Gaunerinnen

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Eine Wendung im Leben der Gaunerinnen

Eines Abends chattete Stella mit Schenka Kosonoschkin, einem ihrer Klassenkameraden aus Lugansk. Zu ihrem großen Erstaunen stellte sich heraus, dass der unverbesserliche Fünfenschreiber und Chaot bei einem führenden Lebensmittelgroßhändler arbeitete. Zu allem Überfluss leitete er die Vertriebsabteilung.

„Kosa, wie hast du das geschafft? Ich kann es gar nicht glauben! Wenn mir jemand gesagt hätte, dass du im Knast sitzt, würde mich das weniger wundern! Und jetzt so was! Direktor Kosa! Ahahaha!“

„Sehr witzig, Stella! Du warst schon immer originell in deinen Äußerungen!“

„Danke für das Kompliment. Aber jetzt mal im Ernst, wie bist du da hingekommen? Raus mit der Sprache!“

„Ein Dekan an einer Privatuniversität in Lugansk hat mir ein Diplom für zweitausend Dollar verkauft. Er hat mir versichert, das Diplom sei echt und entspreche den Standards. Ich ließ mir ein bisschen Privatunterricht geben, lernte zum Thema alles, was nötig war, und voilà Mademoiselle! Ich bin jetzt nicht mehr der Kosa, mit dem du geschwänzt und hinter der Schule eine geraucht hast! Ich bin jetzt Evgeni Wladimirowitsch.“

„Hahaha! Du hast mich zum Lachen gebracht! Aber das war natürlich ein genialer Gedanke! Sehr gut! Ich freue mich für dich. Aber für mich bleibst du Kosa wie früher. Ahahaha!“

„Abgemacht, Stella Flinkfinger!“

„Schreib mir, vergiss das nicht!“

„Tschüss.“

Stella verarbeitete diese Informationen und begann, einen genialen Plan zu schmieden. Ihre Gedanken waren auf ein einziges fernes Ziel ausgerichtet – die Welt der Zasterhasen.

Außerdem hatte sie bereits eine gewisse Erfahrung beim Kauf von Dokumenten. Ihren Führerschein kaufte sie bei der Staatlichen Verkehrsinspektion der Stadt Cherson durch Beziehungen. Dabei hatte sie diese Stadt nie besucht.

Sie rief Natalja an und erzählte ihr von ihrer genialen Idee, mit der ihrer Meinung nach ein neuer Lebensabschnitt beginnen würde, in dem kein Platz für Habenichtse vorgesehen war.

Der Kern der „Geschäftsidee“ bestand darin, zwei Hochschuldiplome in Rechtswissenschaften zu kaufen und ein Notariat zu gründen. Dort sollten dann Mitarbeiter mit einer echten juristischen Ausbildung angestellt werden, deren Aufgabe es wäre, sich direkt mit den Dokumenten zu befassen.

„Und wir werden klug dreinschauen und den Stempel daruntersetzen. Wie findest du die Idee, Freundin?“

„Stella! Was hast du für einen klugen Kopf! Ich bin schockiert!“

„Ja. Daran ist nichts auszusetzen!“

„Das wird uns ein Haufen Geld bringen!“

„Aber es gibt ein Problem! Um die Berechtigung zur Benutzung eines Notarsiegels zu erhalten, muss man mindestens zwei Jahre Arbeitserfahrung in einem Notariat haben.“

„Puh, Stella, da hast du mich beinahe erschreckt! Ich dachte, es gäbe ein echtes Problem! Wir brauchen doch bloß einen kleinen Notar in irgendeinem Dorf zu ficken, damit er uns die erforderliche Berufserfahrung bestätigt.“

„Hahaha! Daran habe ich gar nicht gedacht.“

„Dann legen wir los?“

„Ich bin bereit!“

Natalja war entzückt. Sie stellte sich vor, wie sie in einem strengen Kostüm aussehen würde, wohl ähnlich wie Stella: ein eiskaltes, unnahbares Luder von unwiderstehlicher Schönheit. Wenn es aber einer wagte, sie zu berühren, wurde er um sein gesamtes Vermögen gebracht und ihm die Schuld dafür gegeben. Die Genialität ihrer Kollegin verärgerte sie ein wenig.

