Böse alte Zeit 2

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Der Showdown in Waldenburg fand am Nachmittag des 4. Oktobers 1610 statt. Liebmann von Meusebach forderte seinen Kontrahenten Friedrich von Lelliewah förmlich heraus, indem er ihm dreimalig erklärte, »wan er ein redlicher Gselle [sei], solle er ime erscheynen.« Lelliewah nahm die Herausforderung an. Die Duellanten gingen vor das Stadttor und zogen ihre Degen. Die ersten vier oder fünf Anläufe konnte der jeweilige Konterpart parieren. Als Liebmann seinen Degen erhob, um einen weiteren Streich zu führen, kam ihm Friedrich von Lelliewah zuvor. Blitzschnell stach er zu und traf den rechten Arm des Gegners so heftig, dass eine blutende Wunde zurückblieb. Damit war das kurze Gefecht entschieden. Liebmann von Meusebach wurde am Ort des Geschehens verarztet und in die nahe Torstube geführt. Alle Augenzeugen bestätigten, dass es ein fairer und redlicher Kampf gewesen sei.

Liebmann von Meusebach verbrachte die letzten Tage seines Lebens in seinem Quartier in Conz Mayers Haus, wo sich der örtliche Barbier nach Kräften um seinen Patienten bemühte. Das mehrtägige Krankenlager lässt vermuten, dass Meusebach weniger am akuten Blutverlust, sondern eher an einer Entzündung seiner offenen Wunde litt. Der Hausherr und ein Musiker, der in den Quellen als »Bastle der Baßgeiger« bezeichnet wird, halfen bei der Pflege des Sterbenden. Vielleicht ließ sich Meusebach aus einem der religiösen, gut-lutherischen Bücher vorlesen, die später in seinem Gepäck gefunden wurden. Außer einem Katechismus und einem Psalter besaß er einen »Habermann«. Gemeint ist vermutlich das 1565 erstmals erschienene »Christliche Gebett für alle Not und Stende der gantzen Christenheit« des Theologen Johann Habermann – seinerzeit ein Bestseller der geistlichen Literatur. Kein Wunder! Das Büchlein enthält Gebete für alle Lebenslagen: Ein Gebet »wider deß Teuffels Anfechtung«, eines »zur Zeitt deß Donners und Ungewitters«, eines »wider den Türcken«, das »Gebeth für ein Weib das nicht Kinder hat«, das »Gebet wenn die Eltern Kinder zur Schul thun«, »Armer Leut Gebet für ihr Viehlein« … Und natürlich enthält es auch Gebete, die den Sterbenden auf seiner letzten Reise begleiten sollen:

»[…] Ich bitt durchs bitter Leyden dein,

Du wöllst mir Sünder gnädig sein,

Wenn ich nun komm in Sterbens Noth

Und ringen werde mit dem Todt.

Wenn mir vergeht all mein Gesicht

Und meine Ohren hören nicht,

Wenn meine Zunge nicht mehr spricht

Und mir vor Angst mein Herz zerbricht.

Wenn mein Verstand sich nichts versinnt

Und mir all menschlich Hülff zerrint,

So komm O HERR Christ mit behend

Zu Hülff an meinem letzten End.

Und führ mich aus dem Jammerthal,

Verkürz mir auch des Todtes Qual,

Die bösen Geister von mir treib,

Mit Deinem Geist stets bey mir bleib. […]«

Liebmann von Meusebach starb zwei Tage nach seiner Verwundung und nachdem er das heilige Abendmahl empfangen hatte am 6. November 1610. Sein Leichnam wurde gewaschen und mit jenen Kleidern angekleidet, die er beim Duell getragen hatte. Sein Hut und sein Degen wurden mit in den Sarg gelegt. Unter dem Gesang von 130 Schülern wurde er von zwölf Sargträgern zur Friedhofskapelle in Waldenburg gebracht. Etliche Gäste, die zur Hochzeit gekommen waren, schlossen sich dem Trauerzug an, sodass auch gräfliche Personen den jungen Junker aus Thüringen auf seinem letzten Weg begleiteten. Nach einer Leichenpredigt wurde er im Inneren der Kapelle beigesetzt.


