiß es. Neben dem Leichenhaus wohnt er, auf dem alten Kirchhof .... Ja, das ist wahr, das hat meine Freundin gesagt und der hat’s ihr Bruder gesagt.«

»Das ist blöd«, erklärte Peter. »Der liebe Gott hat gar nicht Platz im Leichenhaus und dann kann er ja auch viel schönere Häuser haben, wenn er will.«

»Er will aber nicht.«

»Ach und überhaupt, der liebe Gott wohnt gar nicht auf der Welt. Er wohnt im Firmament, weit, weit, weit draußen überm Meer, wo schon die Mauer ist. Die ist so hoch wie der Himmel. Das hat Barbara gesagt. Die muß es doch wissen, die ist doch schon groß.«

Lizzi zuckte die Achseln und sprang davon. Sie wollte in den Hof, aber sie erinnerte sich des Regens, und so blieb sie auf der Treppe sitzen und legte das Köpfchen zwischen ihre Hände; die Ellbogen auf die Kniee gestützt, sah sie gedankenvoll vor sich nieder. Peter kam und setzte sich zu ihr. Wie mechanisch ergriffen sich beide an den Händen und sie redeten kein Wort zu einander. Es war so dunkel da und so heimlich und man konnte hinabsehen in den Hausflur, und sogar ein Stückchen Straße konnte man sehen. Der Regen plätscherte und plätscherte und rann die Rinnen herab und es war wie ein Traum, daß sie da saßen, dicht eins ans andere geschmiegt, so daß Jedes des Andern Herz klopfen hörte. Und es schien das Haus voll Todesahnungen zu sein und Peter dachte daran, daß Barbara ihm gestern gesagt, wenn in einem Haus jemand sterben muß, dann fliegt drei Tage vorher der Totenvogel um das Dach. Dreimal fliegt er um den First und stößt einen Schrei aus und dann ist er verschwunden. Ihm war, als sehe er die schwarzen Fittige, als fühle er das Rauschen dieser Fittige und sein Gesicht wurde gar bleich bei solcher Vorstellung. Den ganzen Tag über waren schon die Verwandten gekommen und hatten die Mutter besucht und hatten so trübselig dreingeschaut. Kaum daß sie zu sprechen gewagt hatten. Was sollte das alles bedeuten? Er fürchtete sich vor etwas Unbestimmtem und Namenlosem, vor etwas Schrecklichem. Stets sah er den finstern Herrn Professor von der Universität vor sich, den Alle so ehrfürchtig behandelten, und der so vornehm war, daß er gar nicht einmal reden mochte. O, er hätte groß sein mögen, er hätte dies alles durchschauen mögen ..... Ein Hahn krähte und Lizzi lachte und versuchte, das grelle Kikeriki nachzuahmen. Aber Peter legte ihr erschrocken die Hand auf den Mund. Ihm war, als seien sie jetzt in einem Heiligtum und die Stille und der Frieden dürften nicht gestört werden, um keinen Preis. Der Regen und sein Geplätscher, die Dämmerung ringsumher und das alles machte ihn unbeschreiblich traurig. Er hätte gar gern weinen mögen, wenn er sich nicht geschämt hätte vor dem Mädchen. Daher zuckten nur seine Lippen, und er schaute am Stiegengeländer hinab, als ob er da in die Ewigkeit schaute. Und er nickte immer recht ernst, wenn in kurzen Pausen ein großer Tropfen vor dem Hofthor klatschte. Dort hat die Dachrinne ein Loch, dachte er.

 

Dann sagte Lizzi, sie habe Hunger, und Peter, als sei dies eine Bevorzugung, versicherte eilig, auch er habe Hunger. So gingen sie hinauf in die Küche und verlangten von Barbara ein Butterbrot. Die aber zog ihr Taschentuch rasch vom Gesicht und herrschte die Kinder grimmig an. Herzlose Rangen seien sie; jetzt sei keine Zeit, um zu essen; sie sollten sich zum Teufel scheren und wenn noch einmal eins komme, werde sie den Besen nehmen.

