Damit Vertrauen im Sprechzimmer gelingt

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Versuchen Sie, derartig wichtige Weichenstellungen für Ihr eigenes Leben in eigener Verantwortung zu treffen! Das ist leicht gesagt. Aber nicht leicht getan, wenn Ihre Gesundheit davon abhängt. Vertrauen Sie darauf: Ein Richtig oder Falsch im rationalen Sinne gibt es dabei letztlich nicht. Ob Sie auf einem guten Weg sind, wird sich erst im Prozess oder in der Rückschau zeigen. Wichtig ist der nächste Schritt. Die Entscheidung, getroffen nach sorgfältiger Abwägung und nicht übereilt, muss sich gut für Sie anfühlen. Dann werden Sie dazu stehen können. Diese Verantwortung zu übernehmen ist auch Ihren Angehörigen oder Freunden gegenüber fair. Es zwingt Ihrem Umfeld nicht eine Rolle auf, die Sie nun einmal selbst übernehmen müssen.

Ralf hat sich dann geschickt vor der Entscheidung gedrückt, indem er mich gefragt hat, was ich in seiner Situation machen würde, wenn ich ihm denn schon zu keiner Option raten wolle. Das ist ein beliebter und irgendwie auch verständlicher Schachzug von vielen Patienten. In meiner Sprechstunde habe ich die Frage nie beantwortet, weil ich wirklich der Überzeugung bin, dass Sie selbst entscheiden müssen. Im Falle meines Bruders habe ich eine Ausnahme gemacht: Ich hätte mich operieren lassen. Und so ist er zum Chirurgen gegangen.

Das Bedürfnis nach Austausch oder nach weiteren Informationen über die Erkrankung, deren Therapie und Prognose kann bei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich sein. Auch wenn es um existenzielle Fragen geht. Robert und Jule, zwei Freunde von mir, sind hierfür ein gutes Beispiel. Beide fieberten der Geburt ihres ersten Kindes entgegen. Es sollte ein Junge werden, Ole. Freude und Anspannung waren nach einer früheren Fehlgeburt groß. Dann war es so weit und Ole kam zur Welt. Allerdings einige Wochen früher als geplant, die unausgereiften Lungen machten Probleme, und so folgten Monate auf der Intensivstation.

Robert hat sich nach dem ersten Gespräch mit der zuständigen Ärztin, in dem klar wurde, dass Oles Überleben zu diesem Zeitpunkt keinesfalls gesichert war, sogleich über fast jedes Detail zu Medikamenten, Impfungen, Normwerten und Apparaten auf einer Intensivstation informiert, während Jule mit dem zufrieden war, was die Ärztin ihr erzählt hat, je weniger, desto besser. Sie war dadurch ruhiger, denn sie kannte nicht jede Komplikation, die eventuell hätte eintreten können. Ob die vielen Informationen Robert geholfen haben, mit der Situation umzugehen, weiß ich nicht. Er erzählte im Interview, dass er sich irgendwann beim Bäcker nervös umdrehte, weil es laut piepte und er in dem Moment dachte, Oles Beatmungsmaschine schlüge Alarm. In Wirklichkeit waren nur die Brötchen im Aufbackofen fertig. Da sei ihm bewusst geworden, dass man sich auch verrückt machen kann, und er habe die Strategie geändert. Er hat nicht mehr allen Eventualitäten nachgespürt und jedes Detail wissen wollen.

Für die betreuende Ärztin war es vermutlich ein ziemlicher Spagat, dafür zu sorgen, dass Jule über Oles Zustand „nur im Bilde“ war, und zugleich Roberts umfassendem Informationsbedürfnis nachzukommen. Es war auch insofern eine spezielle Situation, weil die Ansprechpartner die beiden Elternteile waren und die Kommunikation mit dem eigentlichen Patienten aufgrund seines Alters schlicht nicht möglich war. Mit Ole ist glücklicherweise alles gut gegangen und er stellt inzwischen zusammen mit seiner kleinen Schwester jede Menge Unfug an.

In meiner Praxis habe ich zum Teil ähnlich große Unterschiede in Bezug auf den Bedarf an Informationen erlebt. Das ist vermutlich normal und ich kann mich darauf einstellen. Ich muss allerdings wissen, was Sie wollen. Sie müssen mir also sagen, wenn Sie nur das unbedingt Notwendige zu Erkrankung, Therapie oder Prognose von mir hören wollen. Dass Sie gern viele Details und Erläuterungen von mir hätten, bekomme ich durch Ihre Fragen dagegen schon von alleine mit. Und beides ist in Ordnung, wobei die meisten Patienten irgendetwas zwischen diesen beiden Polen erwarten.