In der mittelalterlichen Friedhofskapelle von Waldenburg fand Liebmann von Meusebach sein Grab

Dem Duell in Waldenburg folgte ein kurzes Nachspiel. Ein Brief der gräflich-hohenlohischen Kanzlei erreichte die Brüder Conrad Heinrich, Albrecht und Christoph von Meusebach am 22. November 1610. Das Schreiben unterrichtete sie ausführlich und in wohlgesetzten Worten vom gewaltsamen Tod und der Beisetzung ihres Bruders Liebmann. Die Beamten versicherten den Hinterbliebenen, dass sie ob der Tragödie »ein hertzlich und christlich Mitleiden tragen, und hetten für unser Person, gedachtem eurem Bruder seligen in Ansehung seiner blühenden Jugend daß zeitliche Leben unnd guetten Zustand von Hertzen gern gönnen mögen. Dieweilen es dem lieben Gott allso gefalln, ist es seinem göttlichen Willen billich haimzusetzen unnd zu befelhen.« Im Übrigen baten die Beamten um Auskunft, ob man einen Grabstein in Auftrag geben solle. Dem Brief aus Waldenburg waren das Inventar über die Besitztümer des Verstorbenen und Abschriften der Zeugenaussagen beigelegt.

Die Brüder im fernen Thüringen waren zunächst nicht bereit, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen, sondern dachten über rechtliche Schritte gegen Friedrich von Lelliewah nach. In ihrem Antwortschreiben formulierten sie eine ganze Reihe von Fragen, die auf eine strafrechtliche Verfolgung abzielten: Hatte der »Mordthetter« im Duell möglicherweise eine vergiftete Waffe benutzt? Hatte er unter der Kleidung irgendeine Form von Rüstung getragen? War er immer noch bei den Grafen von Erbach anzutreffen?

Die Kanzleibeamten in Waldenburg wiesen alle Spekulationen über einen unfairen Kampf und einen mit Hinterlist errungenen Sieg des Friedrich von Lelliewah zurück, indem sie auf die Augenzeugen des Vorgangs verwiesen. Nach dieser Auskunft verzichteten die Brüder Meusebach wohl auf weitere Maßnahmen. Sie hielten, so ein weiterer Brief aus Thüringen, einen ordentlichen Kriminalprozess weiterhin für geboten, doch müssten sie »wegen Ferne des Weges unnd auß andern Umbstenden, so von hochverstendigen Freunden uns zu Gemuthe geffurett« von diesem Schritt zurücktreten. Man wolle es dem Gutdünken der Grafen von Hohenlohe überlassen, juristische Maßnahmen in die Wege zu leiten oder darauf zu verzichten. Da in Hohenlohe naturgemäß kein besonderes Interesse bestand, einen unsicheren und kostspieligen Prozess gegen den Diener einer nahe verwandten Familie zu führen, war die Affäre somit ausgestanden.

Die Brüder des Verstorbenen begnügten sich damit, dem Verschiedenen ein ehrendes und standesgemäßes Andenken zu bereiten. Sie gaben das Epitaph in Auftrag, das sich bis heute in der Friedhofskapelle befindet, ebenso die eigentliche Grabplatte, die ursprünglich im Boden der Kapelle eingelassen war. Sie hat sich ebenfalls erhalten und ist heute in die Friedhofsmauer integriert.

Und der Sieger des Duells? Friedrich von Lelliewah war noch ein langes, durchaus aufregendes Leben beschieden, dessen Verlauf sich seiner gedruckten Leichenpredigt entnehmen lässt. Kurze Zeit war er Fahnenjunker des Markgrafen von Baden, später diente er zwölf Jahre lang als Forst- und Jägermeister der Grafen von Waldeck. 1622 erlebte er in Innsbruck die Hochzeit des Kaisers Ferdinand II. mit Eleonore von Mantua und kurze Zeit später die Krönung der Braut zur Königin von Ungarn. Nach einem kurzen militärischen Engagement im Dreißigjährigen Krieg heiratete er 1626 die Jungfer Giesell Ilse von Saldern. Aus der Ehe gingen drei Söhne hervor, von denen nur einer das Erwachsenenalter erreichte. Im gesetzten Alter von rund 40 Jahren pachtete Lelliewah verschiedene Herrengüter, zuletzt jenes in Kemme (heute im Landkreis Hildesheim, Niedersachsen), auf dem er 1652 nach längerer Krankheit im Alter von 67 Jahren verstarb. Das über 40 Jahre zurückliegende Duell von Waldenburg und der unglückliche Liebmann von Meusebach finden in der Leichenpredigt keine Erwähnung. Über die Toten nur Gutes.