„Ich bin mir sicher, dass ich ihr in diesem Geschäft einen Vorsprung geben könnte!“, dachte sie mit einem giftigen Lächeln. „Aber warum komme ich nicht auf solche Ideen?“, fragte sich Natalja ärgerlich. Gleichzeitig gefiel ihr es, so eine Freundin zu haben. Nicht umsonst lautet das Sprichwort: Sag mir mit wem du umgehst…

Übrigens hatte Natalja keine große Auswahl. Alle Frauen außer Stella hassten sie. Welches normale Mädchen würde die Freundschaft zu einer prinzipienlosen Nymphomanin aushalten?

Die beiden verwirklichten ihren Plan mit rasendem Tempo. Stella fuhr in ihre Heimatstadt Lugansk, die sie schon lange nicht mehr besucht hatte. Dort wohnten noch ihre Mutter und ihre drogensüchtige ältere Schwester, die schon die Hälfte ihrer Zähne verloren hatte. Leider konnte Stella der Schwester nicht helfen. Alle Versuche waren vergeblich. Sie fixte Heroin und hatte außerdem anscheinend einen Dachschaden. Die ältere Schwester hasste die jüngere schon seit ihrer Kindheit. Stella war gewiss ein Problemkind gewesen. Sie flog von vier Schulen. Zur letzten von ihnen musste sie einige Kilometer zu Fuß zurücklegen. Sie lungerte mit Jungs in Kellern herum, trug immer Sportklamotten, und zwar nur drei Marken, die auf dem Stadtmarkt zu kaufen waren: Puma, Adidas und Montana. Im kurzen Haar in Stellas Nacken prangte ein Dreieck, das ihr ihre Freunde im Keller des Hauses Nummer neun im Saretschny-Viertel rasiert hatten. Stella versuchte die Vereiterung der Kopfhaut vor ihrer Mutter zu verbergen und trug darum sogar zu Hause eine Mütze.

Sie war überraschend gut in der Schule, schwänzte aber viel und war ständig in Schlägereien und Konflikte verwickelt. Sie war Dauergast im Dienstzimmer von Anatoli Nikolajewitsch Borisow, dem Leiter der Jugendinspektion der damaligen Miliz. Jedes Mal drohte er, sie in die Jugendstrafanstalt zu schicken. Er machte seine Drohung aber nie wahr, also schaute Stella immer wieder mit einem netten Lächeln im Gesicht bei ihm vorbei und hörte sich eine stundenlange Tirade über das schwere Leben hinter Gittern an.

Zwei Wochen blieb Stella in Lugansk, bis die Diplome fertig waren. Jeden Tag trank sie mit den Freunden ihrer Kindheit. Sie besuchte sie der Reihe nach und traf sie auf verschiedenen Partys. Einmal begegnete sie auch ihrem ersten Freund, genauer gesagt ihrem „ersten Kuss“. Der Mann sah schrecklich müde aus. Er war heroinabhängig. Mit schwerem Herzen blickte sie auf die lebende Leiche. Sie hatte manchmal ein ungutes Gefühl, wenn sie beobachtete, wie junge Burschen durch das ekelhafte Zeug starben, das die verfluchten Drogendealer vertrieben. Nur einer von hundert schaffte es, die Abhängigkeit loszuwerden. Die anderen waren so gut wie zum Tode verurteilt. Stella selbst hatte eine Neigung zum Alkohol und probierte damals einige Drogen aus, wie das in den Discos verbreitete Amphetamin und Ecstasy-Tabletten. Aber sie liebte das Leben so sehr, dass sie es nicht gegen Drogen eintauschen würde.

Als Stella zurückkehrte, war ihre Freundin auf dem Höhepunkt des Glücks. Sie war erfüllt mit Begeisterung und Stolz.