Das ist dann wahrscheinlich doch ähnlich wie in einer Kfz-Werkstatt. Erfahren, was kaputt war und wie lange die neue Kupplung nun hält, wollte Michael schon gern, wenn er sein Auto abholte. Hingegen haben ihn die Details zur Reparatur nicht wirklich interessiert. Eins aber ließ ihn aufhorchen. Der Meister meinte, er solle die Kupplung nicht zu viel schleifen lassen, sonst würde er bald wieder mit dem gleichen Problem dastehen. In den nächsten Tagen hat Michael dann darüber nachgedacht, wie er das mit dem Kuppeln besser hinbekommen könnte. Oder wäre ein Wagen mit Automatikgetriebe die Lösung? Der Meister hatte es drauf. Denn so soll es sein, nicht nur in der Kfz-Werkstatt, sondern auch beim Arzt: Das Gespräch wirkt nach und entfaltet seine Wirkung noch lange, nachdem Sie das Sprechzimmer verlassen haben.

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»Die können nicht verständlich formulieren«

Über das Zuhören, Beobachten und Sprechen

Im Gespräch stolperst du ständig über Wörter. Die kannst du gar nicht wiederholen. Wenn ich nun schon den Inhalt nicht verstanden habe, ist es wirklich schwierig, überhaupt nachzufragen. Außerdem bleibst du dann gedanklich hängen, weil du irgendwie versuchst, Sinn in die Sätze zu bekommen. Dabei redet der Arzt einfach immer weiter. Das ist so, als wenn du versuchst, noch den Fahrplan zu lesen, aber der Busfahrer macht die Türen schon zu und fährt los. Da brauchst du dann eigentlich gar kein Gespräch zu führen. Das ist ein riesiges Defizit bei einigen Ärzten. Die können nicht verständlich formulieren. Eine Freundin von mir ist Urologin. Die haben wir dann immer zu den Terminen mitgenommen, als Übersetzerin. Aber das ist ja kein Zustand.

Seit einigen Monaten bereits begleitete Silke ihre beste Freundin Katharina zu den Terminen bei der Gynäkologin. Katharina versuchte gerade, nach einem Rückfall ihrer Brustkrebserkrankung, die Kraft zwischen Chemotherapie, Bestrahlung und ihrer heranwachsenden Tochter aufzuteilen. Jemanden wie Silke jetzt an ihrer Seite zu haben entlastete sie sehr. Doch aus deren Beschreibung spricht Verdruss.

Kennen Sie das Gefühl? Ihre Ärztin versucht, die aktuellen Befunde und die nächsten Therapieschritte zu erklären, aber Sie verstehen sie nicht. Dabei sind Sie gar nicht aufgeregt und Ihr Gehör funktioniert auch einwandfrei. Nur diese Wörter, die haben Sie noch nie gehört. An Ihre Ohren dringt unverständliches Zeug. Wenn dann noch zu schnell gesprochen oder vage und mehrdeutig formuliert wird, sind Sie verloren. Und die Ärztin? Die merkt gar nicht, dass sie Sie völlig abgehängt hat. Sie redet in ihrer rätselhaften Sprache, die Ihnen wie eine hochgeklappte Zugbrücke vorkommt. Sie kommen nicht über den Wassergraben, der die Burg umgibt. Sie müssen draußen bleiben.

Hier läuft offenbar etwas schief. Eine Mischung bekannter, alltäglicher Wörter, vermengt mit Fetzen aus dem Altgriechischen und reichlich Latein. Aber wer kann denn heute noch Ciceros Texte im Original lesen? Das ist wohl eher den wenigen vorbehalten, die sich im Rahmen ihres Theologie- oder Philosophiestudiums auch mal historische Quellen erschließen müssen. Immerhin haben zwischen sieben und acht Prozent der Schülerinnen und Schüler in Deutschland irgendwann in ihrer Schulkarriere einmal Berührung mit einer toten Sprache gehabt. Im Schuljahr 2016/2017 waren das ca. 600.000 Lernende. Nützt denen das in ihrem Leben etwas? Auch wenn die Tendenz seit Jahren fallend ist, fand ich den Prozentsatz erstaunlich hoch. Der Soziologe Jürgen Gerhards von der Freien Universität Berlin sieht diese Zahl in einem gesellschaftlich tief verankerten positiven Image der lateinischen Sprache begründet. Er fand in seinen Studien allerdings keine Bestätigung dafür, dass, wer Latein lernt, auch logischer denkt oder ein besseres Sprachverständnis entwickelt. In vielen Fällen sei diese Zeit fehlinvestiert und man hätte sie besser für Spanisch oder Französisch genutzt. Latein ist eine museale, nicht alltagstaugliche Sprache.