Die Herrin der Fliegen

Die Morgendämmerung hatte noch nicht eingesetzt, allenfalls die schmale Sichel des Mondes am Firmament spendete etwas Licht, als Georg Hambrecht in den ersten Stunden des 6. Septembers 1675 durch das Dorf Ruppertshofen wandelte. Er steuerte vier Häuser an, nicht gerade die größten und prächtigsten des Ortes, um deren Bewohner zu wecken und zur Arbeit zu rufen. Anschließend begab er sich in sein eigenes Haus zurück, in dem sich die eben aus den Federn gescheuchten Männer nach und nach einfanden. Joachim Blumenstock, Hans Schilling, Hans Fischer, Michel Trump und Georg Hambrecht selbst schulterten Rechen und Sensen und machten sich auf den Weg. In Hessenau überquerten sie die Jagst, um dann noch einige hundert Meter flussaufwärts zu gehen und die herrschaftliche Buchenauwiese zu erreichen. Das frühe Aufstehen hatte sich gelohnt: Noch vor Sonnenaufgang glitt der erste Sensenstreich durch das feuchte Gras, das sich viel leichter schneiden ließ als das trockene, das man ein paar Stunden später vorgefunden hätte. Ein gewöhnlicher Arbeitstag in der Zeit der Heuernte hatte begonnen.


Zeitgenossen vermuteten hinter dem Tod des Georg Hambrecht das Wirken eines diabolischen Insekts. Hatte sich seine Ehefrau mit Beelzebub eingelassen oder geriet sie unschuldig in die Mühlen der Justiz?

Die fünf Männer, die an jenem Septembertag die Buchenauwiese mähten, und Michael Thren, der sich an diesem Morgen verspätete und kurz darauf zur Gruppe stieß, waren Köbler. Die Berufsbezeichnung lässt sich vom Begriff Kobel herleiten, den man heute noch auf das Nest des Eichhörnchens anwendet. Ursprünglich aber beschrieb er eine ärmliche Behausung oder eine Hütte. (Bezeichnend ist die sprachliche Verwandtschaft zum Schweinekoben, also dem Schweinestall.) In anderen Regionen und Dialekten wird von Söldnern, Seldnern, Häuslern, Kätnern oder Chalup-nern gesprochen, jedoch meinen diese Begriffe im Wesentlichen die gleiche Personengruppe: landwirtschaftliche Arbeitskräfte, die kein ganzes Bauerngut innehatten und deren Landbesitz in der Regel nicht ausreichte, um den eigenen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Manche von ihnen übten neben der Landwirtschaft einen Handwerksberuf, etwa als Schmied, Schneider oder Schuhmacher, aus. Die Mehrheit verdingte sich als Taglöhner bei benachbarten Bauern.

 

Zahlenmäßig stellten Köbler in der Frühen Neuzeit eine beachtenswerte Größe dar. Im Ruppertshofen des Jahres 1665 war fast jedes zweite Familienoberhaupt dieser Berufsgruppe zuzuordnen. Ein genauerer Blick auf die sechs oben genannten Männer gibt einen Eindruck von ihrer Lebenssituation: Jeder von ihnen besaß ein Haus (oder Häuschen), eine Scheuer, Gärten und einige Obstbäume. Der Umfang der landwirtschaftlichen Nutzflächen variierte erheblich. Während Hans Fischer nur etwas mehr als einen halben Hektar Ackerland besaß, bewirtschaftete Michael Thren mehr als vier Hektar. Hinzu kamen Wiesenflächen, wohingegen keiner der sechs eigenen Waldbesitz vorweisen konnte. Der Viehbestand der Köbler war gleichfalls gering. Ein beispielhaftes Gut verfügte in der Mitte des 17. Jahrhunderts über eine Kuh, zwei Kälber, vier Schafe, ein Schwein und einige Hühner. Eigenes Zugvieh besaßen Köbler meist nicht, wobei sich Ausnahmen von dieser Regel finden lassen. Entsprechend konnten sie ihre Pflichten gegenüber der Herrschaft nicht mit sogenannten Spanndiensten ableisten, sondern mussten Handdienste verrichten. Genau das taten die sechs Männer in Ruppertshofen, indem sie an jenem Morgen die herrschaftliche Buchenauwiese abmähten. Das Heu war nicht für ihr eigenes Vieh, sondern für den Bedarf ihres Landesherren Graf Joachim Albrecht von Hohenlohe Kirchberg bestimmt. Je schneller sie diese Arbeit hinter sich brachten, desto früher konnten sie sich um die eigenen Wiesen kümmern.