Nun war sie Volkswirtin und Juristin! Wovon konnte sie jetzt noch träumen? Die Heiratsvermittlungsagentur meldete sofort Insolvenz an und wurde geschlossen. Die Sache mit der Berufserfahrungsbestätigung dauerte auch nicht lange, wie Natalja vorhergesagt hatte. Der passende Mann wurde gefunden und ausgenommen. Die beiden Mädchen bekamen offiziell je zweieinhalb Jahre Berufserfahrung bei einer Rechtsberatungsstelle bestätigt.

Sie mieteten einen neuen Raum direkt in der Stadtmitte und begannen mit der Renovierung. Sie wussten noch nicht, dass bald eine neue Reihe von Skandalen und Zwistigkeiten über sie hereinbrechen würde.

Stella, die hinterlistige Schlange, ärgerte ihre Freundin mit ihrem Geschmack, insbesondere mit ihrer Vorliebe für Wände in hell- und dunkelbraunen Farbtönen. Natalja dagegen wollte lieber rot und schwarz. Oder vielleicht grellgelb und dazu ein einzigartiges Grün. Das wäre eine Herausforderung an die Gesellschaft ganz eigener Art. Diese Farben hielt sie für wesentlich vorteilhafter im Vergleich zur braun- und pastellfarbener „Kinderkacke“. Sie fand grelle Farben origineller. Außerdem würden sie von Nataljas tadellosen Geschmack zeugen. Stellas Bemerkung, sie hätte gar keinen Geschmack, traf Natalja mitten ins Herz. Den arroganten Ton, in dem das gesagt wurde, konnte Natalja nicht vergessen. Die Idee gehörte Stella, deswegen war sie berechtigt, das Design auszuwählen, in dem die Räumlichkeiten gestaltet werden sollten.

Diese Nachricht machte Natalja traurig, es schien, als hätte sie aufgegeben. Sie fühlte sich zweitklassig und hasste das langnasige Luder.

„Ich werde beweisen, dass ich erstklassig bin! Und klüger außerdem! Wart's nur ab!“

Ein paar Tage nach diesem Skandal vibrierte Nataljas Handy Natalja. Auf dem Display erschien eine Meldung: „Sie werden von 'Luder' angerufen.“

„Ja, Stella! Brauchst du was? Sind die dünnschissfarbenen Tapeten abgefallen? Soll ich kommen, um sie zu halten?“, zischte Natalja.

„Hallo, liebe Freundin!

Hasst du mich immer noch? Ich habe einen Vorschlag für dich. Kannst du ruhig zuhören?“

„Verdirb mir die Laune nicht, du Luder! In der letzten Zeit waren deine Vorschläge für mich unerträglich!“

„Beruhige dich und hör mir zu.“

„Okay, schieß los!“

„Erstens, ich will mich nicht mit dir zanken. Mir ist klar, dass wir völlig verschieden sind, wie rot und schwarz.“

„Nein, wie grün und die braune Scheiße!“, schrie Natalja ins Handy.

„Ich bin bereit, mein Auto zu verkaufen und für dich einen anderen Raum zu mieten, mit jeder beliebigen Farbe an den Wänden. Du wirst dort die Chefin sein. Überhaupt sollten wir nach dem Plan nicht nur ein Büro, sondern ein ganzes Netz eröffnen. Unter der Bedingung, dass das zentrale Büro ausschließlich mir gehört. Bist du einverstanden?“

„Du bist aber schlau, Stella! Du willst also im Stadtzentrum sitzen? Und ich mitten im Nirgendwo?“

„Manchmal gibt es viel mehr Kunden am Stadtrand.“

„Ja klar! Erzähl nur!“ Alle reichen Leute lassen sich im Stadtzentrum bedienen! Am Stadtrand gibt es nur Lumpensäcke! Und Junkies! Danke für den Vorschlag! Den kannst du dir dahin schieben, wo du es gern magst.“

„Gar nicht wahr! Nicht alle kommen auf den Chreschtschatyk, um sich Dokumente beurkunden zu lassen!“

„Gut, ich überlege es mir. Heißt das, du schenkst mir dein Auto? Und hilfst mir bei der Renovierung?“

 

„Genau. Die Renovierung in deinem Stil wird ja nicht so teuer.“

„Grrrrr! Ich bring dich um!“

„Haha!“, lachte Stella.