Nun wurde auch Lizzi traurig. Müd und gottverlassen wanderten sie im Haus herum, vom Zimmer in den Flur, in den Hof. Niemand kümmerte sich um sie und das Herz ward ihnen plötzlich schwer wie Blei. Peter schlug vor, sie wollten in den Speicher gehen, und das Mädchen folgte willenlos. Es war, wie wenn sie sich ihm jetzt unterwürfe und sich bereit erkläre, ihm in allen Stücken zu gehorchen. So ängstlich war ihr zu Mut.

Ein graues, dämmeriges Licht herrschte im Speicher und eine trockene, schwüle Luft. Hier giebt es Taranteln und Molche, dachte Peter, und er fürchtete sich, laut aufzutreten. Alle Verschläge waren geschlossen, bis auf einen einzigen, der sich ganz hinten, zwischen zwei Kaminen befand. Da hinein gingen die Kinder, und Lizzi breitete eine braune, durchlöcherte Decke, die in einer großen Kiste gelegen, auf dem Boden aus, und beide setzten sich darauf, ganz in den spitzen Winkel zwischen Dach und Boden hinein. Und das Rascheln und Trommeln des Regens auf dem Dach war ganz sonderlich anzuhören, und bald sagte Lizzi, daß sie sich fürchte. Doch Peter stand auf und versuchte, den mutigen Beschützer zu spielen, obwohl auch ihm sehr bang zu Mut war und er es bitter bereute, heraufgegangen zu sein. Er stand jetzt am Dachfensterchen und sah hinaus auf die Stadt, auf das weite, ebene Land. Und der Abend nahte heran und drüben im Westen war der Himmel mit einem tiefdüsterroten Band gesäumt. Kein Geräusch drang bis hier herauf aus dem Gewimmel der Häuser, und die Türme, die emporragten, erschienen ihm fast wie Stengel ohne Blüten. Jetzt begannen hinten am Giebel die Tauben zu gurren, und immer stärker trommelte der Regen auf das Schieferdach und tropfte in die Rinne hinab. Über das kleine Fenster floß das Wasser in Strömen, so daß man den Himmel nicht mehr sehen konnte. Peter wagte sich nicht mehr zu rühren; alles in der Runde war ihm plötzlich unheimlich geworden, und er bat den lieben Gott um Hilfe in dieser Not. Lizzi begann leise zu weinen, da ging er doch hin, um sie zu trösten und er setzte sich wieder zu ihr. Sie schlang ihren Arm um seinen Nacken und legte ihre Wange an die seine. Peter schloß seine Augen, denn auf einmal war es ziemlich dunkel geworden, und er wagte nicht hineinzublicken in diese Dunkelheit, denn da sah er den Tod leibhaftig vor sich stehen. Und dann kam auch der liebe Gott und blickte streng herab auf Peter. Es fiel ihm ein, daß er noch gar nicht seine Schulaufgaben gemacht habe, und wie ein leiser Schauer wurde ihm dunkel bewußt, daß es nicht gut sei, solch ein Träumer zu sein. Er sagte gute Worte zu dem kleinen furchtsamen Mädchen, dessen Körper zitternd an ihm lehnte, und er küßte sie auf den Mund. Dann sagte er, sie wollten jetzt wieder hinunter gehen, er fürchte sich nimmer. Da wischte Lizzi die Thränen von ihren Wangen und folgte ihm, bisweilen einen leisen Schrei ausstoßend, wenn irgend ein ungewohnter Laut hörbar wurde. Kaum war sie unten, so war es für sie, als ob nichts geschehen wäre. Sie forderte Peter auf, mit ihr zu spielen und sie spielten Namen-Erraten. Da stritten sie, welcher Name schöner sei: Regina oder Agnes. Peter behauptete, Tante Regina laute häßlich, aber Tante Agnes, das sei wunderbar, herrlich sei das. Lizzi fand jedoch, daß damit die Ehre ihrer Mutter angegriffen sei und schmollte mit Peter.