Der 34-jährige Georg Hambrecht, so berichteten die fünf anderen Männer später, habe »mit ihnen gemeet alß wie Er sonsten gethan«. Er »sei fröhlich gewest« und keiner habe »gehördt daß Er sich übel befände«. Besondere Fröhlichkeit wird es bei Hambrecht und seinen Kollegen ausgelöst haben, als sie das Grüppchen entdeckten, das sich ihnen von Hessenau aus näherte. Es war jetzt schon acht Uhr und ihre Frauen kamen, um ihnen das Morgenessen zu bringen. In der Schüssel, die Hambrechts Frau Barbara trug, befand sich ein Semmelbrei, den sie »durch Einschlagung dreyer Ayer […] fein gueth gemacht« hatte und dessen weitere Zutaten in den kommenden Wochen noch reichlich Anlass zu Spekulationen bieten würden. Die anderen Köbler sagten später aus, dass sich Barbara ihrem Ehemann gegenüber reichlich kühl verhalten habe. Während sich die anderen Frauen zu ihren Männern setzten, um ihnen Gesellschaft zu leisten, habe die Hambrecht gleich nach der Essensübergabe kehrtgemacht und sei wieder nach Hause gegangen. Der dergestalt düpierte Georg Hambrecht, dessen »böse Ehe« dorfbekannt war, habe ihnen sein Leid geklagt: »Er mögte wohl auch ein Weib, die bey ihm bleibe wie andere, biß er gegeßen.«

Die Pause auf der Buchenauwiese währte nicht lang. Nachdem die Männer zu Ende gegessen hatten, griffen sie wieder zur Sense, um ihre Arbeit fortzusetzen. Einige der Frauen waren bei ihnen geblieben, um das geschnittene Gras zu rechen. Nur Georg Hambrecht war nicht mehr so recht bei der Sache. Der Semmelbrei rumorte unheilvoll in seinen Eingeweiden, und es dauerte nicht lange, bis er von heftiger Übelkeit überfallen wurde. Er ließ seine Sense sinken und eilte zum Ufer der Jagst, um dort auf die Knie zu fallen und sich heftig zu übergeben.

»Jörg was ist dir, ich meine, Du währest übel auf«, erkundigte sich der besorgte Hans Schilling, als er den Kameraden, alle Viere von sich gestreckt, am Flussufer antraf.

»Er wiß nicht was ihm eigentlich wehre«, erwiderte der leichenblasse Hambrecht, »[es] seye ihm eben recht wehe, und seine Glieder währen ihme fast alle zerschlagen, müed und matt«. Die kurze Ruhepause und ein paar Schluck Wasser verschafften ihm etwas Erleichterung, die jedoch nicht lange vorhielt. Kaum hatte er wieder zur Sense gegriffen, als ihm erneut schlecht wurde und es ihm dermaßen übel erging, »daß er fast weder liegen, stehen oder gehen konte.« Etwas ratlos betrachteten die übrigen Mäher den Kranken. Er habe ausgesehen, so berichteten sie später, »als wann mann ihne aus dem Grabe gezogen« hätte, »sehr weiß« und »wie ein todter Mensch«. Nur mit Mühe und unter beständigem Wehklagen, aber immerhin auf eigenen Beinen, schaffte es Hambrecht nach Hause. Trotz anhaltender Übelkeit raffte er sich am frühen Nachmittag auf, um seine eigene kleine Wiese abzumähen. Es blieb beim Versuch: Die vorbeigehende Magd des Pfarrers traf ihn kurze Zeit später würgend und brechend auf dem Wiesenstück an. Beim besten Willen gelang es ihm nicht, die Arbeit zu Ende zu bringen, und selbst der kurze Heimweg wurde ihm zum Martyrium. Alle paar Schritte sank Hambrecht am Wegesrand nieder, übergab sich und ehe er endlich sein Haus erreichte und sich sterbenselend ins Bett legte.

Auch an den folgenden Tagen klagte Georg Hambrecht fortwährend über Schmerzen im Kopf, den Armen, den Beinen und über dem Herzen. Übelkeit und Erbrechen ließen selbst dann nicht nach, als sein Magen nichts mehr herzugeben hatte und »es ganz grün, gleich einer Wagenschmier« in den Spuckeimer tropfte. Barbaras Suppe wies er mit dem gleichen Nachdruck zurück wie die Eierspeise, die eine besorgte Nachbarin vorbeigebracht hatte. Statt dem üblichen Wein verlangte er schlichtes Brunnenwasser zu trinken. Süßes bekam ihm offenbar etwas besser: Bei Zuckerwerk, Lebkuchen und honigsüßem Hagebuttenmus griff er gerne zu.