Und, was Sie möglicherweise überrascht: Auch die wenigsten Ärztinnen und Ärzte sprechen wirklich Latein. Entgegen der allgemeinen Vermutung benötigt man für das Medizinstudium kein großes Latinum, also einen Nachweis über die Kenntnis der lateinischen Sprache. Vielmehr gibt es am Beginn des Studiums den verpflichtenden Kurs „medizinische Terminologie“, in dem angehenden Ärzten die wichtigsten und gängigsten medizinischen Redewendungen vermittelt werden. Hier liegt der Ursprung dieser lateinisch-griechischen Mischung, die wir Mediziner ständig im Munde führen. Das ist ein Kurs für Medizinstudenten und eben nicht für jedermann. Wir müssen uns also sprachlich auf Sie, die Patienten, einstellen, daran führt kein Weg vorbei. Die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Ursula Lehr hat es meiner Meinung nach gut getroffen: „Der alte Arzt spricht Latein, der junge Arzt spricht Englisch, der gute Arzt spricht die Sprache des Patienten.“ Und wenn wir Ihre Sprache nicht sprechen, fordern Sie es bitte ein!

Silkes Idee, eine befreundete Ärztin als Übersetzerin mitzubringen, ist pragmatisch, aber für die wenigsten durchführbar. Mein Vorschlag wäre einfacher: Signalisieren Sie dem Arzt, dass Sie nicht folgen können. Notfalls unterbrechen Sie seinen Redefluss, höflich, aber bestimmt. Oder Sie geben ihm ein unmissverständliches Handzeichen, damit er eine Pause macht. Wie beim Zahnarzt, wenn es weh tut. Bleiben Sie hartnäckig und stoppen Sie ihn gegebenenfalls erneut, wenn auch der zweite Versuch seiner Erklärung kompliziert und unverständlich für Sie ist. Trauen Sie sich, Fragen zu stellen. Der Arzt muss begreifen, dass Sie ihn nicht verstehen. Er steht in der Pflicht, sich auf Sie einzustellen, und nicht umgekehrt.

 

Das entlässt Sie allerdings nicht aus der Verantwortung, sich zentrale Begriffe, Eckpunkte der Therapie oder wichtige Abläufe in der Praxis, die Ihnen verständlich erklärt wurden, auch aktiv zu merken und zu eigen zu machen. Dass Sie beispielsweise größere Menschenansammlungen wie Kinos oder Konzerte wegen einer erhöhten Infektionsgefahr besser meiden, solange Ihre weißen Blutzellen unter einer laufenden Chemotherapie stark vermindert sind, also eine sogenannte Leukopenie vorliegt, wird Ihnen der behandelnde Arzt am Anfang ausführlich erklären. Erwähnt er dann im weiteren Verlauf eine solche Leukopenie, sollten Sie eigentlich wissen, wie Sie sich zu verhalten haben.

Die Arztsprache ist Fluch und Segen zugleich. Symptome werden sehr präzise beschrieben, genauso wie einzelne Phasen und charakteristische Merkmale einer Erkrankung oder Therapieabläufe. Die verwendeten Begriffe sind kompakt und meist so eindeutig, dass andere Ärzte sie ohne aufwendige Erklärungen sofort verstehen. Als ich meine Weiterbildungszeit zum Facharzt für Innere Medizin absolvierte, berichtete uns die Stationsärztin bei der morgendlichen Visite auf der Pneumologie, der Fachstation für Lungenerkrankungen, dass bei dem neu aufgenommenen Patienten eine karnifizierende Pneumonie vorlege. Die älteren Kolleginnen nickten, aber ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete, und musste nachfragen. Die Stationsärztin erklärte mir, dass es sich hierbei nicht um eine akute Entzündung der Lunge, sondern um eine chronische Verlaufsform handelt, bei der Entzündungszellen nicht einfach abgeräumt, sondern in ein charakteristisches Ersatzgewebe umgewandelt werden, aus dem später unweigerlich eine Narbe entsteht. Es liegt also eine schwerwiegende Entzündung der Lunge vor, die nicht wieder vollständig ausheilt, sondern mit bleibenden Beeinträchtigungen verbunden ist. Alle diese Informationen waren in den zwei Wörtern karnifizierende Pneumonie, die ich nun ebenfalls in meinen Wortschatz aufgenommen hatte, enthalten.