„Tschüss dann! Ich ruf dich an, wenn ich mich entschieden habe.“

„Danke, dass du mich hast ausreden lassen.“

„Ciao.“

Nach dem Gespräch setzte sich Natalja in einen Sessel, goss sich einen Martini ein und dachte nach.

„Ist sie wirklich so dumm? Schenkt mir ihr Auto? Da stimmt was nicht! Aber von mir aus soll es so sein. Ich werde sie los. Ich würde es sowieso nicht schaffen, mit ihr in diesem braun gestrichenen Büro zusammenzuarbeiten. Stella hält ihr Wort. Das heißt, es wird keine Tricks geben.“

Die Mädchen hatten nicht damit gerechnet, dass sie sich bis zur Eröffnung ihres Hauptbüros mit so viel schrecklichen Papierkram auseinandersetzen mussten. Es zeigte sich, dass es gar nicht leicht war, alle Genehmigungen für die Beglaubigung ernsthafter Unterlagen zu erhalten. Sie mussten viel Zeit dafür aufwenden, die verschiedenen Bescheinigungen und Dokumente zu beschaffen. Stella bat Slawik aus der Präsidialverwaltung um Hilfe. Damals war Juschtschenko Präsident der Ukraine. Nachdem sich einflussreiche Beamte einmischten, lief die Sache schneller. Natalja ärgerte sich wiederum, dass ihre Bekannten keine Bereitwilligkeit zeigten, ihr zu helfen. Manche von ihnen lachten sie sogar aus:

„Eine Hure als Notarin. Das ist nur in unserem Land möglich.“

„Dreckige Arschlöcher! Warum habe ich die nur so meisterhaft gefickt? Sie sind doch absolut keine Hilfe“, brüllte die schöne Natalja.

Merkwürdigerweise half ihr ausgerechnet Saweli. Er war wohl der edelste Mann in ihrer Umgebung. Er hatte natürlich Bekannte in diesem Bereich. Das Mädchen war sehr stolz darauf und prahlte damit.

Nach dem Erhalt der Genehmigung vergingen mehrere Monate, bis die Mädchen endlich das rote Band vor dem Eingang zum neuen Büro durchschneiden konnten. Die Zeremonie wurde mit Musik und Krimsekt begleitet. Die Freundinnen strahlten vor Glück. Sie umarmten sich und Natalja dachte irgendwann, dass das Design des Büros doch gar nicht so schlecht wäre. Stella dagegen war ein bisschen deprimiert, weil sie während des Kampfes für ihre bevorzugten Pastell-Farbtöne die Freundin beleidigt hatte.

Der erste Jurist wurde von Stella angestellt. Er war ein attraktiver junger Mann. Er hatte schon zwei Jahre Berufserfahrung bei einem hauptstädtischen Notariat, das über einen guten Ruf verfügte. Denis war schön und hochgewachsen und hatte dichtes dunkles Haar. Er war ruhig wie eine Python. Seine lang bewimperten Augenlider hielt er etwas gesenkt. Er gefiel Stella sehr. Seine feinen, langen Finger und Handgelenke bezeugten seine intelligente Herkunft. Er sprach nicht laut, weich und eingängig, ideal für die Arbeit mit Kunden.

Natalja triumphierte.

„Was hast du denn da für einen Spasti angeheuert? Er macht uns alles kaputt! Er bewegt sich kaum! Höchstens im Zeitlupentempo. Total zurückgeblieben!“

„Er ist genau richtig! Die Angestellten in einer Notarkanzlei müssen bedächtig und ruhig sein. Die Arbeit mit Kunden erfordert eine besondere Vorgehensweise und dabei weder Emotionalität noch fieberhaftes Rattenrennen!“

„Er ist voll die Bremse! Ich will diese Frau da einstellen! Die mit dem Zopf! Eine Schönheit! Schau dir nur mal ihre Augen an.“ Sie warf eine Bewerbungsmappe auf den Tisch direkt vor die Nase ihrer Freundin.