Die merkwürdige Krankheit hatte am Montag begonnen. Da es ihrem Mann am Donnerstag noch nicht besser ging, hielt es Barbara für geraten, ihre Heimatstadt Ilshofen aufzusuchen, um den dortigen Bader um Rat zu fragen. Da sie diesen nicht antraf, stattete sie ihrem Elternhaus einen Besuch ab und besprach sich mit ihrer Mutter. Bei den Symptomen des Schwiegersohns empfahl diese Theriak, einen pharmazeutischen Bestseller jener Zeit.

Theriak galt, mit wechselnden Inhaltsstoffen, von der Antike bis ins 19. Jahrhundert hinein als wirkungsvolles und vielseitig anwendbares Medikament. Er konnte Zitwerwurzel, Benediktenkraut, Schale und Samen der Zitrone, Zimt, Safran, Holunder, Misteln, Engelwurz, Baldrian und weitere Heilkräuter enthalten. Die alten Griechen hielten die Zugabe von Tierblut und Innereien für unabdingbar, einige spätere Rezepte empfehlen gar zerstoßene Edelsteine. Der wirksamste Bestandteil wird allerdings das beigemengte Opium gewesen sein. Typischerweise fand das Präparat in Form eines klebrig-süßen Breis Verwendung, zu dessen Herstellung alle Zutaten in Wein und Honig eingedickt wurden. Mediziner des Mittelalters und der Frühen Neuzeit empfahlen Theriak selbst gegen Pest und Cholera – bei Georg Hambrechts Krankheit hingegen vermochte er nichts auszurichten. Am Vormittag des 10. Septembers 1675 ging es mit ihm zu Ende. Joachim Blumenstock, den man vom Feld geholt und ins Sterbehaus gerufen hatte, erinnerte sich später, dass er Georg Hambrecht an der Bettlade kniend und betend, »ganz sterbensgerecht« angetroffen habe. Barbara Hambrecht war nicht anwesend, als ihr Ehemann kurz darauf das Leben aushauchte. Der Leichnam sei, so Blumenstock weiter, »gleich ganz bloelicht worden und habe die Kranckheit

ihme die Augen ganz auß dem Kopf heraußgetrieben.« Als Barbara Hambrecht eine Stunde später von der Feldarbeit zurückkehrte und beim Anblick des Toten in Tränen ausbrach, herrschte Blumenstock die eben Verwitwete an: »Solls nur bleiben laßen, man glaube ihr doch nit, daß [es] ihr ein Ernst seye.« Zwei Tage später hob Blumenstock, der sich als Totengräber der Gemeinde ein paar Kreuzer dazuverdiente, Georg Hambrechts Grab aus.

»Dom. 15. Trin. [= 15. Sonntag nach Trinitatis] als den 12. Septembris ward begraben Georg Hamprecht, Inwohner allhier […]«

Der Eintrag, den Ortspfarrer Johann Christoph Knöller in das Totenbuch seiner Gemeinde schrieb, lässt nicht vermuten, dass der frühe Tod Georg Hambrechts seinen Zeitgenossen irgendwelche Rätsel aufgab. Für die Menschen des 17. Jahrhunderts war es keine außergewöhnliche Erfahrung, junge, scheinbar mitten im Leben stehende Menschen sterben zu sehen und zu Grabe zu tragen. Im kleinen Dorf Ruppertshofen wurden 1675, also im Sterbejahr Georg Hambrechts, insgesamt 40 Menschen beerdigt. Neun von ihnen waren Erwachsene, die das 40. Lebensjahr nicht erreicht hatten. Dass der Todesfall vom 10. September 1675 zum Gegenstand einer gerichtlichen Untersuchung wurde, erklärt sich aus besonderen Begleitumständen, die einen Argwohn gegen Barbara Hambrecht rechtfertigten. Die Initiative ging von Verwandten und Nachbarn Georg Hambrechts aus, die sich drei Tage nach dem Todesfall in der gräflichen Kanzlei zu Kirchberg einfanden, um den Beamten ihre Verdachtsmomente darzulegen. An der Spitze dieser Delegation stand Georgs verwitweter Vater Peter Hambrecht, der mit dem Sohn und der Schwiegertochter in einem Haushalt gelebt und deren Konflikte miterlebt hatte. Das Paar, so Hambrecht senior, habe »steeths sehr übel gelebt undt ein bestendige böße Ehe gehabt.«

Da diese kurze »böße Ehe« als mutmaßliches Tatmotiv das Fundament aller weiteren Anschuldigungen bildet, verdient sie eine genauere Betrachtung.