Manche Patienten sehen in der für sie unverständlichen Sprache eine Art Nachweis ärztlichen Expertentums. Das kann sogar Heilkräfte mobilisieren. Denn das Vertrauen in die Kompetenz des Arztes, die subjektive Überzeugung, dass er über das notwendige Wissen verfügt, ist für den Heilungserfolg wichtig. Misstrauen dagegen führt nicht zu einer Heilungsperspektive. Insofern kann die Fachsprache den Arzt in seiner Funktion als Heiler unterstützen, glaubt der Allgemeinmediziner Norbert Donner-Banzhoff. Nach seiner Auffassung ist dies seine ursprüngliche Aufgabe, und sie spielt in gewisser Weise auch heute noch eine Rolle. Lateinische Formeln dürfen aber den modernen Funktionen eines Arztes – als Vermittler, Detektiv und Begleiter – nicht im Weg stehen.

Weil diese Sprache für uns so enorm effizient ist, benutzen wir Ärzte sie gern. Im Gespräch mit Ihnen, den Patientinnen und Patienten, laufen dieselben Worte dagegen oft ins Leere. Unsere Sprache kommt bei Ihnen nicht an, das heißt, hier ist sie ganz und gar nicht effizient. In einer Untersuchung der Universität des Saarlandes hatte fast die Hälfte der Patienten nicht komplett verstanden, was die Ärztin oder der Arzt ihnen bei ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus mitteilen wollte. Diese Zahlen sind besorgniserregend – auch wenn sicher die Wortwahl der Ärzte nicht der einzige Grund für dieses enttäuschende Ergebnis ist.

Grundlegend anders verhält es sich beim Entlassungsbrief, der Ihnen am Ende eines Krankenhausaufenthaltes ausgehändigt wird. Hier handelt es sich um einen Baustein der medizinischen Dokumentation. Es geht darum, fachliche Informationen, zum Beispiel für eine Mitbehandlung, weiterzugeben. Dieser Brief ist an Kollegen, also ebenfalls an Ärzte, gerichtet und daher weder in laienverständlicher Sprache verfasst noch werden die in ihm enthaltenen Fachwörter erklärt. Möchten Sie genauer verstehen, worüber sich die Kollegen untereinander austauschen, sprechen Sie am besten Ihre Ärztin oder Ihren Arzt an. Gibt es hierzu keine baldige Gelegenheit, bleibt eine zweite Möglichkeit: Im Internet finden sich kostenlose Angebote für eine Übersetzung Ihres Arztbriefes in leicht verständliche Sprache. Hierdurch können möglicherweise nicht alle Ihre Fragen beantwortet werden, aber es kann ein erster Schritt sein, bis sich die Zeit für ein Gespräch mit Ihrem Arzt ergibt.

Noch gravierender als die Tücken der Fachsprache sind zweifellos Barrieren zwischen verschiedenen Muttersprachen, die einen klassischen Übersetzer erfordern. Fehlt dieser, kommt bei den Patienten und Angehörigen nur ein Bruchteil dessen an, was vermittelt werden soll. Andrea Staniszewski, die als Beraterin bei der Deutschen Stiftung Patientenschutz arbeitet, berichtet von Hilflosigkeit und Frustration bei Patienten, wenn der Doktor die eigene Sprache nicht spricht. Verzweifelte Patienten würden sich an Schwestern und Pfleger wenden und diese bitten zu übersetzen. Dies ist genauso wenig hinnehmbar wie eine befreundete Ärztin als Übersetzerin mitbringen zu müssen.