„Wozu brauchen wir diese Schwuchtel im Büro? Kannst du mir das sagen? Wenn wir jemanden wie die Frau da einstellen, kriegen wir coole Männer als Kunden! Aber mit dieser Missgeburt machen wir aus unserem Notariat ein Schwulennest!“

„Wir sind eine Notarkanzlei, kein Puff! Wozu brauchst du Männer?“

„Ohne Männer geht gar nichts! Bist du völlig verrückt geworden? Die Direktoren aller großen Firmen sind Männer! Sie wollen ihre Unterlagen von einer schönen Frau beglaubigen lassen und nicht von einem Schwulen!“

Vielleicht hatte sie recht, aber Stella tat unnachgiebig genau das Gegenteil, als ob sie es darauf anlegte. Allem Anschein nach war es genau so, weil Stellas innere Haltung gegenüber ihrer Freundin nicht zu hundert Prozent von Wärme und Güte gekennzeichnet war. Sie war das endlose Streiten und die Skandale müde. Sie erinnerte sich mit Sehnsucht an ihr vergangenes „Theaterleben“, das so lustig und abwechslungsreich gewesen war.

„Was hatten wir doch für einen Spaß! In diesem Märchen gab es für jede eine eigene Rolle: Schwester, Tante, Nichte oder Braut. Jede hat ihre Rolle zu hundert Prozent gespielt. Und gelacht haben wir vom ganzen Herzen. Jetzt haben wir eine Hauptrolle für jede von uns.

Wie sollen wir damit umgehen?“ Ihrem Wesen nach konnten die Mädchen nichts miteinander teilen. Würden Theaterrollen verteilt, könnte ein Regisseur zweifellos Natalja die Hauptrolle geben, zum Beispiel die der unnachahmlichen Edith Piaf.

Auch Stella könnte sich bei weitem nicht nur in Massenszenen präsentieren. Es wäre interessant, sie auf der Bühne als Fürstin Olga zu sehen, jene eiskalte Frau mit wütendem Blick, die eine ganze gegnerische Armee verbrannte, indem sie befahl, glimmende Lunten an die Füße von Tauben zu binden und diese dann in die feindliche Stadt fliegen zu lassen. Oder als Katharina die Große, die sich von der Neugierde der Zeitgenossen zurückzog, um die lasterhafte Liebe mit Pferden zu genießen.

Endlich begann der Arbeitsalltag. Stella versuchte, jede freie Minute zu benutzen, um die Verfassung und andere Gesetze zu studieren. Auf Ukrainisch fiel es ihr besonders schwer. Stella war Russin, anders als Natalja. Ihre Eltern stammten aus Russland. Sie wurde in Lugansk geboren, unweit der Grenze, in einem Gebiet, wo die russische Sprache dominierte. Wegen ihrer unzureichenden Ukrainischkenntnisse beschloss das Mädchen, sich an der sprachwissenschaftlichen Fakultät einzuschreiben. Damals konnte man nur an der sprachwissenschaftlichen Fakultät die Prüfungen in russischer Sprache ablegen.

Bei der Arbeit fühlte sich Natalja wie ein Fisch im Wasser. Als echte Ukrainerin war sie seit ihrer Kindheit an die Landessprache gewöhnt. Auf Ukrainisch verfasste Dokumente konnte sie schnell lesen. Dadurch fühlte sie sich ihrer hochnäsigen Freundin überlegen.

Diese empfand das natürlich als Beleidigung, aber wie immer fand das rechnerische Gehirn Stellas viel Positives an ihrem gemeinsamen Unterfangen. Nataljas Bemühungen, der Freundin ihre Schwächen unter die Nase zu reiben und den Wettbewerb um den Titel „Die Coolste“ zu gewinnen, führten dazu, dass das Geschäft ausgezeichnet und flott lief. Stella bemerkte, dass Natalja und Denis recht gut zusammenarbeiteten. Unter Nataljas strenger Leitung bewegte er sich schneller und sprach lauter. Entweder wurden die Nerven des Burschen härter oder er erwachte aus seinem langen Intelligenzlerschlaf – die Ergebnisse waren jedenfalls ausgezeichnet.