Barbara Hambrecht kam 1650 als Tochter des Schulmeisters und Zolleinnehmers Hans Deininger und seiner Ehefrau Catharina in Ilshofen zur Welt. Ihr Vater scheint ein Mann von solider Bildung gewesen zu sein, die Mutter muss über erhebliche Kompetenzen im Bereich der Volksmedizin verfügt haben. Wie die Verbindung mit dem knapp zehn Jahre älteren Köbler Georg Hambrecht im benachbarten Ruppertshofen zustande kam, geht aus den erhaltenen Quellen nicht hervor. Für Hambrecht war es bereits die zweite Ehe. Seine erste Frau war im Juni 1674, nur 15 Monate nach der Hochzeit, verstorben. Am 22. Oktober 1674 trat der junge Witwer mit Barbara Deininger vor den Altar. Die Beziehung scheint von Beginn an schwierig gewesen zu sein. Offenbar musste sich schon bald das Kirchberger Konsistorium, eine Art Sitten- und Ehegericht, mit den Eheleuten Hambrecht befassen. Das Protokoll dieser Verhandlung hat sich nicht erhalten, aber aus den Untersuchungsakten über den Tod Georg Hambrechts ist zu schließen, dass der Verstorbene seine Ehefrau mehrfach geschlagen haben muss und seine Gewalttätigkeiten auch nach der Konsistorialverhandlung fortsetzte. Bemerkenswert ist ein Bericht des Pfarrers Knöller, der auf mögliche Ursachen der Ehezwistigkeiten verweist. Der Ortsgeistliche zeichnete ein denkbar vorteilhaftes Bild vom Charakter, Religionseifer und Lebenswandel der Barbara Hambrecht. So hielt er fest, »daß sie bißhero ihr Christenthum fleissig in Obacht genohmen, indeme ich ihr daß röhmliche Gezeugnus geben mus, daß sie bißhero die gewöhnliche Son- wie auch Feyer- und Freytagspredigten sambt den Bethstunden jederzeit so fleissig besuchet, daß sie keine ohne sonderbahre dringende Noth jemals von den selbigen versäumet. […] So hat sie auch biß dahin nachbarlich fridlich mit ihren Nebenmenschen gelebt, daß ich nie nichts widriges von einem oder andern gehöret oder vernohmen hab, sondern hoffentlich jederman ihres geführten fridligen Lebens halben ein gut Zeugnus wiedergeben könnte.«

Weit weniger schmeichelhaft äußerte sich Knöller über den verstorbenen Georg Hambrecht, der hartnäckig an seinem sündigen Lebenswandel festgehalten habe. In seinem kurzen Witwenstand sei er einer ledigen Magd nachgestiegen und seine Ehefrau habe er als »Heiligenfresserin« verspottet, weil sie so oft in die Kirche gegangen sei. Knöller bot in seinem Bericht gar eine eigene These zur Todesursache Hambrechts an. Dieser sei, mutmaßte der Pfarrer, so früh gestorben, »weil ihn Gott nicht wehrdt geachtet, daß er noch länger bey einem solchen frommen und gottförchtigen Menschen mehr leben und dieselbige noch weiter quälen, peinigen und martern solle.«

Peter Hambrecht glaubte freilich nicht, dass sein Sohn durch göttlichen Ratschluss aus dem Leben gerissen wurde. Er und seine Begleiter brachten auf der Kanzlei in Kirchberg ganz andere Vermutungen vor. Im Dorf und dem Umland werde gesagt, »es were dem guthen Georgen übel gangen, daß ihm so vergeben worden [sei]«, und der allgemeine Verdacht richte sich gegen seine Witwe Barbara. Peter Hambrecht erklärte, dass die Schwiegertochter ihm und seinem Sohn schon vor einem Vierteljahr gedroht habe, »sie wolle ihnen einmahl ein Eßen kochen, daß sie alle beede davon sterben.« Sein Sohn habe zudem noch auf dem Sterbebett geäußert, dass seine Frau etwas in den Brei gemischt haben müsse. Und damit nicht genug: Man habe erfahren, dass vor einiger Zeit eine Bettlerin in Ruppertshofen aufgetaucht sei, die auch im Hause Hambrecht vorgesprochen und um etwas Schmalz gebeten habe. Barbara Hambrecht habe zu ihr gesagt, »sie wolte ihr wohl Schmalz verehren, die Bettlerin aber solte ihr dargegen Gifft geben, sie habe immer so ein böse Ehe mit ihrem Mann, woll ihm damit vergeben.« Die Bettlerin habe das Gift nicht beschafft, aber Barbara Hambrecht sei auf anderem Wege dazu gekommen: Sie habe ihren Nachbarn Georg Hofmann mehrfach mit geheimnisvollen Zetteln und Geld nach Schwäbisch Hall geschickt, um ihr etwas aus der Apotheke zu besorgen.