Immerhin hat die Ärzteschaft, die auf ausländische Fachkräfte angewiesen ist, das Problem erkannt, bietet kostenloses Kommunikationstraining an und intensiviert die Sprachprüfungen für die Mediziner. Sowohl bei Patienten als auch bei Ärzten steige die Zufriedenheit durch die Sprachkurse, berichtet Georgios Godolias vom St. Anna Hospital in Herne. Das Resümee zu einer verschärften Sprachprüfung der Bayerischen Ärztekammer fällt ebenso positiv aus. Das sind nur zwei Beispiele, die zwar in die richtige Richtung weisen, aber nicht darüber hinwegtäuschen können, dass es immer wieder auch deshalb zu Problemen kommt, weil der behandelnde Arzt die Muttersprache des Patienten nicht spricht.

Nach meiner eigenen Erfahrung sind Situationen, in denen die Beteiligten nicht dieselbe Muttersprache sprechen, auch wenn ein Übersetzer dabei ist, häufig mit großen Verlusten in der Kommunikation verbunden. Ich kann die Mimik und Gestik der Patientin nicht richtig deuten, weil sie auf Worte des Übersetzers reagiert, den ich aber wiederum nicht verstehe. Zudem besteht die Gefahr, dass bereits der Übersetzer das Gesagte anders begreift, als ich es gemeint habe. Da hat dann die Patientin wie bei dem Spiel Stille Post am Ende der Kette kaum eine Chance, Diagnose und Therapievorschlag richtig zu verstehen. Die Situation ist zugegebenermaßen schwierig. Betroffene Patienten werden ja nicht immer eine Alternative finden, eine Ärztin oder einen Arzt, die ihre Muttersprache sprechen. Ich würde in einer solchen Lage eine Freundin oder einen Bekannten bitten, mir wichtige Informationen zu übersetzen oder mich zum Arzt zu begleiten. Das ist eine Art Minimalkonsens. Wenn das nicht gelingt und es die Krankheitssituation zulässt, würde ich mich tatsächlich nach einem anderen Arzt umschauen, der meine Sprache spricht.

Selbst in dem typischen Fall, dass ich die gleiche Sprache wie meine Patientin spreche, muss ich es als Arzt bewusst üben, den Schalter umzulegen und im Austausch mit ihr oder den Angehörigen in eine allgemein gut verständliche Sprache zu wechseln. Das mag erst einmal eigenartig klingen, aber ich benutze die Wörter der Arztsprache jeden Tag ganz selbstverständlich. Es ist wie Fahrradfahren. Da denke ich auch nicht darüber nach, die Pedale zu treten und das Gleichgewicht zu halten. Das passiert einfach von selbst. Will ich es aber meinem Patenkind, also jemandem, der davon noch nichts versteht, beibringen, funktioniert es nur mit Konzentration. Ich merke ganz schnell, dass es nicht einfach ist, einer anderen Person etwas, das ich ständig tue, zu erklären, ohne darüber bewusst nachzudenken. Lehrer beispielsweise sind darin geschult, eindeutige, verständliche Worte für die in einer solchen Situation notwendige Erläuterung zu finden. Ärzte bekommen pädagogische Fertigkeiten nur in Ansätzen vermittelt. Deshalb hängt, wenn es ums Erklären geht, vieles von den gegebenen Fähigkeiten der jeweiligen Ärztin beziehungsweise des jeweiligen Arztes ab.

Bei meinem Patenkind weiß ich natürlich, dass es noch nicht selbstständig Fahrrad fahren kann, und gehe entsprechend an die Sache heran. Dass Sie mich im Sprechzimmer nicht verstehen und ich mich anders ausdrücken muss, weiß ich hingegen erst, wenn Sie es mir klarmachen. Im Idealfall habe ich, weil mir Ihr Stirnrunzeln aufgefallen ist, schon selbst nachgefragt. Ansonsten benötige ich irgendein Signal von Ihnen. Ob Sie mich dazu unterbrechen oder mir einen fragenden Blick zuwerfen, ist dabei letztlich egal. Ich muss meine Sprachgewohnheiten durchbrechen und mich konzentrieren, wenn ich Ihnen einen Therapieverlauf verständlich erklären oder einen Befund einordnen will: Ich rede hier mit einer Patientin und deren Angehörigen und nicht mit einem Kollegen. Dass meine Kollegen und ich uns dies nicht häufig genug bewusst machen, lassen auch die genannten Zahlen aus dem Saarland vermuten. Besonders verwirrend wird es, wenn wir fachspezifische und allgemein geläufige Wörter vermischen.