Bei einer solchen Belegschaft konnte sie ruhig schlafen. Nur eins machte ihr Sorgen: die Tatsache, dass alles auf Betrug und Gaunerei aufbaute. Ihre Diplome hatten sie gut versteckt, aber das Risiko war groß. Schließlich kannten viele Menschen die Mädchen persönlich. Stella hatte Angst, entlarvt zu werden, deswegen bemühte sie sich, sich nicht an Orten zu zeigen, wo sie Bekannte treffen könnte. Aber sie unterschätzte die Gefahr, die von Natalja oder genauer gesagt von deren Umfeld ausging. Stella projizierte irgendwie jungenhaft ihre eigene Lebenseinstellung auf andere Menschen. Sie hatte gute Freunde, die sie sehr schätzten. Sie war ein großzügiger Mensch und beschenkte ihre Freunde reichlich und von ganzem Herzen. Oft half sie den Menschen, die sie ausnutzten. Es kränkte Stella sehr, aber sie machte den gleichen Fehler immer und immer wieder. Dabei sagte sie:

„Ich kann mich nicht ändern. Ich komme immer jedem zu Hilfe, der mich braucht. Ich tue das für mich selbst.“

Die falschen Menschen verschwanden schnell aus ihrem Leben. Jeder hatte seinen Preis. Sie nutzten Stella einmalig aus, liehen sich Geld oder Sachen von ihr und gaben natürlich nichts zurück. Der Hauptvorteil bestand für Stella genau darin, dass sie diese Personen in ihrem Leben nie wieder sah. Es blieben gute und kluge Menschen, die verstanden, dass es keinen Sinn hatte, eine Frau wie sie ein- oder zweimal auszunutzen, wenn es doch möglich war, mit ihr einfach befreundet zu sein und sich immer auf sie verlassen zu können. Jedes Geschäft ging ihr flott von der Hand, sie besaß immer Geld und der Spaß in ihrer Gesellschaft hörte nie auf. Ihr Lachen und ihre strahlenden Augen sorgten immer für die beste Laune. Für einen Freund konnte sie ihr Letztes hingeben. Das wusste bei weitem nicht jeder zu schätzen. Manche Leute fingen an, das als selbstverständlich anzusehen, und bestahlen oder verrieten sie dann. Stella sagte:

„Jeder und alles hat seinen Preis. Das zeigt mir, dass dieser Mensch meiner Freundschaft genau diesen Wert beimisst. Ich bin bereit, das zu bezahlen und ihm dafür zu danken, dass er für so kleines Geld aus meinem Leben verschwunden ist. Gott sei Dank, dass sich die Menschen gerade in Kleinigkeiten outen. Die Lumpen zeigen ihr Wesen sofort. Die Gier kann in Menschen die Oberhand gewinnen. Dann verraten sie heilige Gesetze der Freundschaft und der Ehre. Aber das Schlimmste ist, wenn ein Mensch seine gemeine Natur jahrelang verbirgt.“

Sie wurde nicht gern von Menschen enttäuscht. Zum Beispiel war die Freundschaft mit Natalja für sie eine klare Sache. Sie wusste, was sie davon zu erwarten hatte und was nicht, und im Innersten liebte sie ihre Freundin wirklich.

Natalja verstand Stella und ihre Prinzipien überhaupt nicht und dachte, diese sei in jeder Hinsicht neidisch auf sie. Die kantige, arrogante Stella ärgerte sie mit ihrer Pingeligkeit und Hochnäsigkeit. Sie glaubte nicht an gute Eigenschaften bei dieser Schlange und war sicher, dass alles, was Stella tat, nur ihrem Eigennutz diente. Sie selbst empfand im Innersten eine starke Bindung an Stella. Wenn Natalja sich schlecht fühlte oder krank war, kam diese Schlange und pflegte sie, als ob Natalja ihre Schwester wäre. Sie brachte alle möglichen Arzneimittel und Tinkturen mit. Sie kochte für sie Glühwein mit Orangenschale und Zimt nach dem Rezept eines Schweizers. Sie saß so lange bei ihr, bis ihr besser ging. Dann erinnerten sich die beiden an lustige Momente ihres Lebens und lachten.