 

Im Übrigen teilte Peter Hambrecht mit, dass er sich derart vor seiner Schwiegertochter fürchte, dass er das eigene Haus verlassen und sich bei Verwandten einquartiert habe.

Ob der brodelnden Gerüchteküche hatten die Beamten in Kirchberg gar keine andere Wahl, als der Sache auf den Grund zu gehen. Bereits kurz nach der Anzeige wurde Barbara Hambrecht kurz und informell zu den Vorwürfen befragt. Sie stritt alles ab und wurde – gegen Stellung eines Bürgen – wieder auf freien Fuß gesetzt. Am 25. September folgte ein zweites, offizielles Verhör. Barbara Hambrecht blieb dabei, keine Schuld am Tod ihres Mannes zu tragen. Als Beweis ihrer Unschuld brachte sie vor, dass sie selbst und ihr Schwiegervater von dem angeblich tödlichen Brei gegessen hätten. Außerdem spreche schon ihre gut christliche Erziehung gegen die Vorwürfe: »Ihr Vatter hette sie nicht darzu gezogen. Er habe sowohl seine eigene, alß auch die Schulkinder zu allem Guten bishero angewießen.« Hambrecht betonte weiter, dass sie vier Nächte lang am Krankenbett ihres Mannes gewacht, mit ihm gebetet und nichts unversucht gelassen habe, um ihn zu retten. Wenn ihr Schwiegervater etwas anderes behauptet habe, dann nur, weil ihn andere Leute gegen sie aufgehetzt hätten.

Zur Begegnung mit der mysteriösen Bettlerin sagte Barbara Hambrecht aus, dass schon Hunderte arme Frauen an ihre Tür geklopft hätten, denen sie auch stets etwas gegeben habe. Nach Gift habe sie aber keine gefragt. Allerdings räumte sie ein, schon zu Lebzeiten ihres Mannes von diesem Gerücht gehört zu haben. Selbst ihr Mann habe die Geschichte mit der Bettlerin gekannt, ihr aber freilich keinen Glauben geschenkt. Auch für die Bestellung bei der Apotheke in Schwäbisch Hall hielt Hambrecht eine (mehr oder minder) harmlose Erklärung bereit: Georg Hofmann habe ihr Quecksilber besorgt, um das kranke Schwein einer Nachbarin zu behandeln.

Ihr ganzes rhetorisches Talent zeigte die Verhörte, als die Beamten zum Abschluss nochmals nachdrücklich fragten, ob sie auch die Wahrheit gesagt habe und ihr Gewissen rein sei:

»Ja, so rein alß die liebe Sonne am Mittag scheine. […] Ein Gliedt nach dem andern wolls ihr abreißen laßen, und solt ein Henkher nach dem andern da stehen und ihr alles Leydt anthun, so könn sie es mit gutem Gewißen behaupten, das sie nicht schuldt [sei], und das alles bey Verlust der ewigen Freudt und Seligkeit. […] Sie wolls Gott befehlen, die Obrigkeit mög mit ihr machen was sie woll, sie müße still halten, wolls alles gedultig leyden. Sie wiße, Gott werde sie nicht verlaßen.«

Fürs Erste hatte sich Barbara Hambrecht gut geschlagen und die Vorwürfe geschickt zurückgewiesen, ohne sich dabei in Widersprüche zu verwickeln. Das lag allerdings auch daran, dass die verhörenden Beamten noch nicht viel in der Hand hatten. Bisher konnte sich die Anklage lediglich auf Hörensagen und teils widersprüchliche Gerüchte aus dem sozialen Umfeld Peter Hambrechts stützen. Bei dieser schlechten Beweislage sollte es jedoch nicht bleiben. Der erste Belastungszeuge, der die Position der Beschuldigten wanken ließ, war Georg Hofmann. Seine Befragung hatte sich aus formalen Gründen verzögert: Die Bevölkerung von Ruppertshofen bestand im 17. Jahrhundert zu zwei Dritteln aus hohenlohischen Untertanen und zu einem Drittel aus Untertanen der Reichsstadt Schwäbisch Hall. Die Familie Hambrecht gehörte zur erstgenannten Gruppe, Georg Hofmann aber zur hällischen Minderheit. Die Stadtoberen in Schwäbisch Hall waren zwar grundsätzlich bereit, ihre hohenlohischen Nachbarn bei der Kriminaluntersuchung zu unterstützen, ließen aber nicht zu, dass einer ihrer Untertanen durch Beamte einer fremden Herrschaft befragt wurde. Entsprechend musste in Kirchberg ein Fragenkatalog erstellt und nach Schwäbisch Hall gesandt werden. Zur Vernehmung wurde Georg Hofmann in die hällische Amtsstadt Vellberg vorgeladen.