Zu Beginn der Corona-Krise waren die Talkshows voll mit Virologen, Notfallmedizinern, Krankenhauschefs usw. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass es eigentlich Ärzte sind, die das Land regieren. Auffallend war, dass in einigen Runden die Journalistinnen immer wieder einhaken mussten, um das Gesagte für die Zuschauer zu übersetzen – so wie die befreundete Urologin in Silkes Schilderungen. Ich erinnere mich an eine Sendung von Anne Will in der ARD zu diesem Thema, bei der die eingeladene Expertin, eine Professorin für Infektiologie, bei jedem zweiten oder dritten Satz von der Gastgeberin unterbrochen wurde. Frau Will war fortlaufend damit beschäftigt, nachzufragen, um Erläuterung zu bitten oder einfach selbst Fachbegriffe in eine für die Zuschauer verständliche Form zu übersetzen. Ich war drauf und dran, in ein anderes Programm zu schalten. Wie sehr uns Ärzten die eigene Art zu reden in Fleisch und Blut übergegangen ist, musste ich dabei selbst feststellen. Denn erst durch die vielen Unterbrechungen von Frau Will, die mich nervten, wurde mir bewusst, dass sich die Professorin nicht allgemein verständlich ausdrückte. Das war mir vorher einfach nicht aufgefallen.

Nun hilft es Ihnen natürlich wenig, wenn Sie besser verstehen, dass die Ärzte mit ihrer eigenen Sprache viele Dinge direkt und präzise kommunizieren können und sie deshalb so gern benutzen. Denn Sie haben diese Sprache ja nicht gelernt. Sie haben auch keinen Kurs für medizinische Terminologie besucht. Silke hat es eingangs erwähnt: Ein Besuch beim Arzt ist sinnlos, wenn man nicht versteht, was er sagt. Dass man ins Sprechzimmer einen eigenen „Übersetzer“ mitbringen muss, ist absurd. Irgendwann wechselt man besser auf einen anderen Kanal und sucht sich einen neuen Arzt.

Die grundlegende Aufgabe eines jeden Arztes, Ihnen Sachverhalte klar und verständlich nahezubringen, können Sie ihm nicht abnehmen. Aber Sie können ihm sagen, dass Sie ihn nicht verstehen. Aus meiner Sicht ist es entscheidend, dass Sie in diesem Moment aktiv werden, über Ihren Schatten springen und sich trauen nachzufragen. Die allermeisten Ärzte haben es sich in ihrer Ruhe behaglich eingerichtet und benutzen unreflektiert die vertraute Arztsprache. Rütteln Sie sie wach! Holen Sie den Arzt aus seiner Gewohnheit, und in vielen Fällen wird er sich mehr konzentrieren und bewusst auf Sie einstellen.

Wenn es richtig gut läuft, wird Ihr Arzt beziehungsweise Ihre Ärztin Ihnen nicht nur etwas erzählen, sondern Sie auch fragen, um festzustellen, ob Sie das Gesagte verstanden haben. Vielleicht werden Sie gebeten, es mit eigenen Worten zu wiederholen. Diese Erwartung würde ich nicht bei jeder Begegnung im Sprechzimmer haben. Das wäre bei dem heutigen Zeitdruck, dem die meisten Ärztinnen und Ärzte ausgesetzt sind, nicht realistisch. Wenn es aber um entscheidende Aspekte einer Therapie, um die Prognose der Erkrankung oder eine wichtige Weichenstellung geht, dann sollte es so laufen. In diesen Fällen ist die Erfahrung eines Gesprächs auf Augenhöhe entscheidend, bei dem Sie Fragen gemeinsam mit Ihrer Ärztin so klären können, dass Sie den Sachverhalt tatsächlich begreifen. Wären Silke und Katharina einer solchen Ärztin begegnet, wäre es ihnen gar nicht erst in den Sinn gekommen, die befreundete Urologin zur Übersetzung mitzubringen.

Werden Sie gebeten, mit eigenen Worten noch einmal zu wiederholen, was Sie gehört haben, dann nutzen Sie dieses Angebot. Sie sind nicht in der Schule; es gibt keine Noten, sondern Sie und Ihre Ärztin können sich dabei vergewissern, dass wirklich rübergekommen ist, worum es geht. Oft tauchen dabei noch Fragen oder Widersprüche auf, die man dann gleich klären kann. Denken Sie an die klassische Szene in vielen Kriminalgeschichten, in der ein Anwalt den Zeugen bittet, seine Version der Geschichte zu erzählen. In dem Weltbeststeller Wer die Nachtigall stört von Harper Lee fragt Atticus Finch, der Anwalt, den Angeklagten, welches Auge des weiblichen Opfers blau geschlagen worden war. „Das linke“, antwortete dieser. Klare Antwort, oder? „War es das linke, von Ihnen aus gesehen, oder das linke, von ihr aus gesehen?“, hakt Atticus nach. „Ach so, dann war es natürlich das rechte.“