Natalja hatte immer einen Vorrat an witzige Geschichten.

Bei einem Auftrag hatte Natalja einem Bankdirektor, natürlich auf seinen eigenen Wunsch, dessen Hoden so fest eingeschnürt, dass sie selbst den Knoten nicht mehr öffnen konnte. Die Eier des Direktors schwollen so an, dass sie sich in eine dunkelrote Kugel verwandelten. Er brüllte wie am Spieß, während Natalja ihn von hinten mit ihrem Handy fotografierte.

Stella fiel vom Stuhl vor Lachen. Es gab noch eine interessante Story. Einmal wurde Natalja von zwei Schwulen eingeladen. Sie baten das Mädchen zu versuchen, ihnen beiden gleichzeitig durch ein Rohr, das in den Anus gesteckt wurde – sie nannten es „Tunnel“, – lebende Hamster in den Arsch laufen zu lassen und sie dann aufzufangen, während sie sich liebkosten und die Schwänze lutschten.

„Warum ich?“, fragte Natalja. „Ihr braucht einen dritten Homo und kein Mädchen.“

„Wir sind eifersüchtig aufeinander“, erklärte einen von ihnen. „Wir sind am Anfang unserer Beziehung, noch nicht so lange zusammen. Deshalb brauchen wir für dieses Experiment doch ein Mädchen.“

Natalja hätte nie gedacht, dass ein Arsch als Tunnel für kleine Nagetiere benutzt werden könnte.

Am Ende kehrte ein Hamster aus dem dunklen, stinkenden Loch nicht zurück und begann, den Schwulen von innen zu beknabbern.

„Oh je, wie hat dieser Arschficker geheult und gewinselt!“ Er hüpfte wild herum und versuchte, das Nagetier herauszuschütteln. Der andere rief eilig den Rettungswagen. Dabei machte er Natalja Vorwürfe, weil sie die Tiere falsch in den Arsch hätte laufen lassen. Sie hätte sie angeblich nicht mit den Zähnen, sondern mit Hinterteil nach vorn hineinschieben sollen. Dann würde das Fell von innen kitzeln und so für den Orgasmus sorgen.

Natalja empfahl dem Arschficker, dorthin zu gehen, wo der arme Hamster gerade stecken geblieben war, nahm ihr Geld und ging, den nächsten Auftrag zu erfüllen. Als sie im Taxi saß, beschnupperte sie sich selbst. Sie hatte das Gefühl, nach Scheiße und weißen Ratten zu stinken, die sich vor ihren Augen braun färbten.

Stella platzte vor Lachen.

„Puh! Natalja, lass mich zu Atem kommen! Ich habe Schluckauf wegen deiner wilden Geschichten.“

Das alles interessierte sie. Es war eine andere Welt voll unglaublicher Geschichten, die sie aus erster Hand zu hören bekam.

Die Monate vergingen. Es gab viel zu tun, sie stritten immer weniger. Das Leben bekam einen Arbeitsrhythmus, der sowohl lehrreich, als auch interessant war.

 

Die Kunden waren unterschiedlich, teils kompliziert und anspruchsvoll, teils unproblematisch und witzig. Unter ihnen gab es ungewöhnliche Persönlichkeiten: Verkäufer und Käufer, Immobilienmakler, Banker und andere Geschäftsleute. Omas, die ihre Häuser und Wohnungen den Enkelkindern oder den Zeugen Jehovas vermachten.

Stella bemerkte, dass Natalja morgens etwas ramponiert ins Büro kam. Ihr war klar, dass die Freundin nachts ihrem alten Gewerbe nachging. Leider war diese echte Nymphomanin nicht einmal durch einen anständigen Bürojob zu bessern. Sie führte mit Natalja ein heftiges Gespräch und verbot ihr strengstens, auf den Strich zu gehen. Es bestand ernsthaft die Möglichkeit, unter den Freiern auf Kunden ihres Büros zu treffen. Natalja wollte natürlich keine Belehrungen hören. Sie versuchte, die Freundin in ihr so genanntes Privatleben nicht einzuweihen.