Georg Hofmann sagte aus, dass er zweimal von Barbara Hambrecht gebeten worden sei, ihr etwas aus der Apotheke in Schwäbisch Hall mitzubringen. Bei beiden Gelegenheiten habe er von ihr einen Zettel mit der Bestellung und etwas Geld zur Bezahlung erhalten. Der erste Botengang habe um Ostern 1675 stattgefunden und sei völlig unspektakulär verlaufen. Hofmann ging in die Stellwagsche Apotheke (heute Löwen-Apotheke) und legte dem Apotheker das mitgebrachte Zettelchen vor. Dieser reichte die Bestellung an einen Gesellen weiter, der ein graues Pulver aus einer Büchse nahm, abwog und in ein Tütchen füllte, das Hofmann später pflichtgemäß bei Barbara Hambrecht ablieferte.

Ganz anders am 5. Juli, als er abermals einen Auftrag der Hambrecht übernahm. Als er zwischen 11 und 12 Uhr in der Apotheke ankam, traf er dort niemanden an, sodass er zunächst an einem Glöckchen nach Personal läuten musste. Der herbeigeeilte Geselle nahm das Zettelchen in Empfang, las es und fragte nach, für wen denn das gewünschte Mittel bestimmt sei. Hofmann antwortete wahrheitsgemäß, sein Gegenüber aber gab sich skeptisch: »Der Apotheker-Gesell übersahe das Zettulein noch einmahl, rüttelte den Kopff darüber« und entschuldigte sich für einen Moment. Nachdem er zurückgekommen war, fragte er nach, ob Hofmanns Auftraggeberin einen Keller habe. Auf dem Zettel stehe, dass sie von dort lebenden Schlangen und Ottern geplagt werde, die ihr einen großen Schaden an der Milch verursachten und gegen die sie ein Gift gebrauchen wolle. (Der Glaube, dass Schlangen sich diebischerweise an der Milch bedienten, diese gar direkt aus den Kuheutern sögen, war im 17. Jahrhundert weit verbreitet und findet seinen Niederschlag in etlichen Volkssagen) Der Geselle fuhr fort: »Er gebe ihm daßjenige, waß in dem Zettelein stehe, aber nicht, [es] seye das ärgste Gifft, als man in der Apothek habe. Wan ein Unglückh darauß entstündte könnte er Hofmann undt [der] Apotheker in größte Gefahr dardurch kommen.«

Georg Hofmann erschrak ob dieser Worte, wollte mit der Sache nichts mehr zu tun haben und zerriss das Zettelchen auf dem Haller Marktplatz. Als er mit leeren Händen nach Ruppertshofen zurückkehrte, gab sich Barbara Hambrecht verwundert und ungehalten. Später, so endete Hofmann seine Aussage, habe sie ihm erzählt, dass ihre heilkundige Mutter das Mittel für ein Medikament benötigt hätte. Bestätigt wurden die Aussagen Hofmanns durch den Apotheker Johann David Stellwag, der sich allerdings nicht mehr recht entsinnen konnte, ob auf dem Zettelchen »Mercurium« (Quecksilber) oder »Arsenicum« gestanden habe.

Am 1. Oktober 1675 wurde Barbara Hambrecht zum zweiten Mal verhört. Sie blieb bei ihrer Aussage, Georg Hofmann wegen des Quecksilbers ausgesandt zu haben, mit dem das Schwein der Nachbarin behandelt worden sei. Von einem zweiten Botengang zur Apotheke, von milchgierigen Schlangen und Ottern in ihrem Keller und Arsen wollte sie durchaus nichts wissen. Die Beamten richteten ihre Aufmerksamkeit nach einigem Hin und Her einem anderen Punkt zu. Ihr Belastungszeuge Hofmann hatte sich am Ende seiner Vernehmung zur medizinischen Kunst der Catharina Deininger, Barbara Hambrechts Mutter, geäußert. Die Beschuldigte selbst habe ein Rezept derselben offenbart: »Ihr Mutter, die Schulmeisterin zu Ülzhoffen, nehm rothe Schneckhen und noch etwas, stelle es in Bachoffen, brathe dieselbe und mache ein Roth-lauffsalben,« – ein Mittel gegen blutigen Durchfall – »darauß. Zu dieser Salben hette sie gern dasjennige, waß sie in der Apotheckh verlanget auch gehabt.«

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