 

Diese kleinen Klarstellungen sind sehr wichtig, besonders wenn ein einziges Wort den Sachverhalt ins Gegenteil verkehren kann. Ist der Untersuchungsbefund nun positiv oder negativ? Ihre Ärztin redet von einem negativen Befund, bei Ihnen sinkt der Mut, obwohl sie damit zumeist etwas Positives meint, weil eine spezielle Untersuchung eben nicht den Nachweis der vermuteten Erkrankung erbracht hat. Ein negativer Corona-Test beispielweise bescheinigt die Abwesenheit der Infektion und nicht deren Vorliegen. Das ist für Sie natürlich positiv. Im Labor hat der Test aber kein Ergebnis erbracht, er ist also negativ ausgefallen. Darauf bezieht sich die Aussage Ihrer Ärztin, wenn sie von einem negativen Befund spricht. Statt eine solche Unsicherheit mit auf den Weg zu nehmen, fragen Sie lieber nach, damit Sie mit einem ruhigeren Gefühl nach Hause gehen können.

In der Regel werden Sie vermutlich am Ende kurz gefragt, ob Sie alles verstanden haben. Als Erwartungshaltung steht ein knappes „Ja“ im Raum. Nutzen Sie sie die Gelegenheit, um Ihrer Ärztin eine bessere Variante vorzuschlagen: Sie möchten mit eigenen Worten noch einmal die für Sie wichtigen Informationen wiederholen. Als Kontrolle für sich selbst. Sie können als Antwort auf diese womöglich floskelhafte Frage auch gleich mit Ihrer eigenen Darstellung beginnen: „Habe ich Sie richtig verstanden, dass …?“ oder „Bei mir ist Folgendes angekommen: …“ Dabei kann sich Ihre Nachfrage auf eine einzelne Formulierung Ihrer Ärztin oder das gesamte Gespräch beziehen. Das ist ganz egal. Wichtig ist die Rückversicherung, um Klarheit zu bekommen. Letztlich ist nur das entscheidend. Lassen Sie sich nicht von Zeitnot oder einem möglicherweise irritierten oder gar genervten Kollegen von Ihrem Vorhaben abbringen. Bevor Ihnen nicht ganz genau klar ist, worüber gesprochen wurde, verlassen Sie das Sprechzimmer nicht. Andernfalls hätten Sie sich die Zeit für den Arztbesuch nämlich sparen können.

Klarheit ist leicht gefordert, aber gar nicht so einfach hinzubekommen. Es sei ein Irrtum zu glauben, dass die meisten Informationen durch das gesprochene Wort transportiert werden, sagt Annegret Hannawa von der Universität Lugano, die sich seit Langem mit der Kommunikation im Gesundheitswesen beschäftigt. Nach ihrer Ansicht tauscht man mehr als 90 Prozent der Information, beispielsweise im Rahmen eines Gespräches, auf anderen Wegen aus als denen der Sprache. Tatsächlich werden viele Dinge nicht nur über Worte, sondern nonverbal, durch Mimik und Gestik oder durch Nichtsagen und ausbleibende Aktion kommuniziert. Nur weil man nichts sagt, bedeutet es ja nicht, dass keine Botschaft gesendet wird.

Clowns zum Beispiel sind darin wahre Meister. Als Kind bin ich gern in den Zirkus gegangen. Da gab es einfach alles: Elefanten, Löwen, Schlangenmenschen und natürlich den Clown. Der kam ohne Worte aus. Aber er war so gut, dass ich kaum aufhören konnte zu lachen, wenn er zum dritten Mal über den unsichtbaren Ball gestolpert war, auf der Nase lag und sich in seinen weit geöffneten Augen ungläubiges Erstaunen abmalte. Klar hatte er auf der Clownsschule gelernt, sich durch präzise Gesten und Bewegungen auszudrücken. Mindestens genauso wichtig war, dass er seine gesamte Konzentration in die Mimik und die Gesten legte. Seine Bewegungen mussten genau definiert sein, damit sie bei mir einen Lachanfall auslösten.

Im Sprechzimmer gelten Gesten und Mimik als Beiwerk. Beachtet werden sie trotzdem ganz genau. Und das gilt für beide Seiten. Eine erfahrene Ärztin ist häufig auch eine gute Beobachterin, die sich nicht nur darauf verlässt, was ihr erzählt wird. Doch die eigene Gestik und Mimik wird sie, genauso wie der Patient, eher selten gezielt und mit besonderer Konzentration einsetzen. Und genau hier liegt eine Gefahr. Denn Sie sitzen in diesem Sprechzimmer wie der Luchs auf der Lauer und versuchen, neben dem, was geredet wird, keine Schwingungsänderung der Stimme, keine Augenbewegung Ihrer Ärztin zu verpassen.

So berichtete Silke: „Die Gynäkologin meinte, dass die aktuelle Computertomographie keinen Grund zur Besorgnis geben würde, sie klang dabei aber überhaupt nicht zuversichtlich und hat uns auch nicht angeschaut. Bilder hat sie uns auch keine gezeigt. Das hat mich alles überhaupt nicht überzeugt. Weil Katharina wieder mal nichts gesagt hat, denn es ist ja diese Art von Information, die man als Patientin gern hören will, habe ich dann nachgefragt. Für mich passten die Auskünfte der Ärztin und die Art, wie sie sich verhalten hat, nicht zusammen.“

Silke wurde offenbar von der Klangfarbe der ärztlichen Stimme und dem Vermeiden eines direkten Blickkontaktes beunruhigt. Hinzu kam, dass sie eigentlich erwartet hätte, Bilder der Untersuchung, die die Aussage der Ärztin belegen beziehungsweise stützen, demonstriert und erklärt zu bekommen. Das ist aber nicht passiert. All das transportierte auch ohne Worte eine Information. Silke hatte das Gefühl, die Ärztin wollte irgendwie schnell fertig werden und zum nächsten Thema übergehen. Das wirkte auf sie, als sei etwas nicht in Ordnung. Sie hat also genau das Gegenteil von dem angenommen, was die Ärztin mit Worten gesagt hatte.

Das sei nicht ungewöhnlich, erklärt die Kommunikationswissenschaftlerin Hannawa. Auch hinter fehlendem Verhalten, in diesem Fall also dem Nichtzeigen der Bilder und der Vermeidung des Blickkontaktes, wird eine Botschaft vermutet. Steht eine solche nonverbale Botschaft im Widerspruch zu dem, was gesagt wird, vertrauen die Menschen dem Nonverbalen eher als dem gesprochenen Wort. Dadurch kann es passieren, dass eine fehlende Kommunikation vom Patienten falsch gedeutet wird. Das wollte Silke instinktiv verhindern, denn sie empfand einen Widerspruch und hat aus meiner Sicht genau das Richtige getan. Sie hat nachgefragt und die Ärztin gebeten, genauer zu erläutern, wie sich der Brustkrebs im Vergleich zur letzten Untersuchung entwickelt hat.

„Der Patient muss natürlich immer fragen!“, meint auch Robert, Oles Vater. „Und das muss er sich trauen.“ Das gilt im Übrigen auch für den Arzt, der durch Fragen herausbekommen sollte, ob er Sie richtig verstanden hat. Klingt einfach, ist in der Wirklichkeit des Sprechzimmers aber nicht immer so leicht umzusetzen. Denn nach Annegret Hannawas Einschätzung gibt es zahlreiche Gründe, weshalb man als Patientin oder Patient den Eindruck gewinnen kann, dass es mit dem Nachfragen gerade nicht so gut passt: Der Arzt ist gestresst und hat wenig Zeit, er wirkt abgelenkt oder erscheint so autoritär, dass man von einer Frage lieber absieht.

Diese Haltung vieler Patienten, Ärzte nicht mit zu vielen Fragen belästigen zu wollen, ist auch Marie-Luise Dierks, Professorin für Soziologie und Psychologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, geläufig. Sie leitet die dortige Patienten-Universität, die erste ihrer Art, und betreibt seit vielen Jahren eine intensive Forschung zu Patientensicherheit und -perspektive. Das zögerliche oder gar vollständig ausbleibende Fragen der Patienten steht ihrer Ansicht nach in einem auffallenden Gegensatz zu deren Wunsch, in die Entscheidungen des Arztes eingebunden zu werden. Und dieser Wunsch sei ausgeprägter, als viele Ärzte denken